Frauenbilder - Perspektive 21
Frauenbilder - Perspektive 21
Frauenbilder - Perspektive 21
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perspektive <strong>21</strong><br />
Brandenburgische Hefte für Wissenschaft und Politik<br />
<strong>Frauenbilder</strong><br />
Interview<br />
Dr. Christine Bergmann<br />
Beiträge<br />
Susanne Melior<br />
Magdolna Grasnick<br />
Prof. Dr. Irene Dölling<br />
Katrin Rohnstock<br />
Anne Mangold<br />
Sylka Scholz<br />
Lissy Gröner<br />
Norman Weiß<br />
Christa Randzio-Plath<br />
Uta Reichel<br />
Heft 12 September 2000
Interview<br />
INHALT<br />
<strong>Frauenbilder</strong><br />
mit Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für<br />
Familie, Senioren, Frauen und Jugend . . . . . Seite 3<br />
Beiträge<br />
Frauenförderpolitik in Brandenburg<br />
von Susanne Melior . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 7<br />
Migrantinnen im Land Brandenburg<br />
von Magdolna Grasnick . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 13<br />
Geschlechterverhältnisse in Veränderung<br />
von Prof. Dr. Irene Dölling . . . . . . . . . . . . . Seite 27<br />
Andere Frauen – andere Themen<br />
von Katrin Rohnstock . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 36<br />
Können Frauen nicht kampfschwimmen?<br />
von Anne Mangold und Sylka Scholz . . . . . Seite 42<br />
1<br />
Frauen gestalten Europa<br />
von Lissy Gröner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 52<br />
Schutz von Frauenrechten im Rahmen<br />
der Vereinten Nationen<br />
von Dr. Norman Weiß . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 58<br />
„Uns kriegen sie nicht klein“<br />
von Christa Randzio-Plath . . . . . . . . . . . . . . Seite 68<br />
„Augen zu und durch“<br />
von Uta Reichel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 74<br />
Magazin<br />
Die Wissenschaftsregionen in<br />
Nordostdeutschland vor strukturpolitischen<br />
Herausforderungen – Wissenschaftsforum Nordost<br />
von Tilo Braune und Klaus Faber . . . . . . . . Seite 84
Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />
eine der großen und tiefgreifenden Veränderungen<br />
des vergangenen Jahrhunderts betrifft<br />
die Stellung der Frauen innerhalb unserer<br />
Gesellschaft. Der erreichte Wandel des Selbstverständnisses<br />
von Frauen und ihrer gesellschaftlichen<br />
Rolle gehört zu den schwer<br />
erkämpften Teilerfolgen der Frauenbewegung.<br />
Nach dem Grundgesetz sind Frauen den Männern<br />
gleichgestellt, doch die gesellschaftliche<br />
Wirklichkeit sieht immer noch anders aus.<br />
Das Ihnen vorliegende 12. Heft der <strong>Perspektive</strong><br />
<strong>21</strong> „<strong>Frauenbilder</strong>“ versucht, diese Problematik<br />
zu durchleuchten. Wir wollen nicht nur fordern,<br />
sondern wollen Position und Ansehen der<br />
Frauen in Politik und Gesellschaft diskutieren.<br />
Noch Ende des 19. Jahrhunderts konnte sich<br />
niemand (in der Männerwelt) vorstellen, dass<br />
es weibliche Professorinnen oder Politikerinnen<br />
geben würde. Heute gibt es sie, doch ist die<br />
gesellschaftliche und die berufliche Gleichstellung<br />
von Frauen, z.B. ihre Aufstiegschancen<br />
oder ein gleicher Anteil an Führungspositionen,<br />
bei weitem noch nicht erreicht.<br />
In unserem Interview erläutert Bundesfrauenministerin<br />
Dr. Christine Bergmann aktuelle<br />
Ansätze der Politik, die Gleichstellung der Frauen<br />
praktisch voranzubringen. Christine Bergmann<br />
äußert sich auch zur Quotenregelung in<br />
Deutschland und ihre ganz persönlichen Ziele<br />
und Prämissen als Bundesfrauenministerin.<br />
Susanne Melior, ehemalige Landesvorsitzende<br />
der Brandenburger SPD-Frauen, analysiert die<br />
Erwerbssituation von Frauen im Land Bran-<br />
VORWORT<br />
2<br />
denburg und stellt Programme zur Frauenförderung<br />
vor. Ergänzend dazu stellt Magdolna<br />
Grasnick die Situation der Migrantinnen in<br />
unserem Land dar.<br />
Was verbirgt sich hinter dem Begriff<br />
„Geschlechterverhältnisse“? Dies wird aus wissenschaftlicher<br />
Sicht durch Frau Professor Dr.<br />
Irene Dölling von der Universität Potsdam<br />
untersucht. Was hat sich zehn Jahre nach der<br />
deutschen Einheit im Verhältnis von Ost- und<br />
West-Frauen getan? Mit diesem Aspekt beschäftigt<br />
sich Katrin Rohnstock in Ihrem Beitrag.<br />
Sylka Scholz und Anne Mangold greifen die<br />
Debatte um Frauen in der Bundeswehr auf und<br />
Lissy Gröner stellt das Konzept „Gender Mainstreaming“<br />
vor. Dr. Norman Weiß vom Menschenrechtzentrum<br />
der Universität Potsdam<br />
und Christa Randzio-Plath setzen sich in zwei<br />
Beiträgen mit den Problemen von Frauen in<br />
einer sich globalisierenden Welt auseinander.<br />
Hinzu kommt ein Beitrag einer Leserin, die<br />
sich kritisch mit den Änderungen am Brandenburger<br />
Kita-Gesetz auseinandersetzt. Im Magazinteil<br />
unseres Heftes möchten wir sie mit<br />
einer kurzen Vorstellung auf das neugegründete<br />
Wissenschaftsforums aufmerksam machen.<br />
Wir hoffen, erneut Ihr Interesse zu wecken und<br />
damit auch verbunden auf Ihre positiven Reaktionen<br />
und/oder kritischen Anmerkungen. Wir<br />
laden herzlich zur Mitarbeit ein.<br />
P.S. Sollten Sie noch kein kostenloses Abonnent<br />
der <strong>Perspektive</strong> <strong>21</strong> haben, nutzten Sie die beigefügte<br />
Postkarte.
Mit welchen politischen, mit welchen persönlichen<br />
Zielen, haben Sie vor gut 1 1/2 Jahren ihr<br />
Amt angetreten?<br />
Ziel meiner Politik ist es, die Situation von Familien<br />
zu verbessern, ein solidarisches Miteinander der<br />
Generationen zu fördern, Gewalt zu bekämpfen<br />
und die Chancengerechtigkeit zwischen Männern<br />
und Frauen und für die Jugendlichen voranzutreiben.<br />
Was sind die wichtigsten Erfolge ihrer bisherigen<br />
Amtszeit?<br />
Wir konnten bereits in den ersten 1 1/2 Jahren viel<br />
auf den Weg bringen.<br />
Ganz aktuell liegt die Novelle des Bundeserziehungsgeldgesetzes<br />
auf dem Tisch. Damit erhalten<br />
wieder mehr Eltern mehr Möglichkeiten für die<br />
individuelle Gestaltung ihres Lebens und zur Ver-<br />
INTERVIEW<br />
„IN SACHEN<br />
CHANCENGLEICHHEIT BESTEHT<br />
DRINGENDER<br />
HANDLUNGSBEDARF“<br />
Interview mit Dr. Christine Bergmann,<br />
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend<br />
3<br />
einbarkeit von Familie und Beruf. Das ist ein<br />
großer Erfolg.<br />
Bereits im letzten Jahr haben wir das Programm<br />
„Frau und Beruf“ beschlossen, um die Gleichstellung<br />
von Männern und Frauen voranzutreiben, und<br />
den Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen<br />
Frauen verabschiedet.<br />
Als nächstes Vorhaben bereiten wir derzeit die<br />
Reform des Heimgesetzes vor, nachdem das Altenpflegegesetz<br />
kurz vor Verabschiedung im Bundestag<br />
steht.<br />
Eine aus dem Osten Deutschlands stammende<br />
Politikerin hat das Amt der Bundesfrauenministerin<br />
inne. Hat das Auswirkungen auf die Frauenpolitik<br />
speziell in den neuen Ländern?<br />
Als eine Frau, die in der DDR gelebt hat, kann ich<br />
die Anliegen der ostdeutschen Frauen sehr gut ver-
TITEL<br />
Interview mit Bundesministerin Dr. Christine Bergmann<br />
stehen. Für uns Frauen in der DDR war es selbstverständlich,<br />
Erwerbsarbeit und Beruf miteinander<br />
zu verbinden. Wir haben den doppelten Lebensentwurf<br />
nicht gefordert, sondern gelebt.<br />
Gleichzeitig war die DDR sicherlich nicht das Idealbild<br />
einer gleichstellungsorientierten Gesellschaft,<br />
denn auch die Männer in Ostdeutschland<br />
haben die Familienarbeit überwiegend den Frauen<br />
überlassen. Heute wollen junge Frauen in Ost- und<br />
Westdeutschland Familie und Beruf miteinander<br />
vereinbaren, und nicht das eine für das andere aufgeben.<br />
Mit unserer Reform des Erziehungsurlaubes<br />
schaffen wir mehr Flexibilität und neue Spielräume<br />
für Eltern, damit der Beruf und Familie besser<br />
zu vereinbaren sind. Beide Eltern können in<br />
Zukunft gemeinsam Erziehungsurlaub nehmen,<br />
verbunden mit der Möglichkeit, bis zu 30 Stunden<br />
pro Woche zu arbeiten.<br />
Haben es ostgelernte Politikerinnen leichter, sich<br />
in der starren Männerwelt der Politik durchzusetzen?<br />
Was sind Ihre eigenen Erfahrungen?<br />
Jeder und jede in der Politik muß über eine große<br />
Portion Durchsetzungskraft verfügen. Als Ostdeutsche<br />
habe ich hier keine besonderen Vor- oder<br />
Nachteile.<br />
Inwieweit hat die „Quote“ innerhalb der SPD zu<br />
einem neuen Denken geführt?<br />
Die Quote hat sich in der SPD bewährt. Von 45 Mitgliedern<br />
im SPD-Bundesvorstand sind <strong>21</strong> Frauen,<br />
das sind über 46 Prozent, im CDU-Bundesvorstand<br />
beträgt der Frauenanteil lediglich 35 Prozent.<br />
In der SPD-Bundestagsfraktion sind 32,5 Prozent<br />
Frauen, in der CDU-Bundestagsfraktion nur 18,3<br />
Prozent. Ohne die Quote wären Frauen innerhalb<br />
der SPD nicht so stark präsent, wie sie es heute<br />
sind.<br />
4<br />
Ist die Quotenregelung noch einer der Zeit entsprechende<br />
Erscheinung?<br />
Ja, wir können auch heute noch nicht auf die Quote<br />
verzichten; Frauen sind trotz hervorragender<br />
Qualifikationen noch nicht in allen Bereichen ausreichend<br />
vertreten.<br />
In Frankreich, als bisher weltweit einzigem<br />
Land, wurde durch den sozialistischen Regierungschef<br />
Jospin ein wichtiges gleichstellungspolitisches<br />
Ziel durchgesetzt: Wahllisten müssen<br />
künftig je zur Hälfte von Frauen und Männern<br />
besetzt werden, wann kann man damit auch in<br />
Deutschland rechnen?<br />
Ein solches Gesetz ist in Deutschland derzeit nicht<br />
geplant.<br />
Wie nehmen Sie persönlich mentale Differenzen<br />
zwischen ostdeutschen und westdeutschen<br />
Frauen war? Wo liegen Unterschiede zwischen<br />
ostdeutschen und westdeutschen Frauen in<br />
Bezug auf Familie und Erwerbstätigkeit oder<br />
gibt es sie überhaupt noch?<br />
Für Frauen in Ostdeutschland spielt Erwerbsarbeit<br />
eine größere Rolle als für Frauen in Westdeutschland.<br />
Das zeigt sich auch bei der Frauenerwerbsquote,<br />
die in Ostdeutschland noch immer deutlich<br />
höher liegt als in Westdeutschland.<br />
Ostdeutsche Frauen wollen auch in höherem<br />
Umfang Vollzeiterwerb.<br />
Allerdings werden die Unterschiede zwischen Ost<br />
und West kleiner. Auch für die überwiegende Zahl<br />
der jungen Frauen in Westdeutschland gehört die<br />
Erwerbsarbeit inzwischen zur Lebensplanung.<br />
Bundesweit sind fast zwei Drittel der Mütter mit Kindern<br />
berufstätig, in Ostdeutschland vereinbaren<br />
über 73 Prozent und in Westdeutschland knapp 60<br />
Prozent der Frauen ihre Berufstätigkeit mit Kindern.
TITEL<br />
Interview mit Bundesministerin Dr. Christine Bergmann<br />
Wo liegen die Ziele der sozialdemokratisch<br />
geführten Bundesregierung in Bezug auf Chancengleichheit<br />
auf dem Arbeitsmarkt, vor allem<br />
auch in den neuen Ländern?<br />
Der Abbau der Arbeitslosigkeit von Mädchen und<br />
Frauen, insbesondere im Osten Deutschlands ist<br />
mir ein ganz wichtiges politisches Anliegen. Dazu<br />
gehört auch - als wesentliche Voraussetzung für<br />
Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt und in<br />
der Gesellschaft - eine bessere Vereinbarkeit von<br />
Familie und Beruf für Frauen und Männer.<br />
Und es geht darum, Frauen in den zukunftsträchtigen<br />
Berufen, vor allem IT-Bereich, bessere Chancen<br />
zu bieten.<br />
Wie sieht es mit der Chancengleichheit in der<br />
deutschen Privatwirtschaft aus? Können Sie als<br />
Bundesfrauenministerin etwas in dieser Richtung<br />
bewegen?<br />
In Sachen Chancengleichheit besteht dringender<br />
Handlungsbedarf. Die formale Gleichstellung von<br />
Frauen und Männern ist zwar erreicht, aber bis zu<br />
einer tatsächlichen Gleichstellung in allen Bereichen<br />
ist leider noch viel zu tun. Wir haben heute<br />
zum Beispiel nur 6 Prozent Frauen im Management<br />
von großen deutschen Unternehmen. Bei kleineren<br />
und mittleren Unternehmen sind bis zu 20 Prozent<br />
der Frauen in Führungspositionen.<br />
Deutschland hat hier auch im internationalen Vergleich<br />
durchaus Nachholbedarf.<br />
Derzeit gibt es einen konstruktiven Dialog mit<br />
den Tarifparteien über die Wege zu mehr Chancengleichheit<br />
in der Privatwirtschaft. Am Ende<br />
dieses Prozesses werden dann gesetzliche Regelungen<br />
stehen, die praktikabel und vernünftig<br />
sind und in der täglichen betrieblichen Praxis<br />
Bestand haben.<br />
5<br />
Haben Frauen älteren Jahrgangs überhaupt<br />
noch eine Chance auf dem Arbeitsmarkt?<br />
Generell haben es ältere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen<br />
auf dem Arbeitsmarkt schwerer. Das<br />
ist kein spezifisches Problem von Frauen.<br />
Wie bewerten Sie den Stand der Gleichstellungspolitik<br />
Deutschlands im Vergleich zu anderen<br />
europäischen Staaten?<br />
Bei der institutionellen und rechtlichen Ausgestaltung<br />
nimmt Deutschland in der Gleichstellungspolitik<br />
einen Spitzenplatz innerhalb Europas ein.<br />
Anders sieht es aus, wenn wir die Rahmenbedingungen<br />
zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf<br />
betrachten. Hier gibt es in Deutschland im europäischen<br />
Vergleich noch großen Nachholbedarf, vor<br />
allem im Bereich der Kinderbetreuung. Für alle<br />
europäischen Länder gilt, dass es zu wenige Frauen<br />
in Führungspositionen in Politik und Wirtschaft<br />
gibt, aber im Wirtschaftsbereich stehen wir vergleichsweise<br />
schlecht dar.<br />
Wo sehen Sie die Chancen und Vorteile des Gender<br />
Mainstreamings für Frauen?<br />
Gender-Mainstreaming, also die grundsätzliche<br />
Einbeziehung geschlechterspezifischer Belange in<br />
alle Politikfelder, ist ein hervorragender Ansatz,<br />
um die Interessen von Frauen wirklich durchzusetzen.<br />
Gleichstellungspolitik kann nur wirken, wenn<br />
sie als Querschnittsaufgabe verstanden wird.<br />
In der Arbeit der Bundesregierung ist der Gender-<br />
Mainstreaming-Ansatz durchgängiges Prinzip.<br />
Inwieweit wirkt sich die aktuelle Debatte um<br />
das Thema „Frauen an die Waffen“ auf die Diskussion<br />
um die Gleichstellung zwischen Männern<br />
und Frauen aus? Wie ist Ihre persönliche<br />
Meinung dazu?
TITEL<br />
Interview mit Bundesministerin Dr. Christine Bergmann<br />
Nach der Entscheidung des Europäischen<br />
Gerichtshofes auch Frauen den Zugang zur Bundeswehr<br />
zu öffnen, geht es darum diesen interessanten<br />
Arbeitsmarkt für Frauen auch wirklich zu<br />
erschließen. Es ist aber nicht der gleichstellungspolitische<br />
Durchbruch.<br />
Werden frauenpolitische Instrumente in ihrer<br />
Wirksamkeit angemessen überprüft?<br />
Ich halte es für sehr wichtig, dass alle gesetzlichen<br />
Regelungen auf ihre Wirksamkeit hin überprüft<br />
werden. Beim seit 1994 geltende Frauenfördergesetz<br />
des Bundes hat sich beispielsweise gezeigt,<br />
dass es keine wirkliche Verbesserung der Situation<br />
6<br />
gebracht hat. Deshalb erarbeiten wir derzeit ein<br />
neues Gleichstellungsgesetz, das die Repräsentanz<br />
von Frauen im öffentlichen Dienst verbessert und<br />
die Stellung der Frauenbeauftragten in den Behörden<br />
stärkt.<br />
Was würden Sie tun, wenn Sie für einen Tag<br />
Bundeskanzlerin in Deutschland wären?<br />
In einem Tag kann man gar nichts bewegen, dazu<br />
gehört schon eine Legislaturperiode.<br />
Ich bin Bundesfrauenministerin, und diese Aufgabe<br />
mache ich gern.<br />
www.bmfsfj.de/
FRAUENFÖRDERPOLITIK IN<br />
BRANDENBURG<br />
Frauen in Brandenburg<br />
Im Land Brandenburg lebten Ende des Jahres<br />
1997 etwa 2,5 Millionen Menschen, davon ca. 1,3<br />
Millionen Frauen. Das entspricht einem leicht<br />
erhöhten Frauenanteil in der Bevölkerung. Der<br />
Altersaufbau (Abb.1) zeigt, dass bis zum 50.<br />
Lebensjahr der Anteil der Männer auf Grund der<br />
erhöhten Lebendgeborenenrate von Jungen über<br />
dem der Frauen liegt. Der erhöhte Frauenanteil<br />
ab dem 50. Lebensjahr ist auf die allgemein höhere<br />
Lebenserwartung von Frauen, aber auch noch<br />
immer auf die Auswirkungen des zweiten Weltkrieges<br />
zurückzuführen.<br />
Frauen sind vor allem in den Dienstleistungsbereichen<br />
und im Handel beschäftigt. Ihr Anteil<br />
betrug 1997 in den Bereichen Handel, Gastgewerbe/<br />
Verkehr 51,2 % und für die sonstigen Dienst-<br />
THEMA<br />
von Susanne Melior,<br />
Frauenbeauftragte der Landeshauptstadt Potsdam<br />
7
leistungen 61,9 %. Der Anteil der selbständigen<br />
Frauen bzw. mithelfenden Familienangehörigen<br />
erhöhte sich von 4,9 % im Jahr 1993 auf 5,5 % im<br />
Jahr 1997 (Quelle: Statistisches Jahrbuch des<br />
Landes Brandenburg 1998).<br />
In Brandenburg ist der Wunsch nach Vollzeitarbeit<br />
deutlich höher als in den alten Bundesländern.<br />
Teilzeitarbeit wird in der Regel von Frauen<br />
angenommen und oft als vollzeitnahe Teilzeit<br />
praktiziert. Die beschränkten Möglichkeiten des<br />
Arbeitsmarktes, besondere Arbeitsförderungsbedingungen<br />
und vor allem familiäre Situationen<br />
sind oft die Ursachen.<br />
Bildung und Ausbildung<br />
Junge Frauen versuchen ihre Berufschancen und<br />
damit ihre Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt<br />
durch höhere Bildungsabschlüsse zu verbessern.<br />
In der Regel erzielen sie auch die besseren Noten<br />
als ihre männlichen Mitbewerber. Bei den Schulentlassenen<br />
1996/ 1997 zeigt sich folgendes Bild:<br />
36 % der Mädchen erlangten die Hochschulreife<br />
und nur 24 % der Jungen, Fachoberschulreife<br />
FRAUENFÖRDERPOLITIK<br />
Susanne Melior<br />
Erwerbstätigkeit von Frauen im Land Brandenburg in 1000<br />
insgesamt Frauen Männer Frauenanteil<br />
1991 1274,2 589 685,2 46,2<br />
1992 1132,2 504,7 627,5 44,6<br />
1993 1084,3 478,8 605,6 44,2<br />
1994 1107,7 492,8 614,9 44,5<br />
1995 1117,2 496,4 620,8 44,4<br />
1996 1107,1 497,8 609,2 45<br />
1997 1115,3 495 620,2 44,3<br />
Quelle: Jahrbücher des Statistischen Landesamtes Brandenburg 1991 bis 1997<br />
8<br />
konnten 47 % der Mädchen erreichen, dem stehen<br />
42 % der Jungen gegenüber; die Zahl der Jungen<br />
ohne Berufsausbildung ist um mehr als das<br />
Doppelte höher als die der Mädchen.<br />
Dennoch stellt sich der Stellenmarkt für Ausbildungsplätze<br />
für junge Frauen schwierig dar. Die<br />
frauenspezifischen Industriezweige sind auf Grund<br />
ihrer oft geringen Produktivität als erste Opfer des<br />
wirtschaftlichen Umbruchs geworden. Hinzu<br />
kommt, daß Unternehmen oft männliche Bewerber<br />
trotz großzügiger Förderung für weibliche<br />
Auszubildende bei Einstellungen bevorzugen. Darüber<br />
hinaus muß festgestellt werden, daß junge<br />
Frauen sich vorwiegend für klassische Ausbildungsberufe<br />
wie Hotelfachfrau, Friseurin, Verkäuferin,<br />
Restaurantfachfrau, Köchin, Kauffrau, Arzthelferin<br />
usw. entscheiden. Den einmal gewählten<br />
Ausbildungsvertrag lösen sie jedoch seltener als<br />
ihre männlichen Kollegen vorfristig auf.<br />
Fort- und Weiterbildung stehen Frauen sicher<br />
auch auf Grund ihrer schwierigen Erwerbssituation<br />
aufgeschlossener gegenüber als Männer. Sie<br />
entscheiden sich lieber für eine Fortbildung als in<br />
die Arbeitslosigkeit zu gehen. Sie nutzen auch ihre
Freizeit für lebenslanges Lernen und werden so<br />
den gewachsenen gesellschaftlichen Anforderungen<br />
gerecht.<br />
Familiäre Situation<br />
Ein weitere wichtiger Indikator für die Lebenswirklichkeit<br />
von Frauen ist ihre familiäre Situation<br />
sowohl die Anzahl der Eheschließungen als auch<br />
die der Scheidungen ist nach 1989 deutlich<br />
zurückgegangen. Laut statistischem Jahrbuch des<br />
Landes Brandenburg sind zahlenmäßig 1997 erst<br />
37 % der Eheschließungen des Jahres 1989<br />
erreicht. Die Anzahl der Ehescheidungen ging<br />
1991/ 1992 besonders drastisch zurück. Das geht<br />
sicher auf die neue Rechtssituation wie z.B. dem<br />
bundesdeutschem Recht zu erfolgendem Trennungsjahr<br />
zurück. In den letzten Jahren ist die<br />
Zahl wieder steigend, und es sind überwiegend<br />
Frauen, die die Scheidung einreichen. So waren<br />
es 1997 71 % Frauen, die sich von ihrem Partner<br />
trennen wollten. Die Zahl der von Scheidung<br />
betroffenen minderjährigen Kinder stieg von 1992<br />
bis 1997 um mehr als das Doppelte an.<br />
Noch immer lebt die Mehrheit der Frauen in<br />
FRAUENFÖRDERPOLITIK<br />
Susanne Melior<br />
9<br />
Brandenburg verheiratet, aber die Anzahl der<br />
alleinlebenden Frauen und besonders die der<br />
alleinerziehenden Frauen steigt in den letzten Jahren<br />
leicht aber stetig.<br />
Die Geburtenrate ist den Jahren nach 1989 deutlich<br />
eingebrochen. Auch wenn sie in den Folgejahren<br />
wieder leicht anstieg, konnten 1995 erst<br />
wieder die Hälfte der 1989 geborenen Kinder<br />
erreicht werden. Der vorherrschende Wunsch der<br />
brandenburgischen Frauen ist nach wie vor die<br />
Zwei-Kind-Familie.<br />
Rechtliche Situation der Frauen<br />
in Brandenburg<br />
Bereits der römische Schriftsteller und Politiker<br />
Cato der Ältere warnte vor der rechtlichen Gleichstellung<br />
der Frauen: „Sobald die Frauen uns<br />
gleichgestellt sind, sind sie uns überlegen.“ Die<br />
Angst des alten Römers wurde zum Motto einer<br />
Bundesfrauenkonferenz der Arbeitsgemeinschaft<br />
sozialdemokratischer Frauen 1996 in Rostock,<br />
denn sie hält bis heute an. Wie sonst ist es zu müssen,<br />
um erwerbstätig zu sein, daß im Deutschen<br />
Bundestag von 669 Abgeordnete nur 207 Frauen<br />
Alleinlebende und Alleinerziehende Frauen im Land Brandenburg<br />
alleinlebende Frauen Alleinerziehend<br />
absolut Anteil an allen Entwicklung absolut Anteil an allen Entwicklung<br />
Familienformen Familienformen<br />
1991 178 100 17,9 100 92 600 9,3 100<br />
1993 185 700 18,5 104,3 102 500 10,2 110,7<br />
1995 180 500 18 101,3 105 800 10,6 114,3<br />
1997 182 700 18 102,5 109 200 10,8 117,7<br />
Quelle: Statistische Jahrbücher des Landes Brandenburg 1992 bis 1998
sind und damit nicht einmal 1/3 aller Abgeordneten<br />
und an brandenburgischen Hochschulen<br />
1998 nur 13,5 % aller Professuren in Frauenhand<br />
waren?<br />
Die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter ist<br />
in den letzten 100 Jahren deutlich vorangenommen,<br />
aber die tatsächliche Gleichstellung von<br />
Frau und Mann hinkt dem Recht deutlich hinterher.<br />
Die Politik ist gefordert, Rahmenbedingungen<br />
zu schaffen, die den Frauen wirklichen gleichberechtigten<br />
Zugang zu allen Bereichen der Gesellschaft<br />
gewähren.<br />
Bereits 1949 haben beide deutschen Staaten im<br />
Grundgesetz bzw. in der Verfassung der DDR die<br />
Fundamente für die rechtliche Gleichstellung von<br />
Frau und Mann gelegt. Im Osten Deutschlands<br />
folgten darauf entsprechende Geseztgebungen wie<br />
das „Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz<br />
und die Rechte der Frau“ und die dann im Jahr<br />
1968 verfassungsrechtlich fixierten Rechte der<br />
Frau. Im Westen Deutschlands ging es nur in kleinen<br />
Schritten voran. Immer wieder mußte das<br />
Bundesverfassungsgericht einschreiten und nach<br />
Klageverfahren Korrekturen anmahnen. Aber<br />
auch die rechtliche Besserstellung der Frauen in<br />
der früheren DDR führte nicht zu tatsächlicher<br />
Gleichberechtigung. Die Haus- und Familienarbeit<br />
war noch immer Sache der Frauen und führte oft<br />
zur Doppel- und Dreifachbelastung (Quelle: Dr.<br />
Sabine Berghahn 1993 und Berghahn/ Fritsche<br />
1991).<br />
Das im Jahr 1990 vor allem von Frauen in Ost und<br />
West gemeinsam erhoffte neue Grundgesetz blieb<br />
aus. Der Osten Deutschlands trat der Bundesrepublik<br />
bei. Im Zuge der Überarbeitung des<br />
Grundgesetzes konnte im Sinne der Gleichstellung<br />
von Frau und Mann lediglich der Artikel 3 Absatz<br />
2 erweitert werden: „Männer und Frauen sind<br />
FRAUENFÖRDERPOLITIK<br />
Susanne Melior<br />
10<br />
gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche<br />
Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen<br />
und Männern und wirkt auf die Beseitigung der<br />
bestehenden Nachteile hin“.<br />
Die Verfassung des Landes Brandenburg geht<br />
noch einen Schritt weiter: In Artikel 12 Absatz 3<br />
heißt es: „Frauen und Männer sind gleichberechtigt.<br />
Das Land ist verpflichtet, für die Gleichstellung<br />
von Frau und Mann in Beruf, öffentlichem<br />
Leben, Bildung und Ausbildung, Familie sowie im<br />
Bereich der sozialen Sicherung durch wirksame<br />
Maßnahmen zu sorgen“. Diesem Anspruch soll<br />
u.a. das 1994 vom brandenburgischen Landtag<br />
verabschiedete Landesgleichstellungsgesetz gerecht<br />
werden.<br />
Frauenförderung<br />
Es gilt für alle öffentlichen Verwaltungen und ist in<br />
den §§ 14 und 15 darüber hinaus an die Privatwirtschaft<br />
gerichtet. Im privatwirtschaftlichen<br />
Bereich soll durch öffentliche Auftragsvergabe<br />
und staatliche Leistungsgewährung Frauenförderung<br />
erreicht werden. Für den öffentlichen<br />
Bereich gelten weitreichende Regelungen, die von<br />
Stellenbesetzung über Arbeitszeitmöglichkeiten<br />
bis zur Berichtspflicht reichen. In jeder Dienststelle<br />
mit mehr als 20 Beschäftigten ist eine<br />
Gleichstellungsbeauftragte zu wählen bzw. auf den<br />
kommunalen Ebenen zu bestellen. Wichtigstes<br />
Instrument der Gleichstellungsbeauftragten sind<br />
die im Benehmen mit den jeweiligen Personalabteilungen<br />
zu erstellenden Gleichstellungspläne.<br />
Bei sehr hoher Unterpräsenz von Frauen können<br />
darüber hinaus Frauenförderpläne erstellt werden.<br />
Der zweite Landesgleichstellungsbericht für die<br />
Jahre 1996 bis 1998 zeigt, dass der Frauenanteil<br />
in der brandenburgischen Landesverwaltung mit
53,3 % (1995) sehr hoch ist, diese fast Parität<br />
jedoch nicht auf allen Ebenen zutrifft. Während<br />
Frauen in den unteren Laufbahngruppen sehr<br />
stark vertreten sind, nimmt ihre Zahl in den höheren<br />
Laufbahnen deutlich ab. Dieses Bild zeigt sich<br />
auch auf den kommunalen Ebenen. Das wichtigste<br />
Ziel der Gleichstellungspläne für öffentliche<br />
Verwaltungen besteht somit darin, die Repräsentanz<br />
von Frauen in den besser bezahlten und mit<br />
mehr Einflußmöglichkeiten ausgestatteten Dienstebenen<br />
zu erhöhen.<br />
In den Kreisen, kreisfreien Städten und Gemeinden<br />
werden auf der Grundlage der Kommunalverfassung<br />
§§ 20 bis 24 kommunale Gleichstellungsbeauftragte<br />
bestellt. Sie werden vom Oberbürgermeister<br />
bzw. Bürgermeister/ Bürgermeisterin<br />
berufen und in der Regel durch die kommunalen<br />
Vertretungen gewählt. Ihre Aufgaben und Kompetenzen<br />
sind über die Hauptsatzungen und über<br />
Dienstverordnungen geregelt. Sie sind direkt<br />
beim Bürgermeister/ bei der Bürgermeisterin<br />
angesiedelt. Den kommunalen Gleichstellungsbeauftragten<br />
obliegt nicht nur die Vertretung in allen<br />
gleichstellungsrelevanten Fragen innerhalb der<br />
Verwaltung, sondern auch die Wirkung in die<br />
jeweilige kommunale Ebene hinein. Mit Projekten,<br />
öffentlichen Veranstaltungen, Workshops<br />
oder über die Medien wirken sie auf die Gleichstellung<br />
von Mann und Frau hin.<br />
An den brandenburgischen Hochschulen sind die<br />
Gleichstellungsbeauftragten nach dem brandenburgischen<br />
Hochschulgesetz zu bestellen. Die<br />
1999 in Kraft getretene Novelle stärkt ihre Rolle<br />
und wirkt noch gezielter auf Maßnahmen zur<br />
Gewährleistung der Chancengleichheit von Frauen.<br />
Von besonderer Bedeutung für den wissenschaftlichen<br />
Bereich sind die Besetzungen entsprechender<br />
Gremien, so sind z.B. in den Berufs-<br />
FRAUENFÖRDERPOLITIK<br />
Susanne Melior<br />
11<br />
kommissionen 40 % Frauen, darunter mindestens<br />
eine Professorin, vorgeschrieben. Nur so kann es<br />
gelingen, die überdurchschnittlich gut ausgebildeten<br />
Frauen auch in den wissenschaftlichen<br />
Laufbahnen entsprechend zu berücksichtigen.<br />
Der Einstellungskorridor für C3 und C4 Professorinnen<br />
seitens der Bundesregierung tut ein Übriges.<br />
Frauenförderung ist darüber hinaus ein wichtiges<br />
Gremium für die hochschulinterne Mittelvergabe.<br />
Die Universität Potsdam ist hier beispielgebend<br />
aktiv geworden.<br />
Die Ausbildungsplatzsituation in der Landesverwaltung<br />
zeigt einen ähnlichen Trend wie für die<br />
den öffentlichen Bereich insgesamt. An den Ausbildungsplätzen<br />
für den höheren Dienst und im<br />
Facharbeiterbereich sind Mädchen unter 50 %<br />
beteiligt, in allen anderen Ebenen deutlich darüber.<br />
Für die kommunalen Verwaltungen läßt sich<br />
das Ergebnis nicht nachvollziehen, da diese für<br />
den höheren und gehobenen Dienst keine Ausbildungsplätze<br />
anbieten.<br />
Angesichts knapper werdender Haushaltsmittel<br />
wird das Land Brandenburg in Zukunft noch<br />
weniger die Ausbildungsplatzsituation im Bereich<br />
der Privatwirtschaft stimulieren können. Dennoch<br />
ist eine Förderung von Mädchen gerade in den<br />
technischen und ingenieurtechnischen Berufen<br />
um so mehr erforderlich. Das gilt besonders für<br />
die neuen Kommunikationstechnologien oder<br />
Wachstumsbranchen wie die Biotechnologien.<br />
Unsere Gesellschaft sollte es sich insgesamt nicht<br />
leisten, auf das hohe Potential gut ausgebildeter<br />
Frauen zu verzichten. Das ist ökonomisch aber<br />
auch aus Gründen der Geschlechtergerechtigkeit<br />
dringend geboten.<br />
Gender Mainstreaming<br />
Gender Mainstreaming heißt das neue Schlagwort
der Europäischen Union. In die deutsche Sprache<br />
läßt es sich nur schwer übersetzten. Es bedeutet<br />
soviel, wie die Einbeziehung der Dimension der<br />
Chancengleichheit von Frauen und Männern in<br />
sämtliche Politikbereiche (Glossar der Gleichstellung<br />
zwischen Frauen und Männern der EU-Kommission<br />
1998). Der Amsterdamer Vertrag nennt<br />
die Gleichstellung von Frauen und Männern als<br />
eines seiner Ziele, und so ist die Europäische Union<br />
in der Pflicht, bei allen Maßnahmen darauf hin<br />
zu wirken. Sämtliche allgemeinen politischen<br />
Konzepte und Maßnahmen sollen am Prinzip der<br />
Gleichstellung der Geschlechter ausgerichtet sein.<br />
Das gilt für Planungsphasen, aber auch für<br />
Durchsetzung, Begleitung und Bewertung von<br />
Maßnahmen. Realisiert wird dieser Anspruch im<br />
FRAUENFÖRDERPOLITIK<br />
Susanne Melior<br />
12<br />
Wesentlichen über die Fördermodalitäten mit<br />
denen die Mitgliedstaaten gezwungen werden, die<br />
jeweilige Situation und die Bedürfnisse von Männern<br />
und Frauen systematisch zu betrachten. Diese<br />
Vorgaben lassen hoffen, daß der Geschlechtergerechtigkeit<br />
weiter zum Durchbruch verholfen<br />
werden kann.<br />
Susanne Melior war bis Januar 2000 Landesvorsitzende<br />
der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer<br />
Frauen in der SPD und ist Mitglied<br />
im SPD-Landesvorstand.<br />
www.spdbrandenburg.de/ag/asf.html<br />
www.potsdam.de
Im Land Brandenburg leben etwa 17500 Migrantinnen[1],<br />
also etwa 0,7 % der Landesbevölkerung<br />
(s. Tabelle). Männer mit ausländischem<br />
Pass gibt es in einer größeren Zahl im Land<br />
(34600[1]), etwa 1,4 % der Bevölkerung. Den<br />
größten Teil der ausländischen Frauen in Brandenburg<br />
bilden die Frauen zwischen 18 und 40<br />
Jahren (10334[1]).<br />
Der Unterschied in der Anzahl der weiblichen und<br />
männlichen Ausländer ist kein Zufall. Die Entscheidung,<br />
aus der Heimat wegzugehen, Haus und<br />
Hof, Verwandte zu hinterlassen, fällt niemandem<br />
leicht. Frauen sind in der Regel jedoch begrenzt<br />
in ihrer Mobilität. Dies ist verursacht einerseits<br />
durch die traditionelle Rolle der Frau, indem sie<br />
die Familie vor Ort zusammenhält und sich um<br />
die Kinder kümmert bzw. als Unverheiratete an<br />
THEMA<br />
MIGRANTINNEN<br />
IM LAND BRANDENBURG<br />
von Magdolna Grasnick,<br />
Ausländerbeauftragte der Landeshauptstadt Potsdam<br />
13<br />
die „Altfamilie„ gebunden ist, andererseits auch<br />
durch die objektive Unmöglichkeit, mit Kindern<br />
eine Reise nach Deutschland zu organisieren und<br />
zu finanzieren.<br />
Das Wort Migrantin ist ein Sammelbegriff für die<br />
Gesamtheit der Frauen anderer Herkunft. Als Ausländerin<br />
nach Deutschland zu kommen und hier<br />
bleiben zu wollen bzw. zu dürfen, hat verschiedene<br />
Gründe. Demnach gibt es verschiedene Gruppen<br />
von Ausländerinnen, die in Brandenburg<br />
leben. Diese Gruppen sind:<br />
- Ehefrauen von Deutschen<br />
- Mütter (mit Sorgerecht) von deutschen Kindern<br />
- Flüchtlingsfrauen (Asylbewerber, Geduldete,<br />
Bürgerkriegsflüchtlinge, Asylberechtigte)<br />
- Jüdische Einwanderer aus Ost-Europa<br />
- Aussiedlerinnen
MIGRANTINNEN IM LAND BRANDENBURG<br />
Magdolna Grasnick<br />
Tabelle: Ausländische Frauen im Land Brandenburg<br />
Quelle: Ausländerzentralregister, Stichtag 31.12.1999<br />
Landkreis Zahl Feste Aufenthaltstitel EU-Angehörigkeit<br />
(außer EU)<br />
Prignitz 313 117 14<br />
Spree-Neiße 679 370 23<br />
Teltow-Fläming 822 460 103<br />
Uckermark 336 147 22<br />
Oberspreewald-Lausitz 518 289 <strong>21</strong><br />
Oder-Spree 853 442 31<br />
Ostprignitz-Ruppin 494 <strong>21</strong>5 15<br />
Potsdam-Mittelmark 1429 646 178<br />
Elbe-Elster 452 236 19<br />
Havelland 811 528 55<br />
Märkisch-Oderland 796 457 26<br />
Oberhavel 930 576 90<br />
Barnim 956 633 34<br />
Dahme-Spreewald 827 504 86<br />
Brandenburg 658 378 12<br />
Frankfurt/Oder 1445 472 32<br />
Cottbus 1036 593 47<br />
Potsdam 1601 973 151<br />
- Ehemalige Vertragsarbeiterinnen der DDR<br />
- Frauen aus der Europäischen Union<br />
- Frauen als Opfer von Menschenhandel<br />
- Studentinnen.<br />
Im Folgenden möchte ich Ihnen einen Überblick<br />
über die Lage der im Land lebenden Migrantinnen<br />
bieten aus dem Blickfeld einer Praktikerin, ohne<br />
Anspruch auf Vollständigkeit. Ich werde nicht alle<br />
der eben genannten Gruppen der Migrantinnen<br />
ausführlich behandeln.<br />
14<br />
1. Ehefrauen von Deutschen<br />
Immer mehr Männer heiraten eine Ausländerin.<br />
1997 waren es bundesweit ca. 30.000 deutsche<br />
Männer, die sich eine ausländische Frau als Partnerin<br />
gewählt haben. Auf der Bundesebene ist<br />
heute jede sechste Eheschließung eine binationale<br />
[2].<br />
Im Land Brandenburg sind 1998 von insgesamt<br />
9241 Ehen 825 binationale Eheschließungen eingegangen<br />
worden, wobei 380 deutsche Männer<br />
und 445 deutsche Frauen eine/n Ausländer/in<br />
heirateten [3].
MIGRANTINNEN IM LAND BRANDENBURG<br />
Magdolna Grasnick<br />
Die Familie ist durch das Grundgesetz (Art. 6)<br />
geschützt. Demnach sind auch binationale Ehen<br />
schützenswert, was sich im § 23 AuslG widerspiegelt.<br />
Ausländische Frauen erhalten nach der Eheschließung<br />
eine für in der Regel drei Jahre befristete<br />
Aufenthaltserlaubnis, welche danach – in<br />
der Regel – unbefristet verlängert wird. Nach fünf<br />
Jahren kann eine Frau dann eine Aufenthaltsberechtigung<br />
erhalten, die als höchster Aufenthaltsstatus<br />
einer/s Ausländerin/s in Deutschland anzusehen<br />
ist.<br />
1.1. Eheschließungsgesetz soll „Scheinehen“<br />
einschränken<br />
Seit dem 01.07.1998 ist das neue Eheschließungsgesetz<br />
in Kraft. Demnach dürfen StandesbeamtInnen<br />
eine Eheschließung verweigern,<br />
wenn es offenkundig ist, dass die zukünftige Ehe<br />
nicht geführt werden soll. Wenn die StandesbeamtIn<br />
also eine „Scheinehe„ vermutet, wird die Ehe<br />
nicht geschlossen. Das Paar kann dann durch das<br />
Amtsgericht das Standesamt verpflichten lassen,<br />
die Ehe zu schließen.<br />
Nachträglich ist eine bereits erfolgte Eheschließung<br />
aufhebbar, wenn festgestellt wird, dass<br />
die Ehe von Anfang an nicht geführt werden sollte.<br />
In diesem Fall kann die Behörde die Ehe aufheben,<br />
ohne die Folgen der Scheidung (z.B. Unterhalt)<br />
regeln zu müssen. Somit kann eine ausländische<br />
Frau noch mehr in Abhängigkeit vom Ehemann<br />
geraten. Der Mann kann mit einer<br />
Erklärung, es ginge um eine Scheinehe, die Ehe<br />
aufheben lassen, ohne irgendwelche finanziellen<br />
Folgen für ihn.<br />
1.2. Eigenständiges Aufenthaltsrecht von<br />
ausländischen Ehefrauen<br />
Durch die Eheschließung mit einem Deutschen<br />
15<br />
und den Umzug nach Deutschland ist für eine<br />
Frau oft keine Rückkehr mehr in das Herkunftsland<br />
möglich. Sich wieder in die sozialen Strukturen<br />
des Heimatlandes einzufügen geht sehr<br />
schwer. Frauen sind deshalb noch mehr als Männer<br />
an einem stabilen Aufenthalt im Bundesgebiet<br />
interessiert.<br />
Am 01.06.2000 trat eine wichtige Änderung des §<br />
19 AuslG in Kraft (BGBl. I v. 31.05.2000, S. 742).<br />
Demnach wurde die generelle Grenze für die<br />
Erlangung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts<br />
des ausländischen Ehepartners von vier Jahren auf<br />
zwei Jahre gesenkt, in denen die eheliche Lebensgemeinschaft<br />
in Deutschland geführt wurde. Es<br />
wird durch die Änderung des § 19 AuslG auch<br />
klargestellt, dass ein eigenständiges Aufenthaltsrecht<br />
bereits dann zu erteilen ist, wenn der Ehegatte<br />
durch die Rückkehr in das Herkunftsland<br />
ungleich härter getroffen würde als andere Ausländer,<br />
die nach kurzen Aufenthaltszeiten Deutschland<br />
verlassen müssen (=besondere Härte).<br />
Diese Regelung hat eine große Bedeutung für die<br />
Sicherheit der Frauen, deren Ehe sich in Deutschland<br />
in eine negative Richtung entwickelt. Unsere<br />
Frauenhäuser sammeln des öfteren Erfahrungen<br />
mit geprügelten ausländischen Ehefrauen von<br />
Deutschen. Es gibt Fälle, wo durch die Heirat mit<br />
einer Ausländerin die „klassische Frau„ erwartet<br />
wurde, die fleißig und nett ist, die den Mann<br />
bedient, die keinen Widerstand leistet.<br />
Vier Jahre ist eine lange Zeit, wenn eine Ehe nicht<br />
klappt. Der Weggang aus der Heimat, mit einem<br />
deutschen Ehemann ist für eine Frau keine einfache<br />
Angelegenheit; die Rückkehr als geschiedene<br />
Frau ist jedoch noch schwerer.
MIGRANTINNEN IM LAND BRANDENBURG<br />
Magdolna Grasnick<br />
Durch die Änderung des § 19 AuslG können sich<br />
nun ausländische Frauen im Falle einer schlechten<br />
Ehe wehren. Die Frau soll sich nicht vier Jahre<br />
prügeln lassen und die Ehe aushalten, wenn sie<br />
Angst vor der Unmöglichkeit der Rückkehr in die<br />
Heimat nach einer Scheidung hat, sondern sie<br />
kann die Scheidung einreichen und sich - ähnlich<br />
wie deutsche Ehefrauen - durchsetzen.<br />
1.3. Arbeitsaufnahme<br />
Die Aufenthaltserlaubnis bringt Rechte auf dem<br />
Arbeitsmarkt mit sich. Die Frau ist zugelassen<br />
zum Arbeitsmarkt, unabhängig von dessen Lage.<br />
Das bedeutet, dass die Arbeitgeber diese Frauen<br />
gleichberechtigt zu deutschen Arbeitnehmern einstellen<br />
dürfen, ohne dass das Arbeitsamt eine<br />
gesonderte Arbeitserlaubnis erteilen muss.<br />
Zur Ausübung einer qualitativen Arbeit gehört in<br />
der Regel die Kenntnis der deutschen Sprache.<br />
Die binationalen Familien müssen selber schauen,<br />
woher sie die finanziellen Mittel für den<br />
Besuch einer Sprachschule nehmen. Eine staatliche<br />
Förderung gibt es für das Erlernen der deutschen<br />
Sprache nicht für diesen Personenkreis,<br />
auch wenn z.B. im Berufsbereich der Ausländerin<br />
die Vermittlung einer Arbeit durch das Arbeitsamt<br />
sonst, d.h. mit Sprachkenntnis, möglich wäre.<br />
Das Arbeitsleben einer ausländischen Ehefrau –<br />
nicht nur in Brandenburg - fängt demnach oft mit<br />
Ausübung einer unqualifizierten Tätigkeit an,<br />
obwohl diese Frauen mit guter Sprachkenntnis<br />
andere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben<br />
könnten. Eine ausländische technische Zeichnerin,<br />
eine Psychologin und eine Apothekerin sind<br />
z.B. in der Putzkolonne einer Potsdamer Firma<br />
tätig.<br />
16<br />
1.4. Selbsthilfe<br />
In der Wendezeit, am Anfang der 90-er Jahre, lebten<br />
in Brandenburg ausländische Ehefrauen Deutscher<br />
hauptsächlich aus der UdSSR, Polen und<br />
Ungarn. Dieses war durch die „Bewegungsfreiheit„<br />
in der DDR bedingt. Viele Ehefrauen sind<br />
mit den damaligen Auslandsstudenten in die DDR<br />
gekommen.<br />
Seit der Wende hat sich die Struktur der Herkunftsländer<br />
der ausländischen Ehefrauen Deutscher<br />
geändert. Die Standesämter haben sich an<br />
die Eheschließung mit Ausländerinnen aus aller<br />
Welt gewöhnt. 1999 heirateten z.B. 17 Brandenburger<br />
eine Frau aus Amerika, 84 Männer holten<br />
ihre Gattin aus Asien und 7 aus Afrika[3].<br />
Das Zusammenleben für die Paare aus unterschiedlichen<br />
Kulturen kann interessant sein, aber<br />
es gibt sicher Situationen, wo Konflikte vorprogrammiert<br />
sind. Es gibt Vereine und Selbsthilfegruppen<br />
im Land Brandenburg, wo sich Ausländerinnen<br />
und Ausländer oder binationale Familien<br />
treffen, um über ihre spezifischen Probleme zu<br />
sprechen und wenn notwendig, Lösungen zu finden.<br />
In Potsdam treffen sich z.B. schwarz-weiße<br />
Familien im Rahmen des Vereinslebens des Cabana<br />
e.V., wo sie zusammen Feste feiern, sich gegenseitig<br />
stärken und für die Kinder ein Identitätsfeld<br />
bieten. In Potsdam gibt es jeden Monat auch ein<br />
Treff der in der Stadt lebenden Ungarinnen und<br />
Ungarn. Neben der Pflege der Muttersprache<br />
funktioniert diese Gruppe wie eine Großfamilie,<br />
wo Probleme beraten und gelöst werden können.<br />
1.5. Möglichkeit der Führung einer Lebensgemeinschaft<br />
ohne Eheschließung<br />
In der Regel kann eine Ausländerin aus einem
Nicht-EU-Staat kein Bleiberecht für die Führung<br />
einer Lebensgemeinschaft „ohne Papiere„ mit<br />
einem Deutschen in Deutschland erhalten.<br />
Insbesondere der Änderung des Kindschaftsrechtes<br />
1998 ist zu danken, dass nunmehr eine Frau,<br />
wenn sie das Kind eines Deutschen zur Welt<br />
bringt, dieses in Deutschland groß ziehen kann<br />
(§ 23 AuslG). Das Wohl des Kindes spielt die<br />
Hauptrolle bei dieser Regelung, wonach das<br />
Gesetz die Anwesenheit der Mutter und des Vaters<br />
einem Kind „zuspricht„, unabhängig davon, ob<br />
diese heiraten möchten oder nicht.<br />
2. Flüchtlingsfrauen<br />
MIGRANTINNEN IM LAND BRANDENBURG<br />
Magdolna Grasnick<br />
2.1. Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien<br />
und Kosovo<br />
Ein Fallbeispiel aus meinem Alltag: ich überquere<br />
den Hof in einem Asylbewerberheim in Potsdam,<br />
da kommt mir Frau P. entgegen. Wir begrüßen<br />
uns. Frau P. lädt mich zu sich „nach Hause„ ein zu<br />
einem Plausch. Wir betreten das aufgeräumte<br />
Zimmer vom etwa 15 m2, fast gegenüber der<br />
Gemeinschaftsküche auf dem Flur. Am Tisch sitzt<br />
Herr P. (von allen Opa P. genannt), er faltet gerade<br />
aus losem Tabak Zigaretten. Es strömt mir<br />
Herzlichkeit entgegen, während wir uns unterhalten.<br />
In einfachen deutschen Sätzen, gemischt mit<br />
bosnischen Wörtern, erzählen Oma und Opa P.<br />
über das Leben vor 7 Jahren in der Stadt Zvornik<br />
(im heutigen serbischen Teil von Bosnien-Herzegowina),<br />
über ihre Flucht und über das Leben<br />
heute „zu Hause„ in Bosnien und „zu Hause„ in<br />
Potsdam. Eine Rückkehr nach Zvornik ist für die<br />
beiden Alten nicht mehr möglich. Das in 45<br />
Arbeitsjahren gebaute Familienhaus bleibt nur<br />
noch in ihren Träumen betretbar…<br />
17<br />
Frau P. ist eine der noch in Brandenburg lebenden<br />
bosnischen Bürgerkriegsflüchtlinge. Der<br />
Großteil dieser Menschen kehrte in den letzten<br />
zwei Jahren zurück nach Bosnien, oft haben sie<br />
ein neues Zuhause in Kroatien gefunden. Die USA<br />
haben auch zahlreiche bosnische Familien, auch<br />
Romas, aufgenommen.<br />
Frau P. hat, wie viele bosnische Frauen, in ihrem<br />
Leben schon vieles erlebt. Heute kümmert sie sich<br />
darum, dass ihr Leben und das ihres Mannes in<br />
Potsdam so ruhig und so ordentlich wie möglich<br />
„läuft„. Die Fluchterlebnisse sitzen tief in der<br />
Erinnerung der beiden.<br />
Frau P. erledigt alles, was zu erledigen ist. Sie geht<br />
zur Ausländerbehörde, wenn der Aufenthalt der<br />
Familie abgelaufen ist, sie sucht das Sozialamt auf,<br />
um die Leistungsberechtigung zu regeln, sie geht<br />
einkaufen (mit ihrer Einkaufstasche auf Rädern),<br />
sie kocht und bäckt. Vor einigen Jahren hat sie<br />
noch in der Waschküche des Heimes gemeinnützig<br />
gearbeitet. Heute erhält sie wegen ihren Alter<br />
leider keinen Platz mehr für diese Arbeit, die sie<br />
aber gern machen würde.<br />
Den Großteil der bosnischen Bürgerkriegsflüchtlinge<br />
haben die Bundesländer großzügig, ohne<br />
die Inanspruchnahme der möglichen rechtlichen<br />
Grundlage des §32a AuslG aufgenommen. Den<br />
hier angekommenen Flüchtlingen wurde eine<br />
Duldung erteilt und sie haben eine Leistung nach<br />
dem AsylbLG erhalten.<br />
Nach dem Ausbruch der Konflikte 1999 in Kosovo<br />
hat Deutschland dann die quotierte Aufnahme der<br />
Kosovo-Albaner nach § 32 a AuslG zugesagt.<br />
Demnach erhielten diese Menschen nach der<br />
Ankunft eine Aufenthaltsbefugnis. Die Kosten teil-
MIGRANTINNEN IM LAND BRANDENBURG<br />
Magdolna Grasnick<br />
ten sich Bund und Länder. Heute sind diese<br />
Flüchtlinge wieder in ihrer Heimat. Die nicht<br />
bereit waren, freiwillig nach Kosovo zurückzukehren,<br />
werden abgeschoben. Ich hoffe, sie kommen<br />
gut in Kosovo an…<br />
2.2. Asylbewerberinnen<br />
1993 wurde der Asylkompromiss beschlossen. Es<br />
wurde das Grundgesetz geändert, es wurden<br />
sichere Herkunftsländer und sichere Drittstaaten<br />
festgelegt. Die Ostgrenze der BRD, insbesondere<br />
zu Polen, wurde zu einer unsichtbaren Wand<br />
einer Festung, mit einem tiefen Wassergraben<br />
umgrenzt.<br />
Heute kann auf die Prüfung des Asylantrages<br />
hauptsächlich der Flüchtling hoffen, der legal mit<br />
einem Flugzeug direkt nach Deutschland einreist<br />
und einen Asylantrag stellt.<br />
Die Flucht aus der Heimat hat verschiedene Gründe.<br />
Es gibt Frauen, die in ihrer Heimat aktiv politisch<br />
tätig waren - wie eine mir bekannte Sudanesin,<br />
Frauenrechtlerin – und deshalb müssen sie<br />
vor der staatlichen Verfolgung flüchten. Es gibt<br />
Frauen, die eine drastische Ungleichstellung<br />
durch die von Männern dominierte Gesellschaft<br />
erleben müssen. Sie möchten menschenwürdig<br />
leben, deshalb verlassen sie ihre Heimat. Es gibt<br />
Frauen, die für ihre sexuelle Selbstbestimmung<br />
kämpfen, oder die vor Folter, Vergewaltigung,<br />
Kriegserlebnisse flüchten. Und es gibt auch Frauen,<br />
die trotz ihres Fleißes und Bemühungen nicht<br />
mehr in der Lage sind, ihre Kinder zu ernähren,<br />
und deshalb suchen sie nach einer besseren<br />
Zukunft für die Kinder.<br />
18<br />
Wie kann eine Frau fliehen? Hat eine Frau Zeit, die<br />
Flucht zu planen? Hat die Frau Geld, um Transportmittel<br />
oder den Schlepper zu bezahlen? Hat<br />
die Frau ein Reisedokument, ein Visum irgendwohin<br />
in einen demokratischen Staat? Was passiert<br />
mit dem Rest der Familie, insbesondere mit den<br />
Kindern und Alten? Kann die Frau überhaupt alleine<br />
unterwegs sein, ohne aufzufallen? Es sind Fragen,<br />
die zeigen, dass die Flucht keine einfache<br />
Angelegenheit ist.<br />
Deutschland erreichen nur wenige Flüchtlingsfrauen.<br />
Eine Reise direkt nach Deutschland, insbesondere<br />
mit Kindern, kann nur schwer organisiert<br />
werden.<br />
Die Anzahl der Asylbewerberinnen ist auch in<br />
Brandenburg drastisch zurückgegangen. Inzwischen<br />
ist es ein Problem geworden, Frauen in den<br />
vorhandenen Asylbewerberheimen des Landes<br />
unterzubringen, da sie dort hauptsächlich alleinstehende<br />
männliche Nachbarschaft zu erwarten<br />
haben bzw. von diesen erwartet werden.<br />
Es liegen bereits Empfehlungen von Fachfrauen<br />
vor, nach alternativen Möglichkeiten für die<br />
Unterbringung von alleinstehenden Flüchtlingsfrauen,<br />
außerhalb von Gemeinschaftsunterkünften,<br />
zu suchen.<br />
Das Land Brandenburg hat 1992 die Einrichtung<br />
von großen Asylbewerberheimen favorisiert. In<br />
der Zeit der offenen Vermögensfragen haben viele<br />
Kreise bei der Einrichtung von Asylbewerberheimen<br />
auf ehemalige NVA-Objekte zurückgegriffen.<br />
Heute gibt es in Brandenburg 47 Asylbewerberheime<br />
mit einer Gesamtkapazität von 9.090 Plätzen,<br />
z.Z. mit 73 % Auslastung. Außerdem leben<br />
1.084 Asylbewerber und Flüchtlinge inzwischen
MIGRANTINNEN IM LAND BRANDENBURG<br />
Magdolna Grasnick<br />
in Wohnungen. Mindestens 9 der Heime liegen<br />
außerhalb von Ansiedlungen[4].<br />
Das Asylverfahren dauert in der Regel mehrere<br />
Jahre. Während des Verfahrens sollen die Asylbewerber<br />
in der Regel in einer Gemeinschaftsunterkunft<br />
wohnen (§53 Abs.1 AsylVfG), nicht arbeiten<br />
und nach dem AsylbLG versorgt werden. Sie sind<br />
ortsgebunden in dem Landkreis oder der kreisfreien<br />
Stadt, wohin sie verteilt sind. Ein Besuch in<br />
einem anderen Ort Deutschlands kann nur mit<br />
einem Urlaubsschein erfolgen, worauf kein<br />
Anspruch besteht.<br />
Es gibt in Brandenburg z.B. noch offene Asylverfahren<br />
aus dem Jahr 1991. Stellen sie sich vor, in<br />
der heutigen Zeit, 10 Jahre nach der Wende, unter<br />
der geschilderten Eingeschlossenheit leben zu<br />
müssen!<br />
In der Praxis sieht es so aus, dass in den Heimen,<br />
insbesondere in abgelegenen wäldlichen Gegenden<br />
in der Regel nur noch die wenigen Frauen<br />
und die Kinder leben. Die Frauen müssen diese<br />
Umstände aushalten, da sie durch die Kinder am<br />
wenigsten mobil sind.<br />
Das Einkaufen gestaltet sich schwer in vielen Kreisen,<br />
wegen die sog. Sachleistung. Die übliche<br />
Form der Leistung nach dem AsylbLG in Brandenburg<br />
ist die Sachleistung, d.h. die Leistungsberechtigten<br />
erhalten statt Geld Wertgutscheine, die<br />
in vertraglich gebundenen Läden einzulösen sind.<br />
Es gibt eine monatliche Barleistung in Höhe von<br />
80,00 DM für über 14 Jährige, und 40 DM darunter.<br />
Die Höhe der Leistung nach dem AsylbLG<br />
beträgt 80 % der Leistung nach dem BSHG und ist<br />
im Bereich der Krankenhilfe und einmaliger Leistungen<br />
eingeschränkt.<br />
19<br />
Wenn die Asylbewerberin oder Geduldete drei<br />
Jahre diese niedrige Leistung nach dem AsylbLG<br />
erhalten hat, wird „höhergestuft„ und entsprechend<br />
BSHG behandelt. In Brandenburg allerdings<br />
weiterhin in geldloser Leistungsgrundform.<br />
Gem. § 2 Abs. 2 AsylbLG könnte das zuständige<br />
Sozialamt die Form der Leistung auf Grund der<br />
örtlichen Umstände bestimmen. Diese Regelung<br />
wird jedoch durch einen Runderlass des MASGF<br />
eingeschränkt, wonach die Sachleistung für die<br />
Versorgung der in Gemeinschaftsunterkünften<br />
lebenden Leistungsberechtigten favorisiert wird.<br />
Nach dem vierten Jahr Aufenthalt von Geduldeten<br />
erstattet das Land keine Kosten mehr für die Kreise<br />
und kreisfreie Städte für die Durchführung des<br />
AsylbLG, so werden diese durch die hohe Verwaltungskosten<br />
für die Durchführung des Sachleistungsprinzips<br />
belastet.<br />
Mehrere Ausländerinitiativen halten das Sachleistungsprinzip<br />
für langjährige Versorgung von<br />
Menschen für unzumutbar. Rechtsanwaltskosten,<br />
Deutschkurse, landesspezifische Lebensmittel,<br />
Telefonkosten, Kinderfreizeitveranstaltungen,<br />
Sportclub, Kino etc. können nicht mit Gutschein<br />
bezahlt werden. So gibt es Aktionen, die darauf<br />
ausgerichtet sind, mit Flüchtlingen Partnerschaften<br />
zu schließen und ihnen mit einem Umtausch<br />
der Gutscheine in Bargeld zu helfen. So hat der<br />
evangelische Kirchenkreis in Potsdam ein Partnerschaftsnetz<br />
mit Leistungsberechtigten nach<br />
dem AsylbLG ausgebaut. Eine ähnliche Initiative<br />
aus Hildesheim wurde im Dezember 1999 mit<br />
dem Förderpreis „Demokratie leben„ vom Deutschen<br />
Bundestag ausgezeichnet.<br />
Es gibt wenige Frauen, die als Asylberechtigte<br />
anerkannt werden. Wenn ein Asylantrag jedoch
MIGRANTINNEN IM LAND BRANDENBURG<br />
Magdolna Grasnick<br />
positiv entschieden wird (nach Art. 16a GG),<br />
dann hat der Staat die Pflicht, diesen Menschen zu<br />
„integrieren„. Das bedeutet praktisch gesehen:<br />
Reisedokument, Sprachkenntnisse, Zulassung<br />
zum Arbeitsmarkt, Wohnung, Möglichkeit des<br />
Familiennachzugs (Ehemann und Kinder unter 16<br />
Jahren), Möglichkeit des Studiums bei jungen<br />
Asylberechtigten.<br />
Wenn ein Asylantrag nach dem GG abgelehnt wird,<br />
kann ein Bleiberecht z.B. durch § 51 AuslG<br />
(„kleines Asyl„) oder § 53 AuslG begründet werden,<br />
oder es können einer Rückkehr in das Heimatland<br />
andere Gründe entgegenstehen. In diesen<br />
Fällen erhält die Frau eine Aufenthaltsbefugnis<br />
oder eine Duldung (= Aussetzung der Abschiebung).<br />
Als Abschiebehindernis nach § 53 Abs. 6<br />
AuslG kann z.B. die Pflicht der Zwangsabtreibung<br />
oder Zwangsbeschneidung im Heimatland angesehen<br />
werden.<br />
2.3. Altfallregelung<br />
Am 19.11.1999 haben die Innenminister der Länder<br />
eine „Altfallregelung„ erlassen, wonach Asylbewerberfamilien,<br />
die seit dem 1. Juli 1993 in<br />
Deutschland leben, Arbeit und Wohnung haben<br />
und ohne Inanspruchnahme von öffentlichen Mitteln<br />
leben, eine Aufenthaltsbefugnis erhalten können.<br />
Alleinstehende, die bereits am 01. Januar<br />
1990 eingereist sind und die genannten Voraussetzungen<br />
erfüllen, könnten die Aufenthaltsbefugnis<br />
erhalten.<br />
In Brandenburg haben nur 59 Personen aufgrund<br />
dieser Regelung eine Aufenthaltsbefugnis erhalten,<br />
da hier die Arbeitsaufnahme mit einer Duldung<br />
oder Aufenthaltsgestattung praktisch<br />
unmöglich war und ist.<br />
20<br />
Andere Bundesländer, zuletzt auch Berlin, haben<br />
die „Altfallregelung„ modifiziert. Demnach erhält<br />
der o.g. Personenkreis in vielen Bundesländern<br />
auch dann eine für sechs Monate befristete Aufenthaltsbefugnis,<br />
wenn dieser noch auf soziale<br />
Unterstützung angewiesen ist. Mit der erteilten<br />
Aufenthaltsbefugnis bekommen die Betroffenen<br />
sofort eine Arbeitsberechtigung, womit ohne<br />
Arbeitsmarktprüfung eine Arbeit aufgenommen<br />
werden kann.<br />
Folge: 6 Monate nach der Erteilung der Aufenthaltsbefugnis,<br />
wenn die Ausländerbehörde die<br />
Voraussetzungen der Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis<br />
prüft, erfüllen diese AusländerInnen<br />
alle Bedingungen der Altfallregelung v.<br />
19.11.1999.<br />
Könnte diese Umsetzungsmöglichkeit der Altfallregelung<br />
vielleicht auch ein Weg in Brandenburg<br />
sein…?<br />
3. Jüdische Zuwanderinnen aus Osteuropa<br />
Das „Gesetz über Maßnahmen für im Rahmen<br />
humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge„<br />
– das „Kontingentflüchtlingsgesetz„ – vom<br />
22. Juli 1980 ermöglicht, Gruppen von Menschen<br />
in einer bestimmten Zahl aufzunehmen, ohne<br />
dass diese ein Asylverfahren durchlaufen müssen.<br />
Grundlage bildet für dieses Gesetz die Genfer<br />
Flüchtlingskonvention aus dem Jahr 1951. Erst<br />
unter Druck von Teilen der Öffentlichkeit, vor<br />
allem auf das Drängen des Zentralrates der Juden<br />
in Deutschland hin, erklärte sich die Bundesregierung<br />
bereit, die Gruppe jüdischer Zuwanderinnen<br />
und Zuwanderer analog dem „Kontingentflüchtlingsgesetz„<br />
aufzunehmen, unter anderem<br />
auch mit dem Ziel, die jüdischen Gemeinden in
MIGRANTINNEN IM LAND BRANDENBURG<br />
Magdolna Grasnick<br />
der Bundesrepublik zu stärken. Am 1. Januar<br />
1991 wurde eine entsprechende Regelung festgeschrieben[6]„.<br />
1992 wurde die erste neue jüdische Gemeinde<br />
nach dem Zweiten Weltkrieg im Land Brandenburg<br />
in Potsdam gegründet. Seitdem ist die Anzahl<br />
der Gemeinden auf fünf gewachsen und sie zählen<br />
440 Mitglieder (3).<br />
Die jüdischen Zuwanderinnen müssen ein Aufnahmeverfahren<br />
durchlaufen (Bundesverwaltungsamt),<br />
eher sie einen Aufnahmebescheid<br />
erhalten. Dieser Bescheid teilt auch gleich mit, wo<br />
sie in Deutschland „am Anfang„ wohnen werden.<br />
Im Land Brandenburg erfolgt die Aufnahme in<br />
Cottbus, Frankfurt, Brandenburg, Bernau und<br />
Potsdam.<br />
Die „Kontingentflüchtlinge„ kommen voller positiver<br />
Erwartungen in Brandenburg an. Sie sind<br />
vom Bildungsniveau her meistens AkademikerInnen.<br />
Die Frauen aus der ehemaligen Sowjetunion<br />
sind die Gleichberechtigung – mindestens auf<br />
dem Arbeitsmarkt - gewöhnt.<br />
Der „Anfang„ ist dann in Deutschland nicht einfach.<br />
Sprachausbildung durch das Arbeitsamt<br />
erhalten nur die Frauen, die noch im arbeitsfähigen<br />
Alter sind. Gemeinnützig dürfen auch nur die<br />
arbeiten, die später noch evtl. eine Arbeitsstelle<br />
bekommen können. Die Berufsabschlüsse aus<br />
der ehem. Sowjetunion werden oft nicht anerkannt,<br />
die Fahrerlaubnis ist nicht mehr gültig,<br />
Arbeit finden die Frauen nicht. Sie sind auf die<br />
Sozialhilfe angewiesen, und dadurch werden die<br />
Frauen ortsgebunden.<br />
<strong>21</strong><br />
Ein Beispiel aus dem Alltag: eine ältere jüdische<br />
Einwanderin aus Potsdam hat einen Landsmann<br />
aus Russland geheiratet. Sie können jedoch in<br />
Deutschland keine Ehe führen, solange die Frau<br />
kein genügendes Einkommen hat (§ 17 Abs. 2<br />
AuslG). Eine Frau über 50, dazu noch gebrochen<br />
deutsch sprechend, hat jedoch kaum Chancen,<br />
einen gut bezahlten Job zu finden...<br />
Frauen im rentenfähigen Alter erhalten Sozialhilfe<br />
gem. § 120 BSHG und sie bleiben bis zum Ende<br />
ihres Lebens Sozialhilfeempfängerinnen...<br />
Wenn ich mit Familien spreche, erfahre ich oft,<br />
dass sie insbesondere auf eine positive Zukunft<br />
der Kinder in Deutschland hoffen. Und es ist<br />
tatsächlich so, dass sich Jugendliche, auch<br />
Mädchen, wunderbar integrieren. Sie erlernen<br />
rasch in der Schule die Sprache und wenn sie die<br />
Fähigkeit haben, können sie auch studieren, mit<br />
Förderung der Otto-Benecke-Stiftung. Der Staat<br />
gibt auch Mittel für Nachhilfeunterricht aus dem<br />
Garantiefond, die die Eltern im Sozialamt beantragen<br />
können.<br />
4. Aussiedlerinnen<br />
„AussiedlerInnen sind deutsche Staatsangehörige<br />
oder Volkszugehörige, die vor dem 8. Mai 1945<br />
ihren Wohnsitz in den unter fremder Verwaltung<br />
stehenden deutschen Ostgebieten, bzw. in Polen,<br />
der ehemaligen Sowjetunion, der Tschechoslowakei,<br />
Ungarn, Rumänien, Jugoslawien, Danzig, Estland,<br />
Lettland, Litauen, Bulgarien, Albanien oder<br />
China gehabt und diese Länder nach Abschluss<br />
der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen bis<br />
zum 31.12.92 verlassen haben„. (§1 Abs. 2 Nr. 3<br />
BVFG). Wobei als Spätaussiedler jene bezeichnet
MIGRANTINNEN IM LAND BRANDENBURG<br />
Magdolna Grasnick<br />
werden, die nach dem § 4 der am 1. Januar 1993<br />
in Kraft getretenen Neuregelung des BVFG im Rahmen<br />
de „Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes„ deutsche<br />
Volkszugehörige sind, die die Aussiedlungsgebiete<br />
nach dem 31. Dezember 1992 verlassen<br />
haben„[6].<br />
Aussiedlerinnen werden in einem geregelten Verfahren,<br />
durchgeführt durch das Bundesverwaltungsamt,<br />
in Deutschland aufgenommen. Sie reisen<br />
im Land Brandenburg nach Peitz an und nach<br />
der Erledigung der wichtigsten administrativen<br />
Formalitäten werden sie im Land verteilt. „Ein<br />
Modellprojekt bei der Ansiedlung von AussiedlerInnen<br />
ist Niedergörsdorf im Landkreis Teltow-<br />
Fläming. Hier wurden auf Initiative der mennonitischen<br />
Umsiedlerbetreuung ehemalige Kasernen<br />
gekauft und zu Wohnungen umgebaut. Inzwischen<br />
leben dort etwa 700 Menschen, ca. 500 von<br />
ihnen sind Aussiedlerinnen und Aussiedler„[6].<br />
Der Großteil der Aussiedlerinnen kommt heute<br />
aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion.<br />
1998 waren 52 % der im Land Brandenburg<br />
aufgenommenen AussiedlerInnen Frauen,<br />
1928 an der Zahl[7].<br />
Aussiedlerinnen haben ähnliche Probleme wie die<br />
jüdischen Zuwanderinnen. Die ältere Generation<br />
hat jedoch den Vorteil im Vergleich zu „Kontingentflüchtlingen„,<br />
dass sie eine eigene Rente beziehen<br />
nach Fremdenrentenrecht. Die Arbeitsjahre im<br />
Herkunftsland werden so bewertet, als wären diese<br />
Frauen in Deutschland tätig gewesen. Diese Regelung<br />
gibt den Frauen eine moralische und finanzielle<br />
Sicherheit. Sie haben ein regelmäßiges Einkommen,<br />
wofür sie das ganze Leben gearbeitet<br />
haben, und sie sind selber krankenversichert. Es ist<br />
22<br />
schön zu erleben, wie diese Generation der Aussiedlerinnen<br />
die deutsche Sprache bewahrt hat.<br />
Die mittlere Generation der Aussiedlerinnen<br />
erlebt ähnlich gelagerte Probleme wie die jüdischen<br />
Zuwanderinnen aus Osteuropa. Diese<br />
Generation durfte in der Regel die deutsche Sprache<br />
nicht benutzen, so müssen sie diese neu<br />
erlernen. Die Erteilung des Aufnahmebescheides<br />
ist vom Ablegen einer Sprachprüfung der deutschen<br />
Sprache abhängig.<br />
Nach der Ankunft in Deutschland erhalten Aussiedlerinnen,<br />
wenn sie im arbeitsfähigem Alter<br />
sind, die Möglichkeit, noch 6 Monate die deutsche<br />
Sprache zu lernen. Zum Vorteil des Aussiedlerinnenstatus<br />
zählt die Regelanerkennung der<br />
Berufsabschlüsse aus dem Herkunftsland.<br />
Deutschland bemüht sich, durch Verhandlungen<br />
im diplomatischen Bereich, in den Herkunftsländern<br />
der Aussiedlerinnen Möglichkeiten für das<br />
dort Bleiben zu schaffen. Es gibt ständig Hilfsprogramme,<br />
um im Herkunftsgebiet als Deutsche<br />
leben zu können. Es werden z.B. deutsche Zeitungen<br />
herausgegeben, deutsche Kindergärten und<br />
Schulen eingerichtet.<br />
Die Zahl der zugewanderten Aussiedlerinnen geht<br />
ständig zurück. Trotzdem sitzen noch mehrere<br />
Millionen Deutschstämmige, insbesondere auf<br />
dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion, auf<br />
gepackten Koffern und warten auf die Möglichkeit<br />
der Einreise nach Deutschland.<br />
5. Vertragsarbeitnehmerinnen<br />
1993 haben Vertragsarbeitnehmerinnen der DDR,<br />
wenn sie Arbeit hatten, nicht straffällig geworden
MIGRANTINNEN IM LAND BRANDENBURG<br />
Magdolna Grasnick<br />
sind und sie ununterbrochen rechtmäßig in der<br />
Bundesrepublik gelebt haben, eine Aufenthaltsbefugnis<br />
erhalten. Diese Befugnis war auf zwei Jahre<br />
befristet und deren Erteilung war sehr schwierig<br />
wegen der Unmöglichkeit, eine Arbeitserlaubnis<br />
für eine Arbeit zu erhalten. Selbst Vertragsarbeitnehmerinnen,<br />
die bereits 10 Jahre in der DDR<br />
bzw. BRD gelebt haben, waren bedroht, Deutschland<br />
im Falle von Sozialhilfebezug verlassen zu<br />
müssen. Die DDR-Aufenthaltszeiten spielten in<br />
der Bleiberechtsregelung von 1993 keine Rolle.<br />
Erst 1997, nach über siebenjährigen Bemühungen,<br />
Appellen und Initiativen hat der Gesetzgeber<br />
endlich eine Rechtsicherheit geschaffen, die eine<br />
Gleichbehandlung der DDR-Vertragsarbeiterinnen<br />
und –arbeiter mit den von der alten Bundesrepublik<br />
angeworbenen Gastarbeiterinnen und<br />
–arbeitern beinhaltet[6].<br />
Der Vermittlungsausschuss vom Bundestag und<br />
Bundesrat entschied sich im Juli 1997 für die<br />
Anerkennung der gesamten DDR-Aufenthalte.<br />
Demnach erhielten Vertragsarbeitnehmerinnen<br />
und –arbeitnehmer,<br />
- die sich vor der Vereinigung rechtmäßig in der<br />
DDR aufgehalten haben,<br />
- die eine Aufenthaltsbefugnis besaßen,<br />
- die den Lebensunterhalt rechtmäßig sichern<br />
konnten,<br />
- gegen die kein Ausweisungsgrund vorlag,<br />
- und die acht Jahre Aufenthalt vorweisen konnten,<br />
eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis[6].<br />
Das Thema des Bleiberechtes für die VertragsarbeitnehmerInnen<br />
der DDR war der „Ost-West-<br />
Konflikt„ im Ausländerrecht, da die Aufenthaltszeiten<br />
der „Ost-GastarbeiterInnen„ weniger wert werden<br />
sollten als die von „West-GastarbeiterInnen„.<br />
23<br />
Im Land Brandenburg leben hauptsächlich Vietnamesinnen<br />
aus der Gruppe der ehemaligen Vertragsarbeitnehmerinnen.<br />
In der DDR-Zeit gab es<br />
eine strikte Trennung unter den männlichen und<br />
weiblichen Vietnamesen. Es gab extra Wohnheime<br />
für Frauen und Männer, sexuelle Beziehungen<br />
waren nicht erlaubt. Schwangere Vietnamesen<br />
mussten die DDR verlassen.<br />
Die Sphäre der Frauen und Männer ist noch<br />
immer getrennt. Die Männer beherrschen in der<br />
Regel besser als die Frauen die deutsche Sprache<br />
und wirken nach außen. Die Frauen sind in der<br />
Familie bei der Kindererziehung die Schlüsselperson<br />
und sind stolz auf die gute schulische Leistung<br />
der Kinder[6].<br />
Heute leben im Land Brandenburg 2.277 Vietnamesinnen,<br />
davon 1129 mit einem festen Aufenthaltsstatus[1].<br />
Seit dem Anfang der 90-er Jahre gibt es Bemühungen<br />
von engagierten Trägern, Projekte anzubieten,<br />
um die Chancen der Vertragsarbeitnehmerinnen<br />
auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Ich<br />
möchte hier die Maßnahmen der Berlin-Brandenburgischen<br />
Auslandsgesellschaft (BBAG) e.V.<br />
erwähnen. Durch harte Vorbereitungsarbeit hat<br />
die BBAG erreicht, dass mehrere Maßnahmen im<br />
Berufsbildungsbereich für Vietnamesinnen in<br />
mehreren Orten Brandenburg durchgeführt wurden.<br />
Diese Kurse waren mit Herz und Verstand<br />
zusammengestellt. Auch alleinstehende Frauen<br />
mit Kind und Frauen mit Familien haben die Möglichkeit<br />
erhalten, Sprache und Beruf zu erlernen.<br />
Heute sind viele Vietnamesinnen als Schneiderin<br />
tätig, mit einem hervorragenden Ruf, was die<br />
Qualität der Arbeit betrifft.
MIGRANTINNEN IM LAND BRANDENBURG<br />
Magdolna Grasnick<br />
6. Frauen als Opfer von Menschenhandel<br />
Der Frauenhandel hat in den vergangenen Jahren<br />
im Land Brandenburg drastisch zugenommen.<br />
Aufgrund der geografischen Lage Brandenburgs<br />
entwickelte sich hier ein regelrechter Umschlagplatz<br />
für Frauen und Mädchen aus Osteuropa.<br />
Viele Frauen werden mit falschen Versprechungen<br />
nach Deutschland gelockt, wie z.B. eine Arbeitsstelle<br />
als Köchin oder Haushaltshilfe. Meist werden<br />
die Opfer bis an die Grenze gebracht und dort<br />
von Schleppern in die Bundesrepublik geschleust.<br />
Sind die Frauen in Deutschland, werden ihnen die<br />
Reisedokumente abgenommen und sie erfahren,<br />
dass der Transport und die Passbeschaffung<br />
bezahlt werden müssen in Form des „Abarbeitens„<br />
der Schulden. So landen diese Frauen in<br />
bordellartigen Betrieben oder auf dem Straßenstrich.<br />
Eine Aussicht, die Schulden abzuzahlen,<br />
haben sie nicht[6].<br />
Frauen werden nicht nur zur Prostitution, aber<br />
auch zur ausbeuterischen Arbeit oder in Ehen<br />
gezwungen. Die Menschenhändler sind zu fast<br />
50% deutscher Nationalität[6].<br />
Die Menschenhändler und Zuhälter gehen in<br />
Gerichtsprozessen oft straffrei aus. Das hängt<br />
damit zusammen, dass die Bekämpfung der Verbrechen<br />
in der Regel nur durch Zeugenaussagen<br />
möglich ist. Da sich die Zeuginnen illegal in der<br />
Bundesrepublik aufhalten, müssen sie mit einer<br />
Abschiebung rechnen[6].<br />
In Brandenburg ist die Praxis so, wenn eine<br />
Zwangsprostituierte als Zeugin benötigt wird,<br />
beantragt die Polizeidienststelle in Abstimmung<br />
mit der Staatsanwaltschaft bei der zuständigen<br />
Ausländerbehörde für die Frau eine Duldung<br />
24<br />
(Erlass des Innenministeriums des Landes Brandenburg<br />
v. 24.02.1994).<br />
Inzwischen werden immer mehr Verfahren wegen<br />
Menschenhandels, in denen Freiheitsstrafen verhängt<br />
worden sind, rechtskräftig abgeschlossen.<br />
In Brandenburg arbeitet sehr engagiert der Verein<br />
Bella Donna im grenzüberschreitenden Raum zu<br />
Polen mit Prostituierten. AIDS-Prävention, Vernetzungs-<br />
und Öffentlichkeitsarbeit sowie Primärprävention<br />
an Schulen und in den Gemeinden des<br />
Landes Brandenburg gehören zum Arbeitsgebiet<br />
des Vereins[8].<br />
Dank des unermüdlichen Engagements der verschiedenen<br />
Frauenberatungsstellen und einzelner<br />
Frauen nahm am 01.12.1999 der „Bundesweiter<br />
Koordinierungskreis gegen Frauenhandel und<br />
Gewalt an Frauen im Migrationsprozess e.V„<br />
(KOK) seine Arbeit in Potsdam auf. Das Büro dieser<br />
zentralen Koodinierungsstelle finanziert das<br />
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen<br />
und Jugend.<br />
Die Prostitutionstätigkeit durch Ausländerinnen<br />
wird in verschiedenen Bundesländern in unterschiedlicher<br />
Weise toleriert und gestattet. In den<br />
meisten Bundesländern werden EG-Prostituierte<br />
toleriert, nicht aber Prostituierte aus der sog.<br />
Dritten Welt. Eine Ausnahme bildet Nordrhein-<br />
Westfalen. Hier erhalten in einigen Städten auch<br />
diese Prostituierten eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis,<br />
die für eine maximale Dauer bis zu<br />
einem Jahr ausgestellt wird[9].<br />
Durch die Legalisierung dieses Gewerbes wächst<br />
die Rechtssicherheit der betroffenen ausländi-
MIGRANTINNEN IM LAND BRANDENBURG<br />
Magdolna Grasnick<br />
schen Frauen und dadurch haben Menschenhändler<br />
weniger Chancen, auf Kosten der<br />
Frauen zu verdienen.<br />
7. Studentinnen<br />
Im Wintersemester 1999/200 besuchten 2887<br />
ausländische Studierende, davon 1479 Studentinnen,<br />
brandenburgische Hochschulen [10]. Die<br />
meisten Studentinnen und Studenten kamen aus<br />
Polen.<br />
Die Anwesenheit der ausländischen Studierenden<br />
an den Brandenburgischen Hochschulen hat eine<br />
große Bedeutung. Neben dem Sammeln von Fachkenntnissen<br />
während des Studiums sammeln die<br />
jungen Leute Erfahrungen miteinander.<br />
Als Berufstätige und als Eltern der nächsten Generation<br />
werden die heutigen StudentInnen sicher<br />
auf ihre positiven Erfahrungen in der Studentenzeit<br />
zurückgreifen und sich in keine ausländerfeindliche<br />
Richtung entwickeln.<br />
Im Juni fand in Potsdam das gemeinsame Sommerfest<br />
der drei Potsdamer Hochschulen unter<br />
dem Motto „Gegen Rassismus„ statt. Die positive<br />
Ausstrahlung der Hochschuleinrichtungen in das<br />
25<br />
Leben der umliegenden Region hat sich auch<br />
durch dieses Fest bestätigt. Hochschuleinrichtungen<br />
sind eine prägende geistige Kraft für ihre<br />
Umgebungen.<br />
… zum Schluss<br />
Sie sehen durch diese, Ihnen eben dargestellte,<br />
Zusammenstellung, dass es Gruppen von Menschen<br />
gibt, die nach Deutschland kommen und<br />
hier bleiben dürfen. Es findet bereits eine Einwanderung<br />
nach Deutschland, so auch nach Brandenburg,<br />
statt.<br />
Ich denke, es ist an der Zeit, ohne das Asylverfahrensgesetz<br />
anzufassen, über ein Einwanderungsgesetz<br />
für Deutschland ernsthaft nachzudenken,<br />
was auch die „Green-Card-Debatte« gezeigt hat.<br />
Sie sehen auch, es ist nicht einfach für Migrantinnen,<br />
sich in Brandenburg zu integrieren. Sie können<br />
durch Ihr menschliches oder politisches<br />
Engagement dabei behilflich sein.<br />
Magdolna Grasnick ist seit 1990 Ausländerbeauftragte<br />
der Landeshauptstadt Potsdam.<br />
www.potsdam.de/stadtpolitik/index2.html
MIGRANTINNEN IM LAND BRANDENBURG<br />
Magdolna Grasnick<br />
Literaturquellen:<br />
[1] Quelle: Ausländerzentralregister,<br />
Stichtag 31.12.1999<br />
[2] Migrantinnen in Deutschland,<br />
Dokumentation einer Fachtagung vom<br />
14.12.1998 in Offenbach<br />
[3] LDS Brandenburg,<br />
Statistisches Jahrbuch 1999<br />
[4] Informationsblatt der AWO,<br />
Arbeitsgruppen EKIS und MHB<br />
v. 31.05.2000<br />
[5] Wie werde ich Deutsche oder Deutscher?<br />
Broschüre der Ausländerbeauftragten der<br />
Bundesregierung, Nov. 1999<br />
[6] Zwischen Ankunft und Ankommen,<br />
Die Situation von Zugewanderten im Land<br />
Brandenburg 1995-1997,<br />
Bericht der Ausländerbeauftragten des<br />
Landes Brandenburg<br />
[7] Info-Dienst Deutsche Aussiedler,<br />
Heft Nr. 101<br />
[8] Projektbericht 1997,<br />
Bella Donna / Arachne, Frankfurt/Oder<br />
[9] Umfeld und Ausmaß des Menschenhandels<br />
mit ausländischen Mädchen und Frauen<br />
Schriftenreihe des Bundesministers für<br />
Frauen und Jugend, Band 8<br />
[10] Statistik des MWFK, Ref. 23,<br />
Stand: 30.10.1999<br />
26<br />
Abkürzungen:<br />
AuslG Ausländergesetz<br />
AsylbLG Asylbewerberleistungsgesetz<br />
AsylVfG Asylverfahrensgesetz<br />
BSHG Bundessozialhilfegesetz<br />
MASGF Ministerium für Arbeit, Soziales,<br />
Gesundheit und Frauen des Landes<br />
Brandenburg<br />
MWFK Ministerium für Wissenschaft, Forschung<br />
und Kultur des Landes<br />
Brandenburg<br />
GG Grundgesetz<br />
BVFG Bundesvertriebenen– und Flüchtlingsgesetz
Seit einiger Zeit ist zu beobachten, dass die<br />
Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, die<br />
nach wie vor in vielen Bereichen existierende<br />
Benachteiligung von Frauen und eine auf deren<br />
Überwindung gerichtete Gleichstellungspolitik<br />
kaum noch öffentliches Interesse erwecken. Die<br />
politische und im weiteren Sinne öffentliche Rede<br />
über veränderungsbedürftige Geschlechterverhältnisse<br />
und ein entsprechender Gestaltungswille<br />
sind in den Hintergrund getreten gegenüber den<br />
aktuellen Diskursen und Auseinandersetzungen<br />
um „Globalisierung“, die „Zukunft der<br />
Arbeit(sgesellschaft)“, den „Umbau des Staates<br />
und der sozialen Sicherungssysteme“ usw. Selten<br />
nur wird in diesen Debatten danach gefragt, was<br />
all die sich abzeichnenden gesellschaftlichen Veränderungen<br />
für eine Neuordnung der Geschlechterverhältnisse<br />
bzw. - moderater - für „mehr<br />
THEMA<br />
GESCHLECHTERVERHÄLTNISSE<br />
IN VERÄNDERUNG<br />
Herausforderungen für Frauen- und Geschlechterforschung<br />
von Prof. Dr. Irene Dölling,<br />
Universität Potsdam<br />
27<br />
Geschlechterdemokratie“ bedeuten könn(t)en.<br />
Nicht nur für viele mediale Meinungsmacher ist<br />
„der Feminismus“ ein erledigtes Projekt; auch<br />
nicht wenige junge Frauen und Männer sind der<br />
Meinung, dass sie gleichberechtigt sind und es -<br />
ganz gemäß der derzeit hoch im Kurs stehenden<br />
„Individualisierung“ - eigenverantwortlich von<br />
jeder/jedem einzelnen abhängt, was sie aus ihrem<br />
Leben machen und was sie aus der Fülle der Möglichkeiten<br />
auswählen. Bestätigt werden sie darin<br />
nicht selten auch von politischer Seite.<br />
Diese Verschiebungen in politisch-öffentlichen<br />
Debatten wie subjektiven Meinungen sind weniger<br />
Anzeichen für einen tatsächlichen Abbau von<br />
Geschlechterungleichheiten als vielmehr für<br />
Umbrüche im Organisationsgefüge moderner<br />
Gesellschaften, die bisherige Formen sozialer<br />
Regulierung und Steuerung tendenziell dysfunk-
tional werden lassen. Bisherige Institutionalisierungen<br />
des modernen (hierarchischen)<br />
Geschlechterverhältnisses geraten in „Unordnung“<br />
und erscheinen gemessen an den sich<br />
abzeichnenden Entwicklungen als „veraltet“: bisherige<br />
Trennlinien zwischen öffentlich und privat<br />
brechen auf, die Erosion des „Normalarbeitsverhältnisses“<br />
untergräbt die „männliche Ernährerrolle“<br />
und die damit verknüpften familien- und<br />
steuerrechtlichen Regelungen. Durch die wachsende<br />
Zahl von Alleinerziehenden und Singles<br />
wird das normative und institutionalisierte Modell<br />
der geschlechtsspezifischen Teilungen zwischen<br />
„produktiven“ und „reproduktiven“ Bereichen<br />
und Tätigkeiten fragwürdig. Wie die re-strukturierten<br />
Geschlechterverhältnisse als Ergebnis des<br />
Umbaus moderner Gesellschaften aussehen werden<br />
- ob sie sich durch (mehr) Geschlechterdemokratie<br />
auszeichnen oder die In- und Exklusionen<br />
entlang der Geschlechterlinie eher verstärkt<br />
werden bzw. ganz neue Formierungen des<br />
Geschlechterverhältnisses entstehen, ist m.E. derzeit<br />
kaum definitiv zu sagen - eben weil wir erst<br />
am Anfang dieser Umbrüche stehen. Allerdings<br />
zeichnen sich heute bereits Entwicklungen ab, die<br />
nahelegen, die Zusammenhänge, in denen<br />
Geschlechterverhältnisse theoretisch- konzeptionell<br />
- bis heute vor allem in der Frauen- und<br />
Geschlechterforschung - gedacht werden, zu<br />
erweitern. Ich möchte im folgenden zunächst auf<br />
einige dieser veränderten oder sich verändernden<br />
Zusammenhänge eingehen, die die Neufiguration<br />
des Geschlechterverhältnisses beeinflussen (werden)<br />
und anschliessend nach konzeptionellen<br />
Herausforderungen fragen, die daraus für Frauen-<br />
und Geschlechterforschung resultieren.<br />
1. In der bisherigen Geschichte moderner Gesellschaften<br />
waren Geschlechterverhältnisse<br />
GESCHLECHTERVERHÄLTNISSE<br />
Prof. Dr. Irene Dölling<br />
28<br />
gekennzeichnet durch institutionalisierte Trennungen<br />
zwischen Produktion und Reproduktion,<br />
Erwerbssphäre und Hauswirtschaft, öffentlich-<br />
privat. Gegründet auf die kulturelle Annahme<br />
einer biologisch unhintergehbaren Differenz<br />
der beiden Geschlechter wurden Männer und<br />
Frauen entlang dieser Trennungen zueinander<br />
ins Verhältnis gesetzt, wurden Tätigkeiten,<br />
Befähigungen, Eigenschaften „vergeschlechtlicht“,<br />
d.h. normativ dem einen oder dem anderen<br />
Geschlecht zugeschrieben. Diese Trennungen<br />
und Zuschreibungen waren hierarchisch<br />
organisiert und wirkten zugleich hierarchisierend:<br />
Indem alles als „weiblich“ bedeutende<br />
Zweitrangigkeit, Minderwertigkeit und Abweichung<br />
vom „Normalen“ impliziert und dies sich<br />
institutionell z.B. in geschlechtsspezifischen<br />
Arbeitsteilungen, Segregationen des Arbeitsmarktes<br />
oder auch rechtlichen Regelungen verfestigt,<br />
wirkt „Geschlecht“ als ein ungleichheiterzeugender<br />
Faktor. Das hierarchische und<br />
hierarchisierende Geschlechterverhältnis steht<br />
in einem homologen Zusammenhang zu anderen<br />
hierarchischen Formen, in denen moderne<br />
gesellschaftliche Austauschprozesse geregelt,<br />
normiert, auf Dauer gestellt, in eine über- bzw.<br />
untergeordnete Beziehung zueinander gebracht<br />
werden. Bisherige Grenzziehungen und Hierarchisierungen<br />
- z.B. entlang der Geschlechterdifferenz<br />
– werden einerseits in den gegenwärtigen<br />
Transformationsprozessen moderner<br />
Gesellschaften tendenziell dysfunktional. Andererseits<br />
gehen neoliberale Deregulierungen<br />
unter dem Vorzeichen des „freien Spiels der<br />
Kräfte des Marktes“ mit neuen Differenzierungen,<br />
Hierarchisierungen, Ein- und Ausgrenzungen<br />
einher. Letzteres legt die Vermutung nahe,<br />
dass die in diesem Kontext sich neu strukturie-
enden Geschlechterverhältnisse auch weiterhin<br />
- wenn auch in möglicherweise veränderten<br />
Formen - die beiden Genusgruppen in hierarchische<br />
Beziehungen zueinander setzen und<br />
auch weiterhin zur Legitimation anderer gesellschaftlicher<br />
Hierarchien dienen.<br />
2. Das Ende des Sozialismus zum einen und die<br />
Entwicklung Europas zu einem Wirtschaftsund<br />
politischen System zum anderen haben in<br />
diesem Jahrzehnt verstärkt und auf z.T. neue<br />
Weise Erfahrungen mit „ethnischen Konflikten“,<br />
mit Nationalismen und - wie der sog.<br />
„Kosovo-Krieg“ zeigte - der Weise ihrer „Befriedung“<br />
gebracht. Sie sind verbunden mit der<br />
Erfahrung von „Flüchtlingsströmen“ und von<br />
Migrationsbewegungen in die reichen Länder,<br />
die zum einen durch ein vereinigtes, grenzenloses<br />
Europa ihre Wirtschafts- und politische<br />
Macht vergrößern wollen, die zum anderen<br />
neue Grenzen gegenüber denen errichten, die<br />
bestimmten Normen nicht entsprechen. Wer<br />
StaatsbürgerInnenstatus und damit Anspruch<br />
auf bestimmte staatliche Leistungen hat, wer<br />
mit eingeschränkten Rechten als „ethnische<br />
Minderheit“ geduldet wird, wer einen EU-Pass<br />
hat und daher rein darf oder aber draußen<br />
bleiben muß – das sind Markierungen sozialer<br />
Differenzierungen, In- und Exklusionen, die<br />
(national institutionalisierte) Geschlechterungleichheiten<br />
in z.T. neuen Figurationen verorten.<br />
Denn das im Rahmen von Nationalstaatlichkeit<br />
und StaatsbürgerInnenrechten hervorgebrachte<br />
und institutionalisierte moderne<br />
Geschlechterverhältnis bringt nicht nur „nach<br />
innen“ die beiden Genusgruppen in ein hierarchisches<br />
Verhältnis, sondern es geht auch ein<br />
in ein komplexes Geflecht von asymmetrischen<br />
Machtbeziehungen, das ökonomisch, politisch,<br />
GESCHLECHTERVERHÄLTNISSE<br />
Prof. Dr. Irene Dölling<br />
29<br />
sozial grenzziehend, ein- und ausschließend,<br />
über- und unterordnend wirkt und in dem<br />
Frauen keineswegs nur und immer die Benachteiligten<br />
sind (dazu auch Gümen 1998).<br />
3. Gleichzeitig führt „Globalisierung“, wie u.a.<br />
Brigitte Young aufgezeigt hat, zu neuen „Gesellschaftsspaltungen“<br />
(Young 1998:192). Die Aufspaltungen<br />
in eine Arbeitsgesellschaft, die an<br />
den Nationalstaat geknüpft ist einerseits und<br />
eine Geldgesellschaft andererseits, die mit der<br />
Deregulierung der Finanzmärkte global agiert<br />
und vernetzt ist, führen zur „Erosion des Normalarbeitsverhältnisses“,<br />
zu einem Abbau sozialstaatlicher<br />
Leistungen u.a. durch ihre Privatisierung<br />
oder ihre tendenzielle Rückverlagerung<br />
in die Familie (d.h. in der Regel zu Lasten<br />
von Frauen). Sie führt z.B. zu einem Verlust von<br />
„staatlichen“ Arbeitsplätzen, die bisher besonders<br />
eine Frauendomäne waren. Diese Prozesse<br />
vertiefen einerseits auf vielfältige Weise<br />
geschlechtsspezifische Ungleichheiten (vgl.<br />
dazu u.a. Sassen 1998); zugleich entstehen<br />
neue soziale Differenzierungen - z.B. nach Qualifikationen<br />
und Alter, nach Besitzern oder<br />
Nichtbesitzern von Arbeitsplätzen (im primären<br />
Sektor) - die nicht unbedingt „geschlechtsneutral“<br />
sind, aber auch nicht in erster Linie entlang<br />
der Geschlechterdifferenz verlaufen (müssen).<br />
Im „System der ‘kumulativen Ungleichheit’“<br />
(Kurz-Scherf 1998:26) spielt<br />
„Geschlecht“ gewiss auch künftig eine gewichtige<br />
Rolle. Zugleich wird „Geschlecht“ als<br />
ungleichheiterzeugender Faktor in einem<br />
Geflecht von komplex wirkenden sozialen Differenzierungsfaktoren<br />
wirksam, die in einer<br />
globalisierten Welt, gebrochen durch regionale,<br />
nationale, kulturelle Besonderheiten, soziale<br />
Chancen zuweisen.
4. In den letzten Jahren sind soziale und kulturelle<br />
Veränderungen beobachtet worden, die in<br />
der Frauen- und Geschlechterforschung u.a. als<br />
„Verflüssigung“ von Geschlechterdifferenzen,<br />
als tendenzielle Dysfunktionalität von<br />
Geschlechterhierarchien bei der Einführung<br />
neuer Formen der Arbeitsorganisation (z.B.<br />
Gruppenarbeit, „flache Hierarchien“, Dezentralisierung)<br />
oder als „Feminisierung“ männlicher<br />
Erwerbsarbeit bzw. Erwerbsarbeiterbiografien<br />
im Zuge der Erosion des „Normalarbeitsverhältnisses“<br />
beschrieben wurden. Diese<br />
beobachtbaren Veränderungen, die auch zu<br />
Verschiebungen in den alltäglich praktizierten<br />
Geschlechterarrangements führen, haben die<br />
feministischen Debatten über die Chancen für<br />
mehr Geschlechterdemokratie in der „postindustriellen“<br />
Gesellschaft, für eine gerechtere<br />
Verteilung von Produktions- und Reproduktionsarbeit<br />
bzw. eine gesellschaftliche Umbewertung<br />
von Erwerbs- und häuslicher Arbeit<br />
(erneut) angeregt. Die in diesen Debatten entwickelten<br />
Visionen eines neuen „Geschlechtervertrages“<br />
sind allerdings nicht immer ausreichend<br />
in den Kontext der sich abzeichnenden<br />
gesellschaftlichen Umbrüche gestellt worden.<br />
Ingrid Kurz-Scherf hat auf das „strukturelle (s)<br />
Defizit an Solidarität“ (Kurz-Scherf 1998:34)<br />
hingewiesen, das modernen Gesellschaften<br />
innewohnt und unter den Bedingungen neoliberaler<br />
Deregulierung eine „Bedingung der<br />
Möglichkeit für das Auseinanderbrechen der<br />
sozialen Integration“ darstellt (ebd.). Dieses<br />
Defizit wird institutionell wie lebensweltlich stabil<br />
gehalten und reproduziert nicht zuletzt<br />
durch eine „Dominanzkultur“ (Rommelspacher),<br />
die insofern „männlich“ ist, als sie den<br />
Stoffwechselprozeß mit der Natur als gewaltför-<br />
GESCHLECHTERVERHÄLTNISSE<br />
Prof. Dr. Irene Dölling<br />
30<br />
mige Beherrschung von Natur und Arbeit,<br />
Macht als Herrschaft und Unterwerfungsmacht,<br />
Staat als obrigkeitliche Staatsbürokratie und<br />
Ökonomie im Sinne von Konkurrenz konstruiert,<br />
normiert und normalisiert (vgl. Kurz-<br />
Scherf a.a.O.:35).<br />
Diese „männliche Dominanzkultur“ war in der<br />
bisherigen Geschichte moderner Gesellschaften<br />
direkt verknüpft mit Dominanzverhältnissen zwischen<br />
Männern und Frauen. Unter den gegenwärtigen<br />
Bedingungen kann sich diese Verknüpfung<br />
durchaus lockern oder in bestimmten Bereichen<br />
sogar auflösen, ohne daß die männliche Dominanzkultur<br />
damit verschwindet oder auch nur an<br />
Bedeutung verliert. Denkbar ist nach Kurz-Scherf<br />
z.B. ein Szenario, in dem eine wachsende Kluft<br />
zwischen einer superreichen Elite und einer ökonomisch<br />
und kulturell pauperisierten, Armutsrisiken<br />
ausgesetzten Bevölkerung zu neuen Ungleichheiten<br />
führt. Dabei können sich bisherige Differenzierungslinien<br />
entlang „Geschlecht“ durchaus<br />
„verflüssigen“ in dem Sinne, daß „unten“, in den<br />
weniger mächtigen Segmenten der Gesellschaft,<br />
Geschlechterhierarchien abgebaut werden, nicht<br />
zuletzt auch unter dem Druck von Frauen, die auf<br />
Gleichstellung pochen. Zugleich aber kann die<br />
Dominanzkultur zur Legitimierung der Bestrebungen<br />
der mächtigen Eliten dienen, sich „aus<br />
dem sozialen Zusammenhang der modernen<br />
Gesellschaften“ (ebd.:38) auszukoppeln, also<br />
Solidarität aufzukündigen. Diese mit den Normativen<br />
der Dominanzkultur legitimierten neuen<br />
Ungleichheiten können also ein „gender-crossing“<br />
„oben“ wie „unten“ einschließen, ohne daß<br />
die Geschlechterdifferenz bzw. die „Vergeschlechtlichung“<br />
sozialer Wirklichkeiten aufgehoben<br />
sein müssen.
Ich habe bisher einige beobachtbare sozial-ökonomische<br />
Prozesse skizziert, die m.E. die gegenwärtige<br />
Neufiguration des Geschlechterverhältnisses<br />
wesentlich beeinflussen (werden). Diese Neufiguration<br />
zu analysieren und angemessen auf den<br />
Begriff zu bringen, stellt auch neue Herausforderungen<br />
an die Frauen- und Geschlechterforschung,<br />
ihre Konzepte und Denkformen dar. Die<br />
grob umrissenen Transformationsprozesse gegenwärtiger<br />
moderner Gesellschaften machen mehr<br />
denn je deutlich, daß der „Gegenstand“ von Frauen-<br />
und Geschlechterforschung weder auf Frauen<br />
und Männer, noch auf die je historisch produzierten<br />
Verhältnisse zwischen den beiden Genusgruppen<br />
reduziert werden kann. Zugleich haben die in<br />
den 90er Jahren auch in der deutschen Frauenund<br />
Geschlechterforschung geführten Debatten<br />
um „Geschlecht“ als eine soziale/kulturelle Konstruktion<br />
verdeutlicht, wie notwendig eine veränderte/erweiterte<br />
Sicht der Frauen- und Geschlechterforschung<br />
auf ihre Erkenntnisgegenstände und<br />
-mittel ist, nicht zuletzt, um solchen Herausforderungen<br />
begegnen zu können.<br />
Zu den Besonderheiten der deutschen Frauenforschung,<br />
wie sie sich seit den 70er Jahren entwickelte,<br />
gehört ihr explizit gesellschaftstheoretischer<br />
Anspruch. Sie versteht „Geschlecht“ nicht<br />
nur als eine „Strukturkategorie im Sinne eines<br />
Schichtungskriteriums, das soziale Ungleichheit<br />
anzeigt“ (Becker-Schmidt/Knapp 1995:11), also<br />
als einen nützlichen Begriff für die (sozialwissenschaftliche)<br />
Analyse von Beziehungen bzw. Verhältnissen<br />
zwischen Männern und Frauen.<br />
„Geschlecht“ ist zugleich auch konzipiert als eine<br />
grundlegende gesellschaftstheoretische Kategorie<br />
- d.h. „Geschlecht“ wird sehr viel allgemeiner verstanden<br />
als ein Modus und eine Praxis der Konstituierung<br />
sozialer Wirklichkeiten. Keine Gesell-<br />
GESCHLECHTERVERHÄLTNISSE<br />
Prof. Dr. Irene Dölling<br />
31<br />
schaftstheorie und keine soziologische Analyse -<br />
so das Diktum und der Anspruch von Frauenforschung<br />
- könne ohne den Begriff „Geschlecht“<br />
und ohne ein theoretisches Konstrukt von<br />
„Geschlechterverhältnis“ auskommen. Mit dieser<br />
Konzipierung von „Geschlecht“ als einer „Strukturkategorie“<br />
stand und steht Frauen- und<br />
Geschlechterforschung immer vor der Schwierigkeit,<br />
einerseits den Blick auf das institutionalisierte<br />
Geschlechterverhältnis und seine hierarchisierenden<br />
Wirkungen in allen gesellschaftlichen<br />
Bereichen zu richten und andererseits den Blick<br />
nicht auf die qua „Geschlecht“ erzeugten<br />
Ungleichheiten und Diskriminierungen zu verengen.<br />
Dieser Spagat ist ihr keineswegs immer<br />
gelungen, vielmehr lassen sich grob zwei parallele<br />
Entwicklungen ausmachen.<br />
Einerseits ist viel theoretische Arbeit geleistet worden,<br />
um die Kategorie „Geschlecht“ zu qualifizieren.<br />
Indem „Geschlecht“ als Erkenntnismittel verstanden<br />
wird, das die Klassifizierung von Menschen<br />
als einer sozialen Genusgruppe zugehörig<br />
zu analysieren erlaubt, verschiebt sich konzeptionell<br />
die <strong>Perspektive</strong>: es geht darum, nach dem<br />
„Wie“, nach den Institutionalisierungen und den<br />
Praxen zu fragen, mittels derer und in denen die<br />
Angehörigen der beiden Genusgruppen in hierarchische<br />
Verhältnisse zueinander gebracht werden.<br />
Es geht darum, nach den Institutionalisierungen<br />
und den Praxen zu fragen, mittels derer und<br />
in denen sich Individuen als „weibliche“ bzw.<br />
„männliche“ Subjekte hervorbringen. Nicht Männer<br />
oder Frauen sind Erkenntnisgegenstände bzw.<br />
Erkenntnissubjekte, sondern „Geschlecht“ als ein<br />
Modus der Klassifizierung und der Konstruktion<br />
von vergeschlechtlichten sozialen Wirklichkeiten<br />
rückt ins Zentrum. In diesem Kontext verändern<br />
bzw. verschieben sich auch die analyseorientie-
enden Begriffe, mit denen empirische Untersuchungen<br />
konzeptionell „gerahmt“ werden: nicht<br />
„die“ unterdrückte und diskriminierte Frau bzw.<br />
„der“ unterdrückende Mann, nicht „Frauen“<br />
und/oder „Männer“ sondern das Geschlechterverhältnis,<br />
damit die Relationalität zwischen den<br />
sozial strukturierten Beziehungen zwischen Männern<br />
und Frauen, nicht die Unterdrückung und<br />
Diskriminierung des einen Geschlechts als gegebenes<br />
Faktum, sondern Prozessualität im Verhältnis<br />
der Geschlechter und der jeweiligen Machtbalancen,<br />
nicht lineare und eindeutige Entwicklungen,<br />
sondern Ungleichzeitigkeiten in der sozialen<br />
Hervorbringung von geschlechtsspezifischen bzw.<br />
von „gendered“ Wirklichkeiten, sind die Dimensionen,<br />
die mit dem Begriff „Geschlecht“ gefasst<br />
werden. Mit diesen theoretisch-konzeptionellen<br />
Anstrengungen um die Kategorie „Geschlecht“ hat<br />
Frauen- und Geschlechterforschung einen<br />
gewichtigen Beitrag für eine „geschlechtersensible“<br />
(Krüger 1997) Soziologie bzw. Sozialwissenschaft<br />
geleistet: „Geschlecht“ ist kein eingrenzbarer<br />
Gegenstand soziologischer oder sozialwissenschaftlicher<br />
Untersuchung, sondern ein wirklichkeitserzeugender<br />
Modus, der in allem Sozialen<br />
wirkt. Mit „Geschlecht als Strukturkategorie“ ist<br />
damit konzeptionell angedacht, was in den 90er<br />
Jahren dann mit dem Terminus der „Vergeschlechtlichung“<br />
weitergeführt wird: alle gesellschaftlichen<br />
Verhältnisse sind „vergeschlechtlicht“,<br />
das Geschlechterverhältnis wird in allen<br />
gesellschaftlichen Verhältnissen hervorgebracht<br />
und reproduziert (vgl. dazu Becker-Schmidt<br />
1998). Mit diesen „Potential analytischer Öffnungen“<br />
(Gümen 1998:188) ist die „Strukturkategorie<br />
Geschlecht“ anschlussfähig an Konzepte, die<br />
den Blick auf die kulturelle Konstruktion von<br />
„Geschlecht“ oder auf die Hervorbringung „ver-<br />
GESCHLECHTERVERHÄLTNISSE<br />
Prof. Dr. Irene Dölling<br />
32<br />
geschlechtlichter“ Wirklichkeiten im praktischen<br />
Handeln sozial unterschiedlich positionierter<br />
AkteurInnen richten.<br />
Allerdings und andererseits wird das „Potential<br />
analytischer Öffnungen“ begrenzt, indem die Analyse<br />
auf die (ungleichen) Beziehungen zwischen<br />
Frauen und Männern beschränkt und vor allem,<br />
indem dabei - mehr oder weniger unreflektiert -<br />
Geschlecht „immer schon als sozial dominantes<br />
Ungleichheitsmerkmal festgeschrieben wird“<br />
(Engler 1997:153). Wie Sedef Gümen aufgezeigt<br />
hat, kann sich die Konzeptualisierung von<br />
„Geschlecht“ als einer Strukturkategorie in dem<br />
Sinne, daß Privilegierung oder Benachteiligung<br />
qua Geschlecht ein durchgehendes, ungleichheiterzeugendes<br />
Prinzip und Geschlechterhierarchie<br />
bzw.- -ungleichheit der „ausschließliche Rahmen<br />
feministischer Theorie“ ist (Gümen 1998:190),<br />
als ein Engpaß erweisen. Z.B. werden so zwar<br />
einerseits ethnisch bedingte Differenzierungen<br />
zwischen Frauen in den Blick genommen, diese<br />
werden aber andererseits zu einem Sonderphänomen,<br />
das „nur für die ‘Betroffenen’ gültig“ ist<br />
(ebd.: 196), wenn in der „Strukturkategorie<br />
Geschlecht“ die „(zentrierte) Geschlechterungleichheit<br />
zum Strukturrahmen“ (ebd.) erhoben<br />
wird. Auch die Privilegierungen, die weiße, westeuropäische<br />
Frauen verglichen mit Immigrantinnen<br />
oder (Gruppen von) Frauen (und Männern)<br />
in der sog. Dritten Welt aufgrund ihrer Nationalität<br />
bzw. ihres Staatbürgerinnenstatus geniessen,<br />
treten eher in den Hintergrund der Wahrnehmung…<br />
Um die oben skizzierten komplexen sozio-ökonomischen<br />
Entwicklungen, die zu einer Neu-Formierung<br />
des modernen Geschlechterverhältnisses<br />
führen, als Herausforderung an die Analysekraft<br />
von Frauen- und Geschlechterforschung anneh-
men zu können, scheint mir daher unabdingbar,<br />
erstens das Potential der Kategorie „Geschlecht“<br />
als Erkenntnismittel für Analysen zu nutzen, auf<br />
wie vielfältige Weise, und tendenziell auch<br />
abgelöst von „Dominanzverhältnissen zwischen<br />
Männern und Frauen und deren Wandel“, gegenwärtig<br />
vergeschlechtlichte soziale Wirklichkeiten<br />
im Handeln von Menschen produziert und institutionalisiert<br />
werden. Dies wäre im übrigen auch<br />
eine wissenschaftliche Fundierung und Unterstützung<br />
des politischen „Gender-Mainstreaming“ -<br />
Ansatzes. Dieses Projekt der „Frauen- und<br />
Geschlechterpolitik auf EU-Ebene“ zielt darauf ab,<br />
„Geschlecht“ als eine Dimension in alle (politischen)<br />
Entscheidungen von vornherein einzubeziehen<br />
(vgl. Stiegler 1999). Das wiederum setzt<br />
eine entsprechende Kompetenz voraus, die „vergeschlechtlichenden“<br />
Dimensionen von Organisationen,<br />
Institutionen und den in ihnen getroffenen<br />
Entscheidungen sowie im Handeln von AkteurInnen<br />
ausmachen und benennen zu können.<br />
Zweitens stellt die notwendig zu leistende Aufgabe<br />
bzw. der formulierte Anspruch von Frauen- und<br />
Geschlechterforschung, die vielfältigen Weisen<br />
des „gendering“ im Handeln ebenso wie die Wirkungen<br />
von „gendered“ Institutionen auf das<br />
Handeln von Menschen umfassend in den Blick<br />
zu nehmen, auch neue Anforderungen an deren<br />
Integrationsfähigkeit in das wissenschaftliche<br />
Feld. Nicht allein erfordert diese erweiterte <strong>Perspektive</strong><br />
Inter- oder Transdisziplinarität (vgl. Hark<br />
1998). Notwendig ist auch, das kritische Potential<br />
von Frauen- und Geschlechterforschung unter<br />
den veränderten Bedingungen durch eine stärkere<br />
Verknüpfung mit anderen herrschaftskritischen<br />
wissenschaftlichen Projekten zu bewahren,<br />
auszubauen bzw. neu zu konturieren. Zu fragen ist<br />
weiter, ob Frauen- und Geschlechterforschung die<br />
GESCHLECHTERVERHÄLTNISSE<br />
Prof. Dr. Irene Dölling<br />
33<br />
komplexen Zusammenhänge aktueller sozialer<br />
Wirklichkeiten angemessen auf deren „vergeschlechtlichte“<br />
bzw. „vergeschlechtlichende“<br />
Dimensionen hin analysieren kann ohne eine<br />
stärkere Verbindung mit bzw. Integration in den<br />
sog. mainstream ihrer jeweiligen Disziplinen.<br />
Oder umgekehrt: ob ihr Anspruch, „Geschlecht“<br />
als einen Modus und eine Praxis zur Erzeugung<br />
von sozialen Wirklichkeiten zu verstehen, nicht<br />
erst dann voll zur Geltung und zur Wirkung kommen<br />
kann, wenn er als ein Mittel zur Erkenntnis<br />
komplexer Zusammenhänge konzeptionell und<br />
methodisch eingesetzt wird. Hier steht allerdings<br />
eher die Bewegung des sog. mainstream in Richtung<br />
auf Frauen- und Geschlechterforschung auf<br />
der Tagesordnung, als umgekehrt. Schließlich<br />
geht es auch um die Frage nach der „richtigen“,<br />
d.h. langfristig wirksamen Institutionalisierung<br />
von Frauen- und Geschlechterforschung im wissenschaftlichen<br />
bzw. universitären Feld. Die zur<br />
Zeit beobachtbaren, mehr oder minder erfolgreichen<br />
Bestrebungen, Frauen- und Geschlechterforschung<br />
an deutschen Universitäten durch die Einrichtung<br />
von Studiengängen stärker zu institutionalisieren,<br />
können einerseits als Ausdruck gestiegener<br />
Anerkennung und Legitimität gesehen werden<br />
und als eine Möglichkeit, die Existenz von<br />
Frauen- und Geschlechterforschung in Zeiten<br />
knapper Ressourcen und des Einzugs marktwirtschaftlicher<br />
Kriterien und Steuerungsinstrumente<br />
in den Wissenschafts“betrieb“ zu sichern. Andererseits<br />
ist Sicherheit damit keineswegs garantiert<br />
und vor allem bleibt offen, ob Frauen- und<br />
Geschlechterforschung mit einer solchen institutionalisierten<br />
„Separierung“ ihren Anspruch, das<br />
Projekt einer „geschlechtersensiblen“ Sozialwissenschaft<br />
bzw. allgemeiner: Wissenschaft vorantreiben<br />
zu wollen, einlösen kann.
Literatur<br />
Becker-Schmidt, Regina: Frauen und Deklassierung.<br />
Geschlecht und Klasse. In: Beer, Ursula<br />
(Hrg.): Klasse Geschlecht. Feministische Gesellschaftsanalyse<br />
und Wissenschaftskritik. Bielefeld:<br />
AJZ-Verlag/FF1 1987, S. 187-235<br />
Becker-Schmidt, Regina: Relationalität zwischen<br />
den Geschlechtern, Konnexionen im Geschlechterverhältnis.<br />
In: Zeitschrift für Frauenforschung,<br />
H. 3/1998, S. 5-<strong>21</strong><br />
Becker-Schmidt, Regina: Frauenforschung,<br />
Geschlechterforschung, Geschlechterverhältnisforschung.<br />
In: Becker-Schmidt, Regina/ Knapp,<br />
Gudrun-Axeli: Feministische Theorien zur Einführung.<br />
Hamburg: Junius 2000, S. 14-62<br />
Becker-Schmidt, Regina/ Knapp, Gudrun-Axeli<br />
(Hrg.): Das Geschlechterverhältnis als Gegenstand<br />
der Sozialwissenschaften. Einleitung. Frankfurt/Main,<br />
New York: Campus Verlag 1995, S. 7-<br />
18<br />
Christmann, Stefanie: Bloß keine fünfte Weltfrauenkonferenz.<br />
In: FREITAG, Nr. 23 vom 2. Juni<br />
2000, S. 18<br />
Engler, Steffani: Geschlecht in der Gesellschaft -<br />
Jenseits des ‘Patriarchats’. In: Kneer, Georg/Nassehi,<br />
Armin/Schroer, Markus (Hrg.): Soziologische<br />
Gesellschaftsbegriffe. Konzepte moderner<br />
Zeitdiagnosen. München: Wilhelm Fink Verlag<br />
1997, S. 127-156<br />
GESCHLECHTERVERHÄLTNISSE<br />
Prof. Dr. Irene Dölling<br />
34<br />
Gümen, Sedef: Das Soziale des Geschlechts. Frauenforschung<br />
und die Kategorie der „Ethnizität“.<br />
In: Das Argument, Bd. 224/1998, 187- 201<br />
Hark, Sabine (1998): Disziplinäre Quergänge -<br />
(Un)Möglichkeiten transdisziplinärer Frauenund<br />
Geschlechterforschung. In: Potsdamer Studien<br />
zur Frauen- und Geschlechterforschung, H. 2,<br />
S. 9-25<br />
Jahrhundertreformen im Jahrhundert der Frau.<br />
Antrag des ASF-Bundesvorstandes zur ASF-Bundeskonferenz<br />
vom 19. bis <strong>21</strong>. Mai in Potsdam. In:<br />
Feminismus neu denken? Frauenthemen. Informationen<br />
der SPD, Nr. 31, Mai 2000, S. 2-3<br />
Krüger, Helga: Gendersensible Chancenforschung.<br />
In: ISO-Informationen, Nr. 8/Januar<br />
1997, S. 17-24<br />
Kurz-Scherf, Ingrid (1998): Krise des Sozialstaats<br />
- Krise der patriarchalen Dominanzkultur. In:<br />
Zeitschrift für Frauenforschung, Sonderheft 1, S.<br />
13-48<br />
Odierna, Simone: Die heimliche Rückkehr der<br />
Dienstmädchen. Bezahlte Arbeit im privaten<br />
Haushalt. Opladen: Leske+Budrich 2000<br />
Sassen, Saskia (1998): Überlegungen zu einer<br />
feministischen Analyse der globalen Wirtschaft.<br />
In: Prokla 111: Globalisierung und Gender, 28<br />
(1998), 2, S. 199-<strong>21</strong>6
Stiegler, Barbara (1999): Frauen im Mainstreaming<br />
- Politische Strategien und Theorien zur<br />
Geschlechterfrage. In: Informationen der SPD,<br />
Frauenthemen, Nr. 29/Juni 1999, S. 7-13<br />
Wagner, Peter: Soziologie der Moderne. Freiheit<br />
und Disziplin. Frankfurt/Main, New York: Campus<br />
Verlag 1995<br />
Young, Brigitte(1998): Genderregime und der<br />
Staat in der globalen Netzwerkökonomie. In: Prokla<br />
111: Globalisierung und Gender, 28 (1998),<br />
2, S. 175-199<br />
GESCHLECHTERVERHÄLTNISSE<br />
Prof. Dr. Irene Dölling<br />
35<br />
Prof. Dr. Irene Dölling ist Professorin am Lehrstuhl<br />
für Frauenforschung der Universität Potsdam.<br />
www.uni-potsdam.de/u/<br />
frauenforschung/index.htm
Kürzlich war ich als Moderatorin zu einem sogenannten<br />
Generationsgespräch eingeladen. Die originelle<br />
Idee der Gesprächsrunde bestand in Folgendem:<br />
Abiturientinnen befragten gestandene<br />
Frauen mit lokaler Bekanntheit, wie sie sich<br />
durchs Leben gekämpft hatten.<br />
Und was interessierte die jungen Frauen? Was sind<br />
ihre Fragen ans Leben:<br />
Wie haben Sie Ihren Beruf gefunden? Wann haben<br />
Sie ihre Kinder bekommen? Wie ging das Kind und<br />
Beruf? Wie haben Sie Ihre finanzielle Unabhängigkeit<br />
bewahrt? Warum haben Sie eine politische<br />
Karriere gemacht?<br />
Für Bärbel Lamprecht, Jahrgang 58 aus heutiger<br />
<strong>Perspektive</strong> zwar verständliche Fragen, die sie sich<br />
bei ihrer Lebensplanung jedoch niemals stellen<br />
mußte. Sie hatte Theologie studiert - wie ihr Vater,<br />
sie hatte während des Studium ihren Mann ken-<br />
THEMA<br />
ANDERE FRAUEN –<br />
ANDERE THEMEN<br />
von Katrin Rohnstock,<br />
Autorin und Herausgeberin in Berlin<br />
36<br />
nengelernt, geheiratet, zwei Kinder bekommen,<br />
das Studium beendet und eine Pfarrstelle angenommen.<br />
All dies war ganz selbstverständlich, ganz<br />
normal. Auch Edith Baumann, Jahrgang 37, erinnert<br />
sich an andere Fragen, die sie in der Phase<br />
des Erwachsenwerdens beschäftigten: Sie verzichtete<br />
auf das ihr nahegelegte Medizinstudium, weil<br />
sie für ihr gleich nach dem Abitur geborenes Kind<br />
Zeit haben wollte, sie blieb drei Jahre zu Hause<br />
und absolvierte dann die Fachschule als Medizinisch<br />
- technische Assistentin. Natürlich kennen<br />
die Abiturientinnen diese einfachen Selbstverständlichkeiten<br />
aus den Erzählungen ihrer Mütter und<br />
doch stellt sich die Situation für sie heute ganz<br />
anders dar. Für sie ist klar: Als erstes ein Studium.<br />
Aber welches? Welches wird ihnen Freude bereiten,<br />
welches wird Arbeit bringen, welche Arbeit<br />
kann den Lebensunterhalt erwirtschaften.
ANDERE FRAUEN – ANDERE THEMEN<br />
Katrin Rohnstock<br />
Nein, auf einen Mann wollten sich alle drei junge<br />
Frauen diesbezüglich nicht verlassen. Unvorstellbar<br />
für sie: Finanziell abhängig zu sein. Lieber<br />
wollten sie auf Kinder verzichten auf Kinder, von<br />
denen sie ohnehin keine Vorstellungen haben,<br />
wann sie passen. Auf jeden Fall: Sie wollten schon<br />
Kinder, doch erst, wenn sie passen.<br />
Ein bißchen Ratlosigkeit lag in den Stimmen der<br />
jungen Frauen. In das Selbstbewußtsein mischte<br />
sich ein Tupfer Angst. Die alten Lebensvorstellung<br />
sind lebensfremd geworden, sie sind mit den postmodernen<br />
Realitäten nicht kompatibel.<br />
Und neue Vorstellungen, die trotz drohender<br />
Arbeitslosigkeit, trotz Flexibilisierungsdruck die<br />
Fragen nach den Kindern beantworten, haben sich<br />
noch nicht herausgebildet. Der Gesellschaft sind<br />
die Orientierungen ausgegangen. Nicht die ökonomischen.<br />
Es mangelt an Zukunftsvisionen für das<br />
menschliche Zusammenleben. Zum Leidwesen<br />
derer, die das größte Pensum an Zukunft vor sich<br />
haben.<br />
Je kleiner die Zeitspanne, die vor einem liegt, um<br />
so geringer die Bedeutung von Zukunft. Dementsprechend<br />
reagierten die beiden lebenserfahrenen<br />
ostdeutschen Frauen: Sie verstanden zwar die Ängste<br />
der Jungen, dennoch versuchten sie, mit moralischen<br />
Argumenten zu beschwichtigen: Man müsse<br />
auch mal auf etwas verzichten. Worauf verzichten?<br />
Auf die Arbeit, auf einen Beruf.<br />
Plötzlich meldete sich eine Frau mag sie Ende 40<br />
sein – aus dem Publikum zu Wort. Sie berichtete,<br />
daß sie jetzt – nach einer fast zwanzigjährigen<br />
Familienphase – neue Lebensformen suche, eine<br />
größere Gemeinschaft; daß sie sogar überlege, ihr<br />
vor zwanzig Jahren abgebrochenes Studium wieder<br />
aufzunehmen.<br />
Natürlich war sofort klar, daß dieser biographische<br />
Ablauf kein östlicher ist. Lebenslinien, die<br />
37<br />
unterschiedlicher gar nicht sein können. 50 Jahre<br />
Kulturdifferenz. Davon 40 Jahre in zwei Systemen,<br />
die in den anschließenden zehn Jahren staatlicher<br />
Einheit noch einmal verfestigt wurden.<br />
Doch was ist in den letzten zehn Jahren zwischen<br />
den Frauen Ost und den Frauen West passiert?<br />
Nach dem Fall der Mauer überrollte der Westen<br />
den Osten mit seinen Waren, seinen Medien, seinen<br />
Werten und Vorstellungen.<br />
Gegen die westliche Vereinnahmung versuchten<br />
wir zunächst ostdeutsche Identität zu bewahren<br />
oder besser, überhaupt erst einmal zu entwickeln.<br />
Im Westen hatten sich Frauen-Themen langfristig<br />
profiliert: § <strong>21</strong>8, Missbrauch, Pornographie, Ausländerinnen.<br />
Unsere Themen konnten das nicht<br />
sein, unser Erfahrungshintergrund, unser Bild von<br />
der Welt war ein anderes. Im Unabhängigen Frauenverband<br />
hatten wir uns immer wieder mit dem<br />
westlichen Blick auf DDR-Wirklichkeit auseinander<br />
zu setzen und machten die Erfahrung, dass die<br />
feministischen Darstellungen unsere Lebenstatsachen<br />
in dieselben Klischees pressten, die überall in<br />
den Westmedien konstruiert wurden (und zum Teil<br />
bis heute noch konstruiert werden): die Kinderkrippen<br />
als Verwahr-Anstalten, die DDR als Patriarchat<br />
der SED-Funktionäre, die Ost-Männer als<br />
bierbäuchige Pantoffelhelden in Rundstrickhosen,<br />
die Ost-Mütter von der Doppelbelastung ausgemergelt,<br />
die bedauernswerten Alleinerziehenden<br />
vor allem!<br />
Die Grenzen verschwimmen. Es ist nicht auszumachen,<br />
welche Bilder von West-Frauen und welche<br />
von West-Männern konstruiert wurden. Westerfahrungen<br />
und -sichten wurden rigoros auf den Osten<br />
übertragen.<br />
Uns fehlte Schlagfertigkeit, uns fehlten präsentable<br />
Darstellungsformen. Uns fehlten griffige Interpre-
ANDERE FRAUEN – ANDERE THEMEN<br />
Katrin Rohnstock<br />
tationen, wir lavierten unsicher, erzählten statt dessen<br />
Geschichten aus dem Alltag.<br />
Unspektakuläre Alltagsgeschichten sind nicht<br />
geeignet für die heutige Medienlandschaft. Es<br />
bedarf provokanter Thesen, überspitzter Darstellungen,<br />
die den Zeitgeist bedienen oder aber als<br />
Provokation gegen ihn funktionieren.<br />
Unsere Vergangenheit, unsere Sozialisation bot<br />
sich als noch unbearbeiteter Stoff dar. Wir suchten<br />
eigene Deutungsmuster. Die zu entwickeln,<br />
braucht Zeit und Selbstvertrauen in das eigene<br />
Urteil, dazu gehört auch der Mut, sich auf Auseinandersetzungen<br />
einzulassen und Angriffen auszusetzen.<br />
Das bedeutet, dem westlichen Definitionsanspruch<br />
einen eigenen entgegenzusetzen. Doch<br />
das Ost-West-Problem zwischen den Frauen war<br />
nicht nur ein Kommunikationsproblem als das es<br />
gern dargestellt und verniedlicht wird. Es ging um<br />
Macht und Ohnmacht. Also darum: Wer setzt sich<br />
durch, wer ist der Sieger, wer der Verlierer. Diese<br />
Fragen wurden wie so oft in der deutschen<br />
Geschichte auf der moralischen Ebene ausgetragen:<br />
Wer ist der bessere Mensch, wer war glücklicher?<br />
Wer hatte ein reicheres Leben?<br />
Die Frauen, die auf die Straße gegangen sind, um<br />
gegen den § <strong>21</strong>8 zu kämpfen? Die Frauen, die sich<br />
ganz den Kindern widmeten? Oder die Frauen, die<br />
nie um irgendetwas öffentlich kämpfen brauchten?<br />
Die gearbeitet haben und ihre Kinder aufzogen<br />
nicht mehr und auch nicht weniger. Ein kleines<br />
bescheidenes Glück, ohne Karriere, ohne Weltumsegelung,<br />
ohne New York, ohne den Duft von Chanel,<br />
ohne Handtasche von Armani oder Birkenstockschuhe.<br />
Die Mädchen sind ohne den Traum<br />
vom Märchenprinzen aufgewachsen, der Junge von<br />
nebenan füllte unsere Träume. Ohne den Schmelz<br />
von Rama, die die Sonnenstudio gebräunte Mutter<br />
auf dem sonntäglichen Tisch kredenzt.<br />
38<br />
Die Erwerbsarbeit hat in den letzten Jahren wie<br />
kein anderes Thema die ostdeutschen Frauen<br />
beschäftigt, denn hierin liegen generell die Möglichkeiten<br />
und Grenzen der Selbstentfaltung von<br />
Frauen (und Männern). Ja man könnte sagen, dass<br />
die bedrohte Berufstätigkeit zum frauenpolitischen<br />
Sprengstoff wurde. Dies hat vor allem damit zu tun,<br />
dass der politische, soziale und wirtschaftliche<br />
Transformationsprozess von Anfang an auch von<br />
dem Risiko begleitet war, dass Frauen ihre bis<br />
dahin selbstverständliche finanzielle Unabhängigkeit<br />
verlieren, ihre Integration in die Arbeitswelt<br />
aufgeben, dass sie die Entwertung ihrer Qualifikationen<br />
bis hin zum wiederholten Verlust ihres<br />
Arbeitsplatzes hinnehmen mussten. Die Themen<br />
Erwerbsarbeit und qualifizierte Berufstätigkeit<br />
haben die ostdeutschen Frauen gleichermaßen<br />
politisiert wie der Kampf gegen den § <strong>21</strong>8 die westdeutschen<br />
Frauen.<br />
In dieser Frage sind sich die meisten Frauen einig.<br />
Trotz des Imports massiver Ressentiments gegen<br />
weibliche Erwerbstätigkeit ließen sich ostdeutsche<br />
Frauen nicht von ihrem Erwerbswunsch abbringen.<br />
Und die jungen Frauen, wie an den Abiturientinnen<br />
beim Generationsgespräch zu sehen war,<br />
haben es ebenfalls zum zentralen Lebensthema<br />
gemacht.<br />
Neben der sozial-psychologischen Bedeutung von<br />
Berufstätigkeit, spielt selbstverständlich auch der<br />
finanzielle Faktor eine entscheidende Rolle.<br />
Die überwiegende Mehrheit der ostdeutschen<br />
Frauen und Männer haben keinen Besitz und können<br />
nicht auf Ersparnisse zurückgreifen, das heißt,<br />
sie haben auch kaum andere Möglichkeiten, als<br />
durch Erwerbsarbeit oder staatliche Hilfen ihre<br />
Existenz zu sichern.<br />
Die Erben-Generation, von der in den Medien jetzt<br />
soviel die Rede ist, ist westlicher Abstammung. Die
ANDERE FRAUEN – ANDERE THEMEN<br />
Katrin Rohnstock<br />
gestandenen ostdeutschen Frauen wissen, dass das<br />
von ihnen bislang praktizierte Partnerschaftsmodell<br />
(Schaeffer-Hegel), das auf der beruflichen und<br />
finanziellen Selbständigkeit beider Partner beruht<br />
und das die Teilung der Familienarbeit zur Folge<br />
hat, gefährdet ist, sobald die Frau erwerbslos wird.<br />
Damit gibt sie auch ihre Position als Geschäftsführerin<br />
der Familie aus der Hand. Deshalb widersetzen<br />
sich ostdeutsche Frauen mehrheitlich einer<br />
gesellschaftlichen Struktur, die letztlich dazu führt,<br />
dass die Erziehung des Nachwuchses wie ein privates<br />
Hobby der weiblichen Mitglieder der Gesellschaft<br />
behandelt wird. Und die jungen, bildungswilligen<br />
Frauen widersetzen sich dem Modell, in<br />
dem sie Kinder aus ihrer Lebensplanung ausklammern.<br />
Hoffentlich nicht so lange, bis die biologischen<br />
Uhren abgelaufen sind unsere Abiturientinnen<br />
haben ja dafür noch etwas Zeit.<br />
Die Familie als Erziehungsgemeinschaft ernst zu<br />
nehmen, bedeutet nicht nur, Erziehungsaufgaben<br />
als öffentliche Leistung anzuerkennen und zu<br />
unterstützen, sondern auch dafür zu sorgen, dass<br />
das Erziehungs- und Familienproblem nicht allein<br />
den Frauen überlassen bleibt, dass es durch einen<br />
entsprechenden Zuwachs an väterlicher Fürsorge<br />
und Zeit partnerschaftlich geteilt wird.<br />
Aus dieser Einsicht heraus habe ich mit meinem<br />
Medienbüro auch die Redaktion für die Väterzeitschrift<br />
PaPS übernommen. Gemeinsam mit dem<br />
verantwortlichen Redakteur Dietmar Bender und<br />
dem in Stuttgart sitzenden Herausgeber Werner<br />
Sauerborn wird die Zeitschrift erarbeitet. Sie ist ein<br />
echtes Gemeinschaftswerk für ein partnerschaftliches<br />
Verhältnis zwischen Männern und Frauen,<br />
zwischen Ost und West. Insofern ist sie auch mit<br />
ihrem redaktionellen Konzept zukunftsweisend: Sie<br />
stellt Männer als Väter in den Mittelpunkt. Wahrscheinlich<br />
ist es kein Zufall, dass nun Christine<br />
39<br />
Bergmann als Frau aus dem Osten als erste Frauenministerin<br />
in der Geschichte der Bundesrepublik<br />
eine Väterkampagne initiiert.<br />
Denn Fortschritte in der Gleichstellung der<br />
Geschlechter lassen sich langfristig nur durchsetzen,<br />
wenn auch die Bedürfnisse der Männer<br />
berücksichtigt werden und damit ein Bewusstseinswandel<br />
bei ihnen einsetzen kann. Männerpolitik<br />
müsste vielfältige flankierende Maßnahmen<br />
zur Erleichterung der Einarbeitung von Männern<br />
in ein partnerschaftliches Rollenverständnis entwickeln.<br />
Männerpolitik muss Männern die Vorteile der<br />
Gleichstellung erklären und die damit verbundenen<br />
Lebensentwürfe für sie attraktiv machen. Die<br />
aktuelle Kampagne des Familienministeriums NRW<br />
titelt deshalb treffend an Väter gerichtet: Verpass<br />
nicht die Rolle deines Lebens und setzt Männer mit<br />
Kindern ins Bild. Die Zeit drängt auf einen Rollenwandel.<br />
Auch Angela Merkel symbolisiert als Nachfolgerin<br />
von Kohl, dem ewigen Patriarchen, einen weit reichenden<br />
gesellschaftlichen Paradigmenwechsel.<br />
Selbstverständlich kann Frau Merkel als gelungener<br />
parteipolitischer Schachzug abgetan werden,<br />
doch wenn sie nicht auch mit ihrer Kultur in die<br />
heutige Zeit paßte, nicht nur im Geschlechter-Rollenverständnis,<br />
auch im Politik- und Lebensverständnis.<br />
Vielleicht ist die Interpretation zu euphorisch, diese<br />
beiden Politikerinnen zeigten zehn Jahre nach<br />
der politischen Vereinigung, dass die Kompetenz<br />
ostdeutscher Frauen für das gesamte Deutschland<br />
von Gewinn sein kann. Denn sie verfügen über eine<br />
Erfahrungskompetenz, die die westliche Orientierungslosigkeit<br />
zur Neuorientierung braucht: Das<br />
DIW stellte fest, dass seit der deutschen Vereinigung<br />
die Erwerbswünsche von nicht beschäftigten
ANDERE FRAUEN – ANDERE THEMEN<br />
Katrin Rohnstock<br />
Frauen in den alten Bundesländern verstärkt steigen.<br />
Wollte 1990 nur die Hälfte der nicht beschäftigten<br />
Frauen erwerbstätig sein, waren es 1994<br />
bereits zwei Drittel. (DIW-Wochenbericht 23/95, S.<br />
408). Dabei steigt vor allem der Erwerbswunsch<br />
von verheirateten Frauen, Müttern von Kleinkindern<br />
und Berufsrückkehrerinnen. Das heißt, dass<br />
das traditionell-bürgerliche Verständnis eine Frau,<br />
die Kinder hat, gehört ins Haus, weil sie als Mutter<br />
die einzig kompetente Erzieherin ist, dass diese<br />
Einstellung mehr und mehr aufgelöst wird zugunsten<br />
eines modernen Verständnisses: der Vereinbarkeit<br />
von Mutterschaft und Berufstätigkeit.<br />
Wo die westdeutschen und westeuropäischen Frauen<br />
als Erfahrungskollektiv noch nach Vermittlungen<br />
zwischen den traditionellen und feministischen<br />
Rollenbildern suchen, wo sie hin und her<br />
schwanken zwischen übersteigertem Selbstbewusstsein<br />
(Wozu braucht eine Frau einen Mann?)<br />
und unangemessenen Minderwertigkeitsgefühlen<br />
(Bin ich als Mutter noch sexy?), wo der kollektive<br />
Diskurs wie ein manisch-depressiver Neurotiker<br />
von einem Extrem ins andere fällt (Die missbrauchte<br />
Frau, der missbrauchte Mann), können<br />
Ostdeutsche über diese Selbstverständigungsdebatten<br />
für ein neues Geschlechterverhältnis nur<br />
abwinken: nicht ihr Thema.<br />
Für einen neuartigen Geschlechter-Vertrag, der auf<br />
Partnerschaftlichkeit zwischen Männern und Frauen<br />
abzielt, sind beide Geschlechter gefragt. Wenn<br />
die sozialen Geschlechter stets ineinander greifen,<br />
einander bedingen, so muss eine Integration der<br />
Frauen als Mütter in die (männliche) Berufswelt<br />
zur Folge haben, dass die Männer sich stärker dem<br />
Familienbereich zuwenden und damit verweiblichen.<br />
Wenn das nicht funktioniert, gibt es schwere<br />
Störungen zwischen den Geschlechtern. Männer<br />
und Frauen als kollektive Wesen landen im Chaos.<br />
40<br />
Wie sich dieser Geschlechter-Vertrag gestaltet, wie<br />
er im Alltag gelebt wird, das zu erkunden, gibt es<br />
noch keine umfassende Forschungsmethodik. Wir<br />
können in einigen Fällen zwar den soziologischen<br />
Vergleich heranziehen, darüber hinaus aber bleibt<br />
nur die genaue, vorurteilsfreie Beobachtung des<br />
Alltags. Denn der Teufel steckt im Detail. Allzu<br />
schnell haben Frauenforscherinnen und Soziologen<br />
in den vergangenen Jahren westliche Bewertungsraster<br />
auf ostdeutsche Geschlechterverhältnisse<br />
aufgedrückt. Deshalb habe ich meine Buchreihe<br />
„Ost-Westlicher Diwan“, die die Geschlechterkultur<br />
in Ost und West vergleicht, auch auf Alltagsgeschichten<br />
gebaut. Ich wollte erkunden,<br />
wodurch sich die Geschlechter-Verhältnisse in Ost<br />
und West unterscheiden.<br />
Die Ergebnisse waren bei jedem der sechs Bände<br />
aufs neue überraschend. Kleines Beispiel aus dem<br />
Buch „Sag mir wie die Väter sind2: 80 % der Ost -<br />
Väter haben nach der Trennung weiterhin Kontakt<br />
zu ihren Kindern, im Westen sind es rund 50 %.<br />
Was ja nicht nur etwas über das Engagement der<br />
Väter sagt, sondern auch über die Haltung der<br />
Mütter: Sie sind in der überwiegenden Mehrzahl<br />
der Ansicht, dass sie den Vater nicht ersetzen können.<br />
Auch wenn die westdeutsche Öffentlichkeit noch<br />
wenig die zukunftsweisenden emanzipatorischen<br />
Potenziale der im Osten sozialisierten Menschen<br />
zur Kenntnis nimmt, so setzen sich doch subversiv<br />
ostdeutsche Einstellung und Lebensmuster durch.<br />
Denn in den Einstellungen und der Alltagspraxis<br />
von ostdeutschen Frauen und Männern findet sich<br />
vereint, was seit der industriellen Revolution die<br />
Geschlechter trennte: Bildung, Berufstätigkeit,<br />
finanzielle Unabhängigkeit und Kinder.<br />
Der Abschied vom Industriezeitalter aber hat längst<br />
begonnen, vor uns steht ein dramatischer gesell-
ANDERE FRAUEN – ANDERE THEMEN<br />
Katrin Rohnstock<br />
schaftlicher Wandel: des politischen Systems, des<br />
Arbeitsmarktes und des Geschlechterverhältnisses.<br />
Die heutige Jugend muß diesen Wandel nicht nur<br />
(er)tragen, sie muß ihn anführen. Nicht nur ökonomisch.<br />
Sie wird neue Modell des Zusammenlebens<br />
entwickeln, die das Vorhandensein von Kindern<br />
ermöglichen.<br />
Ostdeutsche Erfahrungskompetenz der ganz alten<br />
Generation der in der Weimarer Republik Geborenen,<br />
sowie all der später Geborenen, die Krieg und<br />
Flucht, und hungrige Aufbaujahre erlebten, sollte<br />
für diese gesamtdeutsche Aufgabe produktiv<br />
gemacht werden.<br />
41<br />
Katrin Rohnstock wurde 1960 in Jena geboren,<br />
studierte Germanistik und Kulturwissenschaften.<br />
Sie ist Autorin und Herausgeberin der<br />
sechsbändigen Buchreihe „Ost-Westlicher<br />
Diwan“. Seit 1998 ist sie Inhaberin eines gleichnamigen<br />
Medienbüros, das im Auftrag von privaten<br />
Personen Lebensgeschichten aufschreibt.<br />
www.rohnred.de
KÖNNEN FRAUEN NICHT<br />
KAMPFSCHWIMMEN?<br />
Die Konstruktion von Männlichkeiten und Weiblichkeiten<br />
in der Bundeswehr<br />
Im Urteil des Europäischen Gerichtshofes im Fall<br />
Tanja Kreil vom Januar 2000 wurde beschieden,<br />
dass das generelle Waffendienstverbot für Frauen<br />
nach den Gleichheitsrichtlinien der EU nicht<br />
zulässig ist. Damit rückt eine weitreichende Öffnung<br />
der Bundeswehr für Frauen in greifbare<br />
Nähe. Generell gibt es einen breiten gesellschaftlichen<br />
Konsens hinsichtlich der Öffnung der Bundeswehr<br />
für Frauen, wenn der Eintritt der Frauen<br />
auf freiwilliger Basis erfolgt. So waren auch die<br />
Reaktionen auf das Urteil in der Öffentlichkeit<br />
weitgehend positiv. Die Bundeswehr wird in diesem<br />
Kontext als ein Berufsfeld wie jedes andere<br />
und des weiteren als Teil des öffentlichen Dienstes<br />
angesehen, aus dem der Ausschluss von Frauen<br />
nicht mehr als legitim gilt. Hinter dieser Fokussierung<br />
verschwindet u.E., dass das Militär zu den<br />
mächtigsten gesellschaftlichen Institutionen<br />
THEMA<br />
von Anne Mangold und Sylka Scholz,<br />
Universität Potsdam<br />
42<br />
gehört und von seinem Aufgabenspektrum nicht<br />
ein Teilarbeitsmarkt wie jeder andere ist. Weitergehend<br />
ist das Militär einer der zentralen „Produktionsorte“<br />
für gesellschaftliche Vorstellungen<br />
von Männlichkeit(en) und Weiblichkeit(en).<br />
In dem folgenden Artikel sollen deshalb die<br />
sowohl ganz praktischen als auch die symbolischen<br />
Folgen des EU-Gerichtsurteils in diesem<br />
breiteren Kontext diskutiert werden: Was erwartet<br />
Frauen, wenn sie in die Bundeswehr eintreten?<br />
Werden sich dadurch Vorstellungen von Weiblichkeit(en)<br />
verändern? Inwieweit werden sich Vorstellungen<br />
von Männlichkeit(en) im Zuge der<br />
neuen Aufgaben der NATO und des Eintritts von<br />
Frauen in die Bundeswehr wandeln? Die Beantwortung<br />
der Fragen, dies soll vorab bemerkt werden,<br />
wird dadurch erschwert, dass das Thema<br />
„Frauen in der Bundeswehr“ sowie die Funktion
KÖNNEN FRAUEN NICHT KAMPFSCHWIMMEN?<br />
Anne Mangold und Sylka Scholz<br />
des Militärs in modernen Geschlechterverhältnissen<br />
zu den Randthemen sowohl der Mainstream-<br />
Sozialwissenschaft als auch Frauen- und<br />
Geschlechterforschung gehören.<br />
In einem ersten Schritt werden wir die veränderten<br />
Aufgaben der Bundeswehr und weitergehend<br />
des Nordatlantischen Verteidigungsbündnisses<br />
skizzieren. Anschließend werden zweitens die<br />
rechtlichen Folgen des EU-Gerichtsurteils für den<br />
Eintritt von Frauen in die Bundeswehr dargestellt.<br />
In einem dritten Schritt wird gefragt, welche<br />
Bedeutung die Armee für die Konstruktion von<br />
Männlichkeit(en) bisher hatte und zukünftig<br />
haben könnte. In diesem Teil wird weitergehend<br />
die Funktion des Militärs für moderne Geschlechterverhältnisse<br />
skizziert. Viertens wird diskutiert,<br />
welche Auswirkungen eine prinzipielle Öffnung<br />
der Bundeswehr für Frauen und die Vorstellungen<br />
von Weiblichkeit(en) haben könnten.<br />
Die neuen Aufgaben der Bundeswehr<br />
Die Bundeswehr wurde im Herbst 1989 über<br />
Nacht zu einer Armee ohne Feind und hatte<br />
zugleich ihre militärische Aufgabe, die Landesverteidigung<br />
vor dem sozialistischen Gegner, verloren.<br />
Die Suche nach neuen Aufgaben respektive<br />
neuen Feinden fiel in eine günstige politische<br />
Gesamtkonstellation, stand doch auch für das<br />
Nordatlantische Verteidigungsbündnis mit dem<br />
zunehmenden Zerfall der Sowjetunion eine Neuorientierung<br />
auf der Tagesordnung.<br />
1992 verabschiedete die NATO erstmals ihr neues<br />
Programm, welches anlässlich der Feiern zum<br />
50jährigen Bestehen der NATO im April 1999 -<br />
d.h. zeitgleich zum Luftkrieg gegen Jugoslawien -<br />
überarbeitet wurde. Als neue Aufgaben, deren allgemeines<br />
Ziel die Schaffung eines stabilen Umfeldes<br />
im euro-atlantischen Raum ist, definiert die<br />
43<br />
NATO sowohl den Kampf gegen Terroristen, organisiertes<br />
Verbrechen und die unkontrollierte<br />
Bewegung einer großen Zahl von Menschen als<br />
auch gegen eine verhinderte Zufuhr wichtiger<br />
Ressourcen sowie gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen.<br />
Es ist zu konstatieren,<br />
dass die NATO sich mit dem neuen Konzept ein<br />
fast unbegrenztes inhaltliches Operationsfeld<br />
schafft. Das Verteidigungsbündnis erhebt folglich<br />
Ansprüche auf Politikfelder, die traditionell zu<br />
den Aktivitätsbereichen der Diplomatie, der Polizei<br />
oder Wirtschaftspolitik gehören. Damit verbunden<br />
ist die Gefahr einer „Verkriegerung von<br />
Konfliktlösungen“. Die Einsätze außerhalb des<br />
Bündnisgebietes sollen zwar nach den Prinzipien<br />
der UN-Charta und des Völkerrechts, aber notfalls<br />
auch ohne UN-Mandat, wie bereits im Kosovo-<br />
Konflikt praktiziert, durchgeführt werden.<br />
Aus dieser Entwicklung resultieren für die Bundeswehr<br />
vielfältige Konsequenzen. Politisch<br />
erfolgte mit der Kriegsbeteiligung am Kosovo-<br />
Krieg eine Relegitimierung des Krieges als Mittel<br />
bundesdeutscher Politik. Militärische Gewalt wird<br />
durch die Umgestaltung der Bundeswehr von<br />
einer Abschreckungsarmee zum modernen Krisenmanager<br />
verschiedenster Konflikte außerhalb<br />
des Gebietes der Bundesrepublik externalisiert.<br />
Um die Einsatzbereitschaft von sogenannten Krisenreaktionskräften,<br />
neuerdings Einsatzkräften,<br />
zu gewährleisten, sind nicht nur mehr finanzielle<br />
Mittel, sondern auch andere Rekrutierungs- und<br />
Ausbildungsstrategien von Nöten. Unter diesem<br />
Aspekt geriet die Wehrpflicht in den vergangenen<br />
Jahren immer wieder ins Kreuzfeuer der Kritik,<br />
denn der nun geforderte Soldatentypus ist nicht in<br />
einer zehnmonatigen Dienstzeit zu produzieren,<br />
sondern nur mit freiwilligen Zeitsoldaten zu realisieren.<br />
Des Weiteren können Wehrpflichtige nicht
KÖNNEN FRAUEN NICHT KAMPFSCHWIMMEN?<br />
Anne Mangold und Sylka Scholz<br />
zum Einsatz außerhalb der Landesgrenzen<br />
zwangsverpflichtet werden.<br />
Die Diskussion um die Wehrpflicht, die neben den<br />
oben genannten Veränderungen auch sehr eng<br />
mit andauernden Rekrutierungsproblemen der<br />
Bundeswehr (s.u.) verbunden ist, erhält nun<br />
durch das Urteil im Fall Tanja Kreil neue Impulse.<br />
Der Fall Kreil scheint der (vorläufige) Höhepunkt<br />
einer lang andauernden Diskussion um den Einsatz<br />
von Frauen in der Bundeswehr zu sein. Im<br />
folgenden Abschnitt wird die rechtliche Situation<br />
für den Einsatz dargestellt.<br />
Rechtliche Lage des Einsatzes von Frauen<br />
Der im Zuge der Notstandsgesetze 1968 entstandene<br />
Artikel 12 a Abs. 4 des Grundgesetzes der<br />
BRD besagt, dass Frauen im Verteidigungsfall bei<br />
Personalmangel zum Dienst im Sanitäts- und Heilwesen<br />
verpflichtet werden können. Sie dürfen<br />
jedoch „auf keinen Fall Dienst mit der Waffe leisten“.<br />
Der Gesetzestext ist jedoch so formuliert,<br />
dass er bei gutem Willen in seinem Kontext so<br />
gelesen werden kann, dass sich das Waffendienstverbot<br />
auf die verpflichteten Frauen reduziert, der<br />
freiwillige Dienst an der Waffe jedoch möglich<br />
wäre. Im Bundestag wurde damals mit der „Natur<br />
und der Bestimmung der Frau“ sowie mit deren<br />
Schutz vor Kampfhandlungen argumentiert. Auch<br />
die in späteren Jahren folgende Debatte um Frauen<br />
in der Bundeswehr wird vor allem moralisch<br />
geführt und orientiert sich nicht an empirischen<br />
Kriegs- und Krisenphänomenen. Der im Grundgesetz<br />
allgemein formulierte Frauenausschluss, der<br />
nur durch eine (zu keiner Zeit absehbaren) Zweidrittel-Mehrheit<br />
im Bundestag veränderbar ist,<br />
findet seine konkrete Ausgestaltung im § 1 Abs. 2<br />
Satz 3 Soldatengesetz und im § 3a der Soldatenlaufbahnverordnung.<br />
44<br />
Der Fall Tanja Kreil hat seit dem letzten Jahr<br />
Bewegung in die Debatte um Frauen in der Bundeswehr<br />
gebracht. Die Bewerbung der Elektronikerin<br />
Kreil für den freiwilligen Dienst bei der<br />
Bundeswehr wurde mit dem Verweis auf das Waffendienstverbot<br />
für Frauen abgelehnt. Frau Kreil<br />
klagte vor dem Bundesverwaltungsgericht Hannover.<br />
Dieses wendete sich an den Europäischen<br />
Gerichtshof (EuGH), denn die rechtliche Lage war<br />
alles andere als eindeutig. Europäisches Recht<br />
schreibt seit 1976 die Gleichbehandlung von<br />
Frauen und Männern vor (Richtlinie<br />
76/207/EWG). Demnach darf das Geschlecht von<br />
BewerberInnen nur dann von Bedeutung sein,<br />
wenn es um eine Tätigkeit geht, für die das<br />
Geschlecht aufgrund ihrer Art oder der Bedingung<br />
ihrer Ausübung eine unabdingbare Voraussetzung<br />
darstellt. Dem gegenüber steht das Recht<br />
der einzelnen EU-Staaten, über Fragen der Verteidigung<br />
grundsätzlich selbst entscheiden zu dürfen.<br />
Ein Urteil über eine britische Klage hat im<br />
letzten Jahr jedoch entschieden, dass das Gleichheitsgebot<br />
auch auf dem Gebiet der Verteidigung<br />
gilt. Somit überrascht es nicht, dass der EuGH im<br />
Januar 2000 für Frau Kreil entschied und urteilte,<br />
dass das generelle Waffendienstverbot für Frauen<br />
in der Bundeswehr gegen Europarecht verstößt.<br />
In der Öffentlichkeit all zu oft übersehen wird<br />
jedoch, dass es weiterhin den Ausschluss von<br />
Frauen aus bestimmten Bereichen geben darf,<br />
dieser muss sich nur mit der Art und der Bedingung<br />
der auszuübenden Tätigkeit begründen lassen.<br />
Dies lässt Interpretationsspielraum. Ein von<br />
Verteidigungsminister Scharping gern genanntes<br />
Beispiel sind Kampfschwimmer. Scharping argumentierte<br />
mit körperlichen Unterschieden, auf<br />
die er jedoch nicht konkret einging. In bestimmten<br />
Fällen darf also ausdrücklich das Geschlecht
KÖNNEN FRAUEN NICHT KAMPFSCHWIMMEN?<br />
Anne Mangold und Sylka Scholz<br />
der BewerberInnen statt individueller Fähigkeit<br />
ausschlaggebend bleiben.<br />
Es lässt sich feststellen, dass auf Grund der rechtlichen<br />
Situation es demnach schon seit 24 Jahren<br />
möglich wäre, den generellen Zugang von Frauen<br />
zum Militärdienst zu fordern. Dass sich gerade zu<br />
diesem Zeitpunkt eine Klägerin (übrigens mit<br />
Unterstützung des Bundeswehrverbandes) fand<br />
und das Urteil zu ihren Gunsten ausfiel, ist u. E.<br />
kein Zufall.<br />
Das EuGH-Urteil wird von Seiten der Bundeswehr<br />
überwiegend positiv aufgenommen. Quantitative<br />
und qualitative Probleme bei der Rekrutierung von<br />
Berufssoldaten waren seit der Wiederbewaffnung<br />
der BRD der Hauptgrund, warum regelmäßig das<br />
Thema „Frauen und Militär“ aufgegriffen wurde.<br />
Sie waren auch schon 1975 der Auslöser, warum<br />
Frauen als Sanitätsoffiziere zugelassen wurden.<br />
Diese mussten, anders als ihre männlichen Kollegen,<br />
ihre Ausbildung bis 1989 jedoch selbst finanzieren.<br />
Im Dienst waren sie Männern gleichgestellt,<br />
nur den Wachdienst, da als Dienst an der Waffe<br />
definiert, durften sie nicht ausführen. Die Ausbildung<br />
zum Sanitätsoffizier wird seit 1995 von jungen<br />
Frauen stärker nachgefragt als von Männern.<br />
Seit 1991 sind Frauen auch im Militärmusikdienst<br />
anzutreffen, da dieser Truppenteil im Kriegsfall in<br />
der Sanitätstruppe eingesetzt wird. Möglich wurde<br />
der Sanitätsdienst von Frauen durch die Sonderstellung<br />
von Sanitätern im Völkerrecht. Demnach<br />
besitzen sie keinen Kombattantenstatus und dürfen<br />
sich und ihre Patienten nur gegen völkerrechtswidrige<br />
Angriffe verteidigen. Auch die 120 von der<br />
Bundeswehr geförderten Spitzensportlerinnen sind<br />
als Sanitätssoldatinnen ausgebildet. Insgesamt sind<br />
gegenwärtig 4.474 Frauen als Soldatinnen in der<br />
Bundeswehr beschäftigt, davon werden 4.409 im<br />
Sanitätsdienst eingesetzt.<br />
45<br />
Durch die verfassungsgemäße Trennung von<br />
Streitkräften und ziviler Wehrverwaltung war es<br />
der Bundeswehr von Anfang an möglich, trotz des<br />
Waffendienstverbotes Frauen zu beschäftigen. So<br />
erfüllen sie als Zivilistinnen unterschiedlichste<br />
Funktionen, die in anderen Armeen von Soldaten<br />
und Soldatinnen wahrgenommen werden.<br />
Das Verteidigungsministerium ist derzeit damit<br />
beschäftigt, das EuGH-Urteil zu prüfen und umzusetzen.<br />
Vertreter verschiedener Bundeswehrabteilungen<br />
arbeiten in der kürzlich eingerichteten<br />
Steuergruppe „Frauen in den Streitkräften“ und<br />
bereiten die weitere Öffnung verschiedener Verwendungsbereiche<br />
für Frauen vor. Mit den ersten<br />
Einstellungen wird ab Anfang des kommenden<br />
Jahres gerechnet. Interesse von Seiten einiger<br />
Frauen besteht, wie die ca. 2000 Anfragen bei den<br />
Kreiswehrersatzämtern belegen.<br />
Das EuGH-Urteil macht es möglich, Militärreformen<br />
durchzuführen, die bis dato von politischer<br />
Seite verhindert wurden. Dies zeigt auch die Tatsache,<br />
dass die 1999 einberufene und von Richard<br />
von Weizsäcker geleitete Wehrstruktur-Kommission<br />
in die gleiche Richtung wie das Urteil<br />
weist: Um die Bundeswehr zukunftsfähig zu<br />
machen, schlägt sie die Zulassung von Frauen in<br />
allen Bereichen vor.<br />
Aber trotz gesetzlicher Gleichstellung und der<br />
möglichen Öffnung aller Laufbahnen der Bundeswehr<br />
im Laufe des Jahres 2001 können bestimmte<br />
Mechanismen des Frauenausschlusses wirksam<br />
sein. Sexuelle Belästigung, deren Vorhandensein<br />
von der Wehrbeauftragten angeklagt wurde, ist<br />
ein Beispiel. Ein anderes Beispiel sind körperliche<br />
Normen: Für Frauen werden die gleichen<br />
physischen Zugangsvoraussetzungen gelten, die<br />
für männliche Bewerber entwickelt wurden, sich<br />
also am “Durchschnittsmann“ orientieren. Dazu
KÖNNEN FRAUEN NICHT KAMPFSCHWIMMEN?<br />
Anne Mangold und Sylka Scholz<br />
zwei kurze Anmerkungen: Erstens lassen diese als<br />
geschlechtsneutral etikettierten Körpernormen<br />
zwar den Zugang von Frauen prinzipiell zu, können<br />
jedoch Frauen trotzdem diskriminieren,<br />
indem körperliche Fähigkeiten, die bei Frauen<br />
häufiger anzutreffen sind, wie z.B. Beweglichkeit,<br />
keine Beachtung finden, sondern eher „männliche<br />
Fähigkeiten“ wie z.B. Muskelkraft. Zweitens<br />
stellt sich im Zeitalter des hochtechnisierten Krieges<br />
die Frage nach der Wichtigkeit von physischen<br />
Voraussetzungen.<br />
Das Militär als Konstrukteur von<br />
Männlichkeit(en)<br />
Um die aktuelle Bedeutung des Militärs für die<br />
Konstruktion von Männlichkeit(en) verstehen zu<br />
können, ist zunächst eine Vergegenwärtigung der<br />
historischen Zusammenhänge notwendig. Die<br />
deutsche Figur des Staatsbürgers in Uniform ist<br />
eine „Erfindung„ des 19. Jahrhunderts, die sich<br />
im Kontext der Preußischen Militärreformen und<br />
der Nationalstaatenbildung langsam formierte.<br />
Mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht<br />
1814 wurde die Pflicht zur Verteidigung des Vaterlandes<br />
an staatsbürgerliche Rechte geknüpft.<br />
Dabei oblag die Verteidigungspflicht nur den<br />
Männern der Nation, da nur sie als waffenfähig<br />
galten, während den Frauen andere staatsbürgerliche<br />
Pflichten, insbesondere die Sorge um und<br />
Pflege der Familie, die als „Pflanzschule der Nation“<br />
galt, zukamen. Die sich allmählich durchsetzende<br />
neue Geschlechterpolarisierung, welche<br />
den Männern Berufsarbeit und Politik und den<br />
Frauen Familien- und Erziehungsarbeit zuwies,<br />
wurde somit durch das Militär verstärkt. Zugleich<br />
legitimierte die Waffenfähigkeit der Männer den<br />
Ausschluss der Frauen aus staatsbürgerlichen<br />
Rechten. Dem Militär kommt infolgedessen eine<br />
46<br />
entscheidende Rolle bei der Formierung moderner<br />
Geschlechterverhältnisse zu.<br />
Es hatte des weiteren einen großen Anteil an der<br />
Vereinheitlichung der bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts<br />
sehr vielfältigen Männlichkeitsvorstellungen.<br />
Im Laufe des 19. Jahrhunderts rückte<br />
quer zu allen bisherigen sozialen Differenzierungen<br />
unter Männern ihre Funktion als Krieger ins<br />
Zentrum. Obwohl mit der Reichsgründung alle<br />
Männer das Wahlrecht erhielten und damit die<br />
staatsbürgerlichen Rechte vereinheitlicht wurden,<br />
hatte seit diesem Zeitpunkt nicht die Figur des<br />
Staatsbürgers in Uniform, sondern die des Kriegers<br />
Konjunktur. Mit dem Deutsch-französischen<br />
Krieg 1870/71 setzte eine Militarisierung der<br />
Gesellschaft verbunden mit der Verherrlichung<br />
des Kriegers ein, die bis zum Ende des 2. Weltkrieges<br />
anhielt. Erst mit der Niederlage Deutschlands<br />
im 2. Weltkrieg verlor militarisierte Männlichkeit,<br />
die seit 1814 das hegemoniale Männlichkeitsmodell<br />
der deutschen Gesellschaft war, ihre<br />
Vormachtstellung.<br />
Mit der Wiederaufrüstung in den 50er Jahren kam<br />
die Figur des Staatsbürgers in Uniform zu neuen<br />
Ehren. Sie stellte den zentralen Bezugspunkt des<br />
vor allem von Graf Baudissin erarbeiteten Konzepts<br />
der „Inneren Führung“ dar. Dieses Konzept<br />
kann als Metapher verstanden werden, eine demokratisch-rechtsstaatliche<br />
Armee aufzubauen, die<br />
gegen militärische, faschistische und undemokratische<br />
Entwicklungen immun sein sollte. Den Kern<br />
bildete ein Reformmodell zur militärischen Menschenführung,<br />
welches sowohl die technische Ausbildung<br />
in einer hochindustrialisierten Armee als<br />
auch den politischen Anspruch der Integration der<br />
Armee in Staat und Gesellschaft umfasste. Der<br />
neue Soldatentypus, der Staatsbürger in Uniform,<br />
war nicht mehr auf den Krieg abgestellt, sondern
KÖNNEN FRAUEN NICHT KAMPFSCHWIMMEN?<br />
Anne Mangold und Sylka Scholz<br />
auf die Landesverteidigung und Friedenserhaltung.<br />
Generell rückte der Krieg in diesem Konzept in<br />
den Hintergrund, der Soldat war eher eine symbolische<br />
Gestalt der Abschreckung mit der Aufgabe,<br />
einen Angriff durch seine bloße Existenz abzuwehren.<br />
Anzumerken ist, dass diese Konzept für die<br />
Außenwirkung der Bundeswehr eine zentrale Rolle<br />
spielte, innerhalb der Bundeswehr aber nie<br />
unumstritten war.<br />
Während das Militär am Ende des 19. Jahrhundert<br />
von Zeitgenossen nicht nur als eine „Schule<br />
der Nation“, sondern auch als eine „Schule der<br />
Männlichkeit“ begriffen wurde, scheint es diese<br />
Aufgabe mit der aus dem 2. Weltkrieg resultierenden<br />
gesellschaftlichen Diskreditierung militarisierter<br />
Männlichkeit verloren zu haben. Aber der<br />
Schein trügt: Das Militär ist quantitativ immer<br />
noch eine männliche Institution, die Werte und<br />
Verhaltensweisen im Militär gelten als „männlich“.<br />
Sie haben einen Bezug zu Männlichkeitsvorstellungen<br />
in der Gesamtgesellschaft, eine Aufgabe<br />
des Militärs ist es, die soziale Kategorie<br />
Geschlecht zu differenzieren und zur Definition<br />
dessen beizutragen, was „Männer“ im Gegensatz<br />
zu „Frauen“ sind oder zu sein haben. So werden<br />
im Militär weiterhin kulturell „männliche“ Eigenschaften<br />
produziert, die im militärischen Sinn<br />
nicht notwendigerweise funktional sind. Vor allem<br />
die verschiedenen Praxen des Körpertrainings<br />
produzieren Eigenschaften wie Tapferkeit, Zähigkeit,<br />
körperliche Ausdauer und eine gewisse<br />
Aggressivität, welche für die Kampffähigkeit nicht<br />
mehr notwendig sind, sondern auf „Eigenmachtgefühl<br />
und Selbstwertgefühl des Soldaten“ zielen<br />
und vor allem für das zivile Leben von Nutzen<br />
sind. Gleiches gilt für den Nexus Männlichkeit -<br />
Autorität – Führungsanspruch, der im Militär permanent<br />
(re-)produziert wird.<br />
47<br />
Obwohl Kriege in den Hintergrund rückten, blieb<br />
die Verknüpfung von Männlichkeit und Kämpfertum<br />
erhalten, welche die Beschützerrolle der<br />
Männer rechtfertigt und ihre gesellschaftliche<br />
Dominanz über Frauen legitimiert. Dieser hegemonialen<br />
Männlichkeitsvorstellung korrespondiert<br />
eine Vorstellung von verletzlicher und<br />
schwacher Weiblichkeit. Dem Kämpfertum der<br />
Männer, das auf ihrer angeblich höheren Aggression<br />
beruhen soll, wird die höhere Friedfertigkeit<br />
von Frauen gegenübergestellt. Generell gilt, dass<br />
Kriege als Auseinandersetzungen zwischen soldatischen<br />
Männern konstruiert werden, weibliche<br />
und zivile Opfer erscheinen als bedauerliches<br />
Nebenprodukt, obwohl sie fester Bestandteil<br />
moderner Kriege sind.<br />
Konkurrenz bekommt die im Militär dominierende<br />
Vorstellung von Männlichkeit, die man begrifflich<br />
am ehesten als „traditionell“ bezeichnen<br />
könnte, seit den 80er Jahren vom Zivildienst.<br />
Häufig entscheiden sich junge Männer wegen der<br />
in der Bundeswehr präsentierten „traditionellen“<br />
Männlichkeit für den Zivildienst. Zwar kann man<br />
nicht davon ausgehen, dass im Zivildienst eine<br />
einheitliche neue Vorstellung von Männlichkeit<br />
produziert wird, er scheint aber einen nicht zu<br />
unterschätzenden Beitrag für die Erweiterung von<br />
Männlichkeitsvorstellungen um eher als ‘weiblich’<br />
konnotierte Kompetenzen wie Empathie,<br />
Fürsorge, Verantwortung für Andere übernehmen<br />
etc. zu leisten.<br />
Mit der Rückkehr des Krieges als Mittel der Politik<br />
könnte u. E. eine erneute Verschiebung von der<br />
Figur des Staatsbürgers in Uniform zum Krieger<br />
einhergehen. Die Konstruktion des Staatsbürgers<br />
in Uniform wird durch die gegenwärtigen Entwicklungen<br />
auf mindestens zwei Ebenen brüchig.<br />
Zunächst einmal rückt die traditionelle Landesver-
KÖNNEN FRAUEN NICHT KAMPFSCHWIMMEN?<br />
Anne Mangold und Sylka Scholz<br />
teidigung, das Kernstück dieser Konstruktion,<br />
immer mehr in den Hintergrund der Aufgaben der<br />
Bundeswehr. Ein Angriff auf die Bundesrepublik,<br />
dies bestätigte erneut das Gutachten der Wehrstrukturkommission<br />
unter Richard von Weizsäcker,<br />
ist unter den gegenwärtigen politischen<br />
Bedingungen nicht zu erwarten. Des Weiteren wird<br />
die Bindung staatsbürgerlicher Rechte an die<br />
Erfüllung des Wehrdienstes respektive des zivilen<br />
Ersatzdienstes mit der Umstellung der Wehrpflichtarmee<br />
auf eine Berufsarmee hinfällig. Zwar<br />
wird in der aktuellen Diskussion um die Strukturreform<br />
an der Wehrpflicht festgehalten, die starke<br />
Reduzierung der Anzahl der Wehrpflichtigen geht<br />
aber in die aufgezeigte Richtung.<br />
Mit der Reduzierung, gegebenenfalls mit der<br />
Abschaffung der Wehrpflicht könnte ein neuer Soldatentypus<br />
entstehen, der wieder stärker an<br />
militärischen und kriegerischen Werten orientiert<br />
ist. Dies resultiert nicht nur aus den neuen Aufgaben<br />
der Bundeswehr, sondern auch aus den Einstellungen<br />
eines kleineren Teils der Berufssoldaten.<br />
Für die gesamte Geschichte der Bundeswehr<br />
lassen sich starke Auseinandersetzungen zwischen<br />
den sogenannten Traditionalisten und Reformern<br />
nachweisen. Hinzu kommt, dass überwiegend junge<br />
Männer mit konservativen, teilweise rechtsextremen<br />
Vorstellungen den Wehrdienst leisten,<br />
während Männer mit liberalen oder linken Einstellungen<br />
den zivilen Ersatzdienst bevorzugen. Dies<br />
heißt nicht, dass die Bundeswehr zunehmend ein<br />
Ort von konservativen und rechtsorientierten Männern<br />
wird, die kriegerische Werte hochhalten.<br />
Zuerst einmal bietet die Bundeswehr auch für<br />
Männer einen krisensicheren Arbeitsplatz. Die<br />
weiteren Einsätze der Bundeswehr könnten aber<br />
auch zu einer erneuten steigenden Bewunderung<br />
des Militärischen in der Gesellschaft führen.<br />
48<br />
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage,<br />
was Frauen in dieser neuen Bundeswehr erwartet,<br />
welche Aufgaben ihnen zufallen, welche Vorstellungen<br />
von Weiblichkeit(en) damit verknüpft<br />
werden.<br />
Der Soldat, weiblich.<br />
Frauen in der Bundeswehr<br />
Die Bedeutung einer Öffnung der Bundeswehr für<br />
Frauen ist nur im gesellschaftlichen Kontext angemessen<br />
zu beurteilen. Zudem ist genau darauf zu<br />
achten, wie sich die Möglichkeiten für Frauen in<br />
der Bundeswehr konkret gestalten werden. Auswirkungen<br />
auf gesellschaftliche Geschlechterkonstellationen<br />
könnten auf mehreren Ebenen angesiedelt<br />
sein: Verändern sich Vorstellungen von<br />
Weiblichkeit(en) und Männlichkeit(en)? Wird die<br />
historisch als männlich und wehrhaft konstruierte<br />
Figur des Staatsbürgers durch Soldatinnen<br />
gestützt, universalisiert oder entwertet? Welche<br />
Zusammenhänge gibt es mit dem zivilen Arbeitsmarkt?<br />
Die Tatsache, dass in der Geschichte der Bundeswehr<br />
immer Personalmangel der Hauptgrund<br />
war, über die Zulassung von Frauen als Soldatinnen<br />
nachzudenken, verweist auf zwei Punkte.<br />
Erstens kann hinsichtlich der Öffnung der Bundeswehr<br />
für Frauen keinesfalls von einem von<br />
feministischer Politik erzwungenem emanzipatorischem<br />
Schritt die Rede sein. Daher ist die Öffnung<br />
kein Beispiel für aktive Frauenpolitik, sondern<br />
sie scheint eher ein vornehmlich von Männern<br />
(aus Politik und Militär) bestimmter Vorgang<br />
zu sein, der die Situation von Frauen unabhängig<br />
von deren Einflussnahme verändert.<br />
Zweitens verweist dies auf den Zusammenhang<br />
von Bundeswehr und Arbeitsmarkt. Frauen scheinen<br />
als „Personalreserve für den Notfall“ zu fun-
KÖNNEN FRAUEN NICHT KAMPFSCHWIMMEN?<br />
Anne Mangold und Sylka Scholz<br />
gieren. Das Militär ist in Deutschland ein wichtiger<br />
Arbeitgeber und Ausbilder. Auch unter Männer<br />
ist es sehr verbreitet, die Bundeswehr vor<br />
allem als Arbeitgeberin und Ausbilderin wahrzunehmen.Erheblich<br />
finanzielle Mittel werden eingesetzt,<br />
um Wehrpflichtige mit einer Ausbildung<br />
vor Jugendarbeitslosigkeit zu bewahren. Frauen<br />
bleiben dabei außen vor.<br />
Da der zivile Arbeitsmarkt noch stets zum Nachteil<br />
von Frauen in erheblichem Maße nach Branchen<br />
und Hierarchieebenen geschlechtsspezifisch segregiert<br />
ist und Frauen zudem von Arbeitslosigkeit<br />
ungleich akuter bedroht sind als Männer, kann<br />
eine Karriere in der Bundeswehr für einige von<br />
ihnen besonders erstrebenswert erscheinen. Erste<br />
Erfahrungsberichte belegen, dass Soldatinnen<br />
besonders motiviert und leistungsbereit sind und<br />
einen positiven Einfluss auf das Betriebsklima<br />
ausüben und somit von Bundeswehrseite als ein<br />
Gewinn wahrgenommen werden. Jedoch ist nicht<br />
davon auszugehen, dass in Zukunft in der Bundeswehr<br />
Frauen und Männer in gleicher Anzahl<br />
und auf gleichen Hierarchieebenen anzutreffen<br />
sein werden. Internationale Erfahrungen zeigen,<br />
dass auch in Ländern mit dementsprechenden<br />
gesetzlichen Möglichkeiten das Militär eine<br />
männliche Institution bleibt. Geschlechtsspezifische<br />
Unterschiede verstärken sich in vielen Fällen<br />
gegenüber dem zivilen Arbeitsmarkt. Zudem stellt<br />
der Ausschluss von Frauen aus bestimmten<br />
Kampfpositionen (die die europäische Rechtsprechung<br />
ausdrücklich zulässt) eine, so zeigen internationale<br />
Beispiele, erhebliche Karrierebarriere<br />
dar.<br />
Frauen in der Bundeswehr heißt nicht zwingend,<br />
dass Frauen die gleichen Tätigkeiten ausführen,<br />
wie ihre männlichen Kollegen. Dass Frauen in traditionell<br />
weiblich gedachten Tätigkeitsfeldern ver-<br />
49<br />
bleiben, zeigen die Positionen der Frauen, die bisher<br />
als Zivilangestellte bei der Bundeswehr tätig<br />
sind. Sogar die ersten von der Bundeswehr ausgebildeten<br />
weiblichen Sanitätsoffiziere stehen Frauen<br />
in der Armee außerhalb des Sanitätsdienstes<br />
durchaus skeptisch gegenüber.<br />
Soweit das Militär also als Teil des Arbeitsmarktes<br />
zu betrachten ist, werden Frauen dort voraussichtlich<br />
mit ähnlichen oder schwerwiegenderen<br />
Problemen der Benachteiligung als auf dem zivilen<br />
Arbeitsmarkt zu rechnen haben. Trotzdem<br />
kann die Öffnung für sie eine beachtliche Erweiterung<br />
der Erwerbsmöglichkeiten bringen.<br />
Eine weitere Frage ist, inwieweit sich Vorstellungen<br />
von Männlichkeit und Weiblichkeit, insbesondere<br />
der Nexus von Mann – Soldat, verändern<br />
werden. Die Kodierung des Soldaten als männlich<br />
ist durch die Anwesenheit von Frauen im Militär<br />
durchaus nicht zwingend aufgehoben. Dies zeigt<br />
sich z.B. an der strikten Verweigerung der Bundeswehr,<br />
weibliche Berufsbezeichnungen zuzulassen.<br />
Zudem sind Frauen schon rein quantitativ in<br />
so geringem Maße vertreten, dass sie das<br />
Geschlecht der Soldatenkonstruktion schwer verändern<br />
können. Auffallend ist auch, dass es keinen<br />
geschlechtsneutralen Soldaten geben kann.<br />
So wurde in einer Studie über die ersten weiblichen<br />
Sanitätsoffiziere, die in der Bundeswehr ausgebildet<br />
wurden, festgestellt, dass die anfangs<br />
„herb-strenge“ Aufmachung einiger der jungen<br />
Frauen nach dem ersten Bundeswehrjahr einer<br />
„modisch-attraktiven“ gewichen ist. Attraktivität<br />
ist hier interpretierbar als Schutz gegen das negative<br />
Klischee der vermännlichten Soldatin.<br />
Die Präsentation der Soldatinnen als Frauen wurde<br />
durch die Bundeswehr gestützt, indem, so klagten<br />
die Soldatinnen, die neu angefertigten Uniformen<br />
auf große Oberweiten zugeschnitten seien und sel-
KÖNNEN FRAUEN NICHT KAMPFSCHWIMMEN?<br />
Anne Mangold und Sylka Scholz<br />
ten säßen, und, so klagten die Soldaten, das<br />
Schmucktragen ein weibliches Privileg war.<br />
Eine Integration von Frauen, die auf traditionelle<br />
Vorstellungen von „weiblichen“ Eigenschaften der<br />
Frauen zurückgreift, ist durch die neuen Aufgaben<br />
der Bundeswehr im Rahmen internationaler<br />
Bündnisse, zumindest auf argumentativer Ebene,<br />
durchaus möglich. Humanitäre Hilfe, Friedensarbeit,<br />
Kooperation und Verwaltung sind nicht allein<br />
schon im zivilen Bereich Domänen, in denen<br />
auch Frauen arbeiten, sie erfordern auch traditionell<br />
weiblich konnotierte Fähigkeiten wie Fürsorglichkeit,<br />
Kommunikationsfähigkeit, Konfliktschlichtung<br />
u.a.. Interessant ist auch ein Blick auf<br />
die Diskussion um weibliche Beteiligung an UN-<br />
Einsätzen: Die schwedische Regierung schlug diese<br />
vor, um die Situation weiblicher Zivilisten besser<br />
wahrzunehmen und eine Untersuchungskommission<br />
der UNO hoffte, durch weibliche Soldaten<br />
die notorischen Übergriffe der männlichen UN-<br />
Soldaten auf Frauen und Kinder einzudämmen.<br />
Des Weiteren kann die enge Einbindung der Bundeswehr<br />
in die NATO auch als Wegbereiterin für<br />
die Integration von Frauen in das Militär dienen,<br />
denn Deutschland ist im Verhältnis zu seinen<br />
Bündnispartnern in diesem Bereich auffällig<br />
zurückhaltend.<br />
Die Wirkungen auf die Vorstellungen von Weiblichkeit(en)<br />
und Männlichkeit(en) sind u. E. also<br />
noch nicht ausgemacht. Weibliche Soldaten können<br />
traditionelle Geschlechterbilder wie die der<br />
„friedfertigen Frau“ und damit zusammenhängend<br />
des „aggressiveren Mannes“ durcheinander<br />
bringen, tun dies jedoch nicht zwangsläufig.<br />
Trotzdem könnte das Militär als „Schule der<br />
Männlichkeit“ durch die Anwesenheit von Frauen<br />
gestört, der Nexus Männlichkeit – Gewalt<br />
gesprengt werden.<br />
50<br />
Auf politisch-symbolischer Ebene sind die Auswirkungen<br />
eher ernüchternd, denn wurde der deutsche<br />
Staatsbürger historisch als Waffenträger konzipiert,<br />
Bürgerrechte an den Wehrdienst gekoppelt,<br />
so lässt sich gegenwärtig mit der absehbaren<br />
Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht eine<br />
Entkopplung ausmachen: Der Soldat als Staatsbürger<br />
in Uniform wird vom angestellten Spezialisten<br />
abgelöst. Somit liegt Deutschland im internationalen<br />
Trend, denn, so stellte Yuval-Davis fest,<br />
die qualitative und quantitative Beteiligung von<br />
Frauen stieg in westlichen Armeen immer dann,<br />
wenn die Bedeutung des Militärdienstes für die<br />
Staatsbürgerschaft abnahm – z.B. wenn die Wehrpflicht<br />
abgeschafft wurde.<br />
Plädoyer für Aufmerksamkeit<br />
Die generelle pazifistisch motivierte Ablehnung<br />
von Militär und Krieg in großen Teilen der deutschen<br />
Frauenforschung hatte ein Desinteresse an<br />
der Erforschung militärischer Institutionen zur<br />
Folge. Diese legitime Sichtweise hat jedoch unbeabsichtigte<br />
Auswirkungen. Auf der einen Seite entgeht<br />
ihr wichtiges Erkenntnispotential, denn das<br />
Militär ist historisch ein zentraler Ort zur Produktion<br />
vorherrschender gesamtgesellschaftlicher<br />
Vorstellungen von Männlichkeit(en) und Weiblichkeit(en).<br />
Die Mitwirkung von Frauen im<br />
militärischen Bereich kann diese Vorstellungen<br />
verwirren und herausfordern sowie möglicherweise<br />
Geschlechterverhältnisse im Militär und im<br />
zivilen Bereich beeinflussen.<br />
Auf der anderen Seite gerät eine bedeutende<br />
gesellschaftliche Institution außerhalb des forschenden<br />
Blickes. Das sich daraus ergebende<br />
Wissensdefizit erschwert politische Intervention<br />
für Veränderungen der Institution Militär. Des<br />
weiteren hat dies zur Folge, dass Frauen im
KÖNNEN FRAUEN NICHT KAMPFSCHWIMMEN?<br />
Anne Mangold und Sylka Scholz<br />
Militär, die sich z.B. mit sexueller Belästigung,<br />
Diskriminierung und Mobbing konfrontiert<br />
sehen, ohne Unterstützung von außen bleiben.<br />
51<br />
Sylka Scholz, M.A. ist Mitarbeiterin am Lehrstuhl<br />
für Frauenforschung der Universität Potsdam.<br />
Anne Mangold ist studentische Hilfskraft am<br />
Lehrstuhl für Frauenforschung der Universität<br />
Potsdam.<br />
www.uni-potsdam.de/u/<br />
frauenforschung/index.htm
Die Europäische Union will sich zum Vorreiter für<br />
die Überwindung von Ungleichbehandlungen zwischen<br />
den Geschlechtern machen und in einer<br />
breit angelegten Rahmenstrategie traditionelle<br />
Geschlechterrollen und Stereotype überwinden.<br />
Die bereits von der EU - Kommission angenommene<br />
Rahmenstrategie zum Gender - Mainstreaming<br />
sieht ein Arsenal von Maßnahmen für die Verwirklichung<br />
der Chancengleichheit zwischen Männern<br />
und Frauen in allen Bereichen der Politik, Wirtschaft<br />
und Gesellschaft vor.<br />
Ergänzt wird diese Strategie für die Jahre 2001 bis<br />
2005 durch ein spezifisches Programm, das transnationale<br />
Projekt, Gender-Sensibilisierungskampagnen<br />
und Frauennetzwerkarbeiten unterstützen wird.<br />
Heute repräsentieren 186 weibliche Abgeordnete<br />
im Europäische Parlament ca. 190 Millionen Frauen<br />
von insgesamt ca. 370 Millionen EU - Bürgern.<br />
THEMA<br />
FRAUEN GESTALTEN EUROPA<br />
Gender-Mainstreaming in der Europäischen Union –<br />
Gleiche Rechte und Chancen für die Frauen in der EU<br />
von Lissy Gröner,<br />
Mitglied des Europäischen Parlamentes<br />
52<br />
Das Europäische Parlament wurde im Juni 1999<br />
direkt in 15 europäischen Ländern gewählt.<br />
Frauen sollten die Hälfte der politischen, ökonomischen<br />
und sozialen Macht haben. Das ist das Ziel.<br />
Realität ist, daß von insgesamt 626 Sitzen rund<br />
30% von Frauen besetzt sind. Dieser Prozentsatz ist<br />
wesentlich höher als der durchschnittliche Anteil<br />
von Frauen in den nationalen Parlamenten der EU<br />
von 23,6%. Dennoch ist er von der Parität noch<br />
weit entfernt.<br />
Die Fraktion der SPE konnte den Frauenanteil auf<br />
35 % erhöhen und die deutsche Sozialdemokratie<br />
geht mit einem Frauenanteil von 42 % noch darüber<br />
hinaus.<br />
Die Quotenregelung in der SPD verpflichtet die<br />
Partei zumindest 40 % beider Geschlechter für alle<br />
Mandate zu nominieren. Sozialdemokratische<br />
Frauen verfolgen eine aktive und sichtbare Politik
des Gender - Mainstreamings, d.h. die Einbindung<br />
der Chancengleichheit in sämtliche Konzepte und<br />
Maßnahmen wie es in der Aktionsplattform der 4.<br />
Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 beschlossen<br />
wurde.<br />
Der neue EU-Kommissionspräsident Romano Prodi<br />
hat fünf Kommissarinnen von 20 berufen, darunter<br />
die Deutsche Michaele Schreyer, zuständig<br />
für Haushaltsfragen. Prodi kann also keinen Fortschritt<br />
zu der vorhergehenden Kommission unter<br />
Präsident Jaques Santer vorweisen. Auch dort gab<br />
es nur 25 % Frauen.<br />
Eine wichtige, unerfüllte Forderung ist ein formaler<br />
Frauenministerrat, welcher zweimal im Jahr<br />
tagen soll und in Gleichstellungsfragen Entscheidungsbefugnis<br />
hat. Auch die Forderung nach einer<br />
Kommissarin für Chancengleichheit und einer<br />
Generaldirektion für Gender Mainstreaming blieb<br />
bisher unerfüllt.<br />
1. Was will, was kann die EU<br />
Der Rechtsrahmen für Chancengleichheit in der EU<br />
war eng. Art 119 des EU-Vertrages, der gleiches<br />
Entgelt für gleiche Arbeit garantiert, ist jedoch von<br />
Europäischem Parlament und Europäischem<br />
Gerichtshof ständig ausgeweitet worden.<br />
Der Amsterdamer Vertrag, der seit 1. Mai 1999 in<br />
Kraft ist, schafft die Rechtsgrundlage für die Gleichstellung<br />
von Frauen und Männern, als ein Prinzip,<br />
eine Forderung und ein Ziel der Europäischen Union<br />
in Artikel 3.2.: „Bei allen in diesem Artikel<br />
genannten Tätigkeiten wirkt die Gemeinschaft darauf<br />
hin, Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung<br />
von Männern und Frauen zu fördern“.<br />
Auch Art. 13 des EU-Vertrages, mit dem Grundsatz<br />
des Verbotes jeglicher Diskriminierung aus Gründen<br />
des Geschlecht, der Rasse, der ethnischen<br />
Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung,<br />
FRAUEN GESTALTEN EUROPA<br />
Lissy Gröner<br />
53<br />
einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen<br />
Ausrichtung bietet neuen Handlungsraum für aktive<br />
Gleichstellungspolitik.<br />
Das vierte Chancengleichheitsprogramm für Frauen<br />
und Männer (1996-2000) mit einem Budget<br />
von 40 Millionen EURO, definiert Mainstreaming<br />
als die Integration von gleichen Chancen für Männer<br />
und Frauen in den Politikprozeß aller Aktivitäten<br />
und Maßnahmen der Europäischen Union und<br />
der 15 Mitgliedstaaten. Er beschreibt die Gewichtung<br />
der EU-Gleichstellungspolitik als eine horizontale<br />
Politik.<br />
Gender-Mainstreaming entwickelt sich so zum zentralen<br />
Instrument für Chancengleichheit in der<br />
Gesellschaft. Es muß uns gelingen die Gleichstellung<br />
der Frauen in der traditionellen Politik weiterhin<br />
zu verankern. Gender-Mainstreaming kann<br />
nicht eine spezifische Frauenpolitik mit positiven<br />
Maßnahmen ersetzen oder überflüssig machen:<br />
Beide sind Teile einer komplementären Strategie<br />
um die Gleichstellung von Frauen zu erreichen. Das<br />
heißt im Klartext: wir brauchen unabdingbar positive<br />
Maßnahmen zur Frauenförderung neben dem<br />
horizontalen Ansatz "Gender - Mainstreaming".<br />
2. Politikfelder des<br />
Gender-Mainstreaming in der EU<br />
Die wirtschaftlichen Veränderungen erfordern eine<br />
aktive und direkte Unterstützung von Frauen insbesondere<br />
auf dem Arbeitsmarkt, in der Aus- und<br />
Weiterbildung. Dies kann nicht allein über<br />
Aktionsprogramme zur Gleichstellung erfolgen.<br />
Das vierte Aktionsprogramm zur Chancengleichheit<br />
hatte ein Budget von 40 Millionen EURO über<br />
fünf Jahre, für mehr als 190 Millionen Bürgerinnen<br />
in allen 15 Mitgliedstaaten. Die EU Strukturfonds<br />
dagegen haben ein Volumen von 35 Milliarden<br />
EURO pro Jahr. Deren Trainings- und Qualifizie-
ungsprogramme sind die Hauptinstrumente der<br />
EU und müssen genutzt werden, um die Arbeitsmarktchancen,<br />
die Ausbildung und die Bildungssituation<br />
von Frauen zu verbessern. Die Europäische<br />
Kommission und die Mitgliedstaaten müssen sich<br />
abstimmen, um die Maßnahmen mit den anderen<br />
Gemeinschaftspolitiken, besonders mit dem Europäischen<br />
Sozialfond (ESF) und dem Europäischen<br />
Regionalen Entwicklungsfond (EFRE) zu koordinieren.<br />
Die Strukturfonds ergänzen mit den Bildungsprogrammen<br />
LEONARDO und SOKRATES die<br />
Qualifizierungspalette der EU.<br />
Die Europäische Beschäftigungsstrategie muß auf<br />
den Gleichstellungsaspekt hin untersuchen werden.<br />
Das fünfte Aktionsprogramm für Chancengleichheit<br />
von Männern und Frauen, welches die<br />
effektive Verankerung des Prinzips des Gender-<br />
Mainstreamings und den Zusammenhang der<br />
Beteiligung der Frauen in Entscheidungspositionen<br />
weiter fördert, wird ein wichtiges Instrument sein,<br />
um diese Verknüpfung voran zu bringen.<br />
3. Gender - Mainstreaming<br />
in den Institutionen der EU<br />
Der Ausschuß für die Rechte der Frau im europäischen<br />
Parlament spielt eine entscheidende Rolle<br />
bei der Umsetzung des Gleichstellungsprinzips und<br />
setzt in der europäischen Demokratie neue Impulse.<br />
Im Parlament und in der Kommission wurde ein<br />
Aktionsplan zum Gender-Mainstreaming entwickelt.<br />
Zu wünschen wäre, daß alle EU-Institutionen<br />
Gleichstellungsprogramme auflegten und Pläne mit<br />
klar formulierten Zielen, wie genaue Quoten mit<br />
Zeitrahmen, aufstellten. Die Institutionen bräuchten<br />
neue Parameter zur Beurteilung der Qualifikation<br />
bei Neueinstellungen und Weiterbildungen, ergänzt<br />
durch positive Maßnahmen zugunsten von Frauen<br />
bei der Besetzung höherer Positionen.<br />
FRAUEN GESTALTEN EUROPA<br />
Lissy Gröner<br />
54<br />
Ein interessantes Modell entwickelten die Schweden.<br />
Wer eine Führungsposition bekleiden will,<br />
muß ein "Gender - Sibilisierungstraining" durchlaufen,<br />
egal ob Minister, Gewerkschafter oder Kardinal<br />
und das gilt ebenso für Männer wie Frauen.<br />
3.1. Frauen in Entscheidungspositionen<br />
der EU<br />
Auf europäischer Ebene ist der Frauenanteil unter<br />
den Mitgliedern des Europäischen Parlaments<br />
von 26,5% im Jahre 1994 auf 29,7% im Jahre<br />
1999 gestiegen; im Wirtschafts- und Sozialausschuß<br />
beträgt der Frauenanteil 17,1%, im Ausschuß<br />
der Regionen 14,9% und im Europäischen<br />
Rat 6,5%.<br />
Um das Bewußtsein zu stärken, wurden verschiedene<br />
Maßnahmen in Form von Kampagnen, Broschüren<br />
und Konferenzen durchgeführt, doch<br />
stellt die Empfehlung vom 2. Dezember 1996<br />
über die ausgewogene Mitwirkung von Frauen<br />
und Männern am Entscheidungsprozeß die einzige<br />
direkte legislative Maßnahme in diesem<br />
Bereich dar. Auf nationaler Ebene haben sich<br />
zwei Mitgliedstaaten dafür entschieden, der<br />
Unterrepräsentanz von Frauen in der Politik mit<br />
gesetzlichen Mitteln zu begegnen. Belgien hat<br />
eine Quote für Kandidatenlisten eingeführt und<br />
Frankreich hat ein Gesetz über alternierende<br />
Wahllisten verabschiedet. Auf nationaler Ebene<br />
variiert der Anteil der Frauen in Machtpositionen<br />
von Land zu Land erheblich. In den nationalen<br />
Parlamenten reicht er von 10% - 43%. Von allen<br />
Führungspositionen in der EU ist derzeit ca. jede<br />
vierte mit einer Frau besetzt. In den letzten fünf<br />
Jahren ist in allen Mitgliedstaaten ein stetiger<br />
Anstieg zu beobachten.<br />
Andere Bereiche des Entscheidungsprozesses wurden<br />
von der EU und ihren Mitgliedstaaten jedoch
nicht angegangen. Mehr Aufmerksamkeit sollte<br />
dem Entscheidungsprozeß auf der Ebene der Sozialpartner<br />
geschenkt werden, wo Frauen stark<br />
unterrepräsentiert sind. Von den beiden wichtigsten<br />
Akteuren auf europäischer Ebene, dem EGB<br />
und der UNICE, müssen Aktionsprogramme entwickelt<br />
werden. Hier könnte eine umfassende<br />
Sammlung von nach Geschlechtern getrennten Statistiken<br />
den ersten Schritt darstellen. Die Vertretung<br />
von Frauen in Entscheidungsgremien der<br />
Gewerkschaften ist während des Zeitraums 1993-<br />
1998 europaweit von 23% auf 28% gestiegen. Im<br />
Vorstand des EGB ist der Frauenanteil von 14% im<br />
Jahre 1994 auf 24% im Jahre 1996 gestiegen.<br />
Eine ausgewogene Vertretung von Frauen und<br />
Männern in den wirtschaftlichen und finanziellen<br />
Entscheidungsprozessen ist für die Gleichstellung<br />
und den Aufstieg der Frauen von entscheidender<br />
Bedeutung. Im Privatsektor stellen Frauen in<br />
Führungspositionen nach wie vor eine Minderheit<br />
dar. Im Finanzsektor sind beispielsweise nur 8,2%<br />
der Positionen auf Direktionsebene, 18,2% der leitenden<br />
Positionen und 27,2% der Positionen in der<br />
Verwaltung mit Frauen besetzt. Im Bereich der<br />
KMU wurde die sogenannte „kritische Masse“<br />
erreicht, die nicht mehr vom anderen Geschlecht<br />
dominiert werden kann. Über 30% der kleinen<br />
und mittleren Unternehmen in Europa werden von<br />
Frauen geleitet.<br />
3.1.1. Der Ausschuß für die Rechte der Frau:<br />
Motor für Gleichstellung in der EU<br />
Der Ausschuß für die Rechte der Frau war sehr<br />
aktiv, um die Gleichstellungsgesetzgebung der EU,<br />
Förderprogramme und Antidiskriminierungsmaßnahmen<br />
voran zubringen Während der vergangenen<br />
Legislaturperiode hat der Ausschuß für die<br />
Rechte der Frau viele wegweisende Berichte<br />
FRAUEN GESTALTEN EUROPA<br />
Lissy Gröner<br />
55<br />
erstellt, wie zum Beispiel zum Thema Frauenhandel,<br />
Gewalt gegen Frauen, Frauen in der Forschung,<br />
Rolle der Frauen in den Medien und<br />
Umgang von Frauen mit neuen Technologien, zur<br />
Integration gleicher Chancen für Männer und<br />
Frauen in alle Gemeinschaftspolitiken, zum Thema<br />
gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit, zu<br />
Gesundheit und Frauen und zur Arbeitslosigkeit<br />
von Frauen. Der Ausschuß hat außerdem einen<br />
fortwährenden Dialog mit Repräsentanten der<br />
nationalen Parlamente und den internationalen<br />
Körperschaften und den Repräsentanten der Nichtregierungsorganisationen<br />
(NGO’s) geführt.<br />
Eine wichtige Bündnispartnerin für Chancengleichheit<br />
ist die Europäischen Frauenlobby (EWL), die<br />
Dachorganisation der nationalen Frauenorganisationen.<br />
Risiken für einen Rückschlag in der Gleichstellungspolitik<br />
bleiben latent vorhanden.<br />
Niemand weiß wie der Kampf für Frauenrechte in<br />
den Bereichen Arbeitslosigkeit, Menschenrechte<br />
und Frauen in Entscheidungspositionen weitergehen<br />
wird unter den veränderten Mehrheiten im<br />
Europäischen Parlament.<br />
3.2. Die Europäische Kommission:<br />
Spezielle Strukturen wurden geschaffen<br />
Unter dem Vorsitz des EU-Kommissionspräsidenten<br />
Jaques Santer wurde 1995 eine Gruppe von Kommissaren<br />
für Chancengleichheit gebildet. Die Gruppe<br />
wird unter Präsident Prodi weitergeführt und hält<br />
regelmäßig Kontakt mit dem EP und der EWL.<br />
1997 wurde die Gender-Mainstreaming Einheit mit<br />
allen Generaldirektionen gebildet, die einen jährlichen<br />
Bericht über die Entwicklung der Chancengleichheit<br />
erstellen und dem EP vorlegen. Dessen<br />
zentrales Anliegen ist, mehr Bewußtsein über<br />
Gleichstellung bei den Beamten in Brüssel und den
EU-Delegationen zu erreichen und klar zu machen,<br />
daß mehr Sensibilität inbezug auf die Benachteiligung<br />
von Frauen zu entwickeln ist. Nicht nur nach<br />
innen, sondern auch im Erweiterungsprozeß der<br />
EU und bei der Zusammenarbeit mit Drittstaaten<br />
muss diese Gender-Sensibilität exerziert werden.<br />
3.3 Andere EU-Institutionen: Geschlechtsspezifische<br />
Diskrepanz bei Entscheidungspositionen<br />
Der Vollständigkeit halber ein Blick auf die weiteren<br />
EU-Institutionen.<br />
Das Generalsekretariat des Rates stellte einen Ausschuß<br />
für gleiche Chancen (COPECV) 1992 auf.<br />
Daten über die Personalstruktur von 1997 zeigen,<br />
daß der Frauenanteil, der über 50 % des Personals<br />
ausmacht, erneut gestiegen ist: der Frauenanteil ist<br />
jedoch stark konzentriert in der Kategorie C, der<br />
Sekretariatskategorie. Der Frauenanteil in der Kategorie<br />
A und auf Ministerniveau liegt unter 20 %.<br />
Der Europäische Rechnungshof hat keinen Ausschuß<br />
für Gleichstellung und keine formale Förderpolitik.<br />
Von 15 Mitgliedern ist nur ein einziges<br />
weiblich, von sieben Direktoren ist keine eine Frau<br />
und es gibt nur eine Abteilungsleiterin von 20.<br />
Der Europäische Gerichtshof vereint 15 Richter,<br />
darunter eine Frau. Die Bundesjustizministerin<br />
Herta Däubler-Gmelin hat zum 15. Juli die zweite<br />
Richterin in der 40jährigen Geschichte dieser Institution<br />
ernannt. Die Europäische Zentralbank hat<br />
keinen formalen Gleichstellungsplan, unter acht<br />
Mitgliedern des Zentralbankrates ist eine Frau.<br />
4. Die Zukunftsperspektive:<br />
Instrumente um Gender-Mainstreming in<br />
der EU zu überprüfen<br />
Gender-Mainstreaming als innovative Strategie<br />
kann den Durchbruch einer Gleichstellungspolitik<br />
FRAUEN GESTALTEN EUROPA<br />
Lissy Gröner<br />
56<br />
für das <strong>21</strong>. Jahrhundert bewirken. Dazu müssen<br />
zusammenfassend folgende Schritte eingeleitet<br />
werden:<br />
1. Das Bewußtsein der Entscheidungsträger beiderlei<br />
Geschlechts muß geschärft werden. Die<br />
Teilnahme an obligatorischen Gleichstellungsseminaren,<br />
ähnlich wie in Schweden<br />
muss Pflicht werden für alle Führungspositionen,<br />
bis das Wissen über Gleichstellungspolitik<br />
Allgemeingut ist.<br />
3. Statistiken mit geschlechtsspezifischen Daten,<br />
sowohl quantitative als auch qualitative, sind<br />
fundamental für die Entscheidungen auf allen<br />
Politikebenen. Das gilt von der Planung bis<br />
zur Implementation, Überwachung und Evaluation<br />
von Programmen.<br />
5. Ein Gleichstellungsindex muß entwickelt werden.<br />
Damit ist eine Anzahl von zentralen<br />
empirischen Daten gemeint, die ermittelt, kalkuliert<br />
und zusammengefasst werden zu<br />
einem Index. Dieser Index drückt dann den<br />
Grad der Gleichstellung in dem jeweiligen<br />
relevanten Forschungsfeld aus.<br />
7. Gleiche Bezahlung für gleichwertige Arbeit<br />
muß sich durchsetzen. Im Durchschnitt<br />
erhalten Frauen in der EU 30% weniger Lohn<br />
als Männer, obwohl seit dem Vertrag von Rom<br />
der Europäischen Gemeinschaft 1958 der<br />
Grundsatz der gleichen Bezahlung als erstes<br />
Recht garantiert wird. Vor diesem Hintergrund<br />
sind neue Bewertungssysteme für<br />
Erwerbsarbeit zu entwickeln.<br />
9. Statistiken, Indices und Untersuchung von<br />
Diskriminierungsfällen, zusammen mit der<br />
Auswahl der „best practise“-Modelle bilden<br />
die Basis für feldspezifische Gleichstellungspläne<br />
mit Quoten und Zeitvorgaben. Dieses<br />
Benchmarking scheint eine sehr erfolgreiche
Methode für Gender-Mainstreaming zu sein.<br />
Sie kann benutzt werden um die Resultate der<br />
besten drei Länder in der Union als Messlatte<br />
für alle 15 Mitgliedstaaten zu verwenden.<br />
11. Alle internationalen Vereinbarungen müssen<br />
auf ihren Gleichstellungsgehalt, besonders auf<br />
die Berücksichtigung der Frauenrechte und<br />
Auswirkung auf die Frauen überprüft werden.<br />
Das EP fordert die Beteilugung von weiblichen<br />
Verhandlungspartnern.<br />
13. Nicht zuletzt beinhaltet Gleichstellung auch<br />
Solidarität: Solidarität zwischen reich und<br />
arm, zwischen Männern und Frauen, zwischen<br />
alt und jung, zwischen Nord und Süd,<br />
Ost und West, das ist der Anspruch des Europäischen<br />
Sozialmodells.<br />
5. Zu einem neuen europäischen Geschlechtervertrag<br />
für Frauen und Männer<br />
Gleichheit und Solidarität sind fundamentale Elemente<br />
der Menschenrechte und Basis der sozialen<br />
FRAUEN GESTALTEN EUROPA<br />
Lissy Gröner<br />
57<br />
Gerechtigkeit und der demokratischen Gesellschaft.<br />
Sozialdemokratinnen haben es so formuliert:<br />
Wer die menschliche Gesellschaft will, muß die<br />
männliche überwinden.<br />
Wir wollen<br />
die Hälfte des Himmels,<br />
die Hälfte der Erde und<br />
die Hälfte der Macht für Frauen.<br />
Lissy Gröner ist frauenpolitische Sprecherin der<br />
SPE-Fraktion im Europäischen Parlament, Vizepräsidentin<br />
der Sozialistischen Fraueninternationale<br />
(SIW) und seit 1989 Mitglied im Ausschuss<br />
für die Rechte der Frau.<br />
www.europarl.eu.int/pes/
I. Einleitung<br />
Als erstes internationales Dokument anerkannte<br />
die Satzung der Vereinten Nationen von 1945 die<br />
Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Da<br />
damals nur in dreißig der einundfünfzig Gründungsstaaten<br />
Frauen das aktive und passive Wahlrecht<br />
innehatten, stand die Schaffung der rechtlichen<br />
Gleichstellung von Frauen im Bereich der<br />
bürgerlichen und politischen Rechte im Kern der<br />
UN-Frauenpolitik bis Mitte der sechziger Jahre.<br />
Widerspiegelte die Konzentration der UN-Aktivitäten<br />
auf die klassischen Freiheitsrechte auch die<br />
tatsächliche weltweite Diskriminierung von Frauen<br />
in diesen Bereichen, so kam in ihr doch auch<br />
die politische Überzeugung der damals zahlenmäßig<br />
dominierenden westlichen Staatengruppe<br />
zum Ausdruck, die gemeinsam mit den lateinamerikanischen<br />
Staaten die Förderung der klassi-<br />
THEMA<br />
SCHUTZ VON FRAUENRECHTEN<br />
IM RAHMEN DER<br />
VEREINTEN NATIONEN<br />
Insbesondere durch das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form<br />
von Diskriminierung der Frau (CEDAW)<br />
von Dr. Norman Weiß,<br />
Universität Potsdam<br />
58<br />
schen Menschenrechte der sogenannten Ersten<br />
Generation favorisierten.<br />
Die frauenpolitische Arbeit der Vereinten Nationen<br />
fand damals wie heute vorrangig in der Kommission<br />
zur Rechtsstellung der Frau (Commission<br />
on the Status of Women) statt. Diese wurde im<br />
Februar 1946 zunächst als Unterausschuß der<br />
Menschenrechtskommission und kurz darauf als<br />
eigenständiges, ihr formal gleichgeordnetes Gremium<br />
eingerichtet. Die Kommission blieb bis Mitte<br />
der siebziger Jahre das einzige frauenspezifische<br />
Gremium in den Vereinten Nationen. Inzwischen<br />
setzt sie sich bei ihren jährlichen Tagungen<br />
aus 45 Regierungsdelegationen zusammen.<br />
Ermöglichte es das ursprüngliche Mandat der<br />
Kommission, Berichte und Empfehlungen an den<br />
Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) zur Förderung<br />
der Rechte von Frauen in den politischen,
wirtschaften und sozialen Bereichen zu erarbeiten,<br />
so ist es 1998 dahingehend erweitert worden,<br />
dass sie auch die Umsetzung der Beschlüsse der<br />
Weltfrauenkonferenzen in den Mitgliedstaaten<br />
und den UN-Institutionen überwachen soll.<br />
Die Kommission war maßgeblich am frauenspezifischen<br />
Standard Setting der Vereinten Nationen<br />
beteiligt. Das wichtigste und umfassendste frauenrechtliche<br />
völkerrechtliche Übereinkommen, das<br />
die Kommission erarbeitet hat, ist das „Übereinkommen<br />
zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung<br />
der Frau (CEDAW)“. Darüber hinaus<br />
war die Kommission auch bei der Erarbeitung von<br />
Konventionen gegen Diskriminierung von Frauen<br />
durch die internationale Arbeitsorganisation<br />
(ILO) und die UNESCO beteiligt.<br />
Als sich Ende der sechziger Jahre das Scheitern<br />
der Modernisierungsstrategie im Bereich der Entwicklungspolitik<br />
abzeichnete, waren neue entwicklungspolitische<br />
Lösungskonzepte gefragt. In<br />
diesem Zusammenhang wurde deutlich, daß<br />
Frauen von der Verschlechterung in den Ländern<br />
des Südens – Zunahme von Hunger, Armut und<br />
Krankheiten – besonders betroffen waren. Deshalb<br />
erklärte die Generalversammlung der Vereinten<br />
Nationen 1975 zum „Internationalen Jahr<br />
der Frau“ und berief die erste Weltfrauenkonferenz<br />
zu diesem Jahr nach Mexiko ein. Damit anerkannten<br />
die Vereinten Nationen erstmals die weltweite<br />
Benachteiligung von Frauen als umfassendes<br />
politisches Aufgabenfeld. Die frauenorientierten<br />
Bemühungen der Vereinten Nationen auf dem<br />
Bereich der Familienplanung einerseits sowie die<br />
Zunahme der Organisation von Frauenrechtsbewegungen<br />
in den nationalen Zivilgesellschaften<br />
andererseits taten ein übriges, um die frauenpolitische<br />
Arbeit der Organisation voranzutreiben.<br />
Das Frauenjahr und die Konferenz in Mexiko soll-<br />
SCHUTZ VON FRAUENRECHTEN<br />
Dr. Norman Weiß<br />
59<br />
ten drei Zielbereiche abdecken: Gleichberechtigung<br />
von Männern und Frauen, die Integration<br />
von Frauen in den Entwicklungsprozeß und die<br />
Beteiligung von Frauen an der Schaffung des Weltfriedens.<br />
Auf der Konferenz verabschiedeten die<br />
Teilnehmerstaaten einstimmig einen Aktionsplan,<br />
in dem eine frauenpolitische Agenda formuliert<br />
wurde, deren Schwerpunkt zunächst die Entwicklungspolitik<br />
bildete. Das „Internationale Jahr der<br />
Frau“ wurde zu einer von 1976 bis 1985 reichenden<br />
Dekade ausgeweitet, in deren Verlauf weitere<br />
Weltfrauenkonferenzen (Kopenhagen 1980 und<br />
Nairobi 1985) stattfanden. Obwohl 1981 die<br />
Frauenrechtskonvention (CEDAW) in Kraft getreten<br />
war, überwogen in den Vereinten Nationen die<br />
entwicklungs- und sozialpolitischen Strategien zur<br />
Bekämpfung der Diskriminierung von Frauen.<br />
Erst Ende der achtziger Jahre kam es zu dem<br />
bedeutsamen Paradigmenwechsel, demzufolge<br />
Frauenrechte Menschenrechte sind und in den<br />
allgemeinen Menschenrechtsdiskurs und die Verwirklichung<br />
aller Politikfelder der Vereinten<br />
Nationen integriert sind. Dies geht maßgeblich auf<br />
Ideen der internationalen Frauen-NGOs zurück,<br />
die seit Beginn der neunziger Jahre auch auf<br />
anderen Weltkonferenzen, die sich nicht ausschließlich<br />
frauenspezifischen Themen widmen, als<br />
Interessenvertretungen aufgetreten sind. Entsprechend<br />
wurde auf der Weltmenschenrechtskonferenz<br />
1993 in Wien von der Staatengemeinschaft<br />
offiziell bekräftigt: „Die Menschenrechte der<br />
Frauen und der minderjährigen Mädchen sind ein<br />
unveräußerlicher, integraler und unabtrennbarer<br />
Bestandteil der allgemeinen Menschenrechte.<br />
[…] Geschlechtsspezifische Gewalt und alle Formen<br />
sexueller Belästigung und Ausbeutung […]<br />
sind mit der Würde und dem Wert der menschlichen<br />
Person unvereinbar.“ (Wiener Erklärung
und Aktionsprogramm, Kapitel 1, Ziffer 18).<br />
Zum Abschluß dieses einleitenden Überblicks<br />
kann festgehalten werden, daß - ausgehend von<br />
der frauenspezifischen Entwicklungsarbeit - die<br />
gesamte frauenpolitische Tätigkeit der Vereinten<br />
Nationen heute vom Begriff des „Empowerment„<br />
geprägt ist. Dies gilt insbesondere für die vierte<br />
Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 und ihr<br />
Abschlußdokument, die Pekinger Aktionsplattform.<br />
Diese Aktionsplattform stellt einen programmatischen<br />
Leitfaden für die globale Frauenpolitik<br />
auf allen Ebenen dar. Sie formuliert Aufgaben<br />
für das UN-System, die Mitgliedstaaten und<br />
die betroffenen Nichtregierungsorganisationen.<br />
Wichtig ist der Nachfolgeprozeß, mit dem die<br />
Aktionsplattform Wirksamkeit erlangen soll. Die<br />
Staaten sind aufgefordert, nationale Umsetzungsstrategien<br />
vorzulegen, die im Rahmen der Vereinten<br />
Nationen im Juni 2000 diskutiert und ausgewertet<br />
worden sind.<br />
Ebenfalls neu in der gesamtfrauenpolitischen<br />
Arbeit der Vereinten Nationen ist die Strategie des<br />
sog. „Gender mainstreaming“. Mit dem Gender-<br />
Begriff wird auf die unterschiedlichen sozialen<br />
Rollenzuweisungen an Männer und Frauen in<br />
einem Geschlechterverhältnis, welches Unterordnungsbeziehungen<br />
errichtet, zurückgegriffen.<br />
Anders als beim rein frauenspezifischen Ansatz<br />
kommen so beide Geschlechter, die Strukturen,<br />
ihre Beziehungen und auch die gesellschaftlich<br />
definierten Rollen von Männern in den Blick.<br />
Bereits auf dem Wiener Gipfel 1993 wurde „Gender<br />
mainstreaming„ in die allgemeine UN-Menschenrechtsarbeit<br />
eingeführt. Ziel eines institutionalisierten<br />
„Gender mainstreaming“ ist es, die<br />
Verantwortung für die Umsetzung der Gleichberechtigung<br />
von Männern und Frauen auf alle<br />
Beschäftigten einer Organisation zu übertragen.<br />
SCHUTZ VON FRAUENRECHTEN<br />
Dr. Norman Weiß<br />
60<br />
Wichtige Instrumente hierfür sind das sog. „Gender<br />
training“, um Veränderungen in den Einstellungen,<br />
Verhaltensweisen und Motivationen zu<br />
erreichen, sowie Leitlinien zur Anwendung der<br />
Gender-<strong>Perspektive</strong> für die spezifischen Sektoren<br />
und Arbeitsaufgaben.<br />
II. Das Übereinkommen zur Beseitigung<br />
jeder Form von Diskriminierung der Frau<br />
(CEDAW)<br />
Das Übereinkommen wurde am 18. Dezember<br />
1979 von der Generalversammlung der Vereinten<br />
Nationen verabschiedet; es trat am 3. September<br />
1981 in Kraft. Das Übereinkommen gilt heute in<br />
165 Staaten (Stand Juni 2000). Zwölf Jahre nach<br />
der Erklärung zur Beseitigung der Diskriminierung<br />
von Frauen verabschiedete die Generalversammlung<br />
schließlich CEDAW, das erste internationale<br />
Rechtsdokument, das die Diskriminierung<br />
von Frauen definiert.<br />
Die Präambel des Übereinkommens betont die<br />
Verpflichtung der Vereinten Nationen und der<br />
Staaten auf die Gleichberechtigung von Mann und<br />
Frau und auf die Würde des Menschen, stellt aber<br />
fest, daß es trotz vielfältiger Bemühungen zur<br />
Beseitigung von Ungleichbehandlung weiterhin<br />
Diskriminierungen von Frauen gebe. Mit CEDAW<br />
werden Grundsätze zur Beseitigung der Diskriminierungen<br />
formuliert, zu deren Verwirklichung<br />
sich die Vertragsstaaten verpflichten.<br />
1. Aufbau und Inhalte<br />
Das Übereinkommen gliedert sich in sechs Teile.<br />
Die ersten vier Teile enthalten die materiellen<br />
Regelungen, der fünfte beschäftigt sich mit Errichtung,<br />
Organisation und Aufgaben des Kontrollgremiums,<br />
der abschließende Teil umfaßt vertragstechnische<br />
Vorschriften. Die materiellen Vor-
schriften stellen in sechzehn Artikeln substantielle<br />
Diskriminierungsverbote auf, die beinahe den<br />
gesamten Lebensbereich von Frauen abdecken.<br />
Das Übereinkommen verbietet direkte und indirekte<br />
Diskriminierungen. Dieses Verbot richtet<br />
sich vernünftigerweise nicht nur gegen den Vertragsstaat<br />
und seine Einrichtungen, vielmehr muß<br />
der Staat mittels aller geeigneten Maßnahmen<br />
auch dafür Sorge tragen, daß Diskriminierungen<br />
durch Personen, Organisationen oder Unternehmen<br />
verhindert werden.<br />
Das Übereinkommen etabliert ein Kontrollgremium,<br />
den „Ausschuß zur Beseitigung jeder Form<br />
von Diskriminierung der Frau“ (im folgenden:<br />
Ausschuß). Dieser ist in Anlehnung an ältere Vertragsorgane<br />
anderer Menschenrechtsübereinkommen<br />
als unabhängiges Expertengremium<br />
konzipiert.<br />
Ihm gehören 23 Sachverständige „von hohem sittlichen<br />
Rang und großer Sachkenntnis auf dem<br />
von dem Übereinkommen erfaßten Gebiet“ (Art.<br />
17 Abs. 1 S. 1) an. Seit 1988 ist die deutsche Amerikanistin<br />
und ehemalige Abteilungsleiterin<br />
(1987-1992) im heutigen Bundesministerium für<br />
Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Hanna<br />
Beate Schöpp-Schilling, Mitglied des Ausschusses.<br />
Bedauerlicherweise wird der Ausschuß im Übereinkommen<br />
nicht reich bedacht. Die ihm<br />
ursprünglich zuerkannte Beratungszeit lag mit<br />
„höchstens 2 Wochen“ jährlich (Art. 20 Abs. 1)<br />
deutlich unter der vergleichbarer Vertragsorgane.<br />
Bald jedoch erwies sie sich als unzureichend und<br />
wurde auf entsprechende Forderung des Ausschusses<br />
hin immer wieder durch Beschluß der<br />
Vertragsstaaten ausgeweitet. Inzwischen wurde<br />
Art. 20 Abs. 1 abgeändert und die Tagungszeit auf<br />
zweimal 3 Wochen verlängert. Bis heute haben<br />
allerdings erst <strong>21</strong> Vertragsstaaten diese Änderung<br />
SCHUTZ VON FRAUENRECHTEN<br />
Dr. Norman Weiß<br />
61<br />
ratifiziert; für ihre Wirksamkeit sind zwei Drittel<br />
der 165 Vertragsstaaten erforderlich.<br />
Der bedeutsamste Unterschied zu den anderen<br />
Vertragsorganen liegt jedoch darin, daß bislang<br />
Individualbeschwerden zum Ausschuß nicht möglich<br />
sind. Obwohl diese eher ungünstigen Ausgangsbedingung<br />
sich nur allmählich verbessert<br />
haben, konnte der Ausschuß wichtige Impulse<br />
geben. Einerseits hat er von Anfang an die eigenen<br />
Arbeitsbedingungen und Einwirkungsmöglichkeiten<br />
zu verbessern gesucht und ist hierbei immerhin<br />
mit einigen Erfolgen bedacht worden. Weiterhin<br />
hat er sich die Anerkennung einiger Vertragsstaaten,<br />
aber auch nicht weniger Rechtswissenschaftler<br />
zäh erringen müssen, die das Thema<br />
Frauenrechte als weiches Thema angesehen und<br />
den Ausschuß mitunter nicht ernst genommen<br />
haben. Bis zur 20. Sitzungsperiode im Februar<br />
1999 hatte der Ausschuß vierundzwanzig „Allgemeine<br />
Empfehlungen“ verabschiedet, in denen er<br />
einzelne Vorschriften des Übereinkommens kommentiert,<br />
das Staatenberichtsverfahren strukturiert<br />
und Hinweise zur innerstaatlichen Umsetzung<br />
des Übereinkommens gegeben hat. Neben<br />
den abschließenden Bemerkungen zu den jeweiligen<br />
Staatenberichten bilden diese Empfehlungen<br />
das Kernstück seiner Arbeit.<br />
Kehren wir zu den materiellen Inhalten des Übereinkommens<br />
zurück, so stellen wir fest, daß sich<br />
das Frauenrechtsübereinkommen auf alle Lebensbereiche<br />
von Frauen erstreckt und sämtliche Diskriminierungsformen<br />
erfaßt, denen sie ausgesetzt<br />
sind.<br />
Der Tatbestand der Diskriminierung wird in Art. 1<br />
als sowohl direkte oder beabsichtigte (Ziel) sowie<br />
als unbeabsichtigte oder indirekte (Folge) Vereitelung<br />
oder Beeinträchtigung der Anerkennung,<br />
Inanspruchnahme oder Ausübung der Menschen-
echte und Grundfreiheiten durch die Frau aufgrund<br />
einer mit ihrem Geschlecht begründeten<br />
Unterscheidung, Ausschließung oder Beschränkung<br />
definiert. Die Einschließung der unbeabsichtigten<br />
oder indirekten Diskriminierung ist<br />
deshalb besonders wichtig, weil dieser Tatbestand<br />
in vielen Ländern nicht bekannt ist oder nicht verstanden<br />
wird. Insofern erweist sich das Übereinkommen<br />
als ein wichtiges Instrument, um das<br />
Bewußtsein bei den Regierungen der Vertragsstaaten<br />
und ihren Zivilgesellschaften über diese<br />
häufige Form der Diskriminierung von Frauen zu<br />
schaffen und so darauf hinzuwirken, daß diese in<br />
ihren vielfältigen Erscheinungsformen erkannt,<br />
verboten und beseitigt wird. Da die Diskriminierung<br />
auch auf Grund des Familienstandes von<br />
Frauen verboten ist, wird - in Verbindung mit Art.<br />
16 - das herkömmliche Menschenrechtsverständnis<br />
erweitert, weil Menschenrechtsverletzungen<br />
an Frauen auch im privaten Bereich verboten<br />
werden.<br />
In Art. 2 verpflichten sich die Vertragsstaaten zu<br />
einem Bündel gesetzgeberischer und sonstiger<br />
Maßnahmen, die unverzüglich einzusetzen sind,<br />
um die rechtliche und tatsächliche Diskriminierung<br />
von Frauen zu beseitigen. Diese können auf<br />
Handlungen der Exekutive, Legislative und Rechtsprechung<br />
sowie von Privatpersonen, privaten<br />
Organisationen und Unternehmen beruhen. Der<br />
Vertragsstaat ist für deren Verhalten verantwortlich,<br />
wenn er durch einen Mangel an Sorgfalt diskriminierende<br />
Handlungen nichtöffentlicher<br />
Hoheitsträger nicht kontrolliert, korrigiert, verhindert<br />
oder bestraft.<br />
Gemäß Art. 3 sind gesetzgeberische und sonstige<br />
Maßnahmen für alle Lebensbereiche von Frauen<br />
erforderlich, um ihre volle Entfaltung und Förderung<br />
zu sichern. Dies wird durch Art. 24 ergänzt.<br />
SCHUTZ VON FRAUENRECHTEN<br />
Dr. Norman Weiß<br />
62<br />
Eine besondere Rolle nimmt Art. 4 ein: er läßt<br />
zeitweilige frauenspezifische Sondermaßnahmen<br />
zu, um die De facto-Gleichberechtigung von Mann<br />
und Frau beschleunigt herbeizuführen. Außerdem<br />
erlaubt die Vorschrift eine Garantie des Mutterschutzes.<br />
Beides gilt nicht als Diskriminierung<br />
von Männern. Die nach Art. 4 Abs. 1 zugelassenen<br />
zeitlich begrenzten Förderungen von Frauen, die<br />
von Sonderprogrammen in Bildung und Ausbildung<br />
über die bevorzugte Einstellung und Beförderung<br />
im Berufsleben bis hin zur Erlangung<br />
politische Positionen auf der Grundlage von Zielvorgaben<br />
oder Quoten reichen können, werden in<br />
vielen Vertragsstaaten nicht akzeptiert oder nur<br />
sehr zögerlich angewendet.<br />
Nach Art. 5 ist der Vertragsstaat zu allen geeigneten<br />
Maßnahmen verpflichtet, die zu einer Änderung<br />
der sozialen und kulturellen Verhaltensmuster<br />
und der stereotypen Rollenverteilung zwischen<br />
Mann und Frau sowie einer Änderung der<br />
diesen zugrunde liegenden Vorurteile und aus<br />
diesen resultierenden diskriminierenden Praktiken<br />
führen. Ziel dieser Verpflichtung ist es, eine<br />
der Wurzeln von Frauendiskriminierungen anzugehen.<br />
Diese hält sich in einigen Ländern in sehr<br />
krassen Formen, wie etwa Genitalverstümmelung<br />
oder Witwenverbrennung. Anderenorts stellen<br />
sich diese Phänomene subtiler dar, etwa was die<br />
Darstellung von Frauen in Schulbüchern oder<br />
Medien angeht. Ein weiteres Ziel des Wandels der<br />
stereotypen Rollenverteilung ist es, Männer und<br />
Frauen für die Übernahme der gemeinsamen Verantwortung<br />
im Bereich der Kindererziehung zu<br />
gewinnen.<br />
Die Abschaffung des Frauenhandels sowie der<br />
Ausbeutung der Frauen durch Prostitution wird in<br />
Art. 6 gefordert. Beide Erscheinungsformen<br />
haben in den vergangenen Jahren aufgrund der
politischen und wirtschaftlichen Transformationsprozesse<br />
in Mittel- und Osteuropa, aber auch in<br />
Mittel- und Lateinamerika sowie in Asien ein vorher<br />
nicht gekanntes Ausmaß angenommen.<br />
Nach Art. 7 und 8 ist die Diskriminierung der Frau<br />
im politischen und öffentlichen Leben ebenso wie<br />
in der Vertretung des Vertragsstaates auch internationaler<br />
Ebene verboten. In Verbindung mit der<br />
gleichzeitig durch Art. 4 Abs. 1 ermöglichten<br />
besonderen Förderung von Frauen im politischen<br />
Bereich eröffnet diese Verpflichtung die Chance,<br />
durch stärkere politische Präsenz, Mitwirkung<br />
und Teilhabe von Frauen eine tatsächlich frauenfreundlichere<br />
Politik im jeweiligen Vertragsstaat<br />
zu erreichen.<br />
Die gleichen Rechte wie Männer hinsichtlich des<br />
Erwerbs, des Wechsels oder der Beibehaltung der<br />
Staatsangehörigkeit garantiert Art. 9 den Frauen<br />
für sich selbst und für ihre Kinder. In vielen Ländern<br />
ist dieses Recht auch heute noch nicht<br />
selbstverständlich, so daß die Teilhabe von Frauen,<br />
die zum Beispiel mit einem Ausländer verheiratet<br />
sind, besonders aber von ihren Kindern, am<br />
Rechts- und Sozialsystems des jeweiligen Landes<br />
stark eingeschränkt ist.<br />
Detaillierte Maßnahmen, mit denen Diskriminierungsformen<br />
und Tatbestände im Bildungs- und<br />
Erwerbsbereich zu beseitigen sind, enthalten die<br />
Art. 10 und 11.<br />
Weiterhin erlegt Art. 12 dem Vertragsstaat sämtliche<br />
geeigneten Maßnahmen auf, mit denen die<br />
Diskriminierung von Frauen im Gesundheitsbereich<br />
zu verhindern ist und ihnen ein gleichberechtigter<br />
Zugang zum Gesundheitswesen und<br />
eine angemessene gesundheitliche Betreuung vor<br />
während und nach der Schwangerschaft zu<br />
ermöglichen ist.<br />
Diskriminierungsverbote von Frauen im wirt-<br />
SCHUTZ VON FRAUENRECHTEN<br />
Dr. Norman Weiß<br />
63<br />
schaftlichen, sozialen und kulturellen Leben werden<br />
in Art. 13 definiert; die Gleichstellung mit<br />
dem Mann vor dem Gesetz statuiert Art. 15.<br />
Sämtliche Diskriminierungsverbote werden für<br />
Frauen auf dem Lande noch einmal gesondert in<br />
Art. 14 gebündelt. Damit werden die sich kumulierenden<br />
Diskriminierungsformen und -tatbestände<br />
zur Kenntnis genommen, denen Frauen in<br />
diesem gesellschaftlichen Sektor ausgesetzt sind,<br />
der die Wirtschafts- und Sozialstrukturen nach<br />
wie vor in vielen Ländern der Welt bestimmt.<br />
Als das Übereinkommen verabschiedet wurde,<br />
waren bestimmte Diskriminierungsformen noch<br />
nicht in das politische Bewußtsein gedrungen.<br />
Deshalb wird öffentliche und private Gewalt gegen<br />
Frauen im Übereinkommen nicht ausdrücklich<br />
benannt. Diese Diskriminierungsformen und -tatbestände<br />
sind von CEDAW jedoch rechtlich erfaßt,<br />
da es jede Form der Diskriminierung verbietet<br />
und Maßnahmen auf allen Gebieten ergriffen werden<br />
müssen. Der Ausschuss hat in seinen allgemeinen<br />
Empfehlungen Nr. 12, 14, 19 und <strong>21</strong> die<br />
vielfältigen Erscheinungsformen von Gewalt gegen<br />
Frauen in allen Lebensbereichen beschrieben und<br />
diejenigen gesetzgeberischen und anderen Maßnahmen<br />
formuliert, zu denen sich ein Vertragsstaat<br />
verpflichtet, um Gewalt gegen Frauen zu verhindern,<br />
ihnen als Opfern zu helfen und die Täter<br />
zu bestrafen oder zu resozialisieren.<br />
Diese allgemeinen Empfehlungen des Ausschusses<br />
dienen der ergänzenden Auslegung des Übereinkommens;<br />
sie haben keinen „harten“ Rechtscharakter.<br />
Ergänzend sei auf weitere, wichtige<br />
Empfehlungen des Ausschusses hingewiesen: Nr.<br />
23 interpretiert die Art. 7 und 8 (Frauen im politischen<br />
und öffentlichen Leben und in der Vertretung<br />
ihres Landes auf internationaler Ebene) sehr<br />
ausführlich, Empfehlung Nr. 24 erläutert den im
Übereinkommen sehr kurz gehaltenen Art. 12<br />
(Frauen und Gesundheit). Die in Art. 16 benannten<br />
Diskriminierungsformen und -tatbestände von<br />
Frauen in Ehe und Familie werden durch Empfehlung<br />
Nr. <strong>21</strong> interpretiert. Vorgesehen ist eine weitere<br />
Empfehlung zu Art. 4 Abs. 1 (zeitweilige Sondermaßnahmen)<br />
da es hier an einer hinreichenden<br />
Umsetzung in vielen Vertragsstaaten fehlt.<br />
Besondere Bedeutung wird der gleichfalls noch<br />
zu erarbeitenden Empfehlung zu Art. 2 zukommen,<br />
mit der Verpflichtungscharakter des Übereinkommens<br />
genauer verdeutlicht werden soll.<br />
2. Wirkungen<br />
Das Frauenrechtsübereinkommen teilt das<br />
Schicksal anderer Menschenrechtsverträge, insbesondere<br />
solche auf der Ebene der Vereinten<br />
Nationen, daß seine Auswirkungen auf Rechtsordnung<br />
und -wirklichkeit der Bundesrepublik<br />
Deutschland nur schwer meßbar erscheinen.<br />
Dies liegt zum einen daran, daß die Bundesrepublik<br />
Deutschland Mitglied des Europarates und<br />
Vertragsstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention<br />
ist. Dies bedeutet, daß wesentliche<br />
menschenrechtliche Impulse von dieser Ebene<br />
ausgehen. Auf dem Gebiet der Frauenrechte, insbesondere<br />
der Gleichstellung von Mann und Frau<br />
kommt hinzu, daß dieser Bereich in deutlichem<br />
Maße durch das Recht der Europäischen Gemeinschaften<br />
geprägt wird. Zu erinnern ist hier –<br />
neben Art. 137 und 141 EGV - an die diversen<br />
Gleichstellungsrichtlinien wie Richtlinie<br />
75/117/EWG und Richtlinie 76/207/EWG. Diese<br />
europarechtlichen Vorgaben haben zum sogenannten<br />
arbeitsrechtlichen EG-Anpassungsgesetz<br />
vom 13. August 1980 geführt, das entsprechende<br />
Umsetzungsvorschriften enthält. So wurden in das<br />
Recht des Dienstvertrages § 611a BGB (allgemei-<br />
SCHUTZ VON FRAUENRECHTEN<br />
Dr. Norman Weiß<br />
64<br />
ne Gleichbehandlung) und § 612 Abs. 3 BGB<br />
(gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit) aufgenommen.<br />
Gegenüber solchen, sehr konkreten<br />
Vorgaben der regionalen Ebene haben es Regelungsgehalte<br />
des Frauenrechtsübereinkommens<br />
schwer, konkreten Niederschlag in der Rechtsordnung<br />
und -wirklichkeit der Bundesrepublik<br />
Deutschland zu finden. Hinzu treten bedeutende<br />
innergesellschaftliche Impulse, wie beispielsweise<br />
die Frauenbewegung, die manche Forderungen<br />
bereits erhoben hat, bevor diese auf der Ebene<br />
der Vereinten Nationen relevant geworden sind.<br />
Außerdem ist zu berücksichtigen, daß die völkerrechtlichen<br />
Menschenrechtsverträge – anders als<br />
EG-Recht – keinen Vorrang gegenüber nationalem<br />
Recht genießen, sondern vielmehr – wie die<br />
Konvention selbst – den Rang einfachen Bundesrechts<br />
haben. Die Stellungnahmen und Entscheidungspraxis<br />
des CEDAW-Auschusses selbst ist für<br />
die jeweiligen Vertragsstaaten nicht rechtsverbindlich.<br />
Trotz dieser grundlegenden Einschränkungen<br />
ist festzuhalten, daß der Arbeit des Ausschusses<br />
– wie auch die anderer Vertragsorgane,<br />
die mit der Überwachung der Verpflichtungen aus<br />
völkerrechtlichen Menschenrechtsverträgen<br />
betraut sind – eine nicht zu unterschätzende Rolle<br />
zukommt. Diese wird vor allem in den Staatenberichtsverfahren,<br />
die sämtlichen dieser Ausschüsse<br />
gemein sind, deutlich. Die Vertragsstaaten<br />
sind verpflichtet, nach Inkrafttreten einer<br />
Menschenrechtsvereinbarung für sie in regelmäßigen<br />
Abschnitten über die Fortschritte bei der<br />
Umsetzung der Verpflichtungen aus diesem Übereinkommen<br />
an das jeweilige Vertragsorgan –<br />
hier den CEDAW-Ausschuß – zu berichten.<br />
Diese Berichtsverfahren fordern eine umfassende<br />
Darlegung derjenigen Maßnahmen, die getroffen<br />
wurden, um die jeweiligen Verpflichtungen im
nationalen Recht und bei dessen Anwendung zu<br />
beachten und ihnen Wirksamkeit zu verschaffen.<br />
Die Ausschüsse begnügen sich dabei nicht damit,<br />
eine Aufzählung von Verfassungs- und Gesetzesbestimmungen<br />
entgegenzunehmen, mit deren<br />
Inkraftsetzen die Mitgliedsstaaten mitunter meinen,<br />
ihren Verpflichtungen genüge getan zu<br />
haben. Vielmehr ist es erforderlich, daß die<br />
Regierungen auf konkrete Maßnahmen im einzelnen<br />
eingehen und deren Auswirkungen auf die<br />
betroffenen Rechte darlegen. Die Ausschüsse sind<br />
bemüht, im Rahmen eines sogenannten konstruktiven<br />
Dialogs mit den Delegationen der Vertragsstaaten<br />
kritische Punkte bei der Umsetzung zu<br />
erörtern und gemeinsame Wege für eine Verbesserung<br />
der Situation zu finden. In den abschließenden<br />
Bemerkungen, mit denen der Ausschuß<br />
den Bericht des Staates kommentiert, werden<br />
nach einem bestimmten Muster die sogenannten<br />
positiven Aspekte angesprochen. Hieran schließt<br />
sich eine Darstellung der kritischen Punkte und<br />
Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Verpflichtungen<br />
aus dem Übereinkommen an, gefolgt von<br />
konkreten Aufforderungen oder Vorgaben des<br />
Ausschusses, wie der Staat den erkannten Problemen<br />
noch besser begegnen und die übernommenen<br />
Verpflichtungen wirksamer erfüllen kann. Im<br />
Laufe der Zeit entwickelt sich idealerweise ein<br />
aufeinander abgestimmtes Zusammenwirken von<br />
Ausschuß und Vertragsstaat, das zu einer vernünftigen<br />
Realisierung der übernommenen Verpflichtung<br />
führen kann.<br />
Gegenüber der Bundesrepublik Deutschland zeigte<br />
sich der Ausschuß beispielsweise darüber<br />
besorgt, daß trotz zwischenzeitlicher Anstrengungen<br />
die Umsetzung des Übereinkommens für<br />
Frauen in den neuen Bundesländern nach wie vor<br />
hinter dem Standard in den alten Ländern zurück-<br />
SCHUTZ VON FRAUENRECHTEN<br />
Dr. Norman Weiß<br />
65<br />
falle. Außerdem drückte er etwa seine Betroffenheit<br />
über die fortdauernden Benachteiligungen<br />
aus, die Frauen in vielen Bereichen des Arbeitslebens<br />
und der Wirtschaft erführen und weist in<br />
diesem Zusammenhang auf das Fortbestehen von<br />
Lohndifferenzen zwischen Frauen und Männern<br />
hin. Außerdem weist er beispielsweise daraufhin,<br />
daß Prostituierte noch immer nicht im Schutz des<br />
Arbeits- und Sozialrechts unterliegen, obwohl sie<br />
gesetzlich zur Zahlung von Steuern verpflichtet<br />
sind.<br />
Besondere Bedeutung kommt dem Staatenberichtsverfahren<br />
auch dabei zu, die innergesellschaftliche<br />
Diskussion im jeweiligen Vertragsstaat<br />
anzuregen. Dies kann, unbeschadet der Tatsache,<br />
daß die Berichte von den jeweiligen Regierungen<br />
erstellt werden, sowohl im Vorfeld der Berichterstellung<br />
als auch nach dem Vorliegen der abschließenden<br />
Bemerkungen des Ausschusses geschehen.<br />
Während die Regierung die Staatenberichte<br />
in eigener Verantwortung, gegebenenfalls unter<br />
Einbeziehung der Bundesländer, erstellt, sind die<br />
Zivilgesellschaft und insbesondere auf dem jeweiligen<br />
Gebiet tätige Nichtregierungsorganisationen<br />
aufgefordert, den Gegenstand des Berichts aus<br />
ihrer Sicht darzustellen und so dem Ausschuß ein<br />
möglichst komplettes Bild durch die Zusammenschau<br />
amtlicher und nichtamtlicher Stellungnahmen<br />
zu ermöglichen. Die Ausschüsse nehmen<br />
entsprechendes NGO-Material stets zur Kenntnis,<br />
gerade auch um den Regierungsdelegationen in<br />
konstruktiven Dialogen die anderen Sichtweisen<br />
auf bestimmte Problemlagen vorhalten zu können.<br />
Beinahe noch wichtiger jedoch ist die Arbeit<br />
von Nichtregierungsorganisationen nach der Stellungnahme<br />
des Ausschusses. Denn häufig ist die<br />
Rückwirkung von der Ebene der Vereinten Nationen<br />
in den jeweiligen Vertragsstaat problema-
tisch: das Interesse der Medien an entsprechender<br />
Berichterstattung ist erlahmt, die Diskussion<br />
hat sich längst anderen Fragen zugewendet und<br />
die Regierungen sind häufig nicht daran interessiert,<br />
eventuell kritische Berichte einer breiteren<br />
Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Hier schlägt<br />
nun die Stunde der Zivilgesellschaft, deren Aufgabe<br />
es sein sollte, die Stellungnahmen des Ausschusses<br />
publik zu machen. In diesem Sinne<br />
äußert sich gerade auch CEDAW:<br />
„So fordert der Ausschuß die weite Verbreitung<br />
der vorliegenden abschließenden Bemerkungen<br />
in Deutschland, um die Bevölkerung, insbesondere<br />
Regierungsbeamte und Politiker auf die Schritte<br />
hinzuweisen, die unternommen wurden um die<br />
Gleichstellung der Frauen de-jure und de-facto zu<br />
sichern und die zukünftigen Schritte, die in dieser<br />
Hinsicht erforderlich sind. Er fordert die Regierung<br />
außerdem dazu auf, das Übereinkommen<br />
und das Fakultativprotokoll dazu zu nutzen, die<br />
allgemeinen Empfehlungen des Ausschusses, die<br />
Pekinger Erklärung und die Aktionsplattform weiterhin<br />
zu verbreiten, insbesondere an Frauen und<br />
Menschenrechtsorganisationen.“<br />
III. Das Fakultativprotokoll<br />
Nach bereits früher unternommenen, aber fehlgeschlagenen<br />
Versuchen, auch das Frauenrechtsübereinkommen<br />
mit einem Individualbeschwerdeverfahren<br />
zu versehen, wurden konkrete Vorarbeiten<br />
für ein Zusatzprotokoll 1995 aufgenommen.<br />
Oberste Zielsetzungen dieses Zusatzprotokolls<br />
sind es, einerseits betroffenen Frauen ein<br />
Beschwerdeverfahren vor dem Ausschuß zu<br />
ermöglichen, andererseits dem Ausschuß selbst<br />
ein Untersuchungsverfahren in denjenigen Staaten<br />
zu erlauben, in denen schwere und systematische<br />
Diskriminierungen an Frauen vorliegen. Das<br />
SCHUTZ VON FRAUENRECHTEN<br />
Dr. Norman Weiß<br />
66<br />
Zusatzprotokoll wurde von der Generalversammlung<br />
am 6. Oktober 1999 verabschiedet. Es wird<br />
drei Monate nach der Ratifikation durch den<br />
zehnten Staat in Kraft treten. Bislang haben vierundzwanzig<br />
Staaten unterzeichnet; es liegen vier<br />
Ratifikationen (Dänemark, Frankreich, Namibia<br />
und Senegal; Stand 12. Juni 2000) vor.<br />
1. Die Individualbeschwerde<br />
Diejenigen Staaten, die das Protokoll ratifizieren,<br />
unterwerfen sich gemäß Art. 1 dem Individualbeschwerdeverfahren.<br />
Die in Anlehnung an das<br />
Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über<br />
bürgerliche und politische Rechte sogenannte<br />
Mitteilung kann von betroffenen einzelnen, einer<br />
Gruppe von betroffenen Individuen oder im<br />
Namen von Betroffenen (dann allerdings nur mit<br />
deren Zustimmung) an den Ausschuß gerichtet<br />
werden (Art. 2 FP).<br />
Eine solche Mitteilung muß schriftlich und darf<br />
nicht anonym eingelegt werden. Sie kann nur<br />
gegen Staaten gerichtet werden, die das Fakultativprotokoll<br />
ratifiziert haben.<br />
Vor der Einlegung muß der innerstaatliche<br />
Rechtsweg ausgeschöpft sein. Eine Beschwerde<br />
darf auch nicht bei einem anderen Überwachungsmechanismus<br />
anhänglich oder dort bereits<br />
entschieden worden sein. Weiterhin sind rechtsmißbräuchliche<br />
Beschwerden unzulässig.<br />
Die vorgebrachten Behauptungen müssen substantiiert<br />
dargelegt werden. Gegenstand einer<br />
Beschwerde können nur Vorkommnisse sein, die<br />
nach der Ratifikation des Fakultativprotokolls<br />
durch den betroffenen Staat eingetreten sind, es<br />
sei denn, die Diskriminierungstatbestände bestehen<br />
auch danach noch fort (Art. 4 FP).<br />
Dem Ausschuß ist es nach Art. 5 FP möglich, sich<br />
mit der dringenden Bitte an den betroffenen Ver-
tragsstaat zu wenden, sofortige Maßnahmen zu<br />
ergreifen, um irreparable Schäden für die<br />
Beschwerdeführerin zu vermeiden. Nachdem der<br />
Ausschuß die Mitteilung für zulässig erklärt hat,<br />
leitet er sie zur Stellungnahme an die Regierung<br />
weiter. Diese muß binnen sechs Monaten erfolgen.<br />
Der Ausschuß erörtert den Fall in Kamera und<br />
übermittelt seine Entscheidungen („View“) dem<br />
Vertragsstaat. Dieser soll binnen sechs Monaten<br />
eine schriftliche Stellungnahme formulieren und<br />
darin insbesondere über die Maßnahmen berichten<br />
die er zur Abhilfe und Wiedergutmachung<br />
getroffen hat (Art. 7 FP).<br />
2. Das Untersuchungsverfahren<br />
Eine besondere Neuerung stellt die in Art. 8 FP<br />
vorgesehene Kompetenz des Ausschusses dar, ein<br />
vertrauliches Untersuchungsverfahren in einem<br />
Vertragsstaat einzuleiten. Voraussetzung hierfür<br />
ist lediglich, daß ihm verläßliche Informationen<br />
über schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen<br />
in einem Vertragsstaat in bezug auf<br />
die im Übereinkommen garantierten Rechte vorliegen.<br />
Ein oder mehrere Ausschußmitglieder dürfen<br />
nach Ankündigung und mit Zustimmung des Vertragsstaates<br />
dann einreisen, um die Angelegenheit<br />
zu prüfen. Die Ergebnisse dieses Verfahrens, das<br />
demjenigen nach Art. 20 des Übereinkommens<br />
gegen Folter und andere grausame, unmenschli-<br />
SCHUTZ VON FRAUENRECHTEN<br />
Dr. Norman Weiß<br />
67<br />
che oder erniedrigende Behandlung oder Strafe<br />
nachempfunden ist, werden dem Vertragsstaat zur<br />
Kenntnis gebracht, damit dieser hierzu Stellung<br />
nehmen kann. Nach Ablauf einer 6-Monatsfrist ist<br />
es dem Ausschuß möglich, vom Vertragsstaat<br />
Informationen über die von ihm eingeleiteten<br />
Abhilfemaßnahmen zu verlangen (Art. 9 FP).<br />
Ein Staat kann jedoch bei der Ratifikation (wie<br />
auch im Fall der Anti-Folter-Konvention) das<br />
Untersuchungsverfahren gemäß Art. 10 für sich<br />
ausschließen. Diese „obting out“-Möglichkeit<br />
kann jedoch nur gleichzeitig mit der Ratifizierung<br />
in Anspruch genommen werden. Ein Widerruf<br />
dieser Erklärung ist jederzeit möglich.<br />
Das Fakultativprotokoll wird dazu dienen, die<br />
Kenntnis über CEDAW zu verbreitern und die dort<br />
garantierten Rechte effektiver zu schützen. Die im<br />
Vergleich mit dem älteren Fakultativprotokoll des<br />
Zivilpakts fortschrittlichen Regelungen über die<br />
Individualbeschwerde und das Untersuchungsverfahren<br />
sind ein spätes, aber sicher nicht verspätetes<br />
Zeichen für die heute gewachsene Akzeptanz<br />
von Frauenrechten.<br />
Dr. Norman Weiß ist wissenschaftlicher Assistent<br />
im MenschenRechtsZentrum der Universität<br />
Potsdam.<br />
http://enterprise.rz.uni-potsdam.de/<br />
u/mrz/index.htm
Jeden Tag geschieht ein kleines Wunder: In den<br />
Frauenprojekten des Marie-Schlei-Vereins verarbeiten<br />
Frauen Gemüse und Fisch, Baumwolle und<br />
Früchte, fischen, stellen Salz her, verbessern<br />
Bewässerung und Boden oder züchten Hühner<br />
und Schweine, zimmern und schreinern. Die<br />
Frauen in Afrika, Asien und Lateinamerika - Sie<br />
haben sehr unterschiedliche Lebensbedingungen.<br />
Sie alle aber wissen: „Wir tragen eine schwere<br />
Last. Wer sollte sie denn tragen, wenn nicht wir<br />
Frauen (Lied aus Simbabwe)?“<br />
Frauen haben eine von Land zu Land unterschiedliche<br />
Rolle, Funktion und Situation im Entwicklungsprozess.<br />
Sie brauchen Unterstützung bei<br />
einem von ihnen bestimmten Entwicklungsweg.<br />
Die Frauen im Süden kämpfen ums Überleben.<br />
Der Marie-Schlei-Verein hilft den Frauen, ihren<br />
THEMA<br />
„UNS KRIEGEN SIE NICHT KLEIN“<br />
Zur Lage der Frauen in Afrika, Asien und Lateinamerika<br />
von Christa Randzio-Plath,<br />
Mitglied des Europäischen Parlamentes<br />
68<br />
eigenen Weg zu gehen und zur Entwicklung ihres<br />
Landes beizutragen. Frauen geben Normen und<br />
Verhaltensweisen weiter. Die Versorgung der<br />
Bevölkerung im Süden hängt von ihnen ab, Kindererziehung,<br />
Haushalt, Hygiene, Gesundheit und<br />
die Sorge um den Alltag sind nach wie vor Frauendomäne.<br />
Dabei sind die Frauen im Süden auch<br />
weiterhin bei Bildung und Ausbildung, Ernährung<br />
und Gesundheitsvorsorge benachteiligt. Die<br />
Schuldenkrise hat ihre Lage verschärft, weil die<br />
Streichungen von Subventionen für Grundnahrungsmittel<br />
oder Personenbeförderung, die Kürzungen<br />
für Erziehung, Soziales und Gesundheitswesen<br />
aufgrund der Strukturanpassungsprogramme<br />
vor allem sie treffen.<br />
Der Frauenalltag ist mühselig und hart. Die Feminisierung<br />
der Armut im Süden hat zugenommen.
Die Zahl der Frauen, die in absoluter Armut<br />
leben, ist in den letzten 20 Jahren um 50% gestiegen,<br />
die Zahl der Männer um 30%. Noch immer<br />
sind 2/3 aller Analphabeten Frauen. Mädchen<br />
besuchen die Schule seltener und kürzer als Jungen.<br />
An Berufsausbildung haben Frauen einen<br />
geringen Anteil. Trotzdem verzweifeln sie nicht.<br />
Frauen organisieren sich - ihren Alltag und ihr<br />
Überleben. Sie wissen, was sie wollen und brauchen.<br />
Der Marie-Schlei-Verein hilft ihnen, ihre<br />
eigenen Projektideen umzusetzen.<br />
Frauen sind Opfer, aber auch Täterinnen der<br />
Umweltzerstörung in den Ländern des Südens.<br />
Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung weist<br />
Frauen eine zentrale Rolle im Umweltschutz zu:<br />
Sie sind zu über 50% in allen Ländern des Südens,<br />
im südlichen Afrika zu 80% für die Versorgung<br />
der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, mit Wasser<br />
und Brennholz, für die Feldarbeit, aber auch für<br />
Groß- und Kleintierhaltung zuständig. Um zu<br />
überleben, müssen Frauen oftmals die Natur ausbeuten,<br />
obwohl sie wissen, dass sie sich damit<br />
ihre Existenzgrundlage zerstören. Die Wege zu<br />
Wasserquellen und Brennholz werden länger, die<br />
Anlage von Gemüsebeeten wird beschwerlicher.<br />
In den Städten sinkt die Luftqualität und steigen<br />
die Erkrankungen der Atemwege. Doch die Frauen<br />
müssen an heute denken, obwohl ihnen das<br />
Aufwachen am Morgen die Umweltvernichtung<br />
bewusst macht. Sie wollen aufforsten und Boden<br />
schonen, aber ihnen fehlen Macht, Geld und technisches<br />
Wissen. Die sachgerechte Verwaltung der<br />
Umwelt, der Schutz ihrer lebenserhaltenden<br />
Systeme und der biologischen Vielfalt sind Teil der<br />
Frauenalltagsarbeit im Süden, weil sie die wichtigen<br />
Bewirtschafterinnen der Umwelt sind. Darum<br />
unterstützt der Marie-Schlei-Verein Fraueninitiati-<br />
„UNS KRIEGEN SIE NICHT KLEIN“<br />
Christa Randzio-Plath<br />
69<br />
ven, die der Ausbeutung der Umwelt ein Ende setzen<br />
wollen. Beispiele sind Wiederaufforstungs-,<br />
Tierhaltungs-, Gemüse-, Obst- und Salzprojekte.<br />
Ohne die Leistungen der Frauen im Süden werden<br />
Hunger, Armut, Unwissenheit und Gewalt nicht<br />
überwunden werden können.<br />
Deswegen stellen die UNO-Konferenzen von Rio,<br />
Kairo, Kopenhagen und Peking die Stärkung der<br />
Rolle der Frau als Schlüssel zur Entwicklung heraus.<br />
Frauen können allerdings nur dann zur<br />
umweltgerechten Entwicklung beitragen, wenn sie<br />
und ihre Pläne unterstützt werden und ihren<br />
eigenständigen Entwicklungsweg gehen können.<br />
Die Förderung ihrer Ausbildungsprojekte ist ein<br />
Schritt zur Armutsbekämpfung. Die Projekte und<br />
die Art der Ausbildung sind so vielseitig wie die<br />
Frauen, die sie planen und durchführen, und zeigen,<br />
dass Mut und Engagement Veränderungen<br />
herbeiführen können. Allen ist gemeinsam, dass<br />
die Frauen sich selbst helfen, für eine bessere<br />
Zukunft für sich und ihre Familien.<br />
Dafür setzen sie sich ein. Wir müssen ihnen dabei<br />
Partnerinnen sein. Denn – ohne Frauen geht es<br />
nicht.<br />
Frauenpolitische Bilanz 2000<br />
Fünf Jahre nach der UNO-Weltfrauenkonferenz in<br />
Peking zeigte die frauenpolitische Bilanz der Sondervollversammlung<br />
der Vereinten Nation nur<br />
wenige positive Zeichen: Die Gleichstellung von<br />
Frau und Mann wurde im Jahr 2000 nicht<br />
erreicht. Allerdings haben sich in mehr als 100<br />
Staaten die rechtlichen Rahmenbedingungen verbessert.<br />
Frauenförderung ist angesagt. Ihre<br />
Durchsetzung müssen Frauennetzwerke weltweit<br />
erzwingen.
Weltweit wird jede fünfte Frau Opfer von Gewalt.<br />
Zwei Millionen Mädchen werden jährlich<br />
beschnitten. Frauenhandel und Zwangsprostitution<br />
sind Teil einer globalisierten Sexindustrie.<br />
Jedes Jahr sterben mehr als eine halbe Million<br />
Frauen an den Folgen fehlender medizinischer<br />
Betreuung bei der Geburt. 99% der Todesfälle bei<br />
einer Schwangerschaft und 50% der Aids-Erkrankungen<br />
treffen Frauen in Afrika, Asien und Lateinamerika.<br />
Wirksamen Mutterschutz gibt es nur in<br />
29 Staaten Afrikas und Asiens. Zwei von drei Analphabeten<br />
sind Frauen. Frauen verdienen nur 50%<br />
der Männerlöhne. Zweidrittel der Menschen, die<br />
an der Armutsgrenze leben, sind Frauen. Frauen<br />
machen die Mehrheit der 1,5 Milliarden Menschen<br />
aus, die nur über einen US-Dollar pro Tag<br />
für ihren Lebensunterhalt verfügen. Die Feminisierung<br />
der Armut im vergangenen Jahrhundert<br />
konnte also nicht aufgebrochen werden. Verbote,<br />
zu erben, Land zu besitzen oder zu nutzen, tragen<br />
zur Armut bei, weil Frauen weder Zugang zu Krediten<br />
oder technischem Know-how bekommen.<br />
Sie können keine Sicherheiten bieten.<br />
35% aller Haushalte weltweit haben einen weiblichen<br />
Haushaltsvorstand. In Mittel- und Südamerika<br />
sind Ein-Eltern-Familien aus finanziellen und<br />
kulturellen Gründen Tradition. In Afrika haben<br />
wirtschaftliche Entwicklungen und Abwanderungen<br />
aus den Städten zu mehr weiblichen Haushaltsvorständen<br />
geführt. Frauen geraten auch<br />
wegen der Strukturanpassungsprobleme der<br />
internationalen Finanzinstitutionen, der Sparmaßnahmen<br />
in den Bereichen Gesundheit, Bildung<br />
und Verkehr und anderen unzureichenden sozialen<br />
Leistungen in die Armutsfalle. Auch Armutsmigration,<br />
Umweltkatastrophen und Flüchtlingsströme<br />
verändern die Familienstrukturen und über-<br />
„UNS KRIEGEN SIE NICHT KLEIN“<br />
Christa Randzio-Plath<br />
70<br />
lassen den Frauen die Verantwortung für die<br />
Familie. In den Entwicklungsländern sind die<br />
Ärmsten der Armen die ländlichen und städtischen<br />
Haushalte, die einen weiblichen Hausvorstand<br />
haben, gefolgt von denen, die von dem Einkommen<br />
der Frau abhängen - sie liegen unter<br />
dem Existenzminimum. Insbesondere im südlichen<br />
Teil Afrikas sind alleinerziehende Frauen<br />
als Folge der Migration der Männer und der<br />
Neuaufteilung von Grund und Boden ein neues<br />
Phänomen.<br />
Die Globalisierung hat die Erwerbstätigkeit der<br />
Frauen gefördert, mehr Frauen denn je gehen<br />
einer bezahlten Erwerbstätigkeit nach, vor allem<br />
im Dienstleistungssektor. Während es in Afrika<br />
und Asien keine geschlechtsspezifische Beschäftigungszunahme<br />
gibt, ist die Zuwachsrate bei den<br />
weiblichen Erwerbstätigen in Lateinamerika mehr<br />
als dreimal so hoch wie die der Männer. In den<br />
Entwicklungsländern sind vergleichbare Angaben<br />
nur schwer möglich, weil die Hauptzahl der<br />
Arbeitsplätze der Frauen im informellen Sektor<br />
angesiedelt ist. Sie stellen 60 bis 80% der<br />
Beschäftigten. Frauen sind besonders von den<br />
Veränderungen und Entwicklungen auf dem<br />
Arbeitsmarkt betroffen. Neue typische Frauenarbeitsplätze<br />
entstanden im Zeichen der Globalisierung<br />
in den Exportzonen einiger Entwicklungsländer<br />
mit ihren niedrigen Löhnen für arbeitsintensive<br />
Produktionen oder Datenverarbeitung.<br />
Globalisierungswirkungen sowie die Kommunikationstechnologien<br />
haben Frauen zu neuen Arbeitsplätzen<br />
verholfen, jedoch häufig in prekären<br />
Arbeitsverhältnissen ohne soziale Absicherung<br />
und Ansehen. So wird die Frau als Arbeitskraft<br />
zum Standortvorteil einer Region oder eines Landes,<br />
wenn es um Unternehmensansiedlungen
oder die Auslagerung von Produktionen und<br />
Dienstleistungen geht. Im Textilbereich liegt der<br />
Frauenanteil an den Beschäftigten bei fast 90%, in<br />
den freien Produktionszonen bei rund 70%.<br />
Andererseits führt die fortschreitende Technologisierung<br />
auch zu einem Verlust von Frauenarbeitsplätzen,<br />
weil die Rationalisierungsinvestitionen<br />
rentabler wurden als der Einsatz weiblicher<br />
Arbeitskräfte. So sank in den frauentypischen<br />
Berufen der Industriebetriebe in Mexiko und Singapur<br />
der Frauenanteil seit dem Ende der 80er<br />
Jahre von 80 auf 60%. Die Asienkrise hat nach<br />
Schätzungen zu mindestens 10 Millionen zusätzlichen<br />
Arbeitslosen geführt, betroffen waren vor<br />
allem Frauen. In allen Staaten besteht die Lohndiskriminierung<br />
fort. Frauenlöhne für gleiche und<br />
gleichwertige Arbeit betragen rund 75% der Männerlöhne.<br />
Allerdings gibt es auch Ausnahmen: In<br />
Tansania, Vietnam und Sri Lanka verdienen die<br />
Frauen 90% oder mehr der Männerlöhne.<br />
Zunehmend mehr Frauen werden Unternehmerinnen<br />
als Alternative zur Arbeitslosigkeit. Die<br />
Selbständigkeit als Händlerin hat in vielen Staaten<br />
Tradition. In allen Entwicklungsländern gab und<br />
gibt es erfolgreiche Unternehmerinnen. Heute<br />
sind 10% aller Unternehmensgründungen in Nordafrika<br />
Existenzgründungen von Frauen. In den<br />
Entwicklungsländern sind weibliche Selbständige<br />
stark verbreitet. Sie machen in Afrika rund 50%<br />
aller Selbständigen aus. Für sie sind Mikrokredite<br />
ein guter Förderansatz. Er muss aber mit Beratung<br />
und beruflicher Qualifizierung einhergehen.<br />
Immer mehr Frauen in verschiedenen Kontinenten<br />
arbeiten jedoch im informellen Sektor, der<br />
durch schlechte Arbeitsbedingungen, extrem<br />
schlechte Einkommenschancen und soziale Unsi-<br />
„UNS KRIEGEN SIE NICHT KLEIN“<br />
Christa Randzio-Plath<br />
71<br />
cherheit geprägt ist. Für Indien wird geschätzt,<br />
dass 94% der Frauen nicht im formellen Sektor<br />
beschäftigt sind. Vielfach hängen sie von Heimarbeit<br />
als Geldquelle ab. 80% der erwerbstätigen<br />
indischen Frauen sind in der Landwirtschaft tätig,<br />
die ihnen keinen Zugang zu Geldeinkommen vermittelt.<br />
Hinzu kommen gesellschaftliche Diskriminierungen<br />
und die Familienpflichten als Frau.<br />
Auch deswegen arbeiten Frauen durchschnittlich<br />
mehr Stunden am Tag als Männer. In den Entwicklungsländern<br />
entfällt auf Frauen ein Arbeitsanteil<br />
von durchschnittlich 53% der Arbeitszeit.<br />
Das Recht der Frauen auf Bildung wurde im 20.<br />
Jahrhundert in vielen Staaten durchgesetzt. Dennoch<br />
sind immer noch zwei von drei Analphabeten<br />
Frauen. 1995 besuchten weltweit 24,5% aller<br />
Mädchen keine Schule. In Südostasien ist es für<br />
ein Drittel und in Afrika sogar für mehr als die<br />
Hälfte der Mädchen unwahrscheinlich, dass sie<br />
eine Schule besuchen werden. Die Analphabetenrate<br />
der Frauen ist in 40 UN-Mitgliedstaaten um<br />
20%, in 66 UN-Mitgliedstaaten um 10% höher als<br />
die der Männer. Dennoch ist weltweit der Bildungsstand<br />
der Frauen insgesamt gestiegen, der<br />
Trend geht überall nach oben. Dabei korrelieren<br />
der Entwicklungsstand von Staaten und Regionen<br />
insgesamt und der Alphabetisierungsgrad der<br />
Frauen in einem starken Maße. Auffällig ist der<br />
Zusammenhang zwischen den Schulbesuchen der<br />
Mädchen im Sekundarbereich und dem Pro-Kopf-<br />
Bruttosozialprodukt. Die Weltwirtschafts- und<br />
Finanzkrisen verlangsamen den Trend, können<br />
aber das Aufholen der Mädchen und Frauen in<br />
der Bildung nicht aufhalten. Schließlich haben<br />
Investitionen in die Bildung von Mädchen durch<br />
ihre Auswirkung auf Entwicklung, Familienplanung<br />
und Modernisierung eine höhere volkswirt-
schaftliche Rendite als Bildungsinvestitionen in<br />
Jungen. Für Kenia beispielsweise ergaben Berechnungen,<br />
dass mit Ertragssteigerungen in der<br />
Landwirtschaft um 7 bis 22% zu rechnen wäre,<br />
wenn Frauen und Männer gleich gut ausgebildet<br />
wären. Wenn in 72 Entwicklungsländern doppelt<br />
so viele Frauen eine höhere Schulausbildung<br />
bekommen würden, könnte nach Berechnungen<br />
der UN-Organisationen die Kindersterblichkeit in<br />
diesen Ländern um über 60% sinken.<br />
Dennoch sind Geldknappheit der Eltern und Familienpflichten<br />
der Mädchen immer noch Ursache<br />
für vorzeitigen Schulabbruch. Ausserdem bleibt<br />
Mädchenbildung in vielen Ländern immer noch<br />
von Geschlechtsstereotypen geprägt. Die meisten<br />
Berufsausbildungsangebote wenden sich an Männer.<br />
Selbst zu nicht-formaler Ausbildung in der<br />
Landwirtschaft haben nur 15% der Frauen<br />
Zugang. Staaten, die mehr in Mädchen investieren<br />
und höhere Einschulungsquoten haben als andere,<br />
haben bessere Entwicklungsperspektiven als<br />
andere. Nur 4% der weltweiten Militärausgaben<br />
wären erforderlich, um die Analphabetenrate zu<br />
halbieren und die Chancengleichheit durchzusetzen.<br />
Frauenpolitische <strong>Perspektive</strong>n<br />
Auf der Peking+5-Konferenz im Juni 2000 in New<br />
York wurde die Wichtigkeit der Ziele, die bereits<br />
1995 auf der IV. Weltfrauenkonferenz in Peking<br />
festgelegt wurden, nochmals bestätigt. Gleichstellung<br />
der Männer und Frauen, Gleichberechtigung<br />
in der Gesellschaft, im Beruf, in der Ausbildung<br />
und in der Familie stehen dabei an oberster Stelle<br />
neben der Verhütung von Gewalt und der Anerkennung<br />
der Menschenrechte der Frauen. Fünf<br />
Jahre nach der Schaffung der Aktionsplattform ist<br />
„UNS KRIEGEN SIE NICHT KLEIN“<br />
Christa Randzio-Plath<br />
72<br />
die Situation der Frauen in vielen Ländern immer<br />
noch kritisch. Zwar hat es Fortschritte im Bereich<br />
der nationalen Gesetzgebung gegeben. Doch die<br />
Anerkennung der fundamentalen Rechte der<br />
Frauen und ihr Schutz sind noch nicht in allen<br />
Staaten durchgesetzt. Für die Frauen im Süden<br />
steht die Armutsbekämpfung an erster Stelle. Die<br />
geringen Fortschritte insbesondere in Südasien<br />
und in Afrika südlich der Sahara müssen zu verstärkter<br />
Entwicklungszusammenarbeit im Interesse<br />
der Frauen führen. 0,7% des Bruttosozialprodukts<br />
sind wenig genug. Aber müssen sie jedenfalls<br />
von Europa geleistet werden. In die deutsche<br />
und europäische Entwicklungsarbeit muss die<br />
Gleichstellung der Geschlechter in alle Entwicklungsvorhaben<br />
integriert werden. Umfangreiche<br />
Mittel müssen nicht nur für die rechts- und sozialpolitische<br />
Beratung, sondern auch für das berufliche<br />
und ökonomische Empowerment der Frauen<br />
zur Verfügung gestellt werden.<br />
Die Sicht der Frauen-Forderungen an die Entwicklungszusammenarbeit<br />
Die Sicht der Frauen muss noch stärker als bisher<br />
in die Entwicklungszusammenarbeit einbezogen<br />
werden. Folgende Forderungen sind von Bedeutung:<br />
1) Die Frauen haben das Recht, den Entwicklungsprozess<br />
ihres Landes mitzubestimmen<br />
und an der Entwicklung des Landes teilzuhaben,<br />
weil sie die gleichen Rechte wie Männer<br />
haben. Dieser Anspruch ergibt sich nicht nur<br />
aus der UNO-Charta und internationalen Konventionen,<br />
sondern auch aus der Mehrzahl der<br />
nationalen Verfassungen der Länder.<br />
2) Die Interessen und Bedürfnisse der Frauen<br />
sind in den Entwicklungsprozess wie schon in<br />
die Entwicklungsplanung und die Entwick-
lungsprozesse über Entwicklungszusammenarbeit<br />
einzubeziehen. Frauen sind nicht als integrationsbedürftige<br />
Objekte zur Produktivitätssteigerung<br />
und Steuerung der Familienplanung,<br />
sondern als handelnde Subjekte zu betrachten.<br />
3) Strukturveränderungen der Gesellschaft müssen<br />
im Mittelpunkt von Entscheidungen stehen.<br />
Daher müssen alle entwicklungspolitischen<br />
Maßnahmen dahingehend geprüft werden,<br />
inwieweit sie negativ oder positiv die Interessen<br />
und Bedürfnisse der Frauen beeinflussen und<br />
inwieweit sie positiv zu von Frauen vorgeschlagenen<br />
Strukturveränderungen beitragen oder<br />
diese möglich machen.<br />
4) Wir wissen, dass Kapitalismus und Patriachat<br />
überall eine gelungene Verbindung eingegangen<br />
sind, die Frauen in der sogenannten Dritten<br />
Welt zu Ausbeutungsobjekten macht. Die Weltwirtschaftsordnung<br />
und internationale Arbeitsteilung<br />
sind das Ergebnis, die weltweite Verteilungsungerechtigkeit<br />
ihre Folge.<br />
5) Die Industrieländer müssen endlich die Nord-<br />
Süd-Frage als die große internationale Herausforderung<br />
der Zukunft anerkennen. Minde-<br />
„UNS KRIEGEN SIE NICHT KLEIN“<br />
Christa Randzio-Plath<br />
Der Marie-Schlei-Verein e.V. ist eine gemeinnützige Nichtregierungsorganisation, die 1984 in<br />
Erinnerung an die frühere Entwicklungshilfeministerin Marie Schlei gegründet wurde. Der Verein<br />
fördert Frauenausbildungsprojekte, informiert über die Rolle der Frau in Afrika, Asien und<br />
Lateinamerika und baut partnerschaftliche Beziehungen zu einheimischen Frauengruppen und<br />
-organisationen auf.<br />
Adresse:<br />
Hadermannsweg 23 · 22459 Hamburg<br />
Tel.: 040/5518364 · Fax.: 040/5553986<br />
Bankverbindung: SPARDA Hamburg · Kto. 602 035 · BLZ 206 905 00<br />
Homepage: http://home.-t-online.de/home/marie-schlei-verein/<br />
e-mail: Marie-Schlei-Verein@t-online.de<br />
73<br />
stens 0,7% des Bruttosozialproduktes müssen<br />
für Entwicklungszusammenarbeit stehen. Trotz<br />
aller notwendigen Anstrengungen im geeinten<br />
Deutschland sowie für Europa und insbesondere<br />
Osteuropa wäre es fatal, wenn im Sinne eines<br />
Euro-Egoismus die Lösung des Nord-Süd-Konfliktes<br />
nur nachrangige Aufmerksamkeit bei<br />
uns finden würde. Die Qualität der entwicklungspolitischen<br />
Zusammenarbeit muss verbessert<br />
und die Mittel erhöht werden.<br />
Christa Randzio-Plath ist seit 1989 SPD-Abgeordnete<br />
im Europäischen Parlament. Sie ist<br />
Mitbegründerin und Vorsitzende des seit 1984<br />
existierenden Marie-Schlei-Vereins e.V., einer<br />
gemeinnützigen Nichtregierungsorganoisation<br />
für die Hilfe für Frauen in Afrika, Asien und<br />
Lateinamerika.<br />
www.home.t-online.de/home/<br />
C.Randzio-Plath.MdEP/msv-hol.htm
Haushaltspolitische Notwendigkeiten (?)<br />
Das Primat der Politik in Land und Bund besitzt<br />
gegenwärtig die Konsolidierung der öffentlichen<br />
Haushalte. Angesichts des aufgehäuften Schuldenberges<br />
ist eiserne Sparsamkeit das Gebot der<br />
Stunde. Wer will schon die Verantwortung dafür<br />
übernehmen, dass der finanzielle Spielraum des<br />
Staates in ein paar Jahren unter Null liegt und die<br />
pro-Kopf-Verschuldung die Bürgerinnen und Bürger<br />
zu erdrücken droht?! Das wäre Raubbau an<br />
der Zukunft, an den Lebenschancen der nächsten<br />
Generationen – unserer Kinder also.<br />
Gelegentlich gewinnt man den Eindruck, dass hinter<br />
dieser Prämisse alle „übrigen” Themen zu verschwinden<br />
drohen. Konkrete Politik orientiert<br />
sich zu allererst an den Haushaltsvorgaben, noch<br />
bevor eine sachlich-inhaltliche Konzeption überhaupt<br />
vorliegt. Im Zweifel wird an das o.g. Primat<br />
THEMA<br />
„AUGEN ZU UND DURCH“<br />
Sozialdemokratische Politik in Zeiten knapper Kassen<br />
am Beispiel der Kita-Kürzungen<br />
von Uta Reichel<br />
74<br />
erinnert, um alle Einwände gegen überzogene<br />
Sparmaßnahmen zu erledigen. Am Beispiel der<br />
geplanten drastischen Mittelkürzungen und Gesetzesänderungen<br />
bei den Kindertagesstätten (Kita)<br />
lässt sich dieser Politikstil sehr anschaulich nachvollziehen.<br />
Die Argumentation von Minister Steffen<br />
Reiche ist scheinbar einleuchtend: Um den<br />
Kindern nicht die Last einer immensen Staatsverschuldung<br />
aufzubürden, müsse jetzt gespart werden<br />
– natürlich auch bei den Kindern und zwar<br />
kräftig. Schlichte „Wahrheiten” haben sicher den<br />
großen Vorteil, für jedermann verständlich zu<br />
sein, aber den komplexen Problemen unserer<br />
Gesellschaft werden sie oft nicht gerecht. Wenn<br />
sich Politik in ihnen erschöpft werden sie schnell<br />
zum Vorwand, auch berechtigte und fundierte Kritiken<br />
zu ignorieren, um eigene falsche Positionen<br />
nicht revidieren zu müssen. Der darin durch-
scheinende Anspruch, unfehlbar zu sein, wirkt<br />
wie aus einer anderen Welt und sollte dem Papst<br />
vorbehalten bleiben. (Es gab hierzulande auch<br />
mal eine Partei, die sich in diesem Wahn-Sinne<br />
besingen ließ ...)<br />
Woher kommt der Schuldenberg, auf dem wir<br />
Brandenburger jetzt sitzen? Er ist im Laufe eines<br />
Jahrzehnts entstanden, aus der unabweislichen<br />
Notwendigkeit, hohe Investitionen vor allem in die<br />
„wirtschaftsnahe und soziale Infrastruktur” des<br />
Landes zu pumpen, als Voraussetzung für eine<br />
gesunde wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung.<br />
Diese Rechtfertigung der (SPD-)<br />
Finanzpolitik während der 90er Jahre durch die<br />
Ministerin Wilma Simon ist im Grundsatz nachvollziehbar<br />
– ebenso wie ihre Feststellung, dass<br />
der damit bezweckte, erhoffte wirtschaftliche Aufschwung<br />
bislang leider viel zu schwach war und<br />
mit ihm auch die geplanten Steuermehreinnahmen<br />
weit unter den Erwartungen liegen.<br />
Weniger plausibel ist hingegen die von der Landesregierung<br />
daraus gezogene Schlussfolgerung,<br />
nun das Ruder entschieden herumreißen zu müssen,<br />
indem beispielsweise in einem sensiblen und<br />
komplexen Bereich der sozialen Infrastruktur –<br />
den Kitas – massiv die Sparkeule geschwungen<br />
wird. In diesem Beitrag soll nicht mit dem Slogan<br />
„an den Kinder darf (gar) nicht gespart werden”<br />
das Aufspüren und Ausnützen von Einsparpotentialen<br />
auch in diesem Bereich grundsätzlich abgelehnt<br />
werden, aber derart blindlings, wie es nun<br />
geschieht, geht es nicht. Wenn man jetzt mit der<br />
Brechstange ansetzt, hätte man sich die von Frau<br />
Simon als notwendig gerechtfertigten Ausgaben<br />
auch in diesem wichtigen Segment der sozialen<br />
Infrastruktur in der Vergangenheit sparen können.<br />
Im übrigen ist es ja keineswegs so, dass in<br />
den letzten Jahren die Kita-Ausgaben nicht konti-<br />
AUGEN ZU UND DURCH<br />
Uta Reichel<br />
75<br />
nuierlich verringert worden wären. Hauptsächlich<br />
bedingt durch den dramatischen Geburtenknick<br />
von 1990/91 wurden die Landeszuschüsse in diesem<br />
Bereich seit 1993 (527 Mio. DM) um 40 Prozent<br />
(1999: 318 Mio. DM) gesenkt und dabei<br />
16.000 Stellen von Erzieherinnen abgebaut.<br />
Sparen – auf Biegen und Brechen<br />
Die neu gebildete Landesregierung aus SPD und<br />
CDU war – wie der zuständige Minister – noch<br />
keine zwei Monate im Amt, als Anfang Dezember<br />
im Kabinett der Haushaltsansatz für 2000/2001<br />
beschlossen wurde. Obwohl diesem Beschluss<br />
zufolge die Gesamtausgaben (gegenüber 1999) in<br />
diesem Jahr um ein Prozent steigen und 2001 nur<br />
um knapp zwei Prozent sinken sollen, gehört das<br />
Ressort Bildung, Jugend und Sport zu denen, die<br />
am stärksten „bluten” müssen. Zwar wurde im<br />
Koalitionsvertrag genau das Gegenteil festgelegt,<br />
nämlich dass „das relative Gewicht des Bildungshaushaltes<br />
im Rahmen des Gesamthaushaltes zu<br />
erhöhen” ist. Man darf jedoch sicher sein, dass<br />
die verantwortlichen Politiker von SPD und CDU<br />
diesen faktischen Widerspruch mehr oder weniger<br />
gekonnt rhetorisch „auflösen” werden.<br />
Besonders drastisch fällt die Reduzierung der<br />
Landeszuschüsse für die Kitas mit mehr als 20<br />
Prozent (68 Millionen DM) im Jahr 2001 aus.<br />
Damit war Steffen Reiche vermutlich der „Primus”<br />
unter den Ministern – wohl, weil er sich als<br />
Parteivorsitzender zu besonderer Spardisziplin<br />
verpflichtet fühlte. Problematisch ist eine solche<br />
Vorgehensweise allerdings, wenn man den<br />
Musterschüler herauskehrt, ohne tatsächlich seine<br />
„Hausaufgaben” gemacht zu haben. Eine fundierte,<br />
d.h. vor allem durchgerechnete, Konzeption<br />
wie und mit welchen konkreten Konsequenzen<br />
dieses enorme Einsparvolumen erzielt werden
kann, lag nämlich zu diesem Zeitpunkt nicht einmal<br />
ansatzweise vor. Aber der einmal gefasste<br />
Beschluss musste im Folgenden um jeden Preis<br />
realisiert werden, denn ein Ausbrechen aus der<br />
strikten Haushaltsdisziplin käme einem Sakrileg<br />
gleich – und wäre ein faktisches Eingeständnis,<br />
überaus voreilig „aus der Hüfte geschossen” zu<br />
haben. Ob dieses sture Durchpauken sich nicht<br />
im Endeffekt als der schwerwiegendere Fehler<br />
herausstellt, wird sich noch erweisen.<br />
Erst im Januar diesen Jahres lag im Reiche-Ministerium<br />
ein grobes Konzept vor, wie das vorgegebene<br />
Sparziel erreicht werden könnte. Die abschließende<br />
Feststellung dieses Papiers, dass sich<br />
„mit Sicherheit (...) die Gesamtkosten für Kindertagesstättenbetreuung<br />
auch ohne die vorgesehenen<br />
gesetzlichen Einschnitte vermindern”, wurde<br />
durch den Nachsatz quasi entwertet, dass dann<br />
allerdings „das Einsparvolumen nicht vorher<br />
exakt zu quantifizieren” sei. Ein Alptraum für<br />
jeden Haushaltspolitiker, den Herr Reiche seiner<br />
Kabinettskollegin Simon unmöglich anbieten<br />
mochte. Also “nicht kleckern, sondern klotzen”<br />
und die Rosskur für Kinder, Eltern und Erzieherinnen<br />
rasch ins Werk gesetzt: Reduzierung des<br />
„Kern-Rechtsanspruches” auf die Kinder von 2 bis<br />
10 Jahren mit einer Betreuungszeit von 6 bzw. 4<br />
Stunden (Kita/Hort) täglich. Alles was darüber<br />
hinausgeht, wird angeblich mit der Zauberformel<br />
vom “bedarfsgerechten Rechtsanspruch” abgegolten.<br />
Das heißt, Eltern die einen normalen 8-<br />
Stunden-Arbeitstag (plus z.T. sehr lange Wegezeiten)<br />
haben, dürfen diesen “Mehrbedarf” beantragen,<br />
bei ihrer jeweiligen Gemeinde. Die Kriterien<br />
dafür sind weder eindeutig noch einheitlich festgelegt<br />
worden. Das Ministerium “empfiehlt” den<br />
Gemeinden sich diesbezüglich auf Kreisebene<br />
abzustimmen. Diese „Abstimmung” wird sich<br />
AUGEN ZU UND DURCH<br />
Uta Reichel<br />
76<br />
allerdings nicht vorrangig an den Interessen der<br />
Kinder und ihrer Eltern orientieren können, sondern<br />
von dem mehr oder weniger großen Haushaltsdefizit<br />
der Kommunen diktiert werden, dass<br />
durch die unverhältnismäßig und pauschal verringerten<br />
Zuweisungen aus dem Landeshaushalt<br />
verursacht wird. In der ablehnenden Stellungnahme<br />
des Städte- und Gemeindebundes zu diesen<br />
Plänen heißt es deshalb zutreffend: „… das Land<br />
[nimmt sich] in beträchtlichem Maße aus der<br />
politischen und finanziellen Verantwortung<br />
zurück und wälzt diese auf die Städte- und<br />
Gemeinden ab“ – die Kinder und Eltern sind hier<br />
zweifellos als letztlich Leidtragende mit anzufügen.<br />
Die vom Land in diesem Zusammenhang verschärfte<br />
Finanznot der meisten Kommunen wird<br />
außerdem in Form von teils drastisch steigenden<br />
Elternbeiträgen an selbige weitergereicht werden,<br />
wofür es in einigen Städten bereits konkrete<br />
Ankündigungen gibt.<br />
Die so erzwungene „geringere Inanspruchnahme”<br />
von Kita- und Hortplätzen ist die Voraussetzung für<br />
eine deutliche Reduzierung der Personalkosten –<br />
sprich (erneut) Entlassung von hunderten Erzieherinnen.<br />
Das zweite “Einsparpotential” wird mit<br />
der Umwandlung regulärer (sozial abgesicherter)<br />
Arbeitsplätze von Krippen- und Horterzieherinnen<br />
in sogenannte „alternative Betreuungsformen” von<br />
deutlich schlechter bezahlten und sozial nicht<br />
abgesicherten Tagesmüttern und Honorarkräften<br />
erschlossen. Für Ministerial-Technokraten und<br />
manche Politiker mag dies ein „ganz normaler”<br />
Vorgang sein, aber das Leben der “Betroffenen”<br />
verläuft danach nicht mehr „ganz normal”. Die<br />
Frage, welche Auswirkungen das auf deren Arbeit<br />
mit unseren Kindern hat, werden vorbildliche<br />
Sparpolitiker wohl kaum stellen – was deutlich im<br />
Widerspruch zu zentralen Postulaten der Landes-
egierung und besonders der SPD steht, wie im<br />
Folgenden gezeigt wird.<br />
„Bildungsoffensive“, soziale Gerechtigkeit,<br />
Chancengleichheit?<br />
Eine Presseerklärung des Bildungsministeriums<br />
(MBJS) vom Juni 1999 verwies unter der Überschrift<br />
„Es gibt eine Bildung vor der Schule” auf<br />
eine gerade von eben diesem Ministerium herausgegebene<br />
Broschüre, die mit dem „landläufigen<br />
Mißverständnis”, dass „Bildung unvermittelt in<br />
der Schule beginnt” aufräume. Den gleichen<br />
Tenor hatte der Vortrag eines Erziehungswissenschaftlers<br />
bei der öffentlichen Anhörung vor dem<br />
zuständigen Landtagsausschuss Ende Mai diesen<br />
Jahres. Der Professor verwies u.a. auf wissenschaftliche<br />
Studien, die eindeutig belegen, dass<br />
Länder, deren Schüler in internationalen<br />
Leistungsvergleichen auf den vorderen Plätzen zu<br />
finden sind, über ein gut ausgebautes System der<br />
Betreuung, Bildung und Erziehung der Kinder im<br />
Vorschulalter verfügen. Die Bundesrepublik<br />
belegt in dieser Hinsicht den vorletzten Platz unter<br />
den (west-)europäischen Staaten. Wer den<br />
Anspruch hat, eine moderne Bildungspolitik zu<br />
betreiben, tut ganz sicher gut daran, derartige<br />
wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse nicht zu<br />
ignorieren. Die Bundesrepublik – insbesondere<br />
die „alten” Bundesländer – sollte(n) also diesen<br />
seit Jahrzehnten andauernden beschämenden<br />
Zustand endlich grundlegend verbessern und<br />
nicht auch in den östlichen Bundesländern das<br />
diesbezüglich deutlich schlechtere Niveau des<br />
Westens zur Norm erklären.<br />
Anders Minister Reiche, der sich lediglich auf Studien<br />
beruft, die angeblich belegen, um wie vieles<br />
besser die Betreuung von Kleinkindern durch<br />
Tagesmütter als in der Kinderkrippe sei. Dabei<br />
AUGEN ZU UND DURCH<br />
Uta Reichel<br />
77<br />
kann man sogar in einem Papier des Arbeitskreises<br />
seiner eigenen Fraktion nachlesen, dass die<br />
forcierte Einführung von Tagespflege lediglich aus<br />
haushaltspolitischen Gründen gebilligt, im übrigen<br />
aber detailliert als die deutlich schlechtere<br />
Alternative charakterisiert wird.<br />
In einschlägigen aktuellen Programmen und Statements<br />
der SPD, auf Bundes- wie auf Landesebene,<br />
ist der Slogan von einer notwendigen „Bildungsoffensive”<br />
allgegenwärtig. Verwiesen sei an<br />
dieser Stelle nur auf das Heft Nummer 9 von „perspektive<br />
<strong>21</strong>”, auf dessen Titelbild übrigens (irrtümlich?)<br />
zwei Kindergartenkinder abgebildet<br />
waren. Steffen Reiche wird darin mit der Äußerung<br />
zitiert, dass von der Bildungspolitik die<br />
wichtigsten Voraussetzungen dafür geschaffen<br />
werden müssten, um als Individuen und als<br />
Gesellschaft in der „globalisierten” Welt bestehen<br />
zu können. Stichworte seien hierbei „höhere Qualifikationsanforderungen”,<br />
beispielsweise<br />
(Fremd-) Sprachenkompetenz und Teamfähigkeit<br />
(soziale Kompetenz). Selbstverständlich findet<br />
man auch im Koalitionsvertrag entsprechende<br />
Willensbekundungen: „Die Landesregierung wird<br />
eine umfassende Bildungsreform durchführen<br />
und zu deren Vorbereitung eine Bildungskommission”<br />
einsetzen. Ziel der „Bildungs- und Wissensoffensive”<br />
sei es “auch eine umfassende Persönlichkeitsbildung”<br />
zu erreichen, wozu „neben dem<br />
Fachwissen auch personale und soziale Kompetenzen”<br />
gehören. Es dürfte schwierig sein, kompetente<br />
Fachleute zu finden, die eine höchstens<br />
haushaltspolitisch, aber keineswegs inhaltlich<br />
„begründete” Bildungsreform konzipieren, in der<br />
die Erziehung und Bildung im Vorschulalter völlig<br />
ausgeklammert wird.<br />
In einem (ebenfalls in „perspektive <strong>21</strong>”, Heft 9<br />
abgedruckten) „Zukunftspapier” wird die Not-
wendigkeit differenzierter Förderung und der<br />
Wahrung von Chancengleichheit gerade im Bildungswesen<br />
unterstrichen. Dabei geht es nicht<br />
um Gleichmacherei, bei der im Zweifel besonders<br />
begabte Kinder gebremst und (aus welchen Gründen<br />
auch immer) benachteiligte Mädchen und<br />
Jungen um jeden Preis zum Abitur geführt werden<br />
müssen. Aber es gehört wohl unbestritten zu den<br />
sozialdemokratischen Grundüberzeugungen, dass<br />
Kinder nicht allein deshalb schlechtere Lebenschancen<br />
haben sollen, weil sie in „sozial schwachen”<br />
Familien aufwachsen. Dass diese Kinder<br />
bereits bei der Einschulung durchschnittlich über<br />
deutlich schlechtere Ausgangsbedingungen verfügen<br />
und die Zahl solcher „Problem-Kinder” in<br />
den letzten Jahren bereits dramatisch angestiegen<br />
ist, wird eindrücklich in einer vom brandenburgischen<br />
Sozialministerium herausgegebenen aktuellen<br />
Studie („Einschüler in Brandenburg: Soziale<br />
Lage und Gesundheit 1999”) belegt. Die eindeutige<br />
Schlussfolgerung aus diesem Befund lautet,<br />
dass Staat und Gesellschaft sich dieser Gruppe<br />
benachteiligter und (potentiell) gefährdeter Kinder<br />
verstärkt zuwenden müssen. Die Gefahr,<br />
andernfalls mittel- und langfristig eine zunehmende<br />
Zahl leistungsschwacher bzw. -unwilliger junger<br />
Menschen zu „produzieren”, die sich am Rande<br />
der Gesellschaft bewegen und als Kleinkriminelle,<br />
rechtsradikale Schläger oder hoffnungslose<br />
Sozialhilfe-„Fälle” einen kostspieligen „Mehrbedarf”<br />
an staatlicher „Zuwendung” geltend<br />
machen, kann man zwar leugnen, aber nicht<br />
„wegzaubern”. Die Tatsache, dass solche “Folgekosten”<br />
in der Regel viel höher sind, als die Summen,<br />
die man zunächst glaubt unbedingt einsparen<br />
zu müssen, dürfte bekannt sein – und wird<br />
doch immer wieder leichtfertig ignoriert.<br />
Das „beste” Beispiel für eine solche – alles ande-<br />
AUGEN ZU UND DURCH<br />
Uta Reichel<br />
78<br />
re als nachhaltige – Politik stellen die nun beschlossenen<br />
Kita-Kürzungen dar. Fragen von Bildung<br />
und Erziehung haben in der ganzen Debatte<br />
auf Seiten der Landespolitik nie eine Rolle<br />
gespielt. Im Gegenteil: Inzwischen wird unumwunden<br />
eingestanden, dass Qualitätsstandards<br />
wissentlich reduziert und Kinder aus „sozial<br />
schwachen” Familien, die eigentlich besonderer<br />
Förderung von Seiten des Staates bedürften, ganz<br />
bewusst (zumindest teilweise) ausgegrenzt werden.<br />
Eine so einfallslose, kurzsichtige, nur aufs<br />
Sparen fixierte Politik ist ein Armutszeugnis für<br />
die Verantwortlichen und keineswegs geeignet,<br />
das Land Brandenburg und die hier lebenden<br />
Menschen „zukunftsfähig” zu machen. Die finanziellen<br />
Spielräume, die im Bildungswesen aufgrund<br />
des inzwischen mitten in der Grundschule<br />
angekommenen Geburtenknicks bestehen, sollten<br />
als Chance zur Konzipierung und Umsetzung einer<br />
modernen Bildungspolitik von der Kita bis zur<br />
Hochschulreife (und darüber hinaus) genutzt<br />
und nicht durch stupide Sparmaßnahmen auf<br />
ihren monetären Aspekt reduziert werden.<br />
Man sollte meinen, die SPD hätte – zumal in Ostdeutschland<br />
– begriffen, dass ihre Einbrüche bei<br />
Landtagswahlen nach der Machtübernahme im<br />
Bund essentiell mit der Wahrnehmung vieler<br />
Menschen zu tun hatten, sie würde ihr Wahlversprechen,<br />
für (mehr) soziale Gerechtigkeit und<br />
Chancengleichheit zu sorgen, brechen. (Vgl. die<br />
entsprechende Diskussion in den Heften 9 und 10<br />
von „perspektive <strong>21</strong>”). Man kann Steffen Reiche<br />
nur zustimmen, wenn er als „sozialdemokratisches<br />
Ziel” formuliert, dass „niemand aus der<br />
modernen Gesellschaft herausgedrängt wird und<br />
deshalb [...] Bildung für alle ein ganz aktuelles<br />
Postulat” sei, weil sonst „die Chancen für das<br />
ganze Leben verbaut” würden. Bedauerlicherwei-
se stimmt seine konkrete Politik in diesem Falle<br />
aber nicht mit solchen Bekenntnissen überein,<br />
sondern konterkariert sie ganz eindeutig.<br />
Auch frauen- und familienpolitische Themen stehen<br />
weit oben auf der sozialdemokratischen<br />
Agenda. Zu den zentralen Forderungen eines<br />
aktuellen Zukunftspapiers der Brandenburger<br />
SPD zählt eine kinderfreundliche Politik, die u.a.<br />
notwendig ist, um den negativen Trend in der<br />
demographischen Entwicklung des Landes zu<br />
stoppen. Angesichts der Kita-Kürzungen verkommt<br />
auch dieses Postulat zur hohlen Phrase,<br />
denn die Vereinbarkeit von Familie und Beruf<br />
wird – entgegen allen Beteuerungen – deutlich<br />
erschwert, vor allem Frauen werden davon vorrangig<br />
betroffen sein, wie es auch wieder einige<br />
hundert Frauen sind, deren Arbeitsplätze als<br />
Erzieherinnen „eingespart” werden. Zu befürchten<br />
ist außerdem, dass die zuletzt leicht angestiegene<br />
Geburtenrate erneut stagnieren bzw. abnehmen<br />
wird, weil die Politik jungen Paaren die Entscheidung<br />
für (ein) Kind/er immer schwerer<br />
macht. Unverständlich ist in diesem Zusammenhang<br />
auch, dass die Sozialdemokratie zu einer<br />
vernünftigen Abstimmung ihrer diesbezüglichen<br />
Politik zwischen Bund und Ländern nicht in der<br />
Lage zu sein scheint. Wie anders soll man sich<br />
erklären, dass die brandenburgische Kita-Gesetzesnovelle<br />
bei der Beschränkung des Rechtsanspruchs<br />
beispielsweise mit der (leicht verbesserten)<br />
Neuregelung des Bundeserziehungsgeldes<br />
überhaupt nicht korrespondiert. So hätte man<br />
z.B. darüber nachdenken können, wegen des im<br />
ersten Lebensjahr des Kindes gewährten höheren<br />
Erziehungsgeldes (900 DM statt 600 DM monatlich<br />
bei gleichzeitigem Verzicht auf Erziehungsgeldleistungen<br />
im zweiten Lebensjahr) den<br />
Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für alle ab<br />
AUGEN ZU UND DURCH<br />
Uta Reichel<br />
79<br />
dem vollendetem ersten Lebensjahr einzuführen<br />
und statt dessen auf die höchst fragwürdige soziale<br />
Differenzierung bei den 0- bis 2-Jährigen zu<br />
verzichten. Aber nichts dergleichen ist geschehen.<br />
Dass Frauen und Männer es sich in vielen Berufen<br />
immer weniger leisten können, über mehrere<br />
Jahre auszusteigen oder deutlich kürzer zu treten<br />
ist zwar bekannt, bleibt aber scheinbar unberücksichtigt.<br />
Ebenso ignorant verhalten sich verantwortliche<br />
Landespolitiker gegenüber der Tatsache,<br />
dass die Einkommen und Vermögen der<br />
Familien in Ostdeutschland noch immer erheblich<br />
niedriger sind als im Westen und sie es sich<br />
also gar nicht leisten können, wegen der Betreuung<br />
ihrer Klein(st)kinder über längere Zeit mit<br />
nur einem Einkommen haushalten zu müssen.<br />
Dass die Elternbeiträge (für die Kita-Plätze) aufgrund<br />
der deutlich geringeren Landeszuschüsse<br />
teils drastisch ansteigen werden, ist zwar bisher<br />
von Minister Reiche und Co. immer geleugnet<br />
worden. Erste entsprechende Berechnungen und<br />
Briefe an die Eltern liegen in einigen Städten und<br />
Gemeinden aber bereits vor und belegen, dass<br />
diese Beteuerungen nichts wert sind. Freilich<br />
kann die Landesregierung ihre Hände in<br />
Unschuld waschen, denn es sind ja die Kommunen,<br />
die nun die „Drecksarbeit” werden machen<br />
müssen.<br />
Die Lebensqualität von jungen Familien, die wohl<br />
unbestritten zu den Leistungsträgern unserer<br />
Gesellschaft in den kommenden Jahren und Jahrzehnten<br />
gehören, wird durch diese Politik der<br />
Landesregierung nicht gesteigert, sondern beeinträchtigt.<br />
Wer sich der – zur Regeneration unserer<br />
Gesellschaft notwendigen – Aufgabe stellt, Kinder<br />
in die Welt zu setzen und groß zu ziehen, sieht<br />
sich, allen anders lautenden „Sonntagsreden”<br />
zum Trotz, mit einer Verschlechterung der dazu
notwendigen Rahmenbedingungen konfrontiert.<br />
„Bildungsoffensive”? Kinder-, frauen- und familienfreundliche<br />
Politik? Soziale Gerechtigkeit und<br />
Chancengleichheit? Insofern die Menschen im<br />
Land diese Postulate überhaupt wahrnehmen,<br />
achten sie gewiss darauf, was sich an praktischer<br />
Politik in ihrem alltäglich Leben davon niederschlägt.<br />
Das Gespür dafür, ob „Sonntagsreden”<br />
und Alltagspraxis zusammen passen, ist bei den<br />
meisten Leuten sehr wohl vorhanden. Klafft die<br />
Schere zwischen beidem zu weit auseinander –<br />
wie in dem hier diskutierten Fall – ist wachsende<br />
Skepsis und Distanz gegenüber der politischen<br />
Klasse die Folge.<br />
Politische Kultur:<br />
Transparenz und Bürgerbeteiligung<br />
Nicht unterschätzt werden sollten die negativen<br />
Folgen für die politische Kultur in Brandenburg,<br />
die ein unbeirrtes Festhalten an den überzogenen<br />
Sparbeschlüssen und der sehr fragwürdigen Kita-<br />
Gesetzesnovelle nach sich ziehen könnte. Viele<br />
Tausend Eltern haben seit Monaten gegen diese<br />
Pläne protestiert. Im ganzen Land haben sich<br />
Elterninitiativen gebildet, deren Tätigkeit in einem<br />
ebenfalls neu gegründeten Landeselternbeirat<br />
(LEB) koordiniert wird. Es haben unzählige<br />
öffentliche Diskussionsrunden und Informationsveranstaltungen<br />
stattgefunden; Landtagsabgeordnete,<br />
Stadtverordnetenversammlungen und<br />
Gemeindevertretungen wurden aufgesucht und –<br />
wenn nötig – zu Stellungnahmen gedrängt. Eine<br />
wachsende Zahl von Kommunalvertretungen und<br />
Bürgermeistern hat sich klar gegen die Pläne der<br />
Landesregierung ausgesprochen. Die entsprechende<br />
Volksinitiative des Aktionsbündnisses „Für<br />
unsere Kinder” haben mehr als 150.000 Men-<br />
AUGEN ZU UND DURCH<br />
Uta Reichel<br />
80<br />
schen unterschrieben. Im Februar und erneut am<br />
17. Mai demonstrierten mehrere Zehntausend vor<br />
dem Landtag gegen die Sparbeschlüsse.<br />
Aber ungeachtet all dessen hat eine offene, ernsthafte<br />
Diskussion der Zukunft von Kita-Betreuung<br />
im Kontext von „Bildungsoffensive” und „sozialer<br />
Gerechtigkeit” praktisch nicht stattgefunden –<br />
zumindest nicht in der Landesregierung und im<br />
Parlament. Die jüngste Anhörung vor dem zuständigen<br />
Landtagsausschuss (Ende Mai) war nur ein<br />
weiterer Beleg für die schier unglaubliche<br />
Ignoranz der verantwortlichen Politiker. Unbeeindruckt<br />
davon, dass mindestens zwei Drittel der<br />
angehörten Sachverständigen und Betroffenen<br />
eine Vielzahl triftiger Gründe gegen die beabsichtigten<br />
Kürzungen und Gesetzesänderungen vorgebracht<br />
haben, hält Minister Reiche an diesen Plänen<br />
fest. Wenn Experten und Betroffene in solchen<br />
Anhörungen wie in diesem Fall nur als Staffage<br />
dienen, verkommt dieses wichtige parlamentarische<br />
Verfahren zur Farce, leidet das Ansehen<br />
der beteiligten Institutionen und Personen darunter.<br />
Der ursprünglichen Intention, Gesetzentwürfe<br />
auf diesem Wege zu qualifizieren, wird damit in<br />
keiner Weise entsprochen, sondern lediglich Frustration<br />
bei den derart respektlos Ignorierten<br />
erzeugt.<br />
Und die Landtagsabgeordneten (von SPD und<br />
CDU) – unsere „Volksvertreter”?! Die im Zusammenhang<br />
des oben geschilderten Falls stattgefundenen<br />
Begegnungen mit einer ganzen Reihe von<br />
Parlamentariern waren ganz überwiegend<br />
ernüchternd bis enttäuschend. Denn die allermeisten<br />
von ihnen fühlen sich offenbar in erster Linie<br />
der Landesregierung und ihren jeweiligen<br />
Parteiführungen verpflichtet. Dass dies nicht nur<br />
in der Frage der Kita-Gesetzesnovellierung, sondern<br />
generell der Fall ist, wie eine aktuelle Studie
esagt, hat nichts Tröstliches. Im Gegenteil: Wenn<br />
die Abgeordneten der Regierungskoalition, zumal<br />
bei einer so komfortablen Landtagsmehrheit, ihr<br />
Mandat als von der Exekutive unabhängige Legislative<br />
nicht oder nur ungenügend wahrnehmen,<br />
wird damit die Gewaltenteilung, eine Grundsäule<br />
der parlamentarischen Demokratie, untergraben.<br />
Nimmt man hinzu, dass ein nicht unwesentlicher<br />
Teil der „4. Gewalt” unserer modernen Gesellschaft<br />
– die Medien (das ORB-Fernsehen, die<br />
„Potsdamer Neuesten Nachrichten” und die<br />
„Märkische Oderzeitung” beispielsweise) – im<br />
Streit um die geplanten Einschnitte teilweise eindeutig<br />
tendenziöse „Hofberichterstattung” betrieben<br />
hat, muss daraus für „NormalbürgerInnen”<br />
ein fataler Gesamteindruck entstehen: Die<br />
„checks and balances” zwischen den verschiedenen<br />
Institutionen des demokratischen Staates<br />
drohen zur Fassade zu verkommen, hinter der<br />
eben diese Institutionen in einer Art Kartell derer<br />
„da oben” die deutlich artikulierten Interessen<br />
und sachlichen Einwände jener „unten” weitgehend<br />
ignorieren.<br />
Wenn man nun den Blick von diesem ganz konkreten<br />
Fall etwas löst und das politische System<br />
als Ganzes in den Blick nimmt, erhebt sich die<br />
Frage, ob die hier konstatierten erheblichen Defizite<br />
eine Ausnahme darstellen oder zu befürchten<br />
ist, dass ähnlich gravierende Unzulänglichkeiten<br />
für das politische Alltagsgeschäft im Lande Brandenburg<br />
eher typisch sind. Dies zu analysieren<br />
und zu beantworten ist an dieser Stelle nicht möglich,<br />
aber das Problem sollten sich die Verantwortlichen<br />
bewusst machen und es sehr ernst<br />
nehmen. Verstärken und verfestigen sich die<br />
genannten negativen Tendenzen, wird dadurch<br />
mittel- und langfristig die demokratische politische<br />
Kultur beschädigt.<br />
AUGEN ZU UND DURCH<br />
Uta Reichel<br />
81<br />
Nun sieht die Verfassung unseres Landes eine<br />
Bürgerbeteiligung in Form von Volksinitiative/begehren<br />
und -entscheid vor, in diesem Fall vielleicht<br />
eine Art Notbremse. Das Aktionsbündnis<br />
„Für unsere Kinder” hat bekanntlich in einer<br />
Volksinitiative über 150.000 Unterschriften gegen<br />
die überzogenen Einsparungen und die Beschneidung<br />
des Rechtsanspruchs auf einen Kita-Platz<br />
gesammelt. Damit sind die Aussichten, dass erstmals<br />
in einem Volksbegehren die erforderlichen<br />
80.000 Stimmen zusammenkommen, durchaus<br />
gut. Die Umsetzung der Gesetzesnovelle mit all<br />
ihren negativen Folgen wird für viele Eltern im<br />
Lande mit Sicherheit eine zusätzliche Motivation<br />
darstellen, ihre Unterschrift in den Ämtern zu leisten,<br />
wodurch es dann zum Volksentscheid kommen<br />
würde. Die Rechnung, sich darauf zu verlassen,<br />
dass Landesregierung und Parlament dieses<br />
langwierige Verfahren – quasi in Kohlscher Manier<br />
– „aussitzen” könnten, weil sich die Mehrzahl<br />
der Bürgerinnen und Bürger resigniert in ihr<br />
“Schicksal” fügt, ist im Grundsatz äußerst fragwürdig<br />
und könnte im doppelten Sinn „ins Auge”<br />
gehen: eventuell könnte die Landesregierung per<br />
Volksentscheid doch zum Einlenken gezwungen<br />
werden und auch wenn dieser scheitert, wäre dies<br />
letztlich ein Pyrrhussieg für Minister Reiche und<br />
die große Koalition in Potsdam. Sollten die Koalitionäre<br />
auf die „Hintertür”-Lösung setzen, dass<br />
die Volksinitiative gar nicht statthaft, weil angeblich<br />
gegen ein Haushalts(struktur)gesetz gerichtet<br />
sei, würden SPD und CDU damit die in der brandenburgischen<br />
Verfassung verankerte Bürgerbeteiligung<br />
faktisch zur Farce erklären. Das Risiko,<br />
damit vor dem Verfassungsgericht Schiffbruch zu<br />
erleiden und schließlich in einem noch trüberen<br />
Licht dazustehen, wird von den Sozialdemokraten<br />
hoffentlich bedacht werden. Freilich besäße diese
Variante auch im „Erfolgsfall” einen äußerst<br />
faden Beigeschmack.<br />
Ein vernünftiges Verfahren, das von vornherein<br />
transparent und unter ernsthafter Einbeziehung<br />
von Experten (die ganz bestimmt nicht nur im<br />
zuständigen Ministerium bzw. Landtagsausschuss<br />
sitzen) und Betroffenen, auf eine tragfähige Gesetzesnovelle<br />
abzielt, die sowohl Einsparungen<br />
ermöglicht als auch Paradigmen wie „Bildungsoffensive”,<br />
soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit<br />
gerecht wird, wäre der eindeutig bessere<br />
Weg gewesen. Dieser ist durch die Verabschiedung<br />
der entsprechenden Vorlagen durch die<br />
Landtagsmehrheit zwar erst einmal versperrt,<br />
aber bereits in Reaktion auf die Volksinitiative<br />
besteht die Möglichkeit, diesen schwerwiegenden<br />
Fehler – im Verfahren und in der Sache – zu korrigieren.<br />
Diese Chance sollte nicht leichtfertig vertan<br />
werden.<br />
Parteipolitische Aspekte<br />
Inwieweit die hier behandelte Auseinandersetzung<br />
und ihr Ausgang für die eine oder andere politische<br />
Partei in Brandenburg positive bzw. negative<br />
Folgen haben wird, berührt die (parteilose) Autorin<br />
persönlich zwar weniger, aber ein paar Überlegungen<br />
dazu sollen abschließend dennoch<br />
angestellt werden.<br />
Mit großer Wahrscheinlichkeit wird die Frustration<br />
und der Ärger vieler Eltern und Kommunalvertreter<br />
im Land primär auf die SPD zurückfallen.<br />
Da der verantwortliche Minister gleichzeitig<br />
Landesvorsitzender der Sozialdemokraten war<br />
und weder die Parteigremien noch die Landtagsfraktion<br />
ihn von seinem Irrweg abgebracht haben,<br />
ist dies sicher weitgehend gerechtfertigt. Falls es<br />
tatsächlich zu Volksbegehren und Volksentscheid<br />
kommt, zieht sich dieses Verfahren noch eine<br />
AUGEN ZU UND DURCH<br />
Uta Reichel<br />
82<br />
ganze Zeit hin, so dass noch bei den nächsten<br />
Landtagswahlen die SPD diese Fehlleistung angekreidet<br />
bekommen wird. Ob der neue Parteivorsitzende,<br />
Matthias Platzeck, diese Hypothek kompensieren<br />
kann, bleibt abzuwarten. Da er aber als<br />
Potsdamer Oberbürgermeister die geplanten Kürzungen<br />
und Änderungen im Kitabereich abgelehnt<br />
hat, erweist die Mehrheit der märkischen Sozialdemokraten<br />
sich und ihrem neuen Hoffnungsträger<br />
mit ihrem bisherigen Verhalten in dieser Auseinandersetzung<br />
einen Bärendienst.<br />
Die CDU steht zwar voll hinter den Plänen von<br />
Minister Reiche und ist in gewisser Hinsicht auch<br />
die treibende Kraft in dieser Frage, aber damit<br />
erfüllt sie – anders als die SPD – nur die „Erwartungen”,<br />
die ohnehin in sie gesetzt werden. Deshalb<br />
wird sie von den WählerInnen vermutlich<br />
kaum wegen dieser Sache „bestraft” werden.<br />
Ob die PDS in der Wählergunst aufgrund dieser<br />
Auseinandersetzung wird profitieren können, ist<br />
schwer vorauszusagen, weil dies natürlich auch<br />
von einer ganzen Reihe weiterer Faktoren<br />
abhängt. Wünschenswert kann dies für die Sozialdemokratie<br />
aber kaum sein, ebensowenig wie<br />
eine weitere Zunahme der „Politikverdrossenheit”,<br />
des „Protestwähler”-Potentials und der<br />
Nichtwähler. Dass die Volkspartei SPD, die eine<br />
personelle Auffrischung sehr gut vertragen könnte,<br />
viele jüngere Leute im Land mit der hier kritisierten<br />
Politik vor den Kopf stößt, anstatt sie<br />
durch eine kompetente, transparente und bürgernahe<br />
Politik zu integrieren, kann auch nicht als<br />
sonderlich intelligent und weitsichtig bezeichnet<br />
werden.<br />
Man darf gespannt sein, wie lernfähig die Sozialdemokraten<br />
sich in den hier angesprochenen<br />
Punkten zeigen werden. Da so manche von ihnen<br />
– auch ihr langjähriger Vorsitzender und
(unrühmlicher) Protagonist in der hier besprochenen<br />
Auseinandersetzung, Steffen Reiche – vor<br />
mehr als 10 Jahren aufgebrochen sind, um<br />
Gesellschaft und Staat aus der von einer lernunfähigen<br />
Partei erzwungenen Apathie zu befreien,<br />
besteht Grund, vorsichtig optimistisch zu sein.<br />
AUGEN ZU UND DURCH<br />
Uta Reichel<br />
83<br />
Uta Reichel ist 28 Jahre alt. Sie hat eine vierjährige<br />
Tochter und arbeitet als Lehrerin in<br />
Brandenburg an der Havel.
Die Wissenschaftsregionen in<br />
Nordostdeutschland vor<br />
strukturpolitischen Herausforderungen<br />
Am <strong>21</strong>.Februar 2000 ist in Berlin das Wissenschaftsforum<br />
der Sozialdemokratie in Berlin,<br />
Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern<br />
(kurz: Wissenschaftsforum Nordost der Sozialdemokratie)<br />
gegründet worden. Für das Forum<br />
wurde die Rechtsform eines eingetragenen Vereins<br />
gewählt. Als Vorsitzender wurde der Bevollmächtigte<br />
des Landes Mecklenburg-Vorpommern<br />
beim Bund und frühere Bundestagsabgeordnete<br />
Staatssekretär Tilo Braune gewählt. Zum Vorstand<br />
gehören als Geschäftsführender Vorsitzender<br />
Klaus Faber, vom 1994 bis 1999 Staatssekretär in<br />
Sachsen-Anhalt, zuvor lange Jahre in der Wissenschaftsadministration<br />
Brandenburgs und des<br />
Bundes tätig, Dr. Klaus-Dietrich Krüger, von 1990<br />
bis 1999 Vorsitzender des Wissenschaftsausschusses<br />
im Brandenburger Landtag, sowie die<br />
Berliner Studentin der Politikwissenschaft Julia<br />
Müller als stellvertretende Vorsitzende. Weitere<br />
Mitglieder des Vorstands sind Prof. Dr. Clemens<br />
Burrichter und Dr. Klaus Lommatzsch aus Berlin<br />
sowie die Greifswalder Anglistin Priv. Doz. Dr.<br />
Andela Zander. Das Wissenschaftsforum hat seinen<br />
Sitz in Potsdam (c/o Klaus Faber, An der Parforceheide<br />
22, 14480 Potsdam; Tel.: 0331<br />
624551, Fax: 0331 6004035; e-mail: Klaus_Faber<br />
@t-online.de).<br />
Ziel des regionalen Wissenschaftsforums sind die<br />
Förderung und Entwicklung von Wissenschaft und<br />
Forschung, von Hochschulen und Forschungseinrichtungen<br />
durch Veranstaltungen, Publikationen<br />
und auf andere Weise mit einem Schwerpunkt in<br />
der Nordostregion Deutschlands. Das Forum wird<br />
MAGAZIN<br />
Wissenschaftsforum Nordost<br />
84<br />
sich dabei mit der schwierigen Aufbausituation im<br />
Wissenschaftsbereich der drei Länder Berlin,<br />
Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern<br />
befassen. Das Forum nimmt, wie andere regionale<br />
Wissenschaftsforen der Sozialdemokratie, eine<br />
unabhängige Stellung ein. Es versteht sich als<br />
Impulsgeber und kritischer Begleiter der Wissenschaftspolitik<br />
in den drei Ländern und auf der<br />
Bundesebene. Die Veranstaltungen des Forums<br />
werden aktuelle wissenschaftspolitische Fragestellungen<br />
aufnehmen, wie etwa die Debatte um<br />
die Reform der Hochschulpersonalstruktur, die<br />
Hochschulgesetzgebung der Länder oder die<br />
Finanzausstattung von Hochschulen und Forschungseinrichtungen.<br />
Der Aufbau einer leistungsfähigen<br />
Hochschul- und Forschungslandschaft,<br />
die Zusammenarbeit mit Technologie- und<br />
anderen Wissenschaftsunternehmen sowie Wechselwirkungen<br />
zwischen der Wissenschafts- und<br />
Wirtschaftsentwicklung werden Schwerpunktthemen<br />
der künftigen Arbeit sein. Die Tätigkeit des<br />
Wissenschaftsforums wird durch ein Kuratorium<br />
und Arbeitsgruppen unterstützt. Vorsitzender des<br />
Kuratoriums des Wissenschaftsforums ist Prof. Dr.<br />
Günther Rüdiger aus Potsdam. Es bestehen drei<br />
Arbeitsgruppen, die sich mit dem Infrastrukturausbau<br />
sowie dem Wissens- und Technologietransfer,<br />
mit der Hochschulreform und der Entwicklung<br />
der Wissenschaft befassen.<br />
Eine wesentliche Rolle spielen in der Debatte die<br />
nach wie vor in Ostdeutschland bestehenden<br />
Strukturdefizite im Wissenschaftsbereich, die vor<br />
allem auf den Zusammenbruch der ostdeutschen<br />
Industrieforschung zurückzuführen sind. Von<br />
etwa 86 000 in der ostdeutschen industrienahen<br />
Forschung und Entwicklung Beschäftigten sind<br />
1997 rund 16.000 übriggeblieben. Die Zahlen
MAGAZIN<br />
Strukturpolitische Herausforderungen<br />
haben sich seitdem nicht durchgreifend verbessert.<br />
Der Zusammenbruch der Industrieforschung<br />
wird auch in anderen Relationen deutlich:<br />
Annähernd 20% der gesamtdeutschen Bevölkerung<br />
leben in Ostdeutschland, das etwa ein Drittel<br />
des deutschen Territoriums umfaßt. Ostdeutschland<br />
verfügt aber nur über ca. 5% der gesamtdeutschen<br />
Kapazitäten in der Wirtschaft und nur<br />
über 2% des entsprechenden Forschungs- und<br />
Entwicklungspotentials. In Betrieben, die von der<br />
früheren Treuhand betreut wurden, ging die Zahl<br />
derjenigen Arbeitsplätze, die der Forschung und<br />
Entwicklung zugeordnet waren, schneller zurück<br />
als diejenige der übrigen Arbeitsplätze. Es gibt<br />
dafür einen strukturellen Grund, der auch bei der<br />
drastischen Reduzierung der gesamten ostdeutschen<br />
Industrieforschung eine wichtige Rolle<br />
spielt. Unternehmen, die größere ostdeutsche<br />
Betriebe erwerben wollen oder erworben haben,<br />
verfügen an ihren Standorten in Westdeutschland<br />
oder im westlichen Ausland oft bereits über Forschungs-<br />
und Entwicklungspotentiale. Kleinere<br />
und mittlere Unternehmen weisen in vielen Fällen<br />
noch nicht die erforderliche Betriebsgröße auf<br />
oder sind wirtschaftlich noch nicht ausreichend<br />
gesichert, um sich die dauerhafte Einrichtung von<br />
Forschungspotentialen leisten zu können.<br />
An diesen Strukturbedingungen kann die beste<br />
staatliche Föderung der Industrieforschung<br />
jedenfalls kurzfristig nichts ändern. Staatliche und<br />
andere Förderprogramme für den Aufbau von<br />
Forschung und Entwicklung in den ostdeutschen<br />
Betrieben verhindern zwar einen weiteren Rückgang<br />
der ostdeutschen Potentiale und unterstützen<br />
– im besten Fall – von einem niedrigen Ausgangspunkt<br />
aus ein langsames Wachstum. Die<br />
Lücke, die der Zusammenbruch der ostdeutschen<br />
85<br />
Industrieforschung gerissen hat, können sie aber<br />
nicht füllen. Hier kommt dem Ausbau der öffentlich<br />
geförderten oder öffentlich getragenen Wissenschaftseinrichtungen<br />
– der Hochschulen und<br />
der Forschungsinstitute – eine strategische Auffangfunktion<br />
zu. Es ist eine wesentliche Aufgabe<br />
des Wissenschaftsforums der Sozialdemokratie in<br />
Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern,<br />
die sich daraus ergebenden Handlungsansätze<br />
zu schildern und voranzubringen. In zwei<br />
Veranstaltungen (im Juli und im Herbst) wird sich<br />
das Wissenschaftsforum an die Öffentlichkeit<br />
wenden. Ohne Wissenschaft kein Aufschwung Ost<br />
– diese Feststellung und die damit formulierte<br />
Forderung werden ein verbindendes Thema der<br />
Diskussion sein.<br />
Tilo Braune Klaus Faber<br />
Klaus Faber<br />
An der Parforceheide 22<br />
14480 Potsdam<br />
Tel. 03 31 - 624 551<br />
Fax 03 31 - 600 40 35<br />
Mail: Klaus_Faber @t-online.de
NOTIZEN<br />
86
Ministerium für Arbeit, Soziales,<br />
Gesundheit und Frauen<br />
des Landes Brandenburg<br />
Abteilung 2: Gleichstellung, Frauen, Familie<br />
Heinrich-Mann-Allee 103<br />
14473 Potsdam<br />
Telefon: 0331/ 866 59 50<br />
http://www.brandenburg.de/land/masgf<br />
Gleichstellungsbeauftragte der kreisfreien<br />
Städte im Land Brandenburg<br />
Landeshauptstadt Potsdam<br />
Frau Susanne Melior<br />
Friedrich-Ebert-Straße 79-81<br />
14469 Potsdam<br />
Telefon: 0331/ 289 10 80<br />
Stadt Frankfurt<br />
Frau Sabine Hieckel<br />
Neumarkt 5<br />
03046 Cottbus<br />
Stadt Brandenburg an der Havel<br />
Frau Karin Augustin<br />
Neuendorfer Straße 90<br />
14770 Brandenburg an der Havel<br />
Telefon: 03381/ 581 60 00<br />
Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und<br />
Lebensfragen (Caritas)<br />
Plantagenstraße 23-24<br />
14482 Potsdam<br />
Telefon: 0331/ 71 02 987<br />
KONTAKTADRESSEN<br />
87<br />
Demokratischer Frauenbund e.V.<br />
Landesverband Brandenburg<br />
Mangerstraße 41<br />
14467 Potsdam<br />
Telefon: 0331/ 29 31 48<br />
Brandenburgisches Mädchen- und<br />
Frauennetzwerk<br />
Madchenzukunftswerkstatt Teltow<br />
Potsdamer Straße 8<br />
14513 Teltow<br />
Juso-Hochschulgruppen<br />
Juso-HSG Universität Potsdam<br />
Ansprechpartnerin: Kathrin Veh<br />
e-mail: vehk@rz.uni-potsdam.de<br />
http://www.uni-potsdam/u/vereine/jusos.de<br />
Juso-HSG Universität Frankfurt/Oder<br />
Ansprechpartner: Moritz Karg<br />
Mühlenweg 34a/404<br />
15232 Frankfurt/Oder<br />
Telefon: 0335/ 52 22 30<br />
e-mail: juso-hsg@euv-frankfurt-o.de<br />
http://www.viadrina.euv-frankfurt-o.de~~juso-hsg/<br />
Arbeitsgemeinschaft<br />
sozialdemokratischer Frauen<br />
AsF-Landesverband Brandenburg<br />
Kontakt: Birgit Gorholt<br />
Friedrich-Ebert-Straße 61<br />
14469 Potsdam<br />
Telefon: 03 31 / 270 85 34<br />
Telefax: 03 31 / 270 85 35
Bezug<br />
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IMPRESSUM<br />
88<br />
Herausgeber<br />
SPD-Landesverband Brandenburg<br />
Redaktion<br />
Klaus Ness (v.i.S.d.P.), Andreas Büchner,<br />
Madeleine Jakob, Lars Krumrey<br />
Anschrift<br />
Friedrich-Ebert-Straße 61<br />
14469 Potsdam<br />
Telefon<br />
03 31 – 29 20 30<br />
Telefax<br />
03 31 – 2 70 85 35<br />
Mail<br />
<strong>Perspektive</strong>-<strong>21</strong>@spd.de<br />
Internet<br />
www.spd-brandenburg.de<br />
Druck<br />
Druck- und Medienhaus<br />
Hans Gieselmann, Bergholz-Rehbrücke<br />
Satz<br />
kai weber medienproduktionen
Zeitgeschichte<br />
Gabriele Schnell<br />
Ende und Anfang<br />
Chronik der Potsdamer<br />
Sozialdemokratie 1945/46 – 1989/90<br />
200 Seiten, Paperback, 19,80 DM<br />
ISBN 3-933909-05-8<br />
Gabriele Schnell schreibt die<br />
spannungsvolle Geschichte der Potsdamer<br />
Sozialdemokratie in den Jahren<br />
des Umbruchs: Der Kampf gegen die Zwangsvereinigung<br />
1945/46 und der mutige Neubeginn 1989/90. Eine umfangreiche<br />
Material- und Dokumentensammlung ergänzt ihre Darstellung.<br />
Benjamin Ehlers<br />
Wer, wenn nicht wir!<br />
10 Jahre<br />
Junge Sozialdemokraten in der DDR<br />
mit einem Vorwort von Manfred Stolpe<br />
208 Seiten, Paperback, 19,80 DM<br />
ISBN 3-933909-07-4<br />
»Die ostdeutsche SPD kann es sich<br />
langfristig nicht erlauben, junge Menschen<br />
ausschließlich für<br />
Handlangerdienste zu verwenden. Sie müssen Freiräume für<br />
ihre eigenen politischen Themen erhalten. Nicht zuletzt muß<br />
ihnen auch institutionell eine Chance eingeräumt werden. ...<br />
Insofern können es sich junge Menschen erlauben, etliche Jahre<br />
auf ihre Chance in der Politik zu warten; ob sich die SPD dieses<br />
Abwarten leisten kann, ist mehr als fraglich.«<br />
kai weber medienproduktionen<br />
schlaatzstrasse 6 · 14473 potsdam<br />
fon 03 31 - 280 05 09 · fax 280 05 17<br />
e-mail: info@weber-medien.de
Interview<br />
SPD-Landesverband Brandenburg, Friedrich-Ebert-Straße 61, 14469 Potsdam<br />
PVSt, DPAG, Entgelt bezahlt, A47550<br />
mit Dr. Christine Bergmann,<br />
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend<br />
Beiträge<br />
Frauenförderpolitik in Brandenburg<br />
von Susanne Melior<br />
Migrantinnen im Land Brandenburg<br />
von Magdolna Grasnick<br />
Geschlechterverhältnisse in Veränderung<br />
von Prof. Dr. Irene Dölling<br />
Andere Frauen – andere Themen<br />
von Katrin Rohnstock<br />
Können Frauen nicht kampfschwimmen?<br />
von Anne Mangold und Sylka Scholz<br />
Frauen gestalten Europa<br />
von Lissy Gröner<br />
Schutz von Frauenrechten im Rahmen der Vereinten Nationen<br />
von Dr. Norman Weiß<br />
„Uns kriegen sie nicht klein“<br />
von Christa Randzio-Plath<br />
„Augen zu und durch“<br />
von Uta Reichel