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Die Welle, Die zur Wucht Wurde - Ensemble Resonanz

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<strong>Die</strong> <strong>Welle</strong>, <strong>Die</strong> <strong>zur</strong><br />

<strong>Wucht</strong> WurDe<br />

<strong>Die</strong> Kosten für die Errichtung der Elbphilharmonie in Hamburg haben schon längst die<br />

Schallgrenze von einer halben Milliarde Euro überschritten. Und obwohl die Bauarbeiten<br />

ruhen, werden es jeden Tag mehr. Eine Reportage vom schönsten Steuergrab der Welt<br />

Von EmanuEl Eckardt<br />

2 Cicero 2.2012


W<br />

Eithin sichtbar schwEbt die Riesenwelle über der<br />

Stadt. Hoch ragt Hamburgs stillgelegtes Weltwunder<br />

der Architektur. <strong>Die</strong> Elbphilharmonie. Wer hinein<br />

will, muss einen Schutzhelm tragen. Ich tappe<br />

in gelben Sicherheitsstiefeln ins Dunkel, durchstreife<br />

den Rohbau einer fantastischen Vision. Ein Tunnelblick<br />

in die „Tube“. Noch ist es nur ein lichtloser Stollen mit der Rolltreppe,<br />

die in den sechsten Stock führen soll, erst steil nach oben,<br />

dann flach – zwei Minuten Fahrt bis zum ersten Blick auf den<br />

Hafen. Noch nie wurde so eine Rolltreppe gebaut, mit 82 Metern<br />

die zweitlängste der Welt, die längste führt in die Metrostation<br />

Park Podeby in Moskau.<br />

Wir nehmen den Fahrstuhl. Im achten Stock, 37 Meter über<br />

Normal Null, zeigt sich die Kunst der Fuge: <strong>Die</strong> Plaza zwischen<br />

Backsteinsockel und Glasaufbau ist nach allen Seiten offen, mit<br />

Panoramaperspektiven zum Hafen im Süden, <strong>zur</strong> Elbe mit den<br />

Landungsbrücken im Westen, <strong>zur</strong> neuen HafenCity im Osten und<br />

<strong>zur</strong> Stadtmitte mit ihren Kirchtürmen im Norden. <strong>Die</strong> Plaza ist<br />

öffentlicher Raum, soll Hemmschwellen abbauen. Eintritt frei. Jeder<br />

kann kommen, die Kinder mitbringen, die Aussicht genießen.<br />

Kein Zweifel: <strong>Die</strong>s wird Hamburgs schönster Platz.<br />

Noch ist der Konzertsaal, Herzkammer des Unternehmens,<br />

eine von Stahlträgern und mächtigen Stützen verbaute Höhle,<br />

<strong>Die</strong> Hamburger<br />

Elbphilharmonie zu<br />

Beginn des Jahres<br />

2.2012 Cicero 3


| Salon | E l B p H i l H a R M o n i E<br />

Jacques Herzog und Pierre<br />

de Meuron, die fassungslosen<br />

Architekten der Elbphilharmonie<br />

einschüchternd in ihrer Größe, hoch wie<br />

das Innere der Frauenkirche in Dresden,<br />

aber dunkel bis auf eine Notbeleuchtung.<br />

Nur das possierliche Treppchen, das für<br />

den Baustellenbesuch des Bundespräsidenten<br />

gebaut wurde, liegt im Licht.<br />

Auf dem Dach pfeift der Wind. Kräne<br />

im Stillstand. <strong>Die</strong> stählerne Fachwerkkonstruktion<br />

über dem Betondeckel des Konzertsaales<br />

muss noch abgesenkt werden.<br />

Im Gewoge der <strong>Welle</strong>ntäler liegt schon<br />

der Dachschmuck aus, sechstausend kreisrunde,<br />

weiß beschichtete Pailletten wie<br />

vom Pizzaservice für Großbauten.<br />

Auf dem Dach pfeift der Wind. Kräne im<br />

Stillstand. Was dieser Blick wohl einmal<br />

kostet? Eigentlich ist er unbezahlbar<br />

Generalintendant Christoph Lieben-Seutter: „Ich wurde geholt, um das<br />

tollste Konzerthaus der Welt zu leiten. Ich kam und da war ein großes Loch“<br />

4 Cicero 2.2012<br />

Gaben auf: die Architekten<br />

Aleksandar Ronai, Mirjana<br />

Markovic und Manfred Voss<br />

Zum Westen ragt der Bau wie ein gläserner Schiffsbug auf. Wir<br />

blicken von einer Loggia im höchsten bewohnbaren Bauwerk der<br />

Hansestadt aus 101 Meter Höhe auf den Strom, eine leuchtende<br />

Breitbandinszenierung im opalisierenden Licht des nahen Sonnenuntergangs.<br />

Was dieser Blick wohl einmal kostet? Eigentlich<br />

ist er unbezahlbar.<br />

Hamburgs Hafenrand kam bisher ohne eigenes Konzerthaus<br />

aus. Im Hafen ging es mehr um Tuten und Blasen, hier konzertierten<br />

Niethämmer, Sirenen und Nebelhörner. Andererseits: Tradition<br />

braucht Pflege. In Hamburg ankert große Musik. In dieser<br />

Stadt wirkten Komponisten wie Georg Friedrich Händel, Georg<br />

Philipp Telemann, Carl Philipp Emanuel Bach. In Hamburg<br />

wurden Felix Mendelssohn Bartholdy und Johannes Brahms geboren,<br />

hier diente Gustav Mahler als Kapellmeister am Stadttheater.<br />

Hamburg war nie Residenzstadt. Dafür gab bürgerschaftliches<br />

Engagement Wind von achtern, bauten Hamburger 1678<br />

das erste bürgerlich städtische Opernhaus, das größte in Nordeuropa,<br />

und 1908 das modernste Konzerthaus Deutschlands, die Laeiszhalle.<br />

In dem neubarocken Musiktempel, benannt nach dem<br />

Reeder und Musikliebhaber Carl Heinrich Laeisz, dirigierten Richard<br />

Strauss, Sergej Prokofjew, Igor Strawinsky und Paul Hindemith<br />

eigene Werke. Sie ist immer noch gut besucht, Musiker<br />

rühmen ihre Akustik.<br />

Dort bin ich verabredet. Der erste Mensch, dem ich im Büro<br />

des Generalintendanten begegne, macht ein grimmiges Gesicht.<br />

Macht er immer. Ludwig van Beethoven ist kreideweiß, kein Wunder,<br />

denn er ist aus Gips. Er trägt eine baustellentaugliche Schietwetterjacke<br />

in Signalfarben und auf dem Lockenhaupt den weißen<br />

Bauhelm mit der Aufschrift „Elbphilharmonie.“<br />

Eine Weile bin ich mit Beethoven allein, dann betritt Christoph<br />

Lieben-Seutter den Raum. Der Generalintendant lächelt.<br />

„Wenn ich auf der Baustelle herumlaufe, kann es schon mal sehr<br />

kalt und windig sein“, erklärt er die Verwendung des Komponisten<br />

als Garderobenständer.<br />

*<br />

Christoph Lieben-Seutter, gelernter Software-Ingenieur, 1964<br />

in Wien geboren und zuletzt Intendant des Wiener Konzerthauses,<br />

ist seit vier Jahren als Generalintendant der Laeiszhalle und<br />

der künftigen Elbphilharmonie verantwortlich für das künstlerische<br />

Programm einer Luftnummer. „Ich wurde geholt, um das<br />

tollste Konzerthaus der Welt zu leiten. Ich kam und da war ein<br />

großes Loch.“<br />

Er macht das Beste aus der Situation, veranstaltet seit zwei<br />

Jahren „Elbphilharmonie Konzerte“ in Hamburg, über hundert<br />

allein im vergangenen Jahr, holt Dirigenten wie Mariss Jansons,<br />

der gleich mit drei Weltklasse-Orchestern hier war, den Wiener<br />

Philharmonikern, dem Orchester des Bayerischen Rundfunks und<br />

dem Concertgebouw Orkest Amsterdam. „Als Appetizer“, sagt Lieben-Seutter<br />

mit feinem Lächeln. Weil er Konzertkarten schon zum<br />

Preis eines Kinobesuchs anbietet, haben ihn die privaten Konzertveranstalter<br />

wegen Preisdumpings verklagt. Ohne Erfolg. „Schon<br />

jetzt sinkt der Altersschnitt der Besucher stetig, steigen die Verkaufszahlen,<br />

das Potenzial ist mit Händen zu greifen!“<br />

Inzwischen zählt sein Stab 35 Mitarbeiter, mischt das Education-Team<br />

der Elbphilharmonie mit Konzerten für Kinder<br />

Hamburgs Musikleben auf. Es schickt einen „durchgeknallten<br />

Dr. Sound“ in die Schulen, beglückt Babys und sogar ungeborene<br />

Fotos: Christian irrgang (seiten XX bis XX)


Bauarbeiter<br />

haben damit<br />

begonnen,<br />

lichtreflektierende<br />

Pailletten auf<br />

dem Dach zu<br />

verlegen<br />

Besucher<br />

besichtigen den<br />

Rohbau des<br />

Konzertsaals,<br />

der schon 2010<br />

hätte eröffnet<br />

werden sollen<br />

2.2012 Cicero 5


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Kinder mit Streicherklängen, denn Elfi-<br />

Konzerte gibt es auch für Schwangere.<br />

Offenbar kann man gar nicht früh genug<br />

anfangen. „Unser Hauptproblem ist es,<br />

neues Publikum an klassische Musik heran<br />

zu führen“, sagt der Generalintendant.<br />

„Man muss den Humus aufbereiten. Noch<br />

ist er da. Es haben sich schon Fan-Clubs<br />

gebildet, auf Facebook hat die Elbphilharmonie<br />

schon über viertausend Freunde. Ich<br />

bin zuversichtlich. Es gibt Milliarden Chinesen,<br />

die sind verrückt nach dieser Musik,<br />

Millionen Japaner und Koreaner die sich<br />

dafür begeistern.“<br />

<strong>Die</strong> Planung der Architekten war noch<br />

gar nicht abgeschlossen, da wurde der<br />

Bauauftrag schon an Hochtief erteilt<br />

Vor dem Fall: Projektkoordinator Hartmut Wegener und Ole von Beust<br />

„Hochtief hat schlecht gebaut“, sagt die Hamburg Regierung<br />

6 Cicero 2.2012<br />

Künstler muss er nicht begöschen. „Ich bekam Angebote von<br />

den besten Orchestern der Welt, die fragten, wann sie hier auftreten<br />

können. Sie waren <strong>zur</strong> Eröffnung 2010 schon gebucht, dann<br />

für 2012. Zweimal habe ich einen Termin genannt. Den Fehler<br />

werde ich nicht wiederholen. Ich will mich nicht lächerlich machen.“<br />

Christoph Lieben-Seutter, ein Impresario Wiener Schule,<br />

betrachtet das Problem mit nonchalanter Ironie. „Ich lerne. Ich<br />

habe jetzt auf dieses Pferd gesetzt und will dabei sein, wenn es läuft.<br />

Das ist eine offene Wette. Mein Vertrag endet 2015.“ Termine für<br />

die Elbphilharmonie schreibt er mit Bleistift in den Kalender und<br />

trägt sie parallel für die Laeiszhalle ein. Das System funktioniert.<br />

*<br />

Einst stand hier der Kaiserspeicher, und wenn Schlag zwölf<br />

am weithin sichtbaren Turm der Zeitball fiel, stellten die Kapitäne<br />

danach ihre Uhren. <strong>Die</strong> Zeit ging darüber hinweg, Turm und<br />

Lagerhaus, im Krieg schwer mitgenommen, wurden abgerissen.<br />

1966 setzte der Architekt Werner Kallmorgen den Kaispeicher A<br />

an seine Stelle, ein resolutes Statement der Moderne, pragmatisch,<br />

eckig, gut, gegründet auf 1111 Pfählen aus Stahlbeton, tief in den<br />

Elbschlick gerammt. Doch als die Container aufkommen, wird<br />

er nicht mehr gebraucht. Der Kaispeicher A steht leer, soll einem<br />

Bürokomplex Platz machen, dem „MediaCityPort“. Dann platzt<br />

die Internetblase, man ist wieder offen für neue Ideen.<br />

Eine solche Idee hat der Projektentwickler Alexander Gérard.<br />

Warum nicht ein Zeichen der Hochkultur dorthin setzen, wo bisher<br />

Kakaosäcke gelagert wurden, fragt sich der gelernte Architekt.<br />

Gemeinsam mit seiner Frau, der Kunsthistorikerin Jana Marko,<br />

spinnt er die Idee eines Konzerthauses an der Kaizunge, als Kontrapunkt<br />

<strong>zur</strong> HafenCity, dem neuen Stadtteil aus der Retorte. <strong>Die</strong><br />

leblose, dicht aneinander gereihte Parade von Kontor- und Wohnhäusern<br />

in der handelsüblichen Ästhetik maximierter Geschossflächenzahl<br />

ödet ihn an.<br />

Warum nicht an diesem exponierten Platz etwas Geniales schaffen,<br />

das Stadt und Hafen verbindet, etwas das weit über die Grenzen<br />

der Stadt hinaus strahlt, ein weltweit sichtbares Signal, wie die<br />

Oper in Sydney oder das Guggenheim Museum in Bilbao? Wer<br />

könnte so etwas realisieren? Vor zehn Jahren, im Dezember 2001,<br />

reisen sie nach Basel, gewinnen die Architekten Jacques Herzog und<br />

Pierre de Meuron für ihre Idee und erteilen ihnen den Auftrag, ein<br />

Konzept für diesen Bau zu entwerfen. Ein Coup.<br />

Herzog & de Meuron spielt in der ersten Liga, ein globales Unternehmen<br />

mit 250 Mitarbeitern, nicht gerechnet die rund hundert<br />

Spezialisten vor Ort an weltweit mehr als 40 Baustellen. Für<br />

die Kunsthalle Tate Modern in London erhielten sie den Pritzker-Preis,<br />

der als Nobelpreis für Architekten gilt. Sie brachten die<br />

Allianz-Arena in München zum Glühen, bauten das Nationalstadion<br />

in Peking, ein Nest für die Olympischen Sommerspiele 2008.<br />

Und nun entwickeln sie für Hamburg die Vision einer architektonischen<br />

Lichtgestalt, eine gläsern schimmernde Riesenwelle, auf<br />

den Mauern eines alten Kaispeichers schwebend, mit einem Konzertsaal<br />

in ihrem Innern, der seinesgleichen sucht.<br />

Der kühne Plan erregt Aufsehen. <strong>Die</strong> New York Times erkennt<br />

eine „glückselige Balance zwischen Form und Klang“. Aber Glückseligkeit<br />

rechnet sich nicht. Wir sind in Hamburg. Ein Hotel<br />

und Luxuswohnungen sollen den Bau finanzieren, private Spenden<br />

sicher stellen, dass dem Steuerzahler keine Kosten entstehen.<br />

Nein, wirklich keine Kosten. Noch sind wir im Bereich der Utopie.<br />

Fotos: roland Magunia/ddp iMages/dapd, VolkMar sChulz/keystone pressedienst


XXXXX<br />

Gérard findet einen soliden Partner, den<br />

Investor und Architekten <strong>Die</strong>ter Becken.<br />

Alles scheint ganz einfach. <strong>Die</strong> Stadt müsse<br />

ihnen nur das Grundstück überlassen.<br />

Doch das Grundstück bekommen sie<br />

nicht. <strong>Die</strong> Stadt überträgt die Koordination<br />

ihrer Realisierungsgesellschaft (ReGe).<br />

Deren Leiter, der Sozialdemokrat Hartmut<br />

Wegner, gilt als konfliktbereit und durchsetzungsfähig,<br />

als „Mann für heiße Eisen“,<br />

ein Flachland-Terminator, dem es gelungen<br />

war, auf der Elbinsel Finkenwerder den<br />

Protest von Bauern und Bürgerinitiativen<br />

gegen die Verlängerung einer Startbahn für<br />

Airbus niederzuwalzen. <strong>Die</strong>ser Mann wird<br />

nun mit der Aufgabe von eher alpiner Dimension<br />

betraut, die Koordination für das<br />

Jahrhundertbauwerk zu übernehmen.<br />

Als erstes macht er Klarschiff, drängt<br />

Gérard und Becken von Bord und zahlt<br />

die Erfinder aus. Dann bestellt er eine<br />

Machbarkeitsstudie. Sie schätzt die Baukosten<br />

auf 186,7 Millionen Euro, 77 Millionen<br />

davon sollen durch Steuern finanziert<br />

werden, nichts was die Euphorie bremsen<br />

könnte. Einstimmig beschließt die Bürgerschaft<br />

im Februar 2007 den Bau der<br />

Elbphilharmonie.<br />

*<br />

Ein Nachmittag im Schanzenviertel.<br />

Im dritten Stock des Kulturhauses 73<br />

am Schulterblatt, gleich neben der Roten<br />

Flora, legt das <strong>Ensemble</strong> <strong>Resonanz</strong> einen<br />

seiner legendären Kavalierstarts hin. Attacke,<br />

allegro con brio. <strong>Die</strong> Bögen fliegen,<br />

der schlichte Probensaal verwandelt sich<br />

in eine musikalische Fjordlandschaft. Was<br />

für ein Sound! Edvard Griegs „Aus Holbergs<br />

Zeit.“ Sie nehmen das Stück auseinander<br />

und setzen es neu zusammen. <strong>Die</strong><br />

„Suite im alten Stil“, Schmachtfetzen aller<br />

Wunschkonzerte, strahlt in neuem Gewand,<br />

glasklar, leicht, entrückt. <strong>Die</strong>ser Grieg hat<br />

den Groove.<br />

Das <strong>Ensemble</strong> <strong>Resonanz</strong>, elf Frauen,<br />

sieben Männer, genießt in Hamburg Kultstatus,<br />

spielt in der ersten Liga anspruchsvoller<br />

Kammerorchester, wurde schon zu<br />

den Salzburger Festspielen eingeladen und<br />

hat gerade eine Asientournee hinter sich.<br />

<strong>Die</strong> hochklassigen Streicher haben eine<br />

Nische im Konzertleben entdeckt: das<br />

ganz alte und das neue Repertoire. Sie haben<br />

sich als unabhängige gemeinnützige<br />

GmbH organisiert und spielen in der Regel<br />

ohne Dirigent; dann und wann engagieren<br />

sie einen für besonders vertrackte<br />

Stücke. Seit 2002 sind sie „<strong>Ensemble</strong> in residence“<br />

in der Laeiszhalle und sollen das<br />

nun auch für den kleinen Saal der Elbphilharmonie<br />

werden.<br />

Kaum war der Bau beschlossen, rief<br />

das <strong>Ensemble</strong> <strong>Resonanz</strong> <strong>zur</strong> musikalischen<br />

Hausbesetzung auf: „Kaispeicher entern “.<br />

Es gab einen Senatsempfang, und die Autonomen<br />

durften den Tempel stürmen. Der<br />

Komponist Ali N. Askin hatte eigens für<br />

diesen Anlass ein Stück geschrieben „Iterations<br />

4“. Tobias Rempe, Geschäftsführer<br />

des Orchesters, erzählt: „Wir spielten<br />

in vier Gruppen mit zwei Solisten, in den<br />

Räumen verteilt zwischen rund achthundert<br />

Leuten. Es war eine tolle Stimmung.“<br />

<strong>Die</strong> Stimmung erfasst die Stadt. Wenn<br />

etwas Großartiges entsteht, sind Hamburger<br />

keine Pennschieter. Eine bürgerliche<br />

Sammlungsbewegung legt für die spontan<br />

gegründete Stiftung Elbphilharmonie<br />

fast 70 Millionen Euro auf den Tisch, darunter<br />

Großspenden des Unternehmerehepaares<br />

Hannelore und Helmut Greve, von<br />

Michael Otto und von der Reemtsma-Stiftung.<br />

Mehr als sechstausend Privatsponsoren<br />

öffnen ihre Schatullen, finanzieren die<br />

Orgel für den großen und die Bestuhlung<br />

für den kleinen Konzertsaal und sammeln<br />

für Flügel und Pianinos. Der Freundeskreis<br />

Elbphilharmonie + Laeiszhalle e. V. wirbt<br />

um Kuratoren und gesellschaftlichen Rückhalt,<br />

der Verein der Freunde der Elbphilharmonie<br />

leistet Überzeugungsarbeit. „Wir<br />

sehen es als unsere Pflicht, mit der Kraft<br />

der Zivilgesellschaft das Projekt zu vollenden“,<br />

heißt es in einem Manifest der Mäzene.<br />

Hamburg, Stiftungshauptstadt der<br />

Republik, erlebt eine neue Gründerzeit.<br />

*<br />

<strong>Die</strong> Baustelle liegt im Nebel. Wenige<br />

hundert Meter entfernt feuert der Elbphilharmonie-Infopavillon<br />

Musik aus allen<br />

Rohren, Jazz, Klassik, Solokonzerte, Chöre,<br />

was ihr wollt. Der japanische Akustiker<br />

Yasuhisa Toyota, ungekrönter Weltmeister<br />

des guten Tons, hat mit seiner Firma<br />

Nagata Acoustics weltweit rund 50 Klangräume<br />

ausgehorcht und konzertreif eingerichtet,<br />

darunter die Suntory Hall in Tokio<br />

oder die Walt Disney Hall in Los Angeles.<br />

Mit diesem Saal nun will er Maßstäbe setzen.<br />

Deshalb hat er den Konzertsaal der<br />

Elbphilharmonie als wirklichkeitsnahes<br />

Modell aus Faserplatten im Maßstab 1:10<br />

nachbauen lassen, einschließlich Bestuhlung<br />

und rund zweitausend Filzpuppen.<br />

2.2012 Cicero 7<br />

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Besucher auf<br />

der „Plaza“, der<br />

Aussichtsplattform<br />

des geplanten<br />

Gebäudes<br />

Yasuhisa Toyotas<br />

tontechnisches<br />

Modell des großen<br />

Konzertsaals im<br />

Infopavillon der<br />

Elbphilharmonie<br />

8 Cicero 2.2012


Fotos: Christian irrgang<br />

Filzmützchen simulieren die Haare, Kahlköpfe<br />

fehlen, was den Raumklang offenbar<br />

nicht wesentlich beeinflusst.<br />

Um die Akustik des geplanten Konzertsaals<br />

zu testen, ließ er die Luftdichte<br />

mit Stickstoff im Verhältnis 1:10 verändern<br />

und das Puppenpublikum mit Tönen<br />

in zehnfach höherer Frequenz beschallen.<br />

<strong>Die</strong> Pieptöne, die sogar für Fledermäuse zu<br />

hoch sind, wurden an 56 Positionen aufgenommen<br />

und im Computer wieder auf<br />

ein Zehntel heruntergerechnet. Auf diese<br />

Weise konnten die Akustiker jedes störende<br />

Echo ermitteln, und den Saal und seine<br />

Verkleidung nach Gehör optimieren. Eine<br />

„weiße Haut“ wird den Saal auskleiden<br />

und den Schall reflektieren, zehntausend<br />

in Farbe und Oberfläche an Knäckebrot<br />

erinnernde Gipsfaserplatten, nach aufwändigen<br />

3D-Berechnungen passgenau<br />

modelliert mit Höhen und Tälern, die für<br />

2140 Menschen eine perfekte Akustik mit<br />

2,2 Sekunden Nachhall bis in die hintersten<br />

Winkel garantieren. „Ich bin außerordentlich<br />

zuversichtlich, dass die Elbphilharmonie<br />

zu den zehn besten Konzertsälen<br />

der Welt zählen wird“, sagt der Meister.<br />

Der Konzertsaal folgt, wie die Berliner<br />

Philharmonie, dem Weinberg-Prinzip.<br />

Doch Toyota wollte mehr Intimität. Deshalb<br />

umschließen Ränge in bester Steilhanglage<br />

das Orchester in der Mitte des<br />

Saales. Über dem Podium schwebt ein<br />

30 Tonnen schwerer Reflektor, der den<br />

Musikern ihr Spiel in weniger als 40 Millisekunden<br />

zu Gehör bringt, was das Zusammenspiel<br />

ungemein fördert. Außerdem<br />

birgt der Pilz über den Köpfen die Lichtsteuerung<br />

und das Fernwerk der Orgel.<br />

Um das Konzerterlebnis durch keinerlei<br />

Störung von außen zu beeinträchtigen, ist<br />

der Saal durch 362 stählerne Federpakete<br />

akustisch von der Betonschale des Baukörpers<br />

und allem Geräusch der Außenwelt<br />

entkoppelt, selbst vom Tuten aufdringlicher<br />

Kreuzfahrtschiffe. Und wer im Hotel<br />

direkt nebenan schlummert, hört nichts,<br />

absolut nichts, nicht einmal Berlioz oder<br />

Richard Strauss.<br />

Im Bereich des künftigen Hotels ist<br />

die Baustelle schon beheizt, die Fliesen im<br />

schmalen Schwimmbad sind schon verlegt,<br />

die Scheiben der Glasfassade fast vollständig<br />

eingebaut, elfhundert an der Zahl, gefertigt<br />

bei Josef Gartner in Gundelfingen<br />

an der Donau, jede größer als ein Garagentor,<br />

schwer wie ein VW Golf und auch so<br />

teuer; jede für sich bedruckt mit Pixelpunkten<br />

gegen zu viel Sonneneinstrahlung<br />

und sturmerprobt bis <strong>zur</strong> Orkanstärke.<br />

Flugzeugmotoren haben Stürme entfacht<br />

und Wasserschwaden mit 150 km/h gegen<br />

das Isolierglas geschleudert. <strong>Die</strong> Scheiben<br />

der Südfassade wurden eigens nach Italien<br />

geschafft und dort bei 600°C nach Maß<br />

gebogen, um Platz zu schaffen für kiemenförmige<br />

Luken, die Frischluft in die<br />

Hotelzimmer lassen. Eine Extrabeschichtung<br />

lässt die Fassade auf dem Radar der<br />

Schiffe erscheinen, die mit der Elbphilharmonie<br />

kollidieren könnten. Und Vögel fliegen<br />

auch nicht dagegen.<br />

*<br />

Zusammenstöße gibt es stattdessen im<br />

Rathaus. Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss<br />

Elbphilharmonie tagt seit<br />

Mai 2010 in regelmäßigen Abständen. Er<br />

soll herausfinden, wieso die Elbphilharmo-<br />

„Fast jede Schraube wurde<br />

mit einer Mehrkostenforderung<br />

versehen. So<br />

etwas habe ich bisher<br />

noch nicht erlebt. In<br />

Hamburg wackelt der<br />

Schwanz mit dem Hund“<br />

Architekt Pierre de Meuron<br />

nie immer teurer wird, und wer dafür die<br />

Verantwortung trägt. Geladen ist ein Zeuge,<br />

der lange öffentlich geschwiegen hat. Pierre<br />

de Meuron hat das Unwetter der Blitzlichter<br />

über sich ergehen lassen. Wie ein Angeklagter<br />

sitzt der Architekt vor den Abgeordneten,<br />

die in sieben Stunden Kreuzverhör<br />

der Frage nach den Ursachen eines Desasters<br />

nachgehen, die sie eigentlich in ihren<br />

eigenen Reihen suchen müssten.<br />

Der Sündenfall liegt wie so oft ganz<br />

am Anfang. <strong>Die</strong> Planung der Architekten<br />

war noch längst nicht abgeschlossen,<br />

die Baugenehmigung lag noch gar nicht<br />

vor, da wurde der Bauauftrag schon erteilt:<br />

an Hochtief, das Unternehmen, das<br />

nach einer Vorauswahl unter sechs Unternehmen<br />

als „preferred bidder“ übrig blieb,<br />

gemeinsam mit der Strabag AG, bekannt<br />

2.2012 Cicero 9<br />

als Marktführer im Verkehrswegebau. <strong>Die</strong><br />

verzichtete, hatte auch anderswo in Hamburg<br />

gut zu tun.<br />

<strong>Die</strong> Architekten hatten vor einem planlosen<br />

Frühstart gewarnt. Sie wurden nicht<br />

gehört. <strong>Die</strong> Euphoriker waren nicht zu<br />

bremsen. Und so schuf der rege Wegner<br />

mit Hilfe seines Stellvertreters Heribert<br />

Leutner und der Düsseldorfer Anwältin<br />

Dr. Ute Jasper ein 2000 Seiten umfassendes<br />

Vertragswerk, das sogar als innovativster<br />

PPP (Private Partnership)-Vertrag des<br />

Jahres prämiert wurde. Das Meisterwerk<br />

gilt inzwischen als eigentliche Ursache der<br />

Verkantungen zwischen Generalplaner,<br />

Bauherr und Bauunternehmen, denn es<br />

steckte voller Dehnungsfugen und erwies<br />

sich als Einladung an die Baufirma, sich zu<br />

bedienen und über Nachträge Kasse zu machen.<br />

Und so führt Hochtief die Bauherrin<br />

am Nasenring durch die Schreckenskammer<br />

abenteuerlicher Kostensteigerungen.<br />

„Überspitzt gesagt: Fast jede Schraube<br />

wurde mit einer Mehrkostenforderung versehen“<br />

bilanziert de Meuron. Wie der Auftragnehmer<br />

Hochtief dem Bauherrn die<br />

Spielregeln diktiert, versetzt ihn in Staunen.<br />

„So etwas habe ich trotz langjähriger<br />

Erfahrung bisher noch nicht erlebt“, sagt er<br />

der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, „in<br />

Hamburg wackelt der Schwanz mit dem<br />

Hund.“<br />

Der Schwanz ist eine Riesenschlange<br />

und heißt Adamanta. Adamanta ist griechisch<br />

und ist die Härte, in diesem Fall jedoch<br />

die kleine böse Tochter der Commerzbank<br />

und des Baukonzerns Hochtief. Und<br />

der ist kein leichter Gegner, ein Schwergewicht<br />

mit Milliardenumsätzen und – wenn<br />

es sein muss – vielen guten Anwälten. Im<br />

kommenden Jahr will er den Gewinn auf<br />

eine halbe Milliarde Euro hieven.<br />

<strong>Die</strong> kommt nicht nur aus Hamburg.<br />

Hochtief gräbt in London einen acht Kilometer<br />

langen Tunnel unter der Themse,<br />

baut Straßen in Australien und ein Großklinikum<br />

in Abu Dhabi. Weniger schön<br />

ist, dass Hochtief die Manager davon laufen.<br />

Seit der hoch verschuldete spanische<br />

Baukonzern ACS im Sommer trotz heftiger<br />

Gegenwehr die Mehrheit in dem Erfolgsunternehmen<br />

übernommen hat, suchen<br />

die Topmanager reihenweise das Weite.<br />

*<br />

Wie ist es eigentlich, für Hochtief zu arbeiten?<br />

Wer die Architekten Markovic, Ronai<br />

und Voss in ihrem neuen Atelier an der


| Salon | E l B p H i l H a R M o n i E<br />

Rathausstraße besucht, findet sie zwischen<br />

Umzugskartons. Sie mussten ihr Büro am<br />

Bleichenfleet räumen, weil dort eine neue<br />

Einkaufpassage entstehen soll. <strong>Die</strong> renommierten<br />

Hamburger Architekten hatten an<br />

der Planung der Elbphilharmonie mitgewirkt.<br />

„Wir hatten uns schon früh für diesen<br />

Bau eingesetzt“, erzählt Mirjana Markovic.<br />

„Das hat es noch nie gegeben: Hamburgs<br />

führende Architekten hatten in einem offenen<br />

Brief den Senat aufgefordert, dem<br />

Entwurf von Herzog & de Meuron zustimmen.<br />

Wir haben damals auch unterschrieben.<br />

Und wir würden es heute noch tun.“<br />

„<strong>Die</strong> Elbphilharmonie wird kommen. Und<br />

wir werden es hinkriegen, dass sie<br />

jedem ein Strahlen ins Gesicht zaubert“<br />

Kultursenatorin Barbara Kisseler<br />

Das hochklassige <strong>Ensemble</strong> <strong>Resonanz</strong> soll das Hausorchester<br />

des kleinen Saals der Elbphilharmonie werden<br />

Barbara Kisseler, Hamburgs<br />

Kultursenatorin<br />

10 Cicero 2.2012<br />

Thomas Hengelbrock, Chefdirigent<br />

des NDR Sinfonieorchesters<br />

Später hatten sie mit einem Konsortium den Wettbewerb<br />

um die Mantelbebauung der Elbphilharmonie gewonnen, als<br />

Raumplaner für Wohnungen, Hotel, Gastronomie und Garage,<br />

was sich schließlich auf die Planung von Hotel und Gastronomie<br />

reduzierte. Am Anfang lief es noch ganz gut, wenn auch mit<br />

heftigen Diskussionen. Herzog & de Meuron hatte Zimmer im<br />

trapezoiden Zuschnitt vorgeschlagen, doch der Hotelier Arabella<br />

Sheraton aus München, wollte kein Designer-Hotel. „Wir haben<br />

dann das Hotel geplant, und die Konferenzräume, die Herzog<br />

& de Meuron in Toplage vorgesehen hatte, in den Speicher<br />

geholt und durch Suiten ersetzt, in den Spitzen als Maisonette.“<br />

erzählt Aleksander Ronai.<br />

Der historische Speicher wurde vollkommen entkernt, dient<br />

nun als Parkhaus für 550 Autos und wurde um ein Stockwerk erhöht.<br />

Statt der Großdisco, die Herzog & de Meuron vorgesehen<br />

hatte, gibt es nun Gastronomie mit Elbblick auf den besseren Plätzen.<br />

Für das Luxushotel waren anfangs 7000 Quadratmeter Wellness<br />

geplant, und die Stadt wünschte sich ein Kaistudio als dritten<br />

Konzertsaal, ein Museum und Probenräume. <strong>Die</strong> vielfachen Ansprüche<br />

ließen den Bau stetig wachsen, die Bruttogeschossfläche<br />

wurde von rund 85 000 auf 120 000 Quadratmeter erweitert. <strong>Die</strong><br />

Vision fing als <strong>Welle</strong>nspiel an, nun ist sie eine <strong>Wucht</strong>.<br />

Wegen der ständigen Änderungswünsche dauerte es Wochen,<br />

bis die Pläne von Hochtief, von Herzog & de Meuron und von<br />

der ReGe absegnet wurden. „Es war der absolute Wahnsinn. Alle<br />

Teams waren ja dreifach besetzt und arbeiteten am gleichen Problem.“<br />

„Das größte Problem war die Planung der Planung“, fasst<br />

Ronais Kollege Voss zusammen. „Alles lief elektronisch. Wir bekamen<br />

15 000 Mails mit Plänen, manchmal 300 am Tag, immer<br />

korrekt mit Kennziffer und Lieferdatum, aber wenn wir sie öffneten,<br />

waren sie oft leer oder längst überholt.“<br />

2007 kam es zu einer Änderung der Geschäftsstruktur, die<br />

Idee eines Luxushotels war vom Tisch. Westin statt Wellness, Vier-<br />

Sterne-Plus. <strong>Die</strong> Architekten Markovic, Ronai und Voss waren<br />

über Nacht Subunternehmer von Hochtief geworden. „Es kam<br />

ein rauher Bauleiterton in die Besprechungen. An diesem Tisch<br />

wurde nur noch gebrüllt. Wer am lautesten schrie hatte recht.<br />

Aber meist wenig Ahnung.“ Zwei Jahre hielten sie das aus. Dann<br />

wollten sie die Mehrarbeit bezahlt haben. Hochtief kündigte die<br />

Zusammenarbeit. Sie stiegen aus, nicht verbittert, eher erleichtert.<br />

*<br />

Inzwischen hatten Generalplaner, Bauherr und Generalunternehmer<br />

die Baustelle so intensiv mit Plänen geflutet, dass keiner<br />

mehr durchblickte. Nachdem er vier Jahre lang wie ein Brummkreisel<br />

durch die komplizierte Materie wirbeln durfte, verliert<br />

Hartmut Wegner das Vertrauen des Ersten Bürgermeisters. Ole<br />

von Beust entlässt den Mann für heiße Eisen. Im November 2008<br />

gibt es eine signifikante Preiserhöhung. Wegeners Nachfolger und<br />

bisheriger Projektleiter Heribert Leutner einigt sich mit Hochtief<br />

auf 137 Millionen Euro extra. Zwar könne der Senat nur 107 Millionen<br />

Euro der Forderungen nachvollziehen, aber Leutner, ein<br />

eher ausgleichender Charakter, legt 30 Millionen drauf, als Einigungssumme,<br />

um Prozesse und einen Baustopp zu vermeiden.<br />

Eine Kapitulationsurkunde ersten Ranges, wenn auch für den Baufortschritt<br />

konstruktiv. Hamburgs Beitrag erhöht sich damit auf<br />

323 Millionen Euro bei schätzungsweise 503 Millionen Gesamtkosten.<br />

Tusch! <strong>Die</strong> halbe Milliarde ist überschritten.<br />

Fotos: Christian irrgang (2), MarCus krüger/ndr


XXXXX<br />

Drei Jahre später, wir schreiben November<br />

2011, setzt Hochtief die Stadt erneut<br />

unter Druck und schlägt vor, jegliche<br />

Kontrolle – auch für die Qualitätsprüfung –<br />

selbst zu übernehmen. <strong>Die</strong> Beziehungen<br />

zwischen der Stadt Hamburg und Hochtief<br />

sind tief gestört. Aus dem Drohknurren ist<br />

eine wilde Beißerei geworden. Der Hamburger<br />

Senat hat 9000 Mängel aufgelistet,<br />

von denen 5700 noch nicht behoben sind.<br />

Von vierzehn Monaten Zeitverzug nimmt<br />

die Stadt drei auf ihre Kappe, am Ende<br />

wird der Bau mindestens 25 Monate hinter<br />

dem Zeitplan liegen. Vor zwei Jahren hätte<br />

Hochtief die letzten Pläne für die Haustechnik<br />

liefern sollen, bis heute ist keins<br />

der rund 3500 Plandokumente vollständig<br />

und abschließend bearbeitet. <strong>Die</strong> ReGe<br />

fasst zusammen. „Hochtief hat schlecht gebaut“<br />

und hält fällige Zahlungen <strong>zur</strong>ück.<br />

Heute ruht der Bau. <strong>Die</strong> Beteiligten<br />

streiten vor Gericht um überzogene Termine,<br />

überzogene Forderungen, überzogene<br />

Vorstellungen. Ein Heer von Anwälten,<br />

Gutachtern und Gegengutachtern<br />

saugt Honig aus dem Stillstand des Projektes.<br />

<strong>Die</strong> Uhr läuft. Jeder durch Hochtief<br />

verschuldete Verzögerungstag kostet<br />

200 000 Euro. Doch wann die Verzögerung<br />

beginnt oder begonnen hat, ist<br />

umstritten.<br />

*<br />

„Wir wollen keine Spielchen mehr“,<br />

hatte Kultursenatorin Barbara Kisseler angekündigt.<br />

Das Zimmer der Behördenchefin<br />

wirkt aufgeräumt, die Bücherschränke<br />

zeigen noch die Leere des Neubeginns, ein<br />

weißer ovaler Tisch, die Skulptur einer graziös<br />

komischen Tänzerin im Tutu. Als Kultursenatorin<br />

hat die parteilose Kisseler das<br />

Erbe ihrer glücklosen Vorgänger Karin von<br />

Welck und Reinhard Stuth angetreten. Sie<br />

tut es zupackend und unverzagt, als Trümmerfrau<br />

ohne Eimerkette. Immerhin hat<br />

sie juristischen Beistand. „Ich habe für den<br />

Baustillstand überhaupt kein Verständnis.“<br />

Nein, räumt sie ein, die Elbphilharmonie<br />

sei sicher kein klassisches Projekt der<br />

Sozialdemokratie. „Aber sie ist auch kein<br />

elitäres Projekt. <strong>Die</strong> Elbphilharmonie ist<br />

für alle da. Der Bau wurde damals einstimmig<br />

von der Bürgerschaft beschlossen. Ein<br />

schwarzgrüner Senat hat ihn angeschoben.<br />

Jetzt ist die SPD in der Regierungsverantwortung,<br />

und setzt sich dafür ein. Meine<br />

Aufgabe ist es, den Menschen klar zu machen,<br />

dass es ein Projekt ist, für das sich der<br />

Ärger lohnt!“ Sie weiß den Ersten Bürgermeister<br />

hinter sich. Olaf Scholz hat entschieden,<br />

dass die Elbphilharmonie ihren<br />

klammen Kulturetat mit keinem Cent<br />

belastet. Außerdem habe er den Wunsch<br />

geäußert, dass künftig jedes Hamburger<br />

Kind einmal in der Elbphilharmonie gewesen<br />

sein sollte. <strong>Die</strong> Senatorin ist zuversichtlich.<br />

„<strong>Die</strong> Elbphilharmonie wird kommen.<br />

Und wir werden es hinkriegen, dass<br />

sie jedem ein Strahlen ins Gesicht zaubert.“<br />

*<br />

Thomas Hengelbrock ist wieder mal unterwegs.<br />

Wir treffen uns auf dem Bahnhof<br />

von Neumarkt in der Oberpfalz, er ist auf<br />

Europa-Tournee mit dem Balthasar Neumann<br />

Chor und dem Balthasar Neumann<br />

<strong>Ensemble</strong>. Beide hat er vor 20 und vor<br />

17 Jahren gegründet. Sie haben eine sehr<br />

familiäre Beziehung. Das hat ihn aber nie<br />

gehindert, mit großen Orchestern große<br />

Werke einzustudieren. Der Pultstar, 1958<br />

in Wilhelmshaven geboren, wohnhaft Paris,<br />

wird nun nach Hamburg ziehen. Er ist im<br />

Sommer 2011 Chefdirigent des NDR Sinfonieorchesters<br />

geworden, das künftig im<br />

Konzertsaal der Elbphilharmonie als „Orchester<br />

in Residence“ spielen wird.<br />

<strong>Die</strong> Elbphilharmonie kann sich auf<br />

leise Töne gefasst machen. Lärm auf dem<br />

Podium ist dem Maestro ein Graus. „Eine<br />

furchtbare Entwicklung, die Orchester<br />

spielen alle zu laut. Im Mezzavoce kommt<br />

die Schönheit, die Farbe, kommen die Valeurs.“<br />

<strong>Die</strong> neue Aufgabe reizt ihn sehr. „In<br />

den letzten fünfzehn Jahren habe ich viel<br />

Oper gemacht, 73 Produktionen. Das wird<br />

jetzt naturgemäß weniger.“ Mit dem NDR<br />

Sinfonieorchester wurde er schnell vertraut,<br />

dirigierte die Hausgötter Beethoven,<br />

Brahms und Bruckner. Aber er will auch zu<br />

neuen Ufern. „Orchester sollten nicht nur<br />

120 Jahre abdecken. Ein modernes Orchester<br />

sollte die Werke aus vierhundert Jahren<br />

Musikgeschichte adäquat spielen, lustvoll<br />

und stilistisch angemessen.“<br />

<strong>Die</strong> Elbphilharmonie hat er fest im<br />

Blick. „<strong>Die</strong> Vorfreude ist riesig. Ich war<br />

schon sechsmal da oben. Das ist Gänsehaut<br />

pur. Es ist nicht nur der Saal, oder der<br />

Bau. <strong>Die</strong>ser Platz ist unschlagbar. Der Ort<br />

ist das eigentliche Faszinosum.“<br />

Der Baustopp macht ihn wütend. „Das<br />

ist doch nicht nachvollziehbar, alle Beteiligten<br />

sollten sich anstrengen, den Konzertsaal<br />

so früh wie möglich fertig zu stellen.<br />

Ich vertraue da auf den Bürgermeister<br />

und den norddeutschen Pragmatismus, der<br />

im richtigen Moment den Hebel umlegt.“<br />

*<br />

Wann die Elbphilharmonie eröffnet,<br />

weiß niemand. Der 30. November 2011,<br />

letzter vertraglich vereinbarter Termin für<br />

die Übergabe, ist längst verstrichen. Dann<br />

war es der April 2014. April April! Dann<br />

Ende 2014. Vielleicht.<br />

<strong>Die</strong> Konkurrenz segelt am Havaristen<br />

vorbei. Allein im Krisenjahr 2011 haben<br />

weltweit drei spektakuläre Konzertsäle eröffnet:<br />

In Montreal eine viereckige Halle im<br />

klassischen „Schuhschachtel“-Design mit<br />

2100 klimatisierten Sitzen, in Reykjavik ein<br />

Konzerthaus des dänischen Meister-Architekten<br />

Henning Larsen, und in Helsinki das<br />

Musiikkitalo-Etusivu an der Töölön-Bucht.<br />

In Bonn soll, nach langer Bürgerwehr, nun<br />

doch ein neues Konzerthaus entstehen, in<br />

München auch. Und Yasuhisa Toyota hat<br />

bereits ein neues Modell in Arbeit: <strong>Die</strong> Philharmonie<br />

de Paris, entworfen vom genialen<br />

Jean Nouvel, ein gläsernes Raumschiff,<br />

das im Parc de la Villette gelandet ist, ein<br />

Weinberg mit 2400 Plätzen. Vor vier Jahren<br />

wurde mit dem Bau begonnen, 2012<br />

soll die Eröffnung sein. Was kann Hamburg<br />

daraus lernen?<br />

Jahrhundertbauten brauchen ihre Zeit.<br />

Der Petersdom wurde nach 120 Jahren fertig,<br />

der Kölner Dom, Deutschlands ewigste<br />

Baustelle, brauchte 632 Jahre bis <strong>zur</strong> Vollendung.<br />

Zeitweise wurden alle Arbeiten abgebrochen<br />

und für annähernd 300 Jahre stillgelegt,<br />

bis ein Kunst liebender preußischer<br />

König und engagierte Bürger die zügige<br />

Vollendung betrieben. Auch das Opernhaus<br />

Sydney des dänischen Architekten<br />

Jørn Utzon entstand im Streit. 1959 begannen<br />

die Bauarbeiten. <strong>Die</strong> Betonschalen des<br />

Daches mussten zwölf mal neu entworfen<br />

werden, die Baukosten stiegen von 3,5 auf<br />

50 Millionen australische Pfund. Bauherr<br />

und Architekt gerieten aneinander. Gelder<br />

wurden gesperrt, Utzon konnte seine Leute<br />

nicht mehr bezahlen und verließ Australien,<br />

um nie mehr <strong>zur</strong>ück zu kehren. 1973,<br />

nach vierzehn Jahren, war der Bau fertig.<br />

Ein Weltwunder. Und niemand redet mehr<br />

darüber, wie es entstand.<br />

EmanuEl Eckardt<br />

69, geborener Hamburger,<br />

Musikliebhaber und freier Autor,<br />

träumt davon, die Eröffnung der<br />

Elbphilharmonie noch zu erleben<br />

2.2012 Cicero 11

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