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GURU Magazin, Ausgabe August 2022

Stadtmagazin für Mönchengladbach und Umgebung

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Warum Campino ein alter Sack ist und ich auch<br />

Sommerzeit, Konzertzeit. Am liebsten Open Air und so richtig<br />

knallelaut! Das dachte sich auch mein lieber Sohn. Einige von<br />

Ihnen kennen ihn vielleicht noch aus dem einen oder anderen<br />

Text aus der Vergangenheit. Er hat sich mittlerweile zu einem<br />

wackeren Kerl gemausert, den ich nur zu gerne auf Konzerte<br />

mitnehme. Naja, um ehrlich zu sein, nimmt er mich heute auf<br />

Konzerte mit. Oder er macht mich darauf aufmerksam, dass es so<br />

etwas wie „ein Konzert“ auch noch heute gibt.<br />

Wie zum Beispiel eines der allseits geschätzten Toten Hosen im<br />

Rahmen ihrer letzten Tour. Und wenn mein Sohn mich auf etwas<br />

aufmerksam macht, dann mit einer gewissen Konsequenz. Das hat<br />

er von meiner Frau. Seine diskreten Nachfragen („Und? Und?<br />

Und??“) häufen sich in gefährlichem Maße, bis man aus Notwehr<br />

zustimmt oder weil man irgendwann tatsächlich glaubt, es sei die<br />

eigene Idee gewesen.<br />

So war es auch mit den Hosen. An sich nichts gegen auszusetzen.<br />

Vor allem, wenn man, wie ich, seinen Nachwuchs jahrelang mit<br />

irren Geschichten aus einer Zeit gequält hat, an die man sich in<br />

Wirklichkeit kaum noch erinnern kann. Dies gepaart mit einer<br />

ambitionierten musikalischen Früherziehung zeigt eben Früchte. So<br />

waren wir schon vor einigen Jahren in Düsseldorf bei meinem<br />

„definitiv letzten“ Hosen-Konzert in dieser Billyboy-Arena, wo auch<br />

Fortuna spielt. Diesmal sollte es also das „definitiv allerletzte“<br />

Konzert der Hosen sein. Und dann noch auswärts. Ausgerechnet in<br />

Köln im Müngersdorfer Stadion. Der zweite Schock traf mich, als ich<br />

verstand, dass der unanständige Preis nicht alle Karten beinhaltete,<br />

sondern eine einzige.<br />

Dann vor Ort eine lustige Beobachtung: Anscheinend war irgendwo<br />

in der Nähe eine Schlagerparty. Denn haufenweise Bankangestellte<br />

und Versicherungskaufleute drängten sich lustig bekleidet aus der<br />

Bahn und strebten ebenfalls in Richtung Stadion. Einige verliefen<br />

sich sogar mit uns rein und schienen auch noch Spaß zu haben an<br />

den Darbietungen. Verrückte Welt.<br />

Dann ging es ans Tanzen. Pogo mit fast 60 und nicht mehr ganz so<br />

elastischen Bandscheiben ist eine Challenge, die den ganzen Senior<br />

fordert. Angesichts dessen muss ich sagen, dass so ein Moshpit<br />

tatsächlich etwas Beruhigendes hat. Vor allem für uns Ältere.<br />

Dahinter verbirgt sich eine Art Sozialarbeiter-Pogo unter<br />

Gleichgesinnten, dem sich auch die Punkangestellten nur zu gerne<br />

anschlossen. Sogar filmen kann man sich dabei für den Instagram-<br />

Account. Mit dem guten alten Asi-Pogo „alle gegen alle“ hat das<br />

zum Glück nichts mehr zu tun. Da lasse ich meinen Sohn natürlich<br />

gerne reinspringen und weiß, dass<br />

ich nicht hinterherspringen muss,<br />

um meine Familie vor dem<br />

Aussterben zu bewahren. Ich konnte<br />

mit den anderen mehr oder weniger<br />

ehrenhaft ergrauten Zeitzeugen der<br />

„guten alten Zeit“ in der Nähe dem<br />

Treiben zuschauen und gleichzeitig<br />

über Videoleinwand verfolgen, was<br />

sich auf der Bühne tat.<br />

Das hatte was von Kirmes und die Gruppe älterer Herren auf der<br />

Bühne entwickelte sich streckenweise tatsächlich in Richtung Tote<br />

Hosen. Der Sänger war nicht ganz textsicher, sah Campino aber<br />

verdammt ähnlich und erzählte zwischen den Liedern freundliche<br />

Dinge, die man nur bejubeln konnte. Ukraine? Jubel! Flüchtlingen<br />

helfen? Jubel! Wut auf rechts? Jubel! Wenn ich mich korrekt entsinne,<br />

war es denen früher völlig wumpe, woran ihre Zuhörer glaubten.<br />

Hauptsache, die meisten von ihnen hatten die zehn Mark Eintritt<br />

bezahlt, die das Konzert damals kostete.<br />

Ohne Scheiß: Mein erstes Tote-Hosen-Konzert vor 39 Jahren kostete<br />

genauso viel wie diesmal ein Becher Bier im Kölner Stadion. Dabei<br />

schmeckte das Bier durchaus, als ob sein Fass in den 80er-Jahren<br />

irgendwo in der niederrheinischen Provinz angeschlagen und dann<br />

zur Seite gestellt worden war für diese Jubiläumstour. Quasi Alt-Bier<br />

im zweideutigen Sinne. Um es zu zapfen brauchte der freundliche<br />

LGBTQwasauchimmer-Aktivist dann noch einmal fast zwanzig<br />

Minuten. Zum Schlange stehen hatte ich früher immer meinen Sohn<br />

dabei, aber der war ja Moshpitten mit den Versicherungspunks und<br />

Sonderpädagogen. Schwamm drüber. Schließlich war ich nicht zum<br />

Saufen da. Ich war da, um mit dem Mann auf der Bühne, der<br />

Campino so ähnlich sah, gemeinsame Erinnerungen zu teilen.<br />

Erinnerungen, von denen nur ich weiß. Die mich wärmen und mir<br />

ab und zu sagen, dass nicht alles scheiße ist.<br />

Die ganze Rückfahrt über war mein Sohn besorgt, mir hätte das<br />

Konzert nicht gefallen. Schließlich hatte ich mich nicht bis zum<br />

Atemstillstand zwischen Menschen zum Affen gemacht, die höchstes<br />

halb so alt sind wie ich. Ich lächelte in mich hinein und genoss den<br />

Tinnitus. Was weiß er schon davon, was alte Säcke wie Campino<br />

und mich verbindet? Schlimmstenfalls das ungenießbare Bier der<br />

frühen Jahre. Wenn mein Sohn demnächst noch einmal wegen eines<br />

Hosen-Konzerts anklopft, bin ich sicher zum allerallerletzten Mal<br />

dabei. Mein Bier bringe ich dann aber selber mit!<br />

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