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Viehdorfer Nachrichten 96 - Dezember 2022

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Kommentar von GGR Markus Burgstaller, MA

Die Gefahr der entpolitisierten Gesellschaft

Vor 15 Jahren wurde das Wahlalter von 18 auf 16 Jahre gesenkt. Es war eine bewusste Entscheidung, die einerseits

zu einem Impuls für mehr politische Bildung führen und andererseits ein demokratiepolitisches Signal für die Integrierung

junger Erwachsene in den politischen Entscheidungsprozess sein sollte. Im Heute müssen wir uns allerdings

die Frage stellen, was seither alles nicht passiert ist und warum gerade diese Generation so sehr mit dem politischen

System hadert – ein Grund ist sicherlich die Abkehr vom Diskurs und der Rückzug in politische Echokammern.

In diesen Tagen finden die letzten Weihnachtsfeiern statt

und bald die alljährlichen Familientreffen. Und wie sich

Jahr und Gebräuche wiederholen, so wiederholen sich da

und dort auch die politischen Diskussionen. Nicht während

der Vorspeise und aus Rücksicht gegenüber dem bemühten

Gastgeber auch nicht zur Hauptspeise, aber spätestens bei

Kaffee und Kuchen. Die potenziellen Themen sind durch

Internet und Nachrichten-TV schließlich unerschöpflich.

So fix wie der Diskussionsanstoß ist zugleich aber

der Kommentar „Lass uns jetzt nicht über Politik diskutieren!“

oder „Jetzt war es so gemütlich, musst du damit

anfangen!“ …

Wir erleben wohl ein neues Biedermeier mit dem markanten

Unterschied, dass das Politische nicht von der Öffentlichkeit

ins Private wandert, sondern die politische Öffentlichkeit

zwar von jedermann beobachtet wird, im Privaten

allerdings das Politische keinen Platz findet. Lediglich in

den sogenannten politischen Echokammern, also dort wo

sich Gleichgesinnte treffen – sei es virtuell oder real – ist

es en vogue. Es ist mittlerweile also Usus im „kleinen,

privaten Kreis“ nicht oder wenig über Politik zu reden,

da irgendjemand nicht derselben Meinung sein könnte.

Anstatt sich auszutauschen, wird die Diskussion gleich zu

Beginn unterbunden. Dieser Rückzug oder diese Entpolitisierung

ist für unsere Demokratie gefährlich, da damit die

Diskussionskultur verloren geht, die wir für die Entscheidungsfindung

in unserer pluralistischen Gesellschaft brauchen.

Im Ergebnis fördert das die seltsamsten Dinge zu

Tage: Politiker wollen zum Beispiel nicht mehr als Politiker

wahrgenommen werden und die Wählerschaft ist ohnehin

stets auf der Suche nach dem „Nicht-Politiker“. Dabei

wäre es viel einfacher, wenn man ehrlich anspricht, was

Politik ist und ausmacht.

Zuallererst dürfen wir uns glücklich schätzen in einem

Land zu leben, das sich als liberale Demokratie versteht.

In den regelmäßig erscheinenden Demokratie-Erhebungen

wird deutlich, dass eine Vielzahl an Staaten dieser Welt

wenig mit dem gemeinsam haben, was wir mittlerweile

als gesellschaftliche Errungenschaft nennen dürfen. In

Österreich ist es jedem möglich, für ein politisches Amt zu

kandidieren – unabhängig der Hautfarbe, dem Geschlecht

usw. Im täglichen „Politzirkus der Skandalisierung und

Denunzierung“ vergessen wir das nur allzu leicht.

Die entpolitisierte Gesellschaft, das „sich rausnehmen aus

der Politik“ stellt sohin eine Gefahr für die demokratische

Ordnung dar, weil sich immer mehr Bürger von politischen

Entscheidungen abkoppeln und „den anderen“ überlassen.

Dadurch entsteht in der viel beschworenen Mitte der

Gesellschaft ein Vakuum, einzig die radikalen Extrempositionen

rechts und links der Mitte werden gestärkt. Je mehr

Bürger also über Politik diskutieren, sich untereinander –

aber außerhalb der bequemen Echokammern – austauschen

und in Folge vielleicht auch öffentlich für ein politisches

Amt eintreten, desto höher ist auch die Qualität der Politik.

Am Ende muss die Einladung zum Miteinander im Wettbewerb

der guten Ideen stehen. Wohlwissend, dass die

Entscheidung immer nur eine Kompromisslösung sein

kann – alles andere wäre absolutistisch und ein anderes

Thema. Wer aber den Gedanken aufnehmen kann und

sich mit dem Gemeinwohl auseinandersetzt, sich engagiert

und dabei merkt, dass sich dieser Ausgleich der Interessen

mühevoll und kräftezehrend gestaltet, dem sei gesagt: Das

ist Politik im besten Sinne! Und das ist gut so.

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