Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
KOLUMNE<br />
Lifestyle Erkenntnis Nr. 29<br />
Text: Marco Spitzar<br />
Nach dem Essen keinen Espresso, aber ein bisschen Bruno. Im Moment ist<br />
noch die Fähigkeit und die Kunst des Träumens das Wichtigste. Noch lege ich<br />
komplizierte Literatur beiseite und greife gerne zu meinem geliebten Bruno, Chef<br />
de police. Er ist Gemeindepolizist im Périgord im Südwesten Frankreichs und er<br />
ist eine dieser Persönlichkeiten in Romanen, mit denen man sich liebend gerne<br />
verschmolzen fühlt. Er sieht gut aus, ist sportlich (Tennisspieler – eh klar!) und<br />
kocht leidenschaftlich.<br />
Nicht alles genau zu wissen, ist viel romantischer. Ich durfte schon mal ein<br />
paar Tage zwischen Bayonne und Pau verbringen, am Rande der Pyrenäen, wo man<br />
im Winter am Morgen Skilaufen und zu Mittag die Gischt der Wellen des Atlantiks<br />
genießen kann. Die Wälder sind reich an Rotwild und die Wiesen voller Champignons.<br />
Schlösser und Weinhänge zeugen von einer Kulturlandschaft, die Könige inspirierte.<br />
So ähnlich stelle ich mir das Périgord vor. Märkte mit lebendigen Hühnern<br />
und selbstgemachten Pasteten. Einen ersten Aperitif am Vormittag. Das kann nur<br />
ein milchiger Pernod sein, flüssige Lakritze vor alten Burgmauern.<br />
Netflix in Buchform, nur besser. Die kriminologischen Fälle sind nur Makulatur.<br />
Es geht um den Geruch, um uralte Rezepte und erlesene Antiquitäten. Ich spüre<br />
die öligen Seifen aus den Blüten der Provence. Und bin ganz auf der Reise. In eine<br />
andere Umgebung, in eine andere Sprache, im Süden wohl, tiefblau umgarnt, beinahe<br />
schlafend im Zirpen der Zikaden. Nicht dass wir nichts von dieser Hochkultur<br />
hier hätten, aber ich möchte träumen dürfen und wegfahren dürfen, zumindest in<br />
meinen Gedanken.<br />
Eine andere Sprache, eine andere Kultur. Das hilft. Egal ob das erstmal durch<br />
einen Restaurantbesuch gestillt wird oder eben durch Literatur. Oder durch ein<br />
liebevolles Telefonat mit einem Freund im Ausland. Die Sehnsucht ist es, die uns<br />
leben lässt, die uns das Leben spüren lässt. Verführung hat nicht immer mit der<br />
Wirklichkeit zu tun. Es sind die Gedanken, die Fantasie, das Traumhafte. Diese<br />
Möglichkeit sollten wir uns nicht nehmen lassen und darauf achten, den Reisen und<br />
Begegnungen im Kopf genügend Stoff zu geben.<br />
Martin Walker erzählt in 13 Krimis<br />
von Bruno, Chef de police,<br />
erschienen im Diogenes Verlag.<br />
Material für die Seele gibt es in Hülle und Fülle bei Martin Walker. Eine echte<br />
Empfehlung, mehr als ein guter Wein. Das sind die Bruno-Fälle von Martin Walker,<br />
einem Engländer, der ins Périgord gezogen ist und wunderschön und leichtfüßig<br />
historische Geschichte und Kochkünste mit dem unnachahmlichen Lebensgefühl<br />
der ländlichen Franzosen zusammenmixt. Einfach, beinahe unbeschwert und doch<br />
so spannend, dass man kaum aufhören kann. Ja, das sind die idealen Schätze für<br />
eine Zeit, in der ich mich ab und an fortträumen möchte, als Vorbereitung und Vorfreude<br />
zukünftiger genussvoller Reisen. Ich erwische mich dabei, wie ich meiner lieben<br />
Familie französische Rezepte vorsumme, ganz selbstverständlich, so nebenbei,<br />
wie ich das Weinglas zu mir nehme und nippe und dann weiter ganz vertieft den<br />
Flussbiegungen folge. Mehr braucht es nicht.<br />
Foto: © Ida Fink<br />
34