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Leseprobe Neo Rauch - Der Bestand

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<strong>Neo</strong> <strong>Rauch</strong>:<br />

Archivierte Innenwelten<br />

Brett Littman<br />

2008 machte mich der Künstler Paolo Canavari mit dem Istituto Centrale<br />

per la Grafica (ICG) bekannt, das seinen Sitz neben dem Trevi-Brunnen<br />

in Rom hat. Das ICG ist ein historisches Archiv mit 24.000 Druckstöcken<br />

und -platten aus der Zeit von 1500 bis heute, von italienischen Meistern<br />

wie Raimondi, Ghisi, Vasi, Piranesi, Morandi und Dorazio. Möchte man<br />

die Sammlung sehen, führt ein kleiner Aufzug für nur zwei Personen nach<br />

unten in einen geschützten Bereich. Eine mit einem doppelten Schloss<br />

gesicherte Tresortür, die mit skelettartigen Schlüsseln geöffnet wird, führt<br />

schließlich in eine Folge von Räumen voller Archivmappen, Schauwänden<br />

und Archivkästen in zahllosen Regalen.<br />

Drucker und Druckwerkstätten waren mir aus meiner Zeit als einer<br />

der Direktoren der New Yorker Werkstatt Dieu Donné bereits bekannt,<br />

in der auf Non-Profit-Basis Papier von Hand hergestellt wird, und ich hatte<br />

auch schon die Gelegenheit gehabt, mir von Anfang bis Ende anzusehen,<br />

wie Künstler und Meisterdrucker Druckgrafik schaffen. So hatte es für mich<br />

etwas Magisches, als ich die originalen Druckplatten und -stöcke dieser<br />

beeindruckenden Künstler aus Messing, Kupfer, Zink, Stahl, Holz und<br />

Stein in den Händen hielt. Doch jenseits dieses nur momenthaften taktilen<br />

Erlebnisses hatte sich ein anderer, tiefergehender Gedanke in meinem<br />

Kopf festgesetzt – und zwar die Frage, ob diese Matrizen als Zeichnungen<br />

betrachtet werden können oder nicht.<br />

Diese Frage führte dazu, dass ich das ICG in den folgenden drei<br />

Jahren für einige weitere Recherchen aufsuchte. 2011 schließlich, hatte ich<br />

die Kuratoren und den Direktor des Drawing Center, New York, davon<br />

überzeugt, mir zu erlauben, 100 Metallplatten – die weder von Zeichnungen<br />

noch von Druckgrafik begleitet wurden – für die Ausstellung Drawing and<br />

its Double nach New York zu holen. Die Idee, die der Ausstellung zugrunde<br />

lag, könnte man gut mit einem Giovanni Battista Piranesi zugeschriebenen<br />

Zitat zusammenfassen, der dem französischen Maler und Kupferstecher<br />

Hubert Robert den eigenen künstlerischen Arbeitsprozess mit den folgenden<br />

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