Musterseiten Bahn-Epoche
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Wehratalbahn<br />
Hat der Zufall Ihnen schon einmal einen längst verloren gegangenen<br />
Geruch wieder um die Nase geweht? Einen, den<br />
sie total vergessen hatten – und dann braucht es nur einen<br />
Hauch davon und den Bruchteil einer Sekunde, bis die alten<br />
Bilder lebendig werden? Mir ist das vor einigen Jahren in einem<br />
älteren Aufzug in einer scheußlichen Wiesbadener Seniorenwohnanlage<br />
passiert. Was es genau für ein Geruch war, da kann ich nur<br />
spekulieren – ein Maschinenöl vielleicht –, auf jeden Fall ist exakt<br />
dieser mir bis einst häufig begegnet: im Altbau-Triebwagen ET 85<br />
in Südbaden.<br />
In der Tat reicht so ein Hauch, um uns in unwiederbringliche<br />
Zeiten zu entführen, an Orte, die es nicht mehr oder nurmehr stark<br />
verändert gibt. Sehnsuchtsorte, an die man sich gern zurückträumt.<br />
Und oft haben sie mit Kindheit und Jugend zu tun. So wie Maedels<br />
Halle-Hettstedter Eisenbahn, die ihn als Bub zu den Großeltern<br />
brachte, oder Ernst Hoecherls heimatliche Eichstätter Schmalspurbahn.<br />
Ich habe hier nun einen Absatz gemacht, um mich nicht in eine<br />
Reihe mit diesen Großen zu stellen, aber natürlich habe auch ich einen<br />
Sehnsuchtsort, genauer: die Wiesen- und Wehratalbahn. Dort,<br />
wo einst jener ET 85 fuhr, dessen öliger Hauch mir Jahre später in<br />
besagtem Aufzug wieder begegnete.<br />
Sehnsucht, ich habe das schon geschrieben, hat oft mit Kindheit<br />
zu tun, mehr mit gelebtem und geliebtem Alltag als mit starken Erlebnissen.<br />
Mein Bezug ist rasch erklärt: Geboren 1960 in Lörrach,<br />
dem Hauptort des Wiesentals, zogen wir 1965 nach Bonn, um aber<br />
alle Schulferien stets bei der Oma, die nun in unserer alten Wohnung<br />
lebte, zu verbringen. Per Zug – denn meine Eltern besitzen<br />
bis heute kein Auto.<br />
Ich bin also ein Kind der 60er Jahre. Warum dann aber diese Geschichte<br />
auch mit Fotos der frühen bis späten 50er illustriert wurde,<br />
ist leicht erklärt. Weil gerade die wunderbaren Aufnahmen von<br />
Jürgen Hagemann eine Stimmung zeigen, die ich noch gut kenne.<br />
Denn das Wiesental meiner Kindheit war noch stark von den Wirtschaftswunderjahren<br />
geprägt. Straßenbild, Läden, die Haltung der<br />
Menschen – da war noch nicht viel von den Swinging Sixties, von<br />
Veränderung oder gar Rebellion zu spüren. Erste große Änderungen<br />
setzten viel später ein. <strong>Bahn</strong>technisch war später das Aus für<br />
ET 85 und E 44 die große Zäsur.<br />
Was bei mir die 50er und noch ältere Zeiten auch präsent macht,<br />
sind die Erinnerungen meiner Eltern. Gern erzählten sie von ihren<br />
Die Wiesen- und<br />
Wehratalbahn<br />
0 10 km<br />
Stand: April 1961<br />
Winter 2012 · BAHNKlassik 41