programm - Ensemble Resonanz
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Zum Programm<br />
entspricht Bach. Gemäß Bachs Aufteilung des Textes wechselt Sandström zwischen Solo-<br />
und Chor-Abschnitten, setzt durch die Wahl der Register jedoch andere Akzente: Nach<br />
dem Eingangsjubel lässt der Sopran vor allen Dingen seinen »Geist« in die Höhe fliegen,<br />
die »Niedrigkeit«, aus der Maria erhoben wurde, verdeutlicht der Alt im tiefen Register.<br />
Die »nachfolgenden Generationen« hört man im Chorsatz förmlich sprießen. Der Bariton<br />
verdeutlicht im »Fecit potentiam« weniger Gottes Macht, als dass er sie staunend betrachtet.<br />
Sopran und Alt »nähren« sich im »Esurientes« von der ältesten Kirchenmusik,<br />
der Gregorianik. Abraham und seine »Samen« preist der Chor a cappella und hebt diesen<br />
Abschnitt dadurch hervor. Mit einem konzisen »Gloria« schließt Sandströms Magnificat, in<br />
dem selbst die modernen rhythmischen Verschiebungen von einem unerschütterlichen<br />
Glauben künden.<br />
Man hat nur eine Mutter<br />
Rollende Pauken, Trompeten und ein Dur-Akkord, um die Glorie des Herrn zu verherrlichen<br />
– nichts läge John Cage wohl ferner als solch wohlvertrauten Budenzauber mit<br />
seiner Musik zu erzeugen. Dabei war er durchaus empfänglich für die theatralischen<br />
Kniffe und Tricks, mit denen die Kirche ihre Liturgie zu einem für alle Sinne reizvollen Ereignis<br />
gestaltet. So berichtet er in seiner Textsammlung Indeterminacy: »Während meines<br />
letzten Jahres in der high school entdeckte ich die liberalkatholische Kirche. Sie war sehr<br />
schön in den Hügeln von Hollywood gelegen. Die Messe war eine Ansammlung theatralischster<br />
Versatzstücke der wichtigsten Riten aus West und Ost. Es gab Wolken von Weihrauch,<br />
jede Menge Kerzen, Prozessionen in der Kirche und außerhalb. Ich war fasziniert,<br />
und obwohl ich methodistisch erzogen worden war und mit dem Gedanken gespielt hatte,<br />
Geistlicher zu werden, entschloß ich mich, den Liberalkatholiken beizutreten. Mutter und<br />
Papa waren entschieden dagegen. Als ich ihnen von meiner Absicht erzählte, Meßdiener<br />
zu werden, sagten sie schließlich: ›Okay, entscheide dich. Entweder wir oder die Kirche.‹<br />
Im Kopf die Zeile ›Du sollst deinen Vater und deine Mutter verlassen und mir nachfolgen‹,<br />
ging ich zum Priester, erzählte ihm, was passiert war, und sagte, ich hätte mich zugunsten<br />
der Liberalkatholiken entschieden. Er sagte: ›Sei nicht so blöd. Geh nach Hause. Es gibt<br />
viele Religionen. Mutter und Vater hast du nur einmal.‹ Im Zen-Buddhismus fand John<br />
Cage schließlich seine geistliche Heimat – eine Religion, die sich bekanntlich vor allem<br />
auf Praxis gründet und nicht das Sein, sondern die Überwindung des Seins, das Nichts ins<br />
Zentrum stellt. Wer nun »Nichts« in der Musik mit »Generalpause« übersetzen wollte,<br />
greift zu kurz. Es war eine der folgenreichsten Feststellungen von John Cage, dass es<br />
Stille in der Musik gar nicht gibt. Um Stille zu finden, suchte er im Selbstversuch einen<br />
Zum Programm<br />
schalltoten Raum auf und hörte noch darin das Rauschen seines Blutes und das Schlagen<br />
seines Herzens. Seither wurde ihm die Stille selbst zum Material seiner Musik.<br />
Cages zentrales Anliegen jedoch war: Von der Subjektivität abzusehen. Die Begrenzung<br />
des Ich hinter sich lassen, um so zu etwas wirklich Neuem zu gelangen. Dabei ging er<br />
durchaus methodisch vor. Sein Komplize bei diesem Anliegen war der Zufall, den er – in<br />
Form des chinesischen Orakels Yì Jing – zu seinen kompositorischen Entscheidungen befragte,<br />
aber auch die Materialität seines Arbeitsmaterials: Die Fehler im Papier, die Breite<br />
des Bleistifts – oder auch die Form von Steinen.<br />
John cage (1912–1992)<br />
»Ryoanji«<br />
Wie der Titel verrät, bezieht sich John Cage auf einen der bekanntesten japanischen<br />
Tempel: den »Tempel des zur Ruhe gekommenen Drachen«, »Ryoan-ji«. In der Anlage,<br />
die Mitte des 15. Jahrhunderts begründet wurde, findet sich der wohl berühmteste Zen-<br />
Garten Japans. Im geharkten Kies liegen – wie zufällig platziert – fünfzehn Steine moosgebettet<br />
und verteilt über eine Fläche von ca. 10 mal 30 Metern. Aus keiner Perspektive<br />
sind alle Steine jedoch gleichzeitig zu erblicken – man assoziiert das Bild von Inseln, die<br />
aus einem Meer aufragen oder von Gebirgen, die sich über einem weiten, flachen Land<br />
erheben. John Cage ließ sich von dieser Architektur, von der man bis heute nicht genau<br />
weiß, wer sie geschaffen hat, zu einer ganzen Reihe von Werken anregen. Nicht nur<br />
musika lische Kompositionen sind darunter, sondern auch bildnerische Werke, wobei die<br />
Grenzen zwischen den Gattungen in diesem Fall ins Fließen geraten. Sowohl für seine<br />
grafischen Ryoanji-Arbeiten als auch für seine Kompositionen verwendete John Cage 15<br />
selbst gesammelte Steine. Mit Hilfe des Zufalls verteilte er diese über die Schreibfläche<br />
und ermittelte ebenfalls durch eine Zufallsoperation einen (Graphit-)Stift, mit dem er die<br />
Form des Steines nachzeichnete. Jedes Blatt und jede Doppelseite einer Ryoanji-Partitur<br />
gleicht also einer anderen möglichen »Sicht« auf die fünfzehn Steine im japanischen<br />
Zen-Garten.<br />
In seinen musikalischen Werken freilich hat Cage die Umrisse der Steine maximal zur<br />
Hälfte nachzeichnen können – schließlich lässt sich der Zeitpfeil nicht umkehren, die<br />
Musik kann in der Zeit nicht rückwärts laufen. Und so sieht die Partitur eines Soloparts<br />
aus Ryoanji aus wie eine überdrehte Kurvendiskussion, in der unterschiedlich gestrichelte<br />
auf- und absteigende Linien einander abwechseln, aufeinander folgen oder sich kreuzen.<br />
Cage hat verschiedene Soli und verschiedene Begleitungen mit dem Titel Ryoanji<br />
geschrieben: Beginnend mit einem Solo für Oboe, später auch für Stimme, Flöte und<br />
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