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ZAS MAGAZIN, 303. Ausgabe, Juli 2021

Shitstorm gegen eine Schwalbe: Inszenierte Kampagnen gegen Annalena Baerbock, mit Lautsprechern überall, stellen die Grünen auf die Probe. Eine Kandidatin allein macht noch lange keinen Spätsommer-Sieg. Der Parteitag der Grünen gab Baerbock wieder Rückenwind. Von Michael Zäh

Shitstorm gegen eine Schwalbe: Inszenierte Kampagnen gegen Annalena Baerbock, mit Lautsprechern überall, stellen die Grünen auf die Probe. Eine Kandidatin allein macht noch lange keinen Spätsommer-Sieg. Der Parteitag der Grünen gab Baerbock wieder Rückenwind. Von Michael Zäh

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Zeit ist

nicht verfügbar

Der Physiker, Philosoph und Wissenschaftsmoderator Harald Lesch hinterfragt in seinem

aktuellen Buch unser Verständnis von Zeit, das letztlich zu all den Krisen führt, die wir

momentan erleben. Interview von Barbara Breitsprecher

Harald Lesch ist gerade mit seinen täglichen

Yogaübungen beschäftigt, als zur vereinbarten

Zeit sein Telefon klingelt. Dennoch ist

er sofort für unser Gespräch bereit. „Bei Yoga

muss man sich jederzeit stören lassen, natürlich“.

lacht er entspannt. Der Astrophysiker, Naturphilosoph

und Fernsehmoderator ist vielfacher

Bestseller-Autor und seine Wissenssendungen

sind längst Kult. Zusammen mit dem Zeitforscher

Karlheinz Geißler und dem Zeit- und

Organisationsberater Jonas Geißler hat er nun

das Buch „Alles eine Frage der Zeit“ geschrieben

(Oekom-Verlag, 20 Euro).

Denn man kann sie nirgendwo einzahlen oder

Zeitzinsen bekommen. Die Zeit ist eben nicht

nur die Bedingung, überhaupt zu sein, sondern

sie ist eben auch überhaupt nicht verfügbar.

Wir versuchen zwar, sie dazu zu machen, in

dem wir sie messen oder darstellen, aber in

Wirklichkeit ist sie eine absolut unverfügbare

Ressource. Und auch wenn wir sie zu Geld oder

einer Handelsware machen, bleibt sie das große

Rätsel des Universums. Das ist auch der Grund,

warum insbesondere Physiker die Zeit hassen,

weil sie sich einfach nicht so verhält, wie wir

es gerne hätten.

Sie selbst haben kein Smartphone

und geben sich genau

60 Minuten pro Tag, um Ihre Mails zu

checken, dabei haben Sie festgestellt, dass sie

gegenüber ihren Kollegen einen Zeitgewinn von

vier Stunden haben. Ist das denn nun nicht ein

Widerspruch?

Lesch: Zeitgewinn heißt, ich habe Zeit für Dinge,

die ich allein entscheide. Ich organisiere nicht

und kommuniziere nicht währenddessen. Ich

bin nicht eingebunden in irgendwelche Prozesse,

wo ich hinterher nicht weiß, was ich getan

habe. Sondern ich kann genau das tun, was ich

will. Vielfach wird ja beklagt, dass man keine

Zeit mehr hat für Dinge, die einem wichtig sind.

Die sogenannten Sachzwänge sind natürlich

auch Zeitzwänge. Die entstehen stärker, je mehr

man zugriffsfähig und verfügbar ist. Verfügbar

sein heißt vor allen Dingen im Onlinebetrieb

zu sein. Die Kommunikationsmöglichkeiten

bedeuten viel Ablenkung von all den Dingen,

auf die man sich eigentlich mehr konzentrieren

möchte. Ich habe also mehr Konzentrationszeit

zur Verfügung.

Ich dachte immer, bei Yoga muss man sich

versenken und die Welt ausblenden…

Prof. Dr. Harald Lesch: (lacht herzlich) Ja, das

übe ich auch immer wieder, aber so habe ich

Yoga noch nie empfunden und auch noch nie

praktiziert.

In Ihrem aktuellen Buch gehen Sie zunächst auf

die verschiedenen Krisen ein, die wir momentan

mehr oder weniger bewusst durchleben. In der

Bilanz sehen sie bei alledem einen gemeinsamen

Faktor, und das ist die Zeit. Sie sagen, die lässt

sich nicht beherrschen – und

doch versuchen wir es ja

ständig?

Lesch: Es gibt ja verschiedene

Zeitkulturen. Es gibt

Momente, da denken wir

gar nicht an Zeit und wie

sie vergeht. Wenn es uns

beispielsweise sehr gut geht,

wenn man mit Menschen zusammen ist, die

einem richtig etwas bedeuten. Es gibt andere

Momente, da haben wir das Gefühl, die Zeit

bleibt förmlich stehen, bei Nachrichten, die uns

erschüttern. Man muss also unterscheiden zwischen

dem, was die Uhr anzeigt und der erlebten

Zeit. So ökonomisiert, wie wir alle nun mal

sind, versuchen wir möglichst effizient zu sein

und Zeit zu sparen, was natürlich nie gelingt.

Wir kaufen

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www.wm-aw.de (Fa.)

Nun hat man ja das Gefühl, wir leben in einer

zunehmend schnelllebigen Zeit…

Lesch: Wir tippen auf unser Smartphone, und

zack – haben wir eine Hose bestellt. Aber die

Entscheidungen in der Politik dauern manchmal

monatelang, Koalitionsverhandlungen,

Entscheidungen der Stiko zur Kinderimpfung,

alles dauert Wochen und Monate – wieso können

die sich eigentlich nicht genauso schnell

entscheiden, wie ich mich für eine Hose? Wir

haben unterschiedliche Wahrnehmungszeiten,

unterschiedliche Reaktionszeiten. Und die

Zeit-ist-Geld-Variante ist eigentlich

die allerschlimmste.

Denn sie macht aus uns nur

noch ökonomische Objekte,

dabei lassen wir unsere Würde

fallen.

Im Zusammenhang mit dem Umkippen des

Klimas beschreiben Sie auch den Peak und

nennen das Jahr 2006. War das eine universale

Jahreszahl, an der alles gekippt und nun

irreversibel ist?

Lesch: Wir sehen ja seit längerem, dass sehr

viele Ressourcen zur Neige gehen. Das heißt

nicht, dass sie jetzt gleich verschwinden. Sondern

das heißt, es sind keine neuen Lagerstätten

mehr entdeckt worden. Wir müssen uns also

überlegen, wie wir mit Produktentwicklung,

technologischer Entwicklung und Rohstoffen

innerhalb von Recyclingkreisläufen umgehen,

damit wir nichts mehr verlieren, sondern

wichtige Ressourcen bei uns behalten. Ich will

ein einfaches Beispiel nennen: Brandenburg

ist ein sehr trockenes Bundesland. Und dieses

Bundesland exportiert Wasser. Wasser wird

dort aus dem Boden gepumpt und in die Flüsse

geleitet, die es in die Nordsee bringen. Das ist

keine gute Idee für ein Land wie Brandenburg,

das sollte kein Wasserexportland sein. Eigentlich

müsste dort alles dazu beigetragen werden,

dass sämtliche Abflüsse, beispielsweise aus

dem Braunkohlebau, in Brandenburg bleibt. Es

sollte also ein Rücklaufsystem geben, so dass

kein Wasser verschwindet.

Sie schreiben, je vielfältiger und komplexer ein

System ist, desto besser kann es sich stabilisie-

4 Interview

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