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Leseprobe zu "Wenn Tote weinen"

Wer Schuldige sucht, wird sich schuldig machen! Mit dem Henker von Zwiesel beginnt eine düstere Mordserie, welche im Zuge der Ermittlungen auch Paul Anderlech und sein Team zu entzweien droht. Was vermeintlich harmlos in einem zugigen Stall beginnt, endet in einer Verschwörung des russischen Geheimdienstes. Der deutsche BND und die Klimabewegung werden dabei gegeneinander ausgespielt, Lebenslügen prallen aufeinander. Die Suche nach Schuld führt in einen Irrgarten scheinbarer Gerechtigkeit.

Wer Schuldige sucht, wird sich schuldig machen!

Mit dem Henker von Zwiesel beginnt eine düstere Mordserie,
welche im Zuge der Ermittlungen auch Paul Anderlech und sein Team zu entzweien droht.
Was vermeintlich harmlos in einem zugigen Stall beginnt, endet in einer Verschwörung des russischen Geheimdienstes.
Der deutsche BND und die Klimabewegung werden dabei gegeneinander ausgespielt, Lebenslügen prallen aufeinander.

Die Suche nach Schuld führt in einen Irrgarten scheinbarer Gerechtigkeit.

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Prolog<br />

Und Charon bringt die <strong>Tote</strong>n über den <strong>Tote</strong>nfluss<br />

<strong>zu</strong>m Eingang des Hades.<br />

Auf die Fähre des unbestechlichen Fährmannes<br />

dürfen nur jene, für die auch die geforderte Münze<br />

der Gerechtigkeit, dieser sogenannte Charonspfennig,<br />

bezahlt wurde.<br />

Werden die <strong>Tote</strong>n aber nicht bezahlt, dann verwehrt<br />

Charon ihnen den Zugang ins friedvolle Reich der<br />

<strong>Tote</strong>n, sodass sie weinend am Ufer des Acheron als<br />

ewige Schatten umherirren müssen, bis er ihnen die<br />

Überfahrt gestatte.<br />

Und Charon, dieser Unbestechliche, ist der Vertreter<br />

des jüngsten Gerichtes.<br />

Denn er allein entscheidet, wen er in der Mitte des<br />

Flusses der Hölle überantwortet und wen er sicher<br />

übersetzt ins Schattenreich der <strong>Tote</strong>n.


1. Kapitel<br />

Erstaunt registrierte er, wie aus der Vierergruppe ein<br />

Mann, den er nur all<strong>zu</strong> gut kannte, auf sein<br />

Gegenüber jäh <strong>zu</strong>sprang und ihn <strong>zu</strong>r Seite hin wegstieß.<br />

Dieser rempelte dabei die neben ihm stehende Frau an,<br />

sodass sie ebenfalls ins Straucheln geriet. Reflexartig griff<br />

sie nach ihm, um ihr Gleichgewicht wieder<strong>zu</strong>finden.<br />

Der Rücken des scheinbaren Angreifers schirmte den<br />

anderen erneut vor den Augen des verborgenen Spions<br />

ab.<br />

Auch der zweite Fremde zeigte ihm nur sein Profil und er<br />

kniff die Augen ein wenig <strong>zu</strong>sammen, um ihn schärfer in<br />

Augenschein nehmen <strong>zu</strong> können.<br />

„Was … Wer <strong>zu</strong>m Teufel …? Gibt’s denn das? Das<br />

ist doch …“, schoss es ihm durch den Kopf.<br />

Im gleichen Moment zerriss ein peitschenartiger Knall die<br />

morgendliche Stille im Park.<br />

Der hochgewachsene Mann, der den anderen gerade eben<br />

weggeschubst hatte, fiel rücklings <strong>zu</strong> Boden und blieb<br />

reglos liegen. Sein Kumpel schaute völlig perplex <strong>zu</strong> ihm<br />

hinunter und <strong>zu</strong>m ersten Mal sah ihn der Lauscher klar<br />

und deutlich.<br />

Der Schrecken fuhr ihm durch und durch, als er das<br />

Gesicht augenblicklich erkannte.


Das laute Geräusch, welches einen unbedarfteren Zeugen<br />

als ihn wohl eher an die Fehlzündung eines Autos<br />

erinnern mochte, den versteckten Lauscher jedoch sofort<br />

an einen Pistolenschuss denken ließ, hallte noch immer in<br />

seinen Ohren.<br />

Sofort suchte er mit den Augen die gegenüberliegende<br />

Umgebung ab und bemerkte einen zwischen den Bäumen<br />

halb verborgenen Schützen, der mit einer Waffe auf den<br />

Rücken des Mannes und der neben ihm stehenden Frau<br />

zielte.<br />

Laut brüllend sprang er mit einem gewaltigen Satz hinter<br />

seiner Deckung aus dichtem Buschwerk hervor, rannte<br />

die wenigen Meter, die ihn von dem erstarrten Mann<br />

trennten, und warf sich in vollem Lauf gegen ihn, wobei<br />

er ihn und die Frau gleichzeitig <strong>zu</strong> Boden riss.<br />

Dem anderen, der außerhalb seiner Reichweite stand,<br />

schrie er die Warnung <strong>zu</strong>, wo der unsichtbare Feind<br />

stand, als auch schon der nächste Schuss aufpeitschte.<br />

Im Fallen erahnte er den brennenden Schmerz im Kopf<br />

mehr, als dass er ihn wirklich spürte.<br />

Noch ehe er überhaupt realisierte, was mit ihm geschah,<br />

wurde es dunkel um ihn herum und alles verlor sich in<br />

tödlicher Stille. Nichts besaß noch irgendeine Bedeutung,<br />

nicht mehr für ihn.<br />

Den darauffolgenden Schuss und die schrillen Schreie der<br />

Frau, die sich über ihn warf, hörte er schon nicht mehr.<br />

Und er spürte auch nicht, wie man ihn fortbrachte.<br />

Es war vorbei.


2. Kapitel<br />

Montagnachmittag, 23. November, elf Tage <strong>zu</strong>vor<br />

P<br />

aul Anderlech stand mit verkniffenen Lippen vorm<br />

weit geöffneten Scheunentor eines windschiefen,<br />

fensterlosen Schuppens, welcher mitleiderregend einsam<br />

allem Wind und Wetter dieses kalten Spätnovembertages<br />

trotzte. Der verstörende Anblick im Inneren des Stalls<br />

passte <strong>zu</strong> dieser trostlosen Atmosphäre.<br />

Man konnte irgendwie den Eindruck gewinnen, als wäre<br />

der alte Schweinestall in dieser Feld-und Wieseneinöde<br />

einfach in völlige Vergessenheit geraten, nachdem das<br />

da<strong>zu</strong>gehörige Bauernhaus vor vielen Jahren bis auf die<br />

Grundmauern abgebrannt war.<br />

Dessen Bewohner, ein älteres, alleinstehendes Ehepaar,<br />

waren damals von den Flammen im Schlaf überrascht<br />

worden und darin elendiglich umgekommen. Seither<br />

schien sich weder in Zwiesel noch im <strong>zu</strong>ständigen<br />

Landkreis Regen irgendjemand für den klapprigen Stadel<br />

<strong>zu</strong> interessieren. Eigentlich ungewöhnlich für ein Land,<br />

das sonst für alles und jedes seine peniblen Vorschriften,<br />

Regeln und detaillierten Gebrauchsanleitungen <strong>zu</strong>r Hand<br />

hatte.<br />

Mit dem plötzlich auffrischenden Wind zog unvermittelt<br />

eine heftige Böe in den Schuppen hinein.


Die eisige Brise versetzte eine Gestalt, die wie eine in sich<br />

<strong>zu</strong>sammengefallene Stoffpuppe von dem wurmstichigen<br />

Dachbalken herabhing, in ein sanftes Schaukeln, was der<br />

ganzen Sache eine überaus schaurige Note verlieh.<br />

Das diffuse Herbstlicht dieser späten Nachmittagsstunde<br />

tat noch sein Übriges da<strong>zu</strong>.<br />

Paul erinnerte dieser Anblick an eine Filmszene aus dem<br />

Western Spiel mir das Lied vom Tod und er schluckte hart,<br />

um sich wieder auf die wenig filmreife Gegenwart <strong>zu</strong><br />

besinnen.<br />

„Saublöd, dass der alte Balken unter seinem Gewicht<br />

nicht nachgegeben hat“, ging es ihm absurderweise durch<br />

den Kopf, während er den Blick nicht von der grotesken<br />

Szenerie lösen konnte.<br />

Seinem mitleidigen Bedauern folgte sofort der nächste<br />

Gedanke, dass dies dem armen Mann ja wohl leider auch<br />

nicht viel genutzt hätte, denn dann hätte ihm der Mörder<br />

eben auf andere Weise den Rest gegeben.<br />

Es fiel ihm noch nicht einmal auf, dass für ihn nur Mord<br />

infrage kam, obwohl doch der Gedanke an einen Suizid<br />

auf den ersten Blick wesentlich naheliegender wäre.<br />

Richard Mitsch, Leiter der KTU und einer von Pauls<br />

engsten Freunden, bewegte sich mit seinen Leuten so<br />

vorsichtig wie möglich auf dem matschigen Stallboden,<br />

um bei diesen miserablen Sichtverhältnissen keine Spuren<br />

<strong>zu</strong> zerstören.<br />

„Bäh. Das ist kein Stall, das ist ein schlechter Witz“,<br />

knurrte er, als der Wind am altersschwachen Gebäude<br />

rüttelte und durchs löchrige Dach einen unangenehmen<br />

Sprühregen auf ihn hinabschickte.<br />

Auf seinen Wink hin ging Sonja Bergisch, Pauls Frau und


die <strong>zu</strong>ständige Rechtsmedizinerin des kleinen Zwieseler<br />

Polizeiteams, in den Stall hinein.<br />

Sie stellte sich direkt vor den herabhängenden <strong>Tote</strong>n und<br />

blieb dort stehen, um Richard nicht noch in die Quere <strong>zu</strong><br />

kommen.<br />

Ausgiebig betrachtete sie den Körper von oben bis unten,<br />

ohne ihn <strong>zu</strong> berühren.<br />

Vor einer halben Stunde hatte sie ein anonymer Anrufer<br />

über den <strong>Tote</strong>n in dieser Scheune informiert.<br />

Das Gespräch hatte auf die Schnelle nicht rückverfolgt<br />

werden können, da der Anrufer weder ein registriertes<br />

Handy noch einen privaten Festnetzanschluss dafür<br />

benutzt hatte. Eine genaue Überprüfung musste daher<br />

warten, denn tatverdächtig war der Hinweisgeber allemal.<br />

XXXXXXX<br />

Der Kommissar schreckte <strong>zu</strong>sammen, als er neben sich<br />

ein leises Räuspern vernahm, mit dem sich sein deutlich<br />

jüngerer Partner, Hannes Gruber, in Erinnerung brachte.<br />

„Der hat sich aber nicht selbst aufgehängt, oder? Ich<br />

meine, wie wäre er denn da hochgekommen? Weit und<br />

breit hat’s da nichts, woran er hochgeklettert sein könnte.<br />

Das Seil um den Balken <strong>zu</strong> kriegen, kann ich mir noch<br />

vorstellen. Es liegen ja genug Bretter und Latten rum.<br />

Aber, wie hätte er danach seinen Kopf in die Schlinge<br />

dort oben reingebracht, wie soll das hier ohne irgendeine<br />

Steighilfe gehen? Ich sehe nichts, keinen Schemel, keine<br />

Leiter, gar nix“, drang Hannes’ Stimme an Pauls Ohr.<br />

Geistesabwesend nickte Paul nur <strong>zu</strong> Hannes’ gewohnt<br />

logischen Überlegungen, denn schlagartig wurde ihm klar,<br />

weshalb auch er sofort nur einen Mord auf dem Schirm<br />

gehabt hatte. Noch ehe er nämlich begonnen hatte, sich


ein genaueres Bild vom Tatort <strong>zu</strong> machen, hatte auch er<br />

diesen Umstand auf den ersten Blick intuitiv registriert.<br />

Hannes’ Worte ließen ihn dies jetzt auch sehr bewusst <strong>zu</strong>r<br />

Kenntnis nehmen.<br />

„Absolut, Hannes. Den muss jemand aufgeknüpft<br />

haben. Hmm, aber hat dieser Jemand …“, brach Paul<br />

abrupt ab.<br />

Unverkennbar dachte er angestrengt nach, wohingegen<br />

Hannes’ gespannte Aufmerksamkeit eher der Ärztin galt,<br />

die, nachdem Richard den Bereich im Umkreis der Leiche<br />

freigab, jetzt um den <strong>Tote</strong>n herumging.<br />

Schließlich gab sie den wartenden Streifenbeamten ein<br />

Zeichen und zwei von ihnen kamen daraufhin <strong>zu</strong> ihr<br />

herein. Einer stieg auf die mitgebrachte Trittleiter und<br />

schnitt den Leichnam ab. Gemeinsam legten sie dann den<br />

schweren Körper vor ihr auf den Boden.<br />

Sonja kniete sich daneben und untersuchte den <strong>Tote</strong>n so<br />

gründlich, wie es ihr im Licht der zwei Taschenlampen,<br />

die die Polizisten auf die Leiche richteten, überhaupt nur<br />

möglich war.<br />

XXXXXXX<br />

Als spürte Pauls Frau plötzlich Hannes’ intensiven Blick,<br />

schaute sie ihn auf einmal an. Dann betrachtete sie Paul,<br />

bevor sie ein letztes Mal <strong>zu</strong>m <strong>Tote</strong>n hinuntersah.<br />

Langsam stand sie auf und gesellte sich <strong>zu</strong> den beiden<br />

Kommissaren.<br />

„Paul?“, wandte sie sich an ihren Mann und legte<br />

ihm wie <strong>zu</strong>r Bekräftigung die Hand auf dessen Schulter.<br />

„Der Mann ist durch den Strick stranguliert worden.<br />

Momentan sieht alles danach aus, dass er daran auch<br />

gestorben ist. Meine Güte, der arme Kerl war höchstens<br />

Anfang, Mitte dreißig.“<br />

Sonja <strong>zu</strong>pfte an ihren Plastikhandschuhen herum, als


wolle sie damit überspielen, wie sehr sie diese Tatsache<br />

berührte.<br />

Der Tod hatte ein so verdammt hässliches Gesicht. Aber<br />

junge Menschen entstellte er doch noch viel mehr, als er<br />

dies ja ohnehin immer tat.<br />

Schnell sprach sie weiter. „Sein Hals zeigt ganz typische<br />

Hautabschürfungen. Zu solchen Verlet<strong>zu</strong>ngen kommt es,<br />

wenn das Seil durch das plötzliche Herunterfallen des<br />

Körpers am Hals ganz hochrutscht und dort dann <strong>zu</strong>r<br />

Strangulation führt. Da<strong>zu</strong> noch die Petechien …“<br />

Pauls leerer Gesichtsausdruck veranlasste sie, sich näher<br />

<strong>zu</strong> erklären. „… punktförmige Einblutungen sind das. Ich<br />

konnte sie in seinen Augen und Ohren sogar nur mit der<br />

Taschenlampe sehen. Ganz typisch fürs Erhängen.“<br />

„Selbstmord? Echt jetzt? Aber, wie, <strong>zu</strong>m Teufel, soll<br />

der denn das …?“<br />

„Nein, Paul, das habe ich nicht gesagt“, reagierte<br />

Sonja sofort. „Ein Suizid kann’s nicht sein, es sei denn, er<br />

hätte <strong>zu</strong> Lebzeiten schon Flügel bekommen. Falls dem<br />

nicht so ist“, der Anflug eines Lächelns glitt über Sonjas<br />

ernstes Gesicht, „dann muss ihn irgendwer aufgeknüpft<br />

haben. Ich seh’ nämlich nirgends einen Stuhl oder eine<br />

Leiter. Ihr vielleicht? Und, mal ganz ehrlich. Auch<br />

Lebensmüde wollen gefunden werden, wenn sie tot sind.<br />

Kein Mensch hängt sich irgendwo auf, wo man ihn<br />

wahrscheinlich nie entdeckt. Wer will denn schon an<br />

einem Seil vermodern oder aufgefressen werden, was in<br />

diesem Stall durchaus hätte passieren können. Außer<br />

Wildschweinen kommt hier nämlich niemand rein. Da<br />

kannste lang warten.“<br />

„So weit waren wir auch schon“, entfuhr es Paul.<br />

Prompt fing er sich einen strengen Blick seiner Frau ein,<br />

die es gar nicht mochte, in ihrem Bericht unterbrochen <strong>zu</strong><br />

werden. „Entschuldige, Sonja.“


3. Kapitel<br />

Berlin-Mitte, drei Monate <strong>zu</strong>vor<br />

G<br />

espannt beugte sich der Mann nach vorn <strong>zu</strong> seinem<br />

Laptop und stützte dabei beide Ellbogen auf der<br />

Tischplatte ab. Deutlich zeichnete sich das Muskelspiel<br />

seines Bizeps ab. Die Hände presste er gleichzeitig gegen<br />

die Ohrmuscheln seines Kopfhörers, während er die<br />

ausschlagenden Zacken der Tonkurven auf dem kleinen<br />

Bildschirm beobachtete.<br />

Das von ihm mitgehörte Gespräch wurde, wie immer, im<br />

Hintergrund aufgezeichnet.<br />

„Und?“, hörte er die schnarrende Stimme fragen, die<br />

er mittlerweile schon so gut kannte.<br />

Der Besitzer dieser unangenehmen Stimme ließ sich von<br />

seinem Gesprächspartner immer nur mit Q anreden. Eine<br />

ziemlich billige Replique des findigen Waffenmeisters aus<br />

den James Bond-Filmen, wie er fand.<br />

Wer sich allerdings hinter diesem Q verbarg, konnte er<br />

bis jetzt noch immer nicht sagen.<br />

Den Zweiten im Bunde hatte er schnell als den russischen<br />

Spezialagenten Jaros Below von der Hauptverwaltung für<br />

Aufklärung identifiziert, sprich dem Militärgeheimdienst<br />

GRU, einstiger Erzrivale des längst aufgelösten, nicht


minder berüchtigten KGB.<br />

Der GRU - die offizielle Bezeichnung GU vermied in der<br />

Namensgebung das Wort Aufklärung und begnügte sich<br />

mit jener eher bescheiden auftretenden Hauptverwaltung,<br />

wohingegen der Kreml nach wie vor diese Bezeichnung<br />

GRU für sich in Anspruch nahm - war <strong>zu</strong>ständig für alles<br />

Subversive, aber auch Grobe im Ausland.<br />

Jaros Below war einer seiner effektivsten und brutalsten<br />

Auftragsmörder, in Giftmethoden ebenso bewandert wie<br />

im Gebrauch von Schusswaffen. Zudem war er ein sehr<br />

bedeutendes Mitglied der Russenmafia, jener berühmtberüchtigten<br />

Familie, weshalb ihm die Skrupellosigkeit<br />

und das Verbrechen praktisch von Geburt an im Blut lag.<br />

Dieser geheimnisvolle Mister Q stammte demnach mit an<br />

Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ebenfalls aus<br />

einem dieser zwei fiesen Ställe.<br />

Aus verschiedenen Gründen tendierte er jedoch stärker<br />

<strong>zu</strong> der Annahme, dass Q wohl ein hohes Tier vom GRU<br />

war.<br />

Beide Männer unterhielten sich in akzentfreiem Russisch,<br />

wie dies <strong>zu</strong>meist nur bei Muttersprachlern in dieser Weise<br />

der Fall ist.<br />

Er selbst sprach ebenfalls fließend russisch und daher<br />

verstand er die beiden, gottlob, auch mühelos, doch den<br />

Fremdsprachler würde man ihm beim Reden gewiss<br />

sofort anmerken.<br />

„Alles erledigt. Er macht es. Na, logisch macht er’s.<br />

Bleibt ihm ja gar nichts anderes übrig.“ Sven hörte Häme<br />

aus Jaros’ Worten heraus. „Wie die Lemminge fressen die<br />

Idioten ihm dann hoffentlich auch dort aus der Hand.“<br />

Sven hörte ein seltsames Glucksen.<br />

Es klang fast, als wolle Jaros ein Lachen unterdrücken.


Wahrscheinlich aber hatte der Kerl nur einen Frosch im<br />

Hals, denn in der ganzen Zeit, in der er ihre Gespräche<br />

jetzt schon belauschte, hatte er ihn noch niemals lachen<br />

gehört. Und wirklich, auch diesmal blieb es bei einem<br />

undefinierbaren Grunzen.<br />

Seit Kurzem erst wusste er, dass die beiden mit er einen<br />

gewissen Boris meinten. Seit Jaros diesen Namen vor<br />

einer Woche <strong>zu</strong>m ersten Mal wohl eher versehentlich<br />

ausgesprochen hatte – in messerscharfem Ton hatte ihn<br />

Q augenblicklich am Weitersprechen gehindert - zerbrach<br />

er sich den Kopf darüber, wer dieser Boris wohl sein<br />

mochte. Bisher war er noch nicht darauf gekommen.<br />

Auf der Liste der russischen Agenten, die der BND<br />

führte, gab es niemanden mit einem solchen Vor- oder<br />

Zunamen. Auch unter ihren Terrorverdächtigen, deren<br />

Namen er ebenfalls sofort durchforstet hatte, fand sich<br />

niemand.<br />

Entweder war Boris also nur ein anderer Deckname für<br />

ein altbekanntes Gesicht innerhalb des Geheimdienstes,<br />

oder der GRU hatte - gern auch innerhalb der Familie -<br />

einen neuen Wasserträger rekrutiert.<br />

Bei dem Gedanken an die russische Mafia seufzte Sven<br />

unwillkürlich.<br />

Als hätte es nicht schon genügt, dass der Kreml - der<br />

GRU machte ja nichts ohne die direkte Anweisung des<br />

Präsidenten - mit Jaros einen absolut gewissenlosen Killer<br />

aus ihren Reihen ins Feld führte, der in einem ihm<br />

unbekannten Spiel die Regie <strong>zu</strong> führen schien, machte<br />

ihm auch die Tatsache <strong>zu</strong> schaffen, dass dieser Jaros<br />

Below <strong>zu</strong> allem Überfluss der Familie angehörte.<br />

Nicht, dass es ihn überrascht hätte - Mafia und Kreml<br />

pflegten untereinander ja schon immer eine fruchtbare


S<br />

7. Kapitel<br />

onja stand noch immer neben dem Leichentisch, auf<br />

dem der abgedeckte Körper des Ermordeten lag. Ihre<br />

blutverschmierten Plastikhandschuhe hatte sie nach<br />

getaner Arbeit in den Müll geworfen, sich selbst gründlich<br />

gewaschen und die Hände desinfiziert. In der Rechten<br />

hielt sie ihr Handy, mit dem sie gerade telefoniert hatte.<br />

Ihr Gesicht hatte während des Gesprächs einen immer<br />

besorgteren Ausdruck angenommen und ihre Gedanken<br />

weilten nicht bei dem Opfer, dessen Obduktion sie für<br />

heute abgeschlossen hatte, sondern nur bei Viktoria und<br />

Patrick.<br />

Letzterer hatte sie angerufen, als sie sich gerade eben<br />

frischgemacht hatte, und hatte sich seinen Kummer mit<br />

Viktoria von der Seele geredet, während sie selbst vor<br />

Bestür<strong>zu</strong>ng immer schweigsamer geworden war.<br />

Wobei Bestür<strong>zu</strong>ng ihre Gefühle nicht einmal annähernd<br />

beschrieb. Sonja war entsetzt.<br />

Nie hätte sie geglaubt, dass es zwischen diesen beiden<br />

jemals <strong>zu</strong> einer solchen Beziehungskrise kommen könnte.<br />

Das Herz war ihr bei Patricks Worten schwer geworden.<br />

Ganz allmählich sickerte dieses Gefühl, das ihr während<br />

des Gesprächs den Hals <strong>zu</strong>geschnürt hatte, <strong>zu</strong> ihrem<br />

Verstand durch und sie begriff die ganze Tragweite, die<br />

Patricks Problem mit hoher Wahrscheinlichkeit auch für


sie hatte.<br />

Da hatte sie wirklich geglaubt - oder gehofft? - dass mit<br />

Viktoria endlich einmal alles in trockenen Tüchern sei,<br />

dass die junge Frau, die sie in all den gemeinsamen Jahren<br />

mit Paul ebenfalls ins Herz geschlossen hatte, mit Patrick<br />

ihr Glück und mit dem Hof in Frankreich auch ihre<br />

wahre Bestimmung gefunden hatte, und jetzt das!<br />

Ihr lieber Mann wäre imstande, sofort nach Frankreich <strong>zu</strong><br />

fahren, Mord hin, Mord her, um sich Patrick <strong>zu</strong>r Brust <strong>zu</strong><br />

nehmen und ihn gehörig <strong>zu</strong>sammen<strong>zu</strong>stauchen, weil der<br />

seine Tochter unglücklich machte. Und danach würde er<br />

seine Tochter höchstpersönlich mit nach Hause nehmen.<br />

Paul hatte da eine ganz klare und, vor allem, sehr simple<br />

Einstellung: Viktoria sollte dort leben, wo sie glücklich<br />

war. Und wenn das nicht mehr länger bei Patrick war,<br />

dann kam sie eben <strong>zu</strong> ihm <strong>zu</strong>rück nach Zwiesel, sofern<br />

sie das wollte. Punkt, Aus und Amen.<br />

XXXXXXX<br />

Die Trennung war Paul unendlich schwergefallen.<br />

Und doch hatte er ihren Um<strong>zu</strong>g nach Frankreich sofort<br />

akzeptiert, denn er wünschte seiner Tochter alles Glück<br />

dieser Welt und hatte sich selbst hintenangestellt, wie er<br />

das immer tat.<br />

Da gab es für Paul kein Überlegen und kein Zaudern. Das<br />

Wohlergehen seiner Tochter hatte für ihn jederzeit die<br />

oberste Priorität. Nur eben leider auch vor der eigenen<br />

Frau, da machte sich Sonja nichts vor.<br />

Dass er fast die gesamte Kindheit seiner Tochter nicht<br />

hatte miterleben können, weil seine geschiedene Frau sie<br />

ihm als kleines Kind entzogen und er nichts dagegen<br />

unternommen hatte, lag schwer auf seinen Schultern.<br />

Daher versuchte er, nun alles irgendwie nach<strong>zu</strong>holen.


Und seine ewigen Schuldgefühle Viktoria gegenüber, weil<br />

er sie, seiner Meinung nach, damals im Stich gelassen<br />

hatte, glaubte er, durch bedingungslose Liebe gutmachen<br />

<strong>zu</strong> müssen.<br />

Eigene Wünsche und auch die seiner Frau stellte er daher<br />

hinten an, so empfand es jedenfalls Sonja.<br />

Nachdem Viktoria wieder in sein Leben <strong>zu</strong>rückgefunden<br />

hatte, war die junge Frau sofort <strong>zu</strong>m Mittelpunkt seines<br />

Lebens geworden.<br />

Das war in seinen Augen das Mindeste, was er tun konnte<br />

und auch tun musste, um Viktoria seine väterliche Liebe<br />

wenigstens nachträglich <strong>zu</strong> beweisen, wo sie doch bis<br />

heute unter seinem angeblichen Verrat, als welchen ihre<br />

Mutter seine Abwesenheit umgedeutet hatte, schwer <strong>zu</strong><br />

knabbern hatte. Ein Verlusttrauma, das sie als erwachsene<br />

Frau weiter mit sich herumschleppte, wie er wusste. Und<br />

dieses Wissen machte sein drückendes Schuldgefühl nicht<br />

gerade geringer.<br />

Genau so hatte er es Sonja in der Vergangenheit erklärt,<br />

hatte bei seiner Frau um Verständnis dafür geworben,<br />

wenn diese sich bei ihm darüber beklagte, dass sie so oft<br />

die zweite Geige spielte. Eine Anklage, die sie übrigens<br />

erst seit ein paar Jahren in dieser Form gegen ihn erhob,<br />

wie er ihr vorwarf.<br />

Es stimmte, dass sie es früher nicht so empfunden hatte.<br />

Das änderte aber nicht das Geringste daran, dass sich ihre<br />

Wahrnehmung schmerzhaft verändert hatte.<br />

Paul hatte leider keinen Zweifel daran aufkommen lassen,<br />

dass er in seinem Verhältnis <strong>zu</strong> Viktoria nichts ändern<br />

würde, auch, wenn sie seine Erklärung nicht akzeptierte.<br />

Sonja blieb also nur die Entscheidung, ihn entweder so <strong>zu</strong><br />

nehmen oder <strong>zu</strong> gehen. Sie hatte sich aus Liebe <strong>zu</strong> Paul


fürs Bleiben entschieden und ihre Beziehung hatte sie für<br />

ihren Verzicht auch mehr als nur entschädigt. Das musste<br />

sie ehrlicherweise <strong>zu</strong>geben, denn trotz allem war sie mit<br />

Paul glücklich.<br />

Mit Viktorias Weg<strong>zu</strong>g nach Frankreich war Hoffnung in<br />

ihr aufgekeimt, dass sie Paul nun endlich ganz für sich<br />

allein hatte. Bei Paul dagegen hatte es seine Zeit gedauert,<br />

bis er die Vorzüge ihrer neu ausgerichteten Beziehung<br />

erkannte. Doch seither hatte ihr Zusammenleben noch<br />

einmal an <strong>zu</strong>sätzlicher Intensität gewonnen. Seine Liebe<br />

empfand Sonja plötzlich als tiefer, selbstverständlicher, als<br />

irgendwie freier.<br />

Endlich stand nichts und niemand mehr zwischen ihnen,<br />

endlich gab es für Paul nur noch sie, seine Frau.<br />

XXXXXXX<br />

Sonja setzte sich auf einen Stuhl und schloss erschöpft<br />

die Augen.<br />

Und nun?<br />

Was würde er nun tun, da Viktoria in Frankreich und mit<br />

ihrem Patrick unglücklich <strong>zu</strong> sein schien? Was würde Paul<br />

unternehmen, wenn er das erfuhr?<br />

Würde sie sich also ihren Mann wieder mit seiner Tochter<br />

teilen, oder besser gesagt, damit vorliebnehmen müssen,<br />

was Viktoria ihr übrig ließ?

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