Beschaffung aktuell 7-8.2022
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Ausgabe 7-8 | 2022<br />
www.beschaffung-<strong>aktuell</strong>.de<br />
Einkauf<br />
Materialwirtschaft<br />
Logistik<br />
Krankenhauseinkauf<br />
Energiebeschaffung<br />
Mit einer Strategie<br />
zu mehr Sicherheit<br />
» Seite 52<br />
Lieferkettengesetz<br />
Wie Unternehmen<br />
sich vorbereiten können<br />
» Seite 30<br />
China-Sourcing<br />
Raus aus der<br />
Abhängigkeit – aber wie?<br />
» Seite 18<br />
Dr. Marcell Vollmer,<br />
CEO, Prospitalia-Gruppe<br />
» Seite 14<br />
INTERVIEW<br />
Analysetools im<br />
C-Teile-<br />
Management<br />
» Seite 38<br />
Professionell. Innovativ. Einkauf.
Industrie<br />
Das<br />
Kompetenz-<br />
Netzwerk<br />
der Industrie<br />
17 Medienmarken für alle wichtigen<br />
Branchen der Industrie<br />
Information, Inspiration und Vernetzung<br />
für Fach- und Führungskräfte in der Industrie<br />
Praxiswissen über alle Kanäle:<br />
Fachzeitschriften, Websites, Newsletter,<br />
Whitepaper, Webinare, Events<br />
Ihr kompetenter Partner für die<br />
Zukunftsthemen der Industrie<br />
2 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022<br />
Die passenden Medien für Sie<br />
und Ihre Branche:<br />
konradin.de/industrie<br />
media.industrie.de
» EDITORIAL<br />
Umdenken gefordert<br />
Die Abhängigkeit von China sowohl als <strong>Beschaffung</strong>s- wie auch als Absatzmarkt<br />
ist im vergangenen Jahrzehnt enorm gewachsen. Die schwächelnde<br />
Wirtschaft im Reich der Mitte, logistische Herausforderungen im Welthandel<br />
und geopolitische Spannungen haben zuletzt jedoch zu einem Umdenken geführt.<br />
Aber wie befreit man sich aus dieser Abhängigkeit? Dieser Frage geht<br />
unser wissenschaftlicher Berater Prof. Dr. Robert Fieten ab Seite 18 nach.<br />
Um zukünftig die Versorgung mit kritischen Rohstoffen – insbesondere mit<br />
Blick auf die Energiewende – gewährleisten zu können, wird eine stärkere<br />
Diversifizierung im Sourcing jedoch unumgänglich sein. Dabei kommt auch<br />
das neue Lieferkettengesetz zum Einsatz. Wie sich Unternehmen darauf<br />
vorbereiten können und wie sich der Krieg in der Ukraine auf das neue Gesetz<br />
auswirkt, lesen Sie ab Seite 30.<br />
Das sind aber nicht die einzigen Hürden, die sich <strong>aktuell</strong> für Einkaufsorganisationen<br />
stellen. Auch der stark gestiegene Kostendruck beschäftigt<br />
Einkäuferinnen und Einkäufer. Ein Treiber hierbei ist die Inflation. „Die<br />
heutige Management-Generation hat keine Erfahrung mit der Inflation“, sagt<br />
Prof Dr. Dr. Hermann Simon, Experte für Preis- und Gewinnmanagement, und<br />
erklärt im Interview, worauf es im Einkauf jetzt ankommt (S. 26).<br />
Welche Rolle Analyse-Tools inzwischen spielen – sowohl für den Einkauf als<br />
auch für die Lieferanten–, erläutert der geschäftsführende Gesellschafter des<br />
C-Teile-Spezialisten Keller & Kalmbach Dr. Florian Seidl im Gespräch mit der<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> ab Seite 38. Welche Tools es darüber hinaus gibt und wie<br />
Start-ups aus dem Bereich „ProcureTech“ die <strong>Beschaffung</strong> in wichtigen<br />
Bereichen verändern könnten, lesen Sie ab Seite 28.<br />
Auch die Energieversorgung spielt weiterhin eine große Rolle in den<br />
Planungen der Unternehmen und der Verantwortlichen. Ab Seite 52 erfahren<br />
Sie, wie eine entsprechende Strategie aussehen kann und welche<br />
Ansatzpunkte bei der Energiebeschaffung und -effizienz wirksam sind.<br />
Yannick Schwab,<br />
Redakteur der <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong><br />
yannick.schwab@konradin.de<br />
Folgen Sie uns auch auf diesen Kanälen:<br />
LinkedIn:<br />
bit.ly/3qWWwAb<br />
Xing:<br />
bit.ly/37ZB8Bu<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022 3<br />
info@lederer-online.com
» INHALT 7-8 | 2022 69. JAHRGANG<br />
Dr. Florian Seidl,<br />
geschäftsführender<br />
Gesellschafter,<br />
Keller & Kalmbach,<br />
im Interview.<br />
TITELSTORY<br />
Analysetools im<br />
C-Teile-<br />
Management<br />
» Seite 38<br />
Bild: Keller & Kalmbach<br />
MAGAZIN<br />
BEMI, ArGeZ-Zulieferer-Geschäftsklima und<br />
HWWI-Rohstoffpreisindex 08<br />
Stahlpreisentwicklung<br />
Die <strong>aktuell</strong>e Lage am Stahlmarkt 12<br />
MANAGEMENT<br />
Dr. Marcell Vollmer<br />
Digitalisierung der Prozesse in Kliniken<br />
und Pflegeeinrichtungen 14<br />
China-Sourcing auf dem Prüfstand<br />
China – vom gelobten Land zum Klumpenrisiko 18<br />
Herausforderungen und die Lösungen<br />
Next Generation Procurement – was muss<br />
sich im Einkauf ändern? 22<br />
Lokal einkaufen<br />
Unterstützung beim Einkauf aus der Region 25<br />
Prof. Dr. Hermann Simon<br />
Die Inflation schlagen 26<br />
Automatisierung, Analytik und Nachhaltigkeit<br />
Wie Start-ups die <strong>Beschaffung</strong> verändern 28<br />
Expertentipps zur Einführung des LkSG<br />
Wie können sich Unternehmen vorbereiten? 30<br />
Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz<br />
LkSG – welche Auswirkungen hat der Ukraine-Krieg? 32<br />
Umweltfreundlichkeit bei Textilien nachweisen<br />
Nachhaltige Kleidung verlangt<br />
transparente Wertschöpfungsketten 34<br />
Consulting Benchmark 2022<br />
Mehr Transparenz im Einkauf<br />
von Beratungsleistungen 36<br />
C-TEILE-MANAGEMENT<br />
TITEL<br />
Dr. Florian Seidl, Keller & Kalmbach<br />
Die Analyse wird immer wichtiger 38<br />
Prozessoptimierung mittels E-Procurement<br />
Maschinenbauer beschleunigt<br />
seine indirekte <strong>Beschaffung</strong> 42<br />
Intelligente Versorgungskonzepte<br />
Persönliche Schutzausrüstung von Kopf bis Fuß 44<br />
FUHRPARK<br />
Alternative Mobilitätslösung<br />
Diensträder erobern deutsche Flotten 46<br />
Fuhrpark-Einkauf<br />
Limits lösen keine Probleme 48<br />
Charging as a Service<br />
Ladeinfrastruktur leicht gemacht 51<br />
ENERGIE<br />
Wirksame Ansatzpunkte bei der Energiebeschaffung<br />
Mit einer Energiestrategie zu mehr Sicherheit 52<br />
Mehr Transparenz für Energiedaten<br />
Kein Kilowatt zu viel 54<br />
4 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022
Bild: ardasavasciogullari/stock.adobe.com<br />
„Um die Gesamtsituation beurteilen zu können, müssen<br />
Unternehmen mit dem inflationsbereinigten Umsatz und Gewinn<br />
kalkulieren .“ Prof. Dr. Hermann Simon.<br />
» Seite 26<br />
BETRIEB<br />
Sicherheitskonzepte<br />
Die Prüfpflicht von Regalen erfüllen 56<br />
Pharmazeutische Produktion<br />
Geschützt bei jeder Gelegenheit 58<br />
BME<br />
Rückblick: 13. BME-eLösungstage<br />
#skillup4digital: Digitalisierung im Einkauf<br />
schreitet voran 60<br />
KARRIERE<br />
Berufsbegleitendes Coaching<br />
Nachhaltiges Krisenwissen durch<br />
Mentoring-Modell etablieren 62<br />
Buchrezension<br />
Rohstoffmacht Russland 64<br />
Kurzrezensionen 65<br />
RUBRIKEN<br />
Editorial 03<br />
Inserentenverzeichnis, Vorschau, Impressum 66<br />
Meinung<br />
Neue Helden – Einkäufer und Supply Manager?! 67<br />
Mehrsprachige<br />
Katalogproduktion<br />
Für die Produktion Ihrer mehrsprachigen oder versionierten<br />
Kataloge sind wir bestens gerüstet – speziell wenn es<br />
um das Know-how beim Projektmanagement Ihrer hochkomplexen<br />
Aufträge geht.<br />
Individuelle Tools, die perfekt auf Ihr Projekt abgestimmt sind,<br />
beschleunigen und vereinfachen den Gesamtprozess.<br />
Wir können viel für Sie tun, sprechen Sie uns an.<br />
FOLGEN SIE UNS AUCH AUF DIESEN KANÄLEN:<br />
LinkedIn:<br />
bit.ly/3qWWwAb<br />
Xing:<br />
bit.ly/37ZB8Bu<br />
druck@konradin.de<br />
www.konradindruck.de<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022 5<br />
katalog_V1_92x270_4c.indd 1 22.10.20 16:00
» MAGAZIN<br />
Deutschlands Abhängigkeit von Rohstoffimporten<br />
Anfällige Lieferketten bei neun kritischen Mineralien<br />
Bild: ebenart/stock.adobe.com<br />
Bei vielen Technologien wie Batterietechnik,<br />
Robotik und erneuerbaren Energien<br />
ist Deutschland von importierten Rohstoffen<br />
abhängig. „Dringender Handlungsbedarf<br />
für krisensichere Lieferketten<br />
besteht bei neun kritischen Mineralien,<br />
das sind Kobalt, Bor, Silizium, Graphit,<br />
Magnesium, Lithium, Niob, Seltene Erden<br />
und Titan. Hier sind mehr Bezugsquellen<br />
nötig, um die Lieferketten widerstandsfähiger<br />
zu machen“, fasst Lisandra Flach,<br />
Leiterin des Ifo-Zentrums für Außenwirtschaft,<br />
das Ergebnis einer Studie im Auftrag<br />
der IHK für München und Oberbayern<br />
zusammen. Lieferkettenstörungen<br />
sind laut der Studie bei den genannten<br />
Rohstoffen besonders problematisch, da<br />
alternative Quellen nur langfristig erschlossen<br />
werden könnten. Dies sei eine<br />
Lektion der jüngsten Versorgungsnotlagen<br />
im Zuge der Coronapandemie und<br />
geopolitischer Krisen wie dem Ukraine-<br />
Krieg. Studienautorin Flach betont, dass<br />
bei sieben der neun besonders kritischen<br />
Rohstoffe China einer der größten Anbieter<br />
am Weltmarkt ist, teilweise in marktdominierender<br />
Position. Dies spreche für<br />
eine schnelle Verstärkung bereits bestehender<br />
Handelsbeziehungen zu anderen<br />
Ländern, darunter Thailand und Vietnam<br />
für die Seltenen Erden, aber auch Argentinien,<br />
Brasilien, USA und Australien für<br />
andere kritische Rohstoffe. (ys)<br />
Maschinenbau in Deutschland<br />
Erwartungen wieder schlechter<br />
Managementberatung<br />
Consulting-Markt zeigt<br />
sich erholt<br />
Bild: Ifo-Institut<br />
Geschäftsentwicklung im deutschen Maschinenbau.<br />
Die Erwartungen der Maschinenbauer für ihr Geschäft in den kommenden<br />
sechs Monaten sind gesunken. Der Wert stand im Juni bei -23,3 Punkten,<br />
nach -17,9 im Mai. Das geht aus einer Umfrage des Ifo-Instituts hervor.<br />
„Der Einbruch der Erwartungen dürfte zurückzuführen sein auf die andauernden<br />
Materialengpässe und die Unsicherheit über die gesamtwirtschaftliche<br />
Entwicklung angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine“, sagt<br />
Nicolas Bunde, Branchenexperte am Ifo-Institut. Über 90 Prozent der<br />
Maschinen bauer meldeten einen Mangel an Vorprodukten. Auch der Fachkräftemangel<br />
ist wieder ein zunehmendes Problem, gaben 39 Prozent der<br />
Unternehmen an. Ihre Geschäftslage bewerten die Maschinenbauer etwas<br />
schlechter, aber immer noch positiv. Der Wert fiel auf +39,9 Punkte, nach<br />
+40,5. Der Auftragsbestand hat eine Reichweite von 6,5 Monaten. Die Auftragsbücher<br />
sind damit so voll wie nie. (ys)<br />
Die 20 größten Managementberatungen<br />
mit Hauptsitz in Deutschland erzielten im<br />
Geschäftsjahr 2021 ein Umsatzwachstum<br />
von 16,6 Prozent, so eine Lünendonk-<br />
Studie vom Juni. Im Geschäftsjahr 2020<br />
gingen die Gesamtumsätze im Mittel<br />
noch um 6,8 Prozent zurück – nach über<br />
zehn Jahren Wachstum in Folge. Die führenden<br />
internationalen Beratungskonzerne<br />
legten im Durchschnitt um 13,1 Prozent<br />
zu (2020: 1,6 %). Herausforderungen wie<br />
der Ukraine-Krieg, steigende Energie- und<br />
Herstellungskosten sowie die damit<br />
verbundene Inflation beeinflussen die<br />
Umsatzprognosen der führenden<br />
Manage mentberatungen kaum: Die deutschen<br />
Top 20 planen im Geschäftsjahr<br />
2022 ein Wachstum von 15,4 Prozent, die<br />
internationalen Consultants um 11,5 Prozent.<br />
„Die überdurchschnittlichen Wachstumszahlen<br />
müssen vor dem Hintergrund<br />
des deutlichen Umsatzrückgangs in 2020<br />
eingeordnet werden“, so Lünendonk-Geschäftsführer<br />
Jörg Hossenfelder. (ys)<br />
6 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022
Weiterhin Staus in der Nordsee<br />
Leichte Entspannung im Welthandel erkennbar<br />
Der globale Handel zeigt eine leicht positive<br />
Tendenz . Das geht aus den jüngsten Daten des Kiel<br />
Trade Indicator hervor. Laut dem IfW Kiel steht der<br />
Welthandel im Juni im Vergleich zum Vormonat mit<br />
0,4 Prozent im Plus (preis- und saisonbereinigt). Für<br />
Deutschland zeigen die Werte einen Zuwachs bei<br />
den Importen an (+2,5 %) und eine rote Null bei den<br />
Exporten (-0,1 %). In der EU zeichnen sich nur<br />
moderate Veränderungen sowohl bei den Exporten<br />
(-0,5 %) als auch Importen (+0,8 %) ab. Etwas eindeutiger<br />
fallen die Signale der USA aus, sowohl<br />
Exporte (+3,2 %) als auch Importe (+1,1 %) sind mit<br />
einem Plus versehen. Auch für Chinas Handel sind<br />
die Vorzeichen bei Exporten (+1,7 %) und Importen<br />
(+4,0 %) positiv. Die Auswertung weist für Russland<br />
im Juni eine schwarze Null im Export (+0,3 %) und einen abermaligen<br />
Rückgang im Import (-5,8 %) aus.<br />
Die Staus von Containerschiffen in der Nordsee halten an und<br />
sind in der Tendenz steigend, über zwei Prozent der globalen<br />
Frachtkapazität stehen dort still und können weder be- noch<br />
entladen werden. Auch vor Shanghai und Zhejiang wächst die<br />
curecomp-Anzeige2indd.pdf - Juli 11, 2022 x<br />
Bild: Armin Lehnhoff/stock.adobe.com<br />
Warteschlange, über vier Prozent der globalen Frachtkapazität<br />
stecken hier fest. Auf dem Roten Meer, der wichtigsten Handelsroute<br />
zwischen Europa und Asien, sind über 20 Prozent weniger<br />
Containerschiffe unterwegs, als unter normalen Umständen zu<br />
erwarten wären. So groß war die Lücke zuletzt nach Ausbruch<br />
der Coronapandemie vor zwei Jahren. (ys)<br />
Die Grenze<br />
der Workflow-Engine<br />
ist die Kreativität<br />
des Anwenders!<br />
curecomp.com/clevermanage<br />
Warengruppenspezifizierung<br />
Lieferantenaudit<br />
Verbesserungsvorschläge<br />
Erstmuster-<br />
Prüfbericht<br />
Fertigungsmöglichkeiten<br />
Finanzdaten<br />
Complianceprüfung<br />
Vertragsabschluss<br />
Dokumentengenehmigung<br />
Kapazitätsabfrage<br />
Reklamationsberichte<br />
Maßnahmenverfolgung<br />
Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz<br />
Risikomanagement<br />
Terminvereinbarung<br />
8D-Report<br />
Dokumentenaustausch<br />
Langzeitlieferantenerklärung<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022 7
» MAGAZIN<br />
Einkaufsmanagerindex EMI<br />
Rückgang der Neuaufträge beschleunigt sich<br />
Das verarbeitende Gewerbe in Deutschland<br />
erlebte ein schwieriges Ende des<br />
zweiten Quartals, wie die jüngsten Umfrageergebnisse<br />
zeigen. Das Minus bei<br />
den Auftragseingängen fiel angesichts<br />
der stark rückläufigen Nachfrage noch<br />
größer aus und auch die Produktion ging<br />
wieder zurück. Zudem blicken immer<br />
mehr Firmen aufgrund der hohen Infla -<br />
tion, der anhaltenden Lieferprobleme und<br />
der sinkenden Neuaufträge pessimistisch<br />
in die Zukunft. Des Weiteren schwächten<br />
sich die Inflationsraten sowohl der Einkaufs-<br />
als auch der Verkaufspreise den<br />
zweiten Monat in Folge ab, blieben aber<br />
auf hohem Niveau. Ursache war, dass der<br />
Druck auf die Lieferketten etwas nachließ.<br />
Der saisonbereinigte S&P Global/<br />
BME Einkaufsmanagerindex ist der nied-<br />
rigste Wert seit fast zwei Jahren. Über der<br />
Referenzlinie von 50,0 Punkten blieb der<br />
EMI dabei wegen der guten Indexwerte<br />
für Beschäftigung, Vormateriallager so-<br />
Bild: S&P Global/BME<br />
wie Lieferzeiten. Letztere verlängerten<br />
sich so geringfügig wie seit Februar nicht<br />
mehr. (ys)<br />
HWWI-Rohstoffpreisindex<br />
Kein weiterer Anstieg der Rohstoffpreise<br />
Der HWWI-Rohstoffpreisindex fiel im Mai im Vergleich zum Vormonat um<br />
durchschnittlich 2,7 Prozent. Von den drei im Gesamtindex abgebildeten<br />
Teilindizes sanken im Mai der Index für Industrierohstoffe um 8,2 Prozent<br />
und der Index für Energierohstoffe um 2,2 Prozent. Der Index für Nahrungsund<br />
Genussmittel stieg nur leicht um 0,3 Prozent. Die Rückgänge müssen<br />
vor dem Hintergrund des nach wie vor sehr hohen Preisniveaus gesehen<br />
werden. Der Gesamtindex liegt demnach 76,1 Prozent über dem Wert vom<br />
Mai 2021. Der Rohölpreis stieg im Mai gegenüber dem Vormonat wieder um<br />
5,8 Prozent an. Im Vergleich zum Mai 2021 ist der Index um 64,6 Prozent<br />
gestiegen. Auch der Kohlepreis stieg im Mai wieder an (+23,2 %) und lag<br />
damit um 271 Prozent über dem Wert des Vorjahreszeitraums. Der Gaspreis<br />
hingegen sank im Mai um 20,3 Prozent. Dieser liegt damit derzeit um 141,5<br />
Prozent über dem Wert von Mai 2021. (ys)<br />
Bild: DimaBerlin/stock.adobe.com<br />
ArGeZ-Zulieferer-Geschäftsklima<br />
Notfallplan Gas führt zu<br />
Verunsicherung<br />
Nach drei Monaten mit negativen<br />
Salden punkten konnte das Geschäfts -<br />
klima der deutschen Zulieferer im Juni<br />
erstmals seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs<br />
mit 3,6 Punkten wieder leicht positiv abschließen,<br />
so das Ifo-Institut München.<br />
Sowohl die Bewertung der <strong>aktuell</strong>en Lage<br />
als auch die Erwartungen auf Sicht der<br />
kommenden sechs Monate fielen im Vergleich<br />
zum Mai leicht verbessert aus. Mit<br />
Abschluss der Erhebung zeigt sich aber<br />
mit der Verkündung der Alarmstufe des<br />
Notfallplans Gas eine neue Verunsicherungsspitze.<br />
Ein weiterer Aspekt sind die korrigierten<br />
Szenarien im Fahrzeugbau. Für nahezu<br />
alle wesentlichen Länder und Regionen<br />
sind die Prognosen für das laufende Jahr<br />
gekappt worden. Auch diese Anpassungen<br />
sind erst publiziert worden, nachdem die<br />
Umfrage größtenteils durchgeführt war.<br />
Laut der Arbeitsgemeinschaft Zulieferindustrie<br />
bleibt zu befürchten, dass es im<br />
Juli zu einem spürbaren negativen Rückprall<br />
kommen wird. (ys)<br />
8 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022
Technologie-Wirrwarr in vielen Unternehmen<br />
Risikomanagement an Digitalisierung anpassen<br />
VERBINDUNGSELEMENTE<br />
& BEFESTIGUNGSTECHNIK<br />
Pandemie, stockende Lieferketten und der<br />
Krieg in der Ukraine: Vier von fünf Entscheidern<br />
(79 %) weltweit haben große<br />
Schwierigkeiten, das Risikomanagement<br />
den Krisen und Transformationen anzupassen.<br />
Zwar erhöhen 65 Prozent der<br />
Führungskräfte ihr Budget für neue Technologien.<br />
Doch es gelingt bislang nur wenigen,<br />
das Risikomanagement erfolgreich<br />
zu modernisieren und fundierte, risiko -<br />
basierte Strategieentscheidungen zu treffen.<br />
Das ist das Ergebnis der Global Risk<br />
Survey von PwC, für die mehr als 3500<br />
Führungskräfte befragt wurden.<br />
Um mit den derzeitigen Transformationen<br />
und Krisen Schritt zu halten, müssen viele<br />
Organisationen ihr Risikomanagement<br />
modifizieren. Größter Hinderungsgrund<br />
ist derzeit, dass das Risikomanagement<br />
an vielen verschiedenen Stellen im Unternehmen<br />
erfolgt und nicht zentral ausgewertet<br />
wird. 75 Prozent der Befragten gaben<br />
zudem an, dass verschiedene Technologien<br />
im Einsatz sind, die nicht miteinander<br />
harmonieren. Die Studie zeigt zudem,<br />
mit welchen Schritten Unternehmen<br />
ihr Risikomanagement verbessern können.<br />
Dazu zählt, das zuständige Team agil<br />
aufzustellen und sämtliche Risikoerkenntnisse<br />
zentral zu bündeln und auszuwerten.<br />
Die Mehrheit der Befragten erhöht ihre<br />
Investitionen in digitale Technologien.<br />
Drei von vier Entscheidern setzen dabei<br />
auf Tools zur Datenanalyse (75 %), Prozessautomatisierung<br />
(74 %) sowie zur Erkennung<br />
und Überwachung von Risiken<br />
(72 %). Eine wichtige Rolle bei der Erkennung<br />
spielen sogenannte Key Risk Indicators<br />
(KRI). Beispiele für solche Indikatoren<br />
zur Überwachung des Ransomware-<br />
Risikos sind Phishing-Vorkommnisse, die<br />
Anzahl von Sicherheitslücken, Sicherheitsprobleme<br />
bei E-Mails oder geleakte<br />
Zugangsdaten. Zu den KRIs in der Lieferkette<br />
könnten Qualitätsbewertungen von<br />
Lieferanten, Vertragsverletzungen oder<br />
finanzielle Kennzahlen zählen. (ys)<br />
Mit über 130 Jahren<br />
Erfahrung zählt REYHER<br />
zu den führenden<br />
Handelsunternehmen für<br />
Verbindungselemente<br />
und Befestigungstechnik<br />
in Europa und beliefert<br />
Kunden weltweit.<br />
Halle 3.1 / Stand F96<br />
Automechanika<br />
13. bis 17.09.2022<br />
Halle 11.2 / Stand M011/L010<br />
Eisenwarenmesse<br />
25. bis 28.09.2022<br />
Status Quo im Mittelstand, Potenziale und Hürden<br />
Big-Data-Analysen haben noch Luft nach oben<br />
Vielen Klein- und mittelständischen<br />
Unternehmen fehlt es an Know-how, Zeit<br />
und den richtigen Technologien, um das<br />
Potenzial ihrer Daten zu nutzen. Das ergab<br />
eine Studie von Techconsult im Auftrag<br />
des Cloud-Anbieters Ionos. 17 Prozent<br />
aller untersuchten KMU schöpfen<br />
das Potenzial ihrer Daten nach eigenen<br />
Angaben voll aus. Knapp ein Viertel<br />
(24 %) der Befragten gibt an, bereits Big-<br />
Data-Analysen in der Praxis durchzuführen.<br />
Der Einsatz ist dabei abhängig von<br />
der Unternehmensgröße: fünf Prozent der<br />
Kleinstunternehmen mit bis zu neun Mitarbeitern<br />
setzen Big-Data-Analysen ein.<br />
Bei Unternehmen mit 50 bis 499 Mitarbeitern<br />
tut dies jedes Dritte (32 %).<br />
Besonders in Marketing, Produktion, Logistik<br />
und HR sehen die Befragten Potenzial.<br />
So sind mehr als die Hälfte aller Befragten<br />
(57 %) der Meinung, dass sich mit<br />
Big-Data-Analysen genaue Absatz- und<br />
Bedarfsplanungen ermitteln lassen. 48<br />
Prozent sehen Vorteile in der Analyse von<br />
Maschinendaten und Produktionsmengen<br />
in der Fertigung. 45 Prozent schreiben Big<br />
Data in der Logistik das Potenzial zu, Prozessabläufe<br />
zu verbessern sowie die Personaleinsatz-<br />
und Kapazitätsplanung zu<br />
steuern. HR-Mitarbeiter können überprüfen,<br />
ob die Mitarbeiter entsprechend ihrer<br />
Qualifikation eingesetzt sind oder wo es<br />
Optimierung bei Arbeitszeiten gibt<br />
(46 %). Gegen die grundsätzliche Nutzung<br />
von Big Data sprechen ein Mangel<br />
an Daten (55 %), fehlendes Know-how<br />
(17 %) und technische Ursachen wie veraltete<br />
IT-Architektur (11 %) oder zu wenig<br />
Rechenkraft (12 %). Wenn Daten erhoben<br />
werden, hakt es bei der Auswertung<br />
aus verschiedenen Gründen, z. B. eine<br />
zu geringe Datenqualität (37 %), Zeitmangel<br />
(26 %) oder fehlendes Personal<br />
mit entsprechenden Skills (19 %). (ys)<br />
Kanban-Behälter<br />
ROM | LTB<br />
Verwandlung vom Transportbehälter<br />
zum offenen<br />
Sichtlagerbehälter<br />
Geeignet für Schrägbodenund<br />
Fachboden-Regale<br />
Erhältlich in drei verschie-<br />
denen Abmessungen<br />
F. REYHER Nchfg. GmbH & Co. KG<br />
Haferweg 1 · 22769 Hamburg<br />
Telefon 040 85363-0<br />
kontakt@reyher.de<br />
www.reyher.de<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022 9
» MAGAZIN<br />
Nachfrage nach Laderaum steigt im zweiten Quartal<br />
Europas Transportmarkt im Ungleichgewicht<br />
Bild: Timocom<br />
Transportdienstleister<br />
legen die<br />
ohnehin knappen<br />
Transportkapazitäten<br />
still.<br />
Das verschärft<br />
das Ungleichgewicht,<br />
wie das<br />
Timocom-Transportbarometer<br />
zeigt, denn der<br />
Transportbedarf<br />
auf der Straße<br />
ist nach wie vor<br />
Verhältnis von Fracht und Laderaum im deutschen Inlandsverkehr.<br />
hoch. Während<br />
die Nachfrage<br />
Die Wirtschaft in Europa leidet unter weiter steigt, befeuern der Fahrermangel<br />
hohen Energiepreisen sowie steigenden und die Transportengpässe die Preis -<br />
Material- und Personalkosten. Die Auswirkungen<br />
auf den Straßengüterverkehr: ten zu Laderaumangeboten in Europa<br />
spirale. Das Verhältnis von Frachtangebo-<br />
ist<br />
in einem immensen Ungleichgewicht, das<br />
sich im Verlauf des zweiten Quartals<br />
deutlich abzeichnet. Das Verhältnis von<br />
Frachten zu angebotenem Laderaum in<br />
Europa lag im Juni durchschnittlich bei<br />
85:15. Innerhalb Deutschlands lag das<br />
Verhältnis im Durchschnitt bei 89:11.<br />
„Wir befinden uns in einem Auftragnehmer-Markt“,<br />
beschreibt Gunnar Gburek,<br />
Head of Business Affairs bei Timocom, die<br />
derzeitige Situation. „Die Bedeutung,<br />
kurzfristig Laderaum am Spotmarkt zu<br />
bekommen, hat trotz höherer Kosten zugenommen.<br />
Alle reden von Preisen, aber<br />
hier zeigt sich, dass die Verfügbarkeit von<br />
Transportkapazitäten <strong>aktuell</strong> wichtiger ist<br />
als ein günstiges Angebot.“ (ys)<br />
Lieferkettentransparenz<br />
Nachhaltigkeit mit<br />
Data Mining im Blick<br />
Ecovadis, Anbieter von Nachhaltigkeitsratings,<br />
hat die Übernahme von Ecotrek bekanntgegeben.<br />
Das in Berlin ansässige<br />
Start-up ermöglicht die Nachhaltigkeitsüberwachung<br />
von Lieferanten durch ihre<br />
Sustainability-Data-Mining-Technologie<br />
(SDM). Die SDM-Lösung erweitert die<br />
technischen Funktionen von Ecovadis um<br />
eine automatisierte Datenerfassung, Prüfung,<br />
Analyse und Klassifizierung der<br />
Nachhaltigkeitsinformationen von Unternehmen.<br />
Dies ermöglicht intelligentere<br />
und schnellere Voraussagen zur Optimierung<br />
von Strategien für das Nachhaltigkeitsrisikomanagement<br />
sowie eine verbesserte<br />
Qualität der Ratings bei gleichzeitiger<br />
Steigerung der Prozesseffizienz.<br />
Die kombinierte Produktsuite soll ein vollumfängliches<br />
Angebot bieten – von der<br />
Risikoklassifizierung und -überwachung<br />
bis hin zur Verbesserung der Nachhaltigkeitsleistung<br />
von Lieferanten. (ys)<br />
Luft- und Raumfahrt<br />
Neue CPO bei Beyond Gravity<br />
Am 1. November 2022 übernimmt Jingyuan<br />
Sun als neue Chief Procurement<br />
Officer (CPO) das Space und Group Procurement<br />
sowie die Logistik des Raumfahrtzulieferers<br />
Beyond Gravity an weltweit<br />
zwölf Standorten in sechs Ländern. Sun<br />
legt Wert auf strategisch langfristige<br />
Partnerschaften und digitale Prozesse in<br />
der Supply Chain. Weiter wird sie sich<br />
auch auf die Themen Business Intelligence<br />
und datenbasierte Analytik fokussieren.<br />
Seit 2011 ist Sun in verschiedenen<br />
Führungsrollen im Bereich Procurement<br />
für das Luftfahrtunternehmen SR Technics<br />
tätig, zuletzt als VP Customer Account<br />
Management & Invoicing.<br />
André Wall, CEO bei Beyond Gravity, freut<br />
sich über den Neuzugang in der Geschäftsleitung:<br />
„Es war mir ein Anliegen,<br />
das Procurement und die Logistik enger<br />
miteinander zu verbinden. Mit Jingyuan<br />
Sun gewinnen wir eine starke und erfahrene<br />
Führungspersönlichkeit, die das Procurement<br />
und die Logistik zum Rückgrat<br />
unseres Wachstums werden lässt.“ Die<br />
neue Einkaufsleiterin spricht fließend<br />
Chinesisch und Englisch. Sie studierte in<br />
Singapur und erwarb nach ihrem Master<br />
of Science in Industrial & System Engineering<br />
einen Global Executive MBA am<br />
Insead in Paris. (ys)<br />
Bild: Beyond Gravity<br />
10 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022
IFOY Award 2022<br />
Sechs Unternehmen ausgezeichnet<br />
Die Gewinner des IFOY Award 2022 wurden<br />
am 30. Juni in München ausgezeichnet.<br />
Den Award in der Kategorie „Special<br />
Vehicle“ holte sich Jungheinrich mit dem<br />
Doppelstock-Stapler ERD 220i. Das Fahrzeug<br />
setze neue Maßstäbe für einen<br />
sicheren , gut geschützten und dennoch<br />
sehr kompakten Elektrohubwagen, urteilte<br />
die Jury. Den Sieg in der Kategorie<br />
„Automated Guided Vehicle (AGV/AMR)“<br />
sicherte sich Locus Robotics. Mit dem<br />
prämierten kollaborativen AMR (Autonome<br />
Mobile Roboter) sollen Einzelhändler,<br />
Kontraktlogistiker und Industrieunternehmen<br />
ihre Effizienz verbessern können.<br />
Insgesamt drei junge Unternehmen hatten<br />
sich in diesem Jahr für die Endrunde<br />
in der Kategorie „Start-up of the Year“<br />
qualifiziert. Den Sieg trug am Ende das<br />
Münchner Start-up Noyes Technologies<br />
mit seinem automatisierten und flexiblen<br />
Nano-Logistiksystem<br />
Noyes Sto rage<br />
für die urbane<br />
Logistik davon. In<br />
der Kategorie „Robot“<br />
siegte die Firma<br />
Robominds mit<br />
dem KI-basierten<br />
robobrain.Neuros,<br />
einem herstellerneutralen<br />
und<br />
zuverlässigen Betriebssystem<br />
für die<br />
Robotik.<br />
In der Kategorie „Integrated Warehouse<br />
Solutions“ setzte sich SSI Schäfer mit seinem<br />
„IKEA Project Flat Pack Picking“<br />
durch. Mit Flat Pack Picking hat das Unternehmen<br />
eine automatisierte System -<br />
lösung für die sichere und volumenoptimierte<br />
Palettierung großer und schwerer<br />
Bild: IFOY Award<br />
Preisverleihung des IFOY Award 2022 in der BMW-Welt.<br />
Artikel umgesetzt. Portalroboter ermöglichen<br />
dabei die effiziente Handhabung<br />
eines heterogenen Artikelspektrums. Sieger<br />
in der Kategorie „Special of the Year”<br />
wurde in diesem Jahr Synaos mit seiner<br />
„Synaos IMS – Vehicle Localization“ zur<br />
Echtzeitlokalisierung von Transportfahrzeugen.<br />
(ys)<br />
Metallverarbeitung ist komplex<br />
genug. Da müssen es Ihre<br />
Lieferanten nicht auch noch sein.<br />
GMW – alles aus einer Hand.<br />
Die Gersfelder Metallwaren GmbH steht seit über 50 Jahren für innovative<br />
Fertigungslösungen von Montage- und Schweißbaugruppen, Draht- und Rohrbiegeteilen<br />
sowie Drehteilen. Wir begleiten Sie von Entwicklung über Prototyp<br />
bis Serienproduktion. GMW – alles aus einer Hand.<br />
www.gersfelder-metallwaren.de<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022 11
Stahlproduktion: Eine rotglühende<br />
Bramme wird verladen.<br />
Bild: StudioLaMagica/stock.adobe.com<br />
Stahlpreisentwicklung <strong>aktuell</strong> – eine Analyse<br />
Die <strong>aktuell</strong>e Lage am Stahlmarkt<br />
Der Krieg in der Ukraine und das Coronavirus beeinträchtigen nach wie vor die Wirtschaft<br />
– das gilt auch für stahlverarbeitende Unternehmen. Kommt es hier zu einem Produktionsrückgang,<br />
könnte das am Stahlmarkt für Entspannung sorgen. Aber auch in der Stahlherstellung<br />
werden rückläufige Mengen erwartet. Vorhersagen lassen sich so kaum treffen.<br />
Die Nachfrage im Automotiv-Bereich ist weiter<br />
auf äußerst geringem Niveau und wird vermutlich<br />
kurzfristig auch nicht ansteigen. Die ersten vier<br />
Monate des Jahres zeigten deutlich geringere Produktionsmengen<br />
als die ohnehin schon schwachen Vorjahre.<br />
Einerseits sorgt das für ein wenig Entspannung<br />
am Stahlmarkt, andererseits sollte uns das aus gesamtwirtschaftlicher<br />
Sicht durchaus Sorgen bereiten.<br />
In den anderen stahlverbrauchenden Sektoren wie<br />
dem Bau- und dem verarbeitenden Gewerbe oder<br />
auch dem Maschinen- und Anlagenbau herrscht indes<br />
weiterhin eine sehr gute Auftragslage (Stand 12.<br />
Mai 2022), die allerdings nach wie vor nicht in vollem<br />
Umfang umgesetzt werden kann. Bisher war das<br />
Kompetenzpartner<br />
Mehr zu den Themen Stahl und Stahlbeschaffung,<br />
insbesondere zu den Preisentwicklungen.<br />
www.stahl-kompakt.de<br />
der allgemeinen Versorgungslage auf dem Weltmarkt<br />
geschuldet. Insbesondere Elektronikelemente waren<br />
Mangelware und führten zu Produktionskürzungen.<br />
Dennoch war der Stahlverbrauch auf einem ordentlichen<br />
Niveau. Allerdings wäre ein noch deutlich<br />
höheres Potenzial vorhanden gewesen.<br />
Belastung für die Lieferketten<br />
Nach wie vor wird die Versorgungslage zusätzlich<br />
durch die Coronasituation in China belastet: Über<br />
Industrie regionen und wichtige Häfen werden immer<br />
wieder Lockdowns verhängt. Dringend benötigte<br />
Waren kommen nur langsam aus dem Land. Dazu<br />
kommt der Russland-Ukraine-Krieg, durch den diverse<br />
Lieferketten noch weiter gestört werden oder<br />
komplett ausfallen. Daher entsteht auf Nachfrageseite<br />
ein enormer Auftragsüberhang. Es bauen sich<br />
große Backlogs an später abzuarbeitenden Aufträgen<br />
auf. Dies wird vermutlich dazu führen, dass die Verknappung<br />
am Stahlmarkt noch länger anhalten wird,<br />
auch wenn die Lieferketten wieder in Schwung<br />
kommen . Der Grund: Der Stahlbedarf ist viel zu hoch.<br />
Bis diese Auftragsrückstände abgearbeitet sind und<br />
vielleicht wieder eine halbwegs ausgeglichene Situation<br />
zwischen Angebot und Nachfrage entsteht, wird<br />
es noch lange dauern. In 2022 wird dies aus Sicht<br />
von Stahlkompakt wohl nicht mehr passieren.<br />
12 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022
MAGAZIN «<br />
Der Außenhandel zeigte sich in den letzten Monaten<br />
demgegenüber sehr schwankend. Im Dezember 2021<br />
verzeichneten wir sogar einen Exportüberschuss. Januar<br />
und Februar 2022 ergaben dann Rekord-Importüberschüsse.<br />
Kurzfristig erwarten wir hier aber<br />
im Vergleich zur Produktion weniger starke Kriegseinflüsse<br />
auf die Importmengen. Produktionsseitig<br />
werden für das erste Quartal in Deutschland, aber<br />
auch global, schwächere Mengen erwartet.<br />
Der Einfluss des Krieges<br />
Bei den Auswirkungen des Krieges in der Ukraine sind<br />
verschiedene Faktoren zu betrachten:<br />
• Direkte Importe aus den betroffenen Ländern<br />
(Ukraine, Russland, Belarus), welche jetzt<br />
komplett wegbrechen; diese betreffen eher<br />
einfachere Sorten und Ausführungen.<br />
• Die Bedeutung der drei Länder zeigt sich, wenn<br />
sich der Blick vom Importanteil auf den Anteil an<br />
der generellen Marktversorgung in der EU richtet<br />
und die Vormaterialien für europäische Werke einbezogen<br />
werden; Importe dieser drei Länder sind<br />
nach Schätzung der Stahlkompakt-Partner direkt<br />
und indirekt für bis zu 20 Prozent der Marktversorgung<br />
in der EU-27 verantwortlich.<br />
• Zudem sind die Transportmöglichkeiten eingeschränkt:<br />
Speditionen und Lkw-Fahrer aus den<br />
betroffenen Ländern stehen nicht zur Verfügung;<br />
der Hafen von Odessa spielte eine wichtige Rolle<br />
für Importe aus Asien.<br />
Produktionsrückgang erwartet<br />
Der Einfluss des Krieges auf den Stahlmarkt ist im<br />
Moment nicht einheitlich abzuschätzen. In den<br />
stahlnachfragenden Branchen wird es wohl zu Produktionsrückgängen<br />
kommen. Der Stahlbedarf wird<br />
also sinken, was tendenziell zu niedrigeren Preisen<br />
und einer besseren Versorgung führt. Andererseits<br />
werden auch in der Stahlherstellung rückläufige<br />
Mengen erwartet, woraus sich tendenziell eine Verknappung<br />
und steigende Preise ergeben können. Wie<br />
hoch dieser Rückgang ausfällt, ist allerdings schwer<br />
einzuschätzen.<br />
Welcher dieser Effekte größer ist, kann nicht pauschal<br />
beantwortet werden. Hierfür muss der Einkauf<br />
sehr genau in die Marktsituation der zu beschaffen-<br />
Die Auftragsbücher im verarbeitenden Gewerbe sind voll.<br />
den Produktgruppen (Werkstoff, Format, Ausführung<br />
usw.) schauen. Im Ergebnis ließen sich bereits im<br />
März massive Preissteigerungen wahrnehmen. Dies<br />
ist sicherlich zum großen Teil den eingeschränkten<br />
Verfügbarkeiten geschuldet. Es wird aber auch ein<br />
„Angstzuschlag“ in den Preisen enthalten sein. Aus<br />
dem Markt ist zu hören, dass im Moment das Preis -<br />
niveau gehalten wird. „Es werden eher Projekte verschoben,<br />
als noch höhere Preise zu bezahlen“, so<br />
einer der Partner von Stahlkompakt.<br />
Es ist jedenfalls nicht seriös vorherzusagen, wie<br />
lange diese Situation anhält. Denn ...<br />
• ... es ist nicht genau abzusehen, wann die Lieferketten<br />
wieder richtig anlaufen und der genannte<br />
Rückstau an Aufträgen verstärkt abgearbeitet<br />
wird und sich so die Nachfrage erhöht.<br />
• ... der Aufbau alternativer Lieferquellen für ehemals<br />
ukrainische oder russische Vorprodukte der<br />
Stahlwerke ist im Gange. Aber wie lange es dauert<br />
und wie viele Mengen dadurch tatsächlich<br />
kompensiert werden können, ist unklar.<br />
• ... eventuell kommt es auch anders und wir<br />
steuern auf eine Rezession zu, weil Preise nicht<br />
mehr bezahlt werden können. Dann gehen die<br />
Stahlbedarfe möglicherweise stärker zurück.<br />
• ... Händler versuchen, fehlende Importmengen aus<br />
Russland durch Importe aus Asien zu kompensieren.<br />
Aber in welchem Umfang ist dies möglich und<br />
bis wann kommen diese Mengen bei uns an?<br />
• ... wie lange wird der Krieg dauern und wie lange<br />
werden die Sanktionen anhalten?<br />
Bild: Statistisches Bundesamt (Destatis)<br />
VERANTWORTUNG IST UNSER ANTRIEB.<br />
In Kooperation mit:<br />
klimaneutral.live<br />
RZ_GPAL_21-222_AZ_188x32_<strong>Beschaffung</strong>Aktuell_07_08.indd 1 29.06.22 15:27<br />
29.06.22 15:27<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022 13
MANAGEMENT » Interview<br />
Interview mit Dr. Marcell Vollmer, CEO der Prospitalia-Gruppe<br />
Digitalisierung der Prozesse in<br />
Kliniken und Pflegeeinrichtungen<br />
Seit Januar 2022 verantwortet Dr. Marcell Vollmer als CEO die Geschicke der Prospitalia-<br />
Gruppe, einem Einkaufsdienstleister für Kliniken, Klinik apotheken und Pflegeeinrichtungen.<br />
Der Top-Manager soll das Unternehmen zu einem wesentlichen Baustein für die Digitalisierung<br />
der deutschen Krankenhauslandschaft weiterentwickeln .<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong>: Wir beide haben<br />
über viele Jahre hinweg eine Reihe<br />
von Gesprächen geführt – bei SAP, Celonis<br />
und Boston Consulting. Immer<br />
ging es um die Steuerung von Supply<br />
Chains. Nun haben Sie die Gesamtverantwortung<br />
für eine Unternehmensgruppe<br />
übernommen. Das ist ein durchaus<br />
bemerkenswerter Karriereschritt.<br />
Marcell Vollmer: Dinge bewegen sich.<br />
Ich hätte das vor ein paar Monaten auch<br />
noch nicht gedacht. Ich bin davon überzeugt:<br />
Man muss zum richtigen Zeitpunkt<br />
bereit sein für neue Herausforderungen.<br />
Wer mich kennt,<br />
weiß, dass ich die Dinge mit<br />
ganzem Herzen und voller<br />
Kraft tue. Ich habe hier die<br />
sensationelle Möglichkeit, als<br />
CEO alle Bereiche zusammenzubringen,<br />
die ich vorher in<br />
unterschiedlichen Rollen bearbeitet<br />
habe – also etwa die Transformation<br />
des Einkaufs, die Umsetzung von Procure-to-Pay-<br />
und Post-Merger-Projekten.<br />
Die Gesundheitsbranche ist neu für Sie.<br />
Das war der Bereich Procurement auch,<br />
als Sie, aus dem Finanz bereich bei SAP<br />
kommend, dort im Jahr 2011 zum CPO<br />
berufen wurden. Was wird jetzt konkret<br />
von Ihnen erwartet?<br />
Vollmer: Ich habe immer Herausforderungen<br />
angetragen bekommen, für die es<br />
keine konkreten Job-Beschreibungen gab.<br />
Es gilt für mich jetzt, die unterschiedlichen<br />
Unternehmen unserer Gruppe über<br />
Dr. Marcell Vollmer<br />
»Medienbrüche und damit<br />
einhergehende Datensilos sind der<br />
Grund für Intransparenz und<br />
Verschwendung wertvoller Zeit.«<br />
unsere eigene IT-Landschaft hinweg<br />
besser zu vernetzen. Wir wollen aus den<br />
bestehenden einzelnen Paketen wie Pro -<br />
curement , digitale und analytische<br />
Lösungen sowie Beratung ein integriertes<br />
Angebot für unsere Kunden schaffen.<br />
Wie weit ist die Digitalisierung in den<br />
Kliniken vorangeschritten?<br />
Vollmer: Die ist, wie in anderen Branchen<br />
und Unternehmen auch, sehr unterschiedlich<br />
ausgeprägt. Das Mindset in den<br />
Einrichtungen spielt auch hier eine große<br />
Rolle. Es gibt rund 1900 Krankenhäuser in<br />
Deutschland. Über 600 davon sind bereits<br />
Bild: Prospitalia<br />
Prospitalia-Kunden. Die unterstützen wir<br />
mit Einkauf, Verbrauchs- und Erlösma -<br />
nagement, Daten- und Informationstransfer,<br />
Analytik und Beratung – alles auf digitaler<br />
Basis. Wir sind davon überzeugt, dass<br />
die Digitalisierung in den Krankenhäusern<br />
in den kommenden Jahren einen massiven<br />
Schub machen wird – und wir wollen an<br />
verschiedenen Stellschrauben drehen, bis<br />
hin zur Künstlichen Intelligenz und Machine<br />
Learning, um die Krankenhäuser auf ihrem<br />
Weg zu unterstützen. Unser Ziel ist es,<br />
Prospitalia zu einem Baustein für die Digitalisierung<br />
der deutschen Krankenhauslandschaft<br />
zu machen.<br />
Dazu kombinieren wir umfangreiche<br />
Erfahrung im Einkaufswesen<br />
mit Akquisitionen im<br />
Bereich der digitalen und Beratungsdienstleistungen.<br />
Es gibt<br />
aber noch viele andere Bereiche,<br />
wo Digitalisierung für<br />
Mehrwert sorgen könnte, etwa Telemedizin<br />
oder Informationstransfer zum Patienten.<br />
Man könnte viele längst bekannte Daten<br />
nutzen und sie auch den Patienten<br />
verfügbar machen, alles selbstverständlich<br />
unter Datenschutzgesichtspunkten. Hier<br />
gibt es noch viel zu diskutieren und endlich<br />
auch entsprechend anzupacken.<br />
Was bietet die Prospitalia-Gruppe den<br />
Einrichtungen derzeit?<br />
Vollmer: Wir schaffen die nötige Transparenz<br />
für mehr Effizienz und Effektivität.<br />
Etabliert ist mit dem Prospitalia-Marktplatz<br />
eine Plattform, über die alles be-<br />
14 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022
Dr. Marcell Vollmer ist der neue CEO der Prospitalia-Gruppe. Er verfügt über umfassende globale Führungserfahrung in den Bereichen digitale<br />
Transformation und Einkauf sowie eine überzeugende Erfolgsbilanz bei der nachhaltigen Umsatzsteigerung im Bereich Unternehmenssoftware.<br />
Bild: Prospitalia<br />
schafft werden kann, was ein Krankenhaus<br />
an Artikeln benötigt – von Herzkathetern,<br />
Hüftprothesen und Kniegelenken<br />
über medizinische Verbrauchsmaterialien<br />
wie Spritzen, Kanülen und Tupfern bis zu<br />
kapitalintensiven Produkten wie MRT-Geräten.<br />
Mit Wawibox in Heidelberg besetzen<br />
wir seit 2020 das Thema Digitalisierung<br />
der Warenwirtschaft in Zahnarztpraxen<br />
und Dentallaboren. Von Implantaten<br />
bis Verbrauchsmaterialien lässt sich<br />
über diese Plattform alles digital bestellen.<br />
Mit Procare Management bieten wir<br />
eine Plattform für Lebensmittel. Zielgruppe<br />
sind die Verantwortlichen für Kantinen<br />
in Kliniken, Seniorenheimen und in anderen<br />
Branchen. Wir kaufen zu den möglichst<br />
besten Konditionen via Plattform<br />
ein, berechnen die jeweiligen Speisepläne<br />
und können sagen, was an Mengen gebraucht<br />
wird bzw. was noch als Bestand<br />
lagerseitig vorrätig ist. Ins System fließen<br />
auch Angaben zu Allergien, Kalorienwerten,<br />
Nachhaltigkeitsfaktoren und andere<br />
Besonderheiten ein. Mit unserer analytischen<br />
Lösung für OP-Säle lässt sich ein<br />
komplexer Prozess überwachen und steuern,<br />
etwa wann Patienten ankommen,<br />
wann die Arbeit der Anästhesisten und<br />
Chirurgen beginnt, welche Materialien zu<br />
welchem Zeitpunkt aus dem Lager der<br />
Einrichtung just in time anzuliefern sind<br />
und was durch uns nachzubeschaffen ist.<br />
Ich habe gehört, dass Sie persönlich<br />
auch schon im OP-Saal dabei waren?<br />
Vollmer: Ich habe mir in Kiel am Universitätsklinikum<br />
Schleswig-Holstein vor Ort<br />
angeschaut, wie das Fallwagenkonzept<br />
umgesetzt und entsprechend für eine OP<br />
vorbereitet wird. Dann wird gescannt,<br />
was im individuellen Fall zusätzlich benö-<br />
1793053-1.PDF - Januar 5, 2022 x<br />
Mikro-Schlauchverbinder für<br />
die Analytik und Labortechnik<br />
www.rct-online.de<br />
Mikro-Schlauchverbinder<br />
und Verschraubungen<br />
• Viele Ausführungen und Verbindungsmöglichkeiten<br />
Luer-Lock-Adapter, Schlauchtüllen, Schlauchverschraubungen,<br />
Tri-Clamp-Verbinder, Kapillar-Verbinder, Steckverbinder<br />
• Gefertigt aus hochwertigen Werkstoffen<br />
Fluorkunststoffe, Edelstähle, Polyolefine, Polyamide u.v.m.<br />
• Chemikalienresistent, temperaturbeständig und sterilisierbar<br />
Mit Zulassungen nach FDA und USP Class VI<br />
Reichelt<br />
Chemietechnik<br />
GmbH + Co.<br />
Englerstraße 18<br />
D-69126 Heidelberg<br />
Tel. 0 62 21 31 25-0<br />
Fax 0 62 21 31 25-10<br />
rct@rct-online.de<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022 15
MANAGEMENT » Interview<br />
tigt wird. Unsere Lösung erfasst zudem<br />
Daten und Informationen in Sachen Warenlager<br />
und Abrechnungssystem mit den<br />
Krankenkassen. Wir visualisieren den gesamten<br />
Prozess von der Aufnahme des<br />
Patienten bis zu seiner Entlassung, natürlich<br />
unter Datenschutzgesichtspunkten.<br />
Aus all diesen Erkenntnissen heraus ergeben<br />
sich dann für uns zuweilen auch Beratungsaufgaben<br />
zur Optimierung, Steuerung,<br />
Restrukturierung oder auch den<br />
Einsatz von Interim-Managern.<br />
Was will die Prospitalia-Gruppe mit<br />
Ihrer Hilfe in Zukunft anstoßen?<br />
Vollmer: Wir überlegen generell: Wie<br />
lassen sich alle Einkaufsdaten mit anderen<br />
analytischen Informationen<br />
intelligent verbinden? Wir<br />
wollen die gesamte Erfahrungswelt<br />
der Patienten verbessern.<br />
Dazu gehört auch,<br />
dass medizinisches Personal<br />
wesentliche Informationen<br />
nur einmal einzugeben<br />
braucht. Derzeit geschieht das noch an<br />
diversen Orten, was unproduktiv und nervig<br />
für alle Beteiligten ist. Medienbrüche<br />
und damit einhergehende Datensilos sind<br />
ja der Grund für Intransparenz und Verschwendung<br />
wertvoller Zeit. Entscheidender<br />
ist aber die Frage, ob alle meine<br />
Gesundheitsdaten bei allen Ärzten dezentral<br />
lagern oder ob man sie zentral steuern<br />
und pflegen kann.<br />
Sie analysieren auch Verbräuche. Welche<br />
Erkenntnisse haben Sie?<br />
Vollmer: Ja, die können wir selbstverständlich<br />
benchmarken. Ein Beispiel sind<br />
»Wie lassen sich alle Einkaufsdaten<br />
mit anderen analytischen<br />
Informationen intelligent verbinden?«<br />
Anker, die bei Schulteroperationen gesetzt<br />
werden. Die kosten einzeln etwa<br />
230 Euro. Wir wissen aus Erfahrung, dass<br />
manche Ärzte viele Anker setzen oder immer<br />
die teuersten Produkte verwenden,<br />
obwohl preiswertere und weniger Anker<br />
bei gleicher Qualität verwendet werden<br />
könnten. Die Anzahl ist dabei natürlich<br />
immer in Relation zur jeweiligen Verletzung<br />
und der Operationsmethode zu setzen.<br />
Wir zeigen durch unsere analytischen<br />
Lösungen Tendenzen auf und generieren<br />
über die reinen Einkaufskosten hinaus<br />
Muster zu den Operationen selbst.<br />
Daraus können Kliniken, Praxen und einzelne<br />
Ärzte Schlüsse ziehen und gegebenenfalls<br />
ihre Behandlungsmethoden anpassen.<br />
Darüber hinaus können wir mit<br />
unseren medizinischen Doktoren die<br />
Fachärzte auch praktisch beraten.<br />
Sie verhandeln mit den Lieferanten Ihrer<br />
Plattformen Preise. Was geht über Bündelung<br />
hinaus?<br />
Vollmer: Wir schließen Verträge mit einem<br />
oder mehreren Lieferanten, zum Beispiel<br />
für Kanülen. Wir suchen den Supplier<br />
aus, verhandeln alle Preise und Rabatte<br />
komplett. Das entlastet den Einkauf<br />
auf unserer Kunden- bzw. Klinikseite. In<br />
manchen Fällen werden uns bestimmte<br />
Lieferanten auch mal vorgegeben. Das<br />
Angebot bilden wir via Plattform über<br />
Kataloge ähnlich wie bei Amazon ab. Die<br />
Basiskonditionen sind für alle Kunden<br />
meist gleich, Differenzierungen gibt es<br />
bei den abgenommenen Volumina. Das<br />
Krankenhaus weiß, was es vorher für einzelne<br />
Waren körbe via Ausschreibung bezahlt<br />
hat. Unser Vorteil ist, dass wir für<br />
über 600 Kunden – das sind kommunale,<br />
konfessionelle, privatwirtschaftliche<br />
Krankenhäuser und Unikliniken – Updates<br />
bei Standards wie eclass einpflegen, Lieferantenmanagement<br />
betreiben, Preise<br />
weiterverhandeln, Bündelungseffekte und<br />
Transparenz schaffen. Wir stellen auch<br />
sicher , dass die Daten ins ERP-System<br />
laufen und die Anbindung an die Lieferanten<br />
klappt. Unsere analytischen<br />
Lösungen sind Zusatzservices.<br />
Wie sieht Ihr Risikomanagement-System<br />
aus?<br />
Vollmer: Der Health-Sektor<br />
ist seit Langem streng reguliert.<br />
Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz<br />
ist also keine große Hürde. Risiken<br />
sind in unserem Bereich Lieferverzögerungen.<br />
Wir beobachten den Markt sehr<br />
genau und brauchen dazu auch Echtzeitdaten<br />
der Lieferanten. Wir haben eine<br />
Cockpit-Lösung, die Verknappungen sofort<br />
via Dashboard anzeigt. Darüber wird<br />
auch informiert, ob Operationen zum geplanten<br />
Zeitpunkt durchgeführt werden<br />
können. Diese digitale Lösung haben wir<br />
selbst entwickelt. Bestehende Tools von<br />
Dienstleistern, auch die bekannten, sind<br />
nicht auf unsere ganz speziellen Bedürfnisse<br />
bzw. Anforderungen zugeschnitten.<br />
Dr. Marcell Vollmer<br />
ist seit Januar 2022 CEO der Prospitalia-Gruppe; zuvor war er<br />
Partner & Director bei der Boston Consulting Group. Davor war<br />
er Chief Innovation Officer bei Celonis. 2005 begann er bei SAP,<br />
2011 wurde er hier zum SAP CPO und später zum COO sowie<br />
Chief Digital Officer ernannt. Vollmer studierte an der Uni Hamburg<br />
(Abschluss Diplom-Kaufmann BWL). Seine Dissertation<br />
schrieb er parallel zu seiner Tätigkeit als Manager Integration<br />
Projects and Sales Processes bei DHL Express in Brüssel (2005).<br />
Spielen für Prospitalia die kriegerischen<br />
Auseinandersetzungen in der Ukraine<br />
eine Rolle bei der Versorgung?<br />
Vollmer: Wir haben aus diesem Teil Osteuropas<br />
keine Lieferanten, die kritische<br />
Materialien und Produkte liefern. Allerdings<br />
wirken sich die gestiegenen Energiekosten<br />
durch den Krieg in der Ukraine<br />
auf alle Unternehmen und Preise aus.<br />
Das Interview führte Sabine Ursel,<br />
Journalistin .<br />
16 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022
ANZEIGE<br />
©iStock.com/SDI Productions<br />
Einkauf digitalisieren – aber wie?<br />
Wir befinden uns in schwierigen Zeiten. Wer im Einkauf tätig ist, merkt das besonders.<br />
Vielerorts treffen veraltete <strong>Beschaffung</strong>ssysteme und Personalmangel auf Lieferengpässe<br />
und steigende Preise. Kein Wunder also, dass Unternehmen alles an eine zügige Digitalisierung<br />
setzen. Doch oft wissen sie nicht, wo sie anfangen sollen.<br />
Kommentar von Marco Schulten, Market Director bei Proactis DACH<br />
Der <strong>aktuell</strong>e Digital Procurement Survey von PwC<br />
zeigt, dass 37 Prozent der Einkaufsabteilungen<br />
in der DACH-Region Kostenreduzierung für die wichtigste<br />
strategische Priorität halten. Gefolgt von<br />
18 Prozent, bei denen die digitale Transformation<br />
ganz oben auf der To-do-Liste steht. Tatsächlich hängen<br />
Kostenreduzierung im Einkauf und digitale Transformation<br />
unmittelbar zusammen. Prozesse werden<br />
automatisiert und optimiert – beides verheißt mehr<br />
Ressourceneffizienz. Folgerichtig haben mittlere und<br />
große Unternehmen in Deutschland ihre Digitalisierungsinvestitionen<br />
gegenüber 2021 verfünffacht, wie<br />
der Proactis eRecovery Report 1 zeigt.<br />
Priorisierung und Budgetierung sind wichtig, doch<br />
bei Proactis erleben wir regelmäßig, dass den Unternehmen<br />
nicht klar ist, wie man die Digitali sierung des<br />
Einkaufs am besten angeht. Dabei sind Strategie und<br />
Struktur das A und O, denn nur so können am Ende<br />
effizientes Lieferantenmanagement und reibungslose<br />
Betriebsabläufe das Geschäftswachstum unterstützen.<br />
Entsprechend helfen wir Kunden mit unseren<br />
SaaS-Lösungen, ihr Procurement schnell und zielgerichtet<br />
zu transformieren. Immer mit Fokus darauf,<br />
das volle Potenzial auszuschöpfen und angesichts<br />
begrenzter Ressourcen, steigender Preise und Fachkräftemangel<br />
wettbewerbsfähig zu bleiben.<br />
1<br />
https://www2.proactis.com/erecovery<br />
KONTAKT<br />
Proactis GmbH<br />
Brühler Straße<br />
53119 Bonn<br />
Telefon: +49 (0)228 61 950<br />
E-Mail: info_de@proactis.com<br />
www.proactis.com<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022 17
» MANAGEMENT<br />
China-Sourcing auf dem Prüfstand<br />
China – vom gelobten Land zum<br />
Klumpenrisiko<br />
Lange – wie wir heute wissen zu lange und vor allem zu blauäugig – haben die<br />
Top-Etagen deutscher Unternehmen mit Begeisterung auf China geblickt und sich im<br />
Reich der Mitte sowohl auf der Absatzseite als auch auf der <strong>Beschaffung</strong>sseite massiv<br />
exponiert. Sie haben dabei ausgeblendet, wie gefährlich abhängig sie ihre<br />
Unternehmen von China und dem Wohlwollen der autokratischen Regierung gemacht<br />
haben. In der Zwischenzeit hat ein Umdenken eingesetzt und die sehr starke China-<br />
Abhängigkeit wird mittlerweile als Klumpenrisiko erkannt.<br />
Führungskräfte in unserer Wirtschaft betrachteten<br />
lange Zeit China als ein straff organisiertes<br />
Land, das mit strategischer Weitsicht generalstabsmäßig<br />
seinen scheinbar unaufhaltsamen wirtschaftlichen<br />
Aufstieg plante. Das Wachstum war beeindruckend.<br />
Der ökonomische und auch der technologische<br />
Aufstieg Chinas schienen unter dem staatskapitalistischen<br />
System keine Grenzen zu kennen. So ist<br />
über die letzten zehn Jahre das Handelsvolumen zwischen<br />
Deutschland und China sukzessive gestiegen.<br />
Die Importe haben sich zwischen 2012 und 2021 von<br />
78 auf 141 Mrd. Euro fast verdoppelt, auch die Exporte<br />
stiegen im gleichen Zeitraum von 66,7 auf 103<br />
Mrd. Euro.<br />
Der angeschlagene Zustand der<br />
chinesischen Wirtschaft Mitte 2022<br />
An dieser scheinbar nicht enden wollenden Bonanza<br />
wollten die deutschen Unternehmen partizipieren.<br />
Man machte die Augen zu vor dem sich immer weiter<br />
entwickelnden Überwachungsstaat<br />
und den eklatanten Menschenrechtsverletzungen<br />
im<br />
Reich der Mitte. Leider wurden<br />
auch die von namhaften Ökonomen<br />
schon seit längerer Zeit aufgezeigten<br />
Schwächen des chinesischen<br />
Wirtschaftsmodells und<br />
hierbei insbesondere das schuldenfinanzierte<br />
Wirtschaftswachstum<br />
ausgeblendet. Mitte<br />
Prof. Dr. Robert Fieten,<br />
wissenschaftlicher Berater<br />
2022 ist Ernüchterung eingetreten.<br />
China schwächelt und die<br />
der <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong>,<br />
Köln<br />
chinesische Regierung greift mit<br />
ihrer Zero-Covid-Ideologie immer<br />
rigoroser in das Wirtschaftsgeschehen ein – koste es,<br />
was es wolle. Für Unternehmen, die mit China Geschäfte<br />
machen, sind dadurch Planbarkeit und Vorhersehbarkeit<br />
verloren gegangen.<br />
Nachdem China viel besser als andere Staaten durch<br />
die erste Covid-Welle in 2020 kam und dafür viel<br />
Beifall erhielt, haben die Mutationen des kleinen<br />
bösartigen Virus und vor allem die panischen Reaktionen<br />
der chinesischen Führung darauf in 2021 und<br />
in 2022 das Reich der Mitte massiv und möglicherweise<br />
dauerhaft verändert. Die Restriktionen der Lokal-<br />
und Zentralregierungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie<br />
drücken vor allem auf den Konsum.<br />
Hinzu kommen die Immobilienkrise, innerchinesische<br />
Lieferkettenprobleme und Stromausfälle. Im Ergebnis<br />
ist die Wirtschaftslage im Reich der Mitte mittlerweile<br />
so angespannt wie seit der Asienkrise in den<br />
Neunzigerjahren nicht mehr (mehr hierzu im<br />
Handelsblatt vom 13./14./15. Mai 2022).<br />
Es spricht viel dafür, dass die grandiose chinesische<br />
Wachstumsstory zunächst einmal vorbei ist angesichts<br />
der brachialen Lockdowns, der politischen<br />
Transition, der übermäßigen Regulierung der Tech-<br />
Konzerne und der schleichenden Immobilienkrise.<br />
China ist zurzeit nicht mehr die Konjunkturlokomotive<br />
der Welt. Es wird nur noch mit rund 4 Prozent<br />
Wirtschaftswachstum für 2022 gerechnet (Financial<br />
Times vom 27. Juni 2022). Dies liegt weit unter dem<br />
von der Regierung angestrebten Wachstum von 5,5<br />
Prozent. Die chinesische Binnenwirtschaft ist heute<br />
einem dreifachen Druck ausgesetzt: schrumpfende<br />
Nachfrage, Angebotsschocks und gedämpfte Erwartungen.<br />
Die Entwicklung des Einkaufsmanagerindex<br />
China zeichnet ein Bild von der Entwicklung. Ob der<br />
Schwenk nach oben im Mai 2022 nachhaltig ist, wird<br />
18 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022
Bild: Mirko/stock.adobe.com<br />
von Experten bezweifelt. Die strikte Bekämpfung der<br />
Pandemie durch eine „Zero Covid“-Politik hat China<br />
weitgehend vom Rest der Welt abgeschottet. Zur Abschottung<br />
trägt aber auch bei, dass Peking mit seiner<br />
Initiative „Made in China 2025“ in vielen Spitzentechnologien<br />
unverblümt Autarkie anstrebt. Das Horrorszenario<br />
besteht in dem Zerfall der Welt in zwei<br />
große, sich feindlich gegenüberstehende Blöcke.<br />
Auch bei den ausländischen Unternehmen in China<br />
hat sich die Stimmung deutlich verschlechtert. Westliche<br />
Firmen klagen rund 20 Jahre nach dem Beitritt<br />
des Landes zur Welthandelsorganisation WTO immer<br />
noch über massive Subventionen für chinesische Unternehmen,<br />
Wettbewerbsverzerrungen durch Staatsbetriebe,<br />
erzwungenen Technologietransfer und den<br />
Diebstahl geistigen Eigentums.<br />
Offenbar steckt Chinas Wirtschaftsmodell tief in der<br />
Krise und dies hängt nicht nur mit den <strong>aktuell</strong>en<br />
Lockdowns, die sich zäh wieder auflösen, zusammen.<br />
Das chinesische Wirtschaftsmodell ist nach wie vor<br />
abhängig vom Export. Doch chinesische Produkte<br />
sind nicht mehr überall willkommen und dies nicht<br />
erst seit Donald Trump. Die amerikanischen Technologiesanktionen<br />
haben China schwer getroffen, und<br />
das Produktivitätswachstum nimmt ab. Doch die<br />
größten Probleme kommen erst noch: Die Geburtenrate<br />
ist mit 8,5 Geburten pro 1000 Einwohner in<br />
China derzeit so niedrig wie seit Jahrzehnten nicht<br />
mehr. Die Erwerbsbevölkerung wird daher noch<br />
schneller schrumpfen als befürchtet. Daraus ergibt<br />
sich ein Fachkräftemangel, der für steigende Löhne<br />
sorgt und Chinas Wettbewerbsfähigkeit gegenüber<br />
seinen aufstrebenden bevölkerungsreichen ostasiatischen<br />
Nachbarländern unterminiert.<br />
Im Europa beginnt in der Politik und auch in den<br />
Konzernzentralen ein Umdenken. Man will sich aus<br />
den einseitigen Abhängigkeiten von China lösen und<br />
sich auf der Absatz- und der <strong>Beschaffung</strong>sseite mehr<br />
diversifizieren. Auch China-Investitionen werden zunehmend<br />
kritisch auf den Prüfstand gestellt.<br />
Deutschlands<br />
Rohstoffabhängigkeit von China<br />
Deutschland ist bei der Versorgung mit wichtigen<br />
Rohstoffen auf China angewiesen. Das autokratisch<br />
geführte China kontrolliert seit etwa zwei Jahrzehnten<br />
beinahe die gesamte Wertschöpfungskette für<br />
Seltene Erden und hat auch eine große Bedeutung<br />
für Silizium. Diese Materialien sind von zentraler<br />
Bedeutung für die Klimawende. Deutschlands Abhängigkeit<br />
von vielen mineralischen Rohstoffen aus<br />
China ist nach Erkenntnissen des BDI bereits heute<br />
größer als jene von Erdöl und Erdgas aus Russland.<br />
Ein Lieferstopp würde die Energiewende deshalb<br />
Die chinesische<br />
Regierung greift immer<br />
rigoroser in das Wirtschaftsgeschehen<br />
ein.<br />
Im Bild: Das Zentralkomitee<br />
der Kommunistischen<br />
Partei<br />
Chinas bei einer<br />
Sitzung in der Großen<br />
Halle des Volkes in<br />
Peking am 13. März<br />
2014.<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022 19
» MANAGEMENT<br />
Bild: Destatis<br />
Bild: Statista<br />
Dynamische Entwicklung des Außenhandels Deutschland – China<br />
Entwicklung des Einkaufsmanagerindex für China<br />
unmittelbar und gravierend treffen. Bei den für<br />
Windräder benötigten Seltenen Erden oder Silizium<br />
für Solarzellen dominiert China den Weltmarkt. Der<br />
Bedarf an begehrten Mineralien und Metallen wird<br />
drastisch steigen. Ob Windrad, Photovoltaikanlage<br />
oder E-Auto-Batterie – ohne Rohstoffe wie Kobalt,<br />
Kupfer, Lithium und Seltene Erden geht es nicht. Und<br />
Deutschland ist nicht der einzige Abnehmer. EU-<br />
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat<br />
das Problem kürzlich so auf den Punkt gebracht: „Wir<br />
importieren Lithium für Elektroautos, Platin für die<br />
Wasserstoffproduktion, Silizium für Solarmodule. 98<br />
Prozent der Seltenen Erden, die wir brauchen,<br />
kommen von einem einzigen Zulieferer – China. Und<br />
das ist nicht nachhaltig.“<br />
Man muss konstatieren, dass die bisherige deutsche<br />
Rohstoffpolitik für eine Welt konzipiert wurde, in der<br />
die geltenden internationalen Handelsregeln durch<br />
alle Staaten weitgehend respektiert werden. Deutsche<br />
Unternehmen entwickelten auf dieser Basis ihre<br />
Global-Sourcing-Strategien und organisierten auf<br />
Effizienz, aber nicht auf Resilienz getrimmte internationale<br />
Lieferketten. Indessen ist der Glaube an eine<br />
regelbasierte Handelspolitik nicht erst durch den<br />
russischen Angriffskrieg in der Ukraine erschüttert<br />
worden. Exportzölle und Handelsbeschränkungen<br />
haben in den vergangenen Jahren stetig auch im<br />
Westen zugenommen.<br />
Einkäufer sorgen sich um<br />
China-Sourcing<br />
Die anhaltende Zero-Covid-Politik Chinas führt bei<br />
deutschen Unternehmen mit China-Geschäft zunehmend<br />
zu Unmut. Dies zeigte eine im Mai 2022<br />
durchgeführte Blitzumfrage des BME-Experten -<br />
kreises China (BME weekly vom 25. Mai 2022). Die<br />
China- Einkäufer beklagen eine signifikant gefallene<br />
Termintreue und werden zusätzlich belastet durch<br />
die hohen, in jüngster Zeit allerdings wieder etwas<br />
fallenden Logistikkosten. Die dramatisch gesunkenen<br />
Frachtkapazitäten aus China nach Deutschland und<br />
die Staus vor den Häfen beeinträchtigen die Warenverfügbarkeit.<br />
Mehr als die Hälfte der Unternehmen gab an, sich<br />
durch die <strong>aktuell</strong>en Reiserestriktionen nach China in<br />
ihren Geschäftsabläufen beeinträchtigt zu fühlen.<br />
Auditierungen von Lieferanten oder die Inbetriebnahmen<br />
von Maschinen und Anlagen wären ohne<br />
Beteiligung deutscher Fachkräfte nicht umsetzbar.<br />
Neuprojekte müssten daher verschoben oder abgesagt<br />
werden. Ebenfalls beklagen die Unternehmen,<br />
dass unter den Covid-Restriktionen der Aufbau von<br />
neuen Lieferantenstrukturen in China <strong>aktuell</strong> fast<br />
nicht möglich sei.<br />
Die mangelnde Planbarkeit der Materialversorgung<br />
aus China stellt die Unternehmen vor finanzielle<br />
Heraus forderungen. Um den Risiken von Produktionsausfällen<br />
entgegenzuwirken, wurden für Warengruppen<br />
aus China in den vergangenen zwei Jahren<br />
die Lagerbestände deutlich erhöht – je nach Warengruppe<br />
zwischen 30 und 70 Prozent.<br />
Raus aus der China-Abhängigkeit –<br />
aber wie?<br />
China-Sourcing steht abgesehen von der Rohstoffbeschaffung,<br />
bei der es keine Alternativen gibt, auf dem<br />
Prüfstand. Eine anhaltende Zero-Covid-Strategie der<br />
chinesischen Regierung würde zwangsweise dazu<br />
führen, dass alternative <strong>Beschaffung</strong>smärkte außerhalb<br />
Chinas erschlossen werden müssten. <strong>Beschaffung</strong>svolumen<br />
werden bereits heute innerhalb Asiens<br />
verlagert, ein Weg zurück würde nur sehr langsam<br />
umzusetzen sein. Darüber hinaus werden auch<br />
Produktions standorte in China und mehr noch<br />
Neuinvestitionen kritisch überdacht. Es spricht viel<br />
20 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022
dafür, dass ein neues Zeitalter der systemischen<br />
Rivalität mit China begonnen hat. Die deutsche<br />
Volkswirtschaft war einer der großen Gewinner der<br />
Globalisierung der vergangenen drei Jahrzehnte und<br />
hat insbesondere vom chinesischen Aufstieg massiv<br />
profitiert, sich dabei aber auch gefährlich abhängig<br />
gemacht. Dies zu ändern, ist eine große Herausforderung,<br />
die ein enges Zusammenwirken von Politik und<br />
Wirtschaft verlangt.<br />
Was ist zu tun? Die internationalen Lieferketten<br />
müssen neu aufgestellt und dabei stärker diversifiziert<br />
werden. Wo es Alternativen gibt, muss die<br />
Abhängigkeit von China reduziert<br />
werden. Gleichwohl geht<br />
es nicht um die völlige Entkopplung<br />
von China. Auf zwei<br />
Dinge kommt es: Erstens wird<br />
es für die Produktion in China<br />
mehr Local-for-Local-Wertschöpfungsketten<br />
geben<br />
müssen und zweitens müssen<br />
die neu formierten internationalen<br />
Lieferketten viel<br />
stärker auf Resilienz statt auf<br />
Effizienz getrimmt werden.<br />
Dies wird teuer und wird dauern.<br />
Temporäre Versorgungsstörungen<br />
dürften zur neuen<br />
Realität werden und erfordern<br />
ein gut entwickeltes<br />
Risiko management.<br />
Die Notwendigkeit einer<br />
Reduzierung der Importe von<br />
Vorprodukten aus China<br />
ergibt sich für euro päische<br />
Unternehmen formal schon<br />
aus der Anwendung des<br />
Liefer ketten sorg falts pflich ten -<br />
gesetzes (LkSG) aber in zunehmendem<br />
Maße auch aus<br />
Kostenüberlegungen, denn<br />
China ist schon heute kein<br />
Billiglohnland mehr. Indessen<br />
ist eine Abnabelung von<br />
China bei den Seltenen Erden<br />
– ein Feld, in dem China die<br />
Abhängigkeit in den bilateralen<br />
Handelsbeziehungen für<br />
seine geopolitischen Ziele instrumentalisieren<br />
könnte –<br />
kaum möglich. Hier Alternativen<br />
zu chinesischen Lieferanten<br />
zu finden, ist äußerst<br />
heraus fordernd. Nur die Poli-<br />
SEW-EURODRIVE—Driving the world<br />
tik kann in diesem kritischen Feld neue tragfähige<br />
Vereinbarungen aushandeln. Eine neue China-Politik<br />
wird von der Bundesregierung zurzeit entwickelt.<br />
Man darf darauf gespannt sein.<br />
Nachhaltige Sourcing-Strategien erfordern eine<br />
Diversifizierung der Lieferquellen. Global Sourcing ist<br />
nicht zu Ende, muss aber neu austariert werden.<br />
China bleibt auch in Zukunft wichtig für unsere<br />
Unternehmen , doch die Bedeutung des Landes wird<br />
nicht mehr ganz so groß sein wie in den vergangenen<br />
Jahren.<br />
CDM ® – Complete Drive Management<br />
Das Wohlfühlpaket für Sie und Ihre Antriebstechnik<br />
Mit CDM ® – Complete Drive Management schaffen Sie eine vollumfängliche Transparenz bezüglich Ihrer installierten und<br />
auf Lager befindlichen Antriebstechnikkomponenten und profitieren gleichzeitig von einer reduzierten Lagerhaltung.<br />
Zusätzlich erhalten Sie mit CDM ® im Bedarfsfall schnelle Unterstützung, inklusive Handlungsempfehlungen oder die Lieferung<br />
von Ersatzkomponenten im Stundenbereich. Somit sichern Sie Ihre Anlagenverfügbarkeit und minimieren Stillstandszeiten.<br />
Life Cycle<br />
Services<br />
Nutzung<br />
CDM ® – Complete Drive Management ist Teil unseres<br />
Serviceangebots entlang des kompletten Anlagenlebenszyklus.<br />
www.sew-eurodrive.de/cdm<br />
Gerne beraten wir Sie auch persönlich.<br />
edg.marktmanagement@sew-eurodrive.de<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022 21
Im Einkauf geht es zunehmend nicht mehr nur darum, für Betriebsabläufe benötigte Rohstoffe, Waren und Produkte möglichst zum günstigsten<br />
Preis zu beschaffen.<br />
Bild: SAP Image Library<br />
Herausforderungen und die Lösungen<br />
Next Generation Procurement –<br />
was muss sich im Einkauf ändern?<br />
Vom Trend zum Erfolgsfaktor: Nachhaltigkeit wird für Unternehmen immer<br />
wichtiger, Resilienz ohnehin. Der Einkauf kann dabei eine Schlüsselrolle<br />
spielen . Allerdings erfordert dies, sowohl Technologie als auch Mindset im<br />
Procurement weiterzuentwickeln.<br />
An die offenliegenden Schwachstellen globaler<br />
Lieferketten und wirtschaftlicher Abhängigkeiten<br />
haben sich Unternehmen auch in Deutschland<br />
seit Beginn der Coronapandemie leidlich gewöhnt.<br />
Doch geht es zunehmend nicht mehr nur darum, für<br />
Betriebsabläufe benötigte Rohstoffe, Waren und Produkte<br />
möglichst zum günstigsten Preis zu beschaffen.<br />
Der Faktor Unternehmensverantwortung in<br />
puncto Nachhaltigkeit gewinnt ebenfalls stark an<br />
Bedeutung. Und das aus mehreren Gründen: Laut der<br />
repräsentativen Studie „GfK Nachhaltigkeitsindex<br />
Mai 2022“ sind etwa 68 Prozent der Deutschen der<br />
Ansicht, dass Unternehmen nachhaltig handeln sollten.<br />
In der „Global Investor ESG Survey“ von PwC für<br />
2021 geben auch die meisten Investoren (79 Prozent)<br />
an, bei Geldanlagen auf ESG-Aspekte (Environmental<br />
Social Governance) zu achten. Und gesetzliche Regelungen<br />
wie das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz<br />
(LkSG) nehmen Betriebe in die Pflicht, mehr<br />
auf Mensch und Umwelt zu schauen.<br />
Langfristiger Erfolg ist also maßgeblich abhängig von<br />
beiden Parametern: von stabilen Lieferketten und<br />
Nachhaltigkeit. Das Procurement verfügt über die<br />
nötigen Hilfsmittel, um hier einen wesentlichen Beitrag<br />
zu leisten.<br />
So gelingen Transparenz und<br />
Nachhaltigkeit<br />
Doch was braucht es im Einkauf, um das Unternehmen<br />
nachhaltig auf die Erfolgsspur zu bringen? Zunächst<br />
die richtige Technologie. Beispiel LkSG: Es gilt<br />
ab dem 1. Januar 2023 erst für Unternehmen ab<br />
3000 Mitarbeitenden, ab 2024 schließlich auch für<br />
Firmen ab 1000 Beschäftigten. Diese Betriebe sind<br />
dann angehalten, ein Risikomanagement zu etablieren,<br />
um die Einhaltung von Menschenrechten und<br />
22 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022
MANAGEMENT «<br />
Umweltschutz entlang der Lieferkette zu erfassen<br />
und Risiken zu minimieren. Die bindenden Mitarbeitendenzahlen<br />
können dabei täuschen: Wenn große<br />
Unternehmen ihre Supply Chain durchleuchten, müssen<br />
voraussichtlich auch viele kleinere Betriebe – etwa<br />
Zulieferer – Auskunft über ihre Nachhaltigkeit<br />
geben (können). Ob die Voraussetzungen dafür geschaffen<br />
sind, ist zumindest fraglich: Das Monitoring<br />
zum Umsetzungsstand des Nationalen Aktionsplans<br />
Wirtschaft und Menschenrechte 2016–2020 stellte<br />
etwa fest, dass bis vor Kurzem mehr als 80 Prozent<br />
der in Deutschland ansässigen Unternehmen ab 500<br />
Beschäftigten nicht genug auf menschenrechtliche<br />
Aspekte achten.<br />
Den Horizont erweitern,<br />
einheitliche Lösungen finden<br />
Die Digitalisierung kann Firmen respektive dem Einkauf<br />
hier unter die Arme greifen. ERP-(Öko-)Systeme<br />
wie S/4 HANA und <strong>Beschaffung</strong>slösungen wie SAP<br />
Ariba helfen ihnen, ihre Lieferketten inklusive der angeschlossenen<br />
Geschäftspartner umfassend im Blick<br />
zu behalten. So können sie leichter die geforderte<br />
Transparenz herstellen. Das System gibt zum Beispiel<br />
automatisch Warnungen aus, sollte ein Lieferant ein<br />
Risiko darstellen. Grundlage dafür bilden unter anderem<br />
Daten aus Nachrichten und von Behörden.<br />
Nachhaltigkeit ist in der <strong>Beschaffung</strong> sehr breit gefächert:<br />
Sie zieht sich durch nahezu alle Spend-<br />
Kategorien. Mal ist das Thema CO 2 in Verbindung mit<br />
Lieferanten besonders bedeutsam. In diesem Fall<br />
kommt es darauf an, die CO 2 -Bilanz von (zukünftigen)<br />
Geschäftspartnern möglichst auf einer zentralisierten<br />
Plattform zu sammeln und basierend auf diesen<br />
Informationen nachhaltige Entscheidungen zu treffen.<br />
Doch auch im Bereich<br />
Reise- und Ausgaben -<br />
management (Travel &<br />
Expense ) spielt die Frage der<br />
Nachhaltigkeit eine Rolle.<br />
Lediglich die billigste Reisemöglichkeit<br />
zu suchen, ist<br />
nicht mehr zeitgemäß.<br />
Zudem ist die Suche über<br />
separate Apps und Portale<br />
nicht sonderlich effizient.<br />
Der intelligente Einkauf von<br />
morgen setzt daher auf einheitliche<br />
Lösungen, die nicht<br />
nur sämtliche verfügbaren Verkehrsmittel bündeln<br />
und dabei ebenso umweltschonendere Optionen wie<br />
E-Scooter und Carsharing beinhalten. Die Software<br />
bindet auch künstliche Intelligenz (KI) ein, um jederzeit<br />
die optimale Route samt Beförderungsmittel zu<br />
ermitteln. So lassen sich Kosten, Zeitaufwand und<br />
Umweltbelastung reduzieren.<br />
Rascher und sicherer<br />
entscheiden<br />
»Der Bereich<br />
Procurement zeigt, an<br />
welchen Stellschrauben<br />
Unternehmen in Zukunft<br />
drehen können , um ihr<br />
Business nachhaltiger<br />
aufzustellen.«<br />
Künstliche Intelligenz ist ohnehin ein Zukunftstrend<br />
im Procurement und kann auch in klassischen Einkaufsprozessen<br />
zum Einsatz kommen. Zum einen, um<br />
Entscheidungen schneller,<br />
aber ebenso fundierter zu<br />
treffen. In einer volatilen<br />
Welt wie der heutigen sind<br />
Geschwindigkeit und Agilität<br />
Grundvoraussetzungen für<br />
Erfolg. Treten unvorhergesehene<br />
Ereignisse ein – zum<br />
Beispiel ein harter Lockdown<br />
in der Region eines wichtigen<br />
Zulieferers –, sind jene Unternehmen<br />
im Vorteil, die unmittelbar<br />
reagieren können.<br />
KI kann in solchen Fällen<br />
wertvolle Entscheidungshilfe bieten, indem sie entsprechende<br />
Daten kontinuierlich auswertet.<br />
Zum anderen kann smarte Technologie auch die Mitarbeitenden<br />
im Einkauf unterstützen. Ein wichtiger<br />
Aspekt, nicht zuletzt aufgrund des Fachkräfteman-<br />
Ellen Förster, Senior<br />
Vice President der SAP<br />
Intelligent Spend &<br />
Business Network ,<br />
Mittel- und Osteuropa,<br />
über die neuen Anforderungen<br />
an den<br />
Bereich Procurement.<br />
Bild: SAP<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022 23
» MANAGEMENT<br />
Die Digitalisierung<br />
kann Firmen respektive<br />
dem Einkauf helfen,<br />
indem ERP-Systeme<br />
und <strong>Beschaffung</strong>s -<br />
lösungen Lieferketten<br />
inklusive der angeschlossenen<br />
Geschäftspartner<br />
im Blick<br />
behalten .<br />
gels und entsprechend unbesetzter Stellen. Guided<br />
Buying erleichtert es beispielsweise, Waren und<br />
Dienstleistungen zu beschaffen, sodass auch Personen<br />
außerhalb des Einkaufs dies bei Bedarf erledigen<br />
können. Das entlastet den Einkauf und hilft außerdem,<br />
Maverick Buying beziehungsweise dessen<br />
negative Begleiterscheinungen wie mangelnde<br />
Transparenz zu vermeiden. Analog dazu bietet KI-gestütztes<br />
Guided Sourcing dem Procurement selbst<br />
Vorteile: Die Algorithmen können etwa <strong>aktuell</strong><br />
geltende weltweite Handelsbeschränkungen berücksichtigen<br />
und dem Team der <strong>Beschaffung</strong> die Entscheidungsfindung<br />
erleichtern. Voraussetzung für<br />
solche Anwendungsfälle: eine IT-Struktur, die es<br />
erlaubt , Daten umfassend zu erheben, und eine Softwarelösung,<br />
die sie effektiv auswertet und zielgerichtet<br />
weiterverwertet.<br />
Das Procurement-Mindset von<br />
morgen<br />
Es wird deutlich, wie sehr sich die Rolle des Einkaufs<br />
gegenwärtig ändert. Von der Nachhaltigkeit<br />
bis zur Resilienz: Der Einkauf kann ein Unternehmen<br />
maßgeblich mit formen. Doch damit das gelingt,<br />
muss sich auch das Mindset anpassen. So<br />
sieht es auch Kai Nowosel, CPO von Accenture, einem<br />
internationalen Unternehmen für professionelle<br />
Dienstleistungen. Das Unternehmen setzt einerseits<br />
ebenfalls auf smarte Procurement-Lösungen<br />
wie SAP Ariba, um den Einkauf zu optimieren.<br />
Andererseits betont Nowosel , dass sich die Mentalität<br />
ebenfalls weiterentwickeln müsse. CPOs sollten<br />
sich nicht nur darauf fokussieren, Kosten zu<br />
optimieren, sondern auch die neuartige Rolle des<br />
Einkaufs sowie des Unternehmens ernst nehmen<br />
und vorleben. Das ist auch für die zukünftige Entwicklung<br />
von Betrieben relevant. Denn junge Talente<br />
achten vermehrt auf Aspekte wie Nachhaltigkeit<br />
bei potenziellen Arbeitgebern. Damit gewinnt<br />
die Thematik im Kontext der Personalentwicklung<br />
an Gewicht. Für Nowosel sind Beschäftigte im Einkauf<br />
in Zukunft somit auch mehr Business Manager<br />
denn Sourcing Manager.<br />
Das Procurement als zentrale Geschäftseinheit:<br />
Dieser Trend wird sich künftig weiter verstärken.<br />
Zukunftsgerichtete Technologien und Herangehensweisen<br />
sind der Schlüssel, um ihn zum Erfolgsfaktor<br />
zu machen.<br />
Ellen Förster, SAP SE<br />
Bild: SAP Image Library<br />
24 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022
Bild: Andrey Popov/stock.adobe.com<br />
„Lokal Einkaufen“ vereinfacht den<br />
Einkaufsprozess und bringt<br />
Einkaufsleiter mit lokalen oder<br />
regionalen Anbietern zusammen.<br />
Unterstützung beim Einkauf aus der Region<br />
Lokal einkaufen<br />
In örtliche Gemeinschaften zu investieren, hat für deutsche Geschäftskunden<br />
aus den Bereichen Bildung, öffentlicher Sektor, Automobilherstellung oder Bau<br />
und Technologie eine hohe Priorität. Aber auch bei Industrieunternehmen spielt<br />
die Unterstützung der lokalen Firmen eine immer stärkere Rolle.<br />
In einer kürzlich durchgeführten Umfrage<br />
von Amazon Business gaben 90<br />
Prozent der Führungskräfte im <strong>Beschaffung</strong>swesen<br />
an, dass Investitionen in lokale<br />
Gemeinschaften eines ihrer <strong>Beschaffung</strong>sziele<br />
sind. Dieses Ziel lässt sich mithilfe<br />
des neuen Features von Amazon<br />
Business leichter erreichen: Lokal Einkaufen.<br />
Das Feature ermöglicht es Einkaufsteams,<br />
Lieferanten auf Länder- oder sogar<br />
Stadtebene zu identifizieren, lokale Kaufentscheidungen<br />
zu treffen und in ortsansässige<br />
Unternehmen zu investieren.<br />
Mit Lokal Einkaufen bietet Amazon Business<br />
die Möglichkeit, unternehmensweite<br />
Vorgaben schnell umzusetzen, um den<br />
Einkauf in der Region zu begünstigen. Dabei<br />
helfen individuell einstellbare Filter zu<br />
Umgebung und Preisen. Alle Besteller einer<br />
Organisation können unter den verschiedenen<br />
wettbewerbsfähigen Angeboten<br />
die lokalen <strong>Beschaffung</strong>soptionen sehen.<br />
So sorgt das Feature dafür, dass man<br />
den Vorgaben zum regionalen Einkauf<br />
nachgehen kann und einen einfachen Zugang<br />
zu lokalen Anbietern erhält.<br />
Florian Böhme, Deutschlandchef Amazon<br />
Business: „Die <strong>Beschaffung</strong> von Produkten<br />
und Dienstleistungen von ortsansässigen<br />
Unternehmen bietet eine große<br />
Chance, aber gleichzeitig bleibt es eine<br />
Herausforderung, bestehende Lieferketten<br />
zu verändern, insbesondere in größeren<br />
Unternehmen. Wir haben Lokal Einkaufen<br />
mit dem Ziel auf den Weg gebracht,<br />
genau das zu erleichtern. Lokal<br />
Einkaufen vereinfacht den lokalen Einkaufsprozess<br />
und bringt Einkaufsleiter<br />
mit lokalen oder regionalen Anbietern zusammen.<br />
So können sie nachhaltiger einkaufen<br />
und gleichzeitig die <strong>aktuell</strong>en und<br />
zukünftigen Compliance-Richtlinien ihres<br />
Unternehmens einhalten.”<br />
Lokal Einkaufen bietet außerdem Zugriff<br />
auf die Amazon-Business-Analysetools,<br />
so dass alle lokal getätigten Ausgaben<br />
leicht nachverfolgt, verwaltet und mit<br />
den Unternehmens- und Teamzielen verglichen<br />
werden können. Das gibt EinkaufsleiterInnen<br />
alle Informationen, die<br />
sie benötigen, um schnellere und strategischere<br />
Entscheidungen zu treffen. Mit<br />
Echtzeitdaten können Führungskräfte den<br />
Fortschritt bei der Erreichung lokaler Einkaufsziele<br />
vorantreiben, den Prozess optimieren,<br />
künftige Budgets prognostizieren<br />
und Richtlinien entwickeln, um die Ausgaben<br />
zu steuern.<br />
Nachhaltig einkaufen<br />
In Deutschland geben zahlreiche Unternehmen,<br />
die am ersten Rollout des Fea -<br />
tures teilgenommen haben, bereits bis zu<br />
50 Prozent ihrer Amazon-Business-Einkaufsbudgets<br />
über Lokal Einkaufen aus,<br />
wobei bestimmte Schlüsselsektoren bei<br />
der Nutzung dieser Funktion führend sind.<br />
So haben zum Beispiel die Unternehmen<br />
des öffentlichen Sektors in Deutschland<br />
ihre Ausgaben bei lokalen Anbietern während<br />
der ersten Einführung um mehr als<br />
18 Prozent erhöht. Auch andere Branchen<br />
wie Bildung, Bauwesen und Technologie<br />
machen von der Funktion Gebrauch.<br />
Compliance einhalten<br />
Zusätzlich zum vermehrten Kauf bei lokalen<br />
Lieferanten nutzen viele Kunden in<br />
ganz Europa, wie etwa Universitäten sowie<br />
Automobil- und Technologieunternehmen,<br />
die Funktionen von Amazon<br />
Business, so z. B. Guided Buying, das Unternehmen<br />
ermöglicht, ihre Ausgaben auf<br />
eine beliebige Anzahl von Prioritäten auszurichten.<br />
Oder die Anwendungsprogrammierschnittstellen<br />
(API) von Amazon<br />
Business, um zeitaufwendige manuelle<br />
Aufgaben zu automatisieren, sodass die<br />
Einkäufer mit ihren bestehenden Einkaufstools<br />
„Climate Pledge Friendly“-Produkte<br />
finden und bestellen können. Diese<br />
Funktionen ermöglichen es, unternehmensweite<br />
<strong>Beschaffung</strong>svorgaben zu setzen.<br />
Das gibt die Möglichkeit, mehr Geld<br />
für nachhaltige Produkte auszugeben.<br />
(sas)<br />
business.amazon.de/soziale-verantwortung/lokaleinkaufen<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022 25
» MANAGEMENT<br />
Prof. Dr. Dr. Hermann Simon – Wertverlust des Geldes<br />
Die Inflation schlagen<br />
Die heutige Management-Generation hat keine Erfahrung mit der Inflation, sagt der<br />
Experte für Preis- und Gewinnmanagement, Professor Hermann Simon. Auf Einkauf<br />
und Vertrieb lastet dabei der größte Druck. Worauf es im Einkauf ankommt, erklärt<br />
Pricing-Profi Simon im Interview mit <strong>Beschaffung</strong> Aktuell.<br />
Herr Professor Simon, alles wird teurer<br />
und das sehr schnell. Was bedeutet<br />
Inflation für die Industrie?<br />
Hermann Simon: Eine Bemerkung dazu<br />
vorweg: In einem weit verbreiteten<br />
Verständnis heißt Inflation, dass Waren<br />
teurer werden. Genau das Umgekehrte<br />
passiert: Das Geld verliert an Wert. Im antiken<br />
Rom konnten Sie für eine Unze Gold<br />
genauso viel Brot kaufen wie heute. Inflation<br />
bedeutet also: Das Geld wird verderblich,<br />
man sollte sich möglichst<br />
schnell wieder von ihm trennen.<br />
Was muss sich ändern?<br />
Simon: Inflation betrifft nicht nur die<br />
Einkaufs- und Verkaufspreise, sondern<br />
das ganze Unternehmen. Jeder und jede<br />
muss verstehen, dass eine neue Zeitrechnung<br />
begonnen hat. Alle, angefangen bei<br />
der Unternehmensspitze, müssen sich Gedanken<br />
machen, wie sie mit der Geldentwertung<br />
umgehen. Erschwerend kommt<br />
hinzu, dass die <strong>aktuell</strong>e Manager-Generation<br />
mit Inflation überhaupt keine Erfahrung<br />
hat. Seit den 1970er-Jahren hat es<br />
keine vergleichbaren Preisanstiege gegeben.<br />
Die Schnelligkeit, mit der die Inflation<br />
damals und 2021 aufkam, genauso wie<br />
die Höhe der Preissteigerungen ähneln<br />
sich im Übrigen verblüffend.<br />
Die Inflation kam ruckartig. Welche<br />
Maßnahmen empfehlen Sie?<br />
Prof. Dr. Dr. Hermann Simon<br />
Simon: Beschleunigen Sie Ihre Prozesse,<br />
angefangen beim Vertriebsprozess, in den<br />
der Einkauf mit seinem Sourcing agil eingebunden<br />
werden muss. Normalerweise<br />
dauern Vertriebsprozesse Wochen, Monate,<br />
wenn nicht Jahre, diese Zeiträume<br />
muss ich verkürzen. Wenn ich heute ein<br />
Angebot erstelle, erhalte den Auftrag in<br />
drei Monaten und stelle die Rechnung einige<br />
Zeit später, ist das Jahr kaputt. Dann<br />
laufe ich der Kostenwelle hinterher, anstatt<br />
mich mit meinen Preisen vor die<br />
Welle zu setzen. Ich brauche durchgängige<br />
Informationssysteme, damit der Verkauf<br />
auf Basis der <strong>aktuell</strong>en Wiederbeschaffungspreise<br />
seine Angebote erstellen<br />
kann. Auch der Einkauf braucht klare Zielvorgaben.<br />
Selbst wenn die Versorgungssicherheit<br />
<strong>aktuell</strong> an oberster Stelle steht.<br />
Hermann Simon ist Gründer von Simon-Kucher & Partners.<br />
Der Experte für Strategie, Gewinn und Pricing ist der<br />
einzige Deutsche in der „Thinkers 50 Hall of Fame“ der<br />
wichtigsten Managementdenker der Welt.<br />
Inwiefern lassen sich die gestiegenen<br />
Kosten an die Kunden weitergeben?<br />
Simon: Bei einer Preissteigerung kann<br />
man – das zeigen unsere Umfragen – etwa<br />
die Hälfte auf die Kunden überwälzen,<br />
20 Prozent durch Kosten- und Effizienzsteigerungen<br />
rausholen, die restlichen<br />
30 Pro zent bleiben hängen. Das sind die<br />
Durchschnittswerte. Natürlich gibt es<br />
auch Gewinner und Ver lierer . Um die Situation<br />
meines Unternehmens beurteilen<br />
zu können, muss ich zudem mit dem inflationsbereinigten<br />
Umsatz und Gewinn<br />
kalkulieren. Das ver gessen viele und unterliegen<br />
der Geld illusion, das heißt die<br />
Umsätze steigen, der Gewinn auch, aber<br />
nur nominal, nicht real.<br />
Aktuell ist der Einkauf froh, wenn die<br />
Versorgung steht. Werden die Verhandlungen<br />
wieder härter?<br />
Simon: Wenn die Preise dauerhaft<br />
steigen , gerät der Verkauf unter Druck.<br />
Gerade im B2B-Sektor ist mit härteren<br />
Verhandlungen zu rechnen. Der Einkauf<br />
kann als Gegenleistung für die Akzeptanz<br />
höherer Preise Zugaben einfordern, Services,<br />
Beratungsleistungen, bessere Lieferbedingungen.<br />
Wenn ich schon nicht<br />
vermeiden kann, dass die Preise steigen,<br />
dann sollte das Unternehmen an anderer<br />
Stelle etwas einsparen bzw. dazugewinnen.<br />
Zahlungsziele werden ebenfalls interessanter.<br />
Auch die Skonti werden, dort,<br />
wo sie an Bedeutung verloren haben, zurückkommen.<br />
Was ist mit der Möglichkeit die steigenden<br />
Kosten aufzuteilen?<br />
Simon: Das sollte im Einkauf Teil jeder<br />
Verhandlung sein. Selbst wenn das ein<br />
oder andere Lieferrisiko verschwindet und<br />
die Engpässe ausgeglichen werden, bleibt<br />
die Geldmenge hoch, und sie lässt sich<br />
auch so schnell nicht zurückführen. Das<br />
bedeutet, wir müssen mit der Inflation<br />
erstmal leben. Für den Einkauf heißt das,<br />
dass er sich mit seinen Lieferanten auf<br />
neue Wege begeben und gemeinsame<br />
Lösungen für Kostensteigerungen suchen<br />
muss. Es gilt zu zusammen erarbeiten,<br />
wie die Mehrkosten aufgesplittet, beziehungsweise<br />
durch neue Konzepte ausgeglichen<br />
werden können. Potenziale gibt es<br />
immer. Der Vertrieb wird sich in diese<br />
Richtung bewegen müssen. Der Einkauf<br />
sollte das einfordern.<br />
26 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022
Prof. Dr. Dr. Hermann Simon über die Folgen des<br />
Geldwertverlusts für Unternehmen.<br />
Bild: Schafgans dghp<br />
Wenn Preise monatlich erhöht werden,<br />
wird es dann die großen Jahresgespräche<br />
noch geben oder verlagert sich das<br />
Geschäft auf Plattformen?<br />
Simon: Für kleinere und mittlere Unternehmen<br />
wird das Zusammenfassen der<br />
Nachfrage über Plattformen an Bedeutung<br />
gewinnen, ganz klar. Die Verhandlungsmacht<br />
kleiner Firmen ist viel zu gering,<br />
als dass sich das direkte Verhandeln<br />
mit Lieferanten bei ständigen Preiserhöhungen<br />
noch lohnt. Die Inflation wird das<br />
Plattformgeschäft beschleunigen. Firmen<br />
mit einer größeren Einkaufsmacht werden<br />
Rahmenverträge aushandeln. Insbesondere<br />
für langfristige Geschäfte. Da wird sich<br />
eine Koexistenz entwickeln.<br />
Rahmenverträge enthalten zunehmend<br />
Preisgleitklauseln. Damit verlagert sich<br />
das Risiko auf das einkaufende Unternehmen.<br />
Wird die vertikale Rückintegration<br />
zum Thema?<br />
Simon: Das glaube ich nicht. Denn dann<br />
tragen die Unternehmen neben den variablen<br />
Kosten das Risiko der Fixkosten.<br />
Natürlich kann die Erhöhung der Wertschöpfungstiefe<br />
aus einer strategischen<br />
Überlegung heraus Sinn machen. Einige<br />
namhafte deutsche Modemarken sind<br />
aber zum Beispiel genau an dem Konzept<br />
gescheitert, den Vertrieb über eigene<br />
Stores abzuwickeln. Die Fixkosten sind,<br />
zumal bei schwankender Nachfrage, ein<br />
»Inflation betrifft nicht<br />
nur die Einkaufs- und<br />
Verkaufspreise,<br />
sondern das ganze<br />
Unter nehmen. Jeder<br />
und jede muss<br />
verstehen , dass eine<br />
neue Zeitrechnung<br />
begonnen hat.«<br />
hohes Risiko. Nicht für jedes Unternehmen<br />
und nicht in jedem Markt lohnt die<br />
Erweiterung der Wertschöpfungskette.<br />
Das muss man sehr genau abwägen.<br />
Einkauf und Vertrieb müssen intern enger<br />
zusammenarbeiten. Worauf kommt<br />
es dabei an?<br />
Simon: Entscheidend ist die Umstellung<br />
von der Preiskalkulation auf Basis historischer<br />
<strong>Beschaffung</strong>skosten, auf eine Preiskalkulation<br />
basierend auf den Wiederbeschaffungskosten.<br />
Bei Investitionsgütern<br />
ist das durchaus komplex: Auf welcher<br />
Stundenbasis kalkuliere ich Maschinenkosten,<br />
wenn der Wiederbeschaffungspreis<br />
der Maschine deutlich ansteigen<br />
wird. Buchhalterisch schreibe ich die<br />
Maschinen stunden auf Basis des historischen<br />
Anschaffungspreises ab. Anders<br />
sieht das für die Preisgestaltung aus.<br />
Was muss sich ändern?<br />
Simon: Für zentrale Bauteile und Erzeugnisse<br />
sind die Werte in Richtung der Angebotspreise<br />
in vielen Firmen angepasst. In<br />
Zeiten der Inflation müssen die Wiederbeschaffungskosten<br />
jedoch durchgängig für<br />
alle Bauteile und Materialien berücksichtigt<br />
werden. Das ist noch nicht überall angekommen.<br />
Zudem gewinnt ein weiteres<br />
Thema an Bedeutung: Die Schaffung stiller<br />
Reserven. Die Lücke zwischen Anschaffungs-<br />
und Wiederbeschaffungswert führt<br />
zu Scheingewinnen, da Abschreibungen<br />
nur auf die Anschaffungskosten erfolgen.<br />
Was ist mit Finanzinstrumenten in<br />
Richtung Lieferkette?<br />
Simon: Die Lieferkettenfinanzierung<br />
wird interessant, wenn ich als einkaufendes<br />
Unternehmen an günstigere Finanzierungskonditionen<br />
komme, diese an meine<br />
Lieferanten weitergebe und so die Lieferkette<br />
bzw. deren Finanzierung absichere.<br />
Steigen die Zinsen, wird auch dieses Instrument<br />
für das Working Capital Management<br />
an Bedeutung gewinnen. Die Kapital -<br />
kosten steigen mit den Zinsen und das<br />
hat Auswirkungen auf meine Lieferkette.<br />
Und die Bestände sind bald Gold wert …?<br />
Simon: Aber hier drückt der Zins. Wir<br />
werden die Ziele des Working Capital<br />
Management künftig außerdem sehr viel<br />
stärker gegen ein vernünftiges Risiko -<br />
management abwägen müssen. Wenn der<br />
halben Nation der Atem stockt, nur weil<br />
im Suezkanal ein Schiff quer steht, dann<br />
habe ich meine Lieferketten eindeutig zu<br />
weit ausgereizt und sollte schon allein aus<br />
diesen Gründen umdenken.<br />
Das Gespräch führte die Journalistin<br />
Annette Mühlberger.<br />
Buch-Tipp<br />
Die Inflation schlagen.<br />
Agil, konkret, effektiv<br />
Hermann Simon<br />
Campus 2022,<br />
Hardcover, 208 Seiten,<br />
30,00 €<br />
ISBN: 978–3593516738<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022 27
Start-ups sind der<br />
Katalysator für Innovation<br />
in der <strong>Beschaffung</strong>.<br />
Fokus auf Automatisierung, Analytik und Nachhaltigkeit<br />
Wie Start-ups die <strong>Beschaffung</strong><br />
verändern<br />
Bild: mirsad/stock.adobe.com<br />
Um eine Antwort auf die Frage zu finden, warum sich die <strong>Beschaffung</strong> gerade grundlegend<br />
verändert, müssen wir zunächst in der Fragestellung etwas herauszoomen und<br />
das Gesamtbild in den Blick nehmen: ProcureTech-Start-ups per se sind nicht die<br />
Ursache dafür, dass sich die <strong>Beschaffung</strong> derzeit verändert, sondern vielmehr zwei<br />
fundamentale Entwicklungen.<br />
Aktuell verändern sich die makroökonomischen<br />
und geopolitischen Rahmenbedingungen<br />
rund um den Einkauf<br />
und die Lieferketten fundamental: Ereignisse<br />
wie die Coronakrise, die Blockade<br />
des Suez-Kanals, das Desaster in der<br />
Ukraine, geopolitische Spannungen, beispielsweise<br />
mit China, oder die zunehmende<br />
Relevanz des Themas Nachhaltigkeit<br />
auf Einkaufsentscheidungen stehen<br />
hier in ihrer Wirkungsmacht im Vordergrund<br />
und sind Treiber der Entwicklung.<br />
Außerdem verändern sich gerade die<br />
technologischen Möglichkeiten der Branche<br />
mit einer nie dagewesenen Schnelligkeit:<br />
Die großen Softwareanbieter in der<br />
Felix Plapperer,<br />
Paua Ventures<br />
Bild: Paua Ventures<br />
<strong>Beschaffung</strong> wie z. B. Coupa, Jaggaer und<br />
SAP Ariba wurden vor 10 bis 20 Jahren<br />
gegründet oder entwickelt. Seitdem gab<br />
es jedoch eine Reihe an großen technologischen<br />
Umbrüchen, welche es erlauben,<br />
Software um ein Vielfaches günstiger zu<br />
entwickeln, flexibler aufzubauen und insbesondere<br />
Daten viel intelligenter einzusetzen.<br />
Die altbewährten Systeme bieten<br />
in erster Linie „Prozess-Stützen“ in Form<br />
von „Workflow-Software“. Allerdings gibt<br />
es, wenn überhaupt, nur sehr wenige<br />
Funktionen, die das Potenzial der heute<br />
verfügbaren Daten nutzen, um Informationen<br />
intelligent zu transportieren oder<br />
um Entscheidungen zu automatisieren.<br />
Antreiber der Veränderung<br />
Start-ups sind also nicht die Ursache für<br />
die Veränderung in der <strong>Beschaffung</strong>. Sie<br />
sind als organisatorische Schnellboote allerdings<br />
ein außergewöhnlich gut geeignetes<br />
Vehikel, um den immensen Innovationsdruck,<br />
der sich in der <strong>Beschaffung</strong><br />
aufgrund der angesprochenen Entwicklungen<br />
aufgebaut hat, in zukunftsgewandte<br />
Wertschöpfung umzuwandeln.<br />
Start-ups sind der Katalysator für Innovation<br />
in der <strong>Beschaffung</strong>. Datengetriebene<br />
ProcureTech-Start-ups könnten in den<br />
kommenden Monaten und Jahren vor allem<br />
in drei Bereichen die Branche transformieren<br />
und Mehrwert für Unternehmen<br />
generieren:<br />
1. Smarte Automatisierung<br />
Viele Unternehmer sehnen sich danach,<br />
repetitive operative Prozesse im Betrieb<br />
zu automatisieren und somit effizienter<br />
arbeiten zu können. Der Einsatz von RPA-<br />
Software wird derzeit von vielen in der<br />
<strong>Beschaffung</strong> als Wundermittel gesehen.<br />
Allerdings ist die Wirkung des Einsatzes<br />
dieser Software-Roboter nur oberflächlich<br />
und in ihrer Wirkung begrenzt, da<br />
diese Systeme nicht in der Lage sind,<br />
komplexe Abläufe intelligent zu lösen.<br />
Hoffnung auf einen wirklichen Schritt<br />
nach vorne machen Start-ups wie Keelvar<br />
oder Pactum mit ihrer intelligenten Automatisierungstechnologie,<br />
die es ermöglicht,<br />
(halb-)autonom mehrstufige <strong>Beschaffung</strong>svorgänge<br />
in Gang zu bringen,<br />
zu verwalten und abzuschließen.<br />
2. Prädiktive Analytik<br />
Ähnlich wie bei der intelligenten Automatisierung<br />
ziehen prädiktive Analyselö-<br />
28 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022
MANAGEMENT «<br />
sungen ihre Erkenntnisse aus einer Vielzahl<br />
von internen und externen Daten,<br />
um Entscheidungen in Bezug auf beschaffungsbezogene<br />
Fragen zu treffen.<br />
Zur Frage „Was soll ich von wem kaufen?“<br />
bieten Start-ups wie Lhotse, Globality<br />
oder Fairmarkit mit ihrer Software sehr<br />
gute Antworten. Sie unterstützen <strong>Beschaffung</strong>steams<br />
dabei, sich mit ihren<br />
Geschäftspartnern über den jeweiligen<br />
Bedarf an Produkten oder Dienstleistungen<br />
abzustimmen – und anschließend die<br />
richtigen Lieferanten zu identifizieren,<br />
um diesen Bedarf zu decken.<br />
Auch bei der Kalkulation der Preise und<br />
der Frage „Wie viel soll ich bezahlen?“<br />
sind Analytik-Tools mittlerweile eine sehr<br />
große Hilfe für Unternehmen. Lösungen<br />
wie Makersite oder Costforce helfen ihren<br />
<strong>Beschaffung</strong>skunden bei der Einschätzung,<br />
welchen Preis sie zahlen sollten. Die<br />
Grundlage für diese Einschätzungen sind<br />
Bottom-up-Kostenschätzungen und <strong>aktuell</strong>e<br />
Benchmark-Werte.<br />
Auch auf die elementare Frage „Wie viel<br />
und wann sollte ich kaufen?“ können ProcureTech-Start-ups<br />
mittlerweile datenbasierte<br />
Antworten liefern. Eine <strong>Beschaffung</strong>sexpertin,<br />
die mit dem Einkauf von<br />
Chemikalien betraut ist, steht beispielsweise<br />
konstant vor der Herausforderung,<br />
zu entscheiden, wann sie welche Menge<br />
am besten einkauft. Sie muss ihre Entscheidungen<br />
auf der Grundlage von Faktoren<br />
wie Lagerbeständen, Produkthaltbarkeit,<br />
Produktionsplänen und Spotmarktpreisen<br />
punktgenau abwägen. Unternehmen<br />
wie GenLots oder Datapred<br />
ermöglichen ihr, genau dies zu tun.<br />
3. Nachhaltigkeit<br />
Gut möglich, dass das <strong>Beschaffung</strong>swesen<br />
schon sehr bald neben den Einsparungen<br />
bei den Ausgaben eine zweite, entscheidende<br />
KPI haben wird – und zwar eine<br />
nachhaltige Dimension im Blick auf die<br />
Einsparung umweltschädlicher Emissionen.<br />
Es entstehen immer mehr Procure-<br />
Tech-Unternehmen, die genau das ermöglichen<br />
– Unternehmen wie Integrity-<br />
Next, CarbMee oder Responsibly gehören<br />
mit ihren Lösungen in diesem Bereich<br />
derzeit zu den Vorreitern.<br />
Ein Markt im Wandel<br />
Zusammenfassend lässt sich konstatieren,<br />
dass <strong>aktuell</strong> im großen Maßstab ein „unbundling“<br />
von Einkaufs-Software entlang<br />
der Wertschöpfungskette stattfindet.<br />
Derzeit gibt es in diesem Bereich nur eine<br />
Handvoll großer Unternehmen: Coupa,<br />
Jaggaer und SAP Ariba. Diese versuchen,<br />
sämtliche Prozessschritte entlang der<br />
Value Chain abzubilden. Mit Blick auf die<br />
Entwicklungen der letzten Jahre und die<br />
heutigen technologischen Möglichkeiten<br />
kratzen diese Lösungen jedoch nur an der<br />
Oberfläche, da sie Defizite in der Datenverarbeitung<br />
haben und keine wirklich intelligenten<br />
Tools sind.<br />
Schon bald werden sich aus diesem Grund<br />
eine Reihe neuer Unternehmen im Markt<br />
etablieren, die sich auf einzelne wichtige<br />
Schritte in der Wertschöpfungskette konzentrieren<br />
und dafür intelligente Software<br />
entwickeln. Paua Ventures hat es<br />
sich zum Ziel gesetzt, eines oder sogar<br />
mehrere dieser künftigen Vorreiterunternehmen<br />
in der frühen Entstehungsphase<br />
zu entdecken und mit entsprechender finanzieller<br />
Unterstützung weiter voranzubringen.<br />
Eine Auswahl an ProcureTech-Start-ups:<br />
Keelvar aus Cork (Irland) ist Vorreiter, wenn es um<br />
Automatisierung im Sourcing geht. „Sourcing Bots“<br />
nehmen Kunden wiederkehrende Aufgaben ab und<br />
leisten datengetriebene Hilfe in Entscheidungsprozessen.<br />
Kunden wie Siemens, Microsoft, Coca Cola<br />
oder Novartis setzen auf Keelvar.<br />
Das Berliner Unternehmen Lhotse vereinfacht die interne<br />
Abstimmung zwischen Einkauf und Fachabteilungen<br />
und verhindert damit Maverick Spend im Unternehmen.<br />
Außerdem trifft Lhotse teil-automatisierte<br />
Entscheidungen, ob eine Anfrage über vorhandene<br />
Kataloge, bei einem Bestandslieferanten oder über eine<br />
Ausschreibung beschafft werden soll.<br />
Der SaaS-Anbieter Makersite aus München hilft Firmen<br />
dabei, resiliente Lieferketten zu etablieren und<br />
den richtigen Preis für Transaktionen festzulegen.<br />
Ebenfalls aus München, gibt Costforce Unternehmen<br />
in Echtzeit einen Überblick, wie sich unterschiedliche<br />
Bedürfnisse in der <strong>Beschaffung</strong> im Preis abbilden.<br />
Datapred aus Lausanne (Schweiz) ist spezialisiert auf<br />
die Märkte Energie und Rohstoffe. Die KI-getriebene<br />
Software analysiert Marktdynamiken und antizipiert<br />
Preistrends.<br />
IntegrityNext aus München ermöglicht es Unternehmen,<br />
ihre Lieferanten zu qualifizieren und zu überwachen,<br />
die Aspekte Nachhaltigkeit und Compliance zu<br />
verbessern und Reputationsverlust zu vermeiden.<br />
CarbMee aus Berlin unterstützt Unternehmen dabei,<br />
schädliche Emissionen entlang der Wertschöpfungskette<br />
nicht nur zu messen, sondern auch mithilfe datengetriebener<br />
Insights gezielt zu reduzieren.<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022 29
» MANAGEMENT<br />
Expertentipps zur Einführung des LkSG<br />
Lieferkettengesetz: Wie können<br />
sich Unternehmen vorbereiten?<br />
Weltweit machen sich Regierungen und Unternehmen für nachhaltigere Geschäftspraktiken<br />
stark. Immer mehr Verbraucher wollen wissen, unter welchen Bedingungen<br />
die gekauften Produkte hergestellt wurden und wie groß deren ökologischer<br />
Fußabdruck ist. Deutschland gehört zu den Ländern, die diese Verantwortung auch<br />
gesetzlich verankern wollen.<br />
Ab Januar 2023 tritt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz<br />
in Deutschland in Kraft. Unternehmen<br />
mit mehr als 3000 Mitarbeitern sind dafür<br />
verantwortlich, dass ein bestimmtes Maß an Umwelt-,<br />
Sozial- und Unternehmensstandards – auch<br />
ESG-Standards – über die gesamte Lieferkette hinweg<br />
eingehalten werden. Wenige Monate vor Inkrafttreten<br />
des Gesetzes stellt sich die Frage: Wie fit<br />
sind deutsche Unternehmen?<br />
Laut<br />
einer Umfrage von<br />
Coupa glauben 70<br />
Prozent zwar, dass<br />
sie die Verpflichtungen<br />
aus dem<br />
neuen Lieferkettengesetz<br />
erfüllen<br />
können. Gleichzeitig<br />
aber können 60 Prozent nicht beurteilen, ob ihre<br />
direkten Lieferanten Standards in den Bereichen Umwelt,<br />
Soziales und Unternehmensführung auch tatsächlich<br />
umsetzen. Das aber ist eine Grundvoraussetzung,<br />
um das neue Gesetz zu erfüllen.<br />
Was genau kommt auf<br />
Unternehmen zu?<br />
Unternehmen müssen gemeinsam mit ihren direkten<br />
und indirekten Lieferanten sowie Subunternehmen<br />
geeignete Maßnahmen zur Einhaltung des Gesetzes<br />
ergreifen und diese dokumentieren. Ihre Aufgabe<br />
wird es sein, dafür zu sorgen, dass ESG-Standards<br />
eingehalten werden. Dazu müssen sie die internen<br />
Regelungen öffentlich zugänglich machen, um die<br />
Sorgfaltspflicht einzuhalten. Schließlich verpflichten<br />
sie sich, die ergriffenen Maßnahmen und eventuelle<br />
Verstöße jährlich an das Bundesamt für Wirtschaft<br />
und Ausfuhrkontrolle (BAFA) zu melden. Unternehmen,<br />
die dieser Pflicht nicht nachkommen, drohen<br />
Strafen, die je nach Art und Schwere des Verstoßes<br />
bis zu acht Millionen Euro betragen. Ab 2024 wird<br />
der Geltungsbereich des Gesetzes auch auf Unternehmen<br />
mit mehr als 1000 Beschäftigten ausgeweitet.<br />
Doch wie können sich Unternehmen vorbereiten?<br />
Zunächst müssen sich die Verantwortlichen, wie zum<br />
Beispiel Lieferkettenplaner und -manager, einen<br />
Überblick über sämtliche Lieferanten und Unterlieferanten<br />
verschaffen. Eine frühzeitige Überprüfung der<br />
Anbieter und deren<br />
Leistung sollte ins<br />
»Die Technologie des digitalen<br />
Zwillings nutzt künstliche<br />
Intelligenz , um virtuelle Modelle der<br />
gesamten Lieferkette eines<br />
Unternehmens zu erstellen.«<br />
Risikomanagement<br />
einfließen. Die<br />
Überprüfung sollte<br />
auch das Risiko -<br />
management der<br />
Drittanbieter in<br />
Bezug auf ihre<br />
Lieferketten umfassen.<br />
Bei Vertragsabschluss können auch entsprechende<br />
Klauseln aufgenommen werden, die erweiterte<br />
Lieferkettenrisiken adressieren.<br />
Zu einem umfassenden Risikomanagement gehört<br />
dann auch die Definition von Prozessen und Präventionsmaßnahmen,<br />
die die gesamte Lieferkette betreffen.<br />
Diese sollten so gestaltet sein, dass jeder Einzelne<br />
im Unternehmen – inklusive Geschäftsleitung –<br />
diese Maßnahmen nachvollziehen kann. Weil in großen<br />
Unternehmen nicht immer klar eingegrenzt werden<br />
kann, wer alles mit der Lieferkette in Berührung<br />
kommt oder auch mit Fragen zu ESG in der Lieferkette<br />
konfrontiert wird, sollten Unternehmen idealerweise<br />
alle Beschäftigten schulen und für das Thema<br />
sensibilisieren.<br />
Schließlich müssen die Lieferkettenverantwortlichen<br />
auch sicherstellen, dass die Prozesse und Präventionsmaßnahmen<br />
auch konsequent eingehalten werden.<br />
Etwa die Hälfte der Befragten gab an, dass das<br />
in ihren Unternehmen eine große Herausforderung<br />
ist. Sind nicht alle Lieferanten aller Abteilungen er-<br />
30 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022
Bild: Coupa<br />
Laut einer Umfrage von Coupa glauben 70 Prozent, dass sie die Verpflichtungen aus dem neuen Lieferkettengesetz erfüllen können. Aber 60 Prozent können<br />
nicht beurteilen, ob ihre direkten Lieferanten Standards in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung auch tatsächlich umsetzen.<br />
fasst oder auf die Einhaltung von ESG-Standards<br />
überprüft und Abteilungen kaufen immer noch von<br />
etablierten Kontakten außerhalb des Risikomanagements,<br />
kann das zu Verstößen führen. Umfassende<br />
und regelmäßige Audits und transparentere Prozesse<br />
können solche Fehler direkt aufdecken.<br />
Übergreifendes<br />
Risikomanagement<br />
Eine große Herausforderung für Unternehmen ist es<br />
oft, an die für die Einhaltung des Gesetzes wichtigen<br />
Daten zu kommen. Fast alle der befragten Unternehmen<br />
sind davon überzeugt, dass eine stärkere branchenweite<br />
Zusammenarbeit und der Austausch<br />
wichtiger Daten über die ESG-Standards von Lieferanten<br />
erforderlich sind. 79 Prozent aller befragten<br />
Unternehmen glauben, dass sie das Lieferkettengesetz<br />
besser einhalten könnten, wenn wichtige ESG-<br />
Daten offen und sofort für alle potenziellen Käufer<br />
zur Verfügung stünden. Außerdem sollte die eingesetzte<br />
Technologie für die Einhaltung von ESG-Standards<br />
ausgelegt sein. Mehr als die Hälfte der Befragten<br />
gab an, dass der Einsatz der falschen Technologie<br />
ein großes Hindernis darstellt, ihre Lieferanten richtig<br />
zu bewerten. Es reicht also nicht, wenn irgendwo<br />
auf dem Server mehrere Excel-Listen liegen, die im<br />
Endeffekt niemand nutzt.<br />
Eine professionelle Software kann dabei helfen, Silos<br />
abzubauen und Transparenz über die gesamte Lieferkette<br />
hinweg zu schaffen. Die Technologie des digitalen<br />
Zwillings beispielsweise nutzt künstliche Intelligenz,<br />
um virtuelle Modelle der gesamten Lieferkette<br />
eines Unternehmens zu erstellen. Dies kann für die<br />
Simulierung von Szenarien sowie Stresstests verwendet<br />
werden, um die Schwachstellen zu ermitteln und<br />
risikoreiche Lieferanten zu identifizieren, was die Widerstandsfähigkeit<br />
der Lieferkette enorm verbessern<br />
kann.<br />
Transparenter Datenaustausch<br />
kann allen helfen<br />
Jedes Unternehmen, das seine Lieferkette optimieren<br />
und seine ESG-Verpflichtungen erfüllen möchte,<br />
muss einen Datenaustausch in Betracht<br />
ziehen. Dieser gemeinschaftsbasierte<br />
Ansatz hilft nicht nur, die <strong>Beschaffung</strong><br />
besser zu planen. Er gibt<br />
auch Aufschluss darüber, wie die Lieferkette<br />
den ESG-Kriterien entsprechend,<br />
z. B. Verringerung der<br />
CO 2 -Emissionen, gestaltet werden<br />
kann und wie die ESG-Risiken von Lieferanten<br />
schneller bewertet werden<br />
können. So lassen sich auch Kompetenzlücken<br />
schließen und die Zusammenarbeit<br />
innerhalb der Lieferkette<br />
verbessern.<br />
Bild: Coupa<br />
Frank Cappel<br />
RVP EMEA Value<br />
Solutions Consulting,<br />
Coupa<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022 31
» MANAGEMENT<br />
Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz<br />
LkSG – welche Auswirkungen<br />
hat der Ukraine-Krieg?<br />
Zum 1. Januar 2023 tritt das Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in<br />
Lieferketten (LkSG) in Kraft. Doch was bedeuten unvorhergesehene politische und<br />
wirtschaftliche Ereignisse wie der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine für die<br />
Umsetzung der neuen LkSG-Pflichten? Wie können Unternehmen den Anforderungen<br />
bei solchen Ereignissen künftig nachkommen?<br />
Der Krieg in der<br />
Ukraine hat weit -<br />
reichende Auswirkungen.<br />
Wer Geschäfte<br />
mit russischen<br />
Unternehmen gemacht<br />
hat, ist jetzt gefordert.<br />
Auch zukünftig muss<br />
der Einkauf seine<br />
Einkaufsentscheidung<br />
en kritisch reflektieren,<br />
um leeren Containern<br />
vorzubeugen.<br />
Bild: zinkevych/stock.adobe.com<br />
dik an, die Unternehmen hilft, Risiken zu<br />
identifizieren, zu bewerten und zu priorisieren,<br />
um so wirksame Maßnahmen festzulegen.<br />
Konkret ist die Ausgestaltung der<br />
Risikoanalyse jedoch nicht gesetzlich festgelegt.<br />
Die Folge: Unternehmen müssen<br />
mit Blick auf ihre Zulieferer selbst eine<br />
strukturierte Methodik etablieren, die die<br />
Einschätzung von Wahrscheinlichkeit, Art<br />
und Schwere sowie das Einflussvermögen<br />
auf Risiken oder etwaige Verstöße geschützter<br />
Rechtspositionen erlaubt. Mittelbar<br />
durch die Anforderungen des LkSG<br />
muss auch der Einkauf seine Einkaufsentscheidungen<br />
künftig besonders kritisch<br />
reflektieren. Auf welche Risiken es an-<br />
Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz<br />
normiert die Pflicht für Unternehmen,<br />
ein Risikomanagementsystem in<br />
ihrer Lieferkette zu etablieren. Dieses<br />
muss in den verschiedenen Bereichen des<br />
Unternehmens verankert sein, zum Beispiel<br />
der Compliance-Abteilung, der Personalabteilung<br />
und dem Einkauf. Weiterhin<br />
müssen Unternehmen regelmäßig und<br />
anlassbezogen Risikoanalysen durchführen.<br />
Sie sollen transparent machen, welche<br />
Auswirkungen nicht nur die eigenen<br />
Unternehmensaktivitäten auf Menschen<br />
und Umwelt haben – sondern die gesamte<br />
Lieferkette samt aller Zulieferer. Dafür<br />
kommt es auf eine angemessene Methokommt,<br />
ist abschließend in § 2 LkSG geregelt.<br />
Der Katalog umfasst menschenrechtliche<br />
Risiken wie Missachtung von Arbeitsschutz<br />
oder Ungleichbehandlung in<br />
der Beschäftigung, und umweltbezogene<br />
Risiken, wie die Herstellung und Verwendung<br />
von Quecksilber und der nicht umweltgerechte<br />
Umgang mit Abfällen.<br />
Kriege als solche sind davon nicht unmittelbar<br />
erfasst. Doch obwohl sie kein ausdrückliches<br />
Risiko im Sinne des LkSG darstellen,<br />
beeinflussen Kriege mittelbar die<br />
Menschenrechts- und Umweltlage in der<br />
Lieferkette. Etwa können sich aufgrund<br />
der Kriegssituation Prioritäten verschieben<br />
und lokale Gesetze, Verhaltenskodi-<br />
32 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022
zes und Standards vernachlässigt werden.<br />
Wäre das LkSG bereits heute in Kraft getreten,<br />
wie sollten Unternehmen mit<br />
(un)mittelbaren Zulieferern in der Ukraine<br />
handeln? Zuerst wäre eine anlassbezogene<br />
Risikoanalyse als Reaktion oder in Vorschau<br />
auf die damit verbundene Veränderung<br />
in ihrem Geschäftsfeld empfehlenswert.<br />
Das LkSG unterscheidet im Umfang<br />
der zu ergreifenden Maßnahmen zwischen<br />
Tier 1 (unmittelbare) und Tier n<br />
(mittelbare) Lieferanten. Tier 1 stellt dabei<br />
strengere Sorgfaltsanforderungen und<br />
umfasst mit unmittelbaren Zulieferern jeden<br />
Vertragspartner, der zur Produktherstellung<br />
oder zur Erbringung der Dienstleistung<br />
notwendig ist – vom Rohstofflieferanten<br />
über den Zulieferer komplexer<br />
Bauteile und Komponenten bis zum IT-<br />
Dienstleister. Doch auch mittelbare Zulieferer<br />
sind zu beachten, wenn Unternehmen<br />
aufgrund der Kriegssituation tatsächliche<br />
Anhaltspunkte über eine<br />
Pflichtverletzung vorliegen (sog. „substantiierte<br />
Kenntnis“). Der Ukrainekrieg<br />
beherrscht <strong>aktuell</strong> die Medien und hat<br />
mittelbar Auswirkungen auf deutsche<br />
Unternehmen – eine substantiierte<br />
Kenntnis dürfte also grundsätzlich anzunehmen<br />
sein.<br />
Wie hätten Unternehmen<br />
<strong>aktuell</strong> handeln müssen?<br />
Im Rahmen der Risikoanalyse bei Zulieferern<br />
sind insbesondere die mutmaßlichen<br />
Menschenrechtsverletzungen und die Annexion<br />
ukrainischen Staatsgebiets durch<br />
russische Streitkräfte als Risikotreiber beachtlich,<br />
wenn sie das Unternehmen zum<br />
Beispiel durch Lieferverzögerungen beeinflussen.<br />
Unternehmen müssen damit<br />
rechnen, dass sich kriegsbedingt Risiken<br />
zur Missachtung des Arbeitsschutzes und<br />
der Koalitionsfreiheit erhöhen. Auch<br />
potenzielle Risiken im Hinblick auf exzessive<br />
Anzahl von Überstunden durch wegfallende<br />
Arbeitskraft entsandter Soldaten,<br />
könnten als erhöht eingestuft werden und<br />
sollten durch die Auswahl geeigneter<br />
Methoden identifiziert und bewertet werden.<br />
Auch bei der Risikoanalyse sind<br />
mittelbare Auswirkungen relevant: Verknappte<br />
Lieferkapazitäten in der Ukraine<br />
können dazu führen, dass die Produkti-<br />
onsvolumina an anderer Stelle erhöht<br />
werden und auch die damit einhergehenden<br />
Risiken steigen. Sind für die Einordnung<br />
und entsprechende Maßnahmen<br />
weitere Informationen über Produktionsstandorte<br />
und vom Zulieferer umgesetzte<br />
Maßnahmen nötig, sollten Unternehmen<br />
diese lieber früher als später einholen.<br />
Lieferanten aus der Pflicht<br />
nehmen?<br />
CocaCola, Goldmann Sachs, Ikea und<br />
viele weitere: Während viele Unternehmen<br />
ihr Russland-Geschäft bereits ohne<br />
gesetz liche Pflicht mit Beginn des Angriffskriegs<br />
stoppten, sind mit Inkrafttreten<br />
des LkSG künftig alle Unternehmen<br />
in der Pflicht, auf Basis ihrer Risikoanalysen<br />
geeignete Maßnahmen abzuleiten.<br />
Wichtig: Im rechtlichen Sinn kann der<br />
Krieg als höhere Gewalt oder Unmöglichkeit<br />
eingeordnet werden, eine grundsätzliche<br />
Leistungsbefreiung des Zulieferers<br />
wäre die Folge. Sonst gelten die Anforderungen<br />
des LkSG. Eine mögliche<br />
Maßnahme für Unternehmen könnte<br />
sein, Leistungen von Lieferanten in<br />
Kriegsgebieten nicht wie vertraglich vereinbart<br />
zu verlangen beziehungsweise<br />
abzurufen, wenn dies Beschäftigte vor<br />
Ort in unmittelbare Gefahr bringen<br />
könnte. Eine generelle Pflicht zum Abbruch<br />
von Geschäftsbeziehungen besteht<br />
jedoch nicht – sie ist das letzte<br />
Mittel, wenn die Rechtsverletzungen<br />
nicht anders beseitigt werden können.<br />
Die Lage bleibt weiter unübersichtlich.<br />
Allgemeine Umsetzungs-, Orientierungshilfen<br />
und Praxisleitfäden, wie die Nachverfolgung<br />
von Lieferketten erfolgen<br />
kann, wurden bereits angekündigt. Insbesondere<br />
für Sonderfälle macht die Volatilität<br />
klärende Handreichungen zur Herstellung<br />
von Rechtssicherheit und -klarheit<br />
des Bundesamts für Wirtschaft und<br />
Ausfuhrkontrolle dringend erforderlich, so<br />
auch zu Risikoanalysen im Kriegsfall. Neben<br />
rein rechtlichen Ausführungen sollten<br />
auch operative Hinweise enthalten<br />
sein, die Unternehmen eine gesetzeskonforme<br />
Implementierung des LkSG in bestehende<br />
Abläufe ermöglichen.<br />
Klärende Handreichungen<br />
sind vonnöten<br />
Bis dahin empfehlen wir, dass Unternehmen<br />
nach Inkrafttreten des LkSG Kriege<br />
und sonstige politische Umbrüche bei der<br />
Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten konsequent<br />
berücksichtigen. Neben den möglichen<br />
gesetzlichen Folgen – im Einzelfall<br />
etwa behördliche Kontrollen, oder die<br />
Durchsetzung von Zwangs- und Bußgeldern<br />
– sind Unternehmen auch dem öffentlichen<br />
Druck ausgesetzt. Die Umsetzung<br />
des LkSG sollte daher unter Berücksichtigung<br />
der geschützten Rechtspositionen<br />
besonders sorgfältig erfolgen.<br />
Die Autoren erarbeiten seit Sommer 2021 ganzheitliche<br />
Lösungsansätze zur Umsetzung des LkSG in PwCs<br />
interdisziplinären Center of Excellence und haben bereits<br />
umfassende Umsetzungserfahrung aus mehreren laufenden<br />
Projekten mit Kunden aus verschiedenen Branchen.<br />
• Dr. Tobias v. Tucher, LL.M. Eur, Rechtsanwalt/Partner bei<br />
PwC Legal, Praxisgruppe IP, IT, Commercial und Datenschutz<br />
• Dr. Jan Joachim Herrmann, Partner bei PwC Deutschland,<br />
Management Consulting Procurement<br />
• Felix Kesselberg, Manager bei PwC Deutschland, Management<br />
Consulting Procurement<br />
• Beate Schindlbeck, Rechtsanwältin / Senior Associate bei<br />
PwC Legal, Praxisgruppe IP, IT, Commercial und Datenschutz<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022 33
» MANAGEMENT<br />
Umweltfreundlichkeit bei Textilien nachweisen<br />
Nachhaltige Kleidung verlangt<br />
transparente Wertschöpfungsketten<br />
Nachhaltiger produzierte Bekleidung und Textilien sind im Mainstream angekommen.<br />
Eine transparente textile Wertschöpfungskette ist zwingend erforderlich, um das Ver trauen<br />
der Kunden zu gewinnen. Initiativen wie das U.S. Cotton Trust Protocol bieten verifizierte<br />
Daten, die ihre Fortschritte hinsichtlich einer nachhaltigeren Lieferkette auch für externe<br />
Stakeholder glaubhaft darlegen.<br />
Nachhaltigkeit beginnt<br />
bereits auf dem<br />
Baumwollfeld .<br />
Bild: Trisha Downing/Unsplash<br />
Über fünf Milliarden Kleidungsstücke hängen in<br />
Deutschlands Schränken, Tendenz steigend.<br />
Gleichzeitig versucht die Textilindustrie, die Mengen<br />
an CO 2 -Ausstoß, Wasserverbrauch und Mikroplastik<br />
zu senken. Denn das Bewusstsein der Konsumenten<br />
für ökologische Standards steigt und ist in der Mitte<br />
der Gesellschaft angekommen.<br />
Gefragt sind vor allem ganzheitliche und glaubwürdige<br />
Ansätze, die die Bemühungen um mehr Umweltfreundlichkeit<br />
nachweisen. Ein Beleg für das Interesse<br />
der Branche an einer nachhaltigeren Herstellung<br />
und umweltverträglichen Produkten sind die<br />
gestiegenen Bemühungen der Unternehmen um<br />
hochwertige Transparenzverfahren. Verantwortliche<br />
können aufgrund der Transparenz von Textilien und<br />
Kleidung über die gesamte Lieferkette hinweg beurteilen,<br />
wie nachhaltig ihr Produkt bezogen wurde.<br />
Beispielsweise in puncto Herkunft, Umweltauswirkungen,<br />
Hersteller und Produktionsbedingungen.<br />
Transparenz entscheidend für<br />
Glaubwürdigkeit<br />
Komplexe Lieferketten gehen oft mit mangelnder<br />
Durchsichtigkeit einher, was wiederum die Verbesserung<br />
der Nachhaltigkeit erschwert. Eine vollständige<br />
Kenntnis der Lieferkette ist aber unerlässlich, um die<br />
Verbindung zwischen der nachhaltigen <strong>Beschaffung</strong>spolitik<br />
des Unternehmens und den tatsächlichen<br />
Nachhaltigkeitsergebnissen aufzuzeigen. Die<br />
meisten Unternehmen, die nachhaltigere Baumwolle<br />
beziehen, arbeiten aus diesem Grund mit Zertifizierungsinitiativen<br />
zusammen.<br />
Ein Beispiel aus der Praxis für derartige Zertifizierungen<br />
ist die Baumwoll-Initiative „U.S. Cotton Trust<br />
Protocol“. Das Trust Protocol konzentriert sich auf die<br />
Baumwollproduktion in den Vereinigten Staaten. US-<br />
Baumwolle gehört bereits zu den am nachhaltigsten<br />
angebauten Baumwollsorten der Welt; nur wurde<br />
dies bis zum Jahr 2020 nicht immer adäquat erfasst<br />
und quantifiziert. Die Charta schafft messbare und<br />
verifizierbare Ziele und Messgrößen für eine nachhaltigere<br />
Baumwollproduktion und treibt deren kontinuierliche<br />
Optimierung voran.<br />
Belegbares Umweltengagement<br />
pro Einheit Wolle<br />
Einzelhändler können mithilfe dieser Verfahren Behauptungen<br />
über Produkte und Praktiken validieren<br />
und gegenüber den Verbrauchern kommunizieren.<br />
Die Konsumenten können sich so auf den nachhaltigeren<br />
Ursprung eines Produkts verlassen, wodurch<br />
ihr Vertrauen und die Bindung an den Händler oder<br />
die Marke steigt. Letztere profitieren durch eine erhöhte<br />
Glaubwürdigkeit. Lieferanten verzeichnen<br />
34 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022
U.S. Cotton Trust Protocol<br />
Die Dokumentation durch das U.S.<br />
Cotton Trust Protocol schafft einen<br />
Rahmen für nachhaltiger angebaute<br />
Baumwolle. Sie schafft datenbasierte,<br />
belastbare Ziele und Messgrößen für<br />
eine verantwortungsvolle Baumwollproduktion<br />
und treibt die Optimierung<br />
wichtiger Nachhaltigkeitskriterien<br />
kontinuierlich voran.<br />
trustuscotton.org<br />
dank einer lückenlosen Transparenz ein optimiertes<br />
Management der Lieferkette, wodurch sich auch die<br />
Versorgungssicherheit erhöht.<br />
Die Transparenz der Lieferkette wird durch die sogenannte<br />
Protocol Consumption Management Solution<br />
(PCMS) gewährleistet, die den Mitgliedern des U.S.<br />
Cotton Trust Protocol die Möglichkeit gibt, sogenannte<br />
Protocol Cotton Consumption Units zu erhalten.<br />
Das System basiert auf der von den teilnehmenden<br />
Landwirten tatsächlich geernteten Menge an<br />
Rohfasern. Sobald ein Kilogramm Baumwolle den<br />
Entkörnungsprozess durchlaufen hat, wird die Einheit<br />
auf ihre Echtheit geprüft und mit einem individuellen<br />
Barcode in die Blockchain eingeführt. Diese<br />
Identifikationsnummer ist mit der Entkörnungsanlage,<br />
dem Klassifizierungsbüro und den Qualitätsdaten der<br />
Baumwolle verknüpft. Diese präzise Dokumentationsmethode<br />
gibt den Käufern in der gesamten<br />
Liefer kette die Gewissheit, dass die von ihnen erworbenen<br />
Produkte nicht auf dem Weg ausgetauscht<br />
worden sind. In jeder Phase des Verarbeitungs- und<br />
Lieferprozesses erfolgen eine Prüfung der Bestellung<br />
sowie eine Messung und Bestätigung der Menge.<br />
Die PCMS unterscheidet sich von vergleichbaren<br />
Lösungen durch die intelligente Kombination der<br />
Technologien der Protocol Plattform und der Textile-<br />
Genesis-Plattform. Auf diese Weise wird ein unübertroffenes<br />
Maß an Transparenz bis hin zum einzelnen<br />
Kleidungsstück in der Auslage erreicht. Jedes Mitglied<br />
der Initiative kann eine bestimmte Anzahl an<br />
Protocol Consumption Units anfordern, die erst mit<br />
dem Erwerb der entsprechenden Trust-Protocol-<br />
Faser eingelöst werden können. Dieses System ermöglicht<br />
es Marken und Einzelhändlern, ihr Umweltengagement<br />
in Bezug auf die sechs zentralen Nachhaltigkeitskriterien<br />
Landnutzung, Bodenkohlenstoff,<br />
Wassermanagement, Bodenverlust, Treibhausgasemissionen<br />
und Energieverbrauch gegenüber ihren<br />
Bild: Héctor J. Rivas/Unsplash<br />
Kunden und anderen Stakeholdern zu belegen.<br />
Den ökologischen Fußabdruck der Trust Protocol-<br />
Baumwolle messen die Verantwortlichen direkt auf<br />
den Baumwollfeldern. Das Trust Protocol kooperiert<br />
hierbei mit seinem Datenpartner Field to Market, der<br />
den Field Print Calculator entwickelt hat. Dank dieses<br />
Tools ist es möglich, den Fortschritt der Baumwollfarmer<br />
grafisch aufzubereiten. Die Datensätze werden<br />
gebündelt und den Partnerunternehmen des<br />
Trust Protocol für deren Nachhaltigkeitsberichte<br />
übermittelt. Darüber hinaus beinhaltet das Trust Protocol<br />
ein umfassendes Verifizierungsprogramm. Die<br />
Leistung der Baumwollfarmer wird anhand der Kriterien<br />
des Protocol überprüft und anschließend durch<br />
Control Union Certifications North America als unabhängigen<br />
Dritten verifiziert.<br />
Verlässliche Datenbasis<br />
unabdingbar<br />
Die erhöhte Transparenz von Textilien ist sowohl für<br />
Händler als auch für Produzenten eine unverzichtbare<br />
Grundlage für vertrauenswürdige Aussagen bezüglich<br />
Nachhaltigkeitsgrad, Qualität und Herkunft<br />
ihrer Produkte. Textil- und Modefirmen werden<br />
schon jetzt stark von diesen Aspekten bestimmt und<br />
sollten sich weiter engagieren, wenn sie langfristig<br />
konkurrenzfähig bleiben wollen. Neben unmittelbaren<br />
Wettbewerbern sind hier auch strengere staatliche<br />
Reglementierungen hinsichtlich Nachhaltigkeit<br />
zu nennen, die in den nächsten Jahren erwartet werden.<br />
Mehr Rücksichtnahme auf die Umwelt in die<br />
Geschäftsstrategie aufzunehmen, stärkt somit nicht<br />
nur unser Ökosystem, sondern auch die Marktposition<br />
der Unternehmen und bedeutet einen großen<br />
Schritt in Richtung Green Economy.<br />
Gary Adam, Präsident des U.S. Cotton Trust<br />
Protocol<br />
Jedes Endprodukt lässt<br />
sich dank Protocol<br />
Consumption<br />
Management Solution<br />
bis zu seinem Ursprung<br />
verfolgen.<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022 35
Bild: Sasa Kadrijevic/stock.adobe.com<br />
Consulting Benchmark 2022<br />
Mehr Transparenz im Einkauf<br />
von Beratungsleistungen<br />
Wer wünscht sich das nicht: Mehr Transparenz im Einkauf von<br />
Beratungs leistungen? Eine Studie verschafft hier mehr Klarheit.<br />
Der Einkauf von Beratungsleistungen<br />
unterscheidet sich in mindestens<br />
drei wesentlichen Aspekten gravierend<br />
vom Einkauf anderer Warengruppen. Erstens<br />
hat es der Einkauf üblicherweise<br />
nicht mit typischen wiederkehrenden Bedarfen<br />
zu tun. Zweitens wechseln die internen<br />
Bedarfsträger ständig. Und drittens<br />
sind die Leistungen meist nicht eindeutig<br />
spezifizierbar. Weil dazu noch ein<br />
schier unübersichtlicher <strong>Beschaffung</strong>smarkt<br />
kommt, in dem es weder<br />
klare Standards, Normen oder<br />
Nomenklaturen gibt, steht der<br />
Beratungseinkauf kontinuierlich<br />
vor der Herausforderung<br />
ein Mindestmaß an Transparenz<br />
zu schaffen.<br />
Über welche Fach- oder Branchenexpertise<br />
eine Beratungsfirma<br />
verfügt, ist für potenzielle<br />
Kunden häufig nicht auf<br />
den ersten Blick erkennbar, da<br />
hier Branchenstandards fehlen. Die Darstellung<br />
der großen internationalen Beratungshäuser<br />
kann schnell einige Dutzend<br />
Leistungsbereiche, sogenannte Practices<br />
umfassen. Im Wesentlichen werden vier<br />
Beratungsfelder unterschieden: Strategy,<br />
Organization, Operations, Technology.<br />
Strategieberater unterstützen ihre Klienten<br />
bei der Bewältigung strategischer<br />
Fragestellungen. Organisationsberater<br />
konzentrieren sich auf die Entwicklung<br />
und Optimierung von Ablauf- und Aufbauorganisationen.<br />
Das Feld der Operations<br />
ist recht weit und zielt auf die Entwicklung<br />
und Optimierung von Abläufen<br />
mit konkreten qualitativen und quantitativen<br />
Zielen. Technologieberater decken<br />
vielfältige Aufgabenstellungen vor dem<br />
Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung<br />
ab.<br />
Die klassische Strategieberatung dominiert<br />
(über 40 %) weiterhin und wird vor<br />
allem nach Aufwand abgerechnet. Auch<br />
die Nachfrage nach Technologieberatung<br />
ist stark (30 %) und dürfte sowohl absolut<br />
als auch relativ weiter zunehmen. Hier<br />
»Die Rasanz, mit der Unternehmen<br />
heute ihren digitalen Umbau<br />
angehen müssen, lässt wenig Raum<br />
für die Reduktion jährlicher<br />
Beratungsausgaben .«<br />
Dr. Franziska Seewald, Globale Einkaufsleitung für<br />
Management Consulting Services bei der Siemens AG<br />
halten sich fixe und aufwandsbezogene<br />
Vergütungsmodelle in etwa die Waage.<br />
Noch immer sind die meisten Unternehmensberatungen<br />
streng hierarchisch organisiert.<br />
Das liegt auch an dem typischen<br />
Karrierekonzept, das auch als „Up<br />
or Out“ bzw. „Grow or Go“ bekannt ist.<br />
Beratungen müssen, damit möglichst viele<br />
talentierte Nachwuchskräfte gewonnen<br />
werden können, steile Karrierepfade<br />
und strenge Auswahlkriterien etablieren.<br />
Da es im Markt aber keinen Standard für<br />
die einzelnen Rangstufen bzw. Grades<br />
gibt, herrscht ein hohes Maß an verwirrender<br />
Unordnung. Immerhin lassen sich<br />
die einzelnen Stufen der meisten Beratungsfirmen<br />
in drei Hauptgruppen einordnen:<br />
Berater, Manager, Partner. Diese<br />
Systematik erinnert an militärische Laufbahngruppen<br />
der Mannschaften, Unteroffiziere<br />
und Offiziere und erfüllt einen<br />
ähnlichen Zweck, Klarheit in den Aufgaben<br />
und der Kommandostruktur. Gleichzeitig<br />
sollen Rangbezeichnungen wie „Senior<br />
Manager“ oder „Principal“ den potenziellen<br />
Kunden ein Qualitätssignal<br />
senden.<br />
Der Consulting Benchmark<br />
2022 der Apadua GmbH zeigt,<br />
dass eine Person mit höchster<br />
Seniorität (hier Partner) im<br />
Durchschnitt mehr als doppelt<br />
so teuer ist, wie die Person der<br />
niedrigsten Seniorität (hier<br />
Consultant). Auch sind gelegentlich<br />
pauschale Tagessätze,<br />
sogenannte Blended Rates zu<br />
beobachten. Diese verschleiern<br />
die Preise der einzelnen Ränge, können<br />
aber mit einfachen Mitteln entschlüsselt<br />
werden.<br />
Die typische hierarchische Struktur von<br />
Unternehmensberatungen widerspiegelt<br />
sich auch im Staffing von Kundenprojekten.<br />
Die untersuchten Daten bestätigen<br />
die Erwartung, dass die Anzahl der auf<br />
das Projekt allokierten Personentagen mit<br />
steigender Seniorität abnimmt. Jedoch ist<br />
auch zu beobachten, dass hoch intensive<br />
Projekte, mit vielen allokierten Ressourcen<br />
in verhältnismäßig kurzer Zeit, überdurchschnittlich<br />
senior besetzt werden.<br />
Strategieprojekte weisen deutlich kürzere<br />
36 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022
MANAGEMENT «<br />
Projektlaufzeiten als Technologieprojekte.<br />
Interessant ist, dass die langen Technologieprojekte<br />
eher an diversifizierte und generalistische<br />
Beratungsfirmen vergeben<br />
werden und kürzere Projekte eher an Spezialisten.<br />
Dies dürfte auch mit der Größe<br />
der typischen Firmen der drei Beratertypen<br />
Spezialist, Diversifiziert und Generalist<br />
zusammenhängen.<br />
Die Form der Leistungserbringung in der<br />
Unternehmensberatung wandelt sich sehr<br />
stark. Hier wirkt die Corona-Pandemie als<br />
Katalysator der Digitalisierung und Virtualisierung<br />
der Branche. Dies birgt Chancen<br />
und Risiken für die Branche. Wenn<br />
das Projektteam nicht mehr vor Ort arbeiten<br />
muss, kann die Beratung den Pool<br />
möglicher Projektressourcen zumindest<br />
theoretisch stark internationalisieren. So<br />
können möglicherweise bessere und<br />
günstigere Ressourcen eingesetzt werden,<br />
ohne dass die Qualität der Dienstleistung<br />
darunter leidet. So wird nicht nur der<br />
Engpass geeigneten Personals im<br />
deutschsprachigen Raum kompensiert,<br />
sondern werden sogar Personalkosten gesenkt.<br />
Die Frage ist, ob die Kunden tatsächlich<br />
im „People Business“ Unternehmensberatung<br />
dauerhaft abwesende Projektteams<br />
akzeptieren werden.<br />
Die Digitalisierung und Virtualisierung<br />
von Beratung verändern die Profile des<br />
benötigten Personals. Wenn Kunden vermehrt<br />
Unterstützung in digitalen Fragestellungen<br />
benötigen, werden von den<br />
Mitarbeitenden der Beratungen entsprechende<br />
Kompetenzen erwartet [Kreutzer/<br />
Hartmann/Kaufmann, Consulting nach<br />
Corona, Harvard Business Manager März<br />
2022]. Auch die Beratung aus der Distanz<br />
dürfte andere Skills erfordern als das Arbeiten<br />
vor Ort.<br />
Für den Auftraggeber und den Einkauf ergeben<br />
sich hierdurch ebenfalls neue<br />
Handlungszwänge. So galt es beispielsweise<br />
für 2020 und die Folgejahre, die<br />
Personentagessätze weiter aufzuschlüsseln<br />
und Spesen bzw. Reiseaufwände<br />
transparent zu machen. Inwiefern es Auftraggebern<br />
in der Breite gelang, die sich<br />
aus dem plötzlichen Rückgang der Reisetätigkeiten<br />
ergebenen zusätzlichen Gewinne<br />
der Beratungen zurückzuholen ist<br />
bisher nicht bekannt.<br />
Verteilung der Verhandlungsergebnisse<br />
und erzielte<br />
Kosteneffekte<br />
Durchschnittliche Personentagessätze je Rang<br />
Aufgrund der üblicherweise sehr komplexen,<br />
durch unterschiedliche Anbieter vorgestellten<br />
Projektalternativen ist die Auswahl<br />
von Beratungsunternehmen zur Projektbegleitung<br />
kein rein ökonomischer<br />
Vorgang. Neben objektiven Informationen<br />
sind auch eine Vielzahl subjektiver Eindrücke<br />
in der Entscheidungsfindung zu<br />
berücksichtigen. Da in Deutschland etwa<br />
32% aller Beratungsprojekte durch den<br />
Kunden im Nachhinein als nicht zufriedenstellend<br />
gewertet werden [Fink/Knoblach,<br />
Management Consulting 2021], ist<br />
eine gut durchdachte Angebotsbewertung<br />
angebracht. Hierzu hat sich die<br />
Nutzwertanalyse bewährt. Hierbei werden<br />
die zahlreichen Auswahlkriterien untereinander<br />
gewichtet und durch einzelne<br />
Entscheidungsträger oder Gremien standardisiert<br />
bewertet. Der Benchmark zeigt,<br />
dass in der großen Mehrheit der Fälle (etwa<br />
70 %), eine Entscheidung zugunsten<br />
jenes Anbieters fällt, der das qualitativ<br />
Bild: Apadua GmbH, Consulting Benchmark 2022<br />
Teamstrukturen nach Rang und Projektphasen in<br />
Angeboten nach Aufwand<br />
beste Konzept vorgestellt hat, ohne dass<br />
dieses auch das günstigste war.<br />
Vor dem Hintergrund der hohen Unzufriedenheitsrate,<br />
ist es opportun zuerst die<br />
beste Alternative zu identifizieren und<br />
dann den Preis zu verhandeln. Hierbei<br />
wird dann in der Praxis in etwa einem<br />
Drittel der Fälle mit mehr als einer Firma<br />
verhandelt. Diese Verhandlungen gehen<br />
oft nicht nur auf die reinen Personentagessätze,<br />
sondern auch auf die Projektspezifikation<br />
selbst ein.<br />
Die internen Bedarfsträger zu verstehen,<br />
sie bei der Vorbereitung von Ausschreibungen<br />
von Projekten mit sehr guten<br />
Marktkenntnissen und durch bewährte<br />
entscheidungstheoretische Ansätze bei<br />
der finalen Auswahl der passenden Beratungsfirma<br />
zu begleiten, ist der Schlüssel<br />
zum erfolgreichen Einkauf von Beratungsleistungen.<br />
Georg Vider, Apadua<br />
Bild: Apadua GmbH, Consulting Benchmark 2022<br />
Bild: Apadua GmbH, Consulting Benchmark 2022<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022 37
TITEL » C-Teile-Management<br />
Bild: Keller & Kalmbach<br />
Dr. Florian Seidl ist geschäftsführender<br />
Gesellschafter der Keller & Kalmbach GmbH.<br />
Dr. Florian Seidl, geschäftsführender Gesellschafter, Keller & Kalmbach, im Interview<br />
Die Analyse wird<br />
immer wichtiger<br />
Seit 1979 ist Dr. Florian Seidl Geschäftsführer der Keller & Kalmbach<br />
GmbH. Wie er die letzten Jahre erlebt hat und wie moderne Analyse-<br />
Tools sowohl dem C-Teile-Spezialisten als auch seinen Kunden dabei<br />
helfen, den derzeitigen Herausforderungen zu begegnen, erzählt er im<br />
Gespräch mit der <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong>. Dabei standen auch die<br />
Impressum: Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e. V. (BME)<br />
Themen Frankfurter Nachhaltigkeit Straße 27, 65760 und Eschborn, Digitalisierung Tel. 06196 5828-0, auf Fax der –299, Agenda.<br />
E-Mail: info@bme.de, Internet: www.bme.de<br />
38 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong>: Herr Dr. Seidl, Keller &<br />
Kalmbach hat neun Standorte in Deutschland und<br />
ist international an neun weiteren vertreten. Wie<br />
erleben Sie diese volatilen Zeiten?<br />
Dr. Florian Seidl: Gesamtwirtschaftlich befinden<br />
wir uns in einer schwierigen Gemengelage. Der Umgang<br />
mit enormen Preissteigerungen auf dem Markt<br />
für Verbindungs- und Befestigungstechnik sowie die<br />
Aufrechterhaltung einer stabilen Lieferkette sind für<br />
uns die größten Herausforderungen. Wenn man unsere<br />
Kundensegmente in Deutschland näher betrachtet,<br />
so kann man sagen, dass die Auftragslage in der<br />
Automobilindustrie zwar gut ist, die Teileverfügbarkeit<br />
aber hier ein großes Problem darstellt – sei es die<br />
Chipkrise, die uns seit Monaten begleitet oder der<br />
Ausfall von Bordnetzproduzenten durch den Ukrainekrieg.<br />
Das führt zu Produktionsausfällen und das<br />
spüren auch die Zulieferer. Zudem ist bei der Weitergabe<br />
von unumgänglichen Preisanpassungen an<br />
Kunden für uns alle Fingerspitzengefühl in der Kommunikation<br />
gefragt. Positiv ist für uns, dass die Auftragslage<br />
in einer unserer Fokusbranchen, dem Maschinenbau,<br />
bis ins Jahr 2023 sehr gut ist. Unsere<br />
Kunden sind hier sehr positiv gestimmt. Auch im<br />
Hinblick auf die Bahnindustrie, die wir ebenfalls versorgen,<br />
blicken wir mit Zuversicht in die Zukunft.<br />
Inwiefern spüren Sie die Auswirkungen des Krieges<br />
in der Ukraine auf Ihr Geschäft?<br />
Seidl: Wir haben vor fünf Jahren mit der Versorgung<br />
unserer Industriekunden in Russland begonnen<br />
und haben für die lokale Betreuung einen Standort in<br />
Jekaterinburg eröffnet. Die durch den Ukrainekrieg<br />
erlassenen Sanktionen haben dazu geführt, dass wir<br />
unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Russland<br />
nicht unterstützen können und sie <strong>aktuell</strong> auf sich<br />
alleine gestellt sind. Zudem sorgt der Krieg einkaufsseitig<br />
für steigende Energie- und Rohstoffpreise und<br />
führt zum Teil zu weiteren Ressourcenengpässen,<br />
z. B. bei Eisenerz, Nickel oder im Rohstahlbereich.<br />
Welche Art von Gütern beschaffen Sie und wo liegen<br />
Ihre Einkaufsmärkte?<br />
Seidl: Wir versorgen unsere Industriekunden weltweit<br />
mit Verbindungselementen, die wir nicht nur<br />
genormt einkaufen, sondern auch für spezifische Anforderungen<br />
in Form von Sonder- und Zeichnungsteilen<br />
produzieren lassen. So lassen wir Dreh- und<br />
Frästeile, Stanz- und Biegeteile sowie Fließpressund<br />
Kunststoffteile in allen Werkstoffen, Güteklassen<br />
und mit jeder Oberfläche bzw. Beschichtung herstellen.<br />
Daneben beliefern wir unsere Kunden mit Befestigungstechnik,<br />
Werkzeugen, Industriebauteilen und<br />
einer großen Palette an weiteren C-Teilen wie beispielsweise<br />
chemisch-technische Produkte. Unsere<br />
<strong>Beschaffung</strong>smärkte befinden sich in Europa und<br />
Asien. Durch die Lieferengpässe, die mit der Ukrainekrise<br />
zusammenhängen, sowie die Einführung der<br />
Anti-Dumping-Zölle auf Verbindungselemente aus<br />
China haben wir unser Lieferantenportfolio erweitert<br />
und Partner in anderen Ländern gefunden, die unsere<br />
hohen Qualitätsstandards abbilden können. In Anbetracht<br />
der sehr langen Lieferzeiten aus Fernost haben<br />
wir auch neue <strong>Beschaffung</strong>squellen in Osteuropa<br />
aufgebaut. Diese liefern schneller, aber nicht zu den<br />
preislich günstigen Konditionen wie Fernost.<br />
Wie sehr waren Sie von Engpässen betroffen? Und<br />
welche Auswirkungen hatte das auf Ihre Kunden?<br />
Seidl: Covid-bedingt gibt es noch immer Störungen<br />
der weltweiten Lieferketten, die sich durch die Entwicklungen<br />
in China weiter verstärkt haben – der<br />
Lockdown in Shanghai hat zu einem Frachtschiffstau<br />
im größten Hafen der Welt geführt. Wir arbeiten allerdings<br />
eng mit unseren Partnern in China zusammen<br />
und haben Verschiffungen unserer Ware teilweise<br />
auf andere Häfen verlegt. Daneben führen die<br />
Anti-Dumping-Zölle auf Stahlschrauben und Stahlscheiben<br />
zu einer weiteren Verknappung der für Europäer<br />
nutzbaren Produktionskapazitäten, was die<br />
Preise noch einmal in die Höhe treibt. Insgesamt<br />
stellen wir fest, dass Einschränkungen und Verknappung<br />
aber zu neuen Ideen und innovativen Lösungen<br />
führen können. So haben wir unsere Strategie hinsichtlich<br />
der Bezugsquellen für Produkte tiefgreifend<br />
überarbeitet und, wie schon erwähnt, neue Lieferanten<br />
aufgebaut. So bleiben wir handlungsfähig und<br />
können zielgerichtet in die Supply Chain eingreifen.<br />
Zudem haben wir die Digitalisierung in den vergangenen<br />
Monaten mit Hochdruck vorangetrieben und<br />
setzen auf tiefgreifende datenbasierte Analysemöglichkeiten,<br />
um verschiedene Szenarien zu simulieren<br />
und Lieferengpässen und -verzögerungen vorzubeugen.<br />
So konnten wir unsere Kunden zu jeder Zeit zuverlässig<br />
versorgen. In Gesprächen signalisieren sie<br />
immer wieder, dass sie den Einsatz unserer Advanced<br />
Analytics Tools als sehr hilfreich wahrnehmen, da dadurch<br />
frühzeitig eingegriffen wird, wenn absehbare<br />
Engpässe auftreten. Zum Beispiel auf Basis von Prognosen,<br />
die sich in die falsche Richtung entwickeln.<br />
Wie haben sich die Einkaufspreise für Keller &<br />
Kalmbach entwickelt? Inwieweit müssen Sie diese<br />
an Ihre Kunden weitergeben?<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022 39
TITEL » C-Teile-Management<br />
Beim Linewalk sehen<br />
sich Spezialisten die<br />
Montageabläufe<br />
genau an und finden<br />
Ansatzpunkte für<br />
Kostenreduzierungen<br />
sowie Montagezeit -<br />
verringerungen.<br />
Seidl: Neben den Auswirkungen der Bezugsquellenanpassungen<br />
für einige Artikel und Produktbereiche<br />
gibt es noch weitere wichtige Faktoren, die sich<br />
preissteigernd auswirken. Da sind vor allem die gestiegenen<br />
Preise für das Vormaterial zu nennen. Der<br />
Materialpreisindex des DSV für Walzdraht, der für die<br />
Produktion von Schrauben benötigt wird, hat sich innerhalb<br />
eines Jahres fast verdoppelt, die entsprechenden<br />
Produkte sind damit bis jetzt um über 25<br />
Prozent teurer geworden. Bei Edelstahl sieht es ähnlich<br />
aus. Dazu kommen die gestiegenen Energiekosten,<br />
mit denen wir alle konfrontiert werden, und die<br />
Verpackungskosten, die sich seit Beginn der Pandemie<br />
um über 60 Prozent verteuert haben. Das betrifft<br />
nicht nur Kartonagen, sondern auch Umverpackungen,<br />
Europaletten und weitere Materialien. Dazu<br />
kommt, dass sich die Preise für Containertransporte<br />
aus Asien im Schnitt vervierfacht haben! Was all unsere<br />
Standorte eint ist die Herausforderung, mit den<br />
enormen Preissteigerungen umzugehen. Wir müssen<br />
natürlich die Preiserhöhungen bei unseren Kunden<br />
durchsetzen, um die Existenz der Firma zu sichern<br />
und nicht in eine gefährliche Schieflage zu geraten.<br />
Gleichzeitig stehen wir unseren Kunden beratend zur<br />
Seite, um Einsparpotenziale aufzudecken. Zum einen<br />
bieten wir gemeinsame Produktionsbegehungen, die<br />
sogenannten Linewalks, zum anderen implementieren<br />
wir C-Teile-Management-Lösungen zur ganzheitlichen<br />
Supply-Chain-Optimierung, mit denen<br />
hohe Prozesskosteneinsparungen einhergehen.<br />
Haben Sie etwas unternommen, um den Einkauf<br />
bzw. die Logistik resilienter aufzustellen?<br />
Bild: Keller & Kalmbach<br />
Seidl: Wie schon erwähnt, haben wir den Digitalisierungsgrad<br />
in unserem Unternehmen maßgeblich<br />
erhöht, um entsprechend effizient zu agieren. Vor allem<br />
aber auch, um valide Forecasts für die Zukunft<br />
erheben zu können. Im Einkauf haben wir die Märkte<br />
intensiv im Blick und können durch den engen Austausch<br />
mit Partnern schnell einschreiten, wenn sich<br />
Marktgegebenheiten verändern. Selbstverständlich<br />
führen wir darüber hinaus Risikoanalysen durch und<br />
agieren aktiv, wenn sich Parameter verändern, wie<br />
das beispielsweise bei der Anpassung unserer <strong>Beschaffung</strong>squellen<br />
notwendig wurde. Sehr viele Produkte<br />
haben wir auch auf einen Dual- oder Multi-<br />
Source-Ansatz umgestellt. Als großen Meilenstein<br />
ordnen wir die Entwicklung und den Einsatz unserer<br />
Advanced Analytics Tools ein, mit denen wir z. B.<br />
Forecastzahlen, die uns unsere Kunden mitteilen,<br />
prüfen und analysieren können. Falls wir einen Fehler<br />
identifizieren, muss dieser behoben werden, sonst ist<br />
ein Einspielen der Daten in unser System nicht möglich.<br />
Ein anderes Tool simuliert die Bestandsverläufe<br />
mittels Szenarioplanung, um kritische Bestandsverläufe<br />
im Voraus zu identifizieren. Wir haben mittlerweile<br />
eine Fülle an Werkzeugen im Einsatz, die verschiedene<br />
Bereiche fokussieren. Sie sind intuitiv und<br />
modular aufgebaut und geben uns in Echtzeit einen<br />
Einblick in unsere Datenwelt. Aus unserer Sicht lohnt<br />
es sich, Kompetenzen in diesem Bereich aufzubauen,<br />
denn die Erkenntnisse, die uns die Datenanalysen liefern,<br />
sind unbezahlbar. Letztlich geht es immer um<br />
die Versorgungssicherheit unserer Kunden.<br />
Wie geht Keller & Kalmbach das Thema Nachhaltigkeit<br />
an? Wie unterstützen Sie Kunden hierbei?<br />
Seidl: Wir verfolgen ein striktes Nachhaltigkeitskonzept,<br />
indem wir unseren CO 2 -Ausstoß in vier Jahren<br />
um 25 Prozent gesenkt haben und daran arbeiten,<br />
bis 2030 CO 2 -neutral zu werden. Unser größter<br />
Energieverbraucher ist das Zentrallager Hilpoltstein.<br />
Dies wurde schon 2008 bewusst ohne fossile Brennstoffe<br />
für Heizung etc. geplant. Vielmehr wird mit<br />
Wärmepumpentechnik Energie in unserem eine Million<br />
Liter umfassenden Sprinklertank gespeichert, die<br />
im Winter zum Heizen und im Sommer zur Kühlung<br />
der Büroräume verwendet wird. Die Regalbediengeräte,<br />
die teilweise bis zu 40 Meter hoch sind und viele<br />
Tonnen bewegen, gewinnen auf ihren Abwärtsbewegungen<br />
Energie zurück. Für 2022 haben wir die<br />
Erweiterung unserer vorhandenen Photovoltaik-Anlage<br />
(50 kWp) an unserem Logistikstandort Hilpoltstein<br />
auf 800 kWp beauftragt. Wir setzen an zahlreichen<br />
Stellen an, um unseren Teil dazu beizutragen,<br />
verantwortungsvoll mit Ressourcen umzugehen. Uns<br />
40 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022
ist es aber wichtig, dass wir diesen Aktionsplan auch<br />
um soziale Rechte ergänzen, das heißt den Umgang<br />
mit Mitarbeitern und die Achtung der Menschenrechte<br />
einschließlich der Kriterien der Arbeitnehmerrechte<br />
und der sozialen Verantwortung von Unternehmen<br />
in den Wertschöpfungsketten unserer Vorlieferanten.<br />
Wir haben jüngst einen Nachhaltigkeitsreport<br />
veröffentlicht, in dem wir Einblicke in unsere<br />
Aktivitäten ermöglichen. Unser Geschäftsmodell ist<br />
zudem gelebte Nachhaltigkeit, denn C-Teile-Logistik<br />
reduziert die Transportkosten dramatisch.<br />
Wie genau kann C-Teile-Logistik nachhaltig die<br />
Transportkosten reduzieren?<br />
Seidl: Die Emissionen der Lieferkette eines Unternehmens<br />
sind laut SAP-Vorstand Saueressig im<br />
Durchschnitt mehr als fünfmal so hoch wie dessen<br />
direkte Emissionen. Das Geschäftsmodell von Keller<br />
& Kalmbach leistet eine wesentliche Optimierung der<br />
Lieferkette unserer Kunden. Es reduziert Komplexität,<br />
vermeidet eine große Zahl von Transaktionen und<br />
hilft, Verwaltungs- und Transportvorgänge durch die<br />
Bündelung im C-Teile-Management drastisch zu reduzieren.<br />
Das Ziel einer C-Teile-Logistik – wie z. B.<br />
einer Kanban-Belieferung – ist, diese Kosten der <strong>Beschaffung</strong><br />
erheblich zu reduzieren. Das bedeutet,<br />
dass nicht nur die internen Prozesse und die Kapitalbindungskosten<br />
sinken, sondern vor allem auch die<br />
Anzahl der Transporte reduziert wird. Die Bündelung<br />
der Produkte erfolgt beim C-Teile-Logistiker, der diese<br />
lagert und in festgelegten Intervallen in oder an<br />
die Produktion liefert. D. h. wenn ein Kunde für 100<br />
Artikel 10 Lieferanten hat, die im Schnitt jede Woche<br />
einen oder mehrere Artikel liefern, fallen im Zeitraum<br />
von 12 Wochen 120 Transportvorgänge, Wareneingänge<br />
etc. an. Wenn ein C-Teile-Logistiker wöchentlich<br />
gebündelt liefert, fallen für den Kunden genau<br />
50 Liefervorgänge an und aufgrund der größeren Lagerhaltung<br />
des C-Teile-Logistikers bei viermaliger<br />
Lieferung durch die Lieferanten 30 Vorgänge. Insgesamt<br />
sind es also 80 Liefervorgänge anstelle von 120.<br />
aus. Die Teile beschaffen wir von über 3000 Lieferanten<br />
und überwachen diese Bestellungen, bis sie in<br />
unserem Zentrallager eintreffen. Um Entscheidungen<br />
auf einer validen Datenbasis treffen zu können, haben<br />
wir mit dem Einsatz von Advanced Analytics begonnen.<br />
Damit sind wir in der Lage, die Dispositionsparameter,<br />
Lieferzeiten und Bedarfsprognosen automatisch<br />
an die <strong>aktuell</strong>e Situation anzupassen – und<br />
das i. d. R. völlig automatisch. Unsere Analysetools<br />
sind aus dem Tagesgeschäft nicht mehr wegzudenken<br />
und unterstützen auch unsere Mitarbeiter im<br />
Kundenkontakt maßgeblich. Industriekunden versorgen<br />
wir mit C-Teile-Logistiklösungen und erkennen<br />
sofort, wenn Anpassungen bei den Bedarfen notwendig<br />
sind – meist bevor uns das aktiv kommuniziert<br />
wird. Um unseren Kunden den Zugang zu Forecasts<br />
zu ermöglichen, planen wir die Integration in unsere<br />
neue Plattform Logtopus. Die Einsatzmöglichkeiten<br />
sind vielfältig, so können auch Drittlieferanten eingebunden<br />
werden oder interne logistische Prozesse.<br />
Ziel ist die automatisierte Supply Chain, die auch<br />
Sondereinflüssen und Schwankungen standhält.<br />
Sie sprachen den Einsatz von Advanced Analytics<br />
an. Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz für<br />
Sie jetzt und in Zukunft?<br />
Seidl: Die digitale Transformation schreitet voran.<br />
Es gilt, Daten zu sammeln und mit Kunden und Lieferanten<br />
regelmäßig auszutauschen, auszuwerten und<br />
gezielte Aktivitäten abzuleiten. In unserem Fall sieht<br />
das konkret so aus: Wir haben über 200.000 aktive<br />
Teile. Ungefähr 50 Disponenten disponieren diese<br />
Teile und lösen jährlich ca. 160.000 Bestellpositionen<br />
Bild: Keller & Kalmbach<br />
Die C-Teile-Logistik<br />
mit Keller & Kalmbach<br />
reduziert Verwaltungsund<br />
Transport -<br />
vorgänge.<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022 41
Bild: KTR<br />
Mitarbeitende können<br />
über die Plattform<br />
selbstständig und<br />
anhand von Lieferantenkatalogen<br />
und verhandelten<br />
Sortimenten<br />
Produkte bestellen.<br />
Prozessoptimierung mittels E-Procurement<br />
Maschinenbauer beschleunigt<br />
seine indirekte <strong>Beschaffung</strong><br />
Experten und auch die mittelständischen Unternehmen selbst sind sich einig,<br />
dass man heute um Digitalisierung nicht mehr herumkommt. Doch das „Was“<br />
und „Wie“ liefert oft mehr Fragen als Antworten. Dass es sich lohnt,<br />
digitalisierte Arbeitsweisen weiter auszubauen und tägliche Routinen auf die<br />
Prozess beschleunigung hin zu hinterfragen, zeigt KTR Systems. Seit 2019 stellt<br />
das Maschinenbauunternehmen neben vielen Bereichen auch die<br />
Einkaufsabteilung digital auf.<br />
Als Hidden Champion wird ein Unternehmen bezeichnet,<br />
das in der breiten Öffentlichkeit kaum<br />
bekannt ist, doch in der jeweiligen Branche als<br />
Marktführer auftritt. So auch die KTR Systems GmbH,<br />
welche das Forschungszentrum Mittelstand in seiner<br />
Studie 2021 als eine dieser verborgenen Marktgrößen<br />
in NRW ausmachte. Der westfälische Maschinenbauer<br />
ist spezialisiert auf die Herstellung von Antriebskomponenten,<br />
Bremssystemen, Hydraulikkomponenten<br />
sowie Kühlsystemen.<br />
Auf der Suche nach Effizienz im<br />
Einkauf<br />
Bis vor zwei Jahren wickelte die KTR-Einkaufsabteilung<br />
die <strong>Beschaffung</strong> über die Online-Marktplätze<br />
und digitalen Portale ihrer Lieferanten ab. Eine tatsächliche<br />
Optimierung der Arbeitsabläufe war das jedoch<br />
kaum, denn der <strong>Beschaffung</strong>sprozess durchlief<br />
immer noch die aufwendigen analogen Verwaltungsstufen.<br />
Zudem kauften manche Mitarbeitenden unkontrolliert<br />
am Einkauf vorbei ein. Chris Trommer,<br />
Einkaufsleiter bei KTR Systems: „Trotz erzielter Prozessoptimierungen<br />
nahm insbesondere der Bestellablauf<br />
indirekter Bedarfe immer noch zu viel Zeit und<br />
Ressourcen in Anspruch. Daher haben wir 2019 begonnen,<br />
nach Lösungen zu suchen, wie wir die Abwicklung<br />
indirekter Bedarfe nachhaltig optimieren<br />
können.“ Ein von Studenten der WHU besetztes Projektteam<br />
erarbeitete einen auf KTR zugeschnittenen<br />
Soll-Prozess. Die verschiedenen Bezugsquellen sollten<br />
dabei in einer Lösung zentral zusammengefasst,<br />
jedoch von den KTR-Nutzern dezentral genutzt werden<br />
können.<br />
Schlussendlich fiel die Entscheidung auf die E-Procurement-Plattform<br />
Simple System. Die Münchener<br />
<strong>Beschaffung</strong>sexperten stellen mit ihrem Portal so-<br />
42 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022
C-TEILE-MANAGEMENT «<br />
wohl einkaufenden Unternehmen als auch Lieferanten<br />
einen neutralen digitalen Marktplatz zur Verfügung,<br />
auf dem diese unmittelbar miteinander Geschäfte<br />
abschließen können. „Wir haben uns vor allem<br />
wegen der guten Beratung im Vorfeld für Simple<br />
System entschieden. Aufgrund unserer Unternehmensstruktur<br />
benötigten wir für die indirekte <strong>Beschaffung</strong><br />
besondere Funktionen“, so Trommer.<br />
Anerkennung autarker<br />
Bestellprozesse<br />
Zu Beginn der Einführungsphase Ende 2019 gab es in<br />
der KTR-Belegschaft durchaus Skepsis gegenüber der<br />
Prozessveränderung, erinnert sich Trommers Mitarbeiterin<br />
Olga Holthaus, die für den Bereich der indirekten<br />
<strong>Beschaffung</strong> zuständig ist: „Einige befürchteten<br />
anfangs, dass sie neben ihrem Job jetzt noch die<br />
Aufgaben der Einkaufsabteilung übernehmen sollen.<br />
Aber das stimmte so natürlich nicht.“<br />
Mit Simple System sollten demnach Mitarbeitende<br />
an Schlüsselbedarfsstellen befähigt werden, selbstständig<br />
über die Plattform und anhand von abgestimmten<br />
Lieferantenkatalogen und verhandelten<br />
Sortimenten Waren und Produkte zu bestellen, ohne<br />
zuvor Anträge bei der Einkaufsabteilung einreichen<br />
zu müssen. Diese verhandelt nun lediglich noch die<br />
Konditionen und kann bei Unregelmäßigkeiten im<br />
Bestellverhalten eingreifen. „An den Endgeräten<br />
brauchen die User weder VPN noch SAP-Schnittstelle“,<br />
so Holthaus. „Während des Auftragsvorgangs<br />
wird über die Plattform automatisch mithilfe des<br />
Simple System Cockpit eine technische Kopie der Bestellung<br />
im SAP für die Rechnungsprüfung angelegt.<br />
Das erhöht die Usability im Betriebsalltag massiv und<br />
hat schnell zu einer breiten Akzeptanz in der Belegschaft<br />
geführt.“<br />
Ein weiterer Grund für die Entscheidung war das große<br />
Lieferantenangebot. „Einige unserer Lieferanten,<br />
Bild: KTR<br />
mit denen wir schon seit Langem in einer Geschäftsbeziehung<br />
stehen, waren bereits auf dem Marktplatz.<br />
Das hat die Transformation natürlich erleichtert“,<br />
schildert Holthaus. Doch auch die Beziehungen zu<br />
anderen Lieferanten, die noch nicht auf der E-Procurement-Plattform<br />
vertrieben haben, konnten aufrechterhalten<br />
werden.<br />
„Im Gespräch mit unseren Lieferanten verspürten wir<br />
teilweise eine Unsicherheit, was ein Umstieg auf den<br />
Simple-System-Marktplatz für unsere Geschäftsbeziehung<br />
bedeutet“, erläutert Trommer. „Wir haben<br />
von Anfang an klargestellt, dass wir die Geschäfte<br />
fortsetzen möchten und so haben sich einige dazu<br />
entschieden, auf Simple System aktiv zu werden. Gerade<br />
die einfache Katalogerstellung auf der Plattform<br />
läuft sehr intuitiv und ist schnell umsetzbar, loben<br />
unsere Geschäftspartner.“<br />
Wertvolle Zeit für wichtige<br />
Aufgaben<br />
Im November 2021 wurde die technische Implementierungsphase<br />
bei KTR Systems offiziell abgeschlossen.<br />
Seitdem werden bereits etwa ein Drittel der indirekten<br />
<strong>Beschaffung</strong>svorgänge über das Portal abgewickelt,<br />
Tendenz stark steigend. Die Produktgruppen<br />
reichen <strong>aktuell</strong> von Hand- und Messwerkzeugen<br />
über PSA (persönliche Schutzausrüstung) und Hilfsbetriebsstoffe<br />
bis hin zu klassischen Büromaterialien<br />
und Betriebs- und Geschäftsausstattung. Derzeit<br />
umfasst das über die Plattform abgewickelte Bestellvolumen<br />
knapp 100.000 Euro.<br />
Erklärtes Ziel für die kommenden Monate ist eine<br />
Aufstockung auf mindestens zwei Drittel und das<br />
Onboarding weiterer Lieferanten. „Unser Plan einer<br />
Prozessverschlankung und Ablaufoptimierung ging<br />
schon jetzt voll auf. All diese selbstständigen Bestellungen<br />
kommen bei uns im Einkauf heute schon gar<br />
nicht mehr an. Der Prozess läuft vollkommen automatisiert<br />
über die Verantwortlichen der Abteilungen“,<br />
freut sich Holthaus, die ihren Job in Teilzeit aus<br />
dem Homeoffice stemmen kann. Aufgrund der wegfallenden<br />
Verwaltungsaufgaben spart KTR über alle<br />
Abteilungen hinweg pro Bestellung etwa eine Stunde<br />
Arbeitszeit. „Das ist wertvolle Zeit, die wir für das<br />
Onboarding neuer Lieferanten und das Führen wichtiger<br />
Preisverhandlungen nutzen. Letztlich auch dazu,<br />
Investitionen voranzubringen“, zieht Trommer zufrieden<br />
sein Fazit. (ys)<br />
Chris Trommer, Einkaufsleiter<br />
bei KTR Systems, und seine<br />
Mitarbeiterin Olga Holthaus.<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022 43
» C-TEILE-MANAGEMENT<br />
Dank der 24-Stunden-Warenverfügbarkeit<br />
der Automaten stehen den Mitarbeitenden<br />
von Elster alle Hilfs- und Betriebsstoffe<br />
rund um die Uhr zur Verfügung.<br />
Bild: Elster<br />
Intelligente Versorgungskonzepte<br />
Persönliche Schutzausrüstung<br />
von Kopf bis Fuß<br />
Professioneller Arbeitsschutz erweist sich in vielen Arbeitsumgebungen als<br />
unabdingbare Voraussetzung für sicheres und rechtskonformes Arbeiten. Der<br />
Messtechnikspezialist Elster setzt hier auf Systeme von Würth Industrie Service.<br />
Diese sollen dem Anwender eine sichere, automatisierte und bedarfsgerechte<br />
Versorgung mit persönlicher Schutzausrüstung (PSA) bieten.<br />
Für die Mitarbeitenden der Elster GmbH spielt die<br />
persönliche Schutzausrüstung insbesondere in<br />
den Bereichen Hand-, Augen-, Gehör-, Atem- sowie<br />
Kopfschutz eine bedeutende Rolle. Auch die Bereitstellung<br />
von Sicherheitsschuhen in verschiedenen Sicherheitsklassen<br />
sowie passende Arbeitsbekleidung<br />
sind wichtig. Das Unternehmen ist Teil der Honeywell-Gruppe<br />
und Anbieter von Gas-Messtechnik und<br />
-Druckregelung sowie von elektronischen Systemen<br />
und modularen Gasstationen. Die Würth Industrie<br />
Service GmbH & Co. KG trägt mit einem Team aus<br />
TÜV-zertifizierten PSA-Fachkräften zur Auswahl eines<br />
geeigneten Arbeitsschutzsortiments und den<br />
entsprechenden Systemen bei. So deckt Elster bereits<br />
seit 2016 mit einem zentralen Schuhlager vor Ort<br />
seinen regelmäßigen Bedarf an Sicherheitsschuhen.<br />
Dabei haben die Mitarbeitenden Zugriff auf ein breites<br />
Sortiment in verschiedenen Größen. Die Schuhe<br />
44 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022
können vor Ort anprobiert und direkt mitgenommen<br />
werden. Das Erfassen des jeweiligen Mitarbeitenden,<br />
der Kostenstelle und des Artikels sowie die Nachbestellung<br />
erfolgen automatisiert mit einem Barcode-<br />
Scanner in Kombination mit dem Barcode-Katalog.<br />
Seit 2018 setzt das Unternehmen in seiner Betriebswerkstatt<br />
am Standort Mainz-Kastel auch auf die<br />
Orsy-Regalsysteme der Würth Industrie Service. Mithilfe<br />
unterschiedlicher Regalkomponenten, die individuell<br />
kombinierbar sind, können Artikel wie Klebebänder,<br />
Putzpapiere oder auch Reinigungsmittel bedarfsgerecht<br />
gelagert und bereitgestellt werden. Mit<br />
den intelligenten Orsymat-Ausgabesystemen kümmert<br />
sich die Würth Industrie Service um die Belieferung,<br />
die Lagerung und Bevorratung sowie die vollautomatische<br />
Nachbestückung von Hilfs- und Betriebsstoffen.<br />
Dank intelligenter Versorgungslösungen<br />
können die Artikel rund um die Uhr bedarfsorientiert<br />
und direkt am Verbrauchsort zur Verfügung<br />
gestellt werden.<br />
Entnahmesysteme im Einsatz<br />
Zur Einzelentnahme von Arbeitsschutzartikeln nutzt<br />
der Messtechnikspezialist verschiedene Orsymat-Automatenmodelle<br />
wie den Klappenautomat FP, den<br />
Spiralautomat HX oder auch den Rotationsautomat<br />
RT. In allen Modellen werden überwiegend Hilfs- und<br />
Betriebsstoffe wie Handschuhe, Brillen, Gehörschutzkapseln<br />
oder auch Werkzeuge wie Sicherheitsmesser<br />
bereitgestellt. Im Orsymat FP werden durch<br />
die unterschiedlichen Klappengrößen zudem große<br />
Artikel wie Schutzhelme gelagert. Für die Umsetzung<br />
von Hygienemaßnahmen setzt Elster auf das erweiterte<br />
Sortiment bei Arbeitsschutz- und<br />
Hygieneprodukten in Kombination mit<br />
dem Orsymat RT. Der Rotationsautomat<br />
dient dabei zur Lagerung und Bereitstellung<br />
verschiedener Hygieneartikel sowie<br />
Besucher-Kits, bestehend aus Masken,<br />
Westen und Handschuhen.<br />
Das System kümmert sich durch die volle<br />
Bestandsübersicht um eine vollautomatische<br />
Nachbestellung der entnommenen<br />
Artikel und ermöglicht die Übersicht über<br />
Verbräuche und Kosten. Zudem ist die Lagerung<br />
gesichert und Schwund kann<br />
durch die zugriffsgesicherte Berechtigung<br />
minimiert werden. „Unsere Beschäftigten<br />
können ihre Schutzausrüstung und sonstige<br />
Verbrauchsmaterialien direkt vor Ort<br />
mithilfe ihrer Mitarbeiterkarte per RFID<br />
entnehmen. Völlig selbständig und ohne<br />
Abhängigkeit von einer zentralen Materialausgabestelle.<br />
Dank der 24-Stunden-<br />
Bild: Würth Industrie Service<br />
Warenverfügbarkeit stehen unseren Mitarbeitenden<br />
alle Hilfs- und Betriebsstoffe rund um die Uhr zur<br />
Verfügung“, so Luigi Genna, Sr. Logistics Supervisor &<br />
Head of Logistics bei Elster.<br />
Wiegezellen vereinfachen Ausgabe<br />
Nun wird in Mainz-Kastel auch das jüngste Automatensystem<br />
Orsymat WGT zur Ausgabe der persönlichen<br />
Schutzausrüstung implementiert. Das Wiegesystem<br />
erkennt Artikelentnahmen aufgrund von integrierten<br />
Wiegezellen, bei welchen das Gewicht des<br />
eingelagerten Artikels hinterlegt ist. Durch den Einsatz<br />
dieser Technologie können einzelne Artikel, unabhängig<br />
von der Verpackungseinheit entnommen<br />
werden. Zudem besteht die Möglichkeit, mehrere Artikel<br />
gleichzeitig aus dem Automaten zu entnehmen.<br />
Nach der Entnahme wird der Automat geschlossen<br />
und dieser zählt vollautomatisch den Bestand im Inneren<br />
und behält so die Übersicht. Im Anschluss werden<br />
die Artikeldaten, die Bezeichnung und die entsprechende<br />
Entnahmemenge automatisiert an das<br />
Würth-System übertragen und eine logistisch optimierte<br />
Nachbestückung ausgelöst. „Dank der hohen<br />
Flexibilität des Systems kann frühzeitig auf variierende<br />
Bedarfe und Mengen, zum Beispiel bei Auftragsspitzen,<br />
reagiert werden“, erläutert Genna.<br />
Insgesamt werden bei Elster die mechanische Fertigung,<br />
die Betriebswerkstatt und der Empfang im Bereich<br />
Persönliche Schutzausrüstung am Standort<br />
Mainz-Kastel von Würth Industrie Service betreut.<br />
Dabei stehen dem Kunden die Mitarbeitenden aus<br />
den Bereichen „CPS Safety Arbeitsschutz“ sowie „Digitale<br />
Versorgungssysteme“ beratend zur Seite. (ys)<br />
Das Wiegesystem WGT<br />
erkennt Artikelentnahmen<br />
aufgrund von integrierten<br />
Wiegezellen.<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022 45
» FUHRPARK<br />
Alternative Mobilitätslösung<br />
Diensträder erobern deutsche Flotten<br />
Das neue E-Bike, Mountainbike oder Lastenfahrrad gesponsort durch den<br />
Arbeitgeber? Das wird mit Dienstrad-Leasing möglich. Aufgrund der wachsenden<br />
Beliebtheit bieten immer mehr deutsche Unternehmen ihren Mitarbeitenden –<br />
über den klassischen Firmenwagen hinaus – neue alternative Mobilitätslösungen.<br />
Das Dienstrad wird als sportliche und<br />
nachhaltige Alternative zum klassischen<br />
Firmenwagen immer gefragter.<br />
Durch das steigende Umweltbewusstsein,<br />
den zunehmenden Verkehr in deutschen<br />
Innenstädten sowie den höheren Stellenwert<br />
der Gesundheitsförderung der Mitarbeitenden<br />
gewinnt das dienstlich genutzte<br />
Zweirad an Beliebtheit. Besonders<br />
interessant werden Diensträder für Mitarbeitende<br />
in stark besiedelten Umgebungen.<br />
Das Zweirad bietet dabei eine entspannte<br />
Art der Mobilität, frei von Stress<br />
durch zeitraubende Staus in der Rushhour<br />
und lange Parkplatzsuchen. Zu den weiteren<br />
ausschlaggebenden Gründen für die<br />
Wahl eines solchen Gefährts sprechen neben<br />
der Möglichkeit einer unbegrenzten<br />
Privatnutzung auch ein umfassender<br />
Rundumschutz, bei dem Services wie<br />
Wartung und Diebstahlversicherung in<br />
der Leasingrate inkludiert sind.<br />
Wie funktioniert das<br />
Dienstrad-Leasing?<br />
Ob Fahrrad, E-Bike oder Pedelec – im ersten<br />
Schritt wählt der Mitarbeitende sein<br />
Wunschfahrrad aus. Einzelne Ausstattungsmerkmale<br />
sind dabei individuell mit<br />
dem Arbeitgeber zu verhandeln. Das<br />
Dienstrad wird dem Mitarbeitenden dabei<br />
genau wie ein Dienstwagen über einen<br />
bestimmten Zeitraum für die Nutzung zur<br />
Verfügung gestellt, wobei dieses sowohl<br />
für dienstliche als auch für private Zwecke<br />
genutzt werden kann. Während im<br />
Schnitt nur rund zehn Prozent aller Mitarbeitenden<br />
dienstwagenberechtigt sind,<br />
können Unternehmen jedem ihrer Mitarbeitenden<br />
ein Firmenfahrrad anbieten.<br />
Die Laufzeit beträgt dabei 36 Monate.<br />
Grundsätzlich sind die Art des Rades und<br />
die Nutzung des Fahrrads vor allem von<br />
den vertraglichen Vereinbarungen des Arbeitgebenden<br />
abhängig.<br />
Besonders attraktiv wird Dienstrad-Leasing<br />
durch die vorteilhafte Gehaltsumwandlung.<br />
Die Leasing-Rate wird dabei<br />
direkt vom Bruttogehalt des Arbeitnehmenden<br />
abgezogen. So kann der Arbeitnehmende<br />
sich bis zu 40 Prozent gegen-<br />
Bild: Kara/stock.adobe.com<br />
Das Fahrrad bietet<br />
besonders in urbanen<br />
Umgebungen eine<br />
staufreie Art der<br />
Mobilität.<br />
46 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022
über dem Direktkauf sparen. Die Voraussetzung<br />
hierfür ist jedoch, dass dies arbeitsrechtlich<br />
erlaubt ist. Die Leasing -<br />
kosten sind dabei abhängig von dem Wert<br />
des ausgewählten Fahrrads und weiteren<br />
Aufwendungen für zusätzliche Leistungen<br />
wie Versicherungen, Reparaturen, Wartungen.<br />
Daraus ergibt sich ein bestimmter<br />
Ratenbeitrag, der monatlich automatisch<br />
vom Bruttogehalt des Mitarbeitenden abgezogen<br />
wird und etwa zwischen 30 und<br />
100 Euro liegt – je nach Modell kann er<br />
jedoch auch deutlich höher liegen.<br />
Kaufoption im Vertrag ausschließen<br />
Die Kaufoption für den Arbeitnehmer sollte im Leasingvertrag<br />
immer ausgeschlossen werden. Grund dafür ist, dass das Finanzamt<br />
ansonsten den Mitarbeitenden statt des Arbeitgebers als<br />
wirtschaftlichen Leasingnehmer betrachten kann, wodurch eine<br />
Nachzahlung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen<br />
droht. Nichtsdestotrotz kann der Nutzer das Rad nach Ablauf der<br />
Leasingdauer zu einem günstigen Preis erwerben – er hat nur<br />
keinen vertraglichen Anspruch auf die Übernahmemöglichkeit.<br />
Steuern und private<br />
Nutzung<br />
Das Dienstrad bleibt steuer- und sozialversicherungsfrei,<br />
sofern der Arbeitgebende<br />
das Fahrrad zusätzlich zum vereinbarten<br />
Gehalt gewährt sowie die Kosten<br />
vollständig übernimmt. Das Angebot eines<br />
Firmenfahrrads eignet sich daher sehr<br />
gut als Alternative zur Gehaltserhöhung.<br />
Seit 2012 gilt das Dienstrad steuerlich<br />
gesehen als gleichwertige Alternative<br />
zum Firmenwagen. Möchte der Mitarbeitende<br />
das Firmenfahrrad darüber hinaus<br />
privat nutzen, so gilt seit Januar 2020 die<br />
1-Prozent-Regelung. Das bedeutet, dass<br />
ein Prozent des Listenpreises als geldwerter<br />
Vorteil zu versteuern ist.<br />
Für Fahrräder und E-Bikes, die schneller<br />
als 25 km/h fahren und zwischen 2019<br />
und 2021 angeschafft wurden, gilt jedoch<br />
eine Ausnahme: Diese Zweiräder sind lediglich<br />
mit 0,5 Prozent des Listenpreises<br />
zu versteuern. Auch die volle Pendlerpauschale<br />
kann bei einem Dienstrad geltend<br />
gemacht werden. So können Mitarbeitende<br />
30 Cent pro Kilometer Entfernung in<br />
ihrer Steuererklärung absetzen.<br />
Servicepakete ermöglichen<br />
sorgloses Radeln<br />
Diebstahl, Unfall, Instandhaltung – all das<br />
sind Themen, über die sich Mitarbeitende<br />
keine Gedanken machen müssen. So ist<br />
das Dienstrad im abgeschlossenen Zustand<br />
während der gesamten Leasinglaufzeit<br />
24 Stunden am Tag zum Neuwert<br />
versichert. In den meisten Fällen umfasst<br />
der Schadenschutz sogar noch weitere<br />
Absicherungen wie Diebstahl und Totalverlust,<br />
Bedienungsfehler oder einfache<br />
Fahrlässigkeit, Unfälle oder Vandalismus<br />
sowie Schäden am Motor oder Akku. Darüber<br />
hinaus ist es möglich, das dienstlich<br />
genutzte Fahrrad auch in regelmäßigen<br />
Abständen warten zu lassen. Die Höhe der<br />
abgesicherten Instandhaltungskosten ist<br />
je nach individuellem Bedarf zu ermitteln<br />
und hinzu zu buchen.<br />
Generell hat jeder Arbeitgebende die<br />
Möglichkeit, seinen Mitarbeitenden ein<br />
Dienstrad anzubieten. Immer mehr Unternehmen<br />
haben die Vorteile der alternativen<br />
Mobilitätslösung bereits erkannt. Für<br />
den Fall, dass der eigene Arbeitgebende<br />
noch kein Firmenfahrrad anbietet, lohnt<br />
es sich nachzufragen, da viele dem<br />
Dienstfahrrad gegenüber sehr aufgeschlossen<br />
sind. Auf Arbeitnehmerseite<br />
trägt das erweiterte Mobilitätsangebot zu<br />
einem verbesserten Image sowie einer gesünderen<br />
Belegschaft bei – also eine<br />
Win-win-Situation für beide Seiten. Dank<br />
der vorteilhaften Gehaltsumwandlung ist<br />
das Firmenfahrrad für Mitarbeitende eine<br />
oft kostengünstige Möglichkeit, ein hochwertiges<br />
Fahrrad zu erwerben. Hinzu<br />
kommt, dass das Dienstrad unbegrenzt<br />
auch für private Zwecke genutzt werden<br />
kann und in jedem Fall eine sinnvolle und<br />
nachhaltige Ergänzung zum Firmenwagen<br />
sein kann.<br />
In fünf Schritten zum Dienstrad<br />
1. Registrierung der Mitarbeitenden über Link oder<br />
Firmenwebsite.<br />
2. Berechtigungsprüfung und Freigabe durch Arbeitgeber.<br />
3. Auswahl und Bestellung des persönlichen<br />
Wunschfahrrads über einen Bestellcode.<br />
4. Unterzeichnung einer Zusatzvereinbarung zum<br />
Arbeitsvertrag (Überlassungsvertrag).<br />
5. Abholung des Wunsch-Dienstrads beim Fachhändler.<br />
Eva Rothe<br />
ist Commercial<br />
Director bei Arval<br />
Deutschland.<br />
Bild: Arval<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022 47
» FUHRPARK<br />
Bild: thebigticket20/stock.adobe.com<br />
Aufgrund der Lockdowns haben<br />
Dienstwagen häufig viel weniger<br />
auf dem Tacho als vertraglich<br />
vereinbart.<br />
Fuhrpark-Einkauf<br />
Limits lösen keine Probleme<br />
Die Pandemie hat den Einkauf vor ungeahnte Probleme gestellt. Es mangelt an<br />
Fahrzeugen und die Kosten steigen massiv. Verantwortlich sind nicht nur fehlende<br />
Halbleiter, sondern auch ungünstige Leasingverträge. Gibt es Alternativen?<br />
Die Pandemie hat es gegeben, nun droht sie es<br />
wieder zu nehmen: den Paketdiensten das gute<br />
Geschäft. Noch Ende 2021 freute sich die Branche<br />
über einen „durchweg anhaltenden Boom“. Nun<br />
mangelt es ausgerechnet Corona-bedingt an den<br />
wichtigsten Betriebsmitteln: an Fahrzeugen. Rund<br />
135.000 Pkw und leichte Nutzfahrzeuge bringen allein<br />
die Mitgliedsunternehmen des Bundesverbandes<br />
der Kurier-Express-Dienste (BdKEP) auf die Straße.<br />
Davon wird bei Auslaufen der Leasingverträge jährlich<br />
ungefähr ein Drittel ausgetauscht. Aufgrund der<br />
Produktionsengpässe in der Automobilindustrie fehlt<br />
auf absehbare Zeit der Ersatz. „Schon heute steigen<br />
die Lieferzeiten auf bis zu zehn oder mehr Monate.<br />
Die Anzahl an vorrätigen Lagerfahrzeugen ist bei<br />
Händlern um 90 Prozent und mehr gesunken“, berichtet<br />
der BdKEP-Vorsitzende Andreas Schumann<br />
aus der jüngsten Mitgliederbefragung. Ein solcher<br />
Verkäufermarkt ist für professionelle Einkäufer die<br />
schlechteste aller denkbaren Voraussetzungen. Sie<br />
sitzen am kürzeren Hebel und müssen einiges einstecken.<br />
Nicht nur, dass die Preise für Neu- und Gebrauchtwagen<br />
zu Jahresbeginn einen nie dagewesenen<br />
Höchststand erreichten. Es zeichnet sich laut<br />
Schumann ab, dass Fahrzeuge bevorzugt an die profitabelsten<br />
Kunden veräußert werden. „In dieser Situation<br />
zeigen sich einmal mehr die Vorteile einer<br />
strategischen Einkaufsbündelung. In welcher Form<br />
auch immer sie stattfindet: Am besten ist sie hersteller-<br />
und bankenunabhängig“, so Majk Strika, Ge-<br />
48 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022
schäftsführer von Holman in Deutschland (ARI Fleet),<br />
einem weltweit führenden Spezialisten für automobile<br />
Dienstleistungen.<br />
Schweigen ist Gold<br />
Wie „Minderkilometer“<br />
die Kosten erhöhen<br />
Ursprünglicher Leasingvertrag: monatliche<br />
Rate 500 Euro, Laufzeit 36 Monate,<br />
vereinbarte Laufleistung 120.000 Kilometer,<br />
12 Cent je Mehrkilometer,<br />
Erstattung von 4 Cent je Minderkilometer,<br />
Deckelung bei 7500 Kilometer.<br />
Mehr- oder Minderkilometer: Hat das<br />
Auto am Ende 140.000 auf dem Tacho,<br />
werden 2400 Euro nachberechnet; die<br />
Leasingrate beträgt 14,5 Cent je Kilometer.<br />
Dem gegenüber werden für<br />
20.000 Minderkilometer nur 300 Euro<br />
erstattet; die Leasingrate pro Kilometer<br />
beträgt 17,7 Cent. Mehr noch: Stellt man<br />
ein nicht benötigtes Fahrzeug in die<br />
Garage, hat man am Ende 17.700 Euro<br />
bezahlt und gibt der Leasingfirma ein<br />
fast nagelneues Auto zurück.<br />
Viele Leasinggeber gestatten ihren Kunden großzügigerweise,<br />
Fahrzeuge nach Auslaufen der Verträge<br />
weiterzufahren. Die „stillschweigende Verlängerung“<br />
ist eine langjährig geübte Praxis. Sie basiert auf Paragraf<br />
545 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, in dem es<br />
heißt: „Setzt der Mieter nach Ablauf der Mietzeit den<br />
Gebrauch der Mietsache fort, so verlängert sich das<br />
Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit, sofern nicht eine<br />
Vertragspartei ihren entgegenstehenden Willen<br />
innerhalb von zwei Wochen dem anderen Teil erklärt.“<br />
So lässt sich die schwierige Situation zwar auf<br />
bequeme Art lösen. Doch das Stillschweigen ist Gold<br />
– für den Leasinggeber. Die Leasingrate fließt in gleicher<br />
Höhe weiter, obwohl das Fahrzeug im Laufe der<br />
Jahre an Wert verloren hat, die Rate deshalb niedriger<br />
ausfallen müsste und die Abnutzung um ein Vielfaches<br />
geringer ist. Der Kunde zahlt für den Wert eines<br />
Neufahrzeugs, bei dem es sich tatsächlich um ein<br />
„Gebrauchten“, womöglich mit 120.000 Kilometern<br />
auf dem Tacho und allerlei Gebrauchsschäden handelt.<br />
Für die wird er, wenn er das Fahrzeug endlich<br />
zurückgeben kann, dann noch einmal zur Kasse gebeten.<br />
Zurzeit besteht allerdings das Risiko, dass sich<br />
der Leasinggeber auf eine stillschweigende Verlängerung<br />
gar nicht einlässt und das Fahrzeug einzieht,<br />
um es auf den brummenden Gebrauchtwagenmarkt<br />
zu werfen. Oder aber er fordert eine höhere Rate.<br />
Schumann: „Es zeichnet sich ab, dass die Steigerungen<br />
100 Prozent betragen könnten.“<br />
Weniger fahren, mehr zahlen<br />
Was auch immer passiert: Es verschlechtert sich die<br />
wichtigste betriebswirtschaftliche Kennzahl im Fuhrpark:<br />
die Kosten pro Kilometer. Dies geschieht Corona-bedingt<br />
aber noch auf eine ganz andere Weise.<br />
Aufgrund der Lockdowns haben Dienstwagen viel<br />
weniger auf dem Tacho als vertraglich vereinbart.<br />
„Wir sehen sogar Fälle von 50.000 bis 100.000 Minderkilometer<br />
wenige Monate vor Vertragsende“, so<br />
Ilona Janssen, Senior-Partnerin der Beratungsgesellschaft<br />
für Kostenmanagement Expense Reduction<br />
Analysts. Minderkilometer werden bei der Endabrechnung<br />
erstattet. Allerdings ist es oft nur ein Drittel<br />
von dem, was für zu viel gefahrene Kilometer<br />
nachberechnet würde, wodurch sich das Ergebnis<br />
ebenfalls verschlechtert (siehe Kasten).<br />
Ein Geschäftswagen ist dann am wirtschaftlichsten,<br />
wenn das vereinbarte Kilometerlimit voll ausgenutzt<br />
wird, und das war vor der Pandemie meistens der<br />
Fall. Deshalb drehten sich die Vertragsverhandlungen<br />
vor allem um die Finanzierungsrate. Für die Eventualitäten<br />
im Kleingedruckten hat sich dagegen kaum<br />
jemand interessiert. Dabei weisen Experten schon<br />
seit Langem darauf hin, dass der Wertverlust pro<br />
Mehrkilometer nicht in so starkem Maße vom Wertgewinn<br />
pro Minderkilometer abweiche. „Einen niedrigeren<br />
Satz sollten Sie gar nicht akzeptieren“, so der<br />
ADAC. Der Bundesverband Fuhrparkmanagement rät<br />
dazu, bei künftigen Verträgen die wesentlichen Aspekte<br />
kritisch zu hinterfragen.<br />
Eine Rekalkulation vereinbaren<br />
Wer sich für einen Kilometervertrag entscheidet,<br />
sollte in jedem Fall auf die Möglichkeit einer Rekalkulation<br />
bestehen. Dabei wird, wenn sich eine geringere<br />
Laufleistung abzeichnet, der Vertrag so geändert,<br />
als wäre er beispielsweise für 100.000 statt für<br />
150.000 Kilometer abgeschlossen worden. Abzüglich<br />
einer Bearbeitungsgebühr wird die Erstattung auf die<br />
Raten der Restlaufzeit angerechnet. Einige Leasinggesellschaften<br />
bieten diese Möglichkeit an. „Flottenverträge<br />
müssen diesen Punkt aber klar und fair regeln;<br />
sonst fällt der Vorteil eher mager aus“, betont<br />
Kostenmanagerin Janssen. Bei einem Full-Service-<br />
Leasing könne man die Dienstleistungsanteile kündigen,<br />
falls der Vertrag dies zulasse. Ebenso sollte für<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022 49
» FUHRPARK<br />
Ein Geschäftswagen ist dann am wirtschaftlichsten, wenn das<br />
vereinbarte Kilometerlimit voll ausgenutzt wird.<br />
den Fall, dass ein Fahrzeug länger gefahren wird als<br />
vereinbart, eine kundenfreundliche Regelung getroffen<br />
werden. Das systemische Ungleichgewicht zwischen<br />
Mehr- und Minderkilometern wird aber auch<br />
dadurch nicht beseitigt.<br />
Alternativen beim Leasing<br />
Dem Prinzip des Leasings, nur für das zu zahlen, was<br />
man tatsächlich nutzt, würden viele Kilometer- und<br />
Laufzeit-bezogene Leasingverträge nicht gerecht, so<br />
Majk Strika von Holman. Bei diesen auch als „geschlossen“<br />
bezeichneten Verträgen basiere die Finanzierung<br />
auf kalkulatorischen Restwerten, verschiedenen<br />
Gebühren und festgelegten Limits. Diese Parameter<br />
sowie die davon abgeleiteten Mehr- und Minderkilometer-Sätze<br />
bilden weder den tatsächlichen<br />
Gebrauch noch das reale Marktgeschehen ab. Die<br />
Pandemie und der Effekt „Weniger fahren, mehr zahlen“<br />
habe den Systemfehler deutlich vor Augen geführt.<br />
Ein geschlossener Vertrag sei sozusagen Topdown<br />
nach der maximalen Gewinnerwartung der<br />
Leasinggesellschaft kalkuliert. Und die treffe meistens<br />
ein, egal, in welchem Zustand man ein Fahrzeug<br />
am Ende der Laufzeit zurückgebe. Leasing werde<br />
fälschlicherweise mit dieser speziellen Variante<br />
gleichgesetzt. Dabei biete es noch ganz andere Möglichkeiten<br />
im Rahmen „offener“ Vertragsmodelle.<br />
Flexibel agieren<br />
Diese verbinden Elemente eines Leasings mit denen<br />
eines Kaufs. Der Leasingnehmer nutzt den PKW oder<br />
Transporter ohne Limits voll flexibel. Die Rate deckt<br />
Bild: Songwut Pinyo/stock.adobe.com<br />
ähnlich einem Darlehen den reinen Finanzierungsaufwand<br />
ab. Experte Strika: „Nach drei Monaten<br />
kann er den Vertrag jederzeit durch Ablösung der<br />
Restschuld kündigen. Das Fahrzeug gehört dann ihm.<br />
Er fährt es weiter oder verkauft es zu einem günstigen<br />
Zeitpunkt.“ Den richtigen Zeitpunkt für die Veräußerung<br />
abzupassen, kann lukrativ sein. Beispielsweise<br />
lag der Gebrauchtwagenpreis im November<br />
2021 laut dem ADAC-Marktbericht um durchschnittlich<br />
3.726,00 Euro beziehungsweise 10 Prozent über<br />
dem Vorjahresmonat. Bei einem klassischen Full-Service-Vertrag<br />
fließt der Vermarktungsgewinn allein<br />
der Leasinggesellschaft zu. Die Nachfrage nach Finanzierungsleasing-Modellen<br />
ist laut dem Bundesverband<br />
Deutscher Leasing-Unternehmen e. V. allein<br />
im Jahr 2019 um 47 Prozent gestiegen. Zu jener Zeit<br />
war Corona zwar noch kein Thema. Aber immer mehr<br />
Unternehmen erkennen, dass die Wirtschaft volatiler<br />
wird, dass sich Geschäftsmodelle ändern und mit ihnen<br />
auch die Anforderungen an die Mobilität.<br />
Der Markt fordert Veränderungen<br />
Neben dem Wunsch nach mehr Flexibilität gewinnt<br />
der Fahrzeugkauf oder -besitz und damit die Möglichkeit,<br />
die wirtschaftlichen Vorteile voll selbst nutzen<br />
zu können, an Stellenwert. Der Gedanke, mit dem<br />
Fahrzeug in den eigenen Büchern selbst einen Restwert<br />
in der Hand zu haben, scheint wieder an Auftrieb<br />
zu gewinnen. „Es sind vor allem größere Flotten<br />
ab 50 Fahrzeugen, welche die selbst verwaltete Flotte<br />
im eigenen Besitz wieder als Vorteil entdeckten.<br />
Mittlerweile sind dies schon wieder 30 Prozent der<br />
Unternehmen in diesem Segment“, heißt es in der<br />
Leasing-Analyse 2021 von Dataforce, der führenden<br />
auf gewerbliche Mobilität spezialisierten Marktforschungsgesellschaft.<br />
Für welches Modell man sich<br />
entscheidet, ist allerdings keine ideologische Frage.<br />
„Es kommt immer auf den Einzelfall an. Für kleinere<br />
Unternehmen ohne eigenes Fuhrparkmanagement<br />
kann ein Leasing mit Service-Komponenten durchaus<br />
sinnvoll sein. Ab 100 Fahrzeugen lohnt es sich, auf<br />
die Finanzierungs- und Unterhaltungskosten aktiv<br />
Einfluss zu nehmen“, so Holman-Experte. Die Entkoppelung<br />
beider Bereiche schaffe die dafür notwendige<br />
Transparenz.<br />
Auch der mit Flexibilitätsvorteilen werbende Vermietungsmarkt<br />
bleibt von der <strong>aktuell</strong>en Entwicklung<br />
nicht verschont. BdKEP-Geschäftsführer Schumann:<br />
„Günstige und planbare Langzeitmieten werden<br />
nicht mehr abgeschlossen. Fahrzeuge werden tages-,<br />
wochen- oder monatsweise vermietet – zum Tagespreis.<br />
Manfred Godek, PR-Berater und Journalist<br />
50 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022
Charging as a Service<br />
Ladeinfrastruktur leicht<br />
gemacht<br />
Insgesamt ist der Elektrifizierungsgrad von Firmenflotten trotz Nachhaltigkeitszielen<br />
und Corporate Social Responsibility immer noch niedrig. Dennoch setzt bereits eine<br />
zunehmende Zahl von Unternehmen auf Elektrifizierung und steht vor der Aufgabe, die<br />
entsprechende Ladeinfrastruktur anzubieten. Mit der richtigen Planung und Umsetzung<br />
müssen Flottenmanager nicht vor Aufwand und Kosten zurückschrecken.<br />
Gründe, sich im Fuhrpark mit dem<br />
Thema E-Mobilität auseinanderzusetzen,<br />
gibt es genug: Neben Umweltaspekten<br />
wie C0 2 -Reduktion und nachhaltiger<br />
Unternehmensausrichtung sind<br />
es die Möglichkeiten, Steuervorteile zu<br />
nutzen und Subventionen auszuschöpfen,<br />
die eine E-Firmenflotte wirtschaftlich interessant<br />
machen. Darüber hinaus zahlt<br />
Elektroladen am Parkplatz auch auf die<br />
Mitarbeiterzufriedenheit, ein positives<br />
Image und die Attraktivität als Arbeitgeber<br />
ein. Wer möchte nicht auf dem neuesten<br />
technologischen Stand sein und bei<br />
Kunden und Belegschaft entsprechend<br />
wahrgenommen werden?<br />
Der Umstieg auf Elektromobilität steht<br />
und fällt mit einem individuell zugeschnittenen<br />
Ladekonzept. Der erste<br />
Schritt ist eine umfassende Bestandsaufnahme<br />
und Analyse der Anforderungen<br />
an die zukünftige Ladeinfrastruktur durch<br />
zertifizierte Energie- und E-Mobilitätsberater.<br />
Dabei werden die baulichen und<br />
elektrotechnischen Gegebenheiten geprüft<br />
und die gebäudetechnischen Herausforderungen<br />
analysiert. Zentrale Fragen<br />
sind dabei die Energieversorgung und<br />
das Lastmanagement ebenso wie der<br />
Brandschutz. Dabei sollte unbedingt der<br />
zukünftige Bedarf mit im Blick behalten<br />
und ein Ladekonzept installiert werden,<br />
das langfristig wirtschaftlich ist.<br />
Elektrische Firmenflotte im<br />
Mietmodell als Flatrate<br />
Mit Servicemodellen wie beispielsweise<br />
dem Charging-as-a-Service-Angebot von<br />
Chargeone holen sich Flottenmanager die<br />
Bild: Chargeone<br />
In den deutschen Fuhrparks hält die Elektromobilität Einzug – mit steigender Tendenz.<br />
Expertise eines erfahrenen Elektrofachbetriebs<br />
ins Haus und haben gleichzeitig ihre<br />
Kosten im Griff, so das Unternehmen.<br />
Das Mietmodell für Ladeinfrastruktur<br />
deckt mit einer monatlichen Flatrate Miete<br />
und Betrieb von Ladesäulen im Komplettangebot<br />
ab, inklusive Telefonhotline<br />
im Notfall. Die Abrechnung des Ladestroms<br />
kann in das Buchhaltungssystem<br />
integriert werden. Vor allem muss sich die<br />
Ladeinfrastruktur aber auch nahtlos in<br />
den betriebseigenen Workflow und die<br />
Abrechnung integrieren lassen.<br />
Doch nicht nur deshalb soll Charging as a<br />
Service laut Chargeone das Modell der<br />
Zukunft sein: In Zeiten steigender Nachfrage<br />
nach Ladeinfrastruktur werden die<br />
<strong>Beschaffung</strong> von Ladesäulen und die Installation<br />
vor Ort immer mehr zum Engpass.<br />
Hier können Partner mit Elektroexpertise<br />
helfen, die auf ihre Erfahrung aus<br />
einer Vielzahl von E-Mobility-Projekten<br />
zurückgreifen können, genügend Ladesäulen<br />
auf Vorrat haben und mit ihrem<br />
Team vor Ort sind. Mit rund 500 Mitarbeitern<br />
und 5000 Ladepunkten im Lager ist<br />
Chargeone für den Ausbau der Ladeinfrastruktur<br />
von Unternehmen laut eigenen<br />
Angaben gut aufgestellt. (ys)<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022 51
Die Steigerung der Energieeffizienz<br />
bietet Potenzial für<br />
Kostenreduzierungen.<br />
Bild: Olivier Le Moal/stock.adobe.com<br />
Wirksame Ansatzpunkte bei Energiebeschaffung und -effizienz<br />
Mit einer Energiestrategie zu<br />
mehr Sicherheit<br />
Die Preisentwicklung an den Energiemärkten hat für viele Unternehmen bereits<br />
existenzielle Ausmaße angenommen. Doch hat sich diese Situation seit Beginn<br />
des Kriegs in der Ukraine nochmals deutlich verschärft: Die Frage ist nicht mehr<br />
nur, wie viel Unternehmen für Energie bezahlen müssen, sondern vielmehr wie<br />
sie dauerhaft die Versorgung mit Energie sicherstellen können.<br />
Dr. Wolfgang Hahn,<br />
Geschäftsführer der<br />
Energie Consulting<br />
GmbH (ECG)<br />
Nicht zuletzt mit der Ausrufung der Warnstufe 2<br />
des Notfallplans Gas aufgrund der Lieferkürzungen<br />
von russischem Erdgas ist das Worst-Case-<br />
Szenario einer Gasmangellage und entsprechender<br />
staatlicher Maßnahmen wieder ein Stück näher gerückt.<br />
Umso besorgter schauen viele Unternehmen<br />
auf die Versorgungslage in der kommenden Wintersaison<br />
und darüber hinaus.<br />
Die Politik hat zwar mehrere Weichenstellungen<br />
vorgenommen, um die Abhängigkeit<br />
von russischem Gas zu beenden.<br />
Bild: ECG<br />
Allerdings dürfte allen aufmerksamen Beobachtern<br />
inzwischen klar geworden sein,<br />
dass die Effekte dieser Maßnahmen eher<br />
eine mittel- oder langfristige Perspektive<br />
besitzen. Das Gebot der Stunde ist deshalb,<br />
nicht auf die Politik zu warten, sondern<br />
selbst die Initiative zu ergreifen. Der<br />
erste Schritt besteht nun darin, die eigene<br />
Energiebeschaffung auf den Prüfstand zu<br />
stellen. Wichtig ist, diese nicht auszusetzen,<br />
sondern strukturiert vorzugehen. Dabei empfiehlt<br />
es sich, das Risiko hoher Preise auf mehrere<br />
Stromhandelstage zu streuen und in Tranchen einzukaufen.<br />
Allerdings sollte dabei in der <strong>aktuell</strong>en Situation<br />
die Absicherung stärker im Vordergrund stehen<br />
als bisher, während dennoch Spielraum für den späteren<br />
Kauf von Teilmengen bestehen bleibt.<br />
Stellschrauben für geringere<br />
Energiekosten<br />
Mittel- und langfristig birgt die Steigerung der Energie-<br />
und Ressourceneffizienz oftmals noch erhebliches<br />
Potenzial für Kostenreduzierungen. Dies betrifft<br />
zum Beispiel eine genaue Untersuchung von möglichen<br />
Einsparungsmöglichkeiten im Betrieb oder die<br />
Investitionen für neue sparsame Maschinen und Anlagen.<br />
Zwar sind derlei Maßnahmen mit Investitionen<br />
verbunden, die in der <strong>aktuell</strong> unsicheren Situation<br />
schwierig erscheinen. Doch wer möglichst zügig<br />
das Thema Energieeffizienz angeht, schafft die<br />
Grundlage, um dauerhaft unabhängiger von der<br />
52 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022
ENERGIE «<br />
Preisentwicklung an den Energiemärkten zu werden<br />
und die eigene Versorgung abzusichern.<br />
Grundlage dafür ist die kompetente Erstellung eines<br />
Carbon Footprint, der auf verschiedenen Ebenen klima-<br />
und damit kostenrelevante Verbesserungspotenziale<br />
im Unternehmen eindeutig identifiziert. Er<br />
zeigt, wo sich die Hot-Spots der im Unternehmen erzeugten<br />
CO 2 -Emissionen befinden und welche Gebiete<br />
sich für eine Reduzierung besonders anbieten.<br />
Davon lassen sich konkret mögliche Reduktionsmaßnahmen<br />
für das jeweilige Unternehmen ableiten.<br />
Wobei ebenfalls gilt, dass diese hinsichtlich ihrer potenziellen<br />
Kosten unbedingt vorab zu prüfen sind.<br />
Mehr Energie- und<br />
Ressourceneffizienz<br />
Unternehmen steht heute ein breites Spektrum an<br />
Maßnahmen zur Verfügung, um die eigene Energieund<br />
Ressourceneffizienz zu steigern. Um die wesentlichen<br />
Punkte zu skizzieren:<br />
• Erneuerbare Energien: Einkauf von Ökostrom, Eigenerzeugung<br />
etwa per Photovoltaik- und Windkraftanlagen,<br />
Erwerb über Green Power Purchase<br />
Agreements, Nutzung von Biogas oder Ökogas.<br />
• Energieeffizienz: Einführung Energiemanagementsystem<br />
nach ISO 50001 oder ISO 50005 zur Betrachtung<br />
der Energieverbräuche im Unternehmen,<br />
Verhindern von Stillstands- und Leerlaufzeiten<br />
von Anlagen, Behebung von Leckagen, Optimierung<br />
der Steuerung von Prozessen, Absenkung<br />
von Druck- und Temperaturniveaus, Verbesserungen<br />
bei Brennstoffnutzung und Wärmeerzeugung.<br />
• Ressourceneffizienz: Reduzierung von Abfallmengen,<br />
Erhöhung von Recyclingquoten, Verwendung<br />
alternativer Rohstoffe, Überprüfung von Transportwegen,<br />
um eigene Verbräuche zu reduzieren.<br />
• Elektromobilität: Sukzessiver Austausch des konventionellen<br />
Fuhrparks gegen Elektrofahrzeuge,<br />
Nutzung eigenerzeugter Energie zum Laden.<br />
• Kompensationsmaßnahmen: Ausgleich nicht vermeidbarer<br />
Emissionen im Betrieb als Bestandteil<br />
eigener Dekarbonisierungsaktivitäten.<br />
Nutzung der Fördertöpfe<br />
Den potenziellen Investitionen steht eine ganze Reihe<br />
an Fördermöglichkeiten gegenüber. Diese können<br />
die Amortisation auf einen betriebswirtschaftlich attraktiven<br />
Zeitraum verkürzen. Vor einer Investition<br />
lohnt also stets der Blick in die geeigneten Fördertöpfe<br />
von Bund und Ländern. Wesentlich ist in diesem<br />
Zusammenhang das Bundesamt für Wirtschaft<br />
und Ausfuhrkontrolle, kurz: BAFA. Es bietet fünf Fördermodule<br />
für die Energie- und Ressourceneffizienz.<br />
Diese betreffen Neu- und Ersatzanschaffungen etwa<br />
Häufig übersehen:<br />
Die Energienebenkosten<br />
Die Betrachtung der Energienebenkosten eröffnet<br />
zusätzliche Einsparungspotenziale. So können sich<br />
Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen einen<br />
Teil der Stromsteuer erstatten oder komplett<br />
entfallen lassen. Für das produzierende Gewerbe<br />
reicht das Spektrum von einer etwa 25-prozentigen<br />
Entlastung über einen Spitzenausgleich bis zur vollständigen<br />
Befreiung von der Stromsteuer bei der<br />
Herstellung bestimmter Materialien sowie der Anwendung<br />
spezifischer chemischer Verfahren.<br />
Auch der Blick auf das Netznutzungsentgelt kann interessant<br />
sein: Unternehmen, die bestimmte Verbrauchsprofile<br />
nachweisen, können ein individuelles<br />
Entgelt vereinbaren. Dies ist der Fall etwa bei einer<br />
atypischen Netznutzung mit hohen Verbräuchen außerhalb<br />
der Hochlastzeiten oder bei einer besonders<br />
intensiven oder singulären Nutzung. Die mögliche<br />
Reduzierung des Netznutzungsentgelts beläuft sich<br />
dabei auf bis zu 90 Prozent. Darüber hinaus kommt<br />
eine Entlastung auch bei einer gewissen Stromkostenintensität<br />
in Betracht.<br />
für Querschnittstechnologien wie Motoren, Pumpen<br />
oder Druckluftanlagen, für Prozesswärme aus Erneuerbaren<br />
Energien, für Sensorik und Energiemanagement,<br />
für die Optimierung von Anlagen und Prozessen<br />
und sogar für die Erstellung von Transformationskonzepten<br />
hin zu mehr Klimaneutralität. Üblich<br />
sind insgesamt Förderquoten von 40 bis 60 Prozent<br />
der Kosten. Zusätzlich bietet die BAFA eine Bundesförderung<br />
für effiziente Gebäude (BEG). Übrigens:<br />
Die Einführung eines Energiemanagements nach DIN<br />
ISO 50001 wird nicht gefördert, ist oftmals aber<br />
sinnvoll, um überhaupt Einsparpotenziale zu identifizieren<br />
– deren Umsetzung wiederum förderfähig ist.<br />
Zudem ist solch ein System Voraussetzung für Entlastungen<br />
etwa bei den Energienebenkosten.<br />
Energiebeschaffung sowie Energieeffizienz verlangen<br />
eine umsichtige Herangehensweise. Und das Thema<br />
Investitionen kommt momentan für viele Unternehmen<br />
sicherlich zur Unzeit. Doch sowohl auf kurzer<br />
wie auf langer Sicht liegen die Vorteile auf der Hand,<br />
insbesondere in energieintensiven Branchen: Mit einem<br />
substanziell untermauerten <strong>Beschaffung</strong>s- und<br />
Optimierungsprozess können sich Unternehmen zukunftssicher<br />
aufstellen und auch perspektivisch entstehende<br />
Kosten im Ansatz vermeiden.<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022 53
Bild: Bosch<br />
Fabian Bucksch (l.) betrachtet gemeinsam mit Andreas Theis und Arne Köngeter (r.) den energetischen Wertstrom.<br />
Mehr Transparenz für Energiedaten<br />
Kein Kilowatt zu viel<br />
In Echtzeit ermöglicht eine Plattform von Bosch den Blick ins Innere von<br />
Industriemaschinen. Die Daten aus der Überwachung nutzt der Konzern in der<br />
eigenen Produktion, um Abschaltzeiten von Anlagen zu optimieren und so den<br />
Energieverbrauch zu senken. Mit Unterstützung der Plattform spart das Werk<br />
in Homburg jährlich mehrere Millionen Euro.<br />
Wenn am Montagmorgen im Saarland in den<br />
Homburger Werkshallen die Maschinen<br />
hochfahren, kann Fabian Bucksch in seinem Büro dabei<br />
zusehen. Ein Lämpchen nach dem anderen leuchtet<br />
auf seinem Bildschirm auf. Mit einem Blick erfasst<br />
er, ob es irgendwo Anlaufprobleme gibt. Im<br />
Stand-by-Modus verbrauchen sie nur noch ein Fünftel<br />
dessen, was sie vor fünf Jahren benötigten. „Wir<br />
haben unser Abschaltmanagement stark verbessert“,<br />
sagt der Energieexperte. Dazu beigetragen haben<br />
Anleitungen für die Mitarbeiter, wie sie die Maschinen<br />
an- und abschalten sollen, aber auch technische<br />
Eingriffe. „Allein dadurch spart das Werk jährlich<br />
mehr als 1,2 Millionen Euro.“<br />
Das optimierte Abschaltmanagement ist nur eine von<br />
vielen Energiesparmaßnahmen, die den Verbrauch im<br />
Werk um knapp elf Millionen Euro drücken konnten.<br />
Abgeleitet wurden sie mithilfe der Energy Platform,<br />
einer Software, die umfängliche Informationen darüber<br />
liefert, wie viel Energie welche Maschine zu welchem<br />
Zeitpunkt verbraucht. Die Plattform lässt tief<br />
ins Konsumverhalten der Anlagen blicken. „Durch<br />
Ober- und Untergrenzen, aber auch durch Vergleiche<br />
zwischen den Maschinen können wir sofort erkennen,<br />
welche unnötig viel Energie verbrauchen oder<br />
welche schlecht ausgelastet sind“, sagt Bucksch. Eine<br />
ständige Überwachung sei nicht erforderlich: Bei Abweichungen<br />
sendet die Plattform eine Nachricht an<br />
den zuständigen Mitarbeiter.<br />
Von der einzelnen Maßnahme zur<br />
Plattform<br />
Entstanden ist die Energy Platform als logische Konsequenz:<br />
„Wir haben 2007 mit einzelnen Sparmaßahmen<br />
angefangen und dann schrittweise und systematisch<br />
das große Potenzial erarbeitet“, erzählt<br />
Bucksch, der heute mit einem Energieteam aus 14<br />
Mitarbeitern die Energieeffizienz des Werks Homburg<br />
verbessert. Hintergrund ist, dass das Homburger<br />
Werk mit einem sehr hohen Energieverbrauch umge-<br />
54 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022
ENERGIE «<br />
hen muss. Um den Verbrauch zuordnen zu können,<br />
wurden alle Maschinen mit Sensoren aufgerüstet.<br />
Die gemessenen Daten werden in der Energy Platform<br />
aufbereitet und übersichtlich dargestellt.<br />
Inzwischen überwacht Bosch den eigenen Verbrauch<br />
an mehr als 90.000 Datenpunkten mit der intelligenten<br />
Lösung. In Homburg sind über die Plattform gut<br />
10.000 Datenpunkte vernetzt. Hier konnten bereits in<br />
den ersten beiden Jahren der CO 2 -Ausstoß um 12<br />
Prozent gesenkt werden. Das Bosch-Werk Blaichach<br />
nutzt das System, um Energie- und Produktionsdaten<br />
an über 1000 Datenpunkten zu erfassen. Mithilfe der<br />
Lösung wurden die Energiekosten bei Maschinen im<br />
Bereich Druckluft um bis zu 40 Prozent reduziert.<br />
Den Puls der Maschine messen<br />
An diesem Morgen sieht sich Bucksch mit seinen<br />
Kollegen den Druckluftverbrauch vier neuer Schleifmaschinen<br />
an. Über den Vergleich bestimmter Kennzahlen<br />
erkennen sie, dass eine der Maschinen mehr<br />
Druckluft benötigt als die anderen. „Das deutet auf<br />
eine Leckage hin“, sagt Bernhard Kohl aus dem Energieteam.<br />
„Ohne die Energy Platform hätten wir die<br />
undichte Stelle vermutlich erst bei der nächsten<br />
Wartung entdeckt.“ Sie erfahren aber noch mehr<br />
über den Zustand der Maschine. „An dem Profil der<br />
Kennzahlen können wir auch ablesen, wie hoch der<br />
Verschleiß der Bauteile ist“, erklärt Andreas Theis, der<br />
die Abteilung Technische Funktionen leitet. Der Instandhalter<br />
wechselt daher Bauteile nicht mehr präventiv<br />
nach festgelegten zeitlichen Intervallen aus,<br />
sondern „prädiktiv, also zustandsorientiert“, wie<br />
Theis erklärt. „Um die Instandhaltungskosten auf ein<br />
Best-Case-Minimum zu senken.“ Für die Instandhalter<br />
ist diese Alarmfunktion hilfreich. Muss etwa die<br />
Spindel in der Schleifmaschine ausgetauscht werden,<br />
informiert die Energy Platform die Mitarbeiter rechtzeitig.<br />
„Dadurch sparen wir uns den Kauf einer neuen<br />
Spindel und verhindern Qualitätsmängel sowie wochenlangen<br />
Maschinenstillstand.“<br />
Im Abschaltmanagement liegt das größte Sparpotenzial.<br />
Bild: Bosch<br />
Bernhard Kohl (r.) zeigt Fabian Bucksch einen Fehler auf dem Monitor einer<br />
Schleifmaschine.<br />
Seit 2013 vertreibt die Bosch-Tochter Energy and<br />
Building Solutions die Plattform – und das Homburger<br />
Werk ist nicht nur der erste und größte Kunde,<br />
sondern laut Konzernangaben zudem Vorreiter für<br />
weitere Anwendungsfälle. „Auch bei der Applikation<br />
der Software beim externen Kunden wird das Energieteam<br />
aus Homburg hinzugezogen“, erklärt<br />
Bucksch. „Auf Wunsch führen wir sogar technische<br />
Eingriffe in unserer Werkstatt durch.“<br />
Potenziale im Lastenmanagement<br />
Im Homburger Werk sind mehr als 15 Prozent der<br />
3600 Maschinen im Werk mit der Plattform verbunden.<br />
„Als Nächstes wollen wir unsere Produktion mit<br />
der Energiezentrale des Werks vernetzen“, sagt<br />
Bucksch. Auf Grundlage dieser Daten könne man das<br />
Lastenmanagement verbessern. Der Energieexperte<br />
gibt ein Beispiel: „Wenn montagmorgens alle Maschinen<br />
hochfahren, entsteht eine Spitzenlast, die<br />
sich unser Übertragungsnetzbetreiber teuer bezahlen<br />
lässt. Prognostiziert die Plattform diese, kann sie von<br />
uns gekappt werden, indem wir den Bezug unserer<br />
Energie gezielt steuern.“ Die Grundlast konnte innerhalb<br />
von fünf Jahren auf bis zu 30 Prozent abgesenkt<br />
werden.<br />
Bei ihren Abteilungsleitern läuft das Energieteam offene<br />
Türen ein. „Viele Firmen haben das Thema noch<br />
nicht auf dem Bildschirm“, beobachtet Arne Köngeter,<br />
der die Fertigung in Werk 1 verantwortet. Dabei<br />
seien die klassischen Einsparmöglichkeiten durch<br />
Automatisierung oder Personalkürzungen weitgehend<br />
ausgereizt – während Energie immer teurer<br />
werde. Die Mitarbeiter des Werks sind dafür längst<br />
sensibilisiert. „Bei uns wird auch nach dem Aufenthalt<br />
in den Personalräumen das Licht immer ausgeknipst“,<br />
sagt Köngeter abschließend. (ys)<br />
Bild: Bosch<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022 55
» BETRIEB<br />
Welche Regalformen wann, wie und von wem geprüft werden müssen<br />
Die Prüfpflicht von Regalen erfüllen<br />
Regale stehen in Lagern, Verkaufsräumen und Archiven. Werden sie gewerblich<br />
genutzt, muss ihre Sicherheit durch Prüfungen nachgewiesen, gewährleistet<br />
und dokumentiert werden. Mit einem Software-Tool können Unternehmen ihren<br />
Prüfpflichten leichter nachkommen und gleichzeitig Transparenz schaffen.<br />
Regale kommen nicht<br />
nur in Lagern zum<br />
Einsatz, sondern z. B.<br />
auch in Verkaufs -<br />
räumen, Werkstätten<br />
und in Bibliotheken<br />
oder Archiven. Eine<br />
Prüfung stellt sicher,<br />
dass für Menschen<br />
keine Gefahr ausgeht.<br />
Ein kleiner Schaden wie eine lose Schraube oder<br />
eine nicht sachgerechte Installation kann unbemerkt<br />
dazu führen, dass ein Regal instabil wird und<br />
eine Ereigniskaskade in Gang setzt: Kommt es zum<br />
Worst Case und ein Regal stürzt ein, sind nicht nur<br />
Menschenleben in akuter Gefahr, auch die Sachschäden<br />
können immens sein. Nicht zuletzt erlischt der<br />
Versicherungsschutz, wenn ein Unternehmen nicht<br />
nachweisen kann, dass es seinen Schutzverpflichtungen<br />
nachgekommen ist.<br />
Verschiedene Vorschriften regeln, welche gewerblichen<br />
Regale geprüft werden müssen, wann die Inspektionen<br />
fällig sind und wer sie ausführen darf: § 5<br />
des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) schreibt die<br />
Pflicht des Arbeitgebers zur Beurteilung der Arbeitsbedingungen<br />
vor, die Betriebssicherheitsverordnung<br />
(BetrSichV) legt eine Gefährdungsbeurteilung fest,<br />
die DIN EN 15635 legt den Umfang als auch den Ablauf<br />
der Kontrollen fest, die berufsgenossenschaftliche<br />
Regel DGUV 108-007 (BGR 234) sieht Maßnahmen<br />
zur Schadensbeseitigung vor und die DGUV-Information<br />
208-043 enthält weitere Informationen<br />
zur Sicherheit von Regalen. Demnach müssen Regale<br />
einer regelmäßigen Sichtkontrolle unterzogen und<br />
alle zwölf Monate von fachkundigem Personal geprüft<br />
werden. Die Häufigkeit der Inspektion legt der<br />
Lagerverwalter mit einer Risikoanalyse fest – in der<br />
Regel erfolgt sie wöchentlich. Gemäß DIN EN 15635<br />
sind Unternehmen außerdem verpflichtet, Schäden<br />
sofort an den Sicherheitsbeauftragten zu melden, ein<br />
Schadensprotokoll zu führen und die Ursachen zu ermitteln<br />
bzw. Präventionsmaßnahmen einzuleiten.<br />
Prüfpflicht gewährleistet Sicherheit<br />
Unter die Prüfpflicht fallen unter anderem Einfahrregale,<br />
Fachbodenregale und Palettenregale, aber auch<br />
Durchfahr- und Durchlaufregale, Kragarmregale und<br />
Mehrgeschossregale sowie kraftbetriebene Regale.<br />
Besonders wichtig ist der Fokus auf Schwerlastregale,<br />
die Fachlasten – also die Belastung im einzelnen<br />
Bild: Drazen/stock.adobe.com<br />
56 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022
Regalfach – von bis zu vier Tonnen tragen können.<br />
Fachlast und Feldlast – das maximale Gewicht, das<br />
ein Regal tragen kann – werden am Regal selbst ausgewiesen.<br />
Die verschiedenen Regalformen kommen nicht nur in<br />
Lagern und der Intralogistik zum Einsatz, sondern<br />
auch in Verkaufsräumen, Werkstätten und in Bibliotheken<br />
oder Archiven. Durch die Prüfpflicht soll sichergestellt<br />
werden, dass Regale korrekt aufgebaut,<br />
gesichert und gekennzeichnet sind. Sichere Regale<br />
sind auch dann besonders wichtig, wenn Automaten<br />
Lagerware herausholen oder einsetzen oder wenn<br />
Flurförderfahrzeuge wie Gabelstapler im Einsatz sind.<br />
Die Prüfung stellt sicher, dass für Mitarbeiter, aber<br />
auch Kunden keine Gefahr ausgeht.<br />
Bei der wöchentlichen Sichtkontrolle wird jedes Regal<br />
begutachtet und die Prüfung dokumentiert. Dabei<br />
wird unter anderem kontrolliert, ob das Regal gemäß<br />
der Montageanleitung aufgebaut wurde, ob das<br />
Regal lotrecht steht, ob Schäden – auch an den<br />
Schweißnähten – erkennbar sind, ob die Sicherungen<br />
in gutem Zustand oder ob die Lasten gleichmäßig<br />
verteilt sind und die Maximalbelastung nicht überschritten<br />
wird. Diese Prüfung nimmt vor allem jene<br />
Regale in den Fokus, bei denen Schäden zu erwarten<br />
sind. Die jährliche Prüfung hat die gleichen Inhalte,<br />
allerdings ist ihr Umfang deutlich größer, da sie alle<br />
Elemente umfasst. Hier werden unter anderem die<br />
Belastungsschilder und Kennzeichnungen mit dem<br />
tatsächlichen Regalaufbau verglichen, die Regale begutachtet<br />
und gemäß den Herstellervorgaben kontrolliert.<br />
Ebenso wird die Einhaltung der Vorschriften<br />
der Berufsgenossenschaft nach DGUV Regel 108-007<br />
kontrolliert. Schäden werden markiert, dokumentiert,<br />
analysiert und ihre Auswirkungen auf die Sicherheit<br />
sowie die Ursachen eingeschätzt, eine Planung zur<br />
Beseitigung der Mängel sowie Regeln für die Schadensvorbeugung<br />
aufgesetzt. Jede Prüfung schließt<br />
mit einem Inspektionsprotokoll mit Beurteilung aller<br />
Schäden ab. Das geprüfte Regal erhält eine Plakette.<br />
Die Erfahrung zeigt, dass vor allem die unteren Bereiche<br />
der Regalsysteme Schäden nehmen – etwa<br />
durch Kontakt mit einem Gabelstapler – und die Stabilität<br />
der Konstruktion gefährden.<br />
Im Falle von Mängeln und Schäden erfolgt die Einteilung<br />
in drei Gefahrenstufen: Im grünen Bereich müssen<br />
die betroffenen Teile gekennzeichnet und überwacht<br />
werden, im Bereich Orange finden sich die gefährlichen<br />
Beschädigungen, die dann beseitigt werden,<br />
wenn das betroffene Regal entladen ist. Schäden<br />
der Gefahrenstufe Rot erfordern eine sofortige<br />
Sperrung des Regals für den Betrieb und eine Entlastung.<br />
Nach der Reparatur muss ein Standsicherheitsnachweis<br />
vorgehalten werden.<br />
Die wöchentliche Sichtkontrolle kann eine befähigte<br />
Person des Betriebs durchführen, die nach der Betriebssicherheitsverordnung<br />
instruiert und gemäß<br />
DIN EN 15635 geschult wurde. Die jährliche Prüfung<br />
wird meist von einem externen Experten durchgeführt<br />
– von einem ausgebildeten Regalprüfer des<br />
Verbands für Lagertechnik und Betriebseinrichtungen.<br />
Er hat ein Zertifikat und Kenntnis der Gesetze,<br />
europäischen Normen, Vorschriften, Verordnungen<br />
und Regeln der Berufsgenossenschaften. Die Technische<br />
Regel für Betriebssicherheit (TRBS) 1203 definiert<br />
die notwendigen Qualifikationen von Regalprüfern.<br />
Dazu gehören unter anderem eine abgeschlossene<br />
Berufsausbildung, Berufserfahrung sowie Weiterbildung.<br />
Software-Tool bietet Unterstützung<br />
Für Unternehmen sind all diese Prüfpflichten also mit<br />
erheblichem Aufwand verbunden – damit sie schnell<br />
und sicher erledigt werden können, bietet sich ein<br />
Softwaretool für die Wartungsplanung an. Hierbei<br />
verschaffen zum Beispiel Unterkategorien schnell einen<br />
Überblick über die verschiedenen Arten der Regale<br />
– ortsfest, beweglich oder sonstige lagertechnische<br />
Einrichtungen. Checklisten ermöglichen darüber<br />
hinaus den Überblick über Fristen und Vorschriften.<br />
Die Dokumentation der wöchentlichen Sichtprüfungen<br />
samt der Erfassung eventueller Schäden und deren<br />
Behebung erfolgt in der Software – ebenso die<br />
digitale Ablage. Damit kann leicht ein betriebliches<br />
Prüf- und Dokumentationssystem für Regale eingeführt<br />
werden.<br />
Die Umsetzung der Prüfungen kann durch eine App<br />
für Mobilgeräte weiter erleichtert werden: Mit dem<br />
Smartphone kann der Sicherheitsbeauftragte die<br />
Prüfprotokolle direkt vor dem Lagersystem ausfüllen.<br />
Import und Export der Daten erfolgt einfach per<br />
E-Mail oder Filehosting. Eine App macht die Überprüfung<br />
der Regale also noch einfacher und erleichtert<br />
die professionelle Dokumentation der Inspektion,<br />
Wartung, Instandsetzung und Gefährdungsbeurteilung<br />
von Regalsystemen nach DIN EN 15635.<br />
Die gesetzeskonforme Regalprüfung gewährleistet<br />
den Arbeitsschutz und damit die Sicherheit von Mitarbeitern<br />
und Kunden. Bei dieser wichtigen Aufgabe<br />
ist ein Wartungsplaner als Praxissoftware für Lagersicherheit<br />
das ideale Tool. Er verschafft einen Überblick<br />
und ermöglicht die leichte Umsetzung der gesetzlichen<br />
Anforderungen. So wird keine wichtige<br />
Regalprüfung oder Wartung mehr verpasst.<br />
Ulrich Hoppe, Experte für Wartungsplanung<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022 57
» BETRIEB<br />
Schutzeinhausung für die pharmazeutische Produktion<br />
Geschützt bei jeder Gelegenheit<br />
Ob Schutzzäune für automatisierte Fertigungsprozesse, Maschineneinhausungen<br />
aus Acrylglas für die Produktion von Pharmazeutika oder durchsichtige<br />
Trennsysteme als Hygieneschutz für Empfangstresen oder Kassenbereiche – das<br />
normgerechte Schutz- und Abtrennsystem von Rose+Krieger soll höchste<br />
Ansprüche hinsichtlich Sicherheit, individuellem Design und Funktionalität erfüllen.<br />
Die Herstellung von Medikamenten<br />
unterliegt besonders scharfen Vorschriften<br />
hinsichtlich Hygiene, Räumlichkeiten,<br />
Ausrüstung, Dokumentation und<br />
Kontrolle. Produziert wird unter Reinraumbedingungen,<br />
die Fertigungsanlagen<br />
müssen entsprechend hohen Anforderungen<br />
genügen. Das gilt auch für die jüngste<br />
Entwicklung der Spilker GmbH: Das<br />
Unternehmen aus Leopoldshöhe in Ostwestfalen<br />
fertigt neben Rotationswerkzeugen<br />
und Stanzblechen für die Druck-,<br />
Etiketten-, Automobil-, Pharma- und Verpackungsindustrie<br />
auch komplette Lösungen<br />
für rotative Stanz- und Konfektionierungsprozesse<br />
inklusive aller Dienstleistungen<br />
des Sondermaschinenbaus.<br />
Für die Produktion von Schmerzpflastern<br />
konzipierte Spilker eine Rotationsmaschine,<br />
die unterschiedliche Spende-, Stanzund<br />
Laminierprozesse mit dem Vorgang<br />
des rotativen Siegelns kombiniert. Dabei<br />
werden die von einer Rolle einlaufenden<br />
Pflaster zunächst vereinzelt und mit einem<br />
Einschnitt zum leichteren Öffnen der<br />
einzelnen Pflaster versehen. Anschließend<br />
erfolgt die luftdichte Verpackung der Einzelpflaster<br />
durch das Versiegeln. Ein essenzieller<br />
Teil der Anlage sollte eine<br />
Schutzeinhausung werden, welche die<br />
Einhaltung der zahlreichen Vorschriften<br />
garantieren und gleichzeitig Wünsche<br />
nach einer guten Zugänglichkeit über die<br />
gesamte Maschinenlänge und einem hohen<br />
Lichteinfall erfüllen musste.<br />
Bei der Suche nach einem geeigneten Zulieferer<br />
für diese Einhausung lernte Spilker<br />
auf einer Messe das Schutz- und Abtrennsystem<br />
sowie die Lineartechnik der<br />
RK Rose+Krieger GmbH kennen. Das Unternehmen<br />
entwickelte nach den Spilker-<br />
Vorgaben ein Gesamtkonzept für eine<br />
exakt auf die Maschine und den Platzbedarf<br />
zugeschnittene Verkleidung, welche<br />
die Anforderungen der pharmazeutischen<br />
Produktion erfüllt. Basis für die durchsichtige<br />
Maschineneinhausung ist der<br />
Baukasten des RK-Schutzzaunsystems<br />
aus verschiedenen Aluminiumklemmprofilen,<br />
Flächenelementen aus Wellengitter,<br />
Polycarbonat, Acrylglas oder Trespa sowie<br />
den passenden Klemmleisten und Stellfüßen<br />
zur festen Verankerung der Aluminiumprofilpfosten<br />
auf dem Boden. Für die<br />
sichere Verbindung der Schutzzaunelemente<br />
an den Pfosten sorgen Click-and-<br />
Safe-Verbindungselemente. Sie erleichtern<br />
im Bedarfs- oder Wartungsfall den<br />
Austausch der einzelnen Felder.<br />
Die Maschineneinhausung<br />
Rose+Krieger kombinierte für Spilker hell<br />
eloxierte Aluminiumprofile des Blocan-<br />
Profilsystems mit Konstruktionsprofilen in<br />
unterschiedlichen Baugrößen und mit<br />
Verbindungsadaptern, Anschlussplatten,<br />
Knotenwinkeln und Stellfüßen ohne Fundamentwinkel.<br />
Die Blocan-Profile bilden<br />
das Grundgestell der 3,5 Meter langen<br />
und rund 1,5 Meter tiefen Maschinenverkleidung.<br />
Die freie Zugänglichkeit der Maschine<br />
über die gesamte Länge gewährleisten<br />
vollständig verschiebbare Falttüren. Der<br />
Hersteller fertigte sie aus Aluminium-<br />
Rahmenprofilen – ebenfalls hell eloxiert –<br />
und entsprechenden Eckverbindern. Jede<br />
Tür verfügt über einen ein Meter langen<br />
Stangengriff zum leichten Öffnen und<br />
zwei Magnete für die Arretierung. Zwei<br />
Falttüren sind an einem verschiebbaren<br />
Pfosten aus Aluminiumprofilen montiert.<br />
Der Pfosten wird über eine Rollführung<br />
bewegt und mittels Hebelstangenverschluss<br />
arretiert. Er erlaubt das komplette<br />
Öffnen der Maschineneinhausung. Bei<br />
geöffneter Schutztür stoppt die Maschine<br />
umgehend. Dafür sorgen Magnetkontakte<br />
am Ende der Einhausung zusammen mit<br />
der Maschinensteuerung: Die Magnete sichern<br />
die Türe in ihrer Position und geben<br />
beim Öffnen ein Signal an die Steuerung.<br />
Sechs Millimeter starke Acrylglasscheiben<br />
mit einem zweiteiligen Einfassprofil bilden<br />
die Flächenelemente der Türen sowie<br />
der feststehenden Seitenteile und oberen<br />
Abdeckung der Schutzeinhausung. Sie<br />
sorgen für eine gute Sicht auf die Maschine<br />
sowie einen hellen Innenraum.<br />
Für den Schutz vor Verschmutzung und<br />
eine hohe Reinigungsfähigkeit der Einhausung<br />
wurden die Aluminiumteile eloxiert,<br />
die Stahlteile gepulvert oder lackiert<br />
und die Führungswellen der Lineareinheiten<br />
hartverchromt. Zusätzlich deckte das<br />
Unternehmen alle offenen Nuten der<br />
Ein Magnetkontakt sichert die Falttüre in ihrer<br />
Position.<br />
Bild: Rose+Krieger<br />
58 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022
Die Falttüren der<br />
Schutzeinhausung sind<br />
an einem über eine<br />
Rollführung verschiebbaren<br />
Pfosten aus<br />
Aluminiumprofilen<br />
montiert. Flächen -<br />
elemente aus Acrylglas<br />
oder Polycarbonat<br />
bieten Sicherheit und<br />
optimale Sicht.<br />
Bild: Rose+Krieger<br />
Konstruktionsprofile mit Kunststoffabdeckprofilen<br />
ab.<br />
Die gesamte Verkleidung wurde zunächst<br />
zwecks Abnahme bei Rose+Krieger montiert,<br />
anschließend abgebaut, transportgerecht<br />
vormontiert bei Spilker angeliefert<br />
und dort an der Maschine erneut aufgebaut.<br />
Beim Kunden übernahm Spilker<br />
dann die bauseitige Anbindung der Einhausung<br />
zusammen mit dem Aufbau der<br />
eigentlichen Produktionsanlage. „Von der<br />
Firma RK Rose+Krieger erhielten wir nicht<br />
nur ein Angebot für die Einhausung, sondern<br />
es wurde für uns ein detailliertes<br />
Konzept entwickelt, vorab als 3D-Entwurf<br />
präsentiert und genau auf die Anforderungen<br />
der Maschine abgestimmt“, resümiert<br />
Simon Willmann, zuständiger Projektleiter<br />
bei Spilker.<br />
Normkonformität geprüft<br />
nen Angaben die Normkonformität des<br />
Schutz- und Abtrennsystems nachgewiesen<br />
werden kann. Schließlich gilt es nach<br />
der Norm, nicht mehr nur zu begründen,<br />
warum das Schutzzaunsystem einen definierten<br />
Abstand zur Maschine einzuhalten<br />
hat und wie groß dieser sein muss.<br />
Gemäß der überarbeiteten Norm muss der<br />
Hersteller jetzt auch belegen, wie das jeweilige<br />
Schutzsystem auf einwirkende<br />
Kräfte reagiert.<br />
Dieser Nachweis kann über eine Pendelprüfung<br />
erbracht werden, deren Bedingungen<br />
ebenfalls die Norm vorgibt. Dabei<br />
wird festgehalten, wie sich das<br />
Schutz- und Abtrennungssystem beim<br />
Einwirken einer bestimmten kinetischen<br />
Energie verhält. Aus den Prüfergebnissen<br />
ergeben sich die erforderlichen Abmessungen<br />
und Ausführungen des Schutzund<br />
Abtrennungssystems. Biegt sich das<br />
System beispielsweise um insgesamt<br />
200 mm durch, sollte der Mindestabstand<br />
zur Maschine nach DIN ISO 13857<br />
plus 200 mm sein. Rutscht das Wellengitter<br />
oder ein anderes Flächenelement<br />
bei der Prüfung aus dem Rahmen,<br />
Auch darauf, dass die Maschineneinhausung<br />
die Maschinenrichtlinie 2006/42/EG<br />
und die Norm EN ISO 14120:2015 (D) erfüllt,<br />
kann sich Spilker verlassen. Denn die<br />
Mindener Spezialisten entwickelten eigens<br />
eine Prüfmethode, womit laut eigekommt<br />
dies dem Versagen der Abtrennvorrichtung<br />
gleich. Sie wäre damit maximal<br />
zur Abtrennung von Bereichen ohne<br />
Gefährdung beweglicher Teile einsetzbar.<br />
Barriere gegen Infektion<br />
Für das jüngste Produkt aus dem Schutzzaun-Portfolio<br />
ist der Nachweis der<br />
Normkonformität nicht erforderlich. Der<br />
Hygieneschutz aus problemlos zu reinigenden<br />
Aluminiumprofilen und Trennscheiben<br />
aus klarem Polycarbonat bildet<br />
eine stabile und wirkungsvolle Barriere<br />
gegen eine Tröpfcheninfektion, muss aber<br />
nicht vor beweglichen Teilen schützen.<br />
Das variabel montierbare System umfasst<br />
fünf grundsätzliche Varianten: Thekenaufsteller,<br />
freistehende Ständer sowie<br />
Trennelemente für die Tresen-, Wandoder<br />
Deckenmontage. Auf Basis dieses<br />
modularen Baukastens lassen sich auch<br />
große Trennsysteme für Kassenbereiche<br />
und Großraumbüros schnell und einfach<br />
realisieren.<br />
Bernd Klöpper, Leiter Marketing,<br />
RK Rose+Krieger GmbH<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022 59
» BME AKTUELL<br />
Rückblick: 13. BME-eLÖSUNGSTAGE<br />
#skillup4digital: Digitalisierung im Einkauf schreitet voran<br />
„#skillup4digital“ war das zentrale Motto<br />
der 13. BME-eLÖSUNGSTAGE vom 31.<br />
Mai bis 1. Juni in Düsseldorf. Das BME-<br />
Top-Event wartete mit einer neuen Location<br />
auf. Im Areal Böhler diskutierten<br />
namhafte Referent:innen aus Wissenschaft<br />
und Wirtschaft mit rund 1.000<br />
Teilnehmenden über die Rolle des digitalen<br />
Einkaufs in einer sich dramatisch verändernden<br />
Geschäftswelt.<br />
„Rund 800 Tage nach Beginn des ersten<br />
Lockdowns in Deutschland erhalten die<br />
Teilnehmenden aus Einkauf, Logistik und<br />
Supply Chain Management auf der größten<br />
deutschsprachigen Fachmesse für<br />
eSolutions und eProcurement erstmals<br />
wieder die Möglichkeit zum direkten Meinungs-<br />
und Erfahrungsaustausch. Deshalb<br />
steht ‚skillup4digital‘ an beiden Veranstaltungstagen<br />
im Mittelpunkt unseres<br />
Events“, sagte BME-Vorstandsvorsitzende<br />
Gundula Ullah im Rahmen der Eröffnung<br />
der 13. BME-eLÖSUNGSTAGE. Das Motto<br />
spiegele den Spirit wider, den der BME<br />
den Teilnehmenden mit auf den Weg geben<br />
möchte: die Einstimmung auf die<br />
neue Next Level Digitalisation für Einkauf<br />
und Supply Chain – und das sowohl von<br />
technischer als auch struktureller Seite.<br />
Die Vorstandsvorsitzende des Einkäuferverbandes<br />
erinnerte daran, dass am 22.<br />
März 2020, dem ersten Tag des Corona-<br />
Lockdowns in Deutschland, viele Einkäufer:innen<br />
„praktisch über Nacht mit der<br />
Frage konfrontiert wurden, wie sie ihre<br />
<strong>Beschaffung</strong>sprozesse angesichts der<br />
neuen Herausforderung künftig regeln<br />
sollen. Digitalisierung und Automatisierung<br />
werden seitdem trotz einiger Anfangsschwierigkeiten<br />
als zentrale Stellhebel<br />
in den meisten Unternehmen genutzt“,<br />
blickte Frau Ullah zurück. Das ergaben<br />
auch zahlreiche BME-Umfragen.<br />
Danach treiben sowohl Konzerne als auch<br />
KMU die Digitalisierung und Automatisierung<br />
ihrer Geschäftsprozesse zügig voran.<br />
„IT ist mittlerweile von einem<br />
Bereichsthema zu einem Geschäftsführungsthema<br />
geworden.<br />
Allerdings entwickeln die<br />
Unternehmen bei der erfolgreichen<br />
Implementierung ein<br />
unterschiedliches Tempo. Unser<br />
zweitägiges Event in Düsseldorf<br />
mit seinen über 100<br />
Partnern und Ausstellern sowie<br />
den mehr als 50 Vorträgen<br />
bietet dafür interessante innovative<br />
Lösungsmöglichkeiten“,<br />
informierte BME-Hauptgeschäftsführerin<br />
Dr. Helena<br />
Melnikov.<br />
Die Covid-19-Pandemie habe einen digitalen<br />
Lernprozess eingeleitet, der nicht<br />
nur den Einkauf betroffen habe, sondern<br />
auch dessen Lieferanten. „Die Corona-<br />
Krise zeigte aber auch, wie fragil die internationalen<br />
Lieferketten sind und wie<br />
wichtig das Ineinandergreifen ihrer einzelnen<br />
Glieder ist, fügte Frau Melnikov<br />
hinzu. Der am 24. Februar begonnene Angriffskrieg<br />
der Russischen Föderation gegen<br />
die Ukraine habe das einmal mehr<br />
und auf dramatische Weise gezeigt.<br />
Gegenwärtig gebe es eine Bewegung –<br />
weg von der Globalisierung und hin zu<br />
mehr geschäftlichen Aktivitäten vor der<br />
eigenen Haustür. Es sei nicht mehr die<br />
wichtigste Frage, wie viel das Produkt<br />
koste, sondern wo und unter welchen<br />
Umweltbedingungen es gefertigt werde.<br />
Das bringe den Einkauf von einer jahrzehntelang<br />
gelebten DNA der Effizienz<br />
hin zur Resilienz und zur Nachhaltigkeit.<br />
„Hilfestellung gibt das am 1. Januar 2023<br />
in Kraft tretende Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz<br />
zur Vermeidung von Menschenrechts-<br />
und Umweltrechtsverletzungen<br />
in globalen Wertschöpfungsketten“,<br />
betonte Frau Ullah. Der Einkauf<br />
spiele hierbei eine Schlüsselrolle und trage<br />
enorme Verantwortung.<br />
BME-Vorstandsvorsitzende Gundula Ullah (l.) und BME-<br />
Hauptgeschäftsführerin Dr. Helena Melnikov (r.) eröffneten die<br />
13. BME-eLÖSUNGSTAGE in Düsseldorf.<br />
Sowohl in den Redebeiträgen des Plenums<br />
als auch in der anschließenden Podiumsdiskussion<br />
wurde deutlich, dass es<br />
für den Einkauf heute nicht mehr nur um<br />
den Einsatz digitaler Tools und eLÖSUN-<br />
GEN geht, sondern um die ganzheitliche<br />
Betrachtung der Einkaufsorganisation auf<br />
dem Weg zum Einkauf 4.0. Deshalb ist die<br />
digitale Standardisierung und Automatisierung<br />
der <strong>Beschaffung</strong>sprozesse das<br />
Gebot der Stunde.<br />
Konsens herrschte unter den Teilnehmenden<br />
der Fachforen, Workshops, Round Tables<br />
und Solution Foren auch darüber,<br />
dass die Automatisierung operativer Prozesse<br />
im Einkauf enorm viel Zeit für die<br />
wertschöpfenden Aufgaben spart. Moderne<br />
Technologien wie beispielsweise<br />
Künstliche Intelligenz können maßgebliche<br />
Erleichterungen bringen.<br />
Zu den Highlights gehörte die Verleihung<br />
des BME-Awards „Excellence in eSolutions<br />
2022“ an die Edscha Holding GmbH.<br />
Edscha erhielt die BME-Auszeichnung für<br />
die Erarbeitung einer elektronischen Lösung<br />
zur Effizienz- und Transparenzsteigerung<br />
seines globalen Einkaufs mittels<br />
digitaler Transformation.<br />
Save the Date: Die 14. BME-eLösungstage<br />
finden vom 23. bis 24. Mai 2023 im Areal<br />
Böhler in Düsseldorf statt.<br />
Bild: Anne Wirtz/BME e.V.<br />
Impressum: Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e. V. (BME)<br />
Frankfurter Straße 27, 65760 Eschborn, Tel. 06196 5828-0, Fax –399,<br />
E-Mail: info@bme.de, Internet: www.bme.de<br />
60 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022
Industrie<br />
Das führende Fachmagazin<br />
für den strategischen Einkauf<br />
Kompetent – glaubwürdig – praxisnah<br />
• <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> ist das Magazin für den Einkauf.<br />
• Hinter der <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> steckt das Einkaufsvolumen<br />
der deutschen Industrie.<br />
• Werben Sie in der <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> und gehen<br />
Sie mit uns auf Erfolgskurs!<br />
Die Nr. 1<br />
im Einkauf:<br />
www.beschaffung<strong>aktuell</strong>.de<br />
Die passenden Medien für<br />
Sie und Ihre Branche:<br />
konradin.de/industrie<br />
media.industrie.de<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022 61
» KARRIERE<br />
Bild: zinkevych/stock.adobe.com<br />
Einen langfristigen Effekt erzielen berufsbegleitende Coachingprogramme, die das Wissen in kleinere Bausteine aufteilen.<br />
Berufsbegleitendes Coaching in der <strong>Beschaffung</strong><br />
Nachhaltiges Krisenwissen durch<br />
Mentoring-Modell etablieren<br />
Die massiv gestörten Lieferketten versetzen den Einkauf in den Krisenmodus. Viele Unternehmen<br />
stellen deshalb externe Berater ein – die die Probleme kurzfristig auch oft lösen können.<br />
Langfristig ist es aber sinnvoller, die eigenen Mitarbeiter zu befähigen. Mit Seminaren, die<br />
innerhalb weniger Tage die Teilnehmer mit Inhalten und Wissen überladen, gelingt das aber<br />
nicht. Ein nachhaltiger Wissenstransfer findet vielmehr mit einem Coaching über einen<br />
längeren Zeitraum und parallel zum Arbeitsalltag statt.<br />
62 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022
Weil sie für den Krisenmodus nicht<br />
gerüstet sind, sind viele Mitarbeit<br />
im Einkauf in der <strong>aktuell</strong>en Situation oft<br />
überfordert. Unternehmen setzen daher<br />
auf externe Einkaufsberater und kaufen<br />
sich deren Expertise ein. Teils zu einem<br />
hohen Preis: Berater fangen bei rund<br />
1000 Euro Tageshonorar an, spezialisierte<br />
Berater verlangen oftmals das doppelte<br />
oder mehr.<br />
Unternehmen erzielen mit solchen Projekten<br />
zwar schnell gute Ergebnisse, weil<br />
sie von der Erfahrung und dem Netzwerk<br />
des Beraters profitieren – aber auch nur<br />
einmalige. Für jedes weitere Projekte<br />
muss dann wieder viel Geld investiert<br />
werden. Zudem schwingt immer eine gewisse<br />
Unsicherheit mit: Der Nutzen externer<br />
Beratung ist nicht sofort monetär<br />
greifbar, welches Ergebnis das<br />
Projekt erzielt, kann kaum vorhergesehen<br />
werden. Einige<br />
Berater bieten ihre Leistung<br />
zwar auch auf Erfolgsbasis an;<br />
da sich der Erfolg jedoch nur<br />
bei Einsparungsprojekten gut<br />
messen lässt, ist dieses Honorarmodell<br />
nicht für alle Projekte<br />
geeignet. Zudem nehmen<br />
solche Berater nur Projekte an,<br />
deren Projektvolumen mindestes<br />
bei einer halben Million Euro liegt –<br />
und verlangen im ersten Jahr oftmals<br />
50 Prozent der erzielten Einsparungen<br />
des ersten Jahres als Entlohnung.<br />
Einen langfristigen und nachhaltigen Effekt<br />
erzielen Unternehmen vielmehr,<br />
wenn sie ihre eigenen Mitarbeiter zu Experten<br />
ausbilden. Etliche Seminare versprechen<br />
genau das, versuchen innerhalb<br />
kurzer Zeit möglichst viel Wissen zu vermitteln.<br />
Das Problem dabei: Die Teilnehmer<br />
können die Fülle an Inhalten gar<br />
nicht innerhalb weniger Tage aufnehmen<br />
und viel Wissen geht deshalb direkt wieder<br />
verloren. Zusätzlich fallen die Mitarbeiter<br />
während des Seminars im Unternehmen<br />
aus – vieles bleibt liegen, was<br />
nach der Schulung erst wieder aufgearbeitet<br />
werden muss. Bis sie das neu Gelernte<br />
dann endlich anwenden können,<br />
haben sie die meisten Seminarinhalte<br />
schon wieder vergessen. Und selbst wenn<br />
noch etwas Theorie hängen geblieben ist,<br />
werden die Mitarbeiter mit der praktischen<br />
Umsetzung allein gelassen. Einen<br />
nachhaltigen Effekt haben solche Weiterbildungen<br />
daher eher nicht.<br />
Abhilfe schafft ein Modell der Weiterbildung<br />
im Einkauf: Ein berufsbegleitendes<br />
Coaching und Mentoring über mehrere<br />
Monate hinweg. Anstatt die Teilnehmer<br />
innerhalb weniger Tage mit Inhalten zu<br />
überfrachten, finden über die Dauer eines<br />
solchen Programms hinweg unzählige<br />
kürzere Schulungen statt, entweder als<br />
Videosequenz on demand oder als Live-<br />
Coaching. Das Wissen wird so in leicht<br />
verdaulichen Häppchen vermittelt und<br />
kann deshalb langfristig abgespeichert<br />
werden. Zusätzlich sollten die Teilnehmer<br />
jederzeit die Möglichkeit haben, individuelle<br />
Fragen unkompliziert per Mail oder<br />
»Langfristig ist es sinnvoll, die<br />
eigenen Mitarbeiter zu befähigen.<br />
Ein nachhaltiger Wissenstransfer<br />
findet mit einem Coaching über<br />
einen längeren Zeitraum und<br />
parallel zum Arbeitsalltag statt.«<br />
Sprachnachricht an die Coaches zu stellen.<br />
Tut sich im Arbeitsalltag ein Problem<br />
auf, erhalten die Teilnehmer dann direkt<br />
Hilfe vom Experten und werden auf diese<br />
Weise über Monate hinweg aktiv unterstützt.<br />
Findet das Programm berufsbegleitend<br />
statt, hat dies auch den Vorteil, dass die<br />
Mitarbeiter nicht tagelang am Arbeitsplatz<br />
fehlen, von anderen Kollegen demnach<br />
nicht ersetzt werden oder ihre Arbeit<br />
nach dem Seminar nachholen müssen.<br />
Auch Reisekosten fallen weg. Viel gewichtiger<br />
ist aber der Umstand, dass das<br />
Wissen nicht theoretisch in einer externen<br />
Schulung vermittelt wird, sondern direkt<br />
in der Arbeitsumgebung und im Alltag<br />
des Teilnehmers. Anstatt dass die Teilnehmer<br />
tagelang nur als Zuhörer in einem<br />
Seminar sitzen und höchstens in konstruierten<br />
Situationen mal zur Anwendung<br />
angeregt werden, lernen sie direkt an ihrem<br />
Arbeitsplatz und können das Gelernte<br />
im Anschluss unmittelbar anwenden. Der<br />
Lerneffekt ist auf diese Weise deutlich<br />
höher und nachhaltiger. Im Idealfall animiert<br />
der jeweilige Baustein direkt zur<br />
Umsetzung in die Praxis, vermittelt also<br />
konkrete Arbeitsaufgaben und Tipps.<br />
Zudem können sich die Teilnehmer solch<br />
gestaltete Kurse selbst einteilen: Sie<br />
schauen sich etwa eine Videosequenz an<br />
oder bearbeiten ein Kapitel im Workbook<br />
dann, wenn sie auch Zeit dafür haben<br />
oder sie inhaltlich gerade am besten zu<br />
ihrer Arbeit passt. Die Teilnehmer sollten<br />
darüber hinaus regelmäßig Rückmeldungen<br />
zu ihren Zwischenergebnissen erhalten;<br />
dann können sie ihre Arbeitsweise<br />
bei Bedarf anpassen und weiter in die<br />
richtige Richtung lenken.<br />
Externe Einkaufsberater helfen Unternehmen<br />
zwar bei der Lösung kurzfristiger<br />
Probleme, sind aber<br />
auch teuer und erzielen keinen<br />
Wissenstransfer ins Unternehmen.<br />
Auf Dauer günstiger und<br />
nachhaltiger ist es, die eigenen<br />
Mitarbeiter zu befähigen.<br />
Mit klassischen Seminaren<br />
wird das schwierig bis unmöglich,<br />
weil sie innerhalb kurzer<br />
Zeit zu viele Inhalte vermitteln<br />
und fernab des Arbeitsalltags<br />
der Teilnehmer stattfinden. Einen langfristigen<br />
Effekt erzielen hingegen berufsbegleitende<br />
Coachingprogramme, die das<br />
Wissen in kleinere Bausteine aufteilen.<br />
Die Teilnehmer lernen direkt am Arbeitsplatz,<br />
können das Gelernte auf diese Weise<br />
direkt anwenden – und erzielen höhere<br />
und nachhaltige Lerneffekte.<br />
Ein solch neues, berufsbegleitendes Weiterbildungsformat<br />
bietet die Arness Academy<br />
an: Über sechs Monate hinweg finden<br />
24 Sitzungen statt, zudem erhalten<br />
die Teilnehmer schriftliche Unterlagen in<br />
Form eines Workbooks. Rund 10.000 Euro<br />
kostet dieses Coaching, ist also günstiger<br />
als eine externe Einkaufsberatung – und<br />
hat einen langfristigeren Effekt. Das<br />
Coaching richtet sich an Unternehmer,<br />
Einkaufsleiter oder Gruppenleiter im Einkauf.<br />
www.arness.eu<br />
Julia Kowal, Journalistin<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022 63
» BÜCHER<br />
Bild: Böhlau Verlag<br />
Wie sicher ist unsere Energieversorgung?<br />
Europa und Russland<br />
Das vorliegende Buch, das vom Direktor des Center for Eastern European<br />
Studies der Universität Zürich verfasst wurde, analysiert fundiert, wie Russland<br />
zur Rohstoffmacht wurde und Deutschland und Europa in eine gefährliche<br />
Abhängigkeit gerieten. Der Autor zeigt auf, wie der Energiehandel mit der<br />
Sowjetunion bzw. später mit Russland auch immer im politischen Kontext stand.<br />
Rohstoffmacht<br />
Russland . Eine globale<br />
Energiegeschichte.<br />
Jeronim Perovic.<br />
Böhlau Verlag, Köln<br />
2022, 264 Seiten,<br />
39 Euro, ISBN:<br />
9783412524425<br />
Prof. Dr. Robert Fieten<br />
wissenschaftlicher<br />
Berater der<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong>,<br />
Köln<br />
Jeronim Perovic hat als Historiker<br />
mit einem Faible für Wirtschaft<br />
ein Anliegen: Er will in seinem Buch<br />
aufzeigen, dass die Energiegeschichte<br />
die Dynamik der Ost-West-Beziehungen<br />
weit stärker beeinflusst hat,<br />
als bisher bewusst und bekannt war.<br />
Nach seiner<br />
wohl begründeten<br />
Einschätzung<br />
ist<br />
ein genauer<br />
Blick auf den<br />
Umgang Russlands<br />
mit seinem<br />
Rohstoffreichtum insbesondere<br />
im Bereich der Energie von zentraler<br />
Bedeutung, um den Entwicklungsweg des Landes<br />
und sein außenpolitisches Verhalten in Vergangenheit<br />
und Gegenwart zu verstehen.<br />
Der Schweizer Autor zeigt auf, wie die Entwicklung<br />
der russischen Energiewirtschaft in den letzten einhundert<br />
Jahren parallel zu einer immer engeren<br />
energetischen Verflechtung mit der Welt und insbesondere<br />
mit Europa, dem wichtigsten Absatzmarkt<br />
nicht nur für russische Energie, sondern auch für andere<br />
natürliche Rohstoffe, verlief. Dabei bietet er einen<br />
Längsschnitt durch die Geschichte<br />
von Lenin bis Putin.<br />
Perovic legt dar, wie die Sowjetunion in<br />
Zeiten des Kalten Krieges das Thema Exporte<br />
von Öl und Erdgas sehr pragmatisch<br />
und damit für die europäischen Abnehmer<br />
berechenbar anging. Dies hat sich<br />
leider im Zuge der <strong>aktuell</strong>en Eskalation<br />
völlig geändert. Die Sowjetunion war zur<br />
Kooperation mit dem Westen bereit, denn<br />
sie brauchte Devisen aus dem Export von<br />
Öl und Gas. Sie brauchte auch Röhren<br />
und moderne Fördertechnik aus dem<br />
Westen, um ihre Rohstoffquellen in Sibirien<br />
zu erschließen. Es war die Zeit großer<br />
»Ein unbedingt lesenswertes<br />
politisches<br />
Buch, das zur richtigen<br />
Zeit kommt.«<br />
Abkommen wie etwa des 1970 abgeschlossenen Erdgas-Röhren-Vertrages<br />
mit der Bundesrepublik<br />
Deutschland. Im Oktober 1973 floss erstmals „rotes“<br />
Gas aus der Sowjetunion in die Bundesrepublik. Es<br />
entwickelte sich eine starke und – wie wir heute<br />
sehen – nur schwer aufzulösende wechselseitige Abhängigkeit<br />
zwischen beiden Seiten.<br />
Turbulenzen gab es dann in<br />
den „wilden 1990er-Jahren“.<br />
Die russische Energiewirtschaft<br />
ging in die Privatisierung;<br />
Oligarchen nutzten für<br />
sich die Gunst der Stunde. Unter<br />
Putin fand dann die Rückkehr<br />
des Staates statt und<br />
Energielieferungen wurden zur politischen Waffe.<br />
Energie und Macht dank Energie spielten wieder eng<br />
zusammen. Das Putin-Regime nährt sich bis heute<br />
aus den Milliarden-Einnahmen, die aus dem Verkauf<br />
von Öl, Gas und anderen fossilen Energieträgern erzielt<br />
werden.<br />
Wechselseitige Abhängigkeit<br />
Trotz aller Bekenntnisse zur Abkehr von fossilen<br />
Energieträgern sind die europäischen Wirtschaften<br />
noch immer auf Öl, Gas und Kohle angewiesen. Bei<br />
deren Import ist Europa nach wie vor abhängig von<br />
denjenigen Staaten, die diese Vorkommen besitzen.<br />
Auf der anderen Seite – und dies sollte man in der<br />
<strong>aktuell</strong>en Aufregung nicht vergessen – haben die<br />
ressourcenreichen Staaten wie auch Russland ein<br />
massives Interesse daran, bestehende Abhängigkeiten<br />
zu wahren, um ihre Rohstoffe auch in Zukunft<br />
möglichst gewinnbringend verkaufen zu können. In<br />
der <strong>aktuell</strong>en, total verfahrenen Situation ist diese<br />
wechselseitige Abhängigkeit der seidene Faden, an<br />
dem die (trügerische?) Hoffnung auf eine Rückkehr<br />
der Vernunft der russischen Politik hängt.<br />
Fazit: Ein unbedingt lesenswertes politisches Buch,<br />
das zur richtigen Zeit kommt und unseren Unternehmen<br />
klar vor Augen führt, in welchem Spannungsfeld<br />
sie ihre Versorgungsstrategien entwickeln müssen.<br />
64 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022
BÜCHER «<br />
Bild: Hanser<br />
Bild: Herder<br />
Bild: Springer<br />
Forschung des Berufslebens<br />
Matthias Sutter, Direktor am Max-Planck-<br />
Institut und gefragter Redner, präsentiert<br />
in diesem Buch locker, verständlich und<br />
sehr unterhaltend <strong>aktuell</strong>e verhaltensökonomische<br />
Erkenntnisse aus dem Berufsleben<br />
und hilft dabei Laien, aber auch HR-<br />
Experten den „menschlichen Faktor“ besser<br />
zu verstehen. In 50 Kapiteln befasst er<br />
sich mit sehr vielfältigen Aspekten der Berufswelt.<br />
So analysiert er in einem die Ergebnisse<br />
methodisch einwandfreier Studien,<br />
welche Vor- und Nachteile das Homeoffices<br />
für Unternehmen und deren Mitarbeiter<br />
untersuchten. In einem anderen<br />
zeigt er auf, warum zu hohe monetäre Anreize<br />
oft eine Belastung darstellen und das<br />
Gegenteil von dem bewirken, was sie wollen:<br />
bessere Entscheidungen treffen. Dabei<br />
schöpft Sutter aus seiner eigenen Forschungsarbeit,<br />
nutzt aber auch die Ergebnisse<br />
seiner weltweiten Kollegen. „Dieses<br />
Buch ist ein hervorragendes Beispiel für<br />
Wissenstransfer aus der Grundlagenforschung<br />
heraus. Matthias Sutter gelingt es<br />
auf höchst anschauliche Art und Weise,<br />
die Ergebnisse seiner Forschungsarbeit in<br />
alltagstaugliches Wissen zu übertragen.“<br />
(Prof. Dr. Martin Stratmann, Präsident der<br />
Max-Planck-Gesellschaft). Deswegen von<br />
mir eine klare Lese-Empfehlung. (sas)<br />
Der menschliche Faktor<br />
oder worauf es im Berufsleben ankommt .<br />
50 verhaltensökonomische Erkenntnisse<br />
Matthias Sutter,<br />
Carl Hanser Verlag, München, 2022.<br />
Fester Einband, 288 Seiten, 29,99 €<br />
ISBN: 978–3–446-47313–3<br />
Geldpolitik und die Folgen<br />
Die Inflation liegt auf dem höchsten Wert<br />
seit Jahrzehnten. Und es ist nicht aus -<br />
geschlossen, dass sie sich in Wellen<br />
weiter aufschaukelt. Hans-Werner Sinn<br />
analysiert die europäische Geldpolitik und<br />
warnt eindringlich vor den Folgen. In<br />
seinem Buch setzt er dort an, wo sein<br />
Bestseller „Der Corona-Schock“ endete:<br />
die Finanzierung des Euroraums aus der<br />
Drucker presse hat in der Finanz- und<br />
Corona krise ungeheure Ausmaße<br />
angenommen .<br />
Der bekannte deutschsprachige Ökonom<br />
warnt eindringlich vor den Gefahren der<br />
massiven Ausweitung der Geldmenge, die<br />
aus dem europäischen Traum von<br />
gemeinsamen Frieden und Wohlstand<br />
einen Albtraum machen könnte.<br />
Sinn hat dieses Buch bereits im vergangen<br />
Jahr geschrieben. Umso erschreckender<br />
ist die Aktualität seiner Warnungen.<br />
Für Hans-Werner Sinn ist klar: Europa<br />
muss schleunigst wieder auf den Pfad<br />
einer soliden Geldpolitik zurückkehren.<br />
Nur dann kann das Vertrauen in den Euro<br />
bestehen bleiben und der europäische<br />
Traum von Wohlstand und Frieden gerettet<br />
werden.<br />
Die wundersame Geldvermehrung<br />
Staatsverschuldung, Negativzinsen,<br />
Inflation<br />
Hans-Werner Sinn<br />
Verlag Herder, 2021<br />
Gebunden, 432 Seiten, 28,00 €<br />
ISBN: 978–3–451–39127–9<br />
Nachhaltigkeit bei Events<br />
Dieses Buch bietet einen grundlegenden<br />
Überblick zur Definition und Umsetzbarkeit<br />
von Nachhaltigkeit in der Eventbranche.<br />
Die Autoren, Experten und Praktiker<br />
aus der Branche, ermöglichen einen praxisnahen<br />
Einstieg in das Thema. Einer der<br />
Co-Autoren ist Stefan Lohmann, Experte<br />
für Live Entertainment und Nachhaltigkeit<br />
und Mit-Initiator der Initiative „16 Steps<br />
bis 2025 – Für eine klimaneutrale Veranstaltungswirtschaft“.<br />
Der Klimawandel<br />
zwingt zum Umdenken auch in der Eventbranche<br />
mit seinen vielfältigen Akteuren.<br />
Neue Konzepte und Handlungsweisen<br />
müssen definiert, erprobt und auf ihre<br />
Eignung getestet werden. Dabei geht es<br />
um ein tiefergehendes Verständnis, was<br />
Nachhaltigkeit für Messen, Kongresse und<br />
Events bedeutet. Ebenso wichtig ist die<br />
konkrete Umsetzung: Welche Methoden<br />
und Instrumente klimaschonender Handlungsweisen<br />
lassen sich für die Mice-<br />
Branche ableiten. Die AutorInnen dieses<br />
Buches beschreiben modellhaft einen Prozess<br />
des nachhaltigen ökologischen und<br />
ökonomischen Handelns. Viele Praxis -<br />
beispiele veranschaulichen, wie der Weg<br />
zum nachhaltigen Event aussehen kann.<br />
Praxis-Guide für Nachhaltigkeit in<br />
der Eventbranche<br />
Konzepte und Beispiele für Veranstaltungen<br />
mit ökologischer und ökonomischer<br />
Ausrichtung<br />
Hrsg: Thorsten Knoll, Stefan Luppold<br />
Springer Gabler, 2022.<br />
Softcover, 349 Seiten, 49,99 €<br />
ISBN: 978–3–658–36577–6<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022 65
INSERENTENVERZEICHNIS<br />
IMPRESSUM<br />
F. Reyher Nchfg. GmbH & Co., Hamburg 9<br />
Bild: Hoffmann Group<br />
Gersfelder Metallwaren GmbH, Gersfeld 11<br />
Gütegemeinschaft Paletten e.V., Münster 13<br />
Lederer GmbH, Ennepetal 3<br />
proALPHA Business Solutions GmbH, Weilerbach 7<br />
proactis Germany, Bonn 17<br />
RCT Reichelt Chemietechnik GmbH + Co., Heidelberg 15<br />
SEW-EURODRIVE GmbH & Co. KG, Bruchsal 21<br />
VORSCHAU<br />
INTERVIEW<br />
In den vergangenen fünf Jahren hat der<br />
OMV-Einkauf einen Wandel vollzogen<br />
und ist zu einem geschätzten Partner im<br />
gesamten Unternehmen geworden. CPO<br />
Klaus Blachnik und Martin Traxl, Head of<br />
Strategy & Digitalization in Procurement,<br />
berichten über ihre Erfahrungen bei<br />
dieser ganzheitliche Transformation.<br />
TITELSTORY<br />
Borries Schüler (r.),<br />
Vorstand Product Management<br />
& Engineering,<br />
und Markus Decker, Prozessberater<br />
eBusiness,<br />
von der Hoffmann Group,<br />
über Potenziale in der<br />
<strong>Beschaffung</strong> .<br />
PLATTFORMEN<br />
Fertigungsplattformen können mit einem<br />
breiten Lieferantenangebot Anwendern<br />
dabei helfen, <strong>aktuell</strong>e Hürden in den<br />
Liefer ketten zu meistern. Wir geben<br />
einen Überblick über die verschiedenen<br />
Systeme , ihre Anwendungsgebiete und<br />
Besonderheiten.<br />
Das Magazin für Einkauf, Material wirtschaft und Logistik<br />
ISSN 0341–4507<br />
Herausgeberin: Katja Kohlhammer<br />
Verlag: Konradin-Verlag Robert Kohlhammer GmbH<br />
Ernst-Mey-Straße 8,<br />
70771 Leinfelden-Echterdingen, Germany<br />
Geschäftsführer: Peter Dilger<br />
Verlagsleiter: Peter Dilger<br />
Chefredakteur:<br />
B. A. Alexander Gölz (ag), Phone +49 711 7594–438<br />
Ernst-Mey-Straße 8, 70771 Leinfelden-Echterdingen, Germany<br />
Redaktion:<br />
Dipl.-Ing. (FH) Sabine Schulz-Rohde (sas),<br />
Phone +49 711 7594–252;<br />
Yannick Schwab (ys), Phone +49 711 7594–537<br />
Korrespondent:<br />
M.A. Nico Schröder (sc), Phone +49 170 6401879<br />
Freie Mitarbeit:<br />
Ass. Jur. Ulrike Dautzenberg, RA Anja Falkenstein,<br />
Dipl. Ing. (FH) Michael Grupp, M.A. Annette Mühlberger,<br />
M.A. Sabine Ursel<br />
Fachliche Beratung: Prof. Dr. Robert Fieten<br />
Redaktionsassistenz:<br />
Daniela Engel, Phone +49 711 7594–452,<br />
Fax –1452, E-Mail: daniela.engel@konradin.de<br />
Layout: Jennifer Martins, Phone +49 711 7594–262<br />
Gesamtanzeigenleitung:<br />
(Verantwortlich für den Anzeigenteil)<br />
Joachim Linckh, Phone +49 711 7594–565<br />
Auftragsmanagement:<br />
Matthias Rath, Phone +49 711 7594–323<br />
Leserservice: <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong>, Phone +49 711 7252–209,<br />
E-Mail: konradinversand@zenit-presse.de<br />
Erscheinungsweise: 9 x jährlich<br />
Bezugspreis jährlich: Inland 160,20 € inkl. MwSt. und<br />
Versandkosten; Ausland 165,15 € inkl. Versandkosten;<br />
Einzelheft Inland: 17,90 € inkl. MwSt. und Versandkosten.<br />
Einzelheft Ausland: 18,40 € inkl. Versandkosten.<br />
Für Schüler, Studenten und Auszubildende gegen Nachweis:<br />
Inland 80,10 € inkl. MwSt. und Versandkosten,<br />
Ausland 85,05 € inkl. Versandkosten.<br />
Bestellungen beim Verlag oder beim Buchhandel. Sofern das<br />
Abon nement nicht für einen bestimmten Zeitraum ausdrücklich<br />
bestellt war, läuft das Abonnement bis auf Widerruf.<br />
Bezugszeit: Das Abonnement kann erstmals vier Wochen<br />
zum Ende des ersten Bezugsjahres gekündigt werden. Nach<br />
Ablauf des ersten Jahres gilt eine Kündigungsfrist von jeweils<br />
vier Wochen zum Quartalsende. Bei Nichterscheinen<br />
aus technischen Gründen oder höherer Gewalt entsteht kein<br />
Anspruch auf Ersatz.<br />
Die Mitglieder des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf<br />
und Logistik e.V. ( BME ) und des ÖPWZ erhalten die Zeitschrift<br />
„<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong>“ im Rahmen einer Kooperation.<br />
Auslandsvertretungen: Großbritannien: Jens Smith Partner -<br />
ship, The Court, Long Sutton, Hook, Hamp shire, RG29 1TA,<br />
GB, Phone 01256 862589, Fax 01256 862182, E-Mail:<br />
jsp@trademedia.info; USA, Kanada: D.A. Fox Advertising<br />
Sales, Inc., Detlef Fox, 5 Penn Plaza, 19th Floor, New York, NY<br />
10001, Phone +1 212 89 63 881, Fax +1 212 62 93 988,<br />
E-Mail: detleffox@comcast.net<br />
Druck:<br />
Konradin Druck, Kohlhammerstraße 1–15,<br />
70771 Leinfelden-Echterdingen, Printed in Germany<br />
© 2022 by Konradin-Verlag Robert Kohlhammer GmbH,<br />
Leinfelden-Echterdingen<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> 09/2022 erscheint am 30.0<strong>8.2022</strong><br />
66 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022
MEINUNG «<br />
Neue Helden – Einkäufer und<br />
Supply Manager?!<br />
Die Aussichten für unsere Wirtschaft sind mit Blick auf die zweite<br />
Jahreshälfte 2022 leider alles andere als rosig. So hat das<br />
Münchner Ifo-Institut im Juni nicht überraschend seine Konjunkturprognose<br />
für die deutsche Wirtschaft erneut gesenkt.<br />
Das Bruttoinlandsprodukt wird nach Einschätzung der Münchner<br />
Ökonomen in diesem Jahr allenfalls um 2,5 Prozent zulegen,<br />
schwächer als die noch im März erwarteten 3,1 Prozent. Noch<br />
skeptischer ist der BDI, der mit einem Wirtschaftswachstum von<br />
nur noch 1,5 Prozent rechnet. Nach seiner Einschätzung brennt<br />
es lichterloh.<br />
Nach zwei Corona-Jahren steht die deutsche Wirtschaft immer<br />
noch schwächer da als vor Beginn der Pandemie. Es besteht die<br />
leider keineswegs unrealistische Gefahr, dass die Weltwirtschaft angetrieben durch<br />
Russlands Überfall auf die Ukraine in einen perfekten Sturm gerät, wie es kürzlich der<br />
renommierte US-Ökonom Kenneth Rogoff diagnostizierte. Er meint damit die gleichzeitige<br />
Rezession in Europa, China und den USA, die in eine Stagflation – eine Verbindung<br />
von hoher Teuerung und niedriger wirtschaftlicher Dynamik – einmündet.<br />
Eine nicht enden wollende hohe Inflation, wie wir sie hierzulande seit mehr als vierzig<br />
Jahren nicht mehr erlebt haben, bremst die Konjunktur. Für die Einkäufer in den Unternehmen<br />
belastend ist der Rekordanstieg der Erzeugerpreise im Mai um 33,6 % im<br />
Vergleich zum Vorjahresmonat. Unter den Erzeugerpreisen sind besonders gestiegen die<br />
für Erdgas um 148 Prozent, Heizöl um 96 Prozent, Kraftstoff um 49 Prozent sowie<br />
Dünge mittel und Zeitungspapier um 111 Prozent und<br />
Getreideerzeugnisse um 45 Prozent. Nach wie vor<br />
»Für die Einkäufer und<br />
Supply Manager kommt es<br />
in diesen Zeiten auf fünf<br />
Strategien an.«<br />
gibt es flächendeckend Lieferengpässe, auch bedingt<br />
durch Arbeiterlosigkeit. Die Reduzierung des Verbrauchs<br />
vor allem bei Gas ist daher das Gebot der<br />
Stunde. Aber auch für die privaten Haushalte wird es<br />
immer ungemütlicher wegen drastisch steigender<br />
Verbraucherpreise. Die Bildzeitung brachte dies<br />
treffend zum Ausdruck mit der Headline „Normales Essen wird zum Luxus“. Glücklicherweise<br />
sind wenigstens die Aussichten für den Arbeitsmarkt derzeitig noch günstig. Die<br />
Zahl der Arbeitslosen dürfte laut Ifo- Institut in diesem Jahr von 2,6 auf 2,3 Millionen<br />
sinken.<br />
Ob die Einkäufer in unserer Industrie den vorsichtigen Optimismus (oder besser das<br />
wishful thinking) der Ifo-Forscher teilen, dass es in der zweiten Jahreshälfte zu einem<br />
allmählichen Rückgang der Rohstoffpreise ebenso wie der Lieferengpässe kommen<br />
werde, darf bezweifelt werden. Die Einkäufer und Supply Manager werden auch<br />
weiterhin sehr gefordert sein, um für die notwendige Verfügbarkeit und Resilienz zu<br />
sorgen. Für sie kommt es in diesen Zeiten auf fünf Strategien an: Reduzierung der<br />
Bedarfe/ Verbräuche, Erhöhung der Material- und Energieeffizienz, Forcierung der<br />
Kreislaufwirtschaft, Umgang mit Allokation durch geschicktes Verhandeln über Liefermengen<br />
und -termine und vor allem um Cost Avoidance durch Abwehr von ungerechtfertigten<br />
Preiszuschlägen. Die Einkäufer und Supply Manager müssen im perfekten<br />
Sturm zu den neuen Helden werden!<br />
Prof. Dr.<br />
Robert Fieten,<br />
wissenschaft -<br />
licher Berater der<br />
<strong>Beschaffung</strong><br />
<strong>aktuell</strong> , Köln<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022 67
Industrie<br />
fachjobs24.de – hier finden Arbeitgeber<br />
qualifizierte Fach- und<br />
Führungskräfte<br />
Sprechen Sie Nutzer von Branchen-Fachmedien an:<br />
die Interessierten und Engagierten ihres Fachs<br />
Erreichen Sie die Wechselwilligen, schon bevor<br />
sie zu aktiven Suchern werden<br />
Für optimales Personalmarketing: Präsentieren Sie<br />
sich als attraktiver Arbeitgeber der Branche<br />
EINFACH,<br />
SCHNELL UND<br />
FÜR NUR<br />
199€<br />
Preis zzgl. MwSt<br />
Einzigartiges Netzwerk zielgruppenspezifischer Branchen-Channels<br />
Augenoptik Handwerk Architektur<br />
Arbeitswelt<br />
Wissen<br />
34 Online-Partner<br />
68 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 7-8 | 2022<br />
28 Print-Partner<br />
Das Stellenportal für Ihren Erfolg!