Die Welle, Die zur Wucht Wurde - Ensemble Resonanz
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Drei Jahre später, wir schreiben November<br />
2011, setzt Hochtief die Stadt erneut<br />
unter Druck und schlägt vor, jegliche<br />
Kontrolle – auch für die Qualitätsprüfung –<br />
selbst zu übernehmen. <strong>Die</strong> Beziehungen<br />
zwischen der Stadt Hamburg und Hochtief<br />
sind tief gestört. Aus dem Drohknurren ist<br />
eine wilde Beißerei geworden. Der Hamburger<br />
Senat hat 9000 Mängel aufgelistet,<br />
von denen 5700 noch nicht behoben sind.<br />
Von vierzehn Monaten Zeitverzug nimmt<br />
die Stadt drei auf ihre Kappe, am Ende<br />
wird der Bau mindestens 25 Monate hinter<br />
dem Zeitplan liegen. Vor zwei Jahren hätte<br />
Hochtief die letzten Pläne für die Haustechnik<br />
liefern sollen, bis heute ist keins<br />
der rund 3500 Plandokumente vollständig<br />
und abschließend bearbeitet. <strong>Die</strong> ReGe<br />
fasst zusammen. „Hochtief hat schlecht gebaut“<br />
und hält fällige Zahlungen <strong>zur</strong>ück.<br />
Heute ruht der Bau. <strong>Die</strong> Beteiligten<br />
streiten vor Gericht um überzogene Termine,<br />
überzogene Forderungen, überzogene<br />
Vorstellungen. Ein Heer von Anwälten,<br />
Gutachtern und Gegengutachtern<br />
saugt Honig aus dem Stillstand des Projektes.<br />
<strong>Die</strong> Uhr läuft. Jeder durch Hochtief<br />
verschuldete Verzögerungstag kostet<br />
200 000 Euro. Doch wann die Verzögerung<br />
beginnt oder begonnen hat, ist<br />
umstritten.<br />
*<br />
„Wir wollen keine Spielchen mehr“,<br />
hatte Kultursenatorin Barbara Kisseler angekündigt.<br />
Das Zimmer der Behördenchefin<br />
wirkt aufgeräumt, die Bücherschränke<br />
zeigen noch die Leere des Neubeginns, ein<br />
weißer ovaler Tisch, die Skulptur einer graziös<br />
komischen Tänzerin im Tutu. Als Kultursenatorin<br />
hat die parteilose Kisseler das<br />
Erbe ihrer glücklosen Vorgänger Karin von<br />
Welck und Reinhard Stuth angetreten. Sie<br />
tut es zupackend und unverzagt, als Trümmerfrau<br />
ohne Eimerkette. Immerhin hat<br />
sie juristischen Beistand. „Ich habe für den<br />
Baustillstand überhaupt kein Verständnis.“<br />
Nein, räumt sie ein, die Elbphilharmonie<br />
sei sicher kein klassisches Projekt der<br />
Sozialdemokratie. „Aber sie ist auch kein<br />
elitäres Projekt. <strong>Die</strong> Elbphilharmonie ist<br />
für alle da. Der Bau wurde damals einstimmig<br />
von der Bürgerschaft beschlossen. Ein<br />
schwarzgrüner Senat hat ihn angeschoben.<br />
Jetzt ist die SPD in der Regierungsverantwortung,<br />
und setzt sich dafür ein. Meine<br />
Aufgabe ist es, den Menschen klar zu machen,<br />
dass es ein Projekt ist, für das sich der<br />
Ärger lohnt!“ Sie weiß den Ersten Bürgermeister<br />
hinter sich. Olaf Scholz hat entschieden,<br />
dass die Elbphilharmonie ihren<br />
klammen Kulturetat mit keinem Cent<br />
belastet. Außerdem habe er den Wunsch<br />
geäußert, dass künftig jedes Hamburger<br />
Kind einmal in der Elbphilharmonie gewesen<br />
sein sollte. <strong>Die</strong> Senatorin ist zuversichtlich.<br />
„<strong>Die</strong> Elbphilharmonie wird kommen.<br />
Und wir werden es hinkriegen, dass<br />
sie jedem ein Strahlen ins Gesicht zaubert.“<br />
*<br />
Thomas Hengelbrock ist wieder mal unterwegs.<br />
Wir treffen uns auf dem Bahnhof<br />
von Neumarkt in der Oberpfalz, er ist auf<br />
Europa-Tournee mit dem Balthasar Neumann<br />
Chor und dem Balthasar Neumann<br />
<strong>Ensemble</strong>. Beide hat er vor 20 und vor<br />
17 Jahren gegründet. Sie haben eine sehr<br />
familiäre Beziehung. Das hat ihn aber nie<br />
gehindert, mit großen Orchestern große<br />
Werke einzustudieren. Der Pultstar, 1958<br />
in Wilhelmshaven geboren, wohnhaft Paris,<br />
wird nun nach Hamburg ziehen. Er ist im<br />
Sommer 2011 Chefdirigent des NDR Sinfonieorchesters<br />
geworden, das künftig im<br />
Konzertsaal der Elbphilharmonie als „Orchester<br />
in Residence“ spielen wird.<br />
<strong>Die</strong> Elbphilharmonie kann sich auf<br />
leise Töne gefasst machen. Lärm auf dem<br />
Podium ist dem Maestro ein Graus. „Eine<br />
furchtbare Entwicklung, die Orchester<br />
spielen alle zu laut. Im Mezzavoce kommt<br />
die Schönheit, die Farbe, kommen die Valeurs.“<br />
<strong>Die</strong> neue Aufgabe reizt ihn sehr. „In<br />
den letzten fünfzehn Jahren habe ich viel<br />
Oper gemacht, 73 Produktionen. Das wird<br />
jetzt naturgemäß weniger.“ Mit dem NDR<br />
Sinfonieorchester wurde er schnell vertraut,<br />
dirigierte die Hausgötter Beethoven,<br />
Brahms und Bruckner. Aber er will auch zu<br />
neuen Ufern. „Orchester sollten nicht nur<br />
120 Jahre abdecken. Ein modernes Orchester<br />
sollte die Werke aus vierhundert Jahren<br />
Musikgeschichte adäquat spielen, lustvoll<br />
und stilistisch angemessen.“<br />
<strong>Die</strong> Elbphilharmonie hat er fest im<br />
Blick. „<strong>Die</strong> Vorfreude ist riesig. Ich war<br />
schon sechsmal da oben. Das ist Gänsehaut<br />
pur. Es ist nicht nur der Saal, oder der<br />
Bau. <strong>Die</strong>ser Platz ist unschlagbar. Der Ort<br />
ist das eigentliche Faszinosum.“<br />
Der Baustopp macht ihn wütend. „Das<br />
ist doch nicht nachvollziehbar, alle Beteiligten<br />
sollten sich anstrengen, den Konzertsaal<br />
so früh wie möglich fertig zu stellen.<br />
Ich vertraue da auf den Bürgermeister<br />
und den norddeutschen Pragmatismus, der<br />
im richtigen Moment den Hebel umlegt.“<br />
*<br />
Wann die Elbphilharmonie eröffnet,<br />
weiß niemand. Der 30. November 2011,<br />
letzter vertraglich vereinbarter Termin für<br />
die Übergabe, ist längst verstrichen. Dann<br />
war es der April 2014. April April! Dann<br />
Ende 2014. Vielleicht.<br />
<strong>Die</strong> Konkurrenz segelt am Havaristen<br />
vorbei. Allein im Krisenjahr 2011 haben<br />
weltweit drei spektakuläre Konzertsäle eröffnet:<br />
In Montreal eine viereckige Halle im<br />
klassischen „Schuhschachtel“-Design mit<br />
2100 klimatisierten Sitzen, in Reykjavik ein<br />
Konzerthaus des dänischen Meister-Architekten<br />
Henning Larsen, und in Helsinki das<br />
Musiikkitalo-Etusivu an der Töölön-Bucht.<br />
In Bonn soll, nach langer Bürgerwehr, nun<br />
doch ein neues Konzerthaus entstehen, in<br />
München auch. Und Yasuhisa Toyota hat<br />
bereits ein neues Modell in Arbeit: <strong>Die</strong> Philharmonie<br />
de Paris, entworfen vom genialen<br />
Jean Nouvel, ein gläsernes Raumschiff,<br />
das im Parc de la Villette gelandet ist, ein<br />
Weinberg mit 2400 Plätzen. Vor vier Jahren<br />
wurde mit dem Bau begonnen, 2012<br />
soll die Eröffnung sein. Was kann Hamburg<br />
daraus lernen?<br />
Jahrhundertbauten brauchen ihre Zeit.<br />
Der Petersdom wurde nach 120 Jahren fertig,<br />
der Kölner Dom, Deutschlands ewigste<br />
Baustelle, brauchte 632 Jahre bis <strong>zur</strong> Vollendung.<br />
Zeitweise wurden alle Arbeiten abgebrochen<br />
und für annähernd 300 Jahre stillgelegt,<br />
bis ein Kunst liebender preußischer<br />
König und engagierte Bürger die zügige<br />
Vollendung betrieben. Auch das Opernhaus<br />
Sydney des dänischen Architekten<br />
Jørn Utzon entstand im Streit. 1959 begannen<br />
die Bauarbeiten. <strong>Die</strong> Betonschalen des<br />
Daches mussten zwölf mal neu entworfen<br />
werden, die Baukosten stiegen von 3,5 auf<br />
50 Millionen australische Pfund. Bauherr<br />
und Architekt gerieten aneinander. Gelder<br />
wurden gesperrt, Utzon konnte seine Leute<br />
nicht mehr bezahlen und verließ Australien,<br />
um nie mehr <strong>zur</strong>ück zu kehren. 1973,<br />
nach vierzehn Jahren, war der Bau fertig.<br />
Ein Weltwunder. Und niemand redet mehr<br />
darüber, wie es entstand.<br />
EmanuEl Eckardt<br />
69, geborener Hamburger,<br />
Musikliebhaber und freier Autor,<br />
träumt davon, die Eröffnung der<br />
Elbphilharmonie noch zu erleben<br />
2.2012 Cicero 11