LEOAKTIV Ausgabe 10 - 07-08/2008 - leoaktiv.de

Im Gespräch
Fortsetzung von Seite 18
Vinçon: Wichtig waren mir
auch die literarischen Bezüge.
So gingen zwei Perouser
Ereignisse in die Literatur des
19. Jahrhunderts ein – bei
Berthold Auerbach, die auch
in viele Sprachen übersetzt
wurden – das „Barfüßele“
und „Joseph im Schnee“. Zudem
gibt es noch ein Kapitel
über den Perouser Heimatdichter
Karl Wurster, der mit
Christian Wagner befreundet
war. Und eines behandelt
die Städtepartnerschaft mit
der österreichischen Stadt
Scheibbs. Ich habe das ergänzt
mit einem Kapitel, das
mir genauso wichtig war,
dem der Kirchenpartnerschaften
mit den evangelischen
Kirchengemeinden in
Thüringen. Das Buch ist so
aktuell, dass wir sogar noch
den Aufstieg der Rutesheimer
Fußballer in die Verbandsliga
behandeln.
Die NS-Zeit wird zum
ersten Mal aufgearbeitet
Was war für Sie das spannendste
Kapitel?
Vinçon: Brennend gefesselt
hat mich das 20. Jahrhundert.
Bei der Veröffentlichung
des Heimatbuches
1970 lag das Dritte Reich bereits
25 Jahre zurück, wurde
aber nicht im Buch behandelt.
Der Krieg wurde als
Schicksal behandelt. Die Zeit
der nationalsozialistischen
Herrschaft war für mich das
Spannendste, die habe ich
auch ausführlich dargestellt.
Nicht unbedingt die Machtergreifung,
denn die Nazis
wurden ja gewählt, sondern
wie sie nachher im Rathaus
die Herrschaft aufgebaut haben,
das war sehr interessant.
Das Thema mag heikel
sein, aber ich bin ja nicht
das Jüngste Gericht. Es kam
ja nicht darauf an irgendwelche
Namen zu nennen,
sondern den Vorgang der
Herrschaftsergreifung der
Nazis darzustellen – und das
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Herbert Vinçon hat bereits 1999 das 300-Jahr-Jubiläumsbuch für den Waldenser-Stadtteil Perouse verfasst
lokal. Kommunisten wurden
verhaftet und ich beschreibe
wie mit deren Familien umgegangen
wurde. Es gab nur
noch eine einheitliche
NSDAP-Fraktion im Rathaus,
die den Bürgermeister
an die Wand gespielt hat.
Dem wurde gesagt "Du hast
nichts mehr zu sagen, wir
haben den Eid auf den Führer
abgelegt." Da gab es
auch keine Abstimmung.
Die NSDAP-Fraktion ließ
sich die Tagesordnung vorher
geben und gab den Bürgermeister
den Befehl, diese
oder jene Entschließung zu
fassen. Die Darstellung ist sicherlich
exemplarisch für
die meisten Kommunen in
dieser Zeit. Das war die grobe
politische Linie.
Welche Kapitel werden noch
behandelt?
Vinçon: Die wirtschaftliche
Entwicklung nach dem
Krieg, die Flüchtlingsaufnahme.
Thematisiert wird
auch, was die Gemeinde angeboten
hat, damit sich
Unternehmen niederlassen.
Ein Schwerpunkt ist dann
noch die Schulentwicklung,
die für Rutesheim eine sehr
große Bedeutung hat, etwa
mit dem Bau des Gymnasiums.
Das war ja anfangs
nicht so sicher, da ursprünglich
geplant war, den Standort
Leonberg auszubauen.
Stadtchronik Rutesheim
ist im Rathaus erhältlich
Die Bildungsfrage ist eine
der wichtigsten. Das ist ja gerade
das städtische, dass eine
Gemeinde eine Mittelpunktfunktion
für andere
Kommunen ausüben kann.
Das macht Rutesheim vor allem
im Bildungsbereich.
Wie sind sie denn an die zahlreichen
Fotos gekommen?
Vinçon: Die alten Bilder stammen
aus der Bevölkerung
und wurden im Rathausar-
chiv gesammelt. Dort hat
der stellvertretende Bürgermeister
Henry Schort die
rund 11 000 oder 12 000
Aufnahmen mit Herrn Killinger
gesichtet und ausgewählt.
Die modernen Bilder
wurden kurz vor Veröffentlichung
noch vom Hubschrauber
aus gemacht,
meist von Herrn Killinger.
Was lag Ihnen beim Schreiben
besonders am Herzen?
Vinçon: Ich wollte die Geschichte
lokal behandeln,
aber mit den größeren Ereignissen
verbinden.
Wo ist Ihr Werk denn erhältlich
und was kostet es?
Vinçon: Die „Stadtchronik Rutesheim
mit dem Waldenserort
Perouse“ ist im Jahr der
Stadterhebung zum subventionierten
Preis von 25 Euro
bei der Stadtverwaltung im
Rathaus erhältlich. Später
kostet es im Buchhandel fast
doppelt so viel.
Foto: ag