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059Vorarlbergerin

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KOLUMNE<br />

Text: Andrea Bonetti-Mair<br />

MYTHOS MAESTRO<br />

Ich vermisse die Augenblicke. Wenn die Musiker Platz nehmen,<br />

ein leichtes Murmeln in der Luft liegt und die spürbare Vorfreude<br />

auf das Konzert. Dann die einsetzende Stille, wenn sich das<br />

Licht verdunkelt und er da ist: Der Auftritt des Maestro. Oder haben<br />

Sie schon mal eine Frau am Dirigentenpult erlebt? Ja, lautet<br />

meine Antwort. Die estnische Dirigentin Anu Tali beim zweiten<br />

Konzert des Symphonieorchesters Vorarlberg 2018 in Bregenz. Es<br />

war eine dreifache Premiere: Die Dirigentin feierte ihr Debüt mit<br />

dem Orchester. Die Estin war die erste Frau, die das SOV bei einem<br />

Abo-Konzert leitete und zugleich war es mein erster Abend<br />

mit einer Dirigentin. Bis vor wenigen Tagen habe ich mir darüber<br />

keine Gedanken gemacht. In Erinnerung blieb mit einem Lächeln<br />

die wunderbare Musik. Dass jetzt Anu Tali in den Vordergrund<br />

rückte, liegt an Antonia Brico. Per Zufall bin ich auf einen Film<br />

über ihr Leben gestoßen. Es war gerade eine Orchesterszene. Da<br />

war plötzlich Musik und die Sehnsucht, wieder selbst vor den Musikern<br />

Platz nehmen zu dürfen. Dann nahm mich ihre Geschichte<br />

gefangen. Antonia war eine der ersten erfolgreichen Dirigentinnen.<br />

1930 feierte sie mit den Berliner Philharmonikern ein umjubeltes<br />

Debüt. Bis dahin war es hart und es wurde nicht einfacher. Sie dirigierte<br />

in der ganzen Welt, auch in Österreich, aber immer nur als<br />

Gast. Von den New Yorker Philharmonikern bekam sie zu hören:<br />

Frauen im Publikum wollen alle einen Mann als Dirigenten. Als sie<br />

sich in Denver 1945 bewarb, schlug ihr vom Orchester Verachtung<br />

entgegen. Ein Zuhörer von damals erinnerte sich an das Konzert<br />

mit den Worten „Es war die beste 3. Symphonie von Beethoven,<br />

die ich je hörte“, während Kritiker Schlagzeilen schrieben wie: „Es<br />

ist eine Schande, dass eine Frau dirigiert.“ Im Abspann des Films<br />

die Zeilen: Grammophone, die britische Zeitschrift für klassische<br />

Musik, hat 2008 – gewählt von Kritikern – die 20 besten Orchester<br />

der Welt aufgelistet. Keines dieser Orchester hatte je eine Chefdirigentin.<br />

2017 die nächste Liste: Unter den 50 besten Dirigenten<br />

aller Zeiten ist … keine Frau. Und Chefdirigentinnen heute?<br />

Es gibt sie. Zum Beispiel Marin Alsop, die als Chefdirigentin das<br />

ORF Radiosymphonieorchester leitet. Sie sei reich an schlechten<br />

Erfahrungen und erinnert sich in einem Interview: „Es ist nicht<br />

lange her, da hatte ich das Gefühl, Dirigentinnen sind nur unter<br />

dem Mikroskop sichtbar!“ Joana Mallwitz, die als erste Frau in<br />

Salzburg eine szenische Opernpremiere leitete, stellte damals fest:<br />

„Ich bin überrascht, wo man überall die erste Frau sein kann. Das<br />

ist doch nichts, worauf man stolz ist!“ Und vor ihnen ist Antonia<br />

Brico. Sie macht über ihren Tod hinaus Mut. Auf ihrem Grabstein<br />

steht, man soll sich nur ja nicht vom Weg abbringen lassen. Sich<br />

nicht irritieren lassen von Kommentaren, dass die Orchesterleitung<br />

eine Machtposition sei, in der das sensible Geschlecht nichts verloren<br />

hat. Zwischen Brico und Alsop liegt fast ein Jahrhundert, in<br />

dem Frauen vorgehalten wurde, sie verfügten über ein mangelndes<br />

Intonationsverständnis, könnten keinen Takt halten, versprühten<br />

am Pult zu viel sexuelle Energie. Dirigentin Simone Young bringt<br />

es wunderbar auf den Punkt: „Ich glaube, wir machen grundsätzlich<br />

einen Fehler, indem wir Männlichkeit mit Stärke verbinden<br />

und Weiblichkeit mit Sensibilität. Jeder Künstler braucht Stärke<br />

und Sensibilität, egal ob es Mann oder Frau ist.“ Und diese<br />

Künstler gehören auf die Bühne und ans Pult.<br />

Foto: MARCEL A. MAYER PHOTORAPHER<br />

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