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Frauenbilder - Perspektive 21

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perspektive <strong>21</strong><br />

Brandenburgische Hefte für Wissenschaft und Politik<br />

<strong>Frauenbilder</strong><br />

Interview<br />

Dr. Christine Bergmann<br />

Beiträge<br />

Susanne Melior<br />

Magdolna Grasnick<br />

Prof. Dr. Irene Dölling<br />

Katrin Rohnstock<br />

Anne Mangold<br />

Sylka Scholz<br />

Lissy Gröner<br />

Norman Weiß<br />

Christa Randzio-Plath<br />

Uta Reichel<br />

Heft 12 September 2000


Interview<br />

INHALT<br />

<strong>Frauenbilder</strong><br />

mit Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für<br />

Familie, Senioren, Frauen und Jugend . . . . . Seite 3<br />

Beiträge<br />

Frauenförderpolitik in Brandenburg<br />

von Susanne Melior . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 7<br />

Migrantinnen im Land Brandenburg<br />

von Magdolna Grasnick . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 13<br />

Geschlechterverhältnisse in Veränderung<br />

von Prof. Dr. Irene Dölling . . . . . . . . . . . . . Seite 27<br />

Andere Frauen – andere Themen<br />

von Katrin Rohnstock . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 36<br />

Können Frauen nicht kampfschwimmen?<br />

von Anne Mangold und Sylka Scholz . . . . . Seite 42<br />

1<br />

Frauen gestalten Europa<br />

von Lissy Gröner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 52<br />

Schutz von Frauenrechten im Rahmen<br />

der Vereinten Nationen<br />

von Dr. Norman Weiß . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 58<br />

„Uns kriegen sie nicht klein“<br />

von Christa Randzio-Plath . . . . . . . . . . . . . . Seite 68<br />

„Augen zu und durch“<br />

von Uta Reichel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 74<br />

Magazin<br />

Die Wissenschaftsregionen in<br />

Nordostdeutschland vor strukturpolitischen<br />

Herausforderungen – Wissenschaftsforum Nordost<br />

von Tilo Braune und Klaus Faber . . . . . . . . Seite 84


Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

eine der großen und tiefgreifenden Veränderungen<br />

des vergangenen Jahrhunderts betrifft<br />

die Stellung der Frauen innerhalb unserer<br />

Gesellschaft. Der erreichte Wandel des Selbstverständnisses<br />

von Frauen und ihrer gesellschaftlichen<br />

Rolle gehört zu den schwer<br />

erkämpften Teilerfolgen der Frauenbewegung.<br />

Nach dem Grundgesetz sind Frauen den Männern<br />

gleichgestellt, doch die gesellschaftliche<br />

Wirklichkeit sieht immer noch anders aus.<br />

Das Ihnen vorliegende 12. Heft der <strong>Perspektive</strong><br />

<strong>21</strong> „<strong>Frauenbilder</strong>“ versucht, diese Problematik<br />

zu durchleuchten. Wir wollen nicht nur fordern,<br />

sondern wollen Position und Ansehen der<br />

Frauen in Politik und Gesellschaft diskutieren.<br />

Noch Ende des 19. Jahrhunderts konnte sich<br />

niemand (in der Männerwelt) vorstellen, dass<br />

es weibliche Professorinnen oder Politikerinnen<br />

geben würde. Heute gibt es sie, doch ist die<br />

gesellschaftliche und die berufliche Gleichstellung<br />

von Frauen, z.B. ihre Aufstiegschancen<br />

oder ein gleicher Anteil an Führungspositionen,<br />

bei weitem noch nicht erreicht.<br />

In unserem Interview erläutert Bundesfrauenministerin<br />

Dr. Christine Bergmann aktuelle<br />

Ansätze der Politik, die Gleichstellung der Frauen<br />

praktisch voranzubringen. Christine Bergmann<br />

äußert sich auch zur Quotenregelung in<br />

Deutschland und ihre ganz persönlichen Ziele<br />

und Prämissen als Bundesfrauenministerin.<br />

Susanne Melior, ehemalige Landesvorsitzende<br />

der Brandenburger SPD-Frauen, analysiert die<br />

Erwerbssituation von Frauen im Land Bran-<br />

VORWORT<br />

2<br />

denburg und stellt Programme zur Frauenförderung<br />

vor. Ergänzend dazu stellt Magdolna<br />

Grasnick die Situation der Migrantinnen in<br />

unserem Land dar.<br />

Was verbirgt sich hinter dem Begriff<br />

„Geschlechterverhältnisse“? Dies wird aus wissenschaftlicher<br />

Sicht durch Frau Professor Dr.<br />

Irene Dölling von der Universität Potsdam<br />

untersucht. Was hat sich zehn Jahre nach der<br />

deutschen Einheit im Verhältnis von Ost- und<br />

West-Frauen getan? Mit diesem Aspekt beschäftigt<br />

sich Katrin Rohnstock in Ihrem Beitrag.<br />

Sylka Scholz und Anne Mangold greifen die<br />

Debatte um Frauen in der Bundeswehr auf und<br />

Lissy Gröner stellt das Konzept „Gender Mainstreaming“<br />

vor. Dr. Norman Weiß vom Menschenrechtzentrum<br />

der Universität Potsdam<br />

und Christa Randzio-Plath setzen sich in zwei<br />

Beiträgen mit den Problemen von Frauen in<br />

einer sich globalisierenden Welt auseinander.<br />

Hinzu kommt ein Beitrag einer Leserin, die<br />

sich kritisch mit den Änderungen am Brandenburger<br />

Kita-Gesetz auseinandersetzt. Im Magazinteil<br />

unseres Heftes möchten wir sie mit<br />

einer kurzen Vorstellung auf das neugegründete<br />

Wissenschaftsforums aufmerksam machen.<br />

Wir hoffen, erneut Ihr Interesse zu wecken und<br />

damit auch verbunden auf Ihre positiven Reaktionen<br />

und/oder kritischen Anmerkungen. Wir<br />

laden herzlich zur Mitarbeit ein.<br />

P.S. Sollten Sie noch kein kostenloses Abonnent<br />

der <strong>Perspektive</strong> <strong>21</strong> haben, nutzten Sie die beigefügte<br />

Postkarte.


Mit welchen politischen, mit welchen persönlichen<br />

Zielen, haben Sie vor gut 1 1/2 Jahren ihr<br />

Amt angetreten?<br />

Ziel meiner Politik ist es, die Situation von Familien<br />

zu verbessern, ein solidarisches Miteinander der<br />

Generationen zu fördern, Gewalt zu bekämpfen<br />

und die Chancengerechtigkeit zwischen Männern<br />

und Frauen und für die Jugendlichen voranzutreiben.<br />

Was sind die wichtigsten Erfolge ihrer bisherigen<br />

Amtszeit?<br />

Wir konnten bereits in den ersten 1 1/2 Jahren viel<br />

auf den Weg bringen.<br />

Ganz aktuell liegt die Novelle des Bundeserziehungsgeldgesetzes<br />

auf dem Tisch. Damit erhalten<br />

wieder mehr Eltern mehr Möglichkeiten für die<br />

individuelle Gestaltung ihres Lebens und zur Ver-<br />

INTERVIEW<br />

„IN SACHEN<br />

CHANCENGLEICHHEIT BESTEHT<br />

DRINGENDER<br />

HANDLUNGSBEDARF“<br />

Interview mit Dr. Christine Bergmann,<br />

Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend<br />

3<br />

einbarkeit von Familie und Beruf. Das ist ein<br />

großer Erfolg.<br />

Bereits im letzten Jahr haben wir das Programm<br />

„Frau und Beruf“ beschlossen, um die Gleichstellung<br />

von Männern und Frauen voranzutreiben, und<br />

den Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen<br />

Frauen verabschiedet.<br />

Als nächstes Vorhaben bereiten wir derzeit die<br />

Reform des Heimgesetzes vor, nachdem das Altenpflegegesetz<br />

kurz vor Verabschiedung im Bundestag<br />

steht.<br />

Eine aus dem Osten Deutschlands stammende<br />

Politikerin hat das Amt der Bundesfrauenministerin<br />

inne. Hat das Auswirkungen auf die Frauenpolitik<br />

speziell in den neuen Ländern?<br />

Als eine Frau, die in der DDR gelebt hat, kann ich<br />

die Anliegen der ostdeutschen Frauen sehr gut ver-


TITEL<br />

Interview mit Bundesministerin Dr. Christine Bergmann<br />

stehen. Für uns Frauen in der DDR war es selbstverständlich,<br />

Erwerbsarbeit und Beruf miteinander<br />

zu verbinden. Wir haben den doppelten Lebensentwurf<br />

nicht gefordert, sondern gelebt.<br />

Gleichzeitig war die DDR sicherlich nicht das Idealbild<br />

einer gleichstellungsorientierten Gesellschaft,<br />

denn auch die Männer in Ostdeutschland<br />

haben die Familienarbeit überwiegend den Frauen<br />

überlassen. Heute wollen junge Frauen in Ost- und<br />

Westdeutschland Familie und Beruf miteinander<br />

vereinbaren, und nicht das eine für das andere aufgeben.<br />

Mit unserer Reform des Erziehungsurlaubes<br />

schaffen wir mehr Flexibilität und neue Spielräume<br />

für Eltern, damit der Beruf und Familie besser<br />

zu vereinbaren sind. Beide Eltern können in<br />

Zukunft gemeinsam Erziehungsurlaub nehmen,<br />

verbunden mit der Möglichkeit, bis zu 30 Stunden<br />

pro Woche zu arbeiten.<br />

Haben es ostgelernte Politikerinnen leichter, sich<br />

in der starren Männerwelt der Politik durchzusetzen?<br />

Was sind Ihre eigenen Erfahrungen?<br />

Jeder und jede in der Politik muß über eine große<br />

Portion Durchsetzungskraft verfügen. Als Ostdeutsche<br />

habe ich hier keine besonderen Vor- oder<br />

Nachteile.<br />

Inwieweit hat die „Quote“ innerhalb der SPD zu<br />

einem neuen Denken geführt?<br />

Die Quote hat sich in der SPD bewährt. Von 45 Mitgliedern<br />

im SPD-Bundesvorstand sind <strong>21</strong> Frauen,<br />

das sind über 46 Prozent, im CDU-Bundesvorstand<br />

beträgt der Frauenanteil lediglich 35 Prozent.<br />

In der SPD-Bundestagsfraktion sind 32,5 Prozent<br />

Frauen, in der CDU-Bundestagsfraktion nur 18,3<br />

Prozent. Ohne die Quote wären Frauen innerhalb<br />

der SPD nicht so stark präsent, wie sie es heute<br />

sind.<br />

4<br />

Ist die Quotenregelung noch einer der Zeit entsprechende<br />

Erscheinung?<br />

Ja, wir können auch heute noch nicht auf die Quote<br />

verzichten; Frauen sind trotz hervorragender<br />

Qualifikationen noch nicht in allen Bereichen ausreichend<br />

vertreten.<br />

In Frankreich, als bisher weltweit einzigem<br />

Land, wurde durch den sozialistischen Regierungschef<br />

Jospin ein wichtiges gleichstellungspolitisches<br />

Ziel durchgesetzt: Wahllisten müssen<br />

künftig je zur Hälfte von Frauen und Männern<br />

besetzt werden, wann kann man damit auch in<br />

Deutschland rechnen?<br />

Ein solches Gesetz ist in Deutschland derzeit nicht<br />

geplant.<br />

Wie nehmen Sie persönlich mentale Differenzen<br />

zwischen ostdeutschen und westdeutschen<br />

Frauen war? Wo liegen Unterschiede zwischen<br />

ostdeutschen und westdeutschen Frauen in<br />

Bezug auf Familie und Erwerbstätigkeit oder<br />

gibt es sie überhaupt noch?<br />

Für Frauen in Ostdeutschland spielt Erwerbsarbeit<br />

eine größere Rolle als für Frauen in Westdeutschland.<br />

Das zeigt sich auch bei der Frauenerwerbsquote,<br />

die in Ostdeutschland noch immer deutlich<br />

höher liegt als in Westdeutschland.<br />

Ostdeutsche Frauen wollen auch in höherem<br />

Umfang Vollzeiterwerb.<br />

Allerdings werden die Unterschiede zwischen Ost<br />

und West kleiner. Auch für die überwiegende Zahl<br />

der jungen Frauen in Westdeutschland gehört die<br />

Erwerbsarbeit inzwischen zur Lebensplanung.<br />

Bundesweit sind fast zwei Drittel der Mütter mit Kindern<br />

berufstätig, in Ostdeutschland vereinbaren<br />

über 73 Prozent und in Westdeutschland knapp 60<br />

Prozent der Frauen ihre Berufstätigkeit mit Kindern.


TITEL<br />

Interview mit Bundesministerin Dr. Christine Bergmann<br />

Wo liegen die Ziele der sozialdemokratisch<br />

geführten Bundesregierung in Bezug auf Chancengleichheit<br />

auf dem Arbeitsmarkt, vor allem<br />

auch in den neuen Ländern?<br />

Der Abbau der Arbeitslosigkeit von Mädchen und<br />

Frauen, insbesondere im Osten Deutschlands ist<br />

mir ein ganz wichtiges politisches Anliegen. Dazu<br />

gehört auch - als wesentliche Voraussetzung für<br />

Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt und in<br />

der Gesellschaft - eine bessere Vereinbarkeit von<br />

Familie und Beruf für Frauen und Männer.<br />

Und es geht darum, Frauen in den zukunftsträchtigen<br />

Berufen, vor allem IT-Bereich, bessere Chancen<br />

zu bieten.<br />

Wie sieht es mit der Chancengleichheit in der<br />

deutschen Privatwirtschaft aus? Können Sie als<br />

Bundesfrauenministerin etwas in dieser Richtung<br />

bewegen?<br />

In Sachen Chancengleichheit besteht dringender<br />

Handlungsbedarf. Die formale Gleichstellung von<br />

Frauen und Männern ist zwar erreicht, aber bis zu<br />

einer tatsächlichen Gleichstellung in allen Bereichen<br />

ist leider noch viel zu tun. Wir haben heute<br />

zum Beispiel nur 6 Prozent Frauen im Management<br />

von großen deutschen Unternehmen. Bei kleineren<br />

und mittleren Unternehmen sind bis zu 20 Prozent<br />

der Frauen in Führungspositionen.<br />

Deutschland hat hier auch im internationalen Vergleich<br />

durchaus Nachholbedarf.<br />

Derzeit gibt es einen konstruktiven Dialog mit<br />

den Tarifparteien über die Wege zu mehr Chancengleichheit<br />

in der Privatwirtschaft. Am Ende<br />

dieses Prozesses werden dann gesetzliche Regelungen<br />

stehen, die praktikabel und vernünftig<br />

sind und in der täglichen betrieblichen Praxis<br />

Bestand haben.<br />

5<br />

Haben Frauen älteren Jahrgangs überhaupt<br />

noch eine Chance auf dem Arbeitsmarkt?<br />

Generell haben es ältere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen<br />

auf dem Arbeitsmarkt schwerer. Das<br />

ist kein spezifisches Problem von Frauen.<br />

Wie bewerten Sie den Stand der Gleichstellungspolitik<br />

Deutschlands im Vergleich zu anderen<br />

europäischen Staaten?<br />

Bei der institutionellen und rechtlichen Ausgestaltung<br />

nimmt Deutschland in der Gleichstellungspolitik<br />

einen Spitzenplatz innerhalb Europas ein.<br />

Anders sieht es aus, wenn wir die Rahmenbedingungen<br />

zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf<br />

betrachten. Hier gibt es in Deutschland im europäischen<br />

Vergleich noch großen Nachholbedarf, vor<br />

allem im Bereich der Kinderbetreuung. Für alle<br />

europäischen Länder gilt, dass es zu wenige Frauen<br />

in Führungspositionen in Politik und Wirtschaft<br />

gibt, aber im Wirtschaftsbereich stehen wir vergleichsweise<br />

schlecht dar.<br />

Wo sehen Sie die Chancen und Vorteile des Gender<br />

Mainstreamings für Frauen?<br />

Gender-Mainstreaming, also die grundsätzliche<br />

Einbeziehung geschlechterspezifischer Belange in<br />

alle Politikfelder, ist ein hervorragender Ansatz,<br />

um die Interessen von Frauen wirklich durchzusetzen.<br />

Gleichstellungspolitik kann nur wirken, wenn<br />

sie als Querschnittsaufgabe verstanden wird.<br />

In der Arbeit der Bundesregierung ist der Gender-<br />

Mainstreaming-Ansatz durchgängiges Prinzip.<br />

Inwieweit wirkt sich die aktuelle Debatte um<br />

das Thema „Frauen an die Waffen“ auf die Diskussion<br />

um die Gleichstellung zwischen Männern<br />

und Frauen aus? Wie ist Ihre persönliche<br />

Meinung dazu?


TITEL<br />

Interview mit Bundesministerin Dr. Christine Bergmann<br />

Nach der Entscheidung des Europäischen<br />

Gerichtshofes auch Frauen den Zugang zur Bundeswehr<br />

zu öffnen, geht es darum diesen interessanten<br />

Arbeitsmarkt für Frauen auch wirklich zu<br />

erschließen. Es ist aber nicht der gleichstellungspolitische<br />

Durchbruch.<br />

Werden frauenpolitische Instrumente in ihrer<br />

Wirksamkeit angemessen überprüft?<br />

Ich halte es für sehr wichtig, dass alle gesetzlichen<br />

Regelungen auf ihre Wirksamkeit hin überprüft<br />

werden. Beim seit 1994 geltende Frauenfördergesetz<br />

des Bundes hat sich beispielsweise gezeigt,<br />

dass es keine wirkliche Verbesserung der Situation<br />

6<br />

gebracht hat. Deshalb erarbeiten wir derzeit ein<br />

neues Gleichstellungsgesetz, das die Repräsentanz<br />

von Frauen im öffentlichen Dienst verbessert und<br />

die Stellung der Frauenbeauftragten in den Behörden<br />

stärkt.<br />

Was würden Sie tun, wenn Sie für einen Tag<br />

Bundeskanzlerin in Deutschland wären?<br />

In einem Tag kann man gar nichts bewegen, dazu<br />

gehört schon eine Legislaturperiode.<br />

Ich bin Bundesfrauenministerin, und diese Aufgabe<br />

mache ich gern.<br />

www.bmfsfj.de/


FRAUENFÖRDERPOLITIK IN<br />

BRANDENBURG<br />

Frauen in Brandenburg<br />

Im Land Brandenburg lebten Ende des Jahres<br />

1997 etwa 2,5 Millionen Menschen, davon ca. 1,3<br />

Millionen Frauen. Das entspricht einem leicht<br />

erhöhten Frauenanteil in der Bevölkerung. Der<br />

Altersaufbau (Abb.1) zeigt, dass bis zum 50.<br />

Lebensjahr der Anteil der Männer auf Grund der<br />

erhöhten Lebendgeborenenrate von Jungen über<br />

dem der Frauen liegt. Der erhöhte Frauenanteil<br />

ab dem 50. Lebensjahr ist auf die allgemein höhere<br />

Lebenserwartung von Frauen, aber auch noch<br />

immer auf die Auswirkungen des zweiten Weltkrieges<br />

zurückzuführen.<br />

Frauen sind vor allem in den Dienstleistungsbereichen<br />

und im Handel beschäftigt. Ihr Anteil<br />

betrug 1997 in den Bereichen Handel, Gastgewerbe/<br />

Verkehr 51,2 % und für die sonstigen Dienst-<br />

THEMA<br />

von Susanne Melior,<br />

Frauenbeauftragte der Landeshauptstadt Potsdam<br />

7


leistungen 61,9 %. Der Anteil der selbständigen<br />

Frauen bzw. mithelfenden Familienangehörigen<br />

erhöhte sich von 4,9 % im Jahr 1993 auf 5,5 % im<br />

Jahr 1997 (Quelle: Statistisches Jahrbuch des<br />

Landes Brandenburg 1998).<br />

In Brandenburg ist der Wunsch nach Vollzeitarbeit<br />

deutlich höher als in den alten Bundesländern.<br />

Teilzeitarbeit wird in der Regel von Frauen<br />

angenommen und oft als vollzeitnahe Teilzeit<br />

praktiziert. Die beschränkten Möglichkeiten des<br />

Arbeitsmarktes, besondere Arbeitsförderungsbedingungen<br />

und vor allem familiäre Situationen<br />

sind oft die Ursachen.<br />

Bildung und Ausbildung<br />

Junge Frauen versuchen ihre Berufschancen und<br />

damit ihre Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt<br />

durch höhere Bildungsabschlüsse zu verbessern.<br />

In der Regel erzielen sie auch die besseren Noten<br />

als ihre männlichen Mitbewerber. Bei den Schulentlassenen<br />

1996/ 1997 zeigt sich folgendes Bild:<br />

36 % der Mädchen erlangten die Hochschulreife<br />

und nur 24 % der Jungen, Fachoberschulreife<br />

FRAUENFÖRDERPOLITIK<br />

Susanne Melior<br />

Erwerbstätigkeit von Frauen im Land Brandenburg in 1000<br />

insgesamt Frauen Männer Frauenanteil<br />

1991 1274,2 589 685,2 46,2<br />

1992 1132,2 504,7 627,5 44,6<br />

1993 1084,3 478,8 605,6 44,2<br />

1994 1107,7 492,8 614,9 44,5<br />

1995 1117,2 496,4 620,8 44,4<br />

1996 1107,1 497,8 609,2 45<br />

1997 1115,3 495 620,2 44,3<br />

Quelle: Jahrbücher des Statistischen Landesamtes Brandenburg 1991 bis 1997<br />

8<br />

konnten 47 % der Mädchen erreichen, dem stehen<br />

42 % der Jungen gegenüber; die Zahl der Jungen<br />

ohne Berufsausbildung ist um mehr als das<br />

Doppelte höher als die der Mädchen.<br />

Dennoch stellt sich der Stellenmarkt für Ausbildungsplätze<br />

für junge Frauen schwierig dar. Die<br />

frauenspezifischen Industriezweige sind auf Grund<br />

ihrer oft geringen Produktivität als erste Opfer des<br />

wirtschaftlichen Umbruchs geworden. Hinzu<br />

kommt, daß Unternehmen oft männliche Bewerber<br />

trotz großzügiger Förderung für weibliche<br />

Auszubildende bei Einstellungen bevorzugen. Darüber<br />

hinaus muß festgestellt werden, daß junge<br />

Frauen sich vorwiegend für klassische Ausbildungsberufe<br />

wie Hotelfachfrau, Friseurin, Verkäuferin,<br />

Restaurantfachfrau, Köchin, Kauffrau, Arzthelferin<br />

usw. entscheiden. Den einmal gewählten<br />

Ausbildungsvertrag lösen sie jedoch seltener als<br />

ihre männlichen Kollegen vorfristig auf.<br />

Fort- und Weiterbildung stehen Frauen sicher<br />

auch auf Grund ihrer schwierigen Erwerbssituation<br />

aufgeschlossener gegenüber als Männer. Sie<br />

entscheiden sich lieber für eine Fortbildung als in<br />

die Arbeitslosigkeit zu gehen. Sie nutzen auch ihre


Freizeit für lebenslanges Lernen und werden so<br />

den gewachsenen gesellschaftlichen Anforderungen<br />

gerecht.<br />

Familiäre Situation<br />

Ein weitere wichtiger Indikator für die Lebenswirklichkeit<br />

von Frauen ist ihre familiäre Situation<br />

sowohl die Anzahl der Eheschließungen als auch<br />

die der Scheidungen ist nach 1989 deutlich<br />

zurückgegangen. Laut statistischem Jahrbuch des<br />

Landes Brandenburg sind zahlenmäßig 1997 erst<br />

37 % der Eheschließungen des Jahres 1989<br />

erreicht. Die Anzahl der Ehescheidungen ging<br />

1991/ 1992 besonders drastisch zurück. Das geht<br />

sicher auf die neue Rechtssituation wie z.B. dem<br />

bundesdeutschem Recht zu erfolgendem Trennungsjahr<br />

zurück. In den letzten Jahren ist die<br />

Zahl wieder steigend, und es sind überwiegend<br />

Frauen, die die Scheidung einreichen. So waren<br />

es 1997 71 % Frauen, die sich von ihrem Partner<br />

trennen wollten. Die Zahl der von Scheidung<br />

betroffenen minderjährigen Kinder stieg von 1992<br />

bis 1997 um mehr als das Doppelte an.<br />

Noch immer lebt die Mehrheit der Frauen in<br />

FRAUENFÖRDERPOLITIK<br />

Susanne Melior<br />

9<br />

Brandenburg verheiratet, aber die Anzahl der<br />

alleinlebenden Frauen und besonders die der<br />

alleinerziehenden Frauen steigt in den letzten Jahren<br />

leicht aber stetig.<br />

Die Geburtenrate ist den Jahren nach 1989 deutlich<br />

eingebrochen. Auch wenn sie in den Folgejahren<br />

wieder leicht anstieg, konnten 1995 erst<br />

wieder die Hälfte der 1989 geborenen Kinder<br />

erreicht werden. Der vorherrschende Wunsch der<br />

brandenburgischen Frauen ist nach wie vor die<br />

Zwei-Kind-Familie.<br />

Rechtliche Situation der Frauen<br />

in Brandenburg<br />

Bereits der römische Schriftsteller und Politiker<br />

Cato der Ältere warnte vor der rechtlichen Gleichstellung<br />

der Frauen: „Sobald die Frauen uns<br />

gleichgestellt sind, sind sie uns überlegen.“ Die<br />

Angst des alten Römers wurde zum Motto einer<br />

Bundesfrauenkonferenz der Arbeitsgemeinschaft<br />

sozialdemokratischer Frauen 1996 in Rostock,<br />

denn sie hält bis heute an. Wie sonst ist es zu müssen,<br />

um erwerbstätig zu sein, daß im Deutschen<br />

Bundestag von 669 Abgeordnete nur 207 Frauen<br />

Alleinlebende und Alleinerziehende Frauen im Land Brandenburg<br />

alleinlebende Frauen Alleinerziehend<br />

absolut Anteil an allen Entwicklung absolut Anteil an allen Entwicklung<br />

Familienformen Familienformen<br />

1991 178 100 17,9 100 92 600 9,3 100<br />

1993 185 700 18,5 104,3 102 500 10,2 110,7<br />

1995 180 500 18 101,3 105 800 10,6 114,3<br />

1997 182 700 18 102,5 109 200 10,8 117,7<br />

Quelle: Statistische Jahrbücher des Landes Brandenburg 1992 bis 1998


sind und damit nicht einmal 1/3 aller Abgeordneten<br />

und an brandenburgischen Hochschulen<br />

1998 nur 13,5 % aller Professuren in Frauenhand<br />

waren?<br />

Die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter ist<br />

in den letzten 100 Jahren deutlich vorangenommen,<br />

aber die tatsächliche Gleichstellung von<br />

Frau und Mann hinkt dem Recht deutlich hinterher.<br />

Die Politik ist gefordert, Rahmenbedingungen<br />

zu schaffen, die den Frauen wirklichen gleichberechtigten<br />

Zugang zu allen Bereichen der Gesellschaft<br />

gewähren.<br />

Bereits 1949 haben beide deutschen Staaten im<br />

Grundgesetz bzw. in der Verfassung der DDR die<br />

Fundamente für die rechtliche Gleichstellung von<br />

Frau und Mann gelegt. Im Osten Deutschlands<br />

folgten darauf entsprechende Geseztgebungen wie<br />

das „Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz<br />

und die Rechte der Frau“ und die dann im Jahr<br />

1968 verfassungsrechtlich fixierten Rechte der<br />

Frau. Im Westen Deutschlands ging es nur in kleinen<br />

Schritten voran. Immer wieder mußte das<br />

Bundesverfassungsgericht einschreiten und nach<br />

Klageverfahren Korrekturen anmahnen. Aber<br />

auch die rechtliche Besserstellung der Frauen in<br />

der früheren DDR führte nicht zu tatsächlicher<br />

Gleichberechtigung. Die Haus- und Familienarbeit<br />

war noch immer Sache der Frauen und führte oft<br />

zur Doppel- und Dreifachbelastung (Quelle: Dr.<br />

Sabine Berghahn 1993 und Berghahn/ Fritsche<br />

1991).<br />

Das im Jahr 1990 vor allem von Frauen in Ost und<br />

West gemeinsam erhoffte neue Grundgesetz blieb<br />

aus. Der Osten Deutschlands trat der Bundesrepublik<br />

bei. Im Zuge der Überarbeitung des<br />

Grundgesetzes konnte im Sinne der Gleichstellung<br />

von Frau und Mann lediglich der Artikel 3 Absatz<br />

2 erweitert werden: „Männer und Frauen sind<br />

FRAUENFÖRDERPOLITIK<br />

Susanne Melior<br />

10<br />

gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche<br />

Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen<br />

und Männern und wirkt auf die Beseitigung der<br />

bestehenden Nachteile hin“.<br />

Die Verfassung des Landes Brandenburg geht<br />

noch einen Schritt weiter: In Artikel 12 Absatz 3<br />

heißt es: „Frauen und Männer sind gleichberechtigt.<br />

Das Land ist verpflichtet, für die Gleichstellung<br />

von Frau und Mann in Beruf, öffentlichem<br />

Leben, Bildung und Ausbildung, Familie sowie im<br />

Bereich der sozialen Sicherung durch wirksame<br />

Maßnahmen zu sorgen“. Diesem Anspruch soll<br />

u.a. das 1994 vom brandenburgischen Landtag<br />

verabschiedete Landesgleichstellungsgesetz gerecht<br />

werden.<br />

Frauenförderung<br />

Es gilt für alle öffentlichen Verwaltungen und ist in<br />

den §§ 14 und 15 darüber hinaus an die Privatwirtschaft<br />

gerichtet. Im privatwirtschaftlichen<br />

Bereich soll durch öffentliche Auftragsvergabe<br />

und staatliche Leistungsgewährung Frauenförderung<br />

erreicht werden. Für den öffentlichen<br />

Bereich gelten weitreichende Regelungen, die von<br />

Stellenbesetzung über Arbeitszeitmöglichkeiten<br />

bis zur Berichtspflicht reichen. In jeder Dienststelle<br />

mit mehr als 20 Beschäftigten ist eine<br />

Gleichstellungsbeauftragte zu wählen bzw. auf den<br />

kommunalen Ebenen zu bestellen. Wichtigstes<br />

Instrument der Gleichstellungsbeauftragten sind<br />

die im Benehmen mit den jeweiligen Personalabteilungen<br />

zu erstellenden Gleichstellungspläne.<br />

Bei sehr hoher Unterpräsenz von Frauen können<br />

darüber hinaus Frauenförderpläne erstellt werden.<br />

Der zweite Landesgleichstellungsbericht für die<br />

Jahre 1996 bis 1998 zeigt, dass der Frauenanteil<br />

in der brandenburgischen Landesverwaltung mit


53,3 % (1995) sehr hoch ist, diese fast Parität<br />

jedoch nicht auf allen Ebenen zutrifft. Während<br />

Frauen in den unteren Laufbahngruppen sehr<br />

stark vertreten sind, nimmt ihre Zahl in den höheren<br />

Laufbahnen deutlich ab. Dieses Bild zeigt sich<br />

auch auf den kommunalen Ebenen. Das wichtigste<br />

Ziel der Gleichstellungspläne für öffentliche<br />

Verwaltungen besteht somit darin, die Repräsentanz<br />

von Frauen in den besser bezahlten und mit<br />

mehr Einflußmöglichkeiten ausgestatteten Dienstebenen<br />

zu erhöhen.<br />

In den Kreisen, kreisfreien Städten und Gemeinden<br />

werden auf der Grundlage der Kommunalverfassung<br />

§§ 20 bis 24 kommunale Gleichstellungsbeauftragte<br />

bestellt. Sie werden vom Oberbürgermeister<br />

bzw. Bürgermeister/ Bürgermeisterin<br />

berufen und in der Regel durch die kommunalen<br />

Vertretungen gewählt. Ihre Aufgaben und Kompetenzen<br />

sind über die Hauptsatzungen und über<br />

Dienstverordnungen geregelt. Sie sind direkt<br />

beim Bürgermeister/ bei der Bürgermeisterin<br />

angesiedelt. Den kommunalen Gleichstellungsbeauftragten<br />

obliegt nicht nur die Vertretung in allen<br />

gleichstellungsrelevanten Fragen innerhalb der<br />

Verwaltung, sondern auch die Wirkung in die<br />

jeweilige kommunale Ebene hinein. Mit Projekten,<br />

öffentlichen Veranstaltungen, Workshops<br />

oder über die Medien wirken sie auf die Gleichstellung<br />

von Mann und Frau hin.<br />

An den brandenburgischen Hochschulen sind die<br />

Gleichstellungsbeauftragten nach dem brandenburgischen<br />

Hochschulgesetz zu bestellen. Die<br />

1999 in Kraft getretene Novelle stärkt ihre Rolle<br />

und wirkt noch gezielter auf Maßnahmen zur<br />

Gewährleistung der Chancengleichheit von Frauen.<br />

Von besonderer Bedeutung für den wissenschaftlichen<br />

Bereich sind die Besetzungen entsprechender<br />

Gremien, so sind z.B. in den Berufs-<br />

FRAUENFÖRDERPOLITIK<br />

Susanne Melior<br />

11<br />

kommissionen 40 % Frauen, darunter mindestens<br />

eine Professorin, vorgeschrieben. Nur so kann es<br />

gelingen, die überdurchschnittlich gut ausgebildeten<br />

Frauen auch in den wissenschaftlichen<br />

Laufbahnen entsprechend zu berücksichtigen.<br />

Der Einstellungskorridor für C3 und C4 Professorinnen<br />

seitens der Bundesregierung tut ein Übriges.<br />

Frauenförderung ist darüber hinaus ein wichtiges<br />

Gremium für die hochschulinterne Mittelvergabe.<br />

Die Universität Potsdam ist hier beispielgebend<br />

aktiv geworden.<br />

Die Ausbildungsplatzsituation in der Landesverwaltung<br />

zeigt einen ähnlichen Trend wie für die<br />

den öffentlichen Bereich insgesamt. An den Ausbildungsplätzen<br />

für den höheren Dienst und im<br />

Facharbeiterbereich sind Mädchen unter 50 %<br />

beteiligt, in allen anderen Ebenen deutlich darüber.<br />

Für die kommunalen Verwaltungen läßt sich<br />

das Ergebnis nicht nachvollziehen, da diese für<br />

den höheren und gehobenen Dienst keine Ausbildungsplätze<br />

anbieten.<br />

Angesichts knapper werdender Haushaltsmittel<br />

wird das Land Brandenburg in Zukunft noch<br />

weniger die Ausbildungsplatzsituation im Bereich<br />

der Privatwirtschaft stimulieren können. Dennoch<br />

ist eine Förderung von Mädchen gerade in den<br />

technischen und ingenieurtechnischen Berufen<br />

um so mehr erforderlich. Das gilt besonders für<br />

die neuen Kommunikationstechnologien oder<br />

Wachstumsbranchen wie die Biotechnologien.<br />

Unsere Gesellschaft sollte es sich insgesamt nicht<br />

leisten, auf das hohe Potential gut ausgebildeter<br />

Frauen zu verzichten. Das ist ökonomisch aber<br />

auch aus Gründen der Geschlechtergerechtigkeit<br />

dringend geboten.<br />

Gender Mainstreaming<br />

Gender Mainstreaming heißt das neue Schlagwort


der Europäischen Union. In die deutsche Sprache<br />

läßt es sich nur schwer übersetzten. Es bedeutet<br />

soviel, wie die Einbeziehung der Dimension der<br />

Chancengleichheit von Frauen und Männern in<br />

sämtliche Politikbereiche (Glossar der Gleichstellung<br />

zwischen Frauen und Männern der EU-Kommission<br />

1998). Der Amsterdamer Vertrag nennt<br />

die Gleichstellung von Frauen und Männern als<br />

eines seiner Ziele, und so ist die Europäische Union<br />

in der Pflicht, bei allen Maßnahmen darauf hin<br />

zu wirken. Sämtliche allgemeinen politischen<br />

Konzepte und Maßnahmen sollen am Prinzip der<br />

Gleichstellung der Geschlechter ausgerichtet sein.<br />

Das gilt für Planungsphasen, aber auch für<br />

Durchsetzung, Begleitung und Bewertung von<br />

Maßnahmen. Realisiert wird dieser Anspruch im<br />

FRAUENFÖRDERPOLITIK<br />

Susanne Melior<br />

12<br />

Wesentlichen über die Fördermodalitäten mit<br />

denen die Mitgliedstaaten gezwungen werden, die<br />

jeweilige Situation und die Bedürfnisse von Männern<br />

und Frauen systematisch zu betrachten. Diese<br />

Vorgaben lassen hoffen, daß der Geschlechtergerechtigkeit<br />

weiter zum Durchbruch verholfen<br />

werden kann.<br />

Susanne Melior war bis Januar 2000 Landesvorsitzende<br />

der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer<br />

Frauen in der SPD und ist Mitglied<br />

im SPD-Landesvorstand.<br />

www.spdbrandenburg.de/ag/asf.html<br />

www.potsdam.de


Im Land Brandenburg leben etwa 17500 Migrantinnen[1],<br />

also etwa 0,7 % der Landesbevölkerung<br />

(s. Tabelle). Männer mit ausländischem<br />

Pass gibt es in einer größeren Zahl im Land<br />

(34600[1]), etwa 1,4 % der Bevölkerung. Den<br />

größten Teil der ausländischen Frauen in Brandenburg<br />

bilden die Frauen zwischen 18 und 40<br />

Jahren (10334[1]).<br />

Der Unterschied in der Anzahl der weiblichen und<br />

männlichen Ausländer ist kein Zufall. Die Entscheidung,<br />

aus der Heimat wegzugehen, Haus und<br />

Hof, Verwandte zu hinterlassen, fällt niemandem<br />

leicht. Frauen sind in der Regel jedoch begrenzt<br />

in ihrer Mobilität. Dies ist verursacht einerseits<br />

durch die traditionelle Rolle der Frau, indem sie<br />

die Familie vor Ort zusammenhält und sich um<br />

die Kinder kümmert bzw. als Unverheiratete an<br />

THEMA<br />

MIGRANTINNEN<br />

IM LAND BRANDENBURG<br />

von Magdolna Grasnick,<br />

Ausländerbeauftragte der Landeshauptstadt Potsdam<br />

13<br />

die „Altfamilie„ gebunden ist, andererseits auch<br />

durch die objektive Unmöglichkeit, mit Kindern<br />

eine Reise nach Deutschland zu organisieren und<br />

zu finanzieren.<br />

Das Wort Migrantin ist ein Sammelbegriff für die<br />

Gesamtheit der Frauen anderer Herkunft. Als Ausländerin<br />

nach Deutschland zu kommen und hier<br />

bleiben zu wollen bzw. zu dürfen, hat verschiedene<br />

Gründe. Demnach gibt es verschiedene Gruppen<br />

von Ausländerinnen, die in Brandenburg<br />

leben. Diese Gruppen sind:<br />

- Ehefrauen von Deutschen<br />

- Mütter (mit Sorgerecht) von deutschen Kindern<br />

- Flüchtlingsfrauen (Asylbewerber, Geduldete,<br />

Bürgerkriegsflüchtlinge, Asylberechtigte)<br />

- Jüdische Einwanderer aus Ost-Europa<br />

- Aussiedlerinnen


MIGRANTINNEN IM LAND BRANDENBURG<br />

Magdolna Grasnick<br />

Tabelle: Ausländische Frauen im Land Brandenburg<br />

Quelle: Ausländerzentralregister, Stichtag 31.12.1999<br />

Landkreis Zahl Feste Aufenthaltstitel EU-Angehörigkeit<br />

(außer EU)<br />

Prignitz 313 117 14<br />

Spree-Neiße 679 370 23<br />

Teltow-Fläming 822 460 103<br />

Uckermark 336 147 22<br />

Oberspreewald-Lausitz 518 289 <strong>21</strong><br />

Oder-Spree 853 442 31<br />

Ostprignitz-Ruppin 494 <strong>21</strong>5 15<br />

Potsdam-Mittelmark 1429 646 178<br />

Elbe-Elster 452 236 19<br />

Havelland 811 528 55<br />

Märkisch-Oderland 796 457 26<br />

Oberhavel 930 576 90<br />

Barnim 956 633 34<br />

Dahme-Spreewald 827 504 86<br />

Brandenburg 658 378 12<br />

Frankfurt/Oder 1445 472 32<br />

Cottbus 1036 593 47<br />

Potsdam 1601 973 151<br />

- Ehemalige Vertragsarbeiterinnen der DDR<br />

- Frauen aus der Europäischen Union<br />

- Frauen als Opfer von Menschenhandel<br />

- Studentinnen.<br />

Im Folgenden möchte ich Ihnen einen Überblick<br />

über die Lage der im Land lebenden Migrantinnen<br />

bieten aus dem Blickfeld einer Praktikerin, ohne<br />

Anspruch auf Vollständigkeit. Ich werde nicht alle<br />

der eben genannten Gruppen der Migrantinnen<br />

ausführlich behandeln.<br />

14<br />

1. Ehefrauen von Deutschen<br />

Immer mehr Männer heiraten eine Ausländerin.<br />

1997 waren es bundesweit ca. 30.000 deutsche<br />

Männer, die sich eine ausländische Frau als Partnerin<br />

gewählt haben. Auf der Bundesebene ist<br />

heute jede sechste Eheschließung eine binationale<br />

[2].<br />

Im Land Brandenburg sind 1998 von insgesamt<br />

9241 Ehen 825 binationale Eheschließungen eingegangen<br />

worden, wobei 380 deutsche Männer<br />

und 445 deutsche Frauen eine/n Ausländer/in<br />

heirateten [3].


MIGRANTINNEN IM LAND BRANDENBURG<br />

Magdolna Grasnick<br />

Die Familie ist durch das Grundgesetz (Art. 6)<br />

geschützt. Demnach sind auch binationale Ehen<br />

schützenswert, was sich im § 23 AuslG widerspiegelt.<br />

Ausländische Frauen erhalten nach der Eheschließung<br />

eine für in der Regel drei Jahre befristete<br />

Aufenthaltserlaubnis, welche danach – in<br />

der Regel – unbefristet verlängert wird. Nach fünf<br />

Jahren kann eine Frau dann eine Aufenthaltsberechtigung<br />

erhalten, die als höchster Aufenthaltsstatus<br />

einer/s Ausländerin/s in Deutschland anzusehen<br />

ist.<br />

1.1. Eheschließungsgesetz soll „Scheinehen“<br />

einschränken<br />

Seit dem 01.07.1998 ist das neue Eheschließungsgesetz<br />

in Kraft. Demnach dürfen StandesbeamtInnen<br />

eine Eheschließung verweigern,<br />

wenn es offenkundig ist, dass die zukünftige Ehe<br />

nicht geführt werden soll. Wenn die StandesbeamtIn<br />

also eine „Scheinehe„ vermutet, wird die Ehe<br />

nicht geschlossen. Das Paar kann dann durch das<br />

Amtsgericht das Standesamt verpflichten lassen,<br />

die Ehe zu schließen.<br />

Nachträglich ist eine bereits erfolgte Eheschließung<br />

aufhebbar, wenn festgestellt wird, dass<br />

die Ehe von Anfang an nicht geführt werden sollte.<br />

In diesem Fall kann die Behörde die Ehe aufheben,<br />

ohne die Folgen der Scheidung (z.B. Unterhalt)<br />

regeln zu müssen. Somit kann eine ausländische<br />

Frau noch mehr in Abhängigkeit vom Ehemann<br />

geraten. Der Mann kann mit einer<br />

Erklärung, es ginge um eine Scheinehe, die Ehe<br />

aufheben lassen, ohne irgendwelche finanziellen<br />

Folgen für ihn.<br />

1.2. Eigenständiges Aufenthaltsrecht von<br />

ausländischen Ehefrauen<br />

Durch die Eheschließung mit einem Deutschen<br />

15<br />

und den Umzug nach Deutschland ist für eine<br />

Frau oft keine Rückkehr mehr in das Herkunftsland<br />

möglich. Sich wieder in die sozialen Strukturen<br />

des Heimatlandes einzufügen geht sehr<br />

schwer. Frauen sind deshalb noch mehr als Männer<br />

an einem stabilen Aufenthalt im Bundesgebiet<br />

interessiert.<br />

Am 01.06.2000 trat eine wichtige Änderung des §<br />

19 AuslG in Kraft (BGBl. I v. 31.05.2000, S. 742).<br />

Demnach wurde die generelle Grenze für die<br />

Erlangung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts<br />

des ausländischen Ehepartners von vier Jahren auf<br />

zwei Jahre gesenkt, in denen die eheliche Lebensgemeinschaft<br />

in Deutschland geführt wurde. Es<br />

wird durch die Änderung des § 19 AuslG auch<br />

klargestellt, dass ein eigenständiges Aufenthaltsrecht<br />

bereits dann zu erteilen ist, wenn der Ehegatte<br />

durch die Rückkehr in das Herkunftsland<br />

ungleich härter getroffen würde als andere Ausländer,<br />

die nach kurzen Aufenthaltszeiten Deutschland<br />

verlassen müssen (=besondere Härte).<br />

Diese Regelung hat eine große Bedeutung für die<br />

Sicherheit der Frauen, deren Ehe sich in Deutschland<br />

in eine negative Richtung entwickelt. Unsere<br />

Frauenhäuser sammeln des öfteren Erfahrungen<br />

mit geprügelten ausländischen Ehefrauen von<br />

Deutschen. Es gibt Fälle, wo durch die Heirat mit<br />

einer Ausländerin die „klassische Frau„ erwartet<br />

wurde, die fleißig und nett ist, die den Mann<br />

bedient, die keinen Widerstand leistet.<br />

Vier Jahre ist eine lange Zeit, wenn eine Ehe nicht<br />

klappt. Der Weggang aus der Heimat, mit einem<br />

deutschen Ehemann ist für eine Frau keine einfache<br />

Angelegenheit; die Rückkehr als geschiedene<br />

Frau ist jedoch noch schwerer.


MIGRANTINNEN IM LAND BRANDENBURG<br />

Magdolna Grasnick<br />

Durch die Änderung des § 19 AuslG können sich<br />

nun ausländische Frauen im Falle einer schlechten<br />

Ehe wehren. Die Frau soll sich nicht vier Jahre<br />

prügeln lassen und die Ehe aushalten, wenn sie<br />

Angst vor der Unmöglichkeit der Rückkehr in die<br />

Heimat nach einer Scheidung hat, sondern sie<br />

kann die Scheidung einreichen und sich - ähnlich<br />

wie deutsche Ehefrauen - durchsetzen.<br />

1.3. Arbeitsaufnahme<br />

Die Aufenthaltserlaubnis bringt Rechte auf dem<br />

Arbeitsmarkt mit sich. Die Frau ist zugelassen<br />

zum Arbeitsmarkt, unabhängig von dessen Lage.<br />

Das bedeutet, dass die Arbeitgeber diese Frauen<br />

gleichberechtigt zu deutschen Arbeitnehmern einstellen<br />

dürfen, ohne dass das Arbeitsamt eine<br />

gesonderte Arbeitserlaubnis erteilen muss.<br />

Zur Ausübung einer qualitativen Arbeit gehört in<br />

der Regel die Kenntnis der deutschen Sprache.<br />

Die binationalen Familien müssen selber schauen,<br />

woher sie die finanziellen Mittel für den<br />

Besuch einer Sprachschule nehmen. Eine staatliche<br />

Förderung gibt es für das Erlernen der deutschen<br />

Sprache nicht für diesen Personenkreis,<br />

auch wenn z.B. im Berufsbereich der Ausländerin<br />

die Vermittlung einer Arbeit durch das Arbeitsamt<br />

sonst, d.h. mit Sprachkenntnis, möglich wäre.<br />

Das Arbeitsleben einer ausländischen Ehefrau –<br />

nicht nur in Brandenburg - fängt demnach oft mit<br />

Ausübung einer unqualifizierten Tätigkeit an,<br />

obwohl diese Frauen mit guter Sprachkenntnis<br />

andere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben<br />

könnten. Eine ausländische technische Zeichnerin,<br />

eine Psychologin und eine Apothekerin sind<br />

z.B. in der Putzkolonne einer Potsdamer Firma<br />

tätig.<br />

16<br />

1.4. Selbsthilfe<br />

In der Wendezeit, am Anfang der 90-er Jahre, lebten<br />

in Brandenburg ausländische Ehefrauen Deutscher<br />

hauptsächlich aus der UdSSR, Polen und<br />

Ungarn. Dieses war durch die „Bewegungsfreiheit„<br />

in der DDR bedingt. Viele Ehefrauen sind<br />

mit den damaligen Auslandsstudenten in die DDR<br />

gekommen.<br />

Seit der Wende hat sich die Struktur der Herkunftsländer<br />

der ausländischen Ehefrauen Deutscher<br />

geändert. Die Standesämter haben sich an<br />

die Eheschließung mit Ausländerinnen aus aller<br />

Welt gewöhnt. 1999 heirateten z.B. 17 Brandenburger<br />

eine Frau aus Amerika, 84 Männer holten<br />

ihre Gattin aus Asien und 7 aus Afrika[3].<br />

Das Zusammenleben für die Paare aus unterschiedlichen<br />

Kulturen kann interessant sein, aber<br />

es gibt sicher Situationen, wo Konflikte vorprogrammiert<br />

sind. Es gibt Vereine und Selbsthilfegruppen<br />

im Land Brandenburg, wo sich Ausländerinnen<br />

und Ausländer oder binationale Familien<br />

treffen, um über ihre spezifischen Probleme zu<br />

sprechen und wenn notwendig, Lösungen zu finden.<br />

In Potsdam treffen sich z.B. schwarz-weiße<br />

Familien im Rahmen des Vereinslebens des Cabana<br />

e.V., wo sie zusammen Feste feiern, sich gegenseitig<br />

stärken und für die Kinder ein Identitätsfeld<br />

bieten. In Potsdam gibt es jeden Monat auch ein<br />

Treff der in der Stadt lebenden Ungarinnen und<br />

Ungarn. Neben der Pflege der Muttersprache<br />

funktioniert diese Gruppe wie eine Großfamilie,<br />

wo Probleme beraten und gelöst werden können.<br />

1.5. Möglichkeit der Führung einer Lebensgemeinschaft<br />

ohne Eheschließung<br />

In der Regel kann eine Ausländerin aus einem


Nicht-EU-Staat kein Bleiberecht für die Führung<br />

einer Lebensgemeinschaft „ohne Papiere„ mit<br />

einem Deutschen in Deutschland erhalten.<br />

Insbesondere der Änderung des Kindschaftsrechtes<br />

1998 ist zu danken, dass nunmehr eine Frau,<br />

wenn sie das Kind eines Deutschen zur Welt<br />

bringt, dieses in Deutschland groß ziehen kann<br />

(§ 23 AuslG). Das Wohl des Kindes spielt die<br />

Hauptrolle bei dieser Regelung, wonach das<br />

Gesetz die Anwesenheit der Mutter und des Vaters<br />

einem Kind „zuspricht„, unabhängig davon, ob<br />

diese heiraten möchten oder nicht.<br />

2. Flüchtlingsfrauen<br />

MIGRANTINNEN IM LAND BRANDENBURG<br />

Magdolna Grasnick<br />

2.1. Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien<br />

und Kosovo<br />

Ein Fallbeispiel aus meinem Alltag: ich überquere<br />

den Hof in einem Asylbewerberheim in Potsdam,<br />

da kommt mir Frau P. entgegen. Wir begrüßen<br />

uns. Frau P. lädt mich zu sich „nach Hause„ ein zu<br />

einem Plausch. Wir betreten das aufgeräumte<br />

Zimmer vom etwa 15 m2, fast gegenüber der<br />

Gemeinschaftsküche auf dem Flur. Am Tisch sitzt<br />

Herr P. (von allen Opa P. genannt), er faltet gerade<br />

aus losem Tabak Zigaretten. Es strömt mir<br />

Herzlichkeit entgegen, während wir uns unterhalten.<br />

In einfachen deutschen Sätzen, gemischt mit<br />

bosnischen Wörtern, erzählen Oma und Opa P.<br />

über das Leben vor 7 Jahren in der Stadt Zvornik<br />

(im heutigen serbischen Teil von Bosnien-Herzegowina),<br />

über ihre Flucht und über das Leben<br />

heute „zu Hause„ in Bosnien und „zu Hause„ in<br />

Potsdam. Eine Rückkehr nach Zvornik ist für die<br />

beiden Alten nicht mehr möglich. Das in 45<br />

Arbeitsjahren gebaute Familienhaus bleibt nur<br />

noch in ihren Träumen betretbar…<br />

17<br />

Frau P. ist eine der noch in Brandenburg lebenden<br />

bosnischen Bürgerkriegsflüchtlinge. Der<br />

Großteil dieser Menschen kehrte in den letzten<br />

zwei Jahren zurück nach Bosnien, oft haben sie<br />

ein neues Zuhause in Kroatien gefunden. Die USA<br />

haben auch zahlreiche bosnische Familien, auch<br />

Romas, aufgenommen.<br />

Frau P. hat, wie viele bosnische Frauen, in ihrem<br />

Leben schon vieles erlebt. Heute kümmert sie sich<br />

darum, dass ihr Leben und das ihres Mannes in<br />

Potsdam so ruhig und so ordentlich wie möglich<br />

„läuft„. Die Fluchterlebnisse sitzen tief in der<br />

Erinnerung der beiden.<br />

Frau P. erledigt alles, was zu erledigen ist. Sie geht<br />

zur Ausländerbehörde, wenn der Aufenthalt der<br />

Familie abgelaufen ist, sie sucht das Sozialamt auf,<br />

um die Leistungsberechtigung zu regeln, sie geht<br />

einkaufen (mit ihrer Einkaufstasche auf Rädern),<br />

sie kocht und bäckt. Vor einigen Jahren hat sie<br />

noch in der Waschküche des Heimes gemeinnützig<br />

gearbeitet. Heute erhält sie wegen ihren Alter<br />

leider keinen Platz mehr für diese Arbeit, die sie<br />

aber gern machen würde.<br />

Den Großteil der bosnischen Bürgerkriegsflüchtlinge<br />

haben die Bundesländer großzügig, ohne<br />

die Inanspruchnahme der möglichen rechtlichen<br />

Grundlage des §32a AuslG aufgenommen. Den<br />

hier angekommenen Flüchtlingen wurde eine<br />

Duldung erteilt und sie haben eine Leistung nach<br />

dem AsylbLG erhalten.<br />

Nach dem Ausbruch der Konflikte 1999 in Kosovo<br />

hat Deutschland dann die quotierte Aufnahme der<br />

Kosovo-Albaner nach § 32 a AuslG zugesagt.<br />

Demnach erhielten diese Menschen nach der<br />

Ankunft eine Aufenthaltsbefugnis. Die Kosten teil-


MIGRANTINNEN IM LAND BRANDENBURG<br />

Magdolna Grasnick<br />

ten sich Bund und Länder. Heute sind diese<br />

Flüchtlinge wieder in ihrer Heimat. Die nicht<br />

bereit waren, freiwillig nach Kosovo zurückzukehren,<br />

werden abgeschoben. Ich hoffe, sie kommen<br />

gut in Kosovo an…<br />

2.2. Asylbewerberinnen<br />

1993 wurde der Asylkompromiss beschlossen. Es<br />

wurde das Grundgesetz geändert, es wurden<br />

sichere Herkunftsländer und sichere Drittstaaten<br />

festgelegt. Die Ostgrenze der BRD, insbesondere<br />

zu Polen, wurde zu einer unsichtbaren Wand<br />

einer Festung, mit einem tiefen Wassergraben<br />

umgrenzt.<br />

Heute kann auf die Prüfung des Asylantrages<br />

hauptsächlich der Flüchtling hoffen, der legal mit<br />

einem Flugzeug direkt nach Deutschland einreist<br />

und einen Asylantrag stellt.<br />

Die Flucht aus der Heimat hat verschiedene Gründe.<br />

Es gibt Frauen, die in ihrer Heimat aktiv politisch<br />

tätig waren - wie eine mir bekannte Sudanesin,<br />

Frauenrechtlerin – und deshalb müssen sie<br />

vor der staatlichen Verfolgung flüchten. Es gibt<br />

Frauen, die eine drastische Ungleichstellung<br />

durch die von Männern dominierte Gesellschaft<br />

erleben müssen. Sie möchten menschenwürdig<br />

leben, deshalb verlassen sie ihre Heimat. Es gibt<br />

Frauen, die für ihre sexuelle Selbstbestimmung<br />

kämpfen, oder die vor Folter, Vergewaltigung,<br />

Kriegserlebnisse flüchten. Und es gibt auch Frauen,<br />

die trotz ihres Fleißes und Bemühungen nicht<br />

mehr in der Lage sind, ihre Kinder zu ernähren,<br />

und deshalb suchen sie nach einer besseren<br />

Zukunft für die Kinder.<br />

18<br />

Wie kann eine Frau fliehen? Hat eine Frau Zeit, die<br />

Flucht zu planen? Hat die Frau Geld, um Transportmittel<br />

oder den Schlepper zu bezahlen? Hat<br />

die Frau ein Reisedokument, ein Visum irgendwohin<br />

in einen demokratischen Staat? Was passiert<br />

mit dem Rest der Familie, insbesondere mit den<br />

Kindern und Alten? Kann die Frau überhaupt alleine<br />

unterwegs sein, ohne aufzufallen? Es sind Fragen,<br />

die zeigen, dass die Flucht keine einfache<br />

Angelegenheit ist.<br />

Deutschland erreichen nur wenige Flüchtlingsfrauen.<br />

Eine Reise direkt nach Deutschland, insbesondere<br />

mit Kindern, kann nur schwer organisiert<br />

werden.<br />

Die Anzahl der Asylbewerberinnen ist auch in<br />

Brandenburg drastisch zurückgegangen. Inzwischen<br />

ist es ein Problem geworden, Frauen in den<br />

vorhandenen Asylbewerberheimen des Landes<br />

unterzubringen, da sie dort hauptsächlich alleinstehende<br />

männliche Nachbarschaft zu erwarten<br />

haben bzw. von diesen erwartet werden.<br />

Es liegen bereits Empfehlungen von Fachfrauen<br />

vor, nach alternativen Möglichkeiten für die<br />

Unterbringung von alleinstehenden Flüchtlingsfrauen,<br />

außerhalb von Gemeinschaftsunterkünften,<br />

zu suchen.<br />

Das Land Brandenburg hat 1992 die Einrichtung<br />

von großen Asylbewerberheimen favorisiert. In<br />

der Zeit der offenen Vermögensfragen haben viele<br />

Kreise bei der Einrichtung von Asylbewerberheimen<br />

auf ehemalige NVA-Objekte zurückgegriffen.<br />

Heute gibt es in Brandenburg 47 Asylbewerberheime<br />

mit einer Gesamtkapazität von 9.090 Plätzen,<br />

z.Z. mit 73 % Auslastung. Außerdem leben<br />

1.084 Asylbewerber und Flüchtlinge inzwischen


MIGRANTINNEN IM LAND BRANDENBURG<br />

Magdolna Grasnick<br />

in Wohnungen. Mindestens 9 der Heime liegen<br />

außerhalb von Ansiedlungen[4].<br />

Das Asylverfahren dauert in der Regel mehrere<br />

Jahre. Während des Verfahrens sollen die Asylbewerber<br />

in der Regel in einer Gemeinschaftsunterkunft<br />

wohnen (§53 Abs.1 AsylVfG), nicht arbeiten<br />

und nach dem AsylbLG versorgt werden. Sie sind<br />

ortsgebunden in dem Landkreis oder der kreisfreien<br />

Stadt, wohin sie verteilt sind. Ein Besuch in<br />

einem anderen Ort Deutschlands kann nur mit<br />

einem Urlaubsschein erfolgen, worauf kein<br />

Anspruch besteht.<br />

Es gibt in Brandenburg z.B. noch offene Asylverfahren<br />

aus dem Jahr 1991. Stellen sie sich vor, in<br />

der heutigen Zeit, 10 Jahre nach der Wende, unter<br />

der geschilderten Eingeschlossenheit leben zu<br />

müssen!<br />

In der Praxis sieht es so aus, dass in den Heimen,<br />

insbesondere in abgelegenen wäldlichen Gegenden<br />

in der Regel nur noch die wenigen Frauen<br />

und die Kinder leben. Die Frauen müssen diese<br />

Umstände aushalten, da sie durch die Kinder am<br />

wenigsten mobil sind.<br />

Das Einkaufen gestaltet sich schwer in vielen Kreisen,<br />

wegen die sog. Sachleistung. Die übliche<br />

Form der Leistung nach dem AsylbLG in Brandenburg<br />

ist die Sachleistung, d.h. die Leistungsberechtigten<br />

erhalten statt Geld Wertgutscheine, die<br />

in vertraglich gebundenen Läden einzulösen sind.<br />

Es gibt eine monatliche Barleistung in Höhe von<br />

80,00 DM für über 14 Jährige, und 40 DM darunter.<br />

Die Höhe der Leistung nach dem AsylbLG<br />

beträgt 80 % der Leistung nach dem BSHG und ist<br />

im Bereich der Krankenhilfe und einmaliger Leistungen<br />

eingeschränkt.<br />

19<br />

Wenn die Asylbewerberin oder Geduldete drei<br />

Jahre diese niedrige Leistung nach dem AsylbLG<br />

erhalten hat, wird „höhergestuft„ und entsprechend<br />

BSHG behandelt. In Brandenburg allerdings<br />

weiterhin in geldloser Leistungsgrundform.<br />

Gem. § 2 Abs. 2 AsylbLG könnte das zuständige<br />

Sozialamt die Form der Leistung auf Grund der<br />

örtlichen Umstände bestimmen. Diese Regelung<br />

wird jedoch durch einen Runderlass des MASGF<br />

eingeschränkt, wonach die Sachleistung für die<br />

Versorgung der in Gemeinschaftsunterkünften<br />

lebenden Leistungsberechtigten favorisiert wird.<br />

Nach dem vierten Jahr Aufenthalt von Geduldeten<br />

erstattet das Land keine Kosten mehr für die Kreise<br />

und kreisfreie Städte für die Durchführung des<br />

AsylbLG, so werden diese durch die hohe Verwaltungskosten<br />

für die Durchführung des Sachleistungsprinzips<br />

belastet.<br />

Mehrere Ausländerinitiativen halten das Sachleistungsprinzip<br />

für langjährige Versorgung von<br />

Menschen für unzumutbar. Rechtsanwaltskosten,<br />

Deutschkurse, landesspezifische Lebensmittel,<br />

Telefonkosten, Kinderfreizeitveranstaltungen,<br />

Sportclub, Kino etc. können nicht mit Gutschein<br />

bezahlt werden. So gibt es Aktionen, die darauf<br />

ausgerichtet sind, mit Flüchtlingen Partnerschaften<br />

zu schließen und ihnen mit einem Umtausch<br />

der Gutscheine in Bargeld zu helfen. So hat der<br />

evangelische Kirchenkreis in Potsdam ein Partnerschaftsnetz<br />

mit Leistungsberechtigten nach<br />

dem AsylbLG ausgebaut. Eine ähnliche Initiative<br />

aus Hildesheim wurde im Dezember 1999 mit<br />

dem Förderpreis „Demokratie leben„ vom Deutschen<br />

Bundestag ausgezeichnet.<br />

Es gibt wenige Frauen, die als Asylberechtigte<br />

anerkannt werden. Wenn ein Asylantrag jedoch


MIGRANTINNEN IM LAND BRANDENBURG<br />

Magdolna Grasnick<br />

positiv entschieden wird (nach Art. 16a GG),<br />

dann hat der Staat die Pflicht, diesen Menschen zu<br />

„integrieren„. Das bedeutet praktisch gesehen:<br />

Reisedokument, Sprachkenntnisse, Zulassung<br />

zum Arbeitsmarkt, Wohnung, Möglichkeit des<br />

Familiennachzugs (Ehemann und Kinder unter 16<br />

Jahren), Möglichkeit des Studiums bei jungen<br />

Asylberechtigten.<br />

Wenn ein Asylantrag nach dem GG abgelehnt wird,<br />

kann ein Bleiberecht z.B. durch § 51 AuslG<br />

(„kleines Asyl„) oder § 53 AuslG begründet werden,<br />

oder es können einer Rückkehr in das Heimatland<br />

andere Gründe entgegenstehen. In diesen<br />

Fällen erhält die Frau eine Aufenthaltsbefugnis<br />

oder eine Duldung (= Aussetzung der Abschiebung).<br />

Als Abschiebehindernis nach § 53 Abs. 6<br />

AuslG kann z.B. die Pflicht der Zwangsabtreibung<br />

oder Zwangsbeschneidung im Heimatland angesehen<br />

werden.<br />

2.3. Altfallregelung<br />

Am 19.11.1999 haben die Innenminister der Länder<br />

eine „Altfallregelung„ erlassen, wonach Asylbewerberfamilien,<br />

die seit dem 1. Juli 1993 in<br />

Deutschland leben, Arbeit und Wohnung haben<br />

und ohne Inanspruchnahme von öffentlichen Mitteln<br />

leben, eine Aufenthaltsbefugnis erhalten können.<br />

Alleinstehende, die bereits am 01. Januar<br />

1990 eingereist sind und die genannten Voraussetzungen<br />

erfüllen, könnten die Aufenthaltsbefugnis<br />

erhalten.<br />

In Brandenburg haben nur 59 Personen aufgrund<br />

dieser Regelung eine Aufenthaltsbefugnis erhalten,<br />

da hier die Arbeitsaufnahme mit einer Duldung<br />

oder Aufenthaltsgestattung praktisch<br />

unmöglich war und ist.<br />

20<br />

Andere Bundesländer, zuletzt auch Berlin, haben<br />

die „Altfallregelung„ modifiziert. Demnach erhält<br />

der o.g. Personenkreis in vielen Bundesländern<br />

auch dann eine für sechs Monate befristete Aufenthaltsbefugnis,<br />

wenn dieser noch auf soziale<br />

Unterstützung angewiesen ist. Mit der erteilten<br />

Aufenthaltsbefugnis bekommen die Betroffenen<br />

sofort eine Arbeitsberechtigung, womit ohne<br />

Arbeitsmarktprüfung eine Arbeit aufgenommen<br />

werden kann.<br />

Folge: 6 Monate nach der Erteilung der Aufenthaltsbefugnis,<br />

wenn die Ausländerbehörde die<br />

Voraussetzungen der Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis<br />

prüft, erfüllen diese AusländerInnen<br />

alle Bedingungen der Altfallregelung v.<br />

19.11.1999.<br />

Könnte diese Umsetzungsmöglichkeit der Altfallregelung<br />

vielleicht auch ein Weg in Brandenburg<br />

sein…?<br />

3. Jüdische Zuwanderinnen aus Osteuropa<br />

Das „Gesetz über Maßnahmen für im Rahmen<br />

humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge„<br />

– das „Kontingentflüchtlingsgesetz„ – vom<br />

22. Juli 1980 ermöglicht, Gruppen von Menschen<br />

in einer bestimmten Zahl aufzunehmen, ohne<br />

dass diese ein Asylverfahren durchlaufen müssen.<br />

Grundlage bildet für dieses Gesetz die Genfer<br />

Flüchtlingskonvention aus dem Jahr 1951. Erst<br />

unter Druck von Teilen der Öffentlichkeit, vor<br />

allem auf das Drängen des Zentralrates der Juden<br />

in Deutschland hin, erklärte sich die Bundesregierung<br />

bereit, die Gruppe jüdischer Zuwanderinnen<br />

und Zuwanderer analog dem „Kontingentflüchtlingsgesetz„<br />

aufzunehmen, unter anderem<br />

auch mit dem Ziel, die jüdischen Gemeinden in


MIGRANTINNEN IM LAND BRANDENBURG<br />

Magdolna Grasnick<br />

der Bundesrepublik zu stärken. Am 1. Januar<br />

1991 wurde eine entsprechende Regelung festgeschrieben[6]„.<br />

1992 wurde die erste neue jüdische Gemeinde<br />

nach dem Zweiten Weltkrieg im Land Brandenburg<br />

in Potsdam gegründet. Seitdem ist die Anzahl<br />

der Gemeinden auf fünf gewachsen und sie zählen<br />

440 Mitglieder (3).<br />

Die jüdischen Zuwanderinnen müssen ein Aufnahmeverfahren<br />

durchlaufen (Bundesverwaltungsamt),<br />

eher sie einen Aufnahmebescheid<br />

erhalten. Dieser Bescheid teilt auch gleich mit, wo<br />

sie in Deutschland „am Anfang„ wohnen werden.<br />

Im Land Brandenburg erfolgt die Aufnahme in<br />

Cottbus, Frankfurt, Brandenburg, Bernau und<br />

Potsdam.<br />

Die „Kontingentflüchtlinge„ kommen voller positiver<br />

Erwartungen in Brandenburg an. Sie sind<br />

vom Bildungsniveau her meistens AkademikerInnen.<br />

Die Frauen aus der ehemaligen Sowjetunion<br />

sind die Gleichberechtigung – mindestens auf<br />

dem Arbeitsmarkt - gewöhnt.<br />

Der „Anfang„ ist dann in Deutschland nicht einfach.<br />

Sprachausbildung durch das Arbeitsamt<br />

erhalten nur die Frauen, die noch im arbeitsfähigen<br />

Alter sind. Gemeinnützig dürfen auch nur die<br />

arbeiten, die später noch evtl. eine Arbeitsstelle<br />

bekommen können. Die Berufsabschlüsse aus<br />

der ehem. Sowjetunion werden oft nicht anerkannt,<br />

die Fahrerlaubnis ist nicht mehr gültig,<br />

Arbeit finden die Frauen nicht. Sie sind auf die<br />

Sozialhilfe angewiesen, und dadurch werden die<br />

Frauen ortsgebunden.<br />

<strong>21</strong><br />

Ein Beispiel aus dem Alltag: eine ältere jüdische<br />

Einwanderin aus Potsdam hat einen Landsmann<br />

aus Russland geheiratet. Sie können jedoch in<br />

Deutschland keine Ehe führen, solange die Frau<br />

kein genügendes Einkommen hat (§ 17 Abs. 2<br />

AuslG). Eine Frau über 50, dazu noch gebrochen<br />

deutsch sprechend, hat jedoch kaum Chancen,<br />

einen gut bezahlten Job zu finden...<br />

Frauen im rentenfähigen Alter erhalten Sozialhilfe<br />

gem. § 120 BSHG und sie bleiben bis zum Ende<br />

ihres Lebens Sozialhilfeempfängerinnen...<br />

Wenn ich mit Familien spreche, erfahre ich oft,<br />

dass sie insbesondere auf eine positive Zukunft<br />

der Kinder in Deutschland hoffen. Und es ist<br />

tatsächlich so, dass sich Jugendliche, auch<br />

Mädchen, wunderbar integrieren. Sie erlernen<br />

rasch in der Schule die Sprache und wenn sie die<br />

Fähigkeit haben, können sie auch studieren, mit<br />

Förderung der Otto-Benecke-Stiftung. Der Staat<br />

gibt auch Mittel für Nachhilfeunterricht aus dem<br />

Garantiefond, die die Eltern im Sozialamt beantragen<br />

können.<br />

4. Aussiedlerinnen<br />

„AussiedlerInnen sind deutsche Staatsangehörige<br />

oder Volkszugehörige, die vor dem 8. Mai 1945<br />

ihren Wohnsitz in den unter fremder Verwaltung<br />

stehenden deutschen Ostgebieten, bzw. in Polen,<br />

der ehemaligen Sowjetunion, der Tschechoslowakei,<br />

Ungarn, Rumänien, Jugoslawien, Danzig, Estland,<br />

Lettland, Litauen, Bulgarien, Albanien oder<br />

China gehabt und diese Länder nach Abschluss<br />

der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen bis<br />

zum 31.12.92 verlassen haben„. (§1 Abs. 2 Nr. 3<br />

BVFG). Wobei als Spätaussiedler jene bezeichnet


MIGRANTINNEN IM LAND BRANDENBURG<br />

Magdolna Grasnick<br />

werden, die nach dem § 4 der am 1. Januar 1993<br />

in Kraft getretenen Neuregelung des BVFG im Rahmen<br />

de „Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes„ deutsche<br />

Volkszugehörige sind, die die Aussiedlungsgebiete<br />

nach dem 31. Dezember 1992 verlassen<br />

haben„[6].<br />

Aussiedlerinnen werden in einem geregelten Verfahren,<br />

durchgeführt durch das Bundesverwaltungsamt,<br />

in Deutschland aufgenommen. Sie reisen<br />

im Land Brandenburg nach Peitz an und nach<br />

der Erledigung der wichtigsten administrativen<br />

Formalitäten werden sie im Land verteilt. „Ein<br />

Modellprojekt bei der Ansiedlung von AussiedlerInnen<br />

ist Niedergörsdorf im Landkreis Teltow-<br />

Fläming. Hier wurden auf Initiative der mennonitischen<br />

Umsiedlerbetreuung ehemalige Kasernen<br />

gekauft und zu Wohnungen umgebaut. Inzwischen<br />

leben dort etwa 700 Menschen, ca. 500 von<br />

ihnen sind Aussiedlerinnen und Aussiedler„[6].<br />

Der Großteil der Aussiedlerinnen kommt heute<br />

aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion.<br />

1998 waren 52 % der im Land Brandenburg<br />

aufgenommenen AussiedlerInnen Frauen,<br />

1928 an der Zahl[7].<br />

Aussiedlerinnen haben ähnliche Probleme wie die<br />

jüdischen Zuwanderinnen. Die ältere Generation<br />

hat jedoch den Vorteil im Vergleich zu „Kontingentflüchtlingen„,<br />

dass sie eine eigene Rente beziehen<br />

nach Fremdenrentenrecht. Die Arbeitsjahre im<br />

Herkunftsland werden so bewertet, als wären diese<br />

Frauen in Deutschland tätig gewesen. Diese Regelung<br />

gibt den Frauen eine moralische und finanzielle<br />

Sicherheit. Sie haben ein regelmäßiges Einkommen,<br />

wofür sie das ganze Leben gearbeitet<br />

haben, und sie sind selber krankenversichert. Es ist<br />

22<br />

schön zu erleben, wie diese Generation der Aussiedlerinnen<br />

die deutsche Sprache bewahrt hat.<br />

Die mittlere Generation der Aussiedlerinnen<br />

erlebt ähnlich gelagerte Probleme wie die jüdischen<br />

Zuwanderinnen aus Osteuropa. Diese<br />

Generation durfte in der Regel die deutsche Sprache<br />

nicht benutzen, so müssen sie diese neu<br />

erlernen. Die Erteilung des Aufnahmebescheides<br />

ist vom Ablegen einer Sprachprüfung der deutschen<br />

Sprache abhängig.<br />

Nach der Ankunft in Deutschland erhalten Aussiedlerinnen,<br />

wenn sie im arbeitsfähigem Alter<br />

sind, die Möglichkeit, noch 6 Monate die deutsche<br />

Sprache zu lernen. Zum Vorteil des Aussiedlerinnenstatus<br />

zählt die Regelanerkennung der<br />

Berufsabschlüsse aus dem Herkunftsland.<br />

Deutschland bemüht sich, durch Verhandlungen<br />

im diplomatischen Bereich, in den Herkunftsländern<br />

der Aussiedlerinnen Möglichkeiten für das<br />

dort Bleiben zu schaffen. Es gibt ständig Hilfsprogramme,<br />

um im Herkunftsgebiet als Deutsche<br />

leben zu können. Es werden z.B. deutsche Zeitungen<br />

herausgegeben, deutsche Kindergärten und<br />

Schulen eingerichtet.<br />

Die Zahl der zugewanderten Aussiedlerinnen geht<br />

ständig zurück. Trotzdem sitzen noch mehrere<br />

Millionen Deutschstämmige, insbesondere auf<br />

dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion, auf<br />

gepackten Koffern und warten auf die Möglichkeit<br />

der Einreise nach Deutschland.<br />

5. Vertragsarbeitnehmerinnen<br />

1993 haben Vertragsarbeitnehmerinnen der DDR,<br />

wenn sie Arbeit hatten, nicht straffällig geworden


MIGRANTINNEN IM LAND BRANDENBURG<br />

Magdolna Grasnick<br />

sind und sie ununterbrochen rechtmäßig in der<br />

Bundesrepublik gelebt haben, eine Aufenthaltsbefugnis<br />

erhalten. Diese Befugnis war auf zwei Jahre<br />

befristet und deren Erteilung war sehr schwierig<br />

wegen der Unmöglichkeit, eine Arbeitserlaubnis<br />

für eine Arbeit zu erhalten. Selbst Vertragsarbeitnehmerinnen,<br />

die bereits 10 Jahre in der DDR<br />

bzw. BRD gelebt haben, waren bedroht, Deutschland<br />

im Falle von Sozialhilfebezug verlassen zu<br />

müssen. Die DDR-Aufenthaltszeiten spielten in<br />

der Bleiberechtsregelung von 1993 keine Rolle.<br />

Erst 1997, nach über siebenjährigen Bemühungen,<br />

Appellen und Initiativen hat der Gesetzgeber<br />

endlich eine Rechtsicherheit geschaffen, die eine<br />

Gleichbehandlung der DDR-Vertragsarbeiterinnen<br />

und –arbeiter mit den von der alten Bundesrepublik<br />

angeworbenen Gastarbeiterinnen und<br />

–arbeitern beinhaltet[6].<br />

Der Vermittlungsausschuss vom Bundestag und<br />

Bundesrat entschied sich im Juli 1997 für die<br />

Anerkennung der gesamten DDR-Aufenthalte.<br />

Demnach erhielten Vertragsarbeitnehmerinnen<br />

und –arbeitnehmer,<br />

- die sich vor der Vereinigung rechtmäßig in der<br />

DDR aufgehalten haben,<br />

- die eine Aufenthaltsbefugnis besaßen,<br />

- die den Lebensunterhalt rechtmäßig sichern<br />

konnten,<br />

- gegen die kein Ausweisungsgrund vorlag,<br />

- und die acht Jahre Aufenthalt vorweisen konnten,<br />

eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis[6].<br />

Das Thema des Bleiberechtes für die VertragsarbeitnehmerInnen<br />

der DDR war der „Ost-West-<br />

Konflikt„ im Ausländerrecht, da die Aufenthaltszeiten<br />

der „Ost-GastarbeiterInnen„ weniger wert werden<br />

sollten als die von „West-GastarbeiterInnen„.<br />

23<br />

Im Land Brandenburg leben hauptsächlich Vietnamesinnen<br />

aus der Gruppe der ehemaligen Vertragsarbeitnehmerinnen.<br />

In der DDR-Zeit gab es<br />

eine strikte Trennung unter den männlichen und<br />

weiblichen Vietnamesen. Es gab extra Wohnheime<br />

für Frauen und Männer, sexuelle Beziehungen<br />

waren nicht erlaubt. Schwangere Vietnamesen<br />

mussten die DDR verlassen.<br />

Die Sphäre der Frauen und Männer ist noch<br />

immer getrennt. Die Männer beherrschen in der<br />

Regel besser als die Frauen die deutsche Sprache<br />

und wirken nach außen. Die Frauen sind in der<br />

Familie bei der Kindererziehung die Schlüsselperson<br />

und sind stolz auf die gute schulische Leistung<br />

der Kinder[6].<br />

Heute leben im Land Brandenburg 2.277 Vietnamesinnen,<br />

davon 1129 mit einem festen Aufenthaltsstatus[1].<br />

Seit dem Anfang der 90-er Jahre gibt es Bemühungen<br />

von engagierten Trägern, Projekte anzubieten,<br />

um die Chancen der Vertragsarbeitnehmerinnen<br />

auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Ich<br />

möchte hier die Maßnahmen der Berlin-Brandenburgischen<br />

Auslandsgesellschaft (BBAG) e.V.<br />

erwähnen. Durch harte Vorbereitungsarbeit hat<br />

die BBAG erreicht, dass mehrere Maßnahmen im<br />

Berufsbildungsbereich für Vietnamesinnen in<br />

mehreren Orten Brandenburg durchgeführt wurden.<br />

Diese Kurse waren mit Herz und Verstand<br />

zusammengestellt. Auch alleinstehende Frauen<br />

mit Kind und Frauen mit Familien haben die Möglichkeit<br />

erhalten, Sprache und Beruf zu erlernen.<br />

Heute sind viele Vietnamesinnen als Schneiderin<br />

tätig, mit einem hervorragenden Ruf, was die<br />

Qualität der Arbeit betrifft.


MIGRANTINNEN IM LAND BRANDENBURG<br />

Magdolna Grasnick<br />

6. Frauen als Opfer von Menschenhandel<br />

Der Frauenhandel hat in den vergangenen Jahren<br />

im Land Brandenburg drastisch zugenommen.<br />

Aufgrund der geografischen Lage Brandenburgs<br />

entwickelte sich hier ein regelrechter Umschlagplatz<br />

für Frauen und Mädchen aus Osteuropa.<br />

Viele Frauen werden mit falschen Versprechungen<br />

nach Deutschland gelockt, wie z.B. eine Arbeitsstelle<br />

als Köchin oder Haushaltshilfe. Meist werden<br />

die Opfer bis an die Grenze gebracht und dort<br />

von Schleppern in die Bundesrepublik geschleust.<br />

Sind die Frauen in Deutschland, werden ihnen die<br />

Reisedokumente abgenommen und sie erfahren,<br />

dass der Transport und die Passbeschaffung<br />

bezahlt werden müssen in Form des „Abarbeitens„<br />

der Schulden. So landen diese Frauen in<br />

bordellartigen Betrieben oder auf dem Straßenstrich.<br />

Eine Aussicht, die Schulden abzuzahlen,<br />

haben sie nicht[6].<br />

Frauen werden nicht nur zur Prostitution, aber<br />

auch zur ausbeuterischen Arbeit oder in Ehen<br />

gezwungen. Die Menschenhändler sind zu fast<br />

50% deutscher Nationalität[6].<br />

Die Menschenhändler und Zuhälter gehen in<br />

Gerichtsprozessen oft straffrei aus. Das hängt<br />

damit zusammen, dass die Bekämpfung der Verbrechen<br />

in der Regel nur durch Zeugenaussagen<br />

möglich ist. Da sich die Zeuginnen illegal in der<br />

Bundesrepublik aufhalten, müssen sie mit einer<br />

Abschiebung rechnen[6].<br />

In Brandenburg ist die Praxis so, wenn eine<br />

Zwangsprostituierte als Zeugin benötigt wird,<br />

beantragt die Polizeidienststelle in Abstimmung<br />

mit der Staatsanwaltschaft bei der zuständigen<br />

Ausländerbehörde für die Frau eine Duldung<br />

24<br />

(Erlass des Innenministeriums des Landes Brandenburg<br />

v. 24.02.1994).<br />

Inzwischen werden immer mehr Verfahren wegen<br />

Menschenhandels, in denen Freiheitsstrafen verhängt<br />

worden sind, rechtskräftig abgeschlossen.<br />

In Brandenburg arbeitet sehr engagiert der Verein<br />

Bella Donna im grenzüberschreitenden Raum zu<br />

Polen mit Prostituierten. AIDS-Prävention, Vernetzungs-<br />

und Öffentlichkeitsarbeit sowie Primärprävention<br />

an Schulen und in den Gemeinden des<br />

Landes Brandenburg gehören zum Arbeitsgebiet<br />

des Vereins[8].<br />

Dank des unermüdlichen Engagements der verschiedenen<br />

Frauenberatungsstellen und einzelner<br />

Frauen nahm am 01.12.1999 der „Bundesweiter<br />

Koordinierungskreis gegen Frauenhandel und<br />

Gewalt an Frauen im Migrationsprozess e.V„<br />

(KOK) seine Arbeit in Potsdam auf. Das Büro dieser<br />

zentralen Koodinierungsstelle finanziert das<br />

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen<br />

und Jugend.<br />

Die Prostitutionstätigkeit durch Ausländerinnen<br />

wird in verschiedenen Bundesländern in unterschiedlicher<br />

Weise toleriert und gestattet. In den<br />

meisten Bundesländern werden EG-Prostituierte<br />

toleriert, nicht aber Prostituierte aus der sog.<br />

Dritten Welt. Eine Ausnahme bildet Nordrhein-<br />

Westfalen. Hier erhalten in einigen Städten auch<br />

diese Prostituierten eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis,<br />

die für eine maximale Dauer bis zu<br />

einem Jahr ausgestellt wird[9].<br />

Durch die Legalisierung dieses Gewerbes wächst<br />

die Rechtssicherheit der betroffenen ausländi-


MIGRANTINNEN IM LAND BRANDENBURG<br />

Magdolna Grasnick<br />

schen Frauen und dadurch haben Menschenhändler<br />

weniger Chancen, auf Kosten der<br />

Frauen zu verdienen.<br />

7. Studentinnen<br />

Im Wintersemester 1999/200 besuchten 2887<br />

ausländische Studierende, davon 1479 Studentinnen,<br />

brandenburgische Hochschulen [10]. Die<br />

meisten Studentinnen und Studenten kamen aus<br />

Polen.<br />

Die Anwesenheit der ausländischen Studierenden<br />

an den Brandenburgischen Hochschulen hat eine<br />

große Bedeutung. Neben dem Sammeln von Fachkenntnissen<br />

während des Studiums sammeln die<br />

jungen Leute Erfahrungen miteinander.<br />

Als Berufstätige und als Eltern der nächsten Generation<br />

werden die heutigen StudentInnen sicher<br />

auf ihre positiven Erfahrungen in der Studentenzeit<br />

zurückgreifen und sich in keine ausländerfeindliche<br />

Richtung entwickeln.<br />

Im Juni fand in Potsdam das gemeinsame Sommerfest<br />

der drei Potsdamer Hochschulen unter<br />

dem Motto „Gegen Rassismus„ statt. Die positive<br />

Ausstrahlung der Hochschuleinrichtungen in das<br />

25<br />

Leben der umliegenden Region hat sich auch<br />

durch dieses Fest bestätigt. Hochschuleinrichtungen<br />

sind eine prägende geistige Kraft für ihre<br />

Umgebungen.<br />

… zum Schluss<br />

Sie sehen durch diese, Ihnen eben dargestellte,<br />

Zusammenstellung, dass es Gruppen von Menschen<br />

gibt, die nach Deutschland kommen und<br />

hier bleiben dürfen. Es findet bereits eine Einwanderung<br />

nach Deutschland, so auch nach Brandenburg,<br />

statt.<br />

Ich denke, es ist an der Zeit, ohne das Asylverfahrensgesetz<br />

anzufassen, über ein Einwanderungsgesetz<br />

für Deutschland ernsthaft nachzudenken,<br />

was auch die „Green-Card-Debatte« gezeigt hat.<br />

Sie sehen auch, es ist nicht einfach für Migrantinnen,<br />

sich in Brandenburg zu integrieren. Sie können<br />

durch Ihr menschliches oder politisches<br />

Engagement dabei behilflich sein.<br />

Magdolna Grasnick ist seit 1990 Ausländerbeauftragte<br />

der Landeshauptstadt Potsdam.<br />

www.potsdam.de/stadtpolitik/index2.html


MIGRANTINNEN IM LAND BRANDENBURG<br />

Magdolna Grasnick<br />

Literaturquellen:<br />

[1] Quelle: Ausländerzentralregister,<br />

Stichtag 31.12.1999<br />

[2] Migrantinnen in Deutschland,<br />

Dokumentation einer Fachtagung vom<br />

14.12.1998 in Offenbach<br />

[3] LDS Brandenburg,<br />

Statistisches Jahrbuch 1999<br />

[4] Informationsblatt der AWO,<br />

Arbeitsgruppen EKIS und MHB<br />

v. 31.05.2000<br />

[5] Wie werde ich Deutsche oder Deutscher?<br />

Broschüre der Ausländerbeauftragten der<br />

Bundesregierung, Nov. 1999<br />

[6] Zwischen Ankunft und Ankommen,<br />

Die Situation von Zugewanderten im Land<br />

Brandenburg 1995-1997,<br />

Bericht der Ausländerbeauftragten des<br />

Landes Brandenburg<br />

[7] Info-Dienst Deutsche Aussiedler,<br />

Heft Nr. 101<br />

[8] Projektbericht 1997,<br />

Bella Donna / Arachne, Frankfurt/Oder<br />

[9] Umfeld und Ausmaß des Menschenhandels<br />

mit ausländischen Mädchen und Frauen<br />

Schriftenreihe des Bundesministers für<br />

Frauen und Jugend, Band 8<br />

[10] Statistik des MWFK, Ref. 23,<br />

Stand: 30.10.1999<br />

26<br />

Abkürzungen:<br />

AuslG Ausländergesetz<br />

AsylbLG Asylbewerberleistungsgesetz<br />

AsylVfG Asylverfahrensgesetz<br />

BSHG Bundessozialhilfegesetz<br />

MASGF Ministerium für Arbeit, Soziales,<br />

Gesundheit und Frauen des Landes<br />

Brandenburg<br />

MWFK Ministerium für Wissenschaft, Forschung<br />

und Kultur des Landes<br />

Brandenburg<br />

GG Grundgesetz<br />

BVFG Bundesvertriebenen– und Flüchtlingsgesetz


Seit einiger Zeit ist zu beobachten, dass die<br />

Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, die<br />

nach wie vor in vielen Bereichen existierende<br />

Benachteiligung von Frauen und eine auf deren<br />

Überwindung gerichtete Gleichstellungspolitik<br />

kaum noch öffentliches Interesse erwecken. Die<br />

politische und im weiteren Sinne öffentliche Rede<br />

über veränderungsbedürftige Geschlechterverhältnisse<br />

und ein entsprechender Gestaltungswille<br />

sind in den Hintergrund getreten gegenüber den<br />

aktuellen Diskursen und Auseinandersetzungen<br />

um „Globalisierung“, die „Zukunft der<br />

Arbeit(sgesellschaft)“, den „Umbau des Staates<br />

und der sozialen Sicherungssysteme“ usw. Selten<br />

nur wird in diesen Debatten danach gefragt, was<br />

all die sich abzeichnenden gesellschaftlichen Veränderungen<br />

für eine Neuordnung der Geschlechterverhältnisse<br />

bzw. - moderater - für „mehr<br />

THEMA<br />

GESCHLECHTERVERHÄLTNISSE<br />

IN VERÄNDERUNG<br />

Herausforderungen für Frauen- und Geschlechterforschung<br />

von Prof. Dr. Irene Dölling,<br />

Universität Potsdam<br />

27<br />

Geschlechterdemokratie“ bedeuten könn(t)en.<br />

Nicht nur für viele mediale Meinungsmacher ist<br />

„der Feminismus“ ein erledigtes Projekt; auch<br />

nicht wenige junge Frauen und Männer sind der<br />

Meinung, dass sie gleichberechtigt sind und es -<br />

ganz gemäß der derzeit hoch im Kurs stehenden<br />

„Individualisierung“ - eigenverantwortlich von<br />

jeder/jedem einzelnen abhängt, was sie aus ihrem<br />

Leben machen und was sie aus der Fülle der Möglichkeiten<br />

auswählen. Bestätigt werden sie darin<br />

nicht selten auch von politischer Seite.<br />

Diese Verschiebungen in politisch-öffentlichen<br />

Debatten wie subjektiven Meinungen sind weniger<br />

Anzeichen für einen tatsächlichen Abbau von<br />

Geschlechterungleichheiten als vielmehr für<br />

Umbrüche im Organisationsgefüge moderner<br />

Gesellschaften, die bisherige Formen sozialer<br />

Regulierung und Steuerung tendenziell dysfunk-


tional werden lassen. Bisherige Institutionalisierungen<br />

des modernen (hierarchischen)<br />

Geschlechterverhältnisses geraten in „Unordnung“<br />

und erscheinen gemessen an den sich<br />

abzeichnenden Entwicklungen als „veraltet“: bisherige<br />

Trennlinien zwischen öffentlich und privat<br />

brechen auf, die Erosion des „Normalarbeitsverhältnisses“<br />

untergräbt die „männliche Ernährerrolle“<br />

und die damit verknüpften familien- und<br />

steuerrechtlichen Regelungen. Durch die wachsende<br />

Zahl von Alleinerziehenden und Singles<br />

wird das normative und institutionalisierte Modell<br />

der geschlechtsspezifischen Teilungen zwischen<br />

„produktiven“ und „reproduktiven“ Bereichen<br />

und Tätigkeiten fragwürdig. Wie die re-strukturierten<br />

Geschlechterverhältnisse als Ergebnis des<br />

Umbaus moderner Gesellschaften aussehen werden<br />

- ob sie sich durch (mehr) Geschlechterdemokratie<br />

auszeichnen oder die In- und Exklusionen<br />

entlang der Geschlechterlinie eher verstärkt<br />

werden bzw. ganz neue Formierungen des<br />

Geschlechterverhältnisses entstehen, ist m.E. derzeit<br />

kaum definitiv zu sagen - eben weil wir erst<br />

am Anfang dieser Umbrüche stehen. Allerdings<br />

zeichnen sich heute bereits Entwicklungen ab, die<br />

nahelegen, die Zusammenhänge, in denen<br />

Geschlechterverhältnisse theoretisch- konzeptionell<br />

- bis heute vor allem in der Frauen- und<br />

Geschlechterforschung - gedacht werden, zu<br />

erweitern. Ich möchte im folgenden zunächst auf<br />

einige dieser veränderten oder sich verändernden<br />

Zusammenhänge eingehen, die die Neufiguration<br />

des Geschlechterverhältnisses beeinflussen (werden)<br />

und anschliessend nach konzeptionellen<br />

Herausforderungen fragen, die daraus für Frauen-<br />

und Geschlechterforschung resultieren.<br />

1. In der bisherigen Geschichte moderner Gesellschaften<br />

waren Geschlechterverhältnisse<br />

GESCHLECHTERVERHÄLTNISSE<br />

Prof. Dr. Irene Dölling<br />

28<br />

gekennzeichnet durch institutionalisierte Trennungen<br />

zwischen Produktion und Reproduktion,<br />

Erwerbssphäre und Hauswirtschaft, öffentlich-<br />

privat. Gegründet auf die kulturelle Annahme<br />

einer biologisch unhintergehbaren Differenz<br />

der beiden Geschlechter wurden Männer und<br />

Frauen entlang dieser Trennungen zueinander<br />

ins Verhältnis gesetzt, wurden Tätigkeiten,<br />

Befähigungen, Eigenschaften „vergeschlechtlicht“,<br />

d.h. normativ dem einen oder dem anderen<br />

Geschlecht zugeschrieben. Diese Trennungen<br />

und Zuschreibungen waren hierarchisch<br />

organisiert und wirkten zugleich hierarchisierend:<br />

Indem alles als „weiblich“ bedeutende<br />

Zweitrangigkeit, Minderwertigkeit und Abweichung<br />

vom „Normalen“ impliziert und dies sich<br />

institutionell z.B. in geschlechtsspezifischen<br />

Arbeitsteilungen, Segregationen des Arbeitsmarktes<br />

oder auch rechtlichen Regelungen verfestigt,<br />

wirkt „Geschlecht“ als ein ungleichheiterzeugender<br />

Faktor. Das hierarchische und<br />

hierarchisierende Geschlechterverhältnis steht<br />

in einem homologen Zusammenhang zu anderen<br />

hierarchischen Formen, in denen moderne<br />

gesellschaftliche Austauschprozesse geregelt,<br />

normiert, auf Dauer gestellt, in eine über- bzw.<br />

untergeordnete Beziehung zueinander gebracht<br />

werden. Bisherige Grenzziehungen und Hierarchisierungen<br />

- z.B. entlang der Geschlechterdifferenz<br />

– werden einerseits in den gegenwärtigen<br />

Transformationsprozessen moderner<br />

Gesellschaften tendenziell dysfunktional. Andererseits<br />

gehen neoliberale Deregulierungen<br />

unter dem Vorzeichen des „freien Spiels der<br />

Kräfte des Marktes“ mit neuen Differenzierungen,<br />

Hierarchisierungen, Ein- und Ausgrenzungen<br />

einher. Letzteres legt die Vermutung nahe,<br />

dass die in diesem Kontext sich neu strukturie-


enden Geschlechterverhältnisse auch weiterhin<br />

- wenn auch in möglicherweise veränderten<br />

Formen - die beiden Genusgruppen in hierarchische<br />

Beziehungen zueinander setzen und<br />

auch weiterhin zur Legitimation anderer gesellschaftlicher<br />

Hierarchien dienen.<br />

2. Das Ende des Sozialismus zum einen und die<br />

Entwicklung Europas zu einem Wirtschaftsund<br />

politischen System zum anderen haben in<br />

diesem Jahrzehnt verstärkt und auf z.T. neue<br />

Weise Erfahrungen mit „ethnischen Konflikten“,<br />

mit Nationalismen und - wie der sog.<br />

„Kosovo-Krieg“ zeigte - der Weise ihrer „Befriedung“<br />

gebracht. Sie sind verbunden mit der<br />

Erfahrung von „Flüchtlingsströmen“ und von<br />

Migrationsbewegungen in die reichen Länder,<br />

die zum einen durch ein vereinigtes, grenzenloses<br />

Europa ihre Wirtschafts- und politische<br />

Macht vergrößern wollen, die zum anderen<br />

neue Grenzen gegenüber denen errichten, die<br />

bestimmten Normen nicht entsprechen. Wer<br />

StaatsbürgerInnenstatus und damit Anspruch<br />

auf bestimmte staatliche Leistungen hat, wer<br />

mit eingeschränkten Rechten als „ethnische<br />

Minderheit“ geduldet wird, wer einen EU-Pass<br />

hat und daher rein darf oder aber draußen<br />

bleiben muß – das sind Markierungen sozialer<br />

Differenzierungen, In- und Exklusionen, die<br />

(national institutionalisierte) Geschlechterungleichheiten<br />

in z.T. neuen Figurationen verorten.<br />

Denn das im Rahmen von Nationalstaatlichkeit<br />

und StaatsbürgerInnenrechten hervorgebrachte<br />

und institutionalisierte moderne<br />

Geschlechterverhältnis bringt nicht nur „nach<br />

innen“ die beiden Genusgruppen in ein hierarchisches<br />

Verhältnis, sondern es geht auch ein<br />

in ein komplexes Geflecht von asymmetrischen<br />

Machtbeziehungen, das ökonomisch, politisch,<br />

GESCHLECHTERVERHÄLTNISSE<br />

Prof. Dr. Irene Dölling<br />

29<br />

sozial grenzziehend, ein- und ausschließend,<br />

über- und unterordnend wirkt und in dem<br />

Frauen keineswegs nur und immer die Benachteiligten<br />

sind (dazu auch Gümen 1998).<br />

3. Gleichzeitig führt „Globalisierung“, wie u.a.<br />

Brigitte Young aufgezeigt hat, zu neuen „Gesellschaftsspaltungen“<br />

(Young 1998:192). Die Aufspaltungen<br />

in eine Arbeitsgesellschaft, die an<br />

den Nationalstaat geknüpft ist einerseits und<br />

eine Geldgesellschaft andererseits, die mit der<br />

Deregulierung der Finanzmärkte global agiert<br />

und vernetzt ist, führen zur „Erosion des Normalarbeitsverhältnisses“,<br />

zu einem Abbau sozialstaatlicher<br />

Leistungen u.a. durch ihre Privatisierung<br />

oder ihre tendenzielle Rückverlagerung<br />

in die Familie (d.h. in der Regel zu Lasten<br />

von Frauen). Sie führt z.B. zu einem Verlust von<br />

„staatlichen“ Arbeitsplätzen, die bisher besonders<br />

eine Frauendomäne waren. Diese Prozesse<br />

vertiefen einerseits auf vielfältige Weise<br />

geschlechtsspezifische Ungleichheiten (vgl.<br />

dazu u.a. Sassen 1998); zugleich entstehen<br />

neue soziale Differenzierungen - z.B. nach Qualifikationen<br />

und Alter, nach Besitzern oder<br />

Nichtbesitzern von Arbeitsplätzen (im primären<br />

Sektor) - die nicht unbedingt „geschlechtsneutral“<br />

sind, aber auch nicht in erster Linie entlang<br />

der Geschlechterdifferenz verlaufen (müssen).<br />

Im „System der ‘kumulativen Ungleichheit’“<br />

(Kurz-Scherf 1998:26) spielt<br />

„Geschlecht“ gewiss auch künftig eine gewichtige<br />

Rolle. Zugleich wird „Geschlecht“ als<br />

ungleichheiterzeugender Faktor in einem<br />

Geflecht von komplex wirkenden sozialen Differenzierungsfaktoren<br />

wirksam, die in einer<br />

globalisierten Welt, gebrochen durch regionale,<br />

nationale, kulturelle Besonderheiten, soziale<br />

Chancen zuweisen.


4. In den letzten Jahren sind soziale und kulturelle<br />

Veränderungen beobachtet worden, die in<br />

der Frauen- und Geschlechterforschung u.a. als<br />

„Verflüssigung“ von Geschlechterdifferenzen,<br />

als tendenzielle Dysfunktionalität von<br />

Geschlechterhierarchien bei der Einführung<br />

neuer Formen der Arbeitsorganisation (z.B.<br />

Gruppenarbeit, „flache Hierarchien“, Dezentralisierung)<br />

oder als „Feminisierung“ männlicher<br />

Erwerbsarbeit bzw. Erwerbsarbeiterbiografien<br />

im Zuge der Erosion des „Normalarbeitsverhältnisses“<br />

beschrieben wurden. Diese<br />

beobachtbaren Veränderungen, die auch zu<br />

Verschiebungen in den alltäglich praktizierten<br />

Geschlechterarrangements führen, haben die<br />

feministischen Debatten über die Chancen für<br />

mehr Geschlechterdemokratie in der „postindustriellen“<br />

Gesellschaft, für eine gerechtere<br />

Verteilung von Produktions- und Reproduktionsarbeit<br />

bzw. eine gesellschaftliche Umbewertung<br />

von Erwerbs- und häuslicher Arbeit<br />

(erneut) angeregt. Die in diesen Debatten entwickelten<br />

Visionen eines neuen „Geschlechtervertrages“<br />

sind allerdings nicht immer ausreichend<br />

in den Kontext der sich abzeichnenden<br />

gesellschaftlichen Umbrüche gestellt worden.<br />

Ingrid Kurz-Scherf hat auf das „strukturelle (s)<br />

Defizit an Solidarität“ (Kurz-Scherf 1998:34)<br />

hingewiesen, das modernen Gesellschaften<br />

innewohnt und unter den Bedingungen neoliberaler<br />

Deregulierung eine „Bedingung der<br />

Möglichkeit für das Auseinanderbrechen der<br />

sozialen Integration“ darstellt (ebd.). Dieses<br />

Defizit wird institutionell wie lebensweltlich stabil<br />

gehalten und reproduziert nicht zuletzt<br />

durch eine „Dominanzkultur“ (Rommelspacher),<br />

die insofern „männlich“ ist, als sie den<br />

Stoffwechselprozeß mit der Natur als gewaltför-<br />

GESCHLECHTERVERHÄLTNISSE<br />

Prof. Dr. Irene Dölling<br />

30<br />

mige Beherrschung von Natur und Arbeit,<br />

Macht als Herrschaft und Unterwerfungsmacht,<br />

Staat als obrigkeitliche Staatsbürokratie und<br />

Ökonomie im Sinne von Konkurrenz konstruiert,<br />

normiert und normalisiert (vgl. Kurz-<br />

Scherf a.a.O.:35).<br />

Diese „männliche Dominanzkultur“ war in der<br />

bisherigen Geschichte moderner Gesellschaften<br />

direkt verknüpft mit Dominanzverhältnissen zwischen<br />

Männern und Frauen. Unter den gegenwärtigen<br />

Bedingungen kann sich diese Verknüpfung<br />

durchaus lockern oder in bestimmten Bereichen<br />

sogar auflösen, ohne daß die männliche Dominanzkultur<br />

damit verschwindet oder auch nur an<br />

Bedeutung verliert. Denkbar ist nach Kurz-Scherf<br />

z.B. ein Szenario, in dem eine wachsende Kluft<br />

zwischen einer superreichen Elite und einer ökonomisch<br />

und kulturell pauperisierten, Armutsrisiken<br />

ausgesetzten Bevölkerung zu neuen Ungleichheiten<br />

führt. Dabei können sich bisherige Differenzierungslinien<br />

entlang „Geschlecht“ durchaus<br />

„verflüssigen“ in dem Sinne, daß „unten“, in den<br />

weniger mächtigen Segmenten der Gesellschaft,<br />

Geschlechterhierarchien abgebaut werden, nicht<br />

zuletzt auch unter dem Druck von Frauen, die auf<br />

Gleichstellung pochen. Zugleich aber kann die<br />

Dominanzkultur zur Legitimierung der Bestrebungen<br />

der mächtigen Eliten dienen, sich „aus<br />

dem sozialen Zusammenhang der modernen<br />

Gesellschaften“ (ebd.:38) auszukoppeln, also<br />

Solidarität aufzukündigen. Diese mit den Normativen<br />

der Dominanzkultur legitimierten neuen<br />

Ungleichheiten können also ein „gender-crossing“<br />

„oben“ wie „unten“ einschließen, ohne daß<br />

die Geschlechterdifferenz bzw. die „Vergeschlechtlichung“<br />

sozialer Wirklichkeiten aufgehoben<br />

sein müssen.


Ich habe bisher einige beobachtbare sozial-ökonomische<br />

Prozesse skizziert, die m.E. die gegenwärtige<br />

Neufiguration des Geschlechterverhältnisses<br />

wesentlich beeinflussen (werden). Diese Neufiguration<br />

zu analysieren und angemessen auf den<br />

Begriff zu bringen, stellt auch neue Herausforderungen<br />

an die Frauen- und Geschlechterforschung,<br />

ihre Konzepte und Denkformen dar. Die<br />

grob umrissenen Transformationsprozesse gegenwärtiger<br />

moderner Gesellschaften machen mehr<br />

denn je deutlich, daß der „Gegenstand“ von Frauen-<br />

und Geschlechterforschung weder auf Frauen<br />

und Männer, noch auf die je historisch produzierten<br />

Verhältnisse zwischen den beiden Genusgruppen<br />

reduziert werden kann. Zugleich haben die in<br />

den 90er Jahren auch in der deutschen Frauenund<br />

Geschlechterforschung geführten Debatten<br />

um „Geschlecht“ als eine soziale/kulturelle Konstruktion<br />

verdeutlicht, wie notwendig eine veränderte/erweiterte<br />

Sicht der Frauen- und Geschlechterforschung<br />

auf ihre Erkenntnisgegenstände und<br />

-mittel ist, nicht zuletzt, um solchen Herausforderungen<br />

begegnen zu können.<br />

Zu den Besonderheiten der deutschen Frauenforschung,<br />

wie sie sich seit den 70er Jahren entwickelte,<br />

gehört ihr explizit gesellschaftstheoretischer<br />

Anspruch. Sie versteht „Geschlecht“ nicht<br />

nur als eine „Strukturkategorie im Sinne eines<br />

Schichtungskriteriums, das soziale Ungleichheit<br />

anzeigt“ (Becker-Schmidt/Knapp 1995:11), also<br />

als einen nützlichen Begriff für die (sozialwissenschaftliche)<br />

Analyse von Beziehungen bzw. Verhältnissen<br />

zwischen Männern und Frauen.<br />

„Geschlecht“ ist zugleich auch konzipiert als eine<br />

grundlegende gesellschaftstheoretische Kategorie<br />

- d.h. „Geschlecht“ wird sehr viel allgemeiner verstanden<br />

als ein Modus und eine Praxis der Konstituierung<br />

sozialer Wirklichkeiten. Keine Gesell-<br />

GESCHLECHTERVERHÄLTNISSE<br />

Prof. Dr. Irene Dölling<br />

31<br />

schaftstheorie und keine soziologische Analyse -<br />

so das Diktum und der Anspruch von Frauenforschung<br />

- könne ohne den Begriff „Geschlecht“<br />

und ohne ein theoretisches Konstrukt von<br />

„Geschlechterverhältnis“ auskommen. Mit dieser<br />

Konzipierung von „Geschlecht“ als einer „Strukturkategorie“<br />

stand und steht Frauen- und<br />

Geschlechterforschung immer vor der Schwierigkeit,<br />

einerseits den Blick auf das institutionalisierte<br />

Geschlechterverhältnis und seine hierarchisierenden<br />

Wirkungen in allen gesellschaftlichen<br />

Bereichen zu richten und andererseits den Blick<br />

nicht auf die qua „Geschlecht“ erzeugten<br />

Ungleichheiten und Diskriminierungen zu verengen.<br />

Dieser Spagat ist ihr keineswegs immer<br />

gelungen, vielmehr lassen sich grob zwei parallele<br />

Entwicklungen ausmachen.<br />

Einerseits ist viel theoretische Arbeit geleistet worden,<br />

um die Kategorie „Geschlecht“ zu qualifizieren.<br />

Indem „Geschlecht“ als Erkenntnismittel verstanden<br />

wird, das die Klassifizierung von Menschen<br />

als einer sozialen Genusgruppe zugehörig<br />

zu analysieren erlaubt, verschiebt sich konzeptionell<br />

die <strong>Perspektive</strong>: es geht darum, nach dem<br />

„Wie“, nach den Institutionalisierungen und den<br />

Praxen zu fragen, mittels derer und in denen die<br />

Angehörigen der beiden Genusgruppen in hierarchische<br />

Verhältnisse zueinander gebracht werden.<br />

Es geht darum, nach den Institutionalisierungen<br />

und den Praxen zu fragen, mittels derer und<br />

in denen sich Individuen als „weibliche“ bzw.<br />

„männliche“ Subjekte hervorbringen. Nicht Männer<br />

oder Frauen sind Erkenntnisgegenstände bzw.<br />

Erkenntnissubjekte, sondern „Geschlecht“ als ein<br />

Modus der Klassifizierung und der Konstruktion<br />

von vergeschlechtlichten sozialen Wirklichkeiten<br />

rückt ins Zentrum. In diesem Kontext verändern<br />

bzw. verschieben sich auch die analyseorientie-


enden Begriffe, mit denen empirische Untersuchungen<br />

konzeptionell „gerahmt“ werden: nicht<br />

„die“ unterdrückte und diskriminierte Frau bzw.<br />

„der“ unterdrückende Mann, nicht „Frauen“<br />

und/oder „Männer“ sondern das Geschlechterverhältnis,<br />

damit die Relationalität zwischen den<br />

sozial strukturierten Beziehungen zwischen Männern<br />

und Frauen, nicht die Unterdrückung und<br />

Diskriminierung des einen Geschlechts als gegebenes<br />

Faktum, sondern Prozessualität im Verhältnis<br />

der Geschlechter und der jeweiligen Machtbalancen,<br />

nicht lineare und eindeutige Entwicklungen,<br />

sondern Ungleichzeitigkeiten in der sozialen<br />

Hervorbringung von geschlechtsspezifischen bzw.<br />

von „gendered“ Wirklichkeiten, sind die Dimensionen,<br />

die mit dem Begriff „Geschlecht“ gefasst<br />

werden. Mit diesen theoretisch-konzeptionellen<br />

Anstrengungen um die Kategorie „Geschlecht“ hat<br />

Frauen- und Geschlechterforschung einen<br />

gewichtigen Beitrag für eine „geschlechtersensible“<br />

(Krüger 1997) Soziologie bzw. Sozialwissenschaft<br />

geleistet: „Geschlecht“ ist kein eingrenzbarer<br />

Gegenstand soziologischer oder sozialwissenschaftlicher<br />

Untersuchung, sondern ein wirklichkeitserzeugender<br />

Modus, der in allem Sozialen<br />

wirkt. Mit „Geschlecht als Strukturkategorie“ ist<br />

damit konzeptionell angedacht, was in den 90er<br />

Jahren dann mit dem Terminus der „Vergeschlechtlichung“<br />

weitergeführt wird: alle gesellschaftlichen<br />

Verhältnisse sind „vergeschlechtlicht“,<br />

das Geschlechterverhältnis wird in allen<br />

gesellschaftlichen Verhältnissen hervorgebracht<br />

und reproduziert (vgl. dazu Becker-Schmidt<br />

1998). Mit diesen „Potential analytischer Öffnungen“<br />

(Gümen 1998:188) ist die „Strukturkategorie<br />

Geschlecht“ anschlussfähig an Konzepte, die<br />

den Blick auf die kulturelle Konstruktion von<br />

„Geschlecht“ oder auf die Hervorbringung „ver-<br />

GESCHLECHTERVERHÄLTNISSE<br />

Prof. Dr. Irene Dölling<br />

32<br />

geschlechtlichter“ Wirklichkeiten im praktischen<br />

Handeln sozial unterschiedlich positionierter<br />

AkteurInnen richten.<br />

Allerdings und andererseits wird das „Potential<br />

analytischer Öffnungen“ begrenzt, indem die Analyse<br />

auf die (ungleichen) Beziehungen zwischen<br />

Frauen und Männern beschränkt und vor allem,<br />

indem dabei - mehr oder weniger unreflektiert -<br />

Geschlecht „immer schon als sozial dominantes<br />

Ungleichheitsmerkmal festgeschrieben wird“<br />

(Engler 1997:153). Wie Sedef Gümen aufgezeigt<br />

hat, kann sich die Konzeptualisierung von<br />

„Geschlecht“ als einer Strukturkategorie in dem<br />

Sinne, daß Privilegierung oder Benachteiligung<br />

qua Geschlecht ein durchgehendes, ungleichheiterzeugendes<br />

Prinzip und Geschlechterhierarchie<br />

bzw.- -ungleichheit der „ausschließliche Rahmen<br />

feministischer Theorie“ ist (Gümen 1998:190),<br />

als ein Engpaß erweisen. Z.B. werden so zwar<br />

einerseits ethnisch bedingte Differenzierungen<br />

zwischen Frauen in den Blick genommen, diese<br />

werden aber andererseits zu einem Sonderphänomen,<br />

das „nur für die ‘Betroffenen’ gültig“ ist<br />

(ebd.: 196), wenn in der „Strukturkategorie<br />

Geschlecht“ die „(zentrierte) Geschlechterungleichheit<br />

zum Strukturrahmen“ (ebd.) erhoben<br />

wird. Auch die Privilegierungen, die weiße, westeuropäische<br />

Frauen verglichen mit Immigrantinnen<br />

oder (Gruppen von) Frauen (und Männern)<br />

in der sog. Dritten Welt aufgrund ihrer Nationalität<br />

bzw. ihres Staatbürgerinnenstatus geniessen,<br />

treten eher in den Hintergrund der Wahrnehmung…<br />

Um die oben skizzierten komplexen sozio-ökonomischen<br />

Entwicklungen, die zu einer Neu-Formierung<br />

des modernen Geschlechterverhältnisses<br />

führen, als Herausforderung an die Analysekraft<br />

von Frauen- und Geschlechterforschung anneh-


men zu können, scheint mir daher unabdingbar,<br />

erstens das Potential der Kategorie „Geschlecht“<br />

als Erkenntnismittel für Analysen zu nutzen, auf<br />

wie vielfältige Weise, und tendenziell auch<br />

abgelöst von „Dominanzverhältnissen zwischen<br />

Männern und Frauen und deren Wandel“, gegenwärtig<br />

vergeschlechtlichte soziale Wirklichkeiten<br />

im Handeln von Menschen produziert und institutionalisiert<br />

werden. Dies wäre im übrigen auch<br />

eine wissenschaftliche Fundierung und Unterstützung<br />

des politischen „Gender-Mainstreaming“ -<br />

Ansatzes. Dieses Projekt der „Frauen- und<br />

Geschlechterpolitik auf EU-Ebene“ zielt darauf ab,<br />

„Geschlecht“ als eine Dimension in alle (politischen)<br />

Entscheidungen von vornherein einzubeziehen<br />

(vgl. Stiegler 1999). Das wiederum setzt<br />

eine entsprechende Kompetenz voraus, die „vergeschlechtlichenden“<br />

Dimensionen von Organisationen,<br />

Institutionen und den in ihnen getroffenen<br />

Entscheidungen sowie im Handeln von AkteurInnen<br />

ausmachen und benennen zu können.<br />

Zweitens stellt die notwendig zu leistende Aufgabe<br />

bzw. der formulierte Anspruch von Frauen- und<br />

Geschlechterforschung, die vielfältigen Weisen<br />

des „gendering“ im Handeln ebenso wie die Wirkungen<br />

von „gendered“ Institutionen auf das<br />

Handeln von Menschen umfassend in den Blick<br />

zu nehmen, auch neue Anforderungen an deren<br />

Integrationsfähigkeit in das wissenschaftliche<br />

Feld. Nicht allein erfordert diese erweiterte <strong>Perspektive</strong><br />

Inter- oder Transdisziplinarität (vgl. Hark<br />

1998). Notwendig ist auch, das kritische Potential<br />

von Frauen- und Geschlechterforschung unter<br />

den veränderten Bedingungen durch eine stärkere<br />

Verknüpfung mit anderen herrschaftskritischen<br />

wissenschaftlichen Projekten zu bewahren,<br />

auszubauen bzw. neu zu konturieren. Zu fragen ist<br />

weiter, ob Frauen- und Geschlechterforschung die<br />

GESCHLECHTERVERHÄLTNISSE<br />

Prof. Dr. Irene Dölling<br />

33<br />

komplexen Zusammenhänge aktueller sozialer<br />

Wirklichkeiten angemessen auf deren „vergeschlechtlichte“<br />

bzw. „vergeschlechtlichende“<br />

Dimensionen hin analysieren kann ohne eine<br />

stärkere Verbindung mit bzw. Integration in den<br />

sog. mainstream ihrer jeweiligen Disziplinen.<br />

Oder umgekehrt: ob ihr Anspruch, „Geschlecht“<br />

als einen Modus und eine Praxis zur Erzeugung<br />

von sozialen Wirklichkeiten zu verstehen, nicht<br />

erst dann voll zur Geltung und zur Wirkung kommen<br />

kann, wenn er als ein Mittel zur Erkenntnis<br />

komplexer Zusammenhänge konzeptionell und<br />

methodisch eingesetzt wird. Hier steht allerdings<br />

eher die Bewegung des sog. mainstream in Richtung<br />

auf Frauen- und Geschlechterforschung auf<br />

der Tagesordnung, als umgekehrt. Schließlich<br />

geht es auch um die Frage nach der „richtigen“,<br />

d.h. langfristig wirksamen Institutionalisierung<br />

von Frauen- und Geschlechterforschung im wissenschaftlichen<br />

bzw. universitären Feld. Die zur<br />

Zeit beobachtbaren, mehr oder minder erfolgreichen<br />

Bestrebungen, Frauen- und Geschlechterforschung<br />

an deutschen Universitäten durch die Einrichtung<br />

von Studiengängen stärker zu institutionalisieren,<br />

können einerseits als Ausdruck gestiegener<br />

Anerkennung und Legitimität gesehen werden<br />

und als eine Möglichkeit, die Existenz von<br />

Frauen- und Geschlechterforschung in Zeiten<br />

knapper Ressourcen und des Einzugs marktwirtschaftlicher<br />

Kriterien und Steuerungsinstrumente<br />

in den Wissenschafts“betrieb“ zu sichern. Andererseits<br />

ist Sicherheit damit keineswegs garantiert<br />

und vor allem bleibt offen, ob Frauen- und<br />

Geschlechterforschung mit einer solchen institutionalisierten<br />

„Separierung“ ihren Anspruch, das<br />

Projekt einer „geschlechtersensiblen“ Sozialwissenschaft<br />

bzw. allgemeiner: Wissenschaft vorantreiben<br />

zu wollen, einlösen kann.


Literatur<br />

Becker-Schmidt, Regina: Frauen und Deklassierung.<br />

Geschlecht und Klasse. In: Beer, Ursula<br />

(Hrg.): Klasse Geschlecht. Feministische Gesellschaftsanalyse<br />

und Wissenschaftskritik. Bielefeld:<br />

AJZ-Verlag/FF1 1987, S. 187-235<br />

Becker-Schmidt, Regina: Relationalität zwischen<br />

den Geschlechtern, Konnexionen im Geschlechterverhältnis.<br />

In: Zeitschrift für Frauenforschung,<br />

H. 3/1998, S. 5-<strong>21</strong><br />

Becker-Schmidt, Regina: Frauenforschung,<br />

Geschlechterforschung, Geschlechterverhältnisforschung.<br />

In: Becker-Schmidt, Regina/ Knapp,<br />

Gudrun-Axeli: Feministische Theorien zur Einführung.<br />

Hamburg: Junius 2000, S. 14-62<br />

Becker-Schmidt, Regina/ Knapp, Gudrun-Axeli<br />

(Hrg.): Das Geschlechterverhältnis als Gegenstand<br />

der Sozialwissenschaften. Einleitung. Frankfurt/Main,<br />

New York: Campus Verlag 1995, S. 7-<br />

18<br />

Christmann, Stefanie: Bloß keine fünfte Weltfrauenkonferenz.<br />

In: FREITAG, Nr. 23 vom 2. Juni<br />

2000, S. 18<br />

Engler, Steffani: Geschlecht in der Gesellschaft -<br />

Jenseits des ‘Patriarchats’. In: Kneer, Georg/Nassehi,<br />

Armin/Schroer, Markus (Hrg.): Soziologische<br />

Gesellschaftsbegriffe. Konzepte moderner<br />

Zeitdiagnosen. München: Wilhelm Fink Verlag<br />

1997, S. 127-156<br />

GESCHLECHTERVERHÄLTNISSE<br />

Prof. Dr. Irene Dölling<br />

34<br />

Gümen, Sedef: Das Soziale des Geschlechts. Frauenforschung<br />

und die Kategorie der „Ethnizität“.<br />

In: Das Argument, Bd. 224/1998, 187- 201<br />

Hark, Sabine (1998): Disziplinäre Quergänge -<br />

(Un)Möglichkeiten transdisziplinärer Frauenund<br />

Geschlechterforschung. In: Potsdamer Studien<br />

zur Frauen- und Geschlechterforschung, H. 2,<br />

S. 9-25<br />

Jahrhundertreformen im Jahrhundert der Frau.<br />

Antrag des ASF-Bundesvorstandes zur ASF-Bundeskonferenz<br />

vom 19. bis <strong>21</strong>. Mai in Potsdam. In:<br />

Feminismus neu denken? Frauenthemen. Informationen<br />

der SPD, Nr. 31, Mai 2000, S. 2-3<br />

Krüger, Helga: Gendersensible Chancenforschung.<br />

In: ISO-Informationen, Nr. 8/Januar<br />

1997, S. 17-24<br />

Kurz-Scherf, Ingrid (1998): Krise des Sozialstaats<br />

- Krise der patriarchalen Dominanzkultur. In:<br />

Zeitschrift für Frauenforschung, Sonderheft 1, S.<br />

13-48<br />

Odierna, Simone: Die heimliche Rückkehr der<br />

Dienstmädchen. Bezahlte Arbeit im privaten<br />

Haushalt. Opladen: Leske+Budrich 2000<br />

Sassen, Saskia (1998): Überlegungen zu einer<br />

feministischen Analyse der globalen Wirtschaft.<br />

In: Prokla 111: Globalisierung und Gender, 28<br />

(1998), 2, S. 199-<strong>21</strong>6


Stiegler, Barbara (1999): Frauen im Mainstreaming<br />

- Politische Strategien und Theorien zur<br />

Geschlechterfrage. In: Informationen der SPD,<br />

Frauenthemen, Nr. 29/Juni 1999, S. 7-13<br />

Wagner, Peter: Soziologie der Moderne. Freiheit<br />

und Disziplin. Frankfurt/Main, New York: Campus<br />

Verlag 1995<br />

Young, Brigitte(1998): Genderregime und der<br />

Staat in der globalen Netzwerkökonomie. In: Prokla<br />

111: Globalisierung und Gender, 28 (1998),<br />

2, S. 175-199<br />

GESCHLECHTERVERHÄLTNISSE<br />

Prof. Dr. Irene Dölling<br />

35<br />

Prof. Dr. Irene Dölling ist Professorin am Lehrstuhl<br />

für Frauenforschung der Universität Potsdam.<br />

www.uni-potsdam.de/u/<br />

frauenforschung/index.htm


Kürzlich war ich als Moderatorin zu einem sogenannten<br />

Generationsgespräch eingeladen. Die originelle<br />

Idee der Gesprächsrunde bestand in Folgendem:<br />

Abiturientinnen befragten gestandene<br />

Frauen mit lokaler Bekanntheit, wie sie sich<br />

durchs Leben gekämpft hatten.<br />

Und was interessierte die jungen Frauen? Was sind<br />

ihre Fragen ans Leben:<br />

Wie haben Sie Ihren Beruf gefunden? Wann haben<br />

Sie ihre Kinder bekommen? Wie ging das Kind und<br />

Beruf? Wie haben Sie Ihre finanzielle Unabhängigkeit<br />

bewahrt? Warum haben Sie eine politische<br />

Karriere gemacht?<br />

Für Bärbel Lamprecht, Jahrgang 58 aus heutiger<br />

<strong>Perspektive</strong> zwar verständliche Fragen, die sie sich<br />

bei ihrer Lebensplanung jedoch niemals stellen<br />

mußte. Sie hatte Theologie studiert - wie ihr Vater,<br />

sie hatte während des Studium ihren Mann ken-<br />

THEMA<br />

ANDERE FRAUEN –<br />

ANDERE THEMEN<br />

von Katrin Rohnstock,<br />

Autorin und Herausgeberin in Berlin<br />

36<br />

nengelernt, geheiratet, zwei Kinder bekommen,<br />

das Studium beendet und eine Pfarrstelle angenommen.<br />

All dies war ganz selbstverständlich, ganz<br />

normal. Auch Edith Baumann, Jahrgang 37, erinnert<br />

sich an andere Fragen, die sie in der Phase<br />

des Erwachsenwerdens beschäftigten: Sie verzichtete<br />

auf das ihr nahegelegte Medizinstudium, weil<br />

sie für ihr gleich nach dem Abitur geborenes Kind<br />

Zeit haben wollte, sie blieb drei Jahre zu Hause<br />

und absolvierte dann die Fachschule als Medizinisch<br />

- technische Assistentin. Natürlich kennen<br />

die Abiturientinnen diese einfachen Selbstverständlichkeiten<br />

aus den Erzählungen ihrer Mütter und<br />

doch stellt sich die Situation für sie heute ganz<br />

anders dar. Für sie ist klar: Als erstes ein Studium.<br />

Aber welches? Welches wird ihnen Freude bereiten,<br />

welches wird Arbeit bringen, welche Arbeit<br />

kann den Lebensunterhalt erwirtschaften.


ANDERE FRAUEN – ANDERE THEMEN<br />

Katrin Rohnstock<br />

Nein, auf einen Mann wollten sich alle drei junge<br />

Frauen diesbezüglich nicht verlassen. Unvorstellbar<br />

für sie: Finanziell abhängig zu sein. Lieber<br />

wollten sie auf Kinder verzichten auf Kinder, von<br />

denen sie ohnehin keine Vorstellungen haben,<br />

wann sie passen. Auf jeden Fall: Sie wollten schon<br />

Kinder, doch erst, wenn sie passen.<br />

Ein bißchen Ratlosigkeit lag in den Stimmen der<br />

jungen Frauen. In das Selbstbewußtsein mischte<br />

sich ein Tupfer Angst. Die alten Lebensvorstellung<br />

sind lebensfremd geworden, sie sind mit den postmodernen<br />

Realitäten nicht kompatibel.<br />

Und neue Vorstellungen, die trotz drohender<br />

Arbeitslosigkeit, trotz Flexibilisierungsdruck die<br />

Fragen nach den Kindern beantworten, haben sich<br />

noch nicht herausgebildet. Der Gesellschaft sind<br />

die Orientierungen ausgegangen. Nicht die ökonomischen.<br />

Es mangelt an Zukunftsvisionen für das<br />

menschliche Zusammenleben. Zum Leidwesen<br />

derer, die das größte Pensum an Zukunft vor sich<br />

haben.<br />

Je kleiner die Zeitspanne, die vor einem liegt, um<br />

so geringer die Bedeutung von Zukunft. Dementsprechend<br />

reagierten die beiden lebenserfahrenen<br />

ostdeutschen Frauen: Sie verstanden zwar die Ängste<br />

der Jungen, dennoch versuchten sie, mit moralischen<br />

Argumenten zu beschwichtigen: Man müsse<br />

auch mal auf etwas verzichten. Worauf verzichten?<br />

Auf die Arbeit, auf einen Beruf.<br />

Plötzlich meldete sich eine Frau mag sie Ende 40<br />

sein – aus dem Publikum zu Wort. Sie berichtete,<br />

daß sie jetzt – nach einer fast zwanzigjährigen<br />

Familienphase – neue Lebensformen suche, eine<br />

größere Gemeinschaft; daß sie sogar überlege, ihr<br />

vor zwanzig Jahren abgebrochenes Studium wieder<br />

aufzunehmen.<br />

Natürlich war sofort klar, daß dieser biographische<br />

Ablauf kein östlicher ist. Lebenslinien, die<br />

37<br />

unterschiedlicher gar nicht sein können. 50 Jahre<br />

Kulturdifferenz. Davon 40 Jahre in zwei Systemen,<br />

die in den anschließenden zehn Jahren staatlicher<br />

Einheit noch einmal verfestigt wurden.<br />

Doch was ist in den letzten zehn Jahren zwischen<br />

den Frauen Ost und den Frauen West passiert?<br />

Nach dem Fall der Mauer überrollte der Westen<br />

den Osten mit seinen Waren, seinen Medien, seinen<br />

Werten und Vorstellungen.<br />

Gegen die westliche Vereinnahmung versuchten<br />

wir zunächst ostdeutsche Identität zu bewahren<br />

oder besser, überhaupt erst einmal zu entwickeln.<br />

Im Westen hatten sich Frauen-Themen langfristig<br />

profiliert: § <strong>21</strong>8, Missbrauch, Pornographie, Ausländerinnen.<br />

Unsere Themen konnten das nicht<br />

sein, unser Erfahrungshintergrund, unser Bild von<br />

der Welt war ein anderes. Im Unabhängigen Frauenverband<br />

hatten wir uns immer wieder mit dem<br />

westlichen Blick auf DDR-Wirklichkeit auseinander<br />

zu setzen und machten die Erfahrung, dass die<br />

feministischen Darstellungen unsere Lebenstatsachen<br />

in dieselben Klischees pressten, die überall in<br />

den Westmedien konstruiert wurden (und zum Teil<br />

bis heute noch konstruiert werden): die Kinderkrippen<br />

als Verwahr-Anstalten, die DDR als Patriarchat<br />

der SED-Funktionäre, die Ost-Männer als<br />

bierbäuchige Pantoffelhelden in Rundstrickhosen,<br />

die Ost-Mütter von der Doppelbelastung ausgemergelt,<br />

die bedauernswerten Alleinerziehenden<br />

vor allem!<br />

Die Grenzen verschwimmen. Es ist nicht auszumachen,<br />

welche Bilder von West-Frauen und welche<br />

von West-Männern konstruiert wurden. Westerfahrungen<br />

und -sichten wurden rigoros auf den Osten<br />

übertragen.<br />

Uns fehlte Schlagfertigkeit, uns fehlten präsentable<br />

Darstellungsformen. Uns fehlten griffige Interpre-


ANDERE FRAUEN – ANDERE THEMEN<br />

Katrin Rohnstock<br />

tationen, wir lavierten unsicher, erzählten statt dessen<br />

Geschichten aus dem Alltag.<br />

Unspektakuläre Alltagsgeschichten sind nicht<br />

geeignet für die heutige Medienlandschaft. Es<br />

bedarf provokanter Thesen, überspitzter Darstellungen,<br />

die den Zeitgeist bedienen oder aber als<br />

Provokation gegen ihn funktionieren.<br />

Unsere Vergangenheit, unsere Sozialisation bot<br />

sich als noch unbearbeiteter Stoff dar. Wir suchten<br />

eigene Deutungsmuster. Die zu entwickeln,<br />

braucht Zeit und Selbstvertrauen in das eigene<br />

Urteil, dazu gehört auch der Mut, sich auf Auseinandersetzungen<br />

einzulassen und Angriffen auszusetzen.<br />

Das bedeutet, dem westlichen Definitionsanspruch<br />

einen eigenen entgegenzusetzen. Doch<br />

das Ost-West-Problem zwischen den Frauen war<br />

nicht nur ein Kommunikationsproblem als das es<br />

gern dargestellt und verniedlicht wird. Es ging um<br />

Macht und Ohnmacht. Also darum: Wer setzt sich<br />

durch, wer ist der Sieger, wer der Verlierer. Diese<br />

Fragen wurden wie so oft in der deutschen<br />

Geschichte auf der moralischen Ebene ausgetragen:<br />

Wer ist der bessere Mensch, wer war glücklicher?<br />

Wer hatte ein reicheres Leben?<br />

Die Frauen, die auf die Straße gegangen sind, um<br />

gegen den § <strong>21</strong>8 zu kämpfen? Die Frauen, die sich<br />

ganz den Kindern widmeten? Oder die Frauen, die<br />

nie um irgendetwas öffentlich kämpfen brauchten?<br />

Die gearbeitet haben und ihre Kinder aufzogen<br />

nicht mehr und auch nicht weniger. Ein kleines<br />

bescheidenes Glück, ohne Karriere, ohne Weltumsegelung,<br />

ohne New York, ohne den Duft von Chanel,<br />

ohne Handtasche von Armani oder Birkenstockschuhe.<br />

Die Mädchen sind ohne den Traum<br />

vom Märchenprinzen aufgewachsen, der Junge von<br />

nebenan füllte unsere Träume. Ohne den Schmelz<br />

von Rama, die die Sonnenstudio gebräunte Mutter<br />

auf dem sonntäglichen Tisch kredenzt.<br />

38<br />

Die Erwerbsarbeit hat in den letzten Jahren wie<br />

kein anderes Thema die ostdeutschen Frauen<br />

beschäftigt, denn hierin liegen generell die Möglichkeiten<br />

und Grenzen der Selbstentfaltung von<br />

Frauen (und Männern). Ja man könnte sagen, dass<br />

die bedrohte Berufstätigkeit zum frauenpolitischen<br />

Sprengstoff wurde. Dies hat vor allem damit zu tun,<br />

dass der politische, soziale und wirtschaftliche<br />

Transformationsprozess von Anfang an auch von<br />

dem Risiko begleitet war, dass Frauen ihre bis<br />

dahin selbstverständliche finanzielle Unabhängigkeit<br />

verlieren, ihre Integration in die Arbeitswelt<br />

aufgeben, dass sie die Entwertung ihrer Qualifikationen<br />

bis hin zum wiederholten Verlust ihres<br />

Arbeitsplatzes hinnehmen mussten. Die Themen<br />

Erwerbsarbeit und qualifizierte Berufstätigkeit<br />

haben die ostdeutschen Frauen gleichermaßen<br />

politisiert wie der Kampf gegen den § <strong>21</strong>8 die westdeutschen<br />

Frauen.<br />

In dieser Frage sind sich die meisten Frauen einig.<br />

Trotz des Imports massiver Ressentiments gegen<br />

weibliche Erwerbstätigkeit ließen sich ostdeutsche<br />

Frauen nicht von ihrem Erwerbswunsch abbringen.<br />

Und die jungen Frauen, wie an den Abiturientinnen<br />

beim Generationsgespräch zu sehen war,<br />

haben es ebenfalls zum zentralen Lebensthema<br />

gemacht.<br />

Neben der sozial-psychologischen Bedeutung von<br />

Berufstätigkeit, spielt selbstverständlich auch der<br />

finanzielle Faktor eine entscheidende Rolle.<br />

Die überwiegende Mehrheit der ostdeutschen<br />

Frauen und Männer haben keinen Besitz und können<br />

nicht auf Ersparnisse zurückgreifen, das heißt,<br />

sie haben auch kaum andere Möglichkeiten, als<br />

durch Erwerbsarbeit oder staatliche Hilfen ihre<br />

Existenz zu sichern.<br />

Die Erben-Generation, von der in den Medien jetzt<br />

soviel die Rede ist, ist westlicher Abstammung. Die


ANDERE FRAUEN – ANDERE THEMEN<br />

Katrin Rohnstock<br />

gestandenen ostdeutschen Frauen wissen, dass das<br />

von ihnen bislang praktizierte Partnerschaftsmodell<br />

(Schaeffer-Hegel), das auf der beruflichen und<br />

finanziellen Selbständigkeit beider Partner beruht<br />

und das die Teilung der Familienarbeit zur Folge<br />

hat, gefährdet ist, sobald die Frau erwerbslos wird.<br />

Damit gibt sie auch ihre Position als Geschäftsführerin<br />

der Familie aus der Hand. Deshalb widersetzen<br />

sich ostdeutsche Frauen mehrheitlich einer<br />

gesellschaftlichen Struktur, die letztlich dazu führt,<br />

dass die Erziehung des Nachwuchses wie ein privates<br />

Hobby der weiblichen Mitglieder der Gesellschaft<br />

behandelt wird. Und die jungen, bildungswilligen<br />

Frauen widersetzen sich dem Modell, in<br />

dem sie Kinder aus ihrer Lebensplanung ausklammern.<br />

Hoffentlich nicht so lange, bis die biologischen<br />

Uhren abgelaufen sind unsere Abiturientinnen<br />

haben ja dafür noch etwas Zeit.<br />

Die Familie als Erziehungsgemeinschaft ernst zu<br />

nehmen, bedeutet nicht nur, Erziehungsaufgaben<br />

als öffentliche Leistung anzuerkennen und zu<br />

unterstützen, sondern auch dafür zu sorgen, dass<br />

das Erziehungs- und Familienproblem nicht allein<br />

den Frauen überlassen bleibt, dass es durch einen<br />

entsprechenden Zuwachs an väterlicher Fürsorge<br />

und Zeit partnerschaftlich geteilt wird.<br />

Aus dieser Einsicht heraus habe ich mit meinem<br />

Medienbüro auch die Redaktion für die Väterzeitschrift<br />

PaPS übernommen. Gemeinsam mit dem<br />

verantwortlichen Redakteur Dietmar Bender und<br />

dem in Stuttgart sitzenden Herausgeber Werner<br />

Sauerborn wird die Zeitschrift erarbeitet. Sie ist ein<br />

echtes Gemeinschaftswerk für ein partnerschaftliches<br />

Verhältnis zwischen Männern und Frauen,<br />

zwischen Ost und West. Insofern ist sie auch mit<br />

ihrem redaktionellen Konzept zukunftsweisend: Sie<br />

stellt Männer als Väter in den Mittelpunkt. Wahrscheinlich<br />

ist es kein Zufall, dass nun Christine<br />

39<br />

Bergmann als Frau aus dem Osten als erste Frauenministerin<br />

in der Geschichte der Bundesrepublik<br />

eine Väterkampagne initiiert.<br />

Denn Fortschritte in der Gleichstellung der<br />

Geschlechter lassen sich langfristig nur durchsetzen,<br />

wenn auch die Bedürfnisse der Männer<br />

berücksichtigt werden und damit ein Bewusstseinswandel<br />

bei ihnen einsetzen kann. Männerpolitik<br />

müsste vielfältige flankierende Maßnahmen<br />

zur Erleichterung der Einarbeitung von Männern<br />

in ein partnerschaftliches Rollenverständnis entwickeln.<br />

Männerpolitik muss Männern die Vorteile der<br />

Gleichstellung erklären und die damit verbundenen<br />

Lebensentwürfe für sie attraktiv machen. Die<br />

aktuelle Kampagne des Familienministeriums NRW<br />

titelt deshalb treffend an Väter gerichtet: Verpass<br />

nicht die Rolle deines Lebens und setzt Männer mit<br />

Kindern ins Bild. Die Zeit drängt auf einen Rollenwandel.<br />

Auch Angela Merkel symbolisiert als Nachfolgerin<br />

von Kohl, dem ewigen Patriarchen, einen weit reichenden<br />

gesellschaftlichen Paradigmenwechsel.<br />

Selbstverständlich kann Frau Merkel als gelungener<br />

parteipolitischer Schachzug abgetan werden,<br />

doch wenn sie nicht auch mit ihrer Kultur in die<br />

heutige Zeit paßte, nicht nur im Geschlechter-Rollenverständnis,<br />

auch im Politik- und Lebensverständnis.<br />

Vielleicht ist die Interpretation zu euphorisch, diese<br />

beiden Politikerinnen zeigten zehn Jahre nach<br />

der politischen Vereinigung, dass die Kompetenz<br />

ostdeutscher Frauen für das gesamte Deutschland<br />

von Gewinn sein kann. Denn sie verfügen über eine<br />

Erfahrungskompetenz, die die westliche Orientierungslosigkeit<br />

zur Neuorientierung braucht: Das<br />

DIW stellte fest, dass seit der deutschen Vereinigung<br />

die Erwerbswünsche von nicht beschäftigten


ANDERE FRAUEN – ANDERE THEMEN<br />

Katrin Rohnstock<br />

Frauen in den alten Bundesländern verstärkt steigen.<br />

Wollte 1990 nur die Hälfte der nicht beschäftigten<br />

Frauen erwerbstätig sein, waren es 1994<br />

bereits zwei Drittel. (DIW-Wochenbericht 23/95, S.<br />

408). Dabei steigt vor allem der Erwerbswunsch<br />

von verheirateten Frauen, Müttern von Kleinkindern<br />

und Berufsrückkehrerinnen. Das heißt, dass<br />

das traditionell-bürgerliche Verständnis eine Frau,<br />

die Kinder hat, gehört ins Haus, weil sie als Mutter<br />

die einzig kompetente Erzieherin ist, dass diese<br />

Einstellung mehr und mehr aufgelöst wird zugunsten<br />

eines modernen Verständnisses: der Vereinbarkeit<br />

von Mutterschaft und Berufstätigkeit.<br />

Wo die westdeutschen und westeuropäischen Frauen<br />

als Erfahrungskollektiv noch nach Vermittlungen<br />

zwischen den traditionellen und feministischen<br />

Rollenbildern suchen, wo sie hin und her<br />

schwanken zwischen übersteigertem Selbstbewusstsein<br />

(Wozu braucht eine Frau einen Mann?)<br />

und unangemessenen Minderwertigkeitsgefühlen<br />

(Bin ich als Mutter noch sexy?), wo der kollektive<br />

Diskurs wie ein manisch-depressiver Neurotiker<br />

von einem Extrem ins andere fällt (Die missbrauchte<br />

Frau, der missbrauchte Mann), können<br />

Ostdeutsche über diese Selbstverständigungsdebatten<br />

für ein neues Geschlechterverhältnis nur<br />

abwinken: nicht ihr Thema.<br />

Für einen neuartigen Geschlechter-Vertrag, der auf<br />

Partnerschaftlichkeit zwischen Männern und Frauen<br />

abzielt, sind beide Geschlechter gefragt. Wenn<br />

die sozialen Geschlechter stets ineinander greifen,<br />

einander bedingen, so muss eine Integration der<br />

Frauen als Mütter in die (männliche) Berufswelt<br />

zur Folge haben, dass die Männer sich stärker dem<br />

Familienbereich zuwenden und damit verweiblichen.<br />

Wenn das nicht funktioniert, gibt es schwere<br />

Störungen zwischen den Geschlechtern. Männer<br />

und Frauen als kollektive Wesen landen im Chaos.<br />

40<br />

Wie sich dieser Geschlechter-Vertrag gestaltet, wie<br />

er im Alltag gelebt wird, das zu erkunden, gibt es<br />

noch keine umfassende Forschungsmethodik. Wir<br />

können in einigen Fällen zwar den soziologischen<br />

Vergleich heranziehen, darüber hinaus aber bleibt<br />

nur die genaue, vorurteilsfreie Beobachtung des<br />

Alltags. Denn der Teufel steckt im Detail. Allzu<br />

schnell haben Frauenforscherinnen und Soziologen<br />

in den vergangenen Jahren westliche Bewertungsraster<br />

auf ostdeutsche Geschlechterverhältnisse<br />

aufgedrückt. Deshalb habe ich meine Buchreihe<br />

„Ost-Westlicher Diwan“, die die Geschlechterkultur<br />

in Ost und West vergleicht, auch auf Alltagsgeschichten<br />

gebaut. Ich wollte erkunden,<br />

wodurch sich die Geschlechter-Verhältnisse in Ost<br />

und West unterscheiden.<br />

Die Ergebnisse waren bei jedem der sechs Bände<br />

aufs neue überraschend. Kleines Beispiel aus dem<br />

Buch „Sag mir wie die Väter sind2: 80 % der Ost -<br />

Väter haben nach der Trennung weiterhin Kontakt<br />

zu ihren Kindern, im Westen sind es rund 50 %.<br />

Was ja nicht nur etwas über das Engagement der<br />

Väter sagt, sondern auch über die Haltung der<br />

Mütter: Sie sind in der überwiegenden Mehrzahl<br />

der Ansicht, dass sie den Vater nicht ersetzen können.<br />

Auch wenn die westdeutsche Öffentlichkeit noch<br />

wenig die zukunftsweisenden emanzipatorischen<br />

Potenziale der im Osten sozialisierten Menschen<br />

zur Kenntnis nimmt, so setzen sich doch subversiv<br />

ostdeutsche Einstellung und Lebensmuster durch.<br />

Denn in den Einstellungen und der Alltagspraxis<br />

von ostdeutschen Frauen und Männern findet sich<br />

vereint, was seit der industriellen Revolution die<br />

Geschlechter trennte: Bildung, Berufstätigkeit,<br />

finanzielle Unabhängigkeit und Kinder.<br />

Der Abschied vom Industriezeitalter aber hat längst<br />

begonnen, vor uns steht ein dramatischer gesell-


ANDERE FRAUEN – ANDERE THEMEN<br />

Katrin Rohnstock<br />

schaftlicher Wandel: des politischen Systems, des<br />

Arbeitsmarktes und des Geschlechterverhältnisses.<br />

Die heutige Jugend muß diesen Wandel nicht nur<br />

(er)tragen, sie muß ihn anführen. Nicht nur ökonomisch.<br />

Sie wird neue Modell des Zusammenlebens<br />

entwickeln, die das Vorhandensein von Kindern<br />

ermöglichen.<br />

Ostdeutsche Erfahrungskompetenz der ganz alten<br />

Generation der in der Weimarer Republik Geborenen,<br />

sowie all der später Geborenen, die Krieg und<br />

Flucht, und hungrige Aufbaujahre erlebten, sollte<br />

für diese gesamtdeutsche Aufgabe produktiv<br />

gemacht werden.<br />

41<br />

Katrin Rohnstock wurde 1960 in Jena geboren,<br />

studierte Germanistik und Kulturwissenschaften.<br />

Sie ist Autorin und Herausgeberin der<br />

sechsbändigen Buchreihe „Ost-Westlicher<br />

Diwan“. Seit 1998 ist sie Inhaberin eines gleichnamigen<br />

Medienbüros, das im Auftrag von privaten<br />

Personen Lebensgeschichten aufschreibt.<br />

www.rohnred.de


KÖNNEN FRAUEN NICHT<br />

KAMPFSCHWIMMEN?<br />

Die Konstruktion von Männlichkeiten und Weiblichkeiten<br />

in der Bundeswehr<br />

Im Urteil des Europäischen Gerichtshofes im Fall<br />

Tanja Kreil vom Januar 2000 wurde beschieden,<br />

dass das generelle Waffendienstverbot für Frauen<br />

nach den Gleichheitsrichtlinien der EU nicht<br />

zulässig ist. Damit rückt eine weitreichende Öffnung<br />

der Bundeswehr für Frauen in greifbare<br />

Nähe. Generell gibt es einen breiten gesellschaftlichen<br />

Konsens hinsichtlich der Öffnung der Bundeswehr<br />

für Frauen, wenn der Eintritt der Frauen<br />

auf freiwilliger Basis erfolgt. So waren auch die<br />

Reaktionen auf das Urteil in der Öffentlichkeit<br />

weitgehend positiv. Die Bundeswehr wird in diesem<br />

Kontext als ein Berufsfeld wie jedes andere<br />

und des weiteren als Teil des öffentlichen Dienstes<br />

angesehen, aus dem der Ausschluss von Frauen<br />

nicht mehr als legitim gilt. Hinter dieser Fokussierung<br />

verschwindet u.E., dass das Militär zu den<br />

mächtigsten gesellschaftlichen Institutionen<br />

THEMA<br />

von Anne Mangold und Sylka Scholz,<br />

Universität Potsdam<br />

42<br />

gehört und von seinem Aufgabenspektrum nicht<br />

ein Teilarbeitsmarkt wie jeder andere ist. Weitergehend<br />

ist das Militär einer der zentralen „Produktionsorte“<br />

für gesellschaftliche Vorstellungen<br />

von Männlichkeit(en) und Weiblichkeit(en).<br />

In dem folgenden Artikel sollen deshalb die<br />

sowohl ganz praktischen als auch die symbolischen<br />

Folgen des EU-Gerichtsurteils in diesem<br />

breiteren Kontext diskutiert werden: Was erwartet<br />

Frauen, wenn sie in die Bundeswehr eintreten?<br />

Werden sich dadurch Vorstellungen von Weiblichkeit(en)<br />

verändern? Inwieweit werden sich Vorstellungen<br />

von Männlichkeit(en) im Zuge der<br />

neuen Aufgaben der NATO und des Eintritts von<br />

Frauen in die Bundeswehr wandeln? Die Beantwortung<br />

der Fragen, dies soll vorab bemerkt werden,<br />

wird dadurch erschwert, dass das Thema<br />

„Frauen in der Bundeswehr“ sowie die Funktion


KÖNNEN FRAUEN NICHT KAMPFSCHWIMMEN?<br />

Anne Mangold und Sylka Scholz<br />

des Militärs in modernen Geschlechterverhältnissen<br />

zu den Randthemen sowohl der Mainstream-<br />

Sozialwissenschaft als auch Frauen- und<br />

Geschlechterforschung gehören.<br />

In einem ersten Schritt werden wir die veränderten<br />

Aufgaben der Bundeswehr und weitergehend<br />

des Nordatlantischen Verteidigungsbündnisses<br />

skizzieren. Anschließend werden zweitens die<br />

rechtlichen Folgen des EU-Gerichtsurteils für den<br />

Eintritt von Frauen in die Bundeswehr dargestellt.<br />

In einem dritten Schritt wird gefragt, welche<br />

Bedeutung die Armee für die Konstruktion von<br />

Männlichkeit(en) bisher hatte und zukünftig<br />

haben könnte. In diesem Teil wird weitergehend<br />

die Funktion des Militärs für moderne Geschlechterverhältnisse<br />

skizziert. Viertens wird diskutiert,<br />

welche Auswirkungen eine prinzipielle Öffnung<br />

der Bundeswehr für Frauen und die Vorstellungen<br />

von Weiblichkeit(en) haben könnten.<br />

Die neuen Aufgaben der Bundeswehr<br />

Die Bundeswehr wurde im Herbst 1989 über<br />

Nacht zu einer Armee ohne Feind und hatte<br />

zugleich ihre militärische Aufgabe, die Landesverteidigung<br />

vor dem sozialistischen Gegner, verloren.<br />

Die Suche nach neuen Aufgaben respektive<br />

neuen Feinden fiel in eine günstige politische<br />

Gesamtkonstellation, stand doch auch für das<br />

Nordatlantische Verteidigungsbündnis mit dem<br />

zunehmenden Zerfall der Sowjetunion eine Neuorientierung<br />

auf der Tagesordnung.<br />

1992 verabschiedete die NATO erstmals ihr neues<br />

Programm, welches anlässlich der Feiern zum<br />

50jährigen Bestehen der NATO im April 1999 -<br />

d.h. zeitgleich zum Luftkrieg gegen Jugoslawien -<br />

überarbeitet wurde. Als neue Aufgaben, deren allgemeines<br />

Ziel die Schaffung eines stabilen Umfeldes<br />

im euro-atlantischen Raum ist, definiert die<br />

43<br />

NATO sowohl den Kampf gegen Terroristen, organisiertes<br />

Verbrechen und die unkontrollierte<br />

Bewegung einer großen Zahl von Menschen als<br />

auch gegen eine verhinderte Zufuhr wichtiger<br />

Ressourcen sowie gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen.<br />

Es ist zu konstatieren,<br />

dass die NATO sich mit dem neuen Konzept ein<br />

fast unbegrenztes inhaltliches Operationsfeld<br />

schafft. Das Verteidigungsbündnis erhebt folglich<br />

Ansprüche auf Politikfelder, die traditionell zu<br />

den Aktivitätsbereichen der Diplomatie, der Polizei<br />

oder Wirtschaftspolitik gehören. Damit verbunden<br />

ist die Gefahr einer „Verkriegerung von<br />

Konfliktlösungen“. Die Einsätze außerhalb des<br />

Bündnisgebietes sollen zwar nach den Prinzipien<br />

der UN-Charta und des Völkerrechts, aber notfalls<br />

auch ohne UN-Mandat, wie bereits im Kosovo-<br />

Konflikt praktiziert, durchgeführt werden.<br />

Aus dieser Entwicklung resultieren für die Bundeswehr<br />

vielfältige Konsequenzen. Politisch<br />

erfolgte mit der Kriegsbeteiligung am Kosovo-<br />

Krieg eine Relegitimierung des Krieges als Mittel<br />

bundesdeutscher Politik. Militärische Gewalt wird<br />

durch die Umgestaltung der Bundeswehr von<br />

einer Abschreckungsarmee zum modernen Krisenmanager<br />

verschiedenster Konflikte außerhalb<br />

des Gebietes der Bundesrepublik externalisiert.<br />

Um die Einsatzbereitschaft von sogenannten Krisenreaktionskräften,<br />

neuerdings Einsatzkräften,<br />

zu gewährleisten, sind nicht nur mehr finanzielle<br />

Mittel, sondern auch andere Rekrutierungs- und<br />

Ausbildungsstrategien von Nöten. Unter diesem<br />

Aspekt geriet die Wehrpflicht in den vergangenen<br />

Jahren immer wieder ins Kreuzfeuer der Kritik,<br />

denn der nun geforderte Soldatentypus ist nicht in<br />

einer zehnmonatigen Dienstzeit zu produzieren,<br />

sondern nur mit freiwilligen Zeitsoldaten zu realisieren.<br />

Des Weiteren können Wehrpflichtige nicht


KÖNNEN FRAUEN NICHT KAMPFSCHWIMMEN?<br />

Anne Mangold und Sylka Scholz<br />

zum Einsatz außerhalb der Landesgrenzen<br />

zwangsverpflichtet werden.<br />

Die Diskussion um die Wehrpflicht, die neben den<br />

oben genannten Veränderungen auch sehr eng<br />

mit andauernden Rekrutierungsproblemen der<br />

Bundeswehr (s.u.) verbunden ist, erhält nun<br />

durch das Urteil im Fall Tanja Kreil neue Impulse.<br />

Der Fall Kreil scheint der (vorläufige) Höhepunkt<br />

einer lang andauernden Diskussion um den Einsatz<br />

von Frauen in der Bundeswehr zu sein. Im<br />

folgenden Abschnitt wird die rechtliche Situation<br />

für den Einsatz dargestellt.<br />

Rechtliche Lage des Einsatzes von Frauen<br />

Der im Zuge der Notstandsgesetze 1968 entstandene<br />

Artikel 12 a Abs. 4 des Grundgesetzes der<br />

BRD besagt, dass Frauen im Verteidigungsfall bei<br />

Personalmangel zum Dienst im Sanitäts- und Heilwesen<br />

verpflichtet werden können. Sie dürfen<br />

jedoch „auf keinen Fall Dienst mit der Waffe leisten“.<br />

Der Gesetzestext ist jedoch so formuliert,<br />

dass er bei gutem Willen in seinem Kontext so<br />

gelesen werden kann, dass sich das Waffendienstverbot<br />

auf die verpflichteten Frauen reduziert, der<br />

freiwillige Dienst an der Waffe jedoch möglich<br />

wäre. Im Bundestag wurde damals mit der „Natur<br />

und der Bestimmung der Frau“ sowie mit deren<br />

Schutz vor Kampfhandlungen argumentiert. Auch<br />

die in späteren Jahren folgende Debatte um Frauen<br />

in der Bundeswehr wird vor allem moralisch<br />

geführt und orientiert sich nicht an empirischen<br />

Kriegs- und Krisenphänomenen. Der im Grundgesetz<br />

allgemein formulierte Frauenausschluss, der<br />

nur durch eine (zu keiner Zeit absehbaren) Zweidrittel-Mehrheit<br />

im Bundestag veränderbar ist,<br />

findet seine konkrete Ausgestaltung im § 1 Abs. 2<br />

Satz 3 Soldatengesetz und im § 3a der Soldatenlaufbahnverordnung.<br />

44<br />

Der Fall Tanja Kreil hat seit dem letzten Jahr<br />

Bewegung in die Debatte um Frauen in der Bundeswehr<br />

gebracht. Die Bewerbung der Elektronikerin<br />

Kreil für den freiwilligen Dienst bei der<br />

Bundeswehr wurde mit dem Verweis auf das Waffendienstverbot<br />

für Frauen abgelehnt. Frau Kreil<br />

klagte vor dem Bundesverwaltungsgericht Hannover.<br />

Dieses wendete sich an den Europäischen<br />

Gerichtshof (EuGH), denn die rechtliche Lage war<br />

alles andere als eindeutig. Europäisches Recht<br />

schreibt seit 1976 die Gleichbehandlung von<br />

Frauen und Männern vor (Richtlinie<br />

76/207/EWG). Demnach darf das Geschlecht von<br />

BewerberInnen nur dann von Bedeutung sein,<br />

wenn es um eine Tätigkeit geht, für die das<br />

Geschlecht aufgrund ihrer Art oder der Bedingung<br />

ihrer Ausübung eine unabdingbare Voraussetzung<br />

darstellt. Dem gegenüber steht das Recht<br />

der einzelnen EU-Staaten, über Fragen der Verteidigung<br />

grundsätzlich selbst entscheiden zu dürfen.<br />

Ein Urteil über eine britische Klage hat im<br />

letzten Jahr jedoch entschieden, dass das Gleichheitsgebot<br />

auch auf dem Gebiet der Verteidigung<br />

gilt. Somit überrascht es nicht, dass der EuGH im<br />

Januar 2000 für Frau Kreil entschied und urteilte,<br />

dass das generelle Waffendienstverbot für Frauen<br />

in der Bundeswehr gegen Europarecht verstößt.<br />

In der Öffentlichkeit all zu oft übersehen wird<br />

jedoch, dass es weiterhin den Ausschluss von<br />

Frauen aus bestimmten Bereichen geben darf,<br />

dieser muss sich nur mit der Art und der Bedingung<br />

der auszuübenden Tätigkeit begründen lassen.<br />

Dies lässt Interpretationsspielraum. Ein von<br />

Verteidigungsminister Scharping gern genanntes<br />

Beispiel sind Kampfschwimmer. Scharping argumentierte<br />

mit körperlichen Unterschieden, auf<br />

die er jedoch nicht konkret einging. In bestimmten<br />

Fällen darf also ausdrücklich das Geschlecht


KÖNNEN FRAUEN NICHT KAMPFSCHWIMMEN?<br />

Anne Mangold und Sylka Scholz<br />

der BewerberInnen statt individueller Fähigkeit<br />

ausschlaggebend bleiben.<br />

Es lässt sich feststellen, dass auf Grund der rechtlichen<br />

Situation es demnach schon seit 24 Jahren<br />

möglich wäre, den generellen Zugang von Frauen<br />

zum Militärdienst zu fordern. Dass sich gerade zu<br />

diesem Zeitpunkt eine Klägerin (übrigens mit<br />

Unterstützung des Bundeswehrverbandes) fand<br />

und das Urteil zu ihren Gunsten ausfiel, ist u. E.<br />

kein Zufall.<br />

Das EuGH-Urteil wird von Seiten der Bundeswehr<br />

überwiegend positiv aufgenommen. Quantitative<br />

und qualitative Probleme bei der Rekrutierung von<br />

Berufssoldaten waren seit der Wiederbewaffnung<br />

der BRD der Hauptgrund, warum regelmäßig das<br />

Thema „Frauen und Militär“ aufgegriffen wurde.<br />

Sie waren auch schon 1975 der Auslöser, warum<br />

Frauen als Sanitätsoffiziere zugelassen wurden.<br />

Diese mussten, anders als ihre männlichen Kollegen,<br />

ihre Ausbildung bis 1989 jedoch selbst finanzieren.<br />

Im Dienst waren sie Männern gleichgestellt,<br />

nur den Wachdienst, da als Dienst an der Waffe<br />

definiert, durften sie nicht ausführen. Die Ausbildung<br />

zum Sanitätsoffizier wird seit 1995 von jungen<br />

Frauen stärker nachgefragt als von Männern.<br />

Seit 1991 sind Frauen auch im Militärmusikdienst<br />

anzutreffen, da dieser Truppenteil im Kriegsfall in<br />

der Sanitätstruppe eingesetzt wird. Möglich wurde<br />

der Sanitätsdienst von Frauen durch die Sonderstellung<br />

von Sanitätern im Völkerrecht. Demnach<br />

besitzen sie keinen Kombattantenstatus und dürfen<br />

sich und ihre Patienten nur gegen völkerrechtswidrige<br />

Angriffe verteidigen. Auch die 120 von der<br />

Bundeswehr geförderten Spitzensportlerinnen sind<br />

als Sanitätssoldatinnen ausgebildet. Insgesamt sind<br />

gegenwärtig 4.474 Frauen als Soldatinnen in der<br />

Bundeswehr beschäftigt, davon werden 4.409 im<br />

Sanitätsdienst eingesetzt.<br />

45<br />

Durch die verfassungsgemäße Trennung von<br />

Streitkräften und ziviler Wehrverwaltung war es<br />

der Bundeswehr von Anfang an möglich, trotz des<br />

Waffendienstverbotes Frauen zu beschäftigen. So<br />

erfüllen sie als Zivilistinnen unterschiedlichste<br />

Funktionen, die in anderen Armeen von Soldaten<br />

und Soldatinnen wahrgenommen werden.<br />

Das Verteidigungsministerium ist derzeit damit<br />

beschäftigt, das EuGH-Urteil zu prüfen und umzusetzen.<br />

Vertreter verschiedener Bundeswehrabteilungen<br />

arbeiten in der kürzlich eingerichteten<br />

Steuergruppe „Frauen in den Streitkräften“ und<br />

bereiten die weitere Öffnung verschiedener Verwendungsbereiche<br />

für Frauen vor. Mit den ersten<br />

Einstellungen wird ab Anfang des kommenden<br />

Jahres gerechnet. Interesse von Seiten einiger<br />

Frauen besteht, wie die ca. 2000 Anfragen bei den<br />

Kreiswehrersatzämtern belegen.<br />

Das EuGH-Urteil macht es möglich, Militärreformen<br />

durchzuführen, die bis dato von politischer<br />

Seite verhindert wurden. Dies zeigt auch die Tatsache,<br />

dass die 1999 einberufene und von Richard<br />

von Weizsäcker geleitete Wehrstruktur-Kommission<br />

in die gleiche Richtung wie das Urteil<br />

weist: Um die Bundeswehr zukunftsfähig zu<br />

machen, schlägt sie die Zulassung von Frauen in<br />

allen Bereichen vor.<br />

Aber trotz gesetzlicher Gleichstellung und der<br />

möglichen Öffnung aller Laufbahnen der Bundeswehr<br />

im Laufe des Jahres 2001 können bestimmte<br />

Mechanismen des Frauenausschlusses wirksam<br />

sein. Sexuelle Belästigung, deren Vorhandensein<br />

von der Wehrbeauftragten angeklagt wurde, ist<br />

ein Beispiel. Ein anderes Beispiel sind körperliche<br />

Normen: Für Frauen werden die gleichen<br />

physischen Zugangsvoraussetzungen gelten, die<br />

für männliche Bewerber entwickelt wurden, sich<br />

also am “Durchschnittsmann“ orientieren. Dazu


KÖNNEN FRAUEN NICHT KAMPFSCHWIMMEN?<br />

Anne Mangold und Sylka Scholz<br />

zwei kurze Anmerkungen: Erstens lassen diese als<br />

geschlechtsneutral etikettierten Körpernormen<br />

zwar den Zugang von Frauen prinzipiell zu, können<br />

jedoch Frauen trotzdem diskriminieren,<br />

indem körperliche Fähigkeiten, die bei Frauen<br />

häufiger anzutreffen sind, wie z.B. Beweglichkeit,<br />

keine Beachtung finden, sondern eher „männliche<br />

Fähigkeiten“ wie z.B. Muskelkraft. Zweitens<br />

stellt sich im Zeitalter des hochtechnisierten Krieges<br />

die Frage nach der Wichtigkeit von physischen<br />

Voraussetzungen.<br />

Das Militär als Konstrukteur von<br />

Männlichkeit(en)<br />

Um die aktuelle Bedeutung des Militärs für die<br />

Konstruktion von Männlichkeit(en) verstehen zu<br />

können, ist zunächst eine Vergegenwärtigung der<br />

historischen Zusammenhänge notwendig. Die<br />

deutsche Figur des Staatsbürgers in Uniform ist<br />

eine „Erfindung„ des 19. Jahrhunderts, die sich<br />

im Kontext der Preußischen Militärreformen und<br />

der Nationalstaatenbildung langsam formierte.<br />

Mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht<br />

1814 wurde die Pflicht zur Verteidigung des Vaterlandes<br />

an staatsbürgerliche Rechte geknüpft.<br />

Dabei oblag die Verteidigungspflicht nur den<br />

Männern der Nation, da nur sie als waffenfähig<br />

galten, während den Frauen andere staatsbürgerliche<br />

Pflichten, insbesondere die Sorge um und<br />

Pflege der Familie, die als „Pflanzschule der Nation“<br />

galt, zukamen. Die sich allmählich durchsetzende<br />

neue Geschlechterpolarisierung, welche<br />

den Männern Berufsarbeit und Politik und den<br />

Frauen Familien- und Erziehungsarbeit zuwies,<br />

wurde somit durch das Militär verstärkt. Zugleich<br />

legitimierte die Waffenfähigkeit der Männer den<br />

Ausschluss der Frauen aus staatsbürgerlichen<br />

Rechten. Dem Militär kommt infolgedessen eine<br />

46<br />

entscheidende Rolle bei der Formierung moderner<br />

Geschlechterverhältnisse zu.<br />

Es hatte des weiteren einen großen Anteil an der<br />

Vereinheitlichung der bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts<br />

sehr vielfältigen Männlichkeitsvorstellungen.<br />

Im Laufe des 19. Jahrhunderts rückte<br />

quer zu allen bisherigen sozialen Differenzierungen<br />

unter Männern ihre Funktion als Krieger ins<br />

Zentrum. Obwohl mit der Reichsgründung alle<br />

Männer das Wahlrecht erhielten und damit die<br />

staatsbürgerlichen Rechte vereinheitlicht wurden,<br />

hatte seit diesem Zeitpunkt nicht die Figur des<br />

Staatsbürgers in Uniform, sondern die des Kriegers<br />

Konjunktur. Mit dem Deutsch-französischen<br />

Krieg 1870/71 setzte eine Militarisierung der<br />

Gesellschaft verbunden mit der Verherrlichung<br />

des Kriegers ein, die bis zum Ende des 2. Weltkrieges<br />

anhielt. Erst mit der Niederlage Deutschlands<br />

im 2. Weltkrieg verlor militarisierte Männlichkeit,<br />

die seit 1814 das hegemoniale Männlichkeitsmodell<br />

der deutschen Gesellschaft war, ihre<br />

Vormachtstellung.<br />

Mit der Wiederaufrüstung in den 50er Jahren kam<br />

die Figur des Staatsbürgers in Uniform zu neuen<br />

Ehren. Sie stellte den zentralen Bezugspunkt des<br />

vor allem von Graf Baudissin erarbeiteten Konzepts<br />

der „Inneren Führung“ dar. Dieses Konzept<br />

kann als Metapher verstanden werden, eine demokratisch-rechtsstaatliche<br />

Armee aufzubauen, die<br />

gegen militärische, faschistische und undemokratische<br />

Entwicklungen immun sein sollte. Den Kern<br />

bildete ein Reformmodell zur militärischen Menschenführung,<br />

welches sowohl die technische Ausbildung<br />

in einer hochindustrialisierten Armee als<br />

auch den politischen Anspruch der Integration der<br />

Armee in Staat und Gesellschaft umfasste. Der<br />

neue Soldatentypus, der Staatsbürger in Uniform,<br />

war nicht mehr auf den Krieg abgestellt, sondern


KÖNNEN FRAUEN NICHT KAMPFSCHWIMMEN?<br />

Anne Mangold und Sylka Scholz<br />

auf die Landesverteidigung und Friedenserhaltung.<br />

Generell rückte der Krieg in diesem Konzept in<br />

den Hintergrund, der Soldat war eher eine symbolische<br />

Gestalt der Abschreckung mit der Aufgabe,<br />

einen Angriff durch seine bloße Existenz abzuwehren.<br />

Anzumerken ist, dass diese Konzept für die<br />

Außenwirkung der Bundeswehr eine zentrale Rolle<br />

spielte, innerhalb der Bundeswehr aber nie<br />

unumstritten war.<br />

Während das Militär am Ende des 19. Jahrhundert<br />

von Zeitgenossen nicht nur als eine „Schule<br />

der Nation“, sondern auch als eine „Schule der<br />

Männlichkeit“ begriffen wurde, scheint es diese<br />

Aufgabe mit der aus dem 2. Weltkrieg resultierenden<br />

gesellschaftlichen Diskreditierung militarisierter<br />

Männlichkeit verloren zu haben. Aber der<br />

Schein trügt: Das Militär ist quantitativ immer<br />

noch eine männliche Institution, die Werte und<br />

Verhaltensweisen im Militär gelten als „männlich“.<br />

Sie haben einen Bezug zu Männlichkeitsvorstellungen<br />

in der Gesamtgesellschaft, eine Aufgabe<br />

des Militärs ist es, die soziale Kategorie<br />

Geschlecht zu differenzieren und zur Definition<br />

dessen beizutragen, was „Männer“ im Gegensatz<br />

zu „Frauen“ sind oder zu sein haben. So werden<br />

im Militär weiterhin kulturell „männliche“ Eigenschaften<br />

produziert, die im militärischen Sinn<br />

nicht notwendigerweise funktional sind. Vor allem<br />

die verschiedenen Praxen des Körpertrainings<br />

produzieren Eigenschaften wie Tapferkeit, Zähigkeit,<br />

körperliche Ausdauer und eine gewisse<br />

Aggressivität, welche für die Kampffähigkeit nicht<br />

mehr notwendig sind, sondern auf „Eigenmachtgefühl<br />

und Selbstwertgefühl des Soldaten“ zielen<br />

und vor allem für das zivile Leben von Nutzen<br />

sind. Gleiches gilt für den Nexus Männlichkeit -<br />

Autorität – Führungsanspruch, der im Militär permanent<br />

(re-)produziert wird.<br />

47<br />

Obwohl Kriege in den Hintergrund rückten, blieb<br />

die Verknüpfung von Männlichkeit und Kämpfertum<br />

erhalten, welche die Beschützerrolle der<br />

Männer rechtfertigt und ihre gesellschaftliche<br />

Dominanz über Frauen legitimiert. Dieser hegemonialen<br />

Männlichkeitsvorstellung korrespondiert<br />

eine Vorstellung von verletzlicher und<br />

schwacher Weiblichkeit. Dem Kämpfertum der<br />

Männer, das auf ihrer angeblich höheren Aggression<br />

beruhen soll, wird die höhere Friedfertigkeit<br />

von Frauen gegenübergestellt. Generell gilt, dass<br />

Kriege als Auseinandersetzungen zwischen soldatischen<br />

Männern konstruiert werden, weibliche<br />

und zivile Opfer erscheinen als bedauerliches<br />

Nebenprodukt, obwohl sie fester Bestandteil<br />

moderner Kriege sind.<br />

Konkurrenz bekommt die im Militär dominierende<br />

Vorstellung von Männlichkeit, die man begrifflich<br />

am ehesten als „traditionell“ bezeichnen<br />

könnte, seit den 80er Jahren vom Zivildienst.<br />

Häufig entscheiden sich junge Männer wegen der<br />

in der Bundeswehr präsentierten „traditionellen“<br />

Männlichkeit für den Zivildienst. Zwar kann man<br />

nicht davon ausgehen, dass im Zivildienst eine<br />

einheitliche neue Vorstellung von Männlichkeit<br />

produziert wird, er scheint aber einen nicht zu<br />

unterschätzenden Beitrag für die Erweiterung von<br />

Männlichkeitsvorstellungen um eher als ‘weiblich’<br />

konnotierte Kompetenzen wie Empathie,<br />

Fürsorge, Verantwortung für Andere übernehmen<br />

etc. zu leisten.<br />

Mit der Rückkehr des Krieges als Mittel der Politik<br />

könnte u. E. eine erneute Verschiebung von der<br />

Figur des Staatsbürgers in Uniform zum Krieger<br />

einhergehen. Die Konstruktion des Staatsbürgers<br />

in Uniform wird durch die gegenwärtigen Entwicklungen<br />

auf mindestens zwei Ebenen brüchig.<br />

Zunächst einmal rückt die traditionelle Landesver-


KÖNNEN FRAUEN NICHT KAMPFSCHWIMMEN?<br />

Anne Mangold und Sylka Scholz<br />

teidigung, das Kernstück dieser Konstruktion,<br />

immer mehr in den Hintergrund der Aufgaben der<br />

Bundeswehr. Ein Angriff auf die Bundesrepublik,<br />

dies bestätigte erneut das Gutachten der Wehrstrukturkommission<br />

unter Richard von Weizsäcker,<br />

ist unter den gegenwärtigen politischen<br />

Bedingungen nicht zu erwarten. Des Weiteren wird<br />

die Bindung staatsbürgerlicher Rechte an die<br />

Erfüllung des Wehrdienstes respektive des zivilen<br />

Ersatzdienstes mit der Umstellung der Wehrpflichtarmee<br />

auf eine Berufsarmee hinfällig. Zwar<br />

wird in der aktuellen Diskussion um die Strukturreform<br />

an der Wehrpflicht festgehalten, die starke<br />

Reduzierung der Anzahl der Wehrpflichtigen geht<br />

aber in die aufgezeigte Richtung.<br />

Mit der Reduzierung, gegebenenfalls mit der<br />

Abschaffung der Wehrpflicht könnte ein neuer Soldatentypus<br />

entstehen, der wieder stärker an<br />

militärischen und kriegerischen Werten orientiert<br />

ist. Dies resultiert nicht nur aus den neuen Aufgaben<br />

der Bundeswehr, sondern auch aus den Einstellungen<br />

eines kleineren Teils der Berufssoldaten.<br />

Für die gesamte Geschichte der Bundeswehr<br />

lassen sich starke Auseinandersetzungen zwischen<br />

den sogenannten Traditionalisten und Reformern<br />

nachweisen. Hinzu kommt, dass überwiegend junge<br />

Männer mit konservativen, teilweise rechtsextremen<br />

Vorstellungen den Wehrdienst leisten,<br />

während Männer mit liberalen oder linken Einstellungen<br />

den zivilen Ersatzdienst bevorzugen. Dies<br />

heißt nicht, dass die Bundeswehr zunehmend ein<br />

Ort von konservativen und rechtsorientierten Männern<br />

wird, die kriegerische Werte hochhalten.<br />

Zuerst einmal bietet die Bundeswehr auch für<br />

Männer einen krisensicheren Arbeitsplatz. Die<br />

weiteren Einsätze der Bundeswehr könnten aber<br />

auch zu einer erneuten steigenden Bewunderung<br />

des Militärischen in der Gesellschaft führen.<br />

48<br />

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage,<br />

was Frauen in dieser neuen Bundeswehr erwartet,<br />

welche Aufgaben ihnen zufallen, welche Vorstellungen<br />

von Weiblichkeit(en) damit verknüpft<br />

werden.<br />

Der Soldat, weiblich.<br />

Frauen in der Bundeswehr<br />

Die Bedeutung einer Öffnung der Bundeswehr für<br />

Frauen ist nur im gesellschaftlichen Kontext angemessen<br />

zu beurteilen. Zudem ist genau darauf zu<br />

achten, wie sich die Möglichkeiten für Frauen in<br />

der Bundeswehr konkret gestalten werden. Auswirkungen<br />

auf gesellschaftliche Geschlechterkonstellationen<br />

könnten auf mehreren Ebenen angesiedelt<br />

sein: Verändern sich Vorstellungen von<br />

Weiblichkeit(en) und Männlichkeit(en)? Wird die<br />

historisch als männlich und wehrhaft konstruierte<br />

Figur des Staatsbürgers durch Soldatinnen<br />

gestützt, universalisiert oder entwertet? Welche<br />

Zusammenhänge gibt es mit dem zivilen Arbeitsmarkt?<br />

Die Tatsache, dass in der Geschichte der Bundeswehr<br />

immer Personalmangel der Hauptgrund<br />

war, über die Zulassung von Frauen als Soldatinnen<br />

nachzudenken, verweist auf zwei Punkte.<br />

Erstens kann hinsichtlich der Öffnung der Bundeswehr<br />

für Frauen keinesfalls von einem von<br />

feministischer Politik erzwungenem emanzipatorischem<br />

Schritt die Rede sein. Daher ist die Öffnung<br />

kein Beispiel für aktive Frauenpolitik, sondern<br />

sie scheint eher ein vornehmlich von Männern<br />

(aus Politik und Militär) bestimmter Vorgang<br />

zu sein, der die Situation von Frauen unabhängig<br />

von deren Einflussnahme verändert.<br />

Zweitens verweist dies auf den Zusammenhang<br />

von Bundeswehr und Arbeitsmarkt. Frauen scheinen<br />

als „Personalreserve für den Notfall“ zu fun-


KÖNNEN FRAUEN NICHT KAMPFSCHWIMMEN?<br />

Anne Mangold und Sylka Scholz<br />

gieren. Das Militär ist in Deutschland ein wichtiger<br />

Arbeitgeber und Ausbilder. Auch unter Männer<br />

ist es sehr verbreitet, die Bundeswehr vor<br />

allem als Arbeitgeberin und Ausbilderin wahrzunehmen.Erheblich<br />

finanzielle Mittel werden eingesetzt,<br />

um Wehrpflichtige mit einer Ausbildung<br />

vor Jugendarbeitslosigkeit zu bewahren. Frauen<br />

bleiben dabei außen vor.<br />

Da der zivile Arbeitsmarkt noch stets zum Nachteil<br />

von Frauen in erheblichem Maße nach Branchen<br />

und Hierarchieebenen geschlechtsspezifisch segregiert<br />

ist und Frauen zudem von Arbeitslosigkeit<br />

ungleich akuter bedroht sind als Männer, kann<br />

eine Karriere in der Bundeswehr für einige von<br />

ihnen besonders erstrebenswert erscheinen. Erste<br />

Erfahrungsberichte belegen, dass Soldatinnen<br />

besonders motiviert und leistungsbereit sind und<br />

einen positiven Einfluss auf das Betriebsklima<br />

ausüben und somit von Bundeswehrseite als ein<br />

Gewinn wahrgenommen werden. Jedoch ist nicht<br />

davon auszugehen, dass in Zukunft in der Bundeswehr<br />

Frauen und Männer in gleicher Anzahl<br />

und auf gleichen Hierarchieebenen anzutreffen<br />

sein werden. Internationale Erfahrungen zeigen,<br />

dass auch in Ländern mit dementsprechenden<br />

gesetzlichen Möglichkeiten das Militär eine<br />

männliche Institution bleibt. Geschlechtsspezifische<br />

Unterschiede verstärken sich in vielen Fällen<br />

gegenüber dem zivilen Arbeitsmarkt. Zudem stellt<br />

der Ausschluss von Frauen aus bestimmten<br />

Kampfpositionen (die die europäische Rechtsprechung<br />

ausdrücklich zulässt) eine, so zeigen internationale<br />

Beispiele, erhebliche Karrierebarriere<br />

dar.<br />

Frauen in der Bundeswehr heißt nicht zwingend,<br />

dass Frauen die gleichen Tätigkeiten ausführen,<br />

wie ihre männlichen Kollegen. Dass Frauen in traditionell<br />

weiblich gedachten Tätigkeitsfeldern ver-<br />

49<br />

bleiben, zeigen die Positionen der Frauen, die bisher<br />

als Zivilangestellte bei der Bundeswehr tätig<br />

sind. Sogar die ersten von der Bundeswehr ausgebildeten<br />

weiblichen Sanitätsoffiziere stehen Frauen<br />

in der Armee außerhalb des Sanitätsdienstes<br />

durchaus skeptisch gegenüber.<br />

Soweit das Militär also als Teil des Arbeitsmarktes<br />

zu betrachten ist, werden Frauen dort voraussichtlich<br />

mit ähnlichen oder schwerwiegenderen<br />

Problemen der Benachteiligung als auf dem zivilen<br />

Arbeitsmarkt zu rechnen haben. Trotzdem<br />

kann die Öffnung für sie eine beachtliche Erweiterung<br />

der Erwerbsmöglichkeiten bringen.<br />

Eine weitere Frage ist, inwieweit sich Vorstellungen<br />

von Männlichkeit und Weiblichkeit, insbesondere<br />

der Nexus von Mann – Soldat, verändern<br />

werden. Die Kodierung des Soldaten als männlich<br />

ist durch die Anwesenheit von Frauen im Militär<br />

durchaus nicht zwingend aufgehoben. Dies zeigt<br />

sich z.B. an der strikten Verweigerung der Bundeswehr,<br />

weibliche Berufsbezeichnungen zuzulassen.<br />

Zudem sind Frauen schon rein quantitativ in<br />

so geringem Maße vertreten, dass sie das<br />

Geschlecht der Soldatenkonstruktion schwer verändern<br />

können. Auffallend ist auch, dass es keinen<br />

geschlechtsneutralen Soldaten geben kann.<br />

So wurde in einer Studie über die ersten weiblichen<br />

Sanitätsoffiziere, die in der Bundeswehr ausgebildet<br />

wurden, festgestellt, dass die anfangs<br />

„herb-strenge“ Aufmachung einiger der jungen<br />

Frauen nach dem ersten Bundeswehrjahr einer<br />

„modisch-attraktiven“ gewichen ist. Attraktivität<br />

ist hier interpretierbar als Schutz gegen das negative<br />

Klischee der vermännlichten Soldatin.<br />

Die Präsentation der Soldatinnen als Frauen wurde<br />

durch die Bundeswehr gestützt, indem, so klagten<br />

die Soldatinnen, die neu angefertigten Uniformen<br />

auf große Oberweiten zugeschnitten seien und sel-


KÖNNEN FRAUEN NICHT KAMPFSCHWIMMEN?<br />

Anne Mangold und Sylka Scholz<br />

ten säßen, und, so klagten die Soldaten, das<br />

Schmucktragen ein weibliches Privileg war.<br />

Eine Integration von Frauen, die auf traditionelle<br />

Vorstellungen von „weiblichen“ Eigenschaften der<br />

Frauen zurückgreift, ist durch die neuen Aufgaben<br />

der Bundeswehr im Rahmen internationaler<br />

Bündnisse, zumindest auf argumentativer Ebene,<br />

durchaus möglich. Humanitäre Hilfe, Friedensarbeit,<br />

Kooperation und Verwaltung sind nicht allein<br />

schon im zivilen Bereich Domänen, in denen<br />

auch Frauen arbeiten, sie erfordern auch traditionell<br />

weiblich konnotierte Fähigkeiten wie Fürsorglichkeit,<br />

Kommunikationsfähigkeit, Konfliktschlichtung<br />

u.a.. Interessant ist auch ein Blick auf<br />

die Diskussion um weibliche Beteiligung an UN-<br />

Einsätzen: Die schwedische Regierung schlug diese<br />

vor, um die Situation weiblicher Zivilisten besser<br />

wahrzunehmen und eine Untersuchungskommission<br />

der UNO hoffte, durch weibliche Soldaten<br />

die notorischen Übergriffe der männlichen UN-<br />

Soldaten auf Frauen und Kinder einzudämmen.<br />

Des Weiteren kann die enge Einbindung der Bundeswehr<br />

in die NATO auch als Wegbereiterin für<br />

die Integration von Frauen in das Militär dienen,<br />

denn Deutschland ist im Verhältnis zu seinen<br />

Bündnispartnern in diesem Bereich auffällig<br />

zurückhaltend.<br />

Die Wirkungen auf die Vorstellungen von Weiblichkeit(en)<br />

und Männlichkeit(en) sind u. E. also<br />

noch nicht ausgemacht. Weibliche Soldaten können<br />

traditionelle Geschlechterbilder wie die der<br />

„friedfertigen Frau“ und damit zusammenhängend<br />

des „aggressiveren Mannes“ durcheinander<br />

bringen, tun dies jedoch nicht zwangsläufig.<br />

Trotzdem könnte das Militär als „Schule der<br />

Männlichkeit“ durch die Anwesenheit von Frauen<br />

gestört, der Nexus Männlichkeit – Gewalt<br />

gesprengt werden.<br />

50<br />

Auf politisch-symbolischer Ebene sind die Auswirkungen<br />

eher ernüchternd, denn wurde der deutsche<br />

Staatsbürger historisch als Waffenträger konzipiert,<br />

Bürgerrechte an den Wehrdienst gekoppelt,<br />

so lässt sich gegenwärtig mit der absehbaren<br />

Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht eine<br />

Entkopplung ausmachen: Der Soldat als Staatsbürger<br />

in Uniform wird vom angestellten Spezialisten<br />

abgelöst. Somit liegt Deutschland im internationalen<br />

Trend, denn, so stellte Yuval-Davis fest,<br />

die qualitative und quantitative Beteiligung von<br />

Frauen stieg in westlichen Armeen immer dann,<br />

wenn die Bedeutung des Militärdienstes für die<br />

Staatsbürgerschaft abnahm – z.B. wenn die Wehrpflicht<br />

abgeschafft wurde.<br />

Plädoyer für Aufmerksamkeit<br />

Die generelle pazifistisch motivierte Ablehnung<br />

von Militär und Krieg in großen Teilen der deutschen<br />

Frauenforschung hatte ein Desinteresse an<br />

der Erforschung militärischer Institutionen zur<br />

Folge. Diese legitime Sichtweise hat jedoch unbeabsichtigte<br />

Auswirkungen. Auf der einen Seite entgeht<br />

ihr wichtiges Erkenntnispotential, denn das<br />

Militär ist historisch ein zentraler Ort zur Produktion<br />

vorherrschender gesamtgesellschaftlicher<br />

Vorstellungen von Männlichkeit(en) und Weiblichkeit(en).<br />

Die Mitwirkung von Frauen im<br />

militärischen Bereich kann diese Vorstellungen<br />

verwirren und herausfordern sowie möglicherweise<br />

Geschlechterverhältnisse im Militär und im<br />

zivilen Bereich beeinflussen.<br />

Auf der anderen Seite gerät eine bedeutende<br />

gesellschaftliche Institution außerhalb des forschenden<br />

Blickes. Das sich daraus ergebende<br />

Wissensdefizit erschwert politische Intervention<br />

für Veränderungen der Institution Militär. Des<br />

weiteren hat dies zur Folge, dass Frauen im


KÖNNEN FRAUEN NICHT KAMPFSCHWIMMEN?<br />

Anne Mangold und Sylka Scholz<br />

Militär, die sich z.B. mit sexueller Belästigung,<br />

Diskriminierung und Mobbing konfrontiert<br />

sehen, ohne Unterstützung von außen bleiben.<br />

51<br />

Sylka Scholz, M.A. ist Mitarbeiterin am Lehrstuhl<br />

für Frauenforschung der Universität Potsdam.<br />

Anne Mangold ist studentische Hilfskraft am<br />

Lehrstuhl für Frauenforschung der Universität<br />

Potsdam.<br />

www.uni-potsdam.de/u/<br />

frauenforschung/index.htm


Die Europäische Union will sich zum Vorreiter für<br />

die Überwindung von Ungleichbehandlungen zwischen<br />

den Geschlechtern machen und in einer<br />

breit angelegten Rahmenstrategie traditionelle<br />

Geschlechterrollen und Stereotype überwinden.<br />

Die bereits von der EU - Kommission angenommene<br />

Rahmenstrategie zum Gender - Mainstreaming<br />

sieht ein Arsenal von Maßnahmen für die Verwirklichung<br />

der Chancengleichheit zwischen Männern<br />

und Frauen in allen Bereichen der Politik, Wirtschaft<br />

und Gesellschaft vor.<br />

Ergänzt wird diese Strategie für die Jahre 2001 bis<br />

2005 durch ein spezifisches Programm, das transnationale<br />

Projekt, Gender-Sensibilisierungskampagnen<br />

und Frauennetzwerkarbeiten unterstützen wird.<br />

Heute repräsentieren 186 weibliche Abgeordnete<br />

im Europäische Parlament ca. 190 Millionen Frauen<br />

von insgesamt ca. 370 Millionen EU - Bürgern.<br />

THEMA<br />

FRAUEN GESTALTEN EUROPA<br />

Gender-Mainstreaming in der Europäischen Union –<br />

Gleiche Rechte und Chancen für die Frauen in der EU<br />

von Lissy Gröner,<br />

Mitglied des Europäischen Parlamentes<br />

52<br />

Das Europäische Parlament wurde im Juni 1999<br />

direkt in 15 europäischen Ländern gewählt.<br />

Frauen sollten die Hälfte der politischen, ökonomischen<br />

und sozialen Macht haben. Das ist das Ziel.<br />

Realität ist, daß von insgesamt 626 Sitzen rund<br />

30% von Frauen besetzt sind. Dieser Prozentsatz ist<br />

wesentlich höher als der durchschnittliche Anteil<br />

von Frauen in den nationalen Parlamenten der EU<br />

von 23,6%. Dennoch ist er von der Parität noch<br />

weit entfernt.<br />

Die Fraktion der SPE konnte den Frauenanteil auf<br />

35 % erhöhen und die deutsche Sozialdemokratie<br />

geht mit einem Frauenanteil von 42 % noch darüber<br />

hinaus.<br />

Die Quotenregelung in der SPD verpflichtet die<br />

Partei zumindest 40 % beider Geschlechter für alle<br />

Mandate zu nominieren. Sozialdemokratische<br />

Frauen verfolgen eine aktive und sichtbare Politik


des Gender - Mainstreamings, d.h. die Einbindung<br />

der Chancengleichheit in sämtliche Konzepte und<br />

Maßnahmen wie es in der Aktionsplattform der 4.<br />

Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 beschlossen<br />

wurde.<br />

Der neue EU-Kommissionspräsident Romano Prodi<br />

hat fünf Kommissarinnen von 20 berufen, darunter<br />

die Deutsche Michaele Schreyer, zuständig<br />

für Haushaltsfragen. Prodi kann also keinen Fortschritt<br />

zu der vorhergehenden Kommission unter<br />

Präsident Jaques Santer vorweisen. Auch dort gab<br />

es nur 25 % Frauen.<br />

Eine wichtige, unerfüllte Forderung ist ein formaler<br />

Frauenministerrat, welcher zweimal im Jahr<br />

tagen soll und in Gleichstellungsfragen Entscheidungsbefugnis<br />

hat. Auch die Forderung nach einer<br />

Kommissarin für Chancengleichheit und einer<br />

Generaldirektion für Gender Mainstreaming blieb<br />

bisher unerfüllt.<br />

1. Was will, was kann die EU<br />

Der Rechtsrahmen für Chancengleichheit in der EU<br />

war eng. Art 119 des EU-Vertrages, der gleiches<br />

Entgelt für gleiche Arbeit garantiert, ist jedoch von<br />

Europäischem Parlament und Europäischem<br />

Gerichtshof ständig ausgeweitet worden.<br />

Der Amsterdamer Vertrag, der seit 1. Mai 1999 in<br />

Kraft ist, schafft die Rechtsgrundlage für die Gleichstellung<br />

von Frauen und Männern, als ein Prinzip,<br />

eine Forderung und ein Ziel der Europäischen Union<br />

in Artikel 3.2.: „Bei allen in diesem Artikel<br />

genannten Tätigkeiten wirkt die Gemeinschaft darauf<br />

hin, Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung<br />

von Männern und Frauen zu fördern“.<br />

Auch Art. 13 des EU-Vertrages, mit dem Grundsatz<br />

des Verbotes jeglicher Diskriminierung aus Gründen<br />

des Geschlecht, der Rasse, der ethnischen<br />

Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung,<br />

FRAUEN GESTALTEN EUROPA<br />

Lissy Gröner<br />

53<br />

einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen<br />

Ausrichtung bietet neuen Handlungsraum für aktive<br />

Gleichstellungspolitik.<br />

Das vierte Chancengleichheitsprogramm für Frauen<br />

und Männer (1996-2000) mit einem Budget<br />

von 40 Millionen EURO, definiert Mainstreaming<br />

als die Integration von gleichen Chancen für Männer<br />

und Frauen in den Politikprozeß aller Aktivitäten<br />

und Maßnahmen der Europäischen Union und<br />

der 15 Mitgliedstaaten. Er beschreibt die Gewichtung<br />

der EU-Gleichstellungspolitik als eine horizontale<br />

Politik.<br />

Gender-Mainstreaming entwickelt sich so zum zentralen<br />

Instrument für Chancengleichheit in der<br />

Gesellschaft. Es muß uns gelingen die Gleichstellung<br />

der Frauen in der traditionellen Politik weiterhin<br />

zu verankern. Gender-Mainstreaming kann<br />

nicht eine spezifische Frauenpolitik mit positiven<br />

Maßnahmen ersetzen oder überflüssig machen:<br />

Beide sind Teile einer komplementären Strategie<br />

um die Gleichstellung von Frauen zu erreichen. Das<br />

heißt im Klartext: wir brauchen unabdingbar positive<br />

Maßnahmen zur Frauenförderung neben dem<br />

horizontalen Ansatz "Gender - Mainstreaming".<br />

2. Politikfelder des<br />

Gender-Mainstreaming in der EU<br />

Die wirtschaftlichen Veränderungen erfordern eine<br />

aktive und direkte Unterstützung von Frauen insbesondere<br />

auf dem Arbeitsmarkt, in der Aus- und<br />

Weiterbildung. Dies kann nicht allein über<br />

Aktionsprogramme zur Gleichstellung erfolgen.<br />

Das vierte Aktionsprogramm zur Chancengleichheit<br />

hatte ein Budget von 40 Millionen EURO über<br />

fünf Jahre, für mehr als 190 Millionen Bürgerinnen<br />

in allen 15 Mitgliedstaaten. Die EU Strukturfonds<br />

dagegen haben ein Volumen von 35 Milliarden<br />

EURO pro Jahr. Deren Trainings- und Qualifizie-


ungsprogramme sind die Hauptinstrumente der<br />

EU und müssen genutzt werden, um die Arbeitsmarktchancen,<br />

die Ausbildung und die Bildungssituation<br />

von Frauen zu verbessern. Die Europäische<br />

Kommission und die Mitgliedstaaten müssen sich<br />

abstimmen, um die Maßnahmen mit den anderen<br />

Gemeinschaftspolitiken, besonders mit dem Europäischen<br />

Sozialfond (ESF) und dem Europäischen<br />

Regionalen Entwicklungsfond (EFRE) zu koordinieren.<br />

Die Strukturfonds ergänzen mit den Bildungsprogrammen<br />

LEONARDO und SOKRATES die<br />

Qualifizierungspalette der EU.<br />

Die Europäische Beschäftigungsstrategie muß auf<br />

den Gleichstellungsaspekt hin untersuchen werden.<br />

Das fünfte Aktionsprogramm für Chancengleichheit<br />

von Männern und Frauen, welches die<br />

effektive Verankerung des Prinzips des Gender-<br />

Mainstreamings und den Zusammenhang der<br />

Beteiligung der Frauen in Entscheidungspositionen<br />

weiter fördert, wird ein wichtiges Instrument sein,<br />

um diese Verknüpfung voran zu bringen.<br />

3. Gender - Mainstreaming<br />

in den Institutionen der EU<br />

Der Ausschuß für die Rechte der Frau im europäischen<br />

Parlament spielt eine entscheidende Rolle<br />

bei der Umsetzung des Gleichstellungsprinzips und<br />

setzt in der europäischen Demokratie neue Impulse.<br />

Im Parlament und in der Kommission wurde ein<br />

Aktionsplan zum Gender-Mainstreaming entwickelt.<br />

Zu wünschen wäre, daß alle EU-Institutionen<br />

Gleichstellungsprogramme auflegten und Pläne mit<br />

klar formulierten Zielen, wie genaue Quoten mit<br />

Zeitrahmen, aufstellten. Die Institutionen bräuchten<br />

neue Parameter zur Beurteilung der Qualifikation<br />

bei Neueinstellungen und Weiterbildungen, ergänzt<br />

durch positive Maßnahmen zugunsten von Frauen<br />

bei der Besetzung höherer Positionen.<br />

FRAUEN GESTALTEN EUROPA<br />

Lissy Gröner<br />

54<br />

Ein interessantes Modell entwickelten die Schweden.<br />

Wer eine Führungsposition bekleiden will,<br />

muß ein "Gender - Sibilisierungstraining" durchlaufen,<br />

egal ob Minister, Gewerkschafter oder Kardinal<br />

und das gilt ebenso für Männer wie Frauen.<br />

3.1. Frauen in Entscheidungspositionen<br />

der EU<br />

Auf europäischer Ebene ist der Frauenanteil unter<br />

den Mitgliedern des Europäischen Parlaments<br />

von 26,5% im Jahre 1994 auf 29,7% im Jahre<br />

1999 gestiegen; im Wirtschafts- und Sozialausschuß<br />

beträgt der Frauenanteil 17,1%, im Ausschuß<br />

der Regionen 14,9% und im Europäischen<br />

Rat 6,5%.<br />

Um das Bewußtsein zu stärken, wurden verschiedene<br />

Maßnahmen in Form von Kampagnen, Broschüren<br />

und Konferenzen durchgeführt, doch<br />

stellt die Empfehlung vom 2. Dezember 1996<br />

über die ausgewogene Mitwirkung von Frauen<br />

und Männern am Entscheidungsprozeß die einzige<br />

direkte legislative Maßnahme in diesem<br />

Bereich dar. Auf nationaler Ebene haben sich<br />

zwei Mitgliedstaaten dafür entschieden, der<br />

Unterrepräsentanz von Frauen in der Politik mit<br />

gesetzlichen Mitteln zu begegnen. Belgien hat<br />

eine Quote für Kandidatenlisten eingeführt und<br />

Frankreich hat ein Gesetz über alternierende<br />

Wahllisten verabschiedet. Auf nationaler Ebene<br />

variiert der Anteil der Frauen in Machtpositionen<br />

von Land zu Land erheblich. In den nationalen<br />

Parlamenten reicht er von 10% - 43%. Von allen<br />

Führungspositionen in der EU ist derzeit ca. jede<br />

vierte mit einer Frau besetzt. In den letzten fünf<br />

Jahren ist in allen Mitgliedstaaten ein stetiger<br />

Anstieg zu beobachten.<br />

Andere Bereiche des Entscheidungsprozesses wurden<br />

von der EU und ihren Mitgliedstaaten jedoch


nicht angegangen. Mehr Aufmerksamkeit sollte<br />

dem Entscheidungsprozeß auf der Ebene der Sozialpartner<br />

geschenkt werden, wo Frauen stark<br />

unterrepräsentiert sind. Von den beiden wichtigsten<br />

Akteuren auf europäischer Ebene, dem EGB<br />

und der UNICE, müssen Aktionsprogramme entwickelt<br />

werden. Hier könnte eine umfassende<br />

Sammlung von nach Geschlechtern getrennten Statistiken<br />

den ersten Schritt darstellen. Die Vertretung<br />

von Frauen in Entscheidungsgremien der<br />

Gewerkschaften ist während des Zeitraums 1993-<br />

1998 europaweit von 23% auf 28% gestiegen. Im<br />

Vorstand des EGB ist der Frauenanteil von 14% im<br />

Jahre 1994 auf 24% im Jahre 1996 gestiegen.<br />

Eine ausgewogene Vertretung von Frauen und<br />

Männern in den wirtschaftlichen und finanziellen<br />

Entscheidungsprozessen ist für die Gleichstellung<br />

und den Aufstieg der Frauen von entscheidender<br />

Bedeutung. Im Privatsektor stellen Frauen in<br />

Führungspositionen nach wie vor eine Minderheit<br />

dar. Im Finanzsektor sind beispielsweise nur 8,2%<br />

der Positionen auf Direktionsebene, 18,2% der leitenden<br />

Positionen und 27,2% der Positionen in der<br />

Verwaltung mit Frauen besetzt. Im Bereich der<br />

KMU wurde die sogenannte „kritische Masse“<br />

erreicht, die nicht mehr vom anderen Geschlecht<br />

dominiert werden kann. Über 30% der kleinen<br />

und mittleren Unternehmen in Europa werden von<br />

Frauen geleitet.<br />

3.1.1. Der Ausschuß für die Rechte der Frau:<br />

Motor für Gleichstellung in der EU<br />

Der Ausschuß für die Rechte der Frau war sehr<br />

aktiv, um die Gleichstellungsgesetzgebung der EU,<br />

Förderprogramme und Antidiskriminierungsmaßnahmen<br />

voran zubringen Während der vergangenen<br />

Legislaturperiode hat der Ausschuß für die<br />

Rechte der Frau viele wegweisende Berichte<br />

FRAUEN GESTALTEN EUROPA<br />

Lissy Gröner<br />

55<br />

erstellt, wie zum Beispiel zum Thema Frauenhandel,<br />

Gewalt gegen Frauen, Frauen in der Forschung,<br />

Rolle der Frauen in den Medien und<br />

Umgang von Frauen mit neuen Technologien, zur<br />

Integration gleicher Chancen für Männer und<br />

Frauen in alle Gemeinschaftspolitiken, zum Thema<br />

gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit, zu<br />

Gesundheit und Frauen und zur Arbeitslosigkeit<br />

von Frauen. Der Ausschuß hat außerdem einen<br />

fortwährenden Dialog mit Repräsentanten der<br />

nationalen Parlamente und den internationalen<br />

Körperschaften und den Repräsentanten der Nichtregierungsorganisationen<br />

(NGO’s) geführt.<br />

Eine wichtige Bündnispartnerin für Chancengleichheit<br />

ist die Europäischen Frauenlobby (EWL), die<br />

Dachorganisation der nationalen Frauenorganisationen.<br />

Risiken für einen Rückschlag in der Gleichstellungspolitik<br />

bleiben latent vorhanden.<br />

Niemand weiß wie der Kampf für Frauenrechte in<br />

den Bereichen Arbeitslosigkeit, Menschenrechte<br />

und Frauen in Entscheidungspositionen weitergehen<br />

wird unter den veränderten Mehrheiten im<br />

Europäischen Parlament.<br />

3.2. Die Europäische Kommission:<br />

Spezielle Strukturen wurden geschaffen<br />

Unter dem Vorsitz des EU-Kommissionspräsidenten<br />

Jaques Santer wurde 1995 eine Gruppe von Kommissaren<br />

für Chancengleichheit gebildet. Die Gruppe<br />

wird unter Präsident Prodi weitergeführt und hält<br />

regelmäßig Kontakt mit dem EP und der EWL.<br />

1997 wurde die Gender-Mainstreaming Einheit mit<br />

allen Generaldirektionen gebildet, die einen jährlichen<br />

Bericht über die Entwicklung der Chancengleichheit<br />

erstellen und dem EP vorlegen. Dessen<br />

zentrales Anliegen ist, mehr Bewußtsein über<br />

Gleichstellung bei den Beamten in Brüssel und den


EU-Delegationen zu erreichen und klar zu machen,<br />

daß mehr Sensibilität inbezug auf die Benachteiligung<br />

von Frauen zu entwickeln ist. Nicht nur nach<br />

innen, sondern auch im Erweiterungsprozeß der<br />

EU und bei der Zusammenarbeit mit Drittstaaten<br />

muss diese Gender-Sensibilität exerziert werden.<br />

3.3 Andere EU-Institutionen: Geschlechtsspezifische<br />

Diskrepanz bei Entscheidungspositionen<br />

Der Vollständigkeit halber ein Blick auf die weiteren<br />

EU-Institutionen.<br />

Das Generalsekretariat des Rates stellte einen Ausschuß<br />

für gleiche Chancen (COPECV) 1992 auf.<br />

Daten über die Personalstruktur von 1997 zeigen,<br />

daß der Frauenanteil, der über 50 % des Personals<br />

ausmacht, erneut gestiegen ist: der Frauenanteil ist<br />

jedoch stark konzentriert in der Kategorie C, der<br />

Sekretariatskategorie. Der Frauenanteil in der Kategorie<br />

A und auf Ministerniveau liegt unter 20 %.<br />

Der Europäische Rechnungshof hat keinen Ausschuß<br />

für Gleichstellung und keine formale Förderpolitik.<br />

Von 15 Mitgliedern ist nur ein einziges<br />

weiblich, von sieben Direktoren ist keine eine Frau<br />

und es gibt nur eine Abteilungsleiterin von 20.<br />

Der Europäische Gerichtshof vereint 15 Richter,<br />

darunter eine Frau. Die Bundesjustizministerin<br />

Herta Däubler-Gmelin hat zum 15. Juli die zweite<br />

Richterin in der 40jährigen Geschichte dieser Institution<br />

ernannt. Die Europäische Zentralbank hat<br />

keinen formalen Gleichstellungsplan, unter acht<br />

Mitgliedern des Zentralbankrates ist eine Frau.<br />

4. Die Zukunftsperspektive:<br />

Instrumente um Gender-Mainstreming in<br />

der EU zu überprüfen<br />

Gender-Mainstreaming als innovative Strategie<br />

kann den Durchbruch einer Gleichstellungspolitik<br />

FRAUEN GESTALTEN EUROPA<br />

Lissy Gröner<br />

56<br />

für das <strong>21</strong>. Jahrhundert bewirken. Dazu müssen<br />

zusammenfassend folgende Schritte eingeleitet<br />

werden:<br />

1. Das Bewußtsein der Entscheidungsträger beiderlei<br />

Geschlechts muß geschärft werden. Die<br />

Teilnahme an obligatorischen Gleichstellungsseminaren,<br />

ähnlich wie in Schweden<br />

muss Pflicht werden für alle Führungspositionen,<br />

bis das Wissen über Gleichstellungspolitik<br />

Allgemeingut ist.<br />

3. Statistiken mit geschlechtsspezifischen Daten,<br />

sowohl quantitative als auch qualitative, sind<br />

fundamental für die Entscheidungen auf allen<br />

Politikebenen. Das gilt von der Planung bis<br />

zur Implementation, Überwachung und Evaluation<br />

von Programmen.<br />

5. Ein Gleichstellungsindex muß entwickelt werden.<br />

Damit ist eine Anzahl von zentralen<br />

empirischen Daten gemeint, die ermittelt, kalkuliert<br />

und zusammengefasst werden zu<br />

einem Index. Dieser Index drückt dann den<br />

Grad der Gleichstellung in dem jeweiligen<br />

relevanten Forschungsfeld aus.<br />

7. Gleiche Bezahlung für gleichwertige Arbeit<br />

muß sich durchsetzen. Im Durchschnitt<br />

erhalten Frauen in der EU 30% weniger Lohn<br />

als Männer, obwohl seit dem Vertrag von Rom<br />

der Europäischen Gemeinschaft 1958 der<br />

Grundsatz der gleichen Bezahlung als erstes<br />

Recht garantiert wird. Vor diesem Hintergrund<br />

sind neue Bewertungssysteme für<br />

Erwerbsarbeit zu entwickeln.<br />

9. Statistiken, Indices und Untersuchung von<br />

Diskriminierungsfällen, zusammen mit der<br />

Auswahl der „best practise“-Modelle bilden<br />

die Basis für feldspezifische Gleichstellungspläne<br />

mit Quoten und Zeitvorgaben. Dieses<br />

Benchmarking scheint eine sehr erfolgreiche


Methode für Gender-Mainstreaming zu sein.<br />

Sie kann benutzt werden um die Resultate der<br />

besten drei Länder in der Union als Messlatte<br />

für alle 15 Mitgliedstaaten zu verwenden.<br />

11. Alle internationalen Vereinbarungen müssen<br />

auf ihren Gleichstellungsgehalt, besonders auf<br />

die Berücksichtigung der Frauenrechte und<br />

Auswirkung auf die Frauen überprüft werden.<br />

Das EP fordert die Beteilugung von weiblichen<br />

Verhandlungspartnern.<br />

13. Nicht zuletzt beinhaltet Gleichstellung auch<br />

Solidarität: Solidarität zwischen reich und<br />

arm, zwischen Männern und Frauen, zwischen<br />

alt und jung, zwischen Nord und Süd,<br />

Ost und West, das ist der Anspruch des Europäischen<br />

Sozialmodells.<br />

5. Zu einem neuen europäischen Geschlechtervertrag<br />

für Frauen und Männer<br />

Gleichheit und Solidarität sind fundamentale Elemente<br />

der Menschenrechte und Basis der sozialen<br />

FRAUEN GESTALTEN EUROPA<br />

Lissy Gröner<br />

57<br />

Gerechtigkeit und der demokratischen Gesellschaft.<br />

Sozialdemokratinnen haben es so formuliert:<br />

Wer die menschliche Gesellschaft will, muß die<br />

männliche überwinden.<br />

Wir wollen<br />

die Hälfte des Himmels,<br />

die Hälfte der Erde und<br />

die Hälfte der Macht für Frauen.<br />

Lissy Gröner ist frauenpolitische Sprecherin der<br />

SPE-Fraktion im Europäischen Parlament, Vizepräsidentin<br />

der Sozialistischen Fraueninternationale<br />

(SIW) und seit 1989 Mitglied im Ausschuss<br />

für die Rechte der Frau.<br />

www.europarl.eu.int/pes/


I. Einleitung<br />

Als erstes internationales Dokument anerkannte<br />

die Satzung der Vereinten Nationen von 1945 die<br />

Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Da<br />

damals nur in dreißig der einundfünfzig Gründungsstaaten<br />

Frauen das aktive und passive Wahlrecht<br />

innehatten, stand die Schaffung der rechtlichen<br />

Gleichstellung von Frauen im Bereich der<br />

bürgerlichen und politischen Rechte im Kern der<br />

UN-Frauenpolitik bis Mitte der sechziger Jahre.<br />

Widerspiegelte die Konzentration der UN-Aktivitäten<br />

auf die klassischen Freiheitsrechte auch die<br />

tatsächliche weltweite Diskriminierung von Frauen<br />

in diesen Bereichen, so kam in ihr doch auch<br />

die politische Überzeugung der damals zahlenmäßig<br />

dominierenden westlichen Staatengruppe<br />

zum Ausdruck, die gemeinsam mit den lateinamerikanischen<br />

Staaten die Förderung der klassi-<br />

THEMA<br />

SCHUTZ VON FRAUENRECHTEN<br />

IM RAHMEN DER<br />

VEREINTEN NATIONEN<br />

Insbesondere durch das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form<br />

von Diskriminierung der Frau (CEDAW)<br />

von Dr. Norman Weiß,<br />

Universität Potsdam<br />

58<br />

schen Menschenrechte der sogenannten Ersten<br />

Generation favorisierten.<br />

Die frauenpolitische Arbeit der Vereinten Nationen<br />

fand damals wie heute vorrangig in der Kommission<br />

zur Rechtsstellung der Frau (Commission<br />

on the Status of Women) statt. Diese wurde im<br />

Februar 1946 zunächst als Unterausschuß der<br />

Menschenrechtskommission und kurz darauf als<br />

eigenständiges, ihr formal gleichgeordnetes Gremium<br />

eingerichtet. Die Kommission blieb bis Mitte<br />

der siebziger Jahre das einzige frauenspezifische<br />

Gremium in den Vereinten Nationen. Inzwischen<br />

setzt sie sich bei ihren jährlichen Tagungen<br />

aus 45 Regierungsdelegationen zusammen.<br />

Ermöglichte es das ursprüngliche Mandat der<br />

Kommission, Berichte und Empfehlungen an den<br />

Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) zur Förderung<br />

der Rechte von Frauen in den politischen,


wirtschaften und sozialen Bereichen zu erarbeiten,<br />

so ist es 1998 dahingehend erweitert worden,<br />

dass sie auch die Umsetzung der Beschlüsse der<br />

Weltfrauenkonferenzen in den Mitgliedstaaten<br />

und den UN-Institutionen überwachen soll.<br />

Die Kommission war maßgeblich am frauenspezifischen<br />

Standard Setting der Vereinten Nationen<br />

beteiligt. Das wichtigste und umfassendste frauenrechtliche<br />

völkerrechtliche Übereinkommen, das<br />

die Kommission erarbeitet hat, ist das „Übereinkommen<br />

zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung<br />

der Frau (CEDAW)“. Darüber hinaus<br />

war die Kommission auch bei der Erarbeitung von<br />

Konventionen gegen Diskriminierung von Frauen<br />

durch die internationale Arbeitsorganisation<br />

(ILO) und die UNESCO beteiligt.<br />

Als sich Ende der sechziger Jahre das Scheitern<br />

der Modernisierungsstrategie im Bereich der Entwicklungspolitik<br />

abzeichnete, waren neue entwicklungspolitische<br />

Lösungskonzepte gefragt. In<br />

diesem Zusammenhang wurde deutlich, daß<br />

Frauen von der Verschlechterung in den Ländern<br />

des Südens – Zunahme von Hunger, Armut und<br />

Krankheiten – besonders betroffen waren. Deshalb<br />

erklärte die Generalversammlung der Vereinten<br />

Nationen 1975 zum „Internationalen Jahr<br />

der Frau“ und berief die erste Weltfrauenkonferenz<br />

zu diesem Jahr nach Mexiko ein. Damit anerkannten<br />

die Vereinten Nationen erstmals die weltweite<br />

Benachteiligung von Frauen als umfassendes<br />

politisches Aufgabenfeld. Die frauenorientierten<br />

Bemühungen der Vereinten Nationen auf dem<br />

Bereich der Familienplanung einerseits sowie die<br />

Zunahme der Organisation von Frauenrechtsbewegungen<br />

in den nationalen Zivilgesellschaften<br />

andererseits taten ein übriges, um die frauenpolitische<br />

Arbeit der Organisation voranzutreiben.<br />

Das Frauenjahr und die Konferenz in Mexiko soll-<br />

SCHUTZ VON FRAUENRECHTEN<br />

Dr. Norman Weiß<br />

59<br />

ten drei Zielbereiche abdecken: Gleichberechtigung<br />

von Männern und Frauen, die Integration<br />

von Frauen in den Entwicklungsprozeß und die<br />

Beteiligung von Frauen an der Schaffung des Weltfriedens.<br />

Auf der Konferenz verabschiedeten die<br />

Teilnehmerstaaten einstimmig einen Aktionsplan,<br />

in dem eine frauenpolitische Agenda formuliert<br />

wurde, deren Schwerpunkt zunächst die Entwicklungspolitik<br />

bildete. Das „Internationale Jahr der<br />

Frau“ wurde zu einer von 1976 bis 1985 reichenden<br />

Dekade ausgeweitet, in deren Verlauf weitere<br />

Weltfrauenkonferenzen (Kopenhagen 1980 und<br />

Nairobi 1985) stattfanden. Obwohl 1981 die<br />

Frauenrechtskonvention (CEDAW) in Kraft getreten<br />

war, überwogen in den Vereinten Nationen die<br />

entwicklungs- und sozialpolitischen Strategien zur<br />

Bekämpfung der Diskriminierung von Frauen.<br />

Erst Ende der achtziger Jahre kam es zu dem<br />

bedeutsamen Paradigmenwechsel, demzufolge<br />

Frauenrechte Menschenrechte sind und in den<br />

allgemeinen Menschenrechtsdiskurs und die Verwirklichung<br />

aller Politikfelder der Vereinten<br />

Nationen integriert sind. Dies geht maßgeblich auf<br />

Ideen der internationalen Frauen-NGOs zurück,<br />

die seit Beginn der neunziger Jahre auch auf<br />

anderen Weltkonferenzen, die sich nicht ausschließlich<br />

frauenspezifischen Themen widmen, als<br />

Interessenvertretungen aufgetreten sind. Entsprechend<br />

wurde auf der Weltmenschenrechtskonferenz<br />

1993 in Wien von der Staatengemeinschaft<br />

offiziell bekräftigt: „Die Menschenrechte der<br />

Frauen und der minderjährigen Mädchen sind ein<br />

unveräußerlicher, integraler und unabtrennbarer<br />

Bestandteil der allgemeinen Menschenrechte.<br />

[…] Geschlechtsspezifische Gewalt und alle Formen<br />

sexueller Belästigung und Ausbeutung […]<br />

sind mit der Würde und dem Wert der menschlichen<br />

Person unvereinbar.“ (Wiener Erklärung


und Aktionsprogramm, Kapitel 1, Ziffer 18).<br />

Zum Abschluß dieses einleitenden Überblicks<br />

kann festgehalten werden, daß - ausgehend von<br />

der frauenspezifischen Entwicklungsarbeit - die<br />

gesamte frauenpolitische Tätigkeit der Vereinten<br />

Nationen heute vom Begriff des „Empowerment„<br />

geprägt ist. Dies gilt insbesondere für die vierte<br />

Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 und ihr<br />

Abschlußdokument, die Pekinger Aktionsplattform.<br />

Diese Aktionsplattform stellt einen programmatischen<br />

Leitfaden für die globale Frauenpolitik<br />

auf allen Ebenen dar. Sie formuliert Aufgaben<br />

für das UN-System, die Mitgliedstaaten und<br />

die betroffenen Nichtregierungsorganisationen.<br />

Wichtig ist der Nachfolgeprozeß, mit dem die<br />

Aktionsplattform Wirksamkeit erlangen soll. Die<br />

Staaten sind aufgefordert, nationale Umsetzungsstrategien<br />

vorzulegen, die im Rahmen der Vereinten<br />

Nationen im Juni 2000 diskutiert und ausgewertet<br />

worden sind.<br />

Ebenfalls neu in der gesamtfrauenpolitischen<br />

Arbeit der Vereinten Nationen ist die Strategie des<br />

sog. „Gender mainstreaming“. Mit dem Gender-<br />

Begriff wird auf die unterschiedlichen sozialen<br />

Rollenzuweisungen an Männer und Frauen in<br />

einem Geschlechterverhältnis, welches Unterordnungsbeziehungen<br />

errichtet, zurückgegriffen.<br />

Anders als beim rein frauenspezifischen Ansatz<br />

kommen so beide Geschlechter, die Strukturen,<br />

ihre Beziehungen und auch die gesellschaftlich<br />

definierten Rollen von Männern in den Blick.<br />

Bereits auf dem Wiener Gipfel 1993 wurde „Gender<br />

mainstreaming„ in die allgemeine UN-Menschenrechtsarbeit<br />

eingeführt. Ziel eines institutionalisierten<br />

„Gender mainstreaming“ ist es, die<br />

Verantwortung für die Umsetzung der Gleichberechtigung<br />

von Männern und Frauen auf alle<br />

Beschäftigten einer Organisation zu übertragen.<br />

SCHUTZ VON FRAUENRECHTEN<br />

Dr. Norman Weiß<br />

60<br />

Wichtige Instrumente hierfür sind das sog. „Gender<br />

training“, um Veränderungen in den Einstellungen,<br />

Verhaltensweisen und Motivationen zu<br />

erreichen, sowie Leitlinien zur Anwendung der<br />

Gender-<strong>Perspektive</strong> für die spezifischen Sektoren<br />

und Arbeitsaufgaben.<br />

II. Das Übereinkommen zur Beseitigung<br />

jeder Form von Diskriminierung der Frau<br />

(CEDAW)<br />

Das Übereinkommen wurde am 18. Dezember<br />

1979 von der Generalversammlung der Vereinten<br />

Nationen verabschiedet; es trat am 3. September<br />

1981 in Kraft. Das Übereinkommen gilt heute in<br />

165 Staaten (Stand Juni 2000). Zwölf Jahre nach<br />

der Erklärung zur Beseitigung der Diskriminierung<br />

von Frauen verabschiedete die Generalversammlung<br />

schließlich CEDAW, das erste internationale<br />

Rechtsdokument, das die Diskriminierung<br />

von Frauen definiert.<br />

Die Präambel des Übereinkommens betont die<br />

Verpflichtung der Vereinten Nationen und der<br />

Staaten auf die Gleichberechtigung von Mann und<br />

Frau und auf die Würde des Menschen, stellt aber<br />

fest, daß es trotz vielfältiger Bemühungen zur<br />

Beseitigung von Ungleichbehandlung weiterhin<br />

Diskriminierungen von Frauen gebe. Mit CEDAW<br />

werden Grundsätze zur Beseitigung der Diskriminierungen<br />

formuliert, zu deren Verwirklichung<br />

sich die Vertragsstaaten verpflichten.<br />

1. Aufbau und Inhalte<br />

Das Übereinkommen gliedert sich in sechs Teile.<br />

Die ersten vier Teile enthalten die materiellen<br />

Regelungen, der fünfte beschäftigt sich mit Errichtung,<br />

Organisation und Aufgaben des Kontrollgremiums,<br />

der abschließende Teil umfaßt vertragstechnische<br />

Vorschriften. Die materiellen Vor-


schriften stellen in sechzehn Artikeln substantielle<br />

Diskriminierungsverbote auf, die beinahe den<br />

gesamten Lebensbereich von Frauen abdecken.<br />

Das Übereinkommen verbietet direkte und indirekte<br />

Diskriminierungen. Dieses Verbot richtet<br />

sich vernünftigerweise nicht nur gegen den Vertragsstaat<br />

und seine Einrichtungen, vielmehr muß<br />

der Staat mittels aller geeigneten Maßnahmen<br />

auch dafür Sorge tragen, daß Diskriminierungen<br />

durch Personen, Organisationen oder Unternehmen<br />

verhindert werden.<br />

Das Übereinkommen etabliert ein Kontrollgremium,<br />

den „Ausschuß zur Beseitigung jeder Form<br />

von Diskriminierung der Frau“ (im folgenden:<br />

Ausschuß). Dieser ist in Anlehnung an ältere Vertragsorgane<br />

anderer Menschenrechtsübereinkommen<br />

als unabhängiges Expertengremium<br />

konzipiert.<br />

Ihm gehören 23 Sachverständige „von hohem sittlichen<br />

Rang und großer Sachkenntnis auf dem<br />

von dem Übereinkommen erfaßten Gebiet“ (Art.<br />

17 Abs. 1 S. 1) an. Seit 1988 ist die deutsche Amerikanistin<br />

und ehemalige Abteilungsleiterin<br />

(1987-1992) im heutigen Bundesministerium für<br />

Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Hanna<br />

Beate Schöpp-Schilling, Mitglied des Ausschusses.<br />

Bedauerlicherweise wird der Ausschuß im Übereinkommen<br />

nicht reich bedacht. Die ihm<br />

ursprünglich zuerkannte Beratungszeit lag mit<br />

„höchstens 2 Wochen“ jährlich (Art. 20 Abs. 1)<br />

deutlich unter der vergleichbarer Vertragsorgane.<br />

Bald jedoch erwies sie sich als unzureichend und<br />

wurde auf entsprechende Forderung des Ausschusses<br />

hin immer wieder durch Beschluß der<br />

Vertragsstaaten ausgeweitet. Inzwischen wurde<br />

Art. 20 Abs. 1 abgeändert und die Tagungszeit auf<br />

zweimal 3 Wochen verlängert. Bis heute haben<br />

allerdings erst <strong>21</strong> Vertragsstaaten diese Änderung<br />

SCHUTZ VON FRAUENRECHTEN<br />

Dr. Norman Weiß<br />

61<br />

ratifiziert; für ihre Wirksamkeit sind zwei Drittel<br />

der 165 Vertragsstaaten erforderlich.<br />

Der bedeutsamste Unterschied zu den anderen<br />

Vertragsorganen liegt jedoch darin, daß bislang<br />

Individualbeschwerden zum Ausschuß nicht möglich<br />

sind. Obwohl diese eher ungünstigen Ausgangsbedingung<br />

sich nur allmählich verbessert<br />

haben, konnte der Ausschuß wichtige Impulse<br />

geben. Einerseits hat er von Anfang an die eigenen<br />

Arbeitsbedingungen und Einwirkungsmöglichkeiten<br />

zu verbessern gesucht und ist hierbei immerhin<br />

mit einigen Erfolgen bedacht worden. Weiterhin<br />

hat er sich die Anerkennung einiger Vertragsstaaten,<br />

aber auch nicht weniger Rechtswissenschaftler<br />

zäh erringen müssen, die das Thema<br />

Frauenrechte als weiches Thema angesehen und<br />

den Ausschuß mitunter nicht ernst genommen<br />

haben. Bis zur 20. Sitzungsperiode im Februar<br />

1999 hatte der Ausschuß vierundzwanzig „Allgemeine<br />

Empfehlungen“ verabschiedet, in denen er<br />

einzelne Vorschriften des Übereinkommens kommentiert,<br />

das Staatenberichtsverfahren strukturiert<br />

und Hinweise zur innerstaatlichen Umsetzung<br />

des Übereinkommens gegeben hat. Neben<br />

den abschließenden Bemerkungen zu den jeweiligen<br />

Staatenberichten bilden diese Empfehlungen<br />

das Kernstück seiner Arbeit.<br />

Kehren wir zu den materiellen Inhalten des Übereinkommens<br />

zurück, so stellen wir fest, daß sich<br />

das Frauenrechtsübereinkommen auf alle Lebensbereiche<br />

von Frauen erstreckt und sämtliche Diskriminierungsformen<br />

erfaßt, denen sie ausgesetzt<br />

sind.<br />

Der Tatbestand der Diskriminierung wird in Art. 1<br />

als sowohl direkte oder beabsichtigte (Ziel) sowie<br />

als unbeabsichtigte oder indirekte (Folge) Vereitelung<br />

oder Beeinträchtigung der Anerkennung,<br />

Inanspruchnahme oder Ausübung der Menschen-


echte und Grundfreiheiten durch die Frau aufgrund<br />

einer mit ihrem Geschlecht begründeten<br />

Unterscheidung, Ausschließung oder Beschränkung<br />

definiert. Die Einschließung der unbeabsichtigten<br />

oder indirekten Diskriminierung ist<br />

deshalb besonders wichtig, weil dieser Tatbestand<br />

in vielen Ländern nicht bekannt ist oder nicht verstanden<br />

wird. Insofern erweist sich das Übereinkommen<br />

als ein wichtiges Instrument, um das<br />

Bewußtsein bei den Regierungen der Vertragsstaaten<br />

und ihren Zivilgesellschaften über diese<br />

häufige Form der Diskriminierung von Frauen zu<br />

schaffen und so darauf hinzuwirken, daß diese in<br />

ihren vielfältigen Erscheinungsformen erkannt,<br />

verboten und beseitigt wird. Da die Diskriminierung<br />

auch auf Grund des Familienstandes von<br />

Frauen verboten ist, wird - in Verbindung mit Art.<br />

16 - das herkömmliche Menschenrechtsverständnis<br />

erweitert, weil Menschenrechtsverletzungen<br />

an Frauen auch im privaten Bereich verboten<br />

werden.<br />

In Art. 2 verpflichten sich die Vertragsstaaten zu<br />

einem Bündel gesetzgeberischer und sonstiger<br />

Maßnahmen, die unverzüglich einzusetzen sind,<br />

um die rechtliche und tatsächliche Diskriminierung<br />

von Frauen zu beseitigen. Diese können auf<br />

Handlungen der Exekutive, Legislative und Rechtsprechung<br />

sowie von Privatpersonen, privaten<br />

Organisationen und Unternehmen beruhen. Der<br />

Vertragsstaat ist für deren Verhalten verantwortlich,<br />

wenn er durch einen Mangel an Sorgfalt diskriminierende<br />

Handlungen nichtöffentlicher<br />

Hoheitsträger nicht kontrolliert, korrigiert, verhindert<br />

oder bestraft.<br />

Gemäß Art. 3 sind gesetzgeberische und sonstige<br />

Maßnahmen für alle Lebensbereiche von Frauen<br />

erforderlich, um ihre volle Entfaltung und Förderung<br />

zu sichern. Dies wird durch Art. 24 ergänzt.<br />

SCHUTZ VON FRAUENRECHTEN<br />

Dr. Norman Weiß<br />

62<br />

Eine besondere Rolle nimmt Art. 4 ein: er läßt<br />

zeitweilige frauenspezifische Sondermaßnahmen<br />

zu, um die De facto-Gleichberechtigung von Mann<br />

und Frau beschleunigt herbeizuführen. Außerdem<br />

erlaubt die Vorschrift eine Garantie des Mutterschutzes.<br />

Beides gilt nicht als Diskriminierung<br />

von Männern. Die nach Art. 4 Abs. 1 zugelassenen<br />

zeitlich begrenzten Förderungen von Frauen, die<br />

von Sonderprogrammen in Bildung und Ausbildung<br />

über die bevorzugte Einstellung und Beförderung<br />

im Berufsleben bis hin zur Erlangung<br />

politische Positionen auf der Grundlage von Zielvorgaben<br />

oder Quoten reichen können, werden in<br />

vielen Vertragsstaaten nicht akzeptiert oder nur<br />

sehr zögerlich angewendet.<br />

Nach Art. 5 ist der Vertragsstaat zu allen geeigneten<br />

Maßnahmen verpflichtet, die zu einer Änderung<br />

der sozialen und kulturellen Verhaltensmuster<br />

und der stereotypen Rollenverteilung zwischen<br />

Mann und Frau sowie einer Änderung der<br />

diesen zugrunde liegenden Vorurteile und aus<br />

diesen resultierenden diskriminierenden Praktiken<br />

führen. Ziel dieser Verpflichtung ist es, eine<br />

der Wurzeln von Frauendiskriminierungen anzugehen.<br />

Diese hält sich in einigen Ländern in sehr<br />

krassen Formen, wie etwa Genitalverstümmelung<br />

oder Witwenverbrennung. Anderenorts stellen<br />

sich diese Phänomene subtiler dar, etwa was die<br />

Darstellung von Frauen in Schulbüchern oder<br />

Medien angeht. Ein weiteres Ziel des Wandels der<br />

stereotypen Rollenverteilung ist es, Männer und<br />

Frauen für die Übernahme der gemeinsamen Verantwortung<br />

im Bereich der Kindererziehung zu<br />

gewinnen.<br />

Die Abschaffung des Frauenhandels sowie der<br />

Ausbeutung der Frauen durch Prostitution wird in<br />

Art. 6 gefordert. Beide Erscheinungsformen<br />

haben in den vergangenen Jahren aufgrund der


politischen und wirtschaftlichen Transformationsprozesse<br />

in Mittel- und Osteuropa, aber auch in<br />

Mittel- und Lateinamerika sowie in Asien ein vorher<br />

nicht gekanntes Ausmaß angenommen.<br />

Nach Art. 7 und 8 ist die Diskriminierung der Frau<br />

im politischen und öffentlichen Leben ebenso wie<br />

in der Vertretung des Vertragsstaates auch internationaler<br />

Ebene verboten. In Verbindung mit der<br />

gleichzeitig durch Art. 4 Abs. 1 ermöglichten<br />

besonderen Förderung von Frauen im politischen<br />

Bereich eröffnet diese Verpflichtung die Chance,<br />

durch stärkere politische Präsenz, Mitwirkung<br />

und Teilhabe von Frauen eine tatsächlich frauenfreundlichere<br />

Politik im jeweiligen Vertragsstaat<br />

zu erreichen.<br />

Die gleichen Rechte wie Männer hinsichtlich des<br />

Erwerbs, des Wechsels oder der Beibehaltung der<br />

Staatsangehörigkeit garantiert Art. 9 den Frauen<br />

für sich selbst und für ihre Kinder. In vielen Ländern<br />

ist dieses Recht auch heute noch nicht<br />

selbstverständlich, so daß die Teilhabe von Frauen,<br />

die zum Beispiel mit einem Ausländer verheiratet<br />

sind, besonders aber von ihren Kindern, am<br />

Rechts- und Sozialsystems des jeweiligen Landes<br />

stark eingeschränkt ist.<br />

Detaillierte Maßnahmen, mit denen Diskriminierungsformen<br />

und Tatbestände im Bildungs- und<br />

Erwerbsbereich zu beseitigen sind, enthalten die<br />

Art. 10 und 11.<br />

Weiterhin erlegt Art. 12 dem Vertragsstaat sämtliche<br />

geeigneten Maßnahmen auf, mit denen die<br />

Diskriminierung von Frauen im Gesundheitsbereich<br />

zu verhindern ist und ihnen ein gleichberechtigter<br />

Zugang zum Gesundheitswesen und<br />

eine angemessene gesundheitliche Betreuung vor<br />

während und nach der Schwangerschaft zu<br />

ermöglichen ist.<br />

Diskriminierungsverbote von Frauen im wirt-<br />

SCHUTZ VON FRAUENRECHTEN<br />

Dr. Norman Weiß<br />

63<br />

schaftlichen, sozialen und kulturellen Leben werden<br />

in Art. 13 definiert; die Gleichstellung mit<br />

dem Mann vor dem Gesetz statuiert Art. 15.<br />

Sämtliche Diskriminierungsverbote werden für<br />

Frauen auf dem Lande noch einmal gesondert in<br />

Art. 14 gebündelt. Damit werden die sich kumulierenden<br />

Diskriminierungsformen und -tatbestände<br />

zur Kenntnis genommen, denen Frauen in<br />

diesem gesellschaftlichen Sektor ausgesetzt sind,<br />

der die Wirtschafts- und Sozialstrukturen nach<br />

wie vor in vielen Ländern der Welt bestimmt.<br />

Als das Übereinkommen verabschiedet wurde,<br />

waren bestimmte Diskriminierungsformen noch<br />

nicht in das politische Bewußtsein gedrungen.<br />

Deshalb wird öffentliche und private Gewalt gegen<br />

Frauen im Übereinkommen nicht ausdrücklich<br />

benannt. Diese Diskriminierungsformen und -tatbestände<br />

sind von CEDAW jedoch rechtlich erfaßt,<br />

da es jede Form der Diskriminierung verbietet<br />

und Maßnahmen auf allen Gebieten ergriffen werden<br />

müssen. Der Ausschuss hat in seinen allgemeinen<br />

Empfehlungen Nr. 12, 14, 19 und <strong>21</strong> die<br />

vielfältigen Erscheinungsformen von Gewalt gegen<br />

Frauen in allen Lebensbereichen beschrieben und<br />

diejenigen gesetzgeberischen und anderen Maßnahmen<br />

formuliert, zu denen sich ein Vertragsstaat<br />

verpflichtet, um Gewalt gegen Frauen zu verhindern,<br />

ihnen als Opfern zu helfen und die Täter<br />

zu bestrafen oder zu resozialisieren.<br />

Diese allgemeinen Empfehlungen des Ausschusses<br />

dienen der ergänzenden Auslegung des Übereinkommens;<br />

sie haben keinen „harten“ Rechtscharakter.<br />

Ergänzend sei auf weitere, wichtige<br />

Empfehlungen des Ausschusses hingewiesen: Nr.<br />

23 interpretiert die Art. 7 und 8 (Frauen im politischen<br />

und öffentlichen Leben und in der Vertretung<br />

ihres Landes auf internationaler Ebene) sehr<br />

ausführlich, Empfehlung Nr. 24 erläutert den im


Übereinkommen sehr kurz gehaltenen Art. 12<br />

(Frauen und Gesundheit). Die in Art. 16 benannten<br />

Diskriminierungsformen und -tatbestände von<br />

Frauen in Ehe und Familie werden durch Empfehlung<br />

Nr. <strong>21</strong> interpretiert. Vorgesehen ist eine weitere<br />

Empfehlung zu Art. 4 Abs. 1 (zeitweilige Sondermaßnahmen)<br />

da es hier an einer hinreichenden<br />

Umsetzung in vielen Vertragsstaaten fehlt.<br />

Besondere Bedeutung wird der gleichfalls noch<br />

zu erarbeitenden Empfehlung zu Art. 2 zukommen,<br />

mit der Verpflichtungscharakter des Übereinkommens<br />

genauer verdeutlicht werden soll.<br />

2. Wirkungen<br />

Das Frauenrechtsübereinkommen teilt das<br />

Schicksal anderer Menschenrechtsverträge, insbesondere<br />

solche auf der Ebene der Vereinten<br />

Nationen, daß seine Auswirkungen auf Rechtsordnung<br />

und -wirklichkeit der Bundesrepublik<br />

Deutschland nur schwer meßbar erscheinen.<br />

Dies liegt zum einen daran, daß die Bundesrepublik<br />

Deutschland Mitglied des Europarates und<br />

Vertragsstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention<br />

ist. Dies bedeutet, daß wesentliche<br />

menschenrechtliche Impulse von dieser Ebene<br />

ausgehen. Auf dem Gebiet der Frauenrechte, insbesondere<br />

der Gleichstellung von Mann und Frau<br />

kommt hinzu, daß dieser Bereich in deutlichem<br />

Maße durch das Recht der Europäischen Gemeinschaften<br />

geprägt wird. Zu erinnern ist hier –<br />

neben Art. 137 und 141 EGV - an die diversen<br />

Gleichstellungsrichtlinien wie Richtlinie<br />

75/117/EWG und Richtlinie 76/207/EWG. Diese<br />

europarechtlichen Vorgaben haben zum sogenannten<br />

arbeitsrechtlichen EG-Anpassungsgesetz<br />

vom 13. August 1980 geführt, das entsprechende<br />

Umsetzungsvorschriften enthält. So wurden in das<br />

Recht des Dienstvertrages § 611a BGB (allgemei-<br />

SCHUTZ VON FRAUENRECHTEN<br />

Dr. Norman Weiß<br />

64<br />

ne Gleichbehandlung) und § 612 Abs. 3 BGB<br />

(gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit) aufgenommen.<br />

Gegenüber solchen, sehr konkreten<br />

Vorgaben der regionalen Ebene haben es Regelungsgehalte<br />

des Frauenrechtsübereinkommens<br />

schwer, konkreten Niederschlag in der Rechtsordnung<br />

und -wirklichkeit der Bundesrepublik<br />

Deutschland zu finden. Hinzu treten bedeutende<br />

innergesellschaftliche Impulse, wie beispielsweise<br />

die Frauenbewegung, die manche Forderungen<br />

bereits erhoben hat, bevor diese auf der Ebene<br />

der Vereinten Nationen relevant geworden sind.<br />

Außerdem ist zu berücksichtigen, daß die völkerrechtlichen<br />

Menschenrechtsverträge – anders als<br />

EG-Recht – keinen Vorrang gegenüber nationalem<br />

Recht genießen, sondern vielmehr – wie die<br />

Konvention selbst – den Rang einfachen Bundesrechts<br />

haben. Die Stellungnahmen und Entscheidungspraxis<br />

des CEDAW-Auschusses selbst ist für<br />

die jeweiligen Vertragsstaaten nicht rechtsverbindlich.<br />

Trotz dieser grundlegenden Einschränkungen<br />

ist festzuhalten, daß der Arbeit des Ausschusses<br />

– wie auch die anderer Vertragsorgane,<br />

die mit der Überwachung der Verpflichtungen aus<br />

völkerrechtlichen Menschenrechtsverträgen<br />

betraut sind – eine nicht zu unterschätzende Rolle<br />

zukommt. Diese wird vor allem in den Staatenberichtsverfahren,<br />

die sämtlichen dieser Ausschüsse<br />

gemein sind, deutlich. Die Vertragsstaaten<br />

sind verpflichtet, nach Inkrafttreten einer<br />

Menschenrechtsvereinbarung für sie in regelmäßigen<br />

Abschnitten über die Fortschritte bei der<br />

Umsetzung der Verpflichtungen aus diesem Übereinkommen<br />

an das jeweilige Vertragsorgan –<br />

hier den CEDAW-Ausschuß – zu berichten.<br />

Diese Berichtsverfahren fordern eine umfassende<br />

Darlegung derjenigen Maßnahmen, die getroffen<br />

wurden, um die jeweiligen Verpflichtungen im


nationalen Recht und bei dessen Anwendung zu<br />

beachten und ihnen Wirksamkeit zu verschaffen.<br />

Die Ausschüsse begnügen sich dabei nicht damit,<br />

eine Aufzählung von Verfassungs- und Gesetzesbestimmungen<br />

entgegenzunehmen, mit deren<br />

Inkraftsetzen die Mitgliedsstaaten mitunter meinen,<br />

ihren Verpflichtungen genüge getan zu<br />

haben. Vielmehr ist es erforderlich, daß die<br />

Regierungen auf konkrete Maßnahmen im einzelnen<br />

eingehen und deren Auswirkungen auf die<br />

betroffenen Rechte darlegen. Die Ausschüsse sind<br />

bemüht, im Rahmen eines sogenannten konstruktiven<br />

Dialogs mit den Delegationen der Vertragsstaaten<br />

kritische Punkte bei der Umsetzung zu<br />

erörtern und gemeinsame Wege für eine Verbesserung<br />

der Situation zu finden. In den abschließenden<br />

Bemerkungen, mit denen der Ausschuß<br />

den Bericht des Staates kommentiert, werden<br />

nach einem bestimmten Muster die sogenannten<br />

positiven Aspekte angesprochen. Hieran schließt<br />

sich eine Darstellung der kritischen Punkte und<br />

Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Verpflichtungen<br />

aus dem Übereinkommen an, gefolgt von<br />

konkreten Aufforderungen oder Vorgaben des<br />

Ausschusses, wie der Staat den erkannten Problemen<br />

noch besser begegnen und die übernommenen<br />

Verpflichtungen wirksamer erfüllen kann. Im<br />

Laufe der Zeit entwickelt sich idealerweise ein<br />

aufeinander abgestimmtes Zusammenwirken von<br />

Ausschuß und Vertragsstaat, das zu einer vernünftigen<br />

Realisierung der übernommenen Verpflichtung<br />

führen kann.<br />

Gegenüber der Bundesrepublik Deutschland zeigte<br />

sich der Ausschuß beispielsweise darüber<br />

besorgt, daß trotz zwischenzeitlicher Anstrengungen<br />

die Umsetzung des Übereinkommens für<br />

Frauen in den neuen Bundesländern nach wie vor<br />

hinter dem Standard in den alten Ländern zurück-<br />

SCHUTZ VON FRAUENRECHTEN<br />

Dr. Norman Weiß<br />

65<br />

falle. Außerdem drückte er etwa seine Betroffenheit<br />

über die fortdauernden Benachteiligungen<br />

aus, die Frauen in vielen Bereichen des Arbeitslebens<br />

und der Wirtschaft erführen und weist in<br />

diesem Zusammenhang auf das Fortbestehen von<br />

Lohndifferenzen zwischen Frauen und Männern<br />

hin. Außerdem weist er beispielsweise daraufhin,<br />

daß Prostituierte noch immer nicht im Schutz des<br />

Arbeits- und Sozialrechts unterliegen, obwohl sie<br />

gesetzlich zur Zahlung von Steuern verpflichtet<br />

sind.<br />

Besondere Bedeutung kommt dem Staatenberichtsverfahren<br />

auch dabei zu, die innergesellschaftliche<br />

Diskussion im jeweiligen Vertragsstaat<br />

anzuregen. Dies kann, unbeschadet der Tatsache,<br />

daß die Berichte von den jeweiligen Regierungen<br />

erstellt werden, sowohl im Vorfeld der Berichterstellung<br />

als auch nach dem Vorliegen der abschließenden<br />

Bemerkungen des Ausschusses geschehen.<br />

Während die Regierung die Staatenberichte<br />

in eigener Verantwortung, gegebenenfalls unter<br />

Einbeziehung der Bundesländer, erstellt, sind die<br />

Zivilgesellschaft und insbesondere auf dem jeweiligen<br />

Gebiet tätige Nichtregierungsorganisationen<br />

aufgefordert, den Gegenstand des Berichts aus<br />

ihrer Sicht darzustellen und so dem Ausschuß ein<br />

möglichst komplettes Bild durch die Zusammenschau<br />

amtlicher und nichtamtlicher Stellungnahmen<br />

zu ermöglichen. Die Ausschüsse nehmen<br />

entsprechendes NGO-Material stets zur Kenntnis,<br />

gerade auch um den Regierungsdelegationen in<br />

konstruktiven Dialogen die anderen Sichtweisen<br />

auf bestimmte Problemlagen vorhalten zu können.<br />

Beinahe noch wichtiger jedoch ist die Arbeit<br />

von Nichtregierungsorganisationen nach der Stellungnahme<br />

des Ausschusses. Denn häufig ist die<br />

Rückwirkung von der Ebene der Vereinten Nationen<br />

in den jeweiligen Vertragsstaat problema-


tisch: das Interesse der Medien an entsprechender<br />

Berichterstattung ist erlahmt, die Diskussion<br />

hat sich längst anderen Fragen zugewendet und<br />

die Regierungen sind häufig nicht daran interessiert,<br />

eventuell kritische Berichte einer breiteren<br />

Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Hier schlägt<br />

nun die Stunde der Zivilgesellschaft, deren Aufgabe<br />

es sein sollte, die Stellungnahmen des Ausschusses<br />

publik zu machen. In diesem Sinne<br />

äußert sich gerade auch CEDAW:<br />

„So fordert der Ausschuß die weite Verbreitung<br />

der vorliegenden abschließenden Bemerkungen<br />

in Deutschland, um die Bevölkerung, insbesondere<br />

Regierungsbeamte und Politiker auf die Schritte<br />

hinzuweisen, die unternommen wurden um die<br />

Gleichstellung der Frauen de-jure und de-facto zu<br />

sichern und die zukünftigen Schritte, die in dieser<br />

Hinsicht erforderlich sind. Er fordert die Regierung<br />

außerdem dazu auf, das Übereinkommen<br />

und das Fakultativprotokoll dazu zu nutzen, die<br />

allgemeinen Empfehlungen des Ausschusses, die<br />

Pekinger Erklärung und die Aktionsplattform weiterhin<br />

zu verbreiten, insbesondere an Frauen und<br />

Menschenrechtsorganisationen.“<br />

III. Das Fakultativprotokoll<br />

Nach bereits früher unternommenen, aber fehlgeschlagenen<br />

Versuchen, auch das Frauenrechtsübereinkommen<br />

mit einem Individualbeschwerdeverfahren<br />

zu versehen, wurden konkrete Vorarbeiten<br />

für ein Zusatzprotokoll 1995 aufgenommen.<br />

Oberste Zielsetzungen dieses Zusatzprotokolls<br />

sind es, einerseits betroffenen Frauen ein<br />

Beschwerdeverfahren vor dem Ausschuß zu<br />

ermöglichen, andererseits dem Ausschuß selbst<br />

ein Untersuchungsverfahren in denjenigen Staaten<br />

zu erlauben, in denen schwere und systematische<br />

Diskriminierungen an Frauen vorliegen. Das<br />

SCHUTZ VON FRAUENRECHTEN<br />

Dr. Norman Weiß<br />

66<br />

Zusatzprotokoll wurde von der Generalversammlung<br />

am 6. Oktober 1999 verabschiedet. Es wird<br />

drei Monate nach der Ratifikation durch den<br />

zehnten Staat in Kraft treten. Bislang haben vierundzwanzig<br />

Staaten unterzeichnet; es liegen vier<br />

Ratifikationen (Dänemark, Frankreich, Namibia<br />

und Senegal; Stand 12. Juni 2000) vor.<br />

1. Die Individualbeschwerde<br />

Diejenigen Staaten, die das Protokoll ratifizieren,<br />

unterwerfen sich gemäß Art. 1 dem Individualbeschwerdeverfahren.<br />

Die in Anlehnung an das<br />

Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über<br />

bürgerliche und politische Rechte sogenannte<br />

Mitteilung kann von betroffenen einzelnen, einer<br />

Gruppe von betroffenen Individuen oder im<br />

Namen von Betroffenen (dann allerdings nur mit<br />

deren Zustimmung) an den Ausschuß gerichtet<br />

werden (Art. 2 FP).<br />

Eine solche Mitteilung muß schriftlich und darf<br />

nicht anonym eingelegt werden. Sie kann nur<br />

gegen Staaten gerichtet werden, die das Fakultativprotokoll<br />

ratifiziert haben.<br />

Vor der Einlegung muß der innerstaatliche<br />

Rechtsweg ausgeschöpft sein. Eine Beschwerde<br />

darf auch nicht bei einem anderen Überwachungsmechanismus<br />

anhänglich oder dort bereits<br />

entschieden worden sein. Weiterhin sind rechtsmißbräuchliche<br />

Beschwerden unzulässig.<br />

Die vorgebrachten Behauptungen müssen substantiiert<br />

dargelegt werden. Gegenstand einer<br />

Beschwerde können nur Vorkommnisse sein, die<br />

nach der Ratifikation des Fakultativprotokolls<br />

durch den betroffenen Staat eingetreten sind, es<br />

sei denn, die Diskriminierungstatbestände bestehen<br />

auch danach noch fort (Art. 4 FP).<br />

Dem Ausschuß ist es nach Art. 5 FP möglich, sich<br />

mit der dringenden Bitte an den betroffenen Ver-


tragsstaat zu wenden, sofortige Maßnahmen zu<br />

ergreifen, um irreparable Schäden für die<br />

Beschwerdeführerin zu vermeiden. Nachdem der<br />

Ausschuß die Mitteilung für zulässig erklärt hat,<br />

leitet er sie zur Stellungnahme an die Regierung<br />

weiter. Diese muß binnen sechs Monaten erfolgen.<br />

Der Ausschuß erörtert den Fall in Kamera und<br />

übermittelt seine Entscheidungen („View“) dem<br />

Vertragsstaat. Dieser soll binnen sechs Monaten<br />

eine schriftliche Stellungnahme formulieren und<br />

darin insbesondere über die Maßnahmen berichten<br />

die er zur Abhilfe und Wiedergutmachung<br />

getroffen hat (Art. 7 FP).<br />

2. Das Untersuchungsverfahren<br />

Eine besondere Neuerung stellt die in Art. 8 FP<br />

vorgesehene Kompetenz des Ausschusses dar, ein<br />

vertrauliches Untersuchungsverfahren in einem<br />

Vertragsstaat einzuleiten. Voraussetzung hierfür<br />

ist lediglich, daß ihm verläßliche Informationen<br />

über schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen<br />

in einem Vertragsstaat in bezug auf<br />

die im Übereinkommen garantierten Rechte vorliegen.<br />

Ein oder mehrere Ausschußmitglieder dürfen<br />

nach Ankündigung und mit Zustimmung des Vertragsstaates<br />

dann einreisen, um die Angelegenheit<br />

zu prüfen. Die Ergebnisse dieses Verfahrens, das<br />

demjenigen nach Art. 20 des Übereinkommens<br />

gegen Folter und andere grausame, unmenschli-<br />

SCHUTZ VON FRAUENRECHTEN<br />

Dr. Norman Weiß<br />

67<br />

che oder erniedrigende Behandlung oder Strafe<br />

nachempfunden ist, werden dem Vertragsstaat zur<br />

Kenntnis gebracht, damit dieser hierzu Stellung<br />

nehmen kann. Nach Ablauf einer 6-Monatsfrist ist<br />

es dem Ausschuß möglich, vom Vertragsstaat<br />

Informationen über die von ihm eingeleiteten<br />

Abhilfemaßnahmen zu verlangen (Art. 9 FP).<br />

Ein Staat kann jedoch bei der Ratifikation (wie<br />

auch im Fall der Anti-Folter-Konvention) das<br />

Untersuchungsverfahren gemäß Art. 10 für sich<br />

ausschließen. Diese „obting out“-Möglichkeit<br />

kann jedoch nur gleichzeitig mit der Ratifizierung<br />

in Anspruch genommen werden. Ein Widerruf<br />

dieser Erklärung ist jederzeit möglich.<br />

Das Fakultativprotokoll wird dazu dienen, die<br />

Kenntnis über CEDAW zu verbreitern und die dort<br />

garantierten Rechte effektiver zu schützen. Die im<br />

Vergleich mit dem älteren Fakultativprotokoll des<br />

Zivilpakts fortschrittlichen Regelungen über die<br />

Individualbeschwerde und das Untersuchungsverfahren<br />

sind ein spätes, aber sicher nicht verspätetes<br />

Zeichen für die heute gewachsene Akzeptanz<br />

von Frauenrechten.<br />

Dr. Norman Weiß ist wissenschaftlicher Assistent<br />

im MenschenRechtsZentrum der Universität<br />

Potsdam.<br />

http://enterprise.rz.uni-potsdam.de/<br />

u/mrz/index.htm


Jeden Tag geschieht ein kleines Wunder: In den<br />

Frauenprojekten des Marie-Schlei-Vereins verarbeiten<br />

Frauen Gemüse und Fisch, Baumwolle und<br />

Früchte, fischen, stellen Salz her, verbessern<br />

Bewässerung und Boden oder züchten Hühner<br />

und Schweine, zimmern und schreinern. Die<br />

Frauen in Afrika, Asien und Lateinamerika - Sie<br />

haben sehr unterschiedliche Lebensbedingungen.<br />

Sie alle aber wissen: „Wir tragen eine schwere<br />

Last. Wer sollte sie denn tragen, wenn nicht wir<br />

Frauen (Lied aus Simbabwe)?“<br />

Frauen haben eine von Land zu Land unterschiedliche<br />

Rolle, Funktion und Situation im Entwicklungsprozess.<br />

Sie brauchen Unterstützung bei<br />

einem von ihnen bestimmten Entwicklungsweg.<br />

Die Frauen im Süden kämpfen ums Überleben.<br />

Der Marie-Schlei-Verein hilft den Frauen, ihren<br />

THEMA<br />

„UNS KRIEGEN SIE NICHT KLEIN“<br />

Zur Lage der Frauen in Afrika, Asien und Lateinamerika<br />

von Christa Randzio-Plath,<br />

Mitglied des Europäischen Parlamentes<br />

68<br />

eigenen Weg zu gehen und zur Entwicklung ihres<br />

Landes beizutragen. Frauen geben Normen und<br />

Verhaltensweisen weiter. Die Versorgung der<br />

Bevölkerung im Süden hängt von ihnen ab, Kindererziehung,<br />

Haushalt, Hygiene, Gesundheit und<br />

die Sorge um den Alltag sind nach wie vor Frauendomäne.<br />

Dabei sind die Frauen im Süden auch<br />

weiterhin bei Bildung und Ausbildung, Ernährung<br />

und Gesundheitsvorsorge benachteiligt. Die<br />

Schuldenkrise hat ihre Lage verschärft, weil die<br />

Streichungen von Subventionen für Grundnahrungsmittel<br />

oder Personenbeförderung, die Kürzungen<br />

für Erziehung, Soziales und Gesundheitswesen<br />

aufgrund der Strukturanpassungsprogramme<br />

vor allem sie treffen.<br />

Der Frauenalltag ist mühselig und hart. Die Feminisierung<br />

der Armut im Süden hat zugenommen.


Die Zahl der Frauen, die in absoluter Armut<br />

leben, ist in den letzten 20 Jahren um 50% gestiegen,<br />

die Zahl der Männer um 30%. Noch immer<br />

sind 2/3 aller Analphabeten Frauen. Mädchen<br />

besuchen die Schule seltener und kürzer als Jungen.<br />

An Berufsausbildung haben Frauen einen<br />

geringen Anteil. Trotzdem verzweifeln sie nicht.<br />

Frauen organisieren sich - ihren Alltag und ihr<br />

Überleben. Sie wissen, was sie wollen und brauchen.<br />

Der Marie-Schlei-Verein hilft ihnen, ihre<br />

eigenen Projektideen umzusetzen.<br />

Frauen sind Opfer, aber auch Täterinnen der<br />

Umweltzerstörung in den Ländern des Südens.<br />

Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung weist<br />

Frauen eine zentrale Rolle im Umweltschutz zu:<br />

Sie sind zu über 50% in allen Ländern des Südens,<br />

im südlichen Afrika zu 80% für die Versorgung<br />

der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, mit Wasser<br />

und Brennholz, für die Feldarbeit, aber auch für<br />

Groß- und Kleintierhaltung zuständig. Um zu<br />

überleben, müssen Frauen oftmals die Natur ausbeuten,<br />

obwohl sie wissen, dass sie sich damit<br />

ihre Existenzgrundlage zerstören. Die Wege zu<br />

Wasserquellen und Brennholz werden länger, die<br />

Anlage von Gemüsebeeten wird beschwerlicher.<br />

In den Städten sinkt die Luftqualität und steigen<br />

die Erkrankungen der Atemwege. Doch die Frauen<br />

müssen an heute denken, obwohl ihnen das<br />

Aufwachen am Morgen die Umweltvernichtung<br />

bewusst macht. Sie wollen aufforsten und Boden<br />

schonen, aber ihnen fehlen Macht, Geld und technisches<br />

Wissen. Die sachgerechte Verwaltung der<br />

Umwelt, der Schutz ihrer lebenserhaltenden<br />

Systeme und der biologischen Vielfalt sind Teil der<br />

Frauenalltagsarbeit im Süden, weil sie die wichtigen<br />

Bewirtschafterinnen der Umwelt sind. Darum<br />

unterstützt der Marie-Schlei-Verein Fraueninitiati-<br />

„UNS KRIEGEN SIE NICHT KLEIN“<br />

Christa Randzio-Plath<br />

69<br />

ven, die der Ausbeutung der Umwelt ein Ende setzen<br />

wollen. Beispiele sind Wiederaufforstungs-,<br />

Tierhaltungs-, Gemüse-, Obst- und Salzprojekte.<br />

Ohne die Leistungen der Frauen im Süden werden<br />

Hunger, Armut, Unwissenheit und Gewalt nicht<br />

überwunden werden können.<br />

Deswegen stellen die UNO-Konferenzen von Rio,<br />

Kairo, Kopenhagen und Peking die Stärkung der<br />

Rolle der Frau als Schlüssel zur Entwicklung heraus.<br />

Frauen können allerdings nur dann zur<br />

umweltgerechten Entwicklung beitragen, wenn sie<br />

und ihre Pläne unterstützt werden und ihren<br />

eigenständigen Entwicklungsweg gehen können.<br />

Die Förderung ihrer Ausbildungsprojekte ist ein<br />

Schritt zur Armutsbekämpfung. Die Projekte und<br />

die Art der Ausbildung sind so vielseitig wie die<br />

Frauen, die sie planen und durchführen, und zeigen,<br />

dass Mut und Engagement Veränderungen<br />

herbeiführen können. Allen ist gemeinsam, dass<br />

die Frauen sich selbst helfen, für eine bessere<br />

Zukunft für sich und ihre Familien.<br />

Dafür setzen sie sich ein. Wir müssen ihnen dabei<br />

Partnerinnen sein. Denn – ohne Frauen geht es<br />

nicht.<br />

Frauenpolitische Bilanz 2000<br />

Fünf Jahre nach der UNO-Weltfrauenkonferenz in<br />

Peking zeigte die frauenpolitische Bilanz der Sondervollversammlung<br />

der Vereinten Nation nur<br />

wenige positive Zeichen: Die Gleichstellung von<br />

Frau und Mann wurde im Jahr 2000 nicht<br />

erreicht. Allerdings haben sich in mehr als 100<br />

Staaten die rechtlichen Rahmenbedingungen verbessert.<br />

Frauenförderung ist angesagt. Ihre<br />

Durchsetzung müssen Frauennetzwerke weltweit<br />

erzwingen.


Weltweit wird jede fünfte Frau Opfer von Gewalt.<br />

Zwei Millionen Mädchen werden jährlich<br />

beschnitten. Frauenhandel und Zwangsprostitution<br />

sind Teil einer globalisierten Sexindustrie.<br />

Jedes Jahr sterben mehr als eine halbe Million<br />

Frauen an den Folgen fehlender medizinischer<br />

Betreuung bei der Geburt. 99% der Todesfälle bei<br />

einer Schwangerschaft und 50% der Aids-Erkrankungen<br />

treffen Frauen in Afrika, Asien und Lateinamerika.<br />

Wirksamen Mutterschutz gibt es nur in<br />

29 Staaten Afrikas und Asiens. Zwei von drei Analphabeten<br />

sind Frauen. Frauen verdienen nur 50%<br />

der Männerlöhne. Zweidrittel der Menschen, die<br />

an der Armutsgrenze leben, sind Frauen. Frauen<br />

machen die Mehrheit der 1,5 Milliarden Menschen<br />

aus, die nur über einen US-Dollar pro Tag<br />

für ihren Lebensunterhalt verfügen. Die Feminisierung<br />

der Armut im vergangenen Jahrhundert<br />

konnte also nicht aufgebrochen werden. Verbote,<br />

zu erben, Land zu besitzen oder zu nutzen, tragen<br />

zur Armut bei, weil Frauen weder Zugang zu Krediten<br />

oder technischem Know-how bekommen.<br />

Sie können keine Sicherheiten bieten.<br />

35% aller Haushalte weltweit haben einen weiblichen<br />

Haushaltsvorstand. In Mittel- und Südamerika<br />

sind Ein-Eltern-Familien aus finanziellen und<br />

kulturellen Gründen Tradition. In Afrika haben<br />

wirtschaftliche Entwicklungen und Abwanderungen<br />

aus den Städten zu mehr weiblichen Haushaltsvorständen<br />

geführt. Frauen geraten auch<br />

wegen der Strukturanpassungsprobleme der<br />

internationalen Finanzinstitutionen, der Sparmaßnahmen<br />

in den Bereichen Gesundheit, Bildung<br />

und Verkehr und anderen unzureichenden sozialen<br />

Leistungen in die Armutsfalle. Auch Armutsmigration,<br />

Umweltkatastrophen und Flüchtlingsströme<br />

verändern die Familienstrukturen und über-<br />

„UNS KRIEGEN SIE NICHT KLEIN“<br />

Christa Randzio-Plath<br />

70<br />

lassen den Frauen die Verantwortung für die<br />

Familie. In den Entwicklungsländern sind die<br />

Ärmsten der Armen die ländlichen und städtischen<br />

Haushalte, die einen weiblichen Hausvorstand<br />

haben, gefolgt von denen, die von dem Einkommen<br />

der Frau abhängen - sie liegen unter<br />

dem Existenzminimum. Insbesondere im südlichen<br />

Teil Afrikas sind alleinerziehende Frauen<br />

als Folge der Migration der Männer und der<br />

Neuaufteilung von Grund und Boden ein neues<br />

Phänomen.<br />

Die Globalisierung hat die Erwerbstätigkeit der<br />

Frauen gefördert, mehr Frauen denn je gehen<br />

einer bezahlten Erwerbstätigkeit nach, vor allem<br />

im Dienstleistungssektor. Während es in Afrika<br />

und Asien keine geschlechtsspezifische Beschäftigungszunahme<br />

gibt, ist die Zuwachsrate bei den<br />

weiblichen Erwerbstätigen in Lateinamerika mehr<br />

als dreimal so hoch wie die der Männer. In den<br />

Entwicklungsländern sind vergleichbare Angaben<br />

nur schwer möglich, weil die Hauptzahl der<br />

Arbeitsplätze der Frauen im informellen Sektor<br />

angesiedelt ist. Sie stellen 60 bis 80% der<br />

Beschäftigten. Frauen sind besonders von den<br />

Veränderungen und Entwicklungen auf dem<br />

Arbeitsmarkt betroffen. Neue typische Frauenarbeitsplätze<br />

entstanden im Zeichen der Globalisierung<br />

in den Exportzonen einiger Entwicklungsländer<br />

mit ihren niedrigen Löhnen für arbeitsintensive<br />

Produktionen oder Datenverarbeitung.<br />

Globalisierungswirkungen sowie die Kommunikationstechnologien<br />

haben Frauen zu neuen Arbeitsplätzen<br />

verholfen, jedoch häufig in prekären<br />

Arbeitsverhältnissen ohne soziale Absicherung<br />

und Ansehen. So wird die Frau als Arbeitskraft<br />

zum Standortvorteil einer Region oder eines Landes,<br />

wenn es um Unternehmensansiedlungen


oder die Auslagerung von Produktionen und<br />

Dienstleistungen geht. Im Textilbereich liegt der<br />

Frauenanteil an den Beschäftigten bei fast 90%, in<br />

den freien Produktionszonen bei rund 70%.<br />

Andererseits führt die fortschreitende Technologisierung<br />

auch zu einem Verlust von Frauenarbeitsplätzen,<br />

weil die Rationalisierungsinvestitionen<br />

rentabler wurden als der Einsatz weiblicher<br />

Arbeitskräfte. So sank in den frauentypischen<br />

Berufen der Industriebetriebe in Mexiko und Singapur<br />

der Frauenanteil seit dem Ende der 80er<br />

Jahre von 80 auf 60%. Die Asienkrise hat nach<br />

Schätzungen zu mindestens 10 Millionen zusätzlichen<br />

Arbeitslosen geführt, betroffen waren vor<br />

allem Frauen. In allen Staaten besteht die Lohndiskriminierung<br />

fort. Frauenlöhne für gleiche und<br />

gleichwertige Arbeit betragen rund 75% der Männerlöhne.<br />

Allerdings gibt es auch Ausnahmen: In<br />

Tansania, Vietnam und Sri Lanka verdienen die<br />

Frauen 90% oder mehr der Männerlöhne.<br />

Zunehmend mehr Frauen werden Unternehmerinnen<br />

als Alternative zur Arbeitslosigkeit. Die<br />

Selbständigkeit als Händlerin hat in vielen Staaten<br />

Tradition. In allen Entwicklungsländern gab und<br />

gibt es erfolgreiche Unternehmerinnen. Heute<br />

sind 10% aller Unternehmensgründungen in Nordafrika<br />

Existenzgründungen von Frauen. In den<br />

Entwicklungsländern sind weibliche Selbständige<br />

stark verbreitet. Sie machen in Afrika rund 50%<br />

aller Selbständigen aus. Für sie sind Mikrokredite<br />

ein guter Förderansatz. Er muss aber mit Beratung<br />

und beruflicher Qualifizierung einhergehen.<br />

Immer mehr Frauen in verschiedenen Kontinenten<br />

arbeiten jedoch im informellen Sektor, der<br />

durch schlechte Arbeitsbedingungen, extrem<br />

schlechte Einkommenschancen und soziale Unsi-<br />

„UNS KRIEGEN SIE NICHT KLEIN“<br />

Christa Randzio-Plath<br />

71<br />

cherheit geprägt ist. Für Indien wird geschätzt,<br />

dass 94% der Frauen nicht im formellen Sektor<br />

beschäftigt sind. Vielfach hängen sie von Heimarbeit<br />

als Geldquelle ab. 80% der erwerbstätigen<br />

indischen Frauen sind in der Landwirtschaft tätig,<br />

die ihnen keinen Zugang zu Geldeinkommen vermittelt.<br />

Hinzu kommen gesellschaftliche Diskriminierungen<br />

und die Familienpflichten als Frau.<br />

Auch deswegen arbeiten Frauen durchschnittlich<br />

mehr Stunden am Tag als Männer. In den Entwicklungsländern<br />

entfällt auf Frauen ein Arbeitsanteil<br />

von durchschnittlich 53% der Arbeitszeit.<br />

Das Recht der Frauen auf Bildung wurde im 20.<br />

Jahrhundert in vielen Staaten durchgesetzt. Dennoch<br />

sind immer noch zwei von drei Analphabeten<br />

Frauen. 1995 besuchten weltweit 24,5% aller<br />

Mädchen keine Schule. In Südostasien ist es für<br />

ein Drittel und in Afrika sogar für mehr als die<br />

Hälfte der Mädchen unwahrscheinlich, dass sie<br />

eine Schule besuchen werden. Die Analphabetenrate<br />

der Frauen ist in 40 UN-Mitgliedstaaten um<br />

20%, in 66 UN-Mitgliedstaaten um 10% höher als<br />

die der Männer. Dennoch ist weltweit der Bildungsstand<br />

der Frauen insgesamt gestiegen, der<br />

Trend geht überall nach oben. Dabei korrelieren<br />

der Entwicklungsstand von Staaten und Regionen<br />

insgesamt und der Alphabetisierungsgrad der<br />

Frauen in einem starken Maße. Auffällig ist der<br />

Zusammenhang zwischen den Schulbesuchen der<br />

Mädchen im Sekundarbereich und dem Pro-Kopf-<br />

Bruttosozialprodukt. Die Weltwirtschafts- und<br />

Finanzkrisen verlangsamen den Trend, können<br />

aber das Aufholen der Mädchen und Frauen in<br />

der Bildung nicht aufhalten. Schließlich haben<br />

Investitionen in die Bildung von Mädchen durch<br />

ihre Auswirkung auf Entwicklung, Familienplanung<br />

und Modernisierung eine höhere volkswirt-


schaftliche Rendite als Bildungsinvestitionen in<br />

Jungen. Für Kenia beispielsweise ergaben Berechnungen,<br />

dass mit Ertragssteigerungen in der<br />

Landwirtschaft um 7 bis 22% zu rechnen wäre,<br />

wenn Frauen und Männer gleich gut ausgebildet<br />

wären. Wenn in 72 Entwicklungsländern doppelt<br />

so viele Frauen eine höhere Schulausbildung<br />

bekommen würden, könnte nach Berechnungen<br />

der UN-Organisationen die Kindersterblichkeit in<br />

diesen Ländern um über 60% sinken.<br />

Dennoch sind Geldknappheit der Eltern und Familienpflichten<br />

der Mädchen immer noch Ursache<br />

für vorzeitigen Schulabbruch. Ausserdem bleibt<br />

Mädchenbildung in vielen Ländern immer noch<br />

von Geschlechtsstereotypen geprägt. Die meisten<br />

Berufsausbildungsangebote wenden sich an Männer.<br />

Selbst zu nicht-formaler Ausbildung in der<br />

Landwirtschaft haben nur 15% der Frauen<br />

Zugang. Staaten, die mehr in Mädchen investieren<br />

und höhere Einschulungsquoten haben als andere,<br />

haben bessere Entwicklungsperspektiven als<br />

andere. Nur 4% der weltweiten Militärausgaben<br />

wären erforderlich, um die Analphabetenrate zu<br />

halbieren und die Chancengleichheit durchzusetzen.<br />

Frauenpolitische <strong>Perspektive</strong>n<br />

Auf der Peking+5-Konferenz im Juni 2000 in New<br />

York wurde die Wichtigkeit der Ziele, die bereits<br />

1995 auf der IV. Weltfrauenkonferenz in Peking<br />

festgelegt wurden, nochmals bestätigt. Gleichstellung<br />

der Männer und Frauen, Gleichberechtigung<br />

in der Gesellschaft, im Beruf, in der Ausbildung<br />

und in der Familie stehen dabei an oberster Stelle<br />

neben der Verhütung von Gewalt und der Anerkennung<br />

der Menschenrechte der Frauen. Fünf<br />

Jahre nach der Schaffung der Aktionsplattform ist<br />

„UNS KRIEGEN SIE NICHT KLEIN“<br />

Christa Randzio-Plath<br />

72<br />

die Situation der Frauen in vielen Ländern immer<br />

noch kritisch. Zwar hat es Fortschritte im Bereich<br />

der nationalen Gesetzgebung gegeben. Doch die<br />

Anerkennung der fundamentalen Rechte der<br />

Frauen und ihr Schutz sind noch nicht in allen<br />

Staaten durchgesetzt. Für die Frauen im Süden<br />

steht die Armutsbekämpfung an erster Stelle. Die<br />

geringen Fortschritte insbesondere in Südasien<br />

und in Afrika südlich der Sahara müssen zu verstärkter<br />

Entwicklungszusammenarbeit im Interesse<br />

der Frauen führen. 0,7% des Bruttosozialprodukts<br />

sind wenig genug. Aber müssen sie jedenfalls<br />

von Europa geleistet werden. In die deutsche<br />

und europäische Entwicklungsarbeit muss die<br />

Gleichstellung der Geschlechter in alle Entwicklungsvorhaben<br />

integriert werden. Umfangreiche<br />

Mittel müssen nicht nur für die rechts- und sozialpolitische<br />

Beratung, sondern auch für das berufliche<br />

und ökonomische Empowerment der Frauen<br />

zur Verfügung gestellt werden.<br />

Die Sicht der Frauen-Forderungen an die Entwicklungszusammenarbeit<br />

Die Sicht der Frauen muss noch stärker als bisher<br />

in die Entwicklungszusammenarbeit einbezogen<br />

werden. Folgende Forderungen sind von Bedeutung:<br />

1) Die Frauen haben das Recht, den Entwicklungsprozess<br />

ihres Landes mitzubestimmen<br />

und an der Entwicklung des Landes teilzuhaben,<br />

weil sie die gleichen Rechte wie Männer<br />

haben. Dieser Anspruch ergibt sich nicht nur<br />

aus der UNO-Charta und internationalen Konventionen,<br />

sondern auch aus der Mehrzahl der<br />

nationalen Verfassungen der Länder.<br />

2) Die Interessen und Bedürfnisse der Frauen<br />

sind in den Entwicklungsprozess wie schon in<br />

die Entwicklungsplanung und die Entwick-


lungsprozesse über Entwicklungszusammenarbeit<br />

einzubeziehen. Frauen sind nicht als integrationsbedürftige<br />

Objekte zur Produktivitätssteigerung<br />

und Steuerung der Familienplanung,<br />

sondern als handelnde Subjekte zu betrachten.<br />

3) Strukturveränderungen der Gesellschaft müssen<br />

im Mittelpunkt von Entscheidungen stehen.<br />

Daher müssen alle entwicklungspolitischen<br />

Maßnahmen dahingehend geprüft werden,<br />

inwieweit sie negativ oder positiv die Interessen<br />

und Bedürfnisse der Frauen beeinflussen und<br />

inwieweit sie positiv zu von Frauen vorgeschlagenen<br />

Strukturveränderungen beitragen oder<br />

diese möglich machen.<br />

4) Wir wissen, dass Kapitalismus und Patriachat<br />

überall eine gelungene Verbindung eingegangen<br />

sind, die Frauen in der sogenannten Dritten<br />

Welt zu Ausbeutungsobjekten macht. Die Weltwirtschaftsordnung<br />

und internationale Arbeitsteilung<br />

sind das Ergebnis, die weltweite Verteilungsungerechtigkeit<br />

ihre Folge.<br />

5) Die Industrieländer müssen endlich die Nord-<br />

Süd-Frage als die große internationale Herausforderung<br />

der Zukunft anerkennen. Minde-<br />

„UNS KRIEGEN SIE NICHT KLEIN“<br />

Christa Randzio-Plath<br />

Der Marie-Schlei-Verein e.V. ist eine gemeinnützige Nichtregierungsorganisation, die 1984 in<br />

Erinnerung an die frühere Entwicklungshilfeministerin Marie Schlei gegründet wurde. Der Verein<br />

fördert Frauenausbildungsprojekte, informiert über die Rolle der Frau in Afrika, Asien und<br />

Lateinamerika und baut partnerschaftliche Beziehungen zu einheimischen Frauengruppen und<br />

-organisationen auf.<br />

Adresse:<br />

Hadermannsweg 23 · 22459 Hamburg<br />

Tel.: 040/5518364 · Fax.: 040/5553986<br />

Bankverbindung: SPARDA Hamburg · Kto. 602 035 · BLZ 206 905 00<br />

Homepage: http://home.-t-online.de/home/marie-schlei-verein/<br />

e-mail: Marie-Schlei-Verein@t-online.de<br />

73<br />

stens 0,7% des Bruttosozialproduktes müssen<br />

für Entwicklungszusammenarbeit stehen. Trotz<br />

aller notwendigen Anstrengungen im geeinten<br />

Deutschland sowie für Europa und insbesondere<br />

Osteuropa wäre es fatal, wenn im Sinne eines<br />

Euro-Egoismus die Lösung des Nord-Süd-Konfliktes<br />

nur nachrangige Aufmerksamkeit bei<br />

uns finden würde. Die Qualität der entwicklungspolitischen<br />

Zusammenarbeit muss verbessert<br />

und die Mittel erhöht werden.<br />

Christa Randzio-Plath ist seit 1989 SPD-Abgeordnete<br />

im Europäischen Parlament. Sie ist<br />

Mitbegründerin und Vorsitzende des seit 1984<br />

existierenden Marie-Schlei-Vereins e.V., einer<br />

gemeinnützigen Nichtregierungsorganoisation<br />

für die Hilfe für Frauen in Afrika, Asien und<br />

Lateinamerika.<br />

www.home.t-online.de/home/<br />

C.Randzio-Plath.MdEP/msv-hol.htm


Haushaltspolitische Notwendigkeiten (?)<br />

Das Primat der Politik in Land und Bund besitzt<br />

gegenwärtig die Konsolidierung der öffentlichen<br />

Haushalte. Angesichts des aufgehäuften Schuldenberges<br />

ist eiserne Sparsamkeit das Gebot der<br />

Stunde. Wer will schon die Verantwortung dafür<br />

übernehmen, dass der finanzielle Spielraum des<br />

Staates in ein paar Jahren unter Null liegt und die<br />

pro-Kopf-Verschuldung die Bürgerinnen und Bürger<br />

zu erdrücken droht?! Das wäre Raubbau an<br />

der Zukunft, an den Lebenschancen der nächsten<br />

Generationen – unserer Kinder also.<br />

Gelegentlich gewinnt man den Eindruck, dass hinter<br />

dieser Prämisse alle „übrigen” Themen zu verschwinden<br />

drohen. Konkrete Politik orientiert<br />

sich zu allererst an den Haushaltsvorgaben, noch<br />

bevor eine sachlich-inhaltliche Konzeption überhaupt<br />

vorliegt. Im Zweifel wird an das o.g. Primat<br />

THEMA<br />

„AUGEN ZU UND DURCH“<br />

Sozialdemokratische Politik in Zeiten knapper Kassen<br />

am Beispiel der Kita-Kürzungen<br />

von Uta Reichel<br />

74<br />

erinnert, um alle Einwände gegen überzogene<br />

Sparmaßnahmen zu erledigen. Am Beispiel der<br />

geplanten drastischen Mittelkürzungen und Gesetzesänderungen<br />

bei den Kindertagesstätten (Kita)<br />

lässt sich dieser Politikstil sehr anschaulich nachvollziehen.<br />

Die Argumentation von Minister Steffen<br />

Reiche ist scheinbar einleuchtend: Um den<br />

Kindern nicht die Last einer immensen Staatsverschuldung<br />

aufzubürden, müsse jetzt gespart werden<br />

– natürlich auch bei den Kindern und zwar<br />

kräftig. Schlichte „Wahrheiten” haben sicher den<br />

großen Vorteil, für jedermann verständlich zu<br />

sein, aber den komplexen Problemen unserer<br />

Gesellschaft werden sie oft nicht gerecht. Wenn<br />

sich Politik in ihnen erschöpft werden sie schnell<br />

zum Vorwand, auch berechtigte und fundierte Kritiken<br />

zu ignorieren, um eigene falsche Positionen<br />

nicht revidieren zu müssen. Der darin durch-


scheinende Anspruch, unfehlbar zu sein, wirkt<br />

wie aus einer anderen Welt und sollte dem Papst<br />

vorbehalten bleiben. (Es gab hierzulande auch<br />

mal eine Partei, die sich in diesem Wahn-Sinne<br />

besingen ließ ...)<br />

Woher kommt der Schuldenberg, auf dem wir<br />

Brandenburger jetzt sitzen? Er ist im Laufe eines<br />

Jahrzehnts entstanden, aus der unabweislichen<br />

Notwendigkeit, hohe Investitionen vor allem in die<br />

„wirtschaftsnahe und soziale Infrastruktur” des<br />

Landes zu pumpen, als Voraussetzung für eine<br />

gesunde wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung.<br />

Diese Rechtfertigung der (SPD-)<br />

Finanzpolitik während der 90er Jahre durch die<br />

Ministerin Wilma Simon ist im Grundsatz nachvollziehbar<br />

– ebenso wie ihre Feststellung, dass<br />

der damit bezweckte, erhoffte wirtschaftliche Aufschwung<br />

bislang leider viel zu schwach war und<br />

mit ihm auch die geplanten Steuermehreinnahmen<br />

weit unter den Erwartungen liegen.<br />

Weniger plausibel ist hingegen die von der Landesregierung<br />

daraus gezogene Schlussfolgerung,<br />

nun das Ruder entschieden herumreißen zu müssen,<br />

indem beispielsweise in einem sensiblen und<br />

komplexen Bereich der sozialen Infrastruktur –<br />

den Kitas – massiv die Sparkeule geschwungen<br />

wird. In diesem Beitrag soll nicht mit dem Slogan<br />

„an den Kinder darf (gar) nicht gespart werden”<br />

das Aufspüren und Ausnützen von Einsparpotentialen<br />

auch in diesem Bereich grundsätzlich abgelehnt<br />

werden, aber derart blindlings, wie es nun<br />

geschieht, geht es nicht. Wenn man jetzt mit der<br />

Brechstange ansetzt, hätte man sich die von Frau<br />

Simon als notwendig gerechtfertigten Ausgaben<br />

auch in diesem wichtigen Segment der sozialen<br />

Infrastruktur in der Vergangenheit sparen können.<br />

Im übrigen ist es ja keineswegs so, dass in<br />

den letzten Jahren die Kita-Ausgaben nicht konti-<br />

AUGEN ZU UND DURCH<br />

Uta Reichel<br />

75<br />

nuierlich verringert worden wären. Hauptsächlich<br />

bedingt durch den dramatischen Geburtenknick<br />

von 1990/91 wurden die Landeszuschüsse in diesem<br />

Bereich seit 1993 (527 Mio. DM) um 40 Prozent<br />

(1999: 318 Mio. DM) gesenkt und dabei<br />

16.000 Stellen von Erzieherinnen abgebaut.<br />

Sparen – auf Biegen und Brechen<br />

Die neu gebildete Landesregierung aus SPD und<br />

CDU war – wie der zuständige Minister – noch<br />

keine zwei Monate im Amt, als Anfang Dezember<br />

im Kabinett der Haushaltsansatz für 2000/2001<br />

beschlossen wurde. Obwohl diesem Beschluss<br />

zufolge die Gesamtausgaben (gegenüber 1999) in<br />

diesem Jahr um ein Prozent steigen und 2001 nur<br />

um knapp zwei Prozent sinken sollen, gehört das<br />

Ressort Bildung, Jugend und Sport zu denen, die<br />

am stärksten „bluten” müssen. Zwar wurde im<br />

Koalitionsvertrag genau das Gegenteil festgelegt,<br />

nämlich dass „das relative Gewicht des Bildungshaushaltes<br />

im Rahmen des Gesamthaushaltes zu<br />

erhöhen” ist. Man darf jedoch sicher sein, dass<br />

die verantwortlichen Politiker von SPD und CDU<br />

diesen faktischen Widerspruch mehr oder weniger<br />

gekonnt rhetorisch „auflösen” werden.<br />

Besonders drastisch fällt die Reduzierung der<br />

Landeszuschüsse für die Kitas mit mehr als 20<br />

Prozent (68 Millionen DM) im Jahr 2001 aus.<br />

Damit war Steffen Reiche vermutlich der „Primus”<br />

unter den Ministern – wohl, weil er sich als<br />

Parteivorsitzender zu besonderer Spardisziplin<br />

verpflichtet fühlte. Problematisch ist eine solche<br />

Vorgehensweise allerdings, wenn man den<br />

Musterschüler herauskehrt, ohne tatsächlich seine<br />

„Hausaufgaben” gemacht zu haben. Eine fundierte,<br />

d.h. vor allem durchgerechnete, Konzeption<br />

wie und mit welchen konkreten Konsequenzen<br />

dieses enorme Einsparvolumen erzielt werden


kann, lag nämlich zu diesem Zeitpunkt nicht einmal<br />

ansatzweise vor. Aber der einmal gefasste<br />

Beschluss musste im Folgenden um jeden Preis<br />

realisiert werden, denn ein Ausbrechen aus der<br />

strikten Haushaltsdisziplin käme einem Sakrileg<br />

gleich – und wäre ein faktisches Eingeständnis,<br />

überaus voreilig „aus der Hüfte geschossen” zu<br />

haben. Ob dieses sture Durchpauken sich nicht<br />

im Endeffekt als der schwerwiegendere Fehler<br />

herausstellt, wird sich noch erweisen.<br />

Erst im Januar diesen Jahres lag im Reiche-Ministerium<br />

ein grobes Konzept vor, wie das vorgegebene<br />

Sparziel erreicht werden könnte. Die abschließende<br />

Feststellung dieses Papiers, dass sich<br />

„mit Sicherheit (...) die Gesamtkosten für Kindertagesstättenbetreuung<br />

auch ohne die vorgesehenen<br />

gesetzlichen Einschnitte vermindern”, wurde<br />

durch den Nachsatz quasi entwertet, dass dann<br />

allerdings „das Einsparvolumen nicht vorher<br />

exakt zu quantifizieren” sei. Ein Alptraum für<br />

jeden Haushaltspolitiker, den Herr Reiche seiner<br />

Kabinettskollegin Simon unmöglich anbieten<br />

mochte. Also “nicht kleckern, sondern klotzen”<br />

und die Rosskur für Kinder, Eltern und Erzieherinnen<br />

rasch ins Werk gesetzt: Reduzierung des<br />

„Kern-Rechtsanspruches” auf die Kinder von 2 bis<br />

10 Jahren mit einer Betreuungszeit von 6 bzw. 4<br />

Stunden (Kita/Hort) täglich. Alles was darüber<br />

hinausgeht, wird angeblich mit der Zauberformel<br />

vom “bedarfsgerechten Rechtsanspruch” abgegolten.<br />

Das heißt, Eltern die einen normalen 8-<br />

Stunden-Arbeitstag (plus z.T. sehr lange Wegezeiten)<br />

haben, dürfen diesen “Mehrbedarf” beantragen,<br />

bei ihrer jeweiligen Gemeinde. Die Kriterien<br />

dafür sind weder eindeutig noch einheitlich festgelegt<br />

worden. Das Ministerium “empfiehlt” den<br />

Gemeinden sich diesbezüglich auf Kreisebene<br />

abzustimmen. Diese „Abstimmung” wird sich<br />

AUGEN ZU UND DURCH<br />

Uta Reichel<br />

76<br />

allerdings nicht vorrangig an den Interessen der<br />

Kinder und ihrer Eltern orientieren können, sondern<br />

von dem mehr oder weniger großen Haushaltsdefizit<br />

der Kommunen diktiert werden, dass<br />

durch die unverhältnismäßig und pauschal verringerten<br />

Zuweisungen aus dem Landeshaushalt<br />

verursacht wird. In der ablehnenden Stellungnahme<br />

des Städte- und Gemeindebundes zu diesen<br />

Plänen heißt es deshalb zutreffend: „… das Land<br />

[nimmt sich] in beträchtlichem Maße aus der<br />

politischen und finanziellen Verantwortung<br />

zurück und wälzt diese auf die Städte- und<br />

Gemeinden ab“ – die Kinder und Eltern sind hier<br />

zweifellos als letztlich Leidtragende mit anzufügen.<br />

Die vom Land in diesem Zusammenhang verschärfte<br />

Finanznot der meisten Kommunen wird<br />

außerdem in Form von teils drastisch steigenden<br />

Elternbeiträgen an selbige weitergereicht werden,<br />

wofür es in einigen Städten bereits konkrete<br />

Ankündigungen gibt.<br />

Die so erzwungene „geringere Inanspruchnahme”<br />

von Kita- und Hortplätzen ist die Voraussetzung für<br />

eine deutliche Reduzierung der Personalkosten –<br />

sprich (erneut) Entlassung von hunderten Erzieherinnen.<br />

Das zweite “Einsparpotential” wird mit<br />

der Umwandlung regulärer (sozial abgesicherter)<br />

Arbeitsplätze von Krippen- und Horterzieherinnen<br />

in sogenannte „alternative Betreuungsformen” von<br />

deutlich schlechter bezahlten und sozial nicht<br />

abgesicherten Tagesmüttern und Honorarkräften<br />

erschlossen. Für Ministerial-Technokraten und<br />

manche Politiker mag dies ein „ganz normaler”<br />

Vorgang sein, aber das Leben der “Betroffenen”<br />

verläuft danach nicht mehr „ganz normal”. Die<br />

Frage, welche Auswirkungen das auf deren Arbeit<br />

mit unseren Kindern hat, werden vorbildliche<br />

Sparpolitiker wohl kaum stellen – was deutlich im<br />

Widerspruch zu zentralen Postulaten der Landes-


egierung und besonders der SPD steht, wie im<br />

Folgenden gezeigt wird.<br />

„Bildungsoffensive“, soziale Gerechtigkeit,<br />

Chancengleichheit?<br />

Eine Presseerklärung des Bildungsministeriums<br />

(MBJS) vom Juni 1999 verwies unter der Überschrift<br />

„Es gibt eine Bildung vor der Schule” auf<br />

eine gerade von eben diesem Ministerium herausgegebene<br />

Broschüre, die mit dem „landläufigen<br />

Mißverständnis”, dass „Bildung unvermittelt in<br />

der Schule beginnt” aufräume. Den gleichen<br />

Tenor hatte der Vortrag eines Erziehungswissenschaftlers<br />

bei der öffentlichen Anhörung vor dem<br />

zuständigen Landtagsausschuss Ende Mai diesen<br />

Jahres. Der Professor verwies u.a. auf wissenschaftliche<br />

Studien, die eindeutig belegen, dass<br />

Länder, deren Schüler in internationalen<br />

Leistungsvergleichen auf den vorderen Plätzen zu<br />

finden sind, über ein gut ausgebautes System der<br />

Betreuung, Bildung und Erziehung der Kinder im<br />

Vorschulalter verfügen. Die Bundesrepublik<br />

belegt in dieser Hinsicht den vorletzten Platz unter<br />

den (west-)europäischen Staaten. Wer den<br />

Anspruch hat, eine moderne Bildungspolitik zu<br />

betreiben, tut ganz sicher gut daran, derartige<br />

wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse nicht zu<br />

ignorieren. Die Bundesrepublik – insbesondere<br />

die „alten” Bundesländer – sollte(n) also diesen<br />

seit Jahrzehnten andauernden beschämenden<br />

Zustand endlich grundlegend verbessern und<br />

nicht auch in den östlichen Bundesländern das<br />

diesbezüglich deutlich schlechtere Niveau des<br />

Westens zur Norm erklären.<br />

Anders Minister Reiche, der sich lediglich auf Studien<br />

beruft, die angeblich belegen, um wie vieles<br />

besser die Betreuung von Kleinkindern durch<br />

Tagesmütter als in der Kinderkrippe sei. Dabei<br />

AUGEN ZU UND DURCH<br />

Uta Reichel<br />

77<br />

kann man sogar in einem Papier des Arbeitskreises<br />

seiner eigenen Fraktion nachlesen, dass die<br />

forcierte Einführung von Tagespflege lediglich aus<br />

haushaltspolitischen Gründen gebilligt, im übrigen<br />

aber detailliert als die deutlich schlechtere<br />

Alternative charakterisiert wird.<br />

In einschlägigen aktuellen Programmen und Statements<br />

der SPD, auf Bundes- wie auf Landesebene,<br />

ist der Slogan von einer notwendigen „Bildungsoffensive”<br />

allgegenwärtig. Verwiesen sei an<br />

dieser Stelle nur auf das Heft Nummer 9 von „perspektive<br />

<strong>21</strong>”, auf dessen Titelbild übrigens (irrtümlich?)<br />

zwei Kindergartenkinder abgebildet<br />

waren. Steffen Reiche wird darin mit der Äußerung<br />

zitiert, dass von der Bildungspolitik die<br />

wichtigsten Voraussetzungen dafür geschaffen<br />

werden müssten, um als Individuen und als<br />

Gesellschaft in der „globalisierten” Welt bestehen<br />

zu können. Stichworte seien hierbei „höhere Qualifikationsanforderungen”,<br />

beispielsweise<br />

(Fremd-) Sprachenkompetenz und Teamfähigkeit<br />

(soziale Kompetenz). Selbstverständlich findet<br />

man auch im Koalitionsvertrag entsprechende<br />

Willensbekundungen: „Die Landesregierung wird<br />

eine umfassende Bildungsreform durchführen<br />

und zu deren Vorbereitung eine Bildungskommission”<br />

einsetzen. Ziel der „Bildungs- und Wissensoffensive”<br />

sei es “auch eine umfassende Persönlichkeitsbildung”<br />

zu erreichen, wozu „neben dem<br />

Fachwissen auch personale und soziale Kompetenzen”<br />

gehören. Es dürfte schwierig sein, kompetente<br />

Fachleute zu finden, die eine höchstens<br />

haushaltspolitisch, aber keineswegs inhaltlich<br />

„begründete” Bildungsreform konzipieren, in der<br />

die Erziehung und Bildung im Vorschulalter völlig<br />

ausgeklammert wird.<br />

In einem (ebenfalls in „perspektive <strong>21</strong>”, Heft 9<br />

abgedruckten) „Zukunftspapier” wird die Not-


wendigkeit differenzierter Förderung und der<br />

Wahrung von Chancengleichheit gerade im Bildungswesen<br />

unterstrichen. Dabei geht es nicht<br />

um Gleichmacherei, bei der im Zweifel besonders<br />

begabte Kinder gebremst und (aus welchen Gründen<br />

auch immer) benachteiligte Mädchen und<br />

Jungen um jeden Preis zum Abitur geführt werden<br />

müssen. Aber es gehört wohl unbestritten zu den<br />

sozialdemokratischen Grundüberzeugungen, dass<br />

Kinder nicht allein deshalb schlechtere Lebenschancen<br />

haben sollen, weil sie in „sozial schwachen”<br />

Familien aufwachsen. Dass diese Kinder<br />

bereits bei der Einschulung durchschnittlich über<br />

deutlich schlechtere Ausgangsbedingungen verfügen<br />

und die Zahl solcher „Problem-Kinder” in<br />

den letzten Jahren bereits dramatisch angestiegen<br />

ist, wird eindrücklich in einer vom brandenburgischen<br />

Sozialministerium herausgegebenen aktuellen<br />

Studie („Einschüler in Brandenburg: Soziale<br />

Lage und Gesundheit 1999”) belegt. Die eindeutige<br />

Schlussfolgerung aus diesem Befund lautet,<br />

dass Staat und Gesellschaft sich dieser Gruppe<br />

benachteiligter und (potentiell) gefährdeter Kinder<br />

verstärkt zuwenden müssen. Die Gefahr,<br />

andernfalls mittel- und langfristig eine zunehmende<br />

Zahl leistungsschwacher bzw. -unwilliger junger<br />

Menschen zu „produzieren”, die sich am Rande<br />

der Gesellschaft bewegen und als Kleinkriminelle,<br />

rechtsradikale Schläger oder hoffnungslose<br />

Sozialhilfe-„Fälle” einen kostspieligen „Mehrbedarf”<br />

an staatlicher „Zuwendung” geltend<br />

machen, kann man zwar leugnen, aber nicht<br />

„wegzaubern”. Die Tatsache, dass solche “Folgekosten”<br />

in der Regel viel höher sind, als die Summen,<br />

die man zunächst glaubt unbedingt einsparen<br />

zu müssen, dürfte bekannt sein – und wird<br />

doch immer wieder leichtfertig ignoriert.<br />

Das „beste” Beispiel für eine solche – alles ande-<br />

AUGEN ZU UND DURCH<br />

Uta Reichel<br />

78<br />

re als nachhaltige – Politik stellen die nun beschlossenen<br />

Kita-Kürzungen dar. Fragen von Bildung<br />

und Erziehung haben in der ganzen Debatte<br />

auf Seiten der Landespolitik nie eine Rolle<br />

gespielt. Im Gegenteil: Inzwischen wird unumwunden<br />

eingestanden, dass Qualitätsstandards<br />

wissentlich reduziert und Kinder aus „sozial<br />

schwachen” Familien, die eigentlich besonderer<br />

Förderung von Seiten des Staates bedürften, ganz<br />

bewusst (zumindest teilweise) ausgegrenzt werden.<br />

Eine so einfallslose, kurzsichtige, nur aufs<br />

Sparen fixierte Politik ist ein Armutszeugnis für<br />

die Verantwortlichen und keineswegs geeignet,<br />

das Land Brandenburg und die hier lebenden<br />

Menschen „zukunftsfähig” zu machen. Die finanziellen<br />

Spielräume, die im Bildungswesen aufgrund<br />

des inzwischen mitten in der Grundschule<br />

angekommenen Geburtenknicks bestehen, sollten<br />

als Chance zur Konzipierung und Umsetzung einer<br />

modernen Bildungspolitik von der Kita bis zur<br />

Hochschulreife (und darüber hinaus) genutzt<br />

und nicht durch stupide Sparmaßnahmen auf<br />

ihren monetären Aspekt reduziert werden.<br />

Man sollte meinen, die SPD hätte – zumal in Ostdeutschland<br />

– begriffen, dass ihre Einbrüche bei<br />

Landtagswahlen nach der Machtübernahme im<br />

Bund essentiell mit der Wahrnehmung vieler<br />

Menschen zu tun hatten, sie würde ihr Wahlversprechen,<br />

für (mehr) soziale Gerechtigkeit und<br />

Chancengleichheit zu sorgen, brechen. (Vgl. die<br />

entsprechende Diskussion in den Heften 9 und 10<br />

von „perspektive <strong>21</strong>”). Man kann Steffen Reiche<br />

nur zustimmen, wenn er als „sozialdemokratisches<br />

Ziel” formuliert, dass „niemand aus der<br />

modernen Gesellschaft herausgedrängt wird und<br />

deshalb [...] Bildung für alle ein ganz aktuelles<br />

Postulat” sei, weil sonst „die Chancen für das<br />

ganze Leben verbaut” würden. Bedauerlicherwei-


se stimmt seine konkrete Politik in diesem Falle<br />

aber nicht mit solchen Bekenntnissen überein,<br />

sondern konterkariert sie ganz eindeutig.<br />

Auch frauen- und familienpolitische Themen stehen<br />

weit oben auf der sozialdemokratischen<br />

Agenda. Zu den zentralen Forderungen eines<br />

aktuellen Zukunftspapiers der Brandenburger<br />

SPD zählt eine kinderfreundliche Politik, die u.a.<br />

notwendig ist, um den negativen Trend in der<br />

demographischen Entwicklung des Landes zu<br />

stoppen. Angesichts der Kita-Kürzungen verkommt<br />

auch dieses Postulat zur hohlen Phrase,<br />

denn die Vereinbarkeit von Familie und Beruf<br />

wird – entgegen allen Beteuerungen – deutlich<br />

erschwert, vor allem Frauen werden davon vorrangig<br />

betroffen sein, wie es auch wieder einige<br />

hundert Frauen sind, deren Arbeitsplätze als<br />

Erzieherinnen „eingespart” werden. Zu befürchten<br />

ist außerdem, dass die zuletzt leicht angestiegene<br />

Geburtenrate erneut stagnieren bzw. abnehmen<br />

wird, weil die Politik jungen Paaren die Entscheidung<br />

für (ein) Kind/er immer schwerer<br />

macht. Unverständlich ist in diesem Zusammenhang<br />

auch, dass die Sozialdemokratie zu einer<br />

vernünftigen Abstimmung ihrer diesbezüglichen<br />

Politik zwischen Bund und Ländern nicht in der<br />

Lage zu sein scheint. Wie anders soll man sich<br />

erklären, dass die brandenburgische Kita-Gesetzesnovelle<br />

bei der Beschränkung des Rechtsanspruchs<br />

beispielsweise mit der (leicht verbesserten)<br />

Neuregelung des Bundeserziehungsgeldes<br />

überhaupt nicht korrespondiert. So hätte man<br />

z.B. darüber nachdenken können, wegen des im<br />

ersten Lebensjahr des Kindes gewährten höheren<br />

Erziehungsgeldes (900 DM statt 600 DM monatlich<br />

bei gleichzeitigem Verzicht auf Erziehungsgeldleistungen<br />

im zweiten Lebensjahr) den<br />

Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für alle ab<br />

AUGEN ZU UND DURCH<br />

Uta Reichel<br />

79<br />

dem vollendetem ersten Lebensjahr einzuführen<br />

und statt dessen auf die höchst fragwürdige soziale<br />

Differenzierung bei den 0- bis 2-Jährigen zu<br />

verzichten. Aber nichts dergleichen ist geschehen.<br />

Dass Frauen und Männer es sich in vielen Berufen<br />

immer weniger leisten können, über mehrere<br />

Jahre auszusteigen oder deutlich kürzer zu treten<br />

ist zwar bekannt, bleibt aber scheinbar unberücksichtigt.<br />

Ebenso ignorant verhalten sich verantwortliche<br />

Landespolitiker gegenüber der Tatsache,<br />

dass die Einkommen und Vermögen der<br />

Familien in Ostdeutschland noch immer erheblich<br />

niedriger sind als im Westen und sie es sich<br />

also gar nicht leisten können, wegen der Betreuung<br />

ihrer Klein(st)kinder über längere Zeit mit<br />

nur einem Einkommen haushalten zu müssen.<br />

Dass die Elternbeiträge (für die Kita-Plätze) aufgrund<br />

der deutlich geringeren Landeszuschüsse<br />

teils drastisch ansteigen werden, ist zwar bisher<br />

von Minister Reiche und Co. immer geleugnet<br />

worden. Erste entsprechende Berechnungen und<br />

Briefe an die Eltern liegen in einigen Städten und<br />

Gemeinden aber bereits vor und belegen, dass<br />

diese Beteuerungen nichts wert sind. Freilich<br />

kann die Landesregierung ihre Hände in<br />

Unschuld waschen, denn es sind ja die Kommunen,<br />

die nun die „Drecksarbeit” werden machen<br />

müssen.<br />

Die Lebensqualität von jungen Familien, die wohl<br />

unbestritten zu den Leistungsträgern unserer<br />

Gesellschaft in den kommenden Jahren und Jahrzehnten<br />

gehören, wird durch diese Politik der<br />

Landesregierung nicht gesteigert, sondern beeinträchtigt.<br />

Wer sich der – zur Regeneration unserer<br />

Gesellschaft notwendigen – Aufgabe stellt, Kinder<br />

in die Welt zu setzen und groß zu ziehen, sieht<br />

sich, allen anders lautenden „Sonntagsreden”<br />

zum Trotz, mit einer Verschlechterung der dazu


notwendigen Rahmenbedingungen konfrontiert.<br />

„Bildungsoffensive”? Kinder-, frauen- und familienfreundliche<br />

Politik? Soziale Gerechtigkeit und<br />

Chancengleichheit? Insofern die Menschen im<br />

Land diese Postulate überhaupt wahrnehmen,<br />

achten sie gewiss darauf, was sich an praktischer<br />

Politik in ihrem alltäglich Leben davon niederschlägt.<br />

Das Gespür dafür, ob „Sonntagsreden”<br />

und Alltagspraxis zusammen passen, ist bei den<br />

meisten Leuten sehr wohl vorhanden. Klafft die<br />

Schere zwischen beidem zu weit auseinander –<br />

wie in dem hier diskutierten Fall – ist wachsende<br />

Skepsis und Distanz gegenüber der politischen<br />

Klasse die Folge.<br />

Politische Kultur:<br />

Transparenz und Bürgerbeteiligung<br />

Nicht unterschätzt werden sollten die negativen<br />

Folgen für die politische Kultur in Brandenburg,<br />

die ein unbeirrtes Festhalten an den überzogenen<br />

Sparbeschlüssen und der sehr fragwürdigen Kita-<br />

Gesetzesnovelle nach sich ziehen könnte. Viele<br />

Tausend Eltern haben seit Monaten gegen diese<br />

Pläne protestiert. Im ganzen Land haben sich<br />

Elterninitiativen gebildet, deren Tätigkeit in einem<br />

ebenfalls neu gegründeten Landeselternbeirat<br />

(LEB) koordiniert wird. Es haben unzählige<br />

öffentliche Diskussionsrunden und Informationsveranstaltungen<br />

stattgefunden; Landtagsabgeordnete,<br />

Stadtverordnetenversammlungen und<br />

Gemeindevertretungen wurden aufgesucht und –<br />

wenn nötig – zu Stellungnahmen gedrängt. Eine<br />

wachsende Zahl von Kommunalvertretungen und<br />

Bürgermeistern hat sich klar gegen die Pläne der<br />

Landesregierung ausgesprochen. Die entsprechende<br />

Volksinitiative des Aktionsbündnisses „Für<br />

unsere Kinder” haben mehr als 150.000 Men-<br />

AUGEN ZU UND DURCH<br />

Uta Reichel<br />

80<br />

schen unterschrieben. Im Februar und erneut am<br />

17. Mai demonstrierten mehrere Zehntausend vor<br />

dem Landtag gegen die Sparbeschlüsse.<br />

Aber ungeachtet all dessen hat eine offene, ernsthafte<br />

Diskussion der Zukunft von Kita-Betreuung<br />

im Kontext von „Bildungsoffensive” und „sozialer<br />

Gerechtigkeit” praktisch nicht stattgefunden –<br />

zumindest nicht in der Landesregierung und im<br />

Parlament. Die jüngste Anhörung vor dem zuständigen<br />

Landtagsausschuss (Ende Mai) war nur ein<br />

weiterer Beleg für die schier unglaubliche<br />

Ignoranz der verantwortlichen Politiker. Unbeeindruckt<br />

davon, dass mindestens zwei Drittel der<br />

angehörten Sachverständigen und Betroffenen<br />

eine Vielzahl triftiger Gründe gegen die beabsichtigten<br />

Kürzungen und Gesetzesänderungen vorgebracht<br />

haben, hält Minister Reiche an diesen Plänen<br />

fest. Wenn Experten und Betroffene in solchen<br />

Anhörungen wie in diesem Fall nur als Staffage<br />

dienen, verkommt dieses wichtige parlamentarische<br />

Verfahren zur Farce, leidet das Ansehen<br />

der beteiligten Institutionen und Personen darunter.<br />

Der ursprünglichen Intention, Gesetzentwürfe<br />

auf diesem Wege zu qualifizieren, wird damit in<br />

keiner Weise entsprochen, sondern lediglich Frustration<br />

bei den derart respektlos Ignorierten<br />

erzeugt.<br />

Und die Landtagsabgeordneten (von SPD und<br />

CDU) – unsere „Volksvertreter”?! Die im Zusammenhang<br />

des oben geschilderten Falls stattgefundenen<br />

Begegnungen mit einer ganzen Reihe von<br />

Parlamentariern waren ganz überwiegend<br />

ernüchternd bis enttäuschend. Denn die allermeisten<br />

von ihnen fühlen sich offenbar in erster Linie<br />

der Landesregierung und ihren jeweiligen<br />

Parteiführungen verpflichtet. Dass dies nicht nur<br />

in der Frage der Kita-Gesetzesnovellierung, sondern<br />

generell der Fall ist, wie eine aktuelle Studie


esagt, hat nichts Tröstliches. Im Gegenteil: Wenn<br />

die Abgeordneten der Regierungskoalition, zumal<br />

bei einer so komfortablen Landtagsmehrheit, ihr<br />

Mandat als von der Exekutive unabhängige Legislative<br />

nicht oder nur ungenügend wahrnehmen,<br />

wird damit die Gewaltenteilung, eine Grundsäule<br />

der parlamentarischen Demokratie, untergraben.<br />

Nimmt man hinzu, dass ein nicht unwesentlicher<br />

Teil der „4. Gewalt” unserer modernen Gesellschaft<br />

– die Medien (das ORB-Fernsehen, die<br />

„Potsdamer Neuesten Nachrichten” und die<br />

„Märkische Oderzeitung” beispielsweise) – im<br />

Streit um die geplanten Einschnitte teilweise eindeutig<br />

tendenziöse „Hofberichterstattung” betrieben<br />

hat, muss daraus für „NormalbürgerInnen”<br />

ein fataler Gesamteindruck entstehen: Die<br />

„checks and balances” zwischen den verschiedenen<br />

Institutionen des demokratischen Staates<br />

drohen zur Fassade zu verkommen, hinter der<br />

eben diese Institutionen in einer Art Kartell derer<br />

„da oben” die deutlich artikulierten Interessen<br />

und sachlichen Einwände jener „unten” weitgehend<br />

ignorieren.<br />

Wenn man nun den Blick von diesem ganz konkreten<br />

Fall etwas löst und das politische System<br />

als Ganzes in den Blick nimmt, erhebt sich die<br />

Frage, ob die hier konstatierten erheblichen Defizite<br />

eine Ausnahme darstellen oder zu befürchten<br />

ist, dass ähnlich gravierende Unzulänglichkeiten<br />

für das politische Alltagsgeschäft im Lande Brandenburg<br />

eher typisch sind. Dies zu analysieren<br />

und zu beantworten ist an dieser Stelle nicht möglich,<br />

aber das Problem sollten sich die Verantwortlichen<br />

bewusst machen und es sehr ernst<br />

nehmen. Verstärken und verfestigen sich die<br />

genannten negativen Tendenzen, wird dadurch<br />

mittel- und langfristig die demokratische politische<br />

Kultur beschädigt.<br />

AUGEN ZU UND DURCH<br />

Uta Reichel<br />

81<br />

Nun sieht die Verfassung unseres Landes eine<br />

Bürgerbeteiligung in Form von Volksinitiative/begehren<br />

und -entscheid vor, in diesem Fall vielleicht<br />

eine Art Notbremse. Das Aktionsbündnis<br />

„Für unsere Kinder” hat bekanntlich in einer<br />

Volksinitiative über 150.000 Unterschriften gegen<br />

die überzogenen Einsparungen und die Beschneidung<br />

des Rechtsanspruchs auf einen Kita-Platz<br />

gesammelt. Damit sind die Aussichten, dass erstmals<br />

in einem Volksbegehren die erforderlichen<br />

80.000 Stimmen zusammenkommen, durchaus<br />

gut. Die Umsetzung der Gesetzesnovelle mit all<br />

ihren negativen Folgen wird für viele Eltern im<br />

Lande mit Sicherheit eine zusätzliche Motivation<br />

darstellen, ihre Unterschrift in den Ämtern zu leisten,<br />

wodurch es dann zum Volksentscheid kommen<br />

würde. Die Rechnung, sich darauf zu verlassen,<br />

dass Landesregierung und Parlament dieses<br />

langwierige Verfahren – quasi in Kohlscher Manier<br />

– „aussitzen” könnten, weil sich die Mehrzahl<br />

der Bürgerinnen und Bürger resigniert in ihr<br />

“Schicksal” fügt, ist im Grundsatz äußerst fragwürdig<br />

und könnte im doppelten Sinn „ins Auge”<br />

gehen: eventuell könnte die Landesregierung per<br />

Volksentscheid doch zum Einlenken gezwungen<br />

werden und auch wenn dieser scheitert, wäre dies<br />

letztlich ein Pyrrhussieg für Minister Reiche und<br />

die große Koalition in Potsdam. Sollten die Koalitionäre<br />

auf die „Hintertür”-Lösung setzen, dass<br />

die Volksinitiative gar nicht statthaft, weil angeblich<br />

gegen ein Haushalts(struktur)gesetz gerichtet<br />

sei, würden SPD und CDU damit die in der brandenburgischen<br />

Verfassung verankerte Bürgerbeteiligung<br />

faktisch zur Farce erklären. Das Risiko,<br />

damit vor dem Verfassungsgericht Schiffbruch zu<br />

erleiden und schließlich in einem noch trüberen<br />

Licht dazustehen, wird von den Sozialdemokraten<br />

hoffentlich bedacht werden. Freilich besäße diese


Variante auch im „Erfolgsfall” einen äußerst<br />

faden Beigeschmack.<br />

Ein vernünftiges Verfahren, das von vornherein<br />

transparent und unter ernsthafter Einbeziehung<br />

von Experten (die ganz bestimmt nicht nur im<br />

zuständigen Ministerium bzw. Landtagsausschuss<br />

sitzen) und Betroffenen, auf eine tragfähige Gesetzesnovelle<br />

abzielt, die sowohl Einsparungen<br />

ermöglicht als auch Paradigmen wie „Bildungsoffensive”,<br />

soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit<br />

gerecht wird, wäre der eindeutig bessere<br />

Weg gewesen. Dieser ist durch die Verabschiedung<br />

der entsprechenden Vorlagen durch die<br />

Landtagsmehrheit zwar erst einmal versperrt,<br />

aber bereits in Reaktion auf die Volksinitiative<br />

besteht die Möglichkeit, diesen schwerwiegenden<br />

Fehler – im Verfahren und in der Sache – zu korrigieren.<br />

Diese Chance sollte nicht leichtfertig vertan<br />

werden.<br />

Parteipolitische Aspekte<br />

Inwieweit die hier behandelte Auseinandersetzung<br />

und ihr Ausgang für die eine oder andere politische<br />

Partei in Brandenburg positive bzw. negative<br />

Folgen haben wird, berührt die (parteilose) Autorin<br />

persönlich zwar weniger, aber ein paar Überlegungen<br />

dazu sollen abschließend dennoch<br />

angestellt werden.<br />

Mit großer Wahrscheinlichkeit wird die Frustration<br />

und der Ärger vieler Eltern und Kommunalvertreter<br />

im Land primär auf die SPD zurückfallen.<br />

Da der verantwortliche Minister gleichzeitig<br />

Landesvorsitzender der Sozialdemokraten war<br />

und weder die Parteigremien noch die Landtagsfraktion<br />

ihn von seinem Irrweg abgebracht haben,<br />

ist dies sicher weitgehend gerechtfertigt. Falls es<br />

tatsächlich zu Volksbegehren und Volksentscheid<br />

kommt, zieht sich dieses Verfahren noch eine<br />

AUGEN ZU UND DURCH<br />

Uta Reichel<br />

82<br />

ganze Zeit hin, so dass noch bei den nächsten<br />

Landtagswahlen die SPD diese Fehlleistung angekreidet<br />

bekommen wird. Ob der neue Parteivorsitzende,<br />

Matthias Platzeck, diese Hypothek kompensieren<br />

kann, bleibt abzuwarten. Da er aber als<br />

Potsdamer Oberbürgermeister die geplanten Kürzungen<br />

und Änderungen im Kitabereich abgelehnt<br />

hat, erweist die Mehrheit der märkischen Sozialdemokraten<br />

sich und ihrem neuen Hoffnungsträger<br />

mit ihrem bisherigen Verhalten in dieser Auseinandersetzung<br />

einen Bärendienst.<br />

Die CDU steht zwar voll hinter den Plänen von<br />

Minister Reiche und ist in gewisser Hinsicht auch<br />

die treibende Kraft in dieser Frage, aber damit<br />

erfüllt sie – anders als die SPD – nur die „Erwartungen”,<br />

die ohnehin in sie gesetzt werden. Deshalb<br />

wird sie von den WählerInnen vermutlich<br />

kaum wegen dieser Sache „bestraft” werden.<br />

Ob die PDS in der Wählergunst aufgrund dieser<br />

Auseinandersetzung wird profitieren können, ist<br />

schwer vorauszusagen, weil dies natürlich auch<br />

von einer ganzen Reihe weiterer Faktoren<br />

abhängt. Wünschenswert kann dies für die Sozialdemokratie<br />

aber kaum sein, ebensowenig wie<br />

eine weitere Zunahme der „Politikverdrossenheit”,<br />

des „Protestwähler”-Potentials und der<br />

Nichtwähler. Dass die Volkspartei SPD, die eine<br />

personelle Auffrischung sehr gut vertragen könnte,<br />

viele jüngere Leute im Land mit der hier kritisierten<br />

Politik vor den Kopf stößt, anstatt sie<br />

durch eine kompetente, transparente und bürgernahe<br />

Politik zu integrieren, kann auch nicht als<br />

sonderlich intelligent und weitsichtig bezeichnet<br />

werden.<br />

Man darf gespannt sein, wie lernfähig die Sozialdemokraten<br />

sich in den hier angesprochenen<br />

Punkten zeigen werden. Da so manche von ihnen<br />

– auch ihr langjähriger Vorsitzender und


(unrühmlicher) Protagonist in der hier besprochenen<br />

Auseinandersetzung, Steffen Reiche – vor<br />

mehr als 10 Jahren aufgebrochen sind, um<br />

Gesellschaft und Staat aus der von einer lernunfähigen<br />

Partei erzwungenen Apathie zu befreien,<br />

besteht Grund, vorsichtig optimistisch zu sein.<br />

AUGEN ZU UND DURCH<br />

Uta Reichel<br />

83<br />

Uta Reichel ist 28 Jahre alt. Sie hat eine vierjährige<br />

Tochter und arbeitet als Lehrerin in<br />

Brandenburg an der Havel.


Die Wissenschaftsregionen in<br />

Nordostdeutschland vor<br />

strukturpolitischen Herausforderungen<br />

Am <strong>21</strong>.Februar 2000 ist in Berlin das Wissenschaftsforum<br />

der Sozialdemokratie in Berlin,<br />

Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern<br />

(kurz: Wissenschaftsforum Nordost der Sozialdemokratie)<br />

gegründet worden. Für das Forum<br />

wurde die Rechtsform eines eingetragenen Vereins<br />

gewählt. Als Vorsitzender wurde der Bevollmächtigte<br />

des Landes Mecklenburg-Vorpommern<br />

beim Bund und frühere Bundestagsabgeordnete<br />

Staatssekretär Tilo Braune gewählt. Zum Vorstand<br />

gehören als Geschäftsführender Vorsitzender<br />

Klaus Faber, vom 1994 bis 1999 Staatssekretär in<br />

Sachsen-Anhalt, zuvor lange Jahre in der Wissenschaftsadministration<br />

Brandenburgs und des<br />

Bundes tätig, Dr. Klaus-Dietrich Krüger, von 1990<br />

bis 1999 Vorsitzender des Wissenschaftsausschusses<br />

im Brandenburger Landtag, sowie die<br />

Berliner Studentin der Politikwissenschaft Julia<br />

Müller als stellvertretende Vorsitzende. Weitere<br />

Mitglieder des Vorstands sind Prof. Dr. Clemens<br />

Burrichter und Dr. Klaus Lommatzsch aus Berlin<br />

sowie die Greifswalder Anglistin Priv. Doz. Dr.<br />

Andela Zander. Das Wissenschaftsforum hat seinen<br />

Sitz in Potsdam (c/o Klaus Faber, An der Parforceheide<br />

22, 14480 Potsdam; Tel.: 0331<br />

624551, Fax: 0331 6004035; e-mail: Klaus_Faber<br />

@t-online.de).<br />

Ziel des regionalen Wissenschaftsforums sind die<br />

Förderung und Entwicklung von Wissenschaft und<br />

Forschung, von Hochschulen und Forschungseinrichtungen<br />

durch Veranstaltungen, Publikationen<br />

und auf andere Weise mit einem Schwerpunkt in<br />

der Nordostregion Deutschlands. Das Forum wird<br />

MAGAZIN<br />

Wissenschaftsforum Nordost<br />

84<br />

sich dabei mit der schwierigen Aufbausituation im<br />

Wissenschaftsbereich der drei Länder Berlin,<br />

Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern<br />

befassen. Das Forum nimmt, wie andere regionale<br />

Wissenschaftsforen der Sozialdemokratie, eine<br />

unabhängige Stellung ein. Es versteht sich als<br />

Impulsgeber und kritischer Begleiter der Wissenschaftspolitik<br />

in den drei Ländern und auf der<br />

Bundesebene. Die Veranstaltungen des Forums<br />

werden aktuelle wissenschaftspolitische Fragestellungen<br />

aufnehmen, wie etwa die Debatte um<br />

die Reform der Hochschulpersonalstruktur, die<br />

Hochschulgesetzgebung der Länder oder die<br />

Finanzausstattung von Hochschulen und Forschungseinrichtungen.<br />

Der Aufbau einer leistungsfähigen<br />

Hochschul- und Forschungslandschaft,<br />

die Zusammenarbeit mit Technologie- und<br />

anderen Wissenschaftsunternehmen sowie Wechselwirkungen<br />

zwischen der Wissenschafts- und<br />

Wirtschaftsentwicklung werden Schwerpunktthemen<br />

der künftigen Arbeit sein. Die Tätigkeit des<br />

Wissenschaftsforums wird durch ein Kuratorium<br />

und Arbeitsgruppen unterstützt. Vorsitzender des<br />

Kuratoriums des Wissenschaftsforums ist Prof. Dr.<br />

Günther Rüdiger aus Potsdam. Es bestehen drei<br />

Arbeitsgruppen, die sich mit dem Infrastrukturausbau<br />

sowie dem Wissens- und Technologietransfer,<br />

mit der Hochschulreform und der Entwicklung<br />

der Wissenschaft befassen.<br />

Eine wesentliche Rolle spielen in der Debatte die<br />

nach wie vor in Ostdeutschland bestehenden<br />

Strukturdefizite im Wissenschaftsbereich, die vor<br />

allem auf den Zusammenbruch der ostdeutschen<br />

Industrieforschung zurückzuführen sind. Von<br />

etwa 86 000 in der ostdeutschen industrienahen<br />

Forschung und Entwicklung Beschäftigten sind<br />

1997 rund 16.000 übriggeblieben. Die Zahlen


MAGAZIN<br />

Strukturpolitische Herausforderungen<br />

haben sich seitdem nicht durchgreifend verbessert.<br />

Der Zusammenbruch der Industrieforschung<br />

wird auch in anderen Relationen deutlich:<br />

Annähernd 20% der gesamtdeutschen Bevölkerung<br />

leben in Ostdeutschland, das etwa ein Drittel<br />

des deutschen Territoriums umfaßt. Ostdeutschland<br />

verfügt aber nur über ca. 5% der gesamtdeutschen<br />

Kapazitäten in der Wirtschaft und nur<br />

über 2% des entsprechenden Forschungs- und<br />

Entwicklungspotentials. In Betrieben, die von der<br />

früheren Treuhand betreut wurden, ging die Zahl<br />

derjenigen Arbeitsplätze, die der Forschung und<br />

Entwicklung zugeordnet waren, schneller zurück<br />

als diejenige der übrigen Arbeitsplätze. Es gibt<br />

dafür einen strukturellen Grund, der auch bei der<br />

drastischen Reduzierung der gesamten ostdeutschen<br />

Industrieforschung eine wichtige Rolle<br />

spielt. Unternehmen, die größere ostdeutsche<br />

Betriebe erwerben wollen oder erworben haben,<br />

verfügen an ihren Standorten in Westdeutschland<br />

oder im westlichen Ausland oft bereits über Forschungs-<br />

und Entwicklungspotentiale. Kleinere<br />

und mittlere Unternehmen weisen in vielen Fällen<br />

noch nicht die erforderliche Betriebsgröße auf<br />

oder sind wirtschaftlich noch nicht ausreichend<br />

gesichert, um sich die dauerhafte Einrichtung von<br />

Forschungspotentialen leisten zu können.<br />

An diesen Strukturbedingungen kann die beste<br />

staatliche Föderung der Industrieforschung<br />

jedenfalls kurzfristig nichts ändern. Staatliche und<br />

andere Förderprogramme für den Aufbau von<br />

Forschung und Entwicklung in den ostdeutschen<br />

Betrieben verhindern zwar einen weiteren Rückgang<br />

der ostdeutschen Potentiale und unterstützen<br />

– im besten Fall – von einem niedrigen Ausgangspunkt<br />

aus ein langsames Wachstum. Die<br />

Lücke, die der Zusammenbruch der ostdeutschen<br />

85<br />

Industrieforschung gerissen hat, können sie aber<br />

nicht füllen. Hier kommt dem Ausbau der öffentlich<br />

geförderten oder öffentlich getragenen Wissenschaftseinrichtungen<br />

– der Hochschulen und<br />

der Forschungsinstitute – eine strategische Auffangfunktion<br />

zu. Es ist eine wesentliche Aufgabe<br />

des Wissenschaftsforums der Sozialdemokratie in<br />

Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern,<br />

die sich daraus ergebenden Handlungsansätze<br />

zu schildern und voranzubringen. In zwei<br />

Veranstaltungen (im Juli und im Herbst) wird sich<br />

das Wissenschaftsforum an die Öffentlichkeit<br />

wenden. Ohne Wissenschaft kein Aufschwung Ost<br />

– diese Feststellung und die damit formulierte<br />

Forderung werden ein verbindendes Thema der<br />

Diskussion sein.<br />

Tilo Braune Klaus Faber<br />

Klaus Faber<br />

An der Parforceheide 22<br />

14480 Potsdam<br />

Tel. 03 31 - 624 551<br />

Fax 03 31 - 600 40 35<br />

Mail: Klaus_Faber @t-online.de


NOTIZEN<br />

86


Ministerium für Arbeit, Soziales,<br />

Gesundheit und Frauen<br />

des Landes Brandenburg<br />

Abteilung 2: Gleichstellung, Frauen, Familie<br />

Heinrich-Mann-Allee 103<br />

14473 Potsdam<br />

Telefon: 0331/ 866 59 50<br />

http://www.brandenburg.de/land/masgf<br />

Gleichstellungsbeauftragte der kreisfreien<br />

Städte im Land Brandenburg<br />

Landeshauptstadt Potsdam<br />

Frau Susanne Melior<br />

Friedrich-Ebert-Straße 79-81<br />

14469 Potsdam<br />

Telefon: 0331/ 289 10 80<br />

Stadt Frankfurt<br />

Frau Sabine Hieckel<br />

Neumarkt 5<br />

03046 Cottbus<br />

Stadt Brandenburg an der Havel<br />

Frau Karin Augustin<br />

Neuendorfer Straße 90<br />

14770 Brandenburg an der Havel<br />

Telefon: 03381/ 581 60 00<br />

Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und<br />

Lebensfragen (Caritas)<br />

Plantagenstraße 23-24<br />

14482 Potsdam<br />

Telefon: 0331/ 71 02 987<br />

KONTAKTADRESSEN<br />

87<br />

Demokratischer Frauenbund e.V.<br />

Landesverband Brandenburg<br />

Mangerstraße 41<br />

14467 Potsdam<br />

Telefon: 0331/ 29 31 48<br />

Brandenburgisches Mädchen- und<br />

Frauennetzwerk<br />

Madchenzukunftswerkstatt Teltow<br />

Potsdamer Straße 8<br />

14513 Teltow<br />

Juso-Hochschulgruppen<br />

Juso-HSG Universität Potsdam<br />

Ansprechpartnerin: Kathrin Veh<br />

e-mail: vehk@rz.uni-potsdam.de<br />

http://www.uni-potsdam/u/vereine/jusos.de<br />

Juso-HSG Universität Frankfurt/Oder<br />

Ansprechpartner: Moritz Karg<br />

Mühlenweg 34a/404<br />

15232 Frankfurt/Oder<br />

Telefon: 0335/ 52 22 30<br />

e-mail: juso-hsg@euv-frankfurt-o.de<br />

http://www.viadrina.euv-frankfurt-o.de~~juso-hsg/<br />

Arbeitsgemeinschaft<br />

sozialdemokratischer Frauen<br />

AsF-Landesverband Brandenburg<br />

Kontakt: Birgit Gorholt<br />

Friedrich-Ebert-Straße 61<br />

14469 Potsdam<br />

Telefon: 03 31 / 270 85 34<br />

Telefax: 03 31 / 270 85 35


Bezug<br />

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IMPRESSUM<br />

88<br />

Herausgeber<br />

SPD-Landesverband Brandenburg<br />

Redaktion<br />

Klaus Ness (v.i.S.d.P.), Andreas Büchner,<br />

Madeleine Jakob, Lars Krumrey<br />

Anschrift<br />

Friedrich-Ebert-Straße 61<br />

14469 Potsdam<br />

Telefon<br />

03 31 – 29 20 30<br />

Telefax<br />

03 31 – 2 70 85 35<br />

Mail<br />

<strong>Perspektive</strong>-<strong>21</strong>@spd.de<br />

Internet<br />

www.spd-brandenburg.de<br />

Druck<br />

Druck- und Medienhaus<br />

Hans Gieselmann, Bergholz-Rehbrücke<br />

Satz<br />

kai weber medienproduktionen


Zeitgeschichte<br />

Gabriele Schnell<br />

Ende und Anfang<br />

Chronik der Potsdamer<br />

Sozialdemokratie 1945/46 – 1989/90<br />

200 Seiten, Paperback, 19,80 DM<br />

ISBN 3-933909-05-8<br />

Gabriele Schnell schreibt die<br />

spannungsvolle Geschichte der Potsdamer<br />

Sozialdemokratie in den Jahren<br />

des Umbruchs: Der Kampf gegen die Zwangsvereinigung<br />

1945/46 und der mutige Neubeginn 1989/90. Eine umfangreiche<br />

Material- und Dokumentensammlung ergänzt ihre Darstellung.<br />

Benjamin Ehlers<br />

Wer, wenn nicht wir!<br />

10 Jahre<br />

Junge Sozialdemokraten in der DDR<br />

mit einem Vorwort von Manfred Stolpe<br />

208 Seiten, Paperback, 19,80 DM<br />

ISBN 3-933909-07-4<br />

»Die ostdeutsche SPD kann es sich<br />

langfristig nicht erlauben, junge Menschen<br />

ausschließlich für<br />

Handlangerdienste zu verwenden. Sie müssen Freiräume für<br />

ihre eigenen politischen Themen erhalten. Nicht zuletzt muß<br />

ihnen auch institutionell eine Chance eingeräumt werden. ...<br />

Insofern können es sich junge Menschen erlauben, etliche Jahre<br />

auf ihre Chance in der Politik zu warten; ob sich die SPD dieses<br />

Abwarten leisten kann, ist mehr als fraglich.«<br />

kai weber medienproduktionen<br />

schlaatzstrasse 6 · 14473 potsdam<br />

fon 03 31 - 280 05 09 · fax 280 05 17<br />

e-mail: info@weber-medien.de


Interview<br />

SPD-Landesverband Brandenburg, Friedrich-Ebert-Straße 61, 14469 Potsdam<br />

PVSt, DPAG, Entgelt bezahlt, A47550<br />

mit Dr. Christine Bergmann,<br />

Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend<br />

Beiträge<br />

Frauenförderpolitik in Brandenburg<br />

von Susanne Melior<br />

Migrantinnen im Land Brandenburg<br />

von Magdolna Grasnick<br />

Geschlechterverhältnisse in Veränderung<br />

von Prof. Dr. Irene Dölling<br />

Andere Frauen – andere Themen<br />

von Katrin Rohnstock<br />

Können Frauen nicht kampfschwimmen?<br />

von Anne Mangold und Sylka Scholz<br />

Frauen gestalten Europa<br />

von Lissy Gröner<br />

Schutz von Frauenrechten im Rahmen der Vereinten Nationen<br />

von Dr. Norman Weiß<br />

„Uns kriegen sie nicht klein“<br />

von Christa Randzio-Plath<br />

„Augen zu und durch“<br />

von Uta Reichel

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