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TITELTHEMA

Münchner Ärztliche Anzeigen

Dr. Gregor Scheible ist als Internist,

Pneumologe, Intensiv- und

Notfallmediziner Leitender Arzt der

Stiftung Pfennigparade in München.

es mittlerweile in München am

Gesundheitsreferat endlich eine

gynäkologische Praxis für Frauen mit

Behinderung. Die einzigen Unterschiede

zu anderen gynäkologischen

Praxen sind dort, dass diese

Räume mit einem Rollstuhl betretbar

sind, dass sie einen Lifter haben und

einen etwas größeren Untersuchungsstuhl.

So etwas wäre in vielen

Krankenhäusern auch möglich.

Wegen welcher Diagnosen müssen

Ihre Patient*innen ins Krankenhaus?

Sie müssen immer wieder in die Klinik

– meistens weniger wegen

lebensbedrohlicher Erkrankungen

als vielmehr wegen einfachen Untersuchungen

oder Eingriffen wie Darmspiegelungen,

Gastroskopien, einer

PEG-Anlage oder bei urologischen

Problemen. Manche müssen wegen

eines Infekts intravenös therapiert

werden, was wir ambulant nicht leisten

können. Unsere Patient*innen

mit schweren Lähmungen und einer

nur nachts notwendigen Beatmung

müssen daher bereits bei einer

leichten Pneumonie auf die Intensivstation

– auch wenn es ihnen eigentlich

gar nicht so schlecht geht.

Wurden Patient*innen während der

Pandemie in Krankenhäusern

abgewiesen?

Abgewiesen wurden sie nicht, aber

die Hürden für eine Aufnahme waren

hoch. Viele unserer Patient*innen

wissen ganz genau, was mit ihnen im

Krankenhaus passiert und wehren

sich daher gegen eine Einweisung.

Dadurch besteht die Gefahr, dass

Krankheiten verschleppt werden.

Während der Coronazeit konnten

sowieso nur Notfälle eingewiesen

werden. Viele vergessen: Für Menschen,

die sich ein stückweit selbst

versorgen können, die sich melden

oder ein Handy bedienen können, ist

es im Krankenhaus wesentlich einfacher

als für jemanden, der ständig

auf Hilfe durch eine Pflegeperson

angewiesen ist. Ohne eine permanent

anwesende Hilfskraft können

sich Menschen mit einer schweren

Behinderung überhaupt nicht

bemerkbar machen.

Wie reagieren die Menschen auf

die Nachricht, dass sie dringend

ins Krankenhaus müssen?

Die meisten können ganz klar ihren

Willen artikulieren und sagen: Sie

wollen nicht in die Klinik. Dabei nehmen

sie das Risiko in Kauf, dass ihre

ambulant durchführbare Therapie

nicht optimal ist. Gegen ihren Willen

wollen und können wir sie aber nicht

einweisen.

Noch schwieriger ist die Versorgung

von geistig behinderten Patient*innen

oder z.B. Demenzkranken, wenn

zu einer körperlichen Behinderung

noch ein ausgeprägteres Verständigungs-

bzw. Verständnisproblem

hinzukommt. Ich persönlich habe

mit diesem Bereich wenig zu tun,

weiß aber von unseren Partnereinrichtungen,

dass ihre fachgerechte

Versorgung im Krankenhaus auf

noch größere Schwierigkeiten stößt.

Was passiert, wenn Patient*innen

aus einer Klinik zurückkommen?

Leider gehen nur wenige Kliniken auf

die Situation dieser Patient*innen

ein. Immer noch wird am Freitagnachmittag

oder am Samstagmorgen

in die Behinderteneinrichtungen

entlassen, wo auch bei uns meist

nur der Bereitschaftsdienst verfügbar

ist. Das Standardvorgehen mit

anschließenden engmaschigen Kontrolluntersuchungen

und einer fachärztlichen

Weiterbetreuung ist bei

unseren Patient*innen meist nicht

möglich. Weil viele Praxen baulich

für Rollstühle nicht geeignet sind,

nehmen nur wenige niedergelassene

Fachärzt*innen Menschen mit einer

Behinderung auf. Mein Appell an die

Kliniken ist daher, alle Behandlungen

dort möglichst abzuschließen. Gerade

bei Menschen mit einer Behinderung

ist dies oft nicht durch ambulante

Maßnahmen zu ersetzen.

Wie könnte man die Versorgung

von Menschen mit Behinderung in

Kliniken verbessern?

Wir bräuchten in München eine

bestimmte Anzahl von Plätzen oder

womöglich sogar eine spezielle Station

für sie – mit guter Personalausstattung,

spezieller Schulung des

Personals und bestimmten Hilfsmittel

wie Liftern. Natürlich kann eine

solche Station nicht geplant belegt

werden. Und sie müsste sich an

einer Klinik befinden, die das ganze

Spektrum der Behandlungen anbietet

– besonders urologische, gynäkologische,

gastroenterologische

Dienstleistungen und eine komplette

radiologische Diagnostik. Ein Pool an

geschulten Mitarbeiter*innen mit ein

paar spezielleren Hilfsmitteln in den

Kliniken wäre schon ein Fortschritt.

Es braucht zudem eine fachgerechte

Lagerung von Menschen mit einer

Behinderung. Auch bei älteren Menschen

im geriatrischen Bereich sind

Dekubiti in Kliniken ja nicht selten.

Wie können wir uns auf den bevorstehenden

Corona-Herbst vorbereiten?

Ich weiß nicht, ob das vor allem eine

Frage des Corona-Herbsts ist. Es

muss für diese Menschen in „normalen“

Situationen besser werden,

damit es auch in „Stoßzeiten“ wie

einer Pandemie besser wird. Nur

eine Spezialsituation anzugehen,

löst das Problem langfristig nicht.

Die Strukturen müssen tiefergehend

verändert werden.

Das Gespräch führte Stephanie Hügler

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