Die Entgrenzung der Tortenschlacht Brett Bailey und se<strong>in</strong>e Produktionsgesellschaft Third World Bunfight aus Kapstadt Der Installations- und Performance-Künstler Brett Bailey ist e<strong>in</strong> Grenzgänger zwischen Bühne und bildender Kunst, obwohl er eigentlich bekennender <strong>Theater</strong>hasser ist. Als neuer Leiter des e<strong>in</strong>stmals beschaulichen Spier Festivals trug er dieses unter dem Slogan „Infect<strong>in</strong>g the City“ nach Kapstadt und erfand mit se<strong>in</strong>em Programm ortsbezogener Performance-Installationen e<strong>in</strong>e Art neues Festivalformat. E<strong>in</strong> Porträt. von Rolf C. Hemke „Third World Bunfight“ ist der Markenname, unter dem Brett Bailey se<strong>in</strong>e großformatigen Performance-Projekte laufen lässt. In e<strong>in</strong>em Programmflyer der Wiener Festwochen wurde der Name mit „Dritte Welt Tortenschlacht“ übersetzt, was Brett Bailey zum Scherzen veranlasst. Der Name sei eher zufällig entstanden, erzählt er: „Ich saß an e<strong>in</strong>em Taxistand <strong>in</strong> Umtata, der ungeme<strong>in</strong> chaotischen Hauptstadt der Transkei. Ich war umgeben von diesen riesigen Vodacom-Werbeschildern e<strong>in</strong>erseits und von Sangomas, den traditionellen Heilern, die ihre Ziegen verkauften, andererseits. Und das alles <strong>in</strong>mitten der Hektik e<strong>in</strong>es Gemüsemarktes. Dann wurde mir e<strong>in</strong> Taxi vor der Nase weggeschnappt. Tja, und da rutschte mir dieses ,aah such a third world bunfight‘ heraus.“ Stoßseufzer der Ironie Auch wenn dieser Stoßseufzer <strong>in</strong> der Tiefe se<strong>in</strong>er Ironie vielleicht nicht ganz übersetzbar ist, so versucht Bailey doch zum<strong>in</strong>dest bereitwillig die Interpretation des Begriffs: „Es hat schon etwas mit e<strong>in</strong>er Art Kaffeeklatsch oder eher e<strong>in</strong>er formellen englischen Teeparty zu tun. Und diese steife Situation verselbständigt sich langsam auf e<strong>in</strong>e groteske, sehr britische Weise. Das ganze endet chaotisch, <strong>in</strong>dem sich die Gäste dann schließlich Sachen an den Kopf schmeißen und die Bedienung zurückwirft. Aber es werden nicht unbed<strong>in</strong>gt Torten geworfen, wie die Wiener Übersetzung suggeriert.“ In erster L<strong>in</strong>ie sei das e<strong>in</strong> Spaßname, sagt er, und dennoch steckt e<strong>in</strong> tieferer S<strong>in</strong>n dar<strong>in</strong>, denn für Bailey ist es e<strong>in</strong> Bild für das <strong>Theater</strong>machen an sich: „Man macht sich mit Regeln vertraut, nur um sie über Bord zu werfen.“ Zugleich komme da die zutiefst theatrale Komponente des subsaharischen Afrikas zum Tragen: „Ideologien oder Religion formen sich, wenn sie durch Afrika getragen werden, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em solchen Maße um und werden auf e<strong>in</strong>e so eigenartige und eigenständige Weise um<strong>in</strong>terpretiert und für sachfremde Ziele missbraucht, dass ich den E<strong>in</strong>druck habe, dass <strong>Theater</strong> sich <strong>in</strong> dieser Weise ähnlich aus dem Alltag bedienen sollte, um ihn quasi zur grotesken Kenntlichkeit zu überzeichnen.“ Vertreter e<strong>in</strong>er Besatzungsmacht? Se<strong>in</strong>e Ausführungen prägen e<strong>in</strong> bestimmter Blick, e<strong>in</strong>e Form der Wahrnehmung der sozialen und politischen Realitäten des südlichen Afrikas, der typisch für Bailey ist und vielleicht auch Ausdruck se<strong>in</strong>er Herkunft; er stammt aus e<strong>in</strong>er seit 1674 am Kap ansässigen Siedlerfamilie: „Ich schlachte ke<strong>in</strong>e Ziegen, ich bete nicht me<strong>in</strong>e Ahnen an, und ich habe e<strong>in</strong>e weiße Haut. Ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong> privilegierter und gebildeter Afrikaner. Das bedeutet hier e<strong>in</strong> Leben am Rande. Auch wenn ich das Gefühl habe, hierher zu gehören, und auch me<strong>in</strong>e Wurzeln hier habe, wird mich die Mehrheit der Afrikaner vermutlich nicht als Afrikaner sehen. Sie würde mich wahrsche<strong>in</strong>lich immer noch als E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gl<strong>in</strong>g oder Vertreter e<strong>in</strong>er Besatzungsmacht sehen. In anderen Teilen der Welt, etwa <strong>in</strong> Amerika, wäre das unvorstellbar. Aber Fakt ist, dass ich wie jeder weiße Amerikaner ke<strong>in</strong>en anderen Ort hätte, woh<strong>in</strong> ich flüchten könnte, wenn man versuchen würde, mich aus me<strong>in</strong>er Heimat zu vertreiben. Ich b<strong>in</strong> Afrikaner.“ Dennoch oder gerade deshalb ist Brett Bailey sensibel für die besondere Situation, <strong>in</strong> der er lebt. „In <strong>Südafrika</strong> gehören 80 Prozent des Landes den Weißen. In Simbabwe war das bis vor kurzem auch der Fall. Zwanzig Jahre nach der Befreiung gehörte das fruchtbare Land immer noch den Weißen. Mugabes Politik war unvernünftig und populistisch, aber ich verstehe sie irgendwo auch. Das Land ist von den weißen Siedlern gestohlen worden, die Schwarzen wurden verarscht und zur Arbeit gezwungen“, konstatiert Brett Bailey nüchtern. Diese Ansichten ändern allerd<strong>in</strong>gs nichts an se<strong>in</strong>em Stirnrunzeln gegenüber dem neuen südafrikanischen Präsidenten Jacob Zuma: „Er ist e<strong>in</strong> Populist und steckt bis zum Hals <strong>in</strong> Korruption. Er war <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en verschiedenen Positionen niemals e<strong>in</strong> guter Führer, und er ist <strong>in</strong> Fragen etwa der Frauenrechte oder der Pressefreiheit sehr konservativ. Er ist e<strong>in</strong> sehr traditioneller Dorfhäuptl<strong>in</strong>g. Für den Präsidenten e<strong>in</strong>es Landes ist das besorgniserregend.“ No Holds Barred for the Cake Battle Brett Bailey and his production company Third World Bunfight from Cape Town The work of <strong>in</strong>stallation and performance director Brett Bailey can be placed somewhere between theatre and visual art, although he famously hates theatre. As the new festival director, he took the formerly quiet Spier Festival to Cape Town under the slogan of “Infect<strong>in</strong>g the City” and re<strong>in</strong>vented the program with location-based performance <strong>in</strong>stallations – thereby creat<strong>in</strong>g a new k<strong>in</strong>d of festival format. A portrait. by Rolf C. Hemke “Third World Bunfight” is the brand name Brett Bailey puts on his large scale performance works. In a flyer for the Vienna Festival it was translated as “Third World Cake Battle” (Dritte Welt Tortenschlacht), much to Brett Bailey’s amusement. The name came about by chance, he says. “I was wait<strong>in</strong>g at a taxi stand <strong>in</strong> Umtata, the immensely chaotic capital of Transkei. I was surrounded by these massive Vodacom-billboards on the one hand, and on the other by sangomas, traditional healers, who were sell<strong>in</strong>g their goats. And all that was <strong>in</strong> the middle of a chaotic vegetable market. Then someone whipped a taxi from under my nose. And so I came out with ‘Aah, such a third world bunfight’”. Deep sigh of irony Even if the deep irony of this heartfelt utterance cannot be fully rendered by translation <strong>in</strong>to English, Bailey is happy to at least try to expla<strong>in</strong> the mean<strong>in</strong>g. “It is not unrelated to Kaffeeklatsch or rather to a formal English tea party. And this stiffly formal situation gradually asserts The <strong>in</strong>stallation and performance director Brett Bailey. Photo NAF Grahamstown Der Installations- und Performance-Künstler Brett Bailey. Foto NAF Grahamstown itself <strong>in</strong> a grotesque and very British way. The whole th<strong>in</strong>g ends <strong>in</strong> chaos, with the guests throw<strong>in</strong>g th<strong>in</strong>gs and the waiters and waitresses throw<strong>in</strong>g th<strong>in</strong>gs back. But it’s not necessarily cakes that are thrown as the Austrian translation suggests.” First and foremost it’s a jokey name, he says, and yet there is also a deeper mean<strong>in</strong>g here because for Bailey it is an image of theatre-mak<strong>in</strong>g itself. “You learn the rules so that you can later jettison them.” Equally, he believes, the deeply rooted theatrical elements of subsaharan Africa come <strong>in</strong>to play. “Ideologies and religions are recast to such an extent when they are taken through Africa, they are re<strong>in</strong>terpreted <strong>in</strong> such a strange and <strong>in</strong>dependent way and misappropriated for such irrelevant purposes, that I feel theatre should take from the everyday <strong>in</strong> a similar way and present it <strong>in</strong> an exaggerated yet recognisable grotesqueness.” Agent of an occupy<strong>in</strong>g power? A def<strong>in</strong>ite view is apparent <strong>in</strong> his productions, an awareness of the social and political realities of South Africa 4 5