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216_StadtBILD_Juli_2021

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Innenaufnahmen Hallenhaus Brüderstraße 9, Görlitz (Bildrechte: © Ulrich Schwarz)


Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

Vorwort<br />

anlässlich des 950-jährigen Stadtjubiläums wurde am 19.<br />

Juni im Görlitzer Kaisertrutz eine neue Sonderausstellung<br />

eröffnet. Unter dem Motto „950 Jahre Zukunft Görlitz-<br />

Zgorzelec“ werden nicht nur Meilensteine der Stadtgeschichte<br />

dargestellt. Auch haben Besucher die Möglichkeit,<br />

ihre Vision zur Europastadt in einigen Bereichen mit<br />

darzustellen.<br />

Große Feierlichkeiten sind aufgrund von Corona zwar nicht<br />

möglich, aber zumindest hat die Stadt sich selbst, aber<br />

auch den Einwohnerinnen und Einwohnern von Görlitz<br />

sowie denen im polnischen Teil, in Zgorzelec, die Sonderausstellung<br />

zum Geschenk gemacht. Bei einem Rundgang<br />

werden Wendepunkte der 950-jährigen Geschichte sichtbar.<br />

Die Ausstellung zeigt insbesondere, vor welchen Herausforderungen<br />

die Bürger von Görlitz und Zgorzelec über<br />

die Jahre hinweg standen, welche katastrophalen Schicksalsschläge<br />

sie überwinden mussten.<br />

Das erste Exponat der Ausstellung „950 Jahre Zukunft“ in<br />

Görlitz ist die originale Urkunde von 1071, mit der beglaubigt<br />

wurde, dass König Heinrich IV. eine Reihe von Ländereien<br />

an den Meißner Bischof Benno verschenkt, unter<br />

anderem ein Dorf namens Goreliz. Heute weiß man, dass<br />

bevor daraufhin die Siedler aus Thüringen und Franken kamen,<br />

slawische Bauern schon 300 Jahre früher dieses Land<br />

in Besitz genommen hatten. Aber dafür gibt es kein offizielles<br />

Dokument und so ist das der Auftakt zur 950-jährigen<br />

Geschichte von Görlitz und eben auch zur Jubiläumsausstellung.<br />

Zu sehen ist die Ausstellung in deutscher und polnischer<br />

Sprache bis zum 2. Januar 2022.<br />

Weitere Highlights sind auch die Wiedereröffnung der<br />

Hallenhausausstellung „Kaufmannspaläste an der Via Regia“<br />

mit Zugang durch das große Portal rechts vom Gebäude<br />

und die Neueröffnung des Informationszentrums<br />

zur Görlitzer Welterbe-Bewerbung in der Galerie, beides<br />

Brüderstraße 9. Hier gibt die Stadt Einblick in ihre aktuelle<br />

Bewerbung zum Weltkulturerbe. Mit Zeichnungen von<br />

Bertil Brahm, mit Fotos und kurzen Texten soll der Besucher<br />

zu einem Rundgang durch die Stadt angeregt werden. Die<br />

gesamte Ausstellung in der Galerie ist auf Wandtapeten<br />

gedruckt, so dass Veränderungen mit Fortschreiten der<br />

Bewerbung vorgenommen werden können.<br />

Gleich nebenan lohnt ein Blick in die dazugehörige Tageslicht-Ausstellung<br />

„Kaufmannspaläste an der VIA REGIA“.<br />

Hier wird die historische Entstehung der Hallenhäuser im<br />

Zuge der Entwicklung der Handelsstadt Görlitz an der Via<br />

Regia seit dem 13. Jahrhundert gezeigt.<br />

Das Hallenhaus in der Brüderstraße 9 ist unsaniert und lässt<br />

die Besucher in die Entstehungsgeschichte eintauchen.<br />

Neben dem Hauptausstellungsstück, dem Gebäude selbst,<br />

sind herausragende Fotoinstallationen von Ulrich Schwarz<br />

zu sehen. Gezeigt werden eine Auswahl exemplarischer<br />

Gebäude an der Via Regia in Polen mit den Stationen Liebenthal,<br />

Greiffenberg, Schweidnitz, Krakau und Jaroslau.<br />

Die Gebäudekubatur der Brüderstraße 9 wird in einem<br />

hochpräzisen 3-D-Druck gezeigt. In drei Querschnitten<br />

durch das Gebäude wird somit die Anatomie des Hauses<br />

sichtbar und verständlich. Darüber hinaus sieht der Besucher<br />

in einem Animationsfilm die Entwicklung der Görlitzer<br />

Hallenhäuser in LEGO-Bauweise.<br />

Zu sehen ist die Ausstellung „Kaufmannspaläste an der Via<br />

Regia“ noch bis zum 17. Oktober <strong>2021</strong>. Die Ausstellung in<br />

der Galerie ist dauerhaft geöffnet.<br />

Wir wünschen Ihnen spannende Entdeckungen und grüßen<br />

mit einem Gedicht von Eugen Roth:<br />

„Fertig wird´s Museum nie<br />

Wissenschaft und Industrie<br />

schreiten immer weiter fort<br />

und was heut lebendig dort<br />

morgen hats Museumswert<br />

und beansprucht seinen Platz<br />

hier als ein Museumsschatz.“<br />

Ihr Team vom <strong>StadtBILD</strong>-Magazin<br />

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Einleitung<br />

3


950 Jahre Zukunft Görlitz Zgorzelec<br />

Jahre Zukunft<br />

Immer wieder standen die Menschen in<br />

Görlitz und Zgorzelec im Laufe der 950jährigen<br />

Geschichte vor großen Herausforderungen.<br />

Sie mussten Katastrophen, Schicksalsschläge<br />

oder Ängste vor Veränderungen<br />

überwinden. Manchmal eröffneten sich<br />

neue Perspektiven. Oftmals mussten weitreichende<br />

Entscheidungen getroffen werden.<br />

Was sich wie ein roter Faden durch die Geschichte<br />

zu ziehen scheint, hat den Zeitgenossen<br />

Mut, Zuversicht und den Willen zur<br />

Gestaltung abgerungen.<br />

In der neuen Sonderausstellung im Kai-<br />

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4 Sonderausstellung


Sonderausstellung im Kaisertrutz<br />

950 Jahre Zukunft<br />

sertrutz präsentieren die Görlitzer Sammlungen<br />

beispielhaft Höhen und Tiefen der<br />

Stadtgeschichte – von der Ersterwähnung<br />

1071 bis zur unmittelbaren Gegenwart. Darüber<br />

hinaus eröffnet die Ausstellung einen<br />

Blick in die Zukunft und lädt die Besucherinnen<br />

und Besucher zur Mitwirkung ein.<br />

Auf großen Monitoren begegnen die<br />

Gäste in der Ausstellung realen und fiktiven<br />

Personen der Stadtgeschichte. Laien,<br />

lokale Künstlerinnen und Schauspieler<br />

des Gerhart-Hauptmann-Theaters<br />

Görlitz-Zittau sind in die Rolle von Zeitzeugen<br />

geschlüpft und erzählen von der<br />

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Sonderausstellung<br />

5


950 Jahre Zukunft Görlitz Zgorzelec<br />

Jahre Zukunft<br />

Entstehung der städtischen Gemeinschaft,<br />

von verpassten Chancen, von Krankheiten,<br />

Kriegen und Feuerkatastrophen sowie<br />

den Chancen der Europastadt Görlitz/Zgorzelec.<br />

Auch heute stehen die Einwohnerinnen<br />

und Einwohner in Görlitz und Zgorzelec vor<br />

Herausforderungen, deren Reichweite in<br />

die Zukunft nicht zu überschauen ist. Klimaund<br />

gesellschaftlicher Wandel sowie tiefgreifende<br />

Veränderungen der wirtschaftlichen<br />

Strukturen erfordern ein Umdenken.<br />

Die Görlitzer Sammlungen laden die Besucherinnen<br />

und Besucher beiderseits der<br />

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6 Sonderausstellung


Sonderausstellung im Kaisertrutz<br />

950 Jahre Zukunft<br />

Neiße ein, in der Ausstellung ihre Vision der<br />

Europastadt im Jahr 2051 darzustellen und<br />

auch zu anderen Themen ihre Meinung zu<br />

hinterlassen.<br />

Mit der Gestaltung haben die Görlitzer<br />

Sammlungen die Leipziger Agentur Kocmoc.net<br />

beauftragt. Im Ergebnis überrascht<br />

die Ausstellung nicht nur in ihrer Farbigkeit<br />

mit vorherrschend hellen Gelbtönen und<br />

Linien auf dem Fußboden, sondern auch<br />

mit verschiedenen Zeit-Themen-Inseln im<br />

Raum. Jahreszahlen verknüpfen sich mit bedeutenden<br />

Ereignissen der Stadtgeschich-<br />

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Sonderausstellung<br />

7


950 Jahre Zukunft Görlitz Zgorzelec<br />

Jahre Zukunft<br />

te, die Inhalte der Videos auf den Monitoren,<br />

Texte und Exponate werden auf den Podesten<br />

zusammengeführt. Grafische Linien verbinden<br />

verschiedene Inseln im Raum und<br />

führen zu weiterführenden „Links“ an den<br />

Außenwänden, die auf Parallelen in der Geschichte<br />

hinweisen.<br />

In den Vitrinen befinden sich rund 100 Exponate,<br />

die überwiegend aus dem Sammlungsbestand<br />

des Kulturhistorischen Museums<br />

stammen und durch Leihgaben des<br />

Sächsischen Staatsarchivs, Hauptstaatsarchiv<br />

Dresden, des Muzeum Regionalne w<br />

Lubaniu, der Städtischen Museen Zittau<br />

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8 Sonderausstellung


Sonderausstellung im Kaisertrutz<br />

950 Jahre Zukunft<br />

Gründungsurkunde von 1071, hier im Faksimile (alle Rechte Görlitzer Sammlungen).<br />

Das Original ist als Leihgabe des Sächsichen Staatsarchivs, hauptstaatsarchiv Dresden,<br />

in der Sonderausstellung zu sehen.<br />

und des Oberbürgermeisters a. D., Prof.<br />

Dr. Rolf Karbaum, ergänzt wurden. Zu den<br />

herausragenden Zeugnissen der Stadtgeschichte<br />

gehört die Schenkungsurkunde<br />

König Heinrichs IV. vom 11. Dezember 1071,<br />

die in der Sonderausstellung als Leihgabe<br />

im Original zu sehen ist.<br />

Begleitet wird die Sonderausstellung von<br />

einem Veranstaltungsprogramm, das viele<br />

Möglichkeiten zur Mitwirkung bieten soll.<br />

Die Ausstellung ist zweisprachig konzipiert,<br />

alle Informationen sind in deutscher und<br />

polnischer Sprache verfügbar.<br />

Sonderausstellung:<br />

950 Jahre Zukunft Görlitz Zgorzelec<br />

bis 2. Januar 2022<br />

Kulturhistorisches Museum Görlitz<br />

Kaisertrutz, Platz des 17. Juni 1<br />

Sonderausstellung<br />

9


Der Pomologische in Görlitz –<br />

Gartengeschichte<br />

Am Rande der heutigen Paul Keller Straße<br />

befindet sich der ehemalige „Pomologische<br />

Garten“ von Görlitz. Bereits vor dem Jahr<br />

1583 befand sich dort „das Vorwerk vorm<br />

Frauentore unter dem Weinberge“, das 1583<br />

Franz Beyer d. J. seinem Bruder Peter Beyer<br />

für 2.300 Mark verkaufte. Dieser veräußerte<br />

es 1589 an Michael Büttner. Dessen Pflegetochter<br />

Magdalena, verehelichte Hennig,<br />

erbte dieses Vorwerk 1617 nach Büttners<br />

Tod. Sie selbst starb 1644. Das Vorwerk wurde<br />

dann nach einem Streit der Hinterbliebenen<br />

geteilt. In den Jahren 1644 und 1649<br />

wurde der Kellerberg, das Plini Krautland<br />

(nach dem römischen Naturwissenschaftler<br />

Plinius d. Ä. benannt) und das Flecklein (Botanischer<br />

Garten!) als zum Vorwerk gehörig<br />

erwähnt. Im Jahr 1779 befanden sich bereits<br />

an der Stelle des späteren „Pomologischen<br />

Gartens“ gemäß einer Karte von Sadow<br />

Haus und Gartenanlagen.<br />

1848 legten der Kunstgärtner Herbig zusammen<br />

mit Carl Eduard Maximilian Richtsteig,<br />

Kämmerer und späterer Oberbürgermeister<br />

(1866-1871) von Görlitz, dann den „Pomologischen<br />

Garten“ an. In diesem wurden nicht<br />

nur die „besten Sorten von Obstbäumen“,<br />

sondern auch „sehr viele Sorten von Zierbäumen<br />

und Sträuchern in sehr bedeutender<br />

Menge“ angebaut. Der Absatz aus diesem<br />

Garten nahm mit jedem Jahr deutlich<br />

zu. Der „Pomologische Garten“ war ein Teil<br />

des Weinberggartens.<br />

Im Grundbuch der Stadt Görlitz wird der „Pomologische<br />

Garten“ erstmals im Jahre 1866<br />

erwähnt. Er war bäuerliches Besitztum und<br />

reichte durch den Ankauf von umliegenden<br />

Grundstücken bis an die heutige Biesnitzer<br />

Straße heran und war Zugangsweg zum Gehöft.<br />

Oberbürgermeister Richtsteig baute<br />

hier eine große Anzahl von Gewächshäusern,<br />

legte eine umfangreiche Sammlung<br />

von verschiedenen Obstsorten an und war<br />

der erste Ananaszüchter in der Görlitzer Region.<br />

Er beteiligte sich zudem mit Früchten<br />

des von ihm angelegten pomologischen<br />

Gartens an Sortenausstellungen wie z.B.<br />

der 4. Allgemeinen Ausstellung deutscher<br />

Pomologen 1863 in Görlitz. Auch stand er<br />

in regem Austausch mit den anderen Pomologen<br />

seiner Zeit und sorgte dafür, dass<br />

auch die Städtische Baumschule (Görlitz)<br />

sowie die „Gewerbe-Vereins-Baumschule“<br />

in Görlitz mit seltenen Obstsorten versorgt<br />

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10 Geschichte


Eine Zeitreise durch die Gartengeschichte<br />

Die imposanten Eingangstore zum Gelände des „Pomologischen Gartens“.<br />

wurden.<br />

Zum Besitz gehörte zudem ein Granitsteinbruch,<br />

der eine Grünstein-Ader aufweist<br />

und daher bis heute viele Geologen anlockt.<br />

Das Grundstück wechselte in der Folgezeit<br />

häufig den Besitzer, bevor es 1891 der aus<br />

Berlin stammende Bankier <strong>Juli</strong>us Mayer erwarb,<br />

der wegen seiner humoristischen Art<br />

bei den Görlitzern als „Pomologen-Mayer“<br />

bekannt wurde. Er betrieb vorzugsweise<br />

Landwirtschaft und beutete den Steinbruch<br />

aus. 1908 erwarb das Grundstück dann der<br />

Fabrikant Georg Habicht aus Görlitz. Die damalige<br />

Größe des Besitzes betrug 58 Morgen.<br />

Durch Ankauf von Land stieg die Größe<br />

bis auf 70 Morgen. Seit 1929 war das Grundstück<br />

dann im Besitz der Stadt Görlitz.<br />

Nach 1915 wurde der Weinanbau auf dem<br />

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Geschichte<br />

11


Der Pomologische in Görlitz –<br />

Gartengeschichte<br />

Die Villa auf dem Gelände wurde bis 2015 als Wohnhaus genutzt (Foto rechts aus dem Jahr 2020)<br />

Gelände aufgrund des Reblausbefalls eingestellt.<br />

Ab 1935 pachtete Walter Wagner das<br />

Grundstück und betrieb dort eine Gärtnerei<br />

mit Obst- und Gemüsebau und Landwirtschaft.<br />

1960 standen noch über 200 Obstbäume<br />

auf dem Gelände. Nach 1945 wurde<br />

auf dem Gelände sogar für einige Jahre Tabak<br />

angebaut. 1961 wurde das Grundstück<br />

von der LPG übernommen. Seitdem hatte<br />

Klaus Wagner, der Sohn von Walter Wagner,<br />

die Leitung der Gärtnerei inne. Noch bis in<br />

die 1960er Jahre wurde auf dem Gelände<br />

auch Obstbau betrieben und bis in die<br />

1970er Jahre standen auf dem Grundstück<br />

30-40 Bienenvölker. An die Stelle der Obstbäume<br />

wurde dann in den 1960er Jahren<br />

die Kleingartenanlage „Sonnenhang Görlitz<br />

e.V.“ angelegt.<br />

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12<br />

Geschichte


Eine Zeitreise durch die Gartengeschichte<br />

Klaus Wagner wohnte auf dem Gelände bis<br />

2015. Da das Wohnhaus nicht an die Abwasseranlage<br />

der Stadt Görlitz angeschlossen<br />

ist, musste er dann ausziehen, kümmert sich<br />

aber trotz seiner mittlerweile 80 Jahre (Stand<br />

2020) fast täglich um die Pflege des Anwesens.<br />

2010 übernahm Sabine Reuter die „Gärtnerei<br />

Wagner“ und baut dort seitdem vor allem<br />

Kräuter, Stauden und Sommerschnittblumen<br />

an. Mit diesem Produktionssortiment<br />

ist die Gärtnerei Wagner im Landkreis Görlitz<br />

die einzige bio-zertifizierte Gärtnerei. Der jetzige<br />

Besitzer der gesamten Anlage des „Pomologischen<br />

Gartens“, die KOMMWOHNEN<br />

Service GmbH (Görlitz), hat die Gärtnerei bis<br />

auf Widerruf für jeweils ein Jahr an Frau Reuter<br />

verpachtet.<br />

Heute (2020) erinnern nur noch sehr wenige<br />

alte Obstbäume auf dem Grundstück, der<br />

Görlitzer Straßenname „Pomologische Gartenstraße“<br />

und die benachbarte Kleingartensiedlung<br />

„Pomologischer Garten e.V.“ an die<br />

alte pomologische Tradition des Geländes.<br />

Gebäudeensemble und Außenanlagen<br />

Auf dem Gelände des „Pomologischen Gartens“<br />

stehen heute noch eine Villa mit „italienischen“<br />

Türmchen sowie Saalanbau und<br />

Veranda, das ehemalige Gärtnerhaus (um<br />

1910 erbaut), die ehemalige Mosterei (um<br />

1900 erbaut), eine Scheune, Nebengebäude,<br />

Treibmauern sowie Einfriedungsmauern aus<br />

Gestein mit zwei Eingangstoren. Auch der<br />

Teich ist noch vorhanden. Das gesamte Gelände<br />

ist parkähnlich angelegt und verfügt<br />

über eine Reihe alter Linden und anderer alter<br />

Solitärbäume. Alle genannten Gebäude<br />

auf dem Gelände werden derzeit höchstens<br />

als Abstellräume genutzt und sind seit etlichen<br />

Jahren dringend sanierungsbedürftig.<br />

Die früheren Gewächshäuser wurden kurz<br />

vor der politischen Wende abgerissen und<br />

durch drei neue Gewächshäuser ersetzt, die<br />

heute zusammen mit einem Nebengebäude<br />

durch die Gärtnerei genutzt werden. In<br />

einem der Gewächshäuser hat Klaus Wagner<br />

eine große Kakteensammlung angelegt.<br />

Die Gewächshäuser münden im Süden in<br />

eine verwilderte Gartenanlage mit Teich. In<br />

einem Teil dieser Anlage wächst heute Bambus,<br />

der vom Tierpark Görlitz u.a. zur Fütterung<br />

der Pandas genutzt wird.<br />

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Geschichte<br />

13


Der Pomologische in Görlitz –<br />

Gartengeschichte<br />

Im Vordergrund die Gewächshäuser, im Hintergrund die bis in die 1920er Jahre betriebene Mosterei<br />

sowie die Villa.<br />

Heutige Bedeutung des ehemaligen „Pomologischen<br />

Gartens“<br />

Die gesamte Anlage des ehemaligen „Pomologischen<br />

Gartens“ ist ortsgeschichtlich und<br />

wissenschaftlich von großer Bedeutung. Daher<br />

wurde die Anlage auch in die Liste der<br />

Kulturdenkmäler in Görlitz (Nr. 9302801)<br />

aufgenommen. Die Einzeldenkmale sind<br />

unter der Nr. 09280321 in der Kulturdenkmalliste<br />

des Sächsischen Landesamtes für<br />

Denkmalpflege zu finden. Ihre große Bedeutung<br />

erlangt die Anlage dadurch, dass hier<br />

wie in keiner anderen Anlage der Region<br />

das Gesamtensemble von Gärten, Mosterei,<br />

Villa, Gärtnerhaus und Einfriedungsmauern<br />

noch vollständig vorhanden ist.<br />

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14<br />

Geschichte


Eine Zeitreise durch die Gartengeschichte<br />

Villa mit Anbau (links), in dem sich heute noch ein Veranstaltungssaal befindet, der von den<br />

Kleingärtnern genutzt wird.<br />

Der „Pomologische Garten“ in Görlitz war<br />

neben einem solchen Garten in Braunschweig<br />

einer der ersten Gärten dieser Art in<br />

Deutschland. Zudem ist der „Pomologische<br />

Garten“ das einzige heute noch vorhandene<br />

Zeugnis der großen pomologischen Tradition<br />

von Görlitz, die in der Ausrichtung der<br />

4. Allgemeinen Ausstellung deutscher Pomologen<br />

1863 ihren Höhepunkt fand. Daher<br />

wäre es sehr wünschenswert, wenn auf<br />

einem Teil des Geländes wieder historische<br />

Obstsorten angebaut würden.<br />

Dr. Michael Schlitt<br />

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Geschichte<br />

15


Bands in der DDR<br />

in der DDR<br />

Im real existierenden Sozialismus wurde<br />

ständig gekämpft: Um die Planerfüllung<br />

in den Betrieben genauso wie um die Beschaffung<br />

alles Lebensnotwendigen. Das<br />

allgemeine Kämpfen endete auch nicht<br />

in der Kultur. Wenn eine Band eine höhere<br />

Einstufung anstrebte, musste sie sich mit<br />

den Kulturfunktionären arrangieren. Die<br />

ließen die Musiker gern unfreiwillig komische<br />

Elaborate wie das folgende „Kampfprogramm“<br />

unterschreiben:<br />

KAMPFPROGRAMM<br />

Um den hohen Anforderungen an Jugendtanzkapellen<br />

bei der Interpretation von moderner<br />

Tanzmusik besser gerecht werden<br />

zu können, nehmen wir den Kampf um den<br />

Titel „Hervorragendes Volkskunstkollektiv”<br />

auf. Dabei haben wir uns folgende Aufgaben<br />

gestellt:<br />

Qualifizierung<br />

Alle Kapellenmitglieder qualifizieren sich<br />

auf musikalischem Gebiet (theoretisch und<br />

praktisch), um die Qualität des technischen<br />

und künstlerischen Leistungsvermögens<br />

zu erhöhen. Wir nehmen geschlossen am<br />

Ferienkurs für Instrumentalisten der Musikhochschule<br />

Dresden im Februar 1975 teil.<br />

Dadurch sollen die Voraussetzungen für eine<br />

positive Einflussnahme auf die Jugend bei<br />

der Geschmacksbildung im Bereich moderner<br />

Tanzmusik geschaffen werden als Teil<br />

der Heranbildung zur sozialistischen Persönlichkeit.<br />

Intensive Vorbereitung auf das Tanzmusikfest<br />

im März 1975 in Riesa. Ziel ist es dabei,<br />

die erreichte Sonderstufe erfolgreich zu verteidigen<br />

und die Gelegenheit zum praktischen<br />

Erfahrungsaustausch zu nutzen.<br />

Repertoiregestaltung<br />

Bereicherung unseres Repertoires durch Verwendung<br />

von Themen der Klassiker und der<br />

Folklore zur Erhöhung der Vielseitigkeit.<br />

Verstärkte Bemühungen auf dem Gebiet von<br />

Eigenkompositionen und Eigenbearbeitungen<br />

von bereits vorhandenen Werken.<br />

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16<br />

Geschichte


Von paradiesisch bis schikanös<br />

Bands in der DDR<br />

Übernahme von Tanzmusikproduktionen<br />

der sozialistischen Bruderländer.<br />

Gesellschaftliche Tätigkeit<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

Wir erklären unsere Bereitschaft zur Teilnahme<br />

an folgenden kulturellen Veranstaltungen:<br />

Festival der Volkskunst sozialistischer Bruderländer<br />

im Mai 1975<br />

Leistungsvergleich der Jugendtanzkapellen<br />

der Stadt und des Kreises Görlitz im Juni<br />

1975<br />

Eventuelle Einsätze bei Kulturveranstaltungen<br />

im Kreis Görlitz<br />

Verbesserung der Zusammenarbeit mit<br />

dem Kreiskabinett für Kulturarbeit Görlitz<br />

Gewinnung einer Einrichtung oder eines<br />

Betriebes für die Übernahme einer Trägerschaft<br />

Trio Melodie Görlitz, 1956<br />

Görlitz, den 15.1.1975<br />

REFLEXION<br />

Gesangs– und Instrumentalgruppe<br />

Kapelle Urban Rothenburg, 1957<br />

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Geschichte<br />

17


Bands in der DDR<br />

in der DDR<br />

Orchester Eberhard Weise Görlitz, 1957<br />

Die Bands der 50er bis 80er im Osten<br />

Deutschlands spielten unter Bedingungen,<br />

die heute nur schwer vorstellbar sind – im<br />

Positiven wie im Negativen...<br />

Tägliche Tanzveranstaltungen gab es in<br />

den Etablissements: Hotel „Stadt Dresden“,<br />

Hotel „Haus des Handwerks“, Hotel<br />

„Görlitzer Hof“, „Stadtcafe“, „Taverne“, „Bürgerstübel“,<br />

„Goldener Engel“ (wöchentlich<br />

2-3 Tanzabende boten), „Haus der Jugend“<br />

(genannt „Schuppen“), „Konzerthaus“,<br />

„Zwei Linden“, Kulturhaus „Hans Georg<br />

Otto“, „KEMA-Klubhaus“, „Karl-Marx-Klubhaus“<br />

u.a..<br />

Es wurden folglich jede Menge Musiker<br />

gebraucht, und es gab sie auch. Es versuchten<br />

sich viele an einem Instrument.<br />

Muggen über Muggen ... (Mugge= Musikalisches<br />

Gelegenheitsgeschäft)<br />

CD-Player, iPod und Diskotheken waren entweder<br />

noch nicht erfunden oder nicht zu beschaffen.<br />

Das hieß, wer tanzen wollte, war auf<br />

die handwerklichen Dienste von Musikern<br />

angewiesen. Und die wurden in beachtlicher<br />

Zahl benötigt, wie das Beispiel Görlitz zeigt.<br />

Amigos Zittau, 1961<br />

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18<br />

Geschichte


Von paradiesisch bis schikanös<br />

Bands in der DDR<br />

Schlagersterne Zittau, 1969<br />

Ihrem kulturellen Horizont hat das auch<br />

dann nicht geschadet, wenn es am Ende<br />

nicht zum Musiker reichte.<br />

Diese für Musiker eigentlich paradiesische<br />

Situation endete in den 80er Jahren mit<br />

der technischen Entwicklung und dem<br />

Entstehen erst mobiler, nach der Wende<br />

auch ortsfester Diskotheken.<br />

Ost-Musiker an der kurzen Leine...<br />

Dass die Bedingungen für die Musiker in<br />

der real existierenden DDR nicht zu paradiesisch<br />

wurden, dafür sorgten die Kultur-<br />

(=Partei-) Funktionäre mit diversen Regularien<br />

und Schikanen: Am bekanntesten<br />

ist wohl die Regelung, wonach generell<br />

60% des Repertoires aus Titeln von DDR-<br />

Komponisten zu bestehen hatten. Die<br />

restlichen 40% durften aus der Zeit vor<br />

1949, dem DDR-Gründungsjahr, oder aus<br />

dem Westen stammen. Letztere aber nur,<br />

wenn sie in der DDR verlegt waren. 60%<br />

des Repertoires hätte folglich kaum einer<br />

gekannt, denn man orientierte sich fast<br />

ausschließlich an westlichen Hitparaden.<br />

Was blieb den Bands übrig? Sie setzten<br />

sich über die Vorschriften hinweg. Und das<br />

mit dem Risiko, ein Auftrittsverbot einzufangen,<br />

wenn sie erwischt wurden.<br />

Sie akzeptierten dafür sogar, anlässlich so<br />

genannter gesellschaftlicher Höhepunkte<br />

„spontane“ Texte zu unterschreiben, die<br />

ihnen von den Kreiskabinetten für Kulturarbeit<br />

als eigenes Elaborat untergejubelt<br />

wurden.<br />

Ausscheide zwischen Bands gab es auf<br />

Kreis-, Bezirks- und DDR-Ebene.<br />

Die Bands erfreuten sich natürlich auch der<br />

ausgezeichneten Aufmerksamkeit durch<br />

die Sicherheitsorgane der DDR. So gab es<br />

IM‘s auch in der Szene (IM = Informeller<br />

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Geschichte<br />

19


Bands in der DDR<br />

in der DDR<br />

sogenannte Spielerlaubnis, auch „Pappe“<br />

genannt, die zur Ausübung von Tanzmusik<br />

berechtigte. In ihr war ein Stundensatz<br />

festgeschrieben, der vom Veranstalter<br />

gefordert werden durfte. Er lag zwischen<br />

3,00 und 7,50 Mark, zuletzt 8,50 Mark. Die<br />

Musical Combo Görlitz, 1972<br />

Mitarbeiter, kurz: Spitzel). Da schrieb ein<br />

IM Artur Abendroth – ein nicht nur in der<br />

Oberlausitz bekannter Musiker – herabwürdigende<br />

Berichte über einen Kollegen<br />

seiner eigenen Band. Aber die Stasi hatte<br />

auch unmittelbaren Einfluss, ob eine Band<br />

oder ein Musiker die Spielerlaubnis bekam<br />

oder nicht und wenn ja, zu welchen Bedingungen.<br />

Sie bestimmte letztendlich auch,<br />

ob eine Band bei herausgehobenen Veranstaltungen<br />

auftreten durfte oder nicht.<br />

Vor die Amateurmusikerlaufbahn hatten<br />

die Funktionäre zudem eine „Einstufung“<br />

gesetzt. Bestand man diese, gab es die<br />

Sirius Görlitz, 1975<br />

Gage eines fünfstündigen Tanzabends<br />

lässt sich daraus errechnen. Leider befanden<br />

über die Qualität einer Band weniger<br />

Fachleute, als Funktionäre.<br />

Die DDR-Wirtschaft konnte den Musikern<br />

weder ordentliche Instrumente, geschwei-<br />

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20<br />

Geschichte


Von paradiesisch bis schikanös<br />

Bands in der DDR<br />

Was bleibt?<br />

Es bleibt die Erinnerung an eine große Zeit<br />

der Livemusik. Und es gibt Hoffnung:<br />

Reflexion Görlitz, 1975<br />

ge denn sonstiges Gerät zur Verfügung<br />

stellen. Notgedrungen duldete der Staat<br />

Schwarzimporte aus dem Westen, welche<br />

natürlich voll zu Lasten der Musiker gingen:<br />

Das so erworbende Equipment war<br />

zum Kurs von anfangs 1:6, später bis 1:10<br />

(DM zu Ostmark) zu berappen. Ein Yamaha-Synthi<br />

DX 7 kostete auf diese Weise<br />

zwischen 20.000,- und 30.000,- Ostmark.<br />

Und das bei einem durchschnittlichen Einkommen<br />

des DDR-Werktätigen von 800,-<br />

Mark monatlich.<br />

Honky Tonky Bautzen, 1979<br />

Immer wieder entstehen neue Livebands<br />

mit teils beachtlichem Niveau. Der Erfolg<br />

von Livenächten in Kneipen vieler Oberlausitzer<br />

Städte wie Bautzen, Görlitz und<br />

Zittau lassen auf zunehmende Akzeptanz<br />

live gespielter Musik schließen.<br />

Quelle: www.toplivebands.de<br />

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Geschichte<br />

21


Das Görlitzer Mondmobil „Kosmokrator“<br />

Kosmokrator<br />

In den vergangenen Ausgaben haben wir<br />

ausführlich über die Entstehung der Parkeisenbahn<br />

in Görlitz berichtet. Diese ist<br />

im wesentlichen auf die Verdienste von<br />

Diplom-Ingenieur Hans-Rüdiger Eulitz zurück<br />

zu führen, der unermüdlich tüftelte,<br />

wie man in Zeiten von Planwirtschaft und<br />

Materialknappheit eine fahrbereite Eisenbahn<br />

nach dem Vorbild der ersten deutschen<br />

Eisenbahn entwickeln und bauen<br />

konnte. Im Zuge dieser Entwicklungen kamen<br />

Herrn Eulitz auch viele weitere Ideen,<br />

die er auch teilweise verwirklichen konnte.<br />

Die ganze Welt war in den Siebziger Jahren<br />

im Weltraumfieber. Der Sachse, Sigmund<br />

Jähn aus dem Vogtland, flog als 1. deutscher<br />

Kosmonaut erfolgreich mit der Sojus<br />

Kapsel um die Erde. So kam Herrn Eulitz<br />

der Gedanke ein modernes Fahrzeug zu<br />

entwickeln, welches die Besucher aus der<br />

Stadt zum Gelände der Parkeisenbahn am<br />

Weinberghaus bequem befördern könnte.<br />

Gesagt, getan und schon entstand der Gedanke<br />

ein „Mondauto“ zu bauen, welches<br />

die Phantasie und die Herzen besonders<br />

der kleinen Besucher anregen sollte.<br />

Das Fahrzeug wurde „Kosmokrator“ getauft<br />

und entstand aus vielen Einzelteilen<br />

und Restbeständen, die in den damaligen<br />

Görlitzer Fabriken und Werkstätten zusammengesucht<br />

wurden. Doch lassen wir<br />

Hans-Rüdiger Eulitz selbst zu Wort kommen:<br />

„Es hatte 6 Räder, davon zwei Räder<br />

mit Frontantrieb vom PKW „Wartburg“,<br />

der Motor war ein kleiner Dieselmotor<br />

aus Cunewalde von einem alten Spezialfahrzeug<br />

„Multicar“ mit 6 PS, die hinteren<br />

Federn stammten von einem rumänischen<br />

Kleintransporter „Zuk“. Die Gangschaltung<br />

erfolgte von oben direkt auf das Getriebe<br />

und stammte als Knüppelschaltung von<br />

einem „Trabant“. Die beiden Mittelräder<br />

waren frei aufgehängt und liefen lose mit,<br />

auch jederzeit als Ersatzräder einsetzbar.<br />

Die Radarantenne auf dem Führerhaus<br />

wurde vom Scheibenwischermotor eines<br />

sowjetischen PKW „Moskwitsch“ angetrieben,<br />

mit 6 Umdrehungen pro Minute, wie<br />

eine Original Radarantenne. Zur Sicherheit,<br />

und zur Erhöhung der Aufmerksamkeit,<br />

befanden sich vorn und am Heck des<br />

Fahrzeuges je eine Rundumleuchte. Die<br />

vordere Leuchte war eine Umarbeitung<br />

einer Wandleuchte aus dem ehemaligen<br />

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22<br />

Geschichte


Von Hans-Rüdiger Eulitz<br />

Bands in der DDR<br />

Das Mondauto „Kosmokrator“ wurde überall begehrt, so dass es bei Volks- und Stadtfesten, wie in<br />

Rothenburg, als Hauptattraktion fahren musste. In Rothenburg wurden dabei 40 kg Bonbons aus<br />

Görlitz an die Kinder verteilt.<br />

Görlitzer Leuchtenwerk in der Zittauer<br />

Straße. Hinten über dem Hecktraversen<br />

gab es eine Verkleidung für die Rundumleuchten.<br />

Rings um das Heckoberteil waren<br />

Ölstandsgläser von Kompressoren eingebaut,<br />

die natürlich farbig bemalt waren,<br />

was die Kinderaugen immer zum Strahlen<br />

brachte. An der Frontseite befanden sich 4<br />

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Geschichte<br />

23


Das Görlitzer Mondmobil „Kosmokrator“<br />

Kosmokrator<br />

Scheinwerfer des PKW „Wartburg“ sowie 2<br />

kleinere Scheinwerfer. Das Armaturenbrett<br />

war mit 75 farbigen kleinen Lämpchen<br />

bestückt. Die gesamte Elektronik bauten<br />

Kinder der damaligen AG Elektronik mit<br />

Herrn Drechsler. Jeder der 9 Sitzplätze<br />

hatte einen 75 Ohm Steckanschluß für<br />

Kopfhörer. Dazu hatte ich 9 Panzerhauben<br />

mit eingebauten Kopfhörern vom Militär<br />

besorgt. Die Höchstgeschwindigkeit des<br />

„Kosmokrator“ betrug 7 km/h gemäß der<br />

damaligen Betriebserlaubnis für Kinder.<br />

Der Einstieg erfolgte aus Sicherheitsgründen<br />

von hinten. Das Fahrzeug benötigte<br />

aber viel Strom, den der kleine Generator<br />

des Dieselmotors aber nicht leisten konnte.<br />

So gab mir mein Freund Schmidt vom<br />

Waschmaschinenreparaturdienst eine<br />

große wuchtige Riemenscheibe, die wir<br />

auf den direkten Antrieb montierten. Dadurch<br />

erhöhte sich die Drehzahl auf ca.<br />

3000 Umdrehungen pro Minute , die uns<br />

die benötigten 800 Watt Leistung für die<br />

Elektronik lieferte.<br />

Für diese tolle, aber einmalige Konstruktion,<br />

eines Mondautos konnte ich Hartmut<br />

Scholz vom damaligen GÖWA-Waggonbau<br />

begeistern. Wir sprachen alles ab,<br />

lieferten alles zu und unsere Super Patenbrigade<br />

Dieter Baer, baute unser Wunderwerk<br />

„Kosmokrator“ in bester Qualität zusammen.<br />

Die Elektrofirma Peter Gottwald<br />

erweckte unseren „Kosmokrator“ elektrisch<br />

zum Leben.<br />

In der Zwischenzeit baute mit viel Liebe<br />

und handwerklichen Können Herr Boer<br />

in Markersdorf die 9 speziellen Sitze. In<br />

schwarz und rot genoppten Kunstleder,<br />

sauber mit Biesen verarbeitet, waren die<br />

Sitze eine echter Hingucker.<br />

Nachdem ich mit Herrn Peter Töpfer, unserem<br />

Super Grafiker, die Farbauswahl<br />

getroffen hatte, ging es ans lackieren,<br />

was uneigennützig durch die Kollegen<br />

vom SDS (Straßenwesen) in leuchtenden<br />

Farben erfolgte. Fast hätte man glauben<br />

können, nun wäre alles fertig, aber nein, es<br />

gab noch ein paar Probleme mit dem Sicherheitsglas.<br />

Die Gummiprofile beschafften<br />

mir die Kollegen vom Waggonbau der<br />

Zweigstelle Rauschwalder Straße. Das Sicherheitsglas<br />

fertigte die PGH „Diamant“<br />

in Bautzen an. Nun wurden die Sicherheitsglasscheiben<br />

vor Ort zugeschnitten<br />

und eingebaut.“<br />

Das Mondauto erregte auch in der Öffentlichkeit<br />

Aufmerksamkeit und so geschah<br />

es, dass der berühmte Kosmonaut Sigmund<br />

Jähn nach Görlitz kam und mit der<br />

Parkeisenbahn sowie dem Mondauto eine<br />

Runde drehte. Zur damaligen „Messe der<br />

Meister von Morgen“ in Dresden wurde<br />

das Mondauto auch ausgestellt und Hans-<br />

Rüdiger Eulitz durfte die Kosmonauten<br />

Sigmund Jähn und Walerie Bykowski mit<br />

dem „Kosmokrator“ zum Hygienemuseum<br />

fahren. Sigmund Jähn bedankte sich später<br />

in einem handschriftlichen Schreiben<br />

bei Hans-Rüdiger Eulitz für die tollen Erlebnisse.<br />

Leider endete auch diese erlebnisreiche<br />

Zeit mit der politischen und wirtschaftlichen<br />

Wende. Aber Hans-Rüdiger Eulitz<br />

verfügt über einen so großen Erfahrungsschatz<br />

aus jener Zeit, so dass wir gelegentlich<br />

noch weitere tolle Ideen und Erlebnisse<br />

von ihm vorstellen können.<br />

Hans-Rüdiger Eulitz und<br />

Bertram Oertel<br />

24<br />

Geschichte


Seit 1847 per erreichbar<br />

Bahnverbindung<br />

Werbewirksam ließ die WUMAG 1927 den werksneuen<br />

„Rübezahl“ ET 89 17 auf dem Neißeviadukt<br />

ablichten. Foto: WUMAG Wolfgang Theurich<br />

Die Stadt Görlitz hatte mit dem Wiener Kongress<br />

1815 ihre Zuordnung zur preußischen<br />

Provinz Schlesien erfahren und entwickelte<br />

sich dank günstiger Lage an der Lausitzer<br />

Neiße und der Via Regia im 19. Jahrhundert<br />

zu einem bedeutenden Verkehrsknoten.<br />

Am 1. September 1847 fuhren die ersten<br />

Züge der Niederschlesisch-Märkischen Eisenbahn<br />

von Kohlfurt kommend über den<br />

gerade fertiggestellten, 475 Meter langen<br />

und 35 Meter hohen Neiße-Viadukt.<br />

Zum selben Zeitpunkt konnte auch die<br />

Strecke Dresden – Görlitz der Sächsisch-<br />

Schlesischen Eisenbahn und damit die<br />

Bahnverbindung mit Sachsen realisiert<br />

werden. Sie fand im September 1865 mit<br />

einem ersten Abschnitt der Schlesischen<br />

Gebirgsbahn bis Lauban ihre Fortführung<br />

in östlicher Richtung.<br />

Vom Görlitzer (Kopf-)Bahnhof in Berlin aus,<br />

nahm nur gut zwei Jahre später die Berlin-<br />

Görlitzer Eisenbahn den planmäßigen Betrieb<br />

auf, um insbesondere die Lausitz und<br />

das Riesengebirge anzubinden. Der Erwähnung<br />

bedarf gleichermaßen die Weiterführung<br />

nach Zittau bzw. über Seidenberg ins<br />

böhmische Reichenberg 1875, die Wien<br />

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Geschichte<br />

25


Seit 1847 per erreichbar –<br />

Bahnverbindung<br />

zum Ziel hatte.<br />

Elektrisch: Schlesische Gebirgsbahn<br />

Nach umfangreichen Versuchen mit dem<br />

elektrischen Zugbetrieb auf der Wiesenund<br />

Wehratalbahn in Baden, im Süden<br />

Bayerns und auf der mitteldeutschen<br />

Flachland-Hauptbahn Dessau – Bitterfeld<br />

entschloss sich die Königlich Preußische<br />

Eisenbahn-Verwaltung zur Elektrifizierung<br />

ausgewählter Haupt- und Nebenstrecken<br />

in Schlesien mit Wechselstrom 15 kV und 16<br />

2/3 Hz. Am 1. September 1923 erreichte der<br />

Fahrdraht den Görlitzer Ortsteil Schlauroth.<br />

Einschließlich einiger Zweigstrecken, namentlich<br />

Lauban – Königszelt, Hirschberg<br />

– Polaun und – Krummhübel und rund um<br />

Waldenburg, belief sich die Streckenlänge<br />

des elektrifizierten Netzes der so genannten<br />

Schlesischen Gebirgsbahn (SGB) Ende<br />

1933 auf rund 388 Kilometer. Die Hauptlast<br />

trug dabei die Verbindung der beiden größten<br />

Städte Schlesiens: Breslau und Görlitz.<br />

Im Gebirge bewältigten den Personenverkehr<br />

vier auf Basis vierachsiger preußischer<br />

Abteilwagen entstandene Triebwagen, die<br />

späteren ET 88. Sie waren als Versuchsfahrzeuge<br />

für die Berliner S-Bahn in Dienst gestellt,<br />

dann aber nach Schlesien weitergereicht<br />

worden.<br />

Die Förderung der Personenzüge auf den<br />

weniger geneigten Strecken oblag anfänglich<br />

lokbespannten Garnituren. Hierfür<br />

standen die preußischen 1’C1’-Lokomotiven<br />

EP 202 – 208 (E 30 02 – 30 08) und<br />

die 1914 – 1924 gelieferten, aus je zwei<br />

Triebgestellen gebildeten B’B’-Loks EP 213<br />

und 214 sowie 215 – 219 (E 42 13 – 19) zur<br />

Verfügung. Den schweren Reisezugdienst<br />

besorgten die 1923/24 in Fahrt gekommenen<br />

2’D1’ EP 236 – 252, nachmals E 50 36<br />

– 52. Ihnen folgten schließlich die Reichsbahn-Einheitstypen<br />

E 17, E 18 und E 44 vor<br />

Schnell- und Personenzügen.<br />

Vor allem aber der Güterverkehr profitierte<br />

von der höheren Leistungsfähigkeit<br />

beim elektrischen Betrieb. Im Hinblick auf<br />

die krümmungsreichen Gebirgsstrecken<br />

entstanden in den frühen Vorkriegs- und<br />

1920er-Jahren recht urtümlich wirkende<br />

zwei- und dreiteilige Gelenklokomotiven.<br />

Zunächst waren dies die C+C-Loks EG<br />

551/52 bis 569/70, später E 90 51 – 60. Ihre<br />

beiden Doppelmotoren leisteten 1.530 kW<br />

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26<br />

Geschichte


Über oder und Neisse: Bahnknoten Görlitz<br />

Bahnverbindung<br />

Mit einem Güterzug ist die EG 575 (E 92 75) im Streckenabschnitt zwischen Lauban und Hirschberg<br />

unterwegs. Für die Aufnahme wurde auf freier Strecke angehalten. Foto: Brian Rampp<br />

(bei 35 km/h); ihre Höchstgeschwindigkeit<br />

betrug 50 km/h. Die B+B+B-EG 538 abc bis<br />

549 abc, bei der Reichsbahn als E 91 38 – 49<br />

eingereiht – mit holzverkleidetem Mittelteil<br />

– galten als kompliziert. Es folgten die<br />

Co’Co’-Bauart EG 571 ab – 579 ab (DRG E 92<br />

71 – 79 und 1925 die C’C’-Maschinen EG 581<br />

– 594 (bei der Reichsbahn E 91 81 – 94), sowie<br />

E 91 95 – 106 mit zwei Doppelmotoren.<br />

Ab 1927 erhielt die Reichsbahn noch sechs<br />

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Geschichte<br />

27


Seit 1847 per erreichbar –<br />

Bahnverbindung<br />

Mit diesen in Berlin nicht mehr benötigten Triebwagen begann der Personenverkehr auf den elektrifizierten<br />

Strecken Schlesiens. Foto: Fiedhelm Ernst<br />

schwere 1’Co + Co1’-Güterzuglokomotiven<br />

der Baureihe E 95. Diese Loks konnten bei<br />

einer Stundenleistung von 2.778 kW (bei 47<br />

km/h) immerhin schon 70 km/h Höchstgeschwindigkeit<br />

erreichen. Schließlich kamen<br />

im Zweiten Weltkrieg auch die E 94 zum<br />

Einsatz ab/bis Schlauroth Verschiebebahnhof.<br />

In Görlitz begegnete der Betrachter neben<br />

preußischen, sächsischen und Einheits-<br />

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28<br />

Geschichte


Über oder und Neisse: Bahnknoten Görlitz<br />

Bahnverbindung<br />

Im Hauptbahnhof Görlitz wird am 15. August 1923 – erster Tag mit elektrischem Betrieb – dieses<br />

Gruppenbild vor der EP 211/212 aufgenommen. Foto: Brian Rampp<br />

Dampflokomotiven den Elektrolokomotiven<br />

sowie regelmäßig auch Wendeloks aus Lauban,<br />

Hirschberg, Breslau und Waldenburg-<br />

Dittersbach. Mit etwas Glück traf man sogar<br />

auf einen in der WUMAG, der 1849 von C. Lüders<br />

gegründeten Waggon- und Maschinenfabrik,<br />

bzw. Linke-Hofmann und SSW Mitte<br />

der 1920er-Jahre gebauten, für das Riesengebirge<br />

typischen elf vierachsigen „Rübezahl“-<br />

Triebwagen mit der Achsfolge (1A) (A1).<br />

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Geschichte<br />

29


Seit 1847 per erreichbar –<br />

Bahnverbindung<br />

Ein Blick ins Kursbuch<br />

Vor dem Zweiten Weltkrieg bildeten vier<br />

Kursbuch-Streckentafeln den Verkehrsknoten<br />

Görlitz. Ausgangs- bzw. Endpunkte<br />

waren Dresden, Liegnitz (– Breslau), Hirschberg<br />

(– Breslau), Berlin und Reichenberg<br />

bzw. Zittau. Den wenigen Zügen der Görlitzer<br />

Kreisbahn ins 26,7 Kilometer entfernte<br />

Weißenberg kam allein lokale Bedeutung<br />

zu.<br />

Ein Großteil der Schnell- und Eilzüge der<br />

Deutschen Reichsbahn fuhr weit ins Land<br />

hinaus. Das galt beispielsweise für die<br />

dreiklassigen D 125/126 München – Hof –<br />

Dresden – Görlitz – Breslau – Beuthen OS<br />

und zurück, D 121/122 Hof – Breslau bzw.<br />

umgekehrt, D 117/118 Kehl – Stuttgart –<br />

Nürnberg – Görlitz – Breslau und retour, sowie<br />

für täglich bis zu fünf weitere Zugpaare<br />

zwischen der sächsischen und der schlesischen<br />

Hauptstadt.<br />

Mehrere „Rot-Züge“ verkehrten zudem von<br />

Berlin über Görlitz bis Hirschberg und zurück,<br />

je ein Eilzugpaar über Trautenau nach<br />

Johannistal und Glatz, der E 231/232 zwischen<br />

Stettin und Freiheit über Sorau und<br />

Hirschberg sowie das D-Zug-Paar 193/194,<br />

das die Hauptstadt auf direktem Weg mit<br />

Bad Kudowa-Sackisch verband.<br />

Hinzu kamen bedarfsgerechte Saisonverbindungen<br />

und nicht zuletzt Personenzüge<br />

im Nah- und Fernverkehr ab/bis Görlitz,<br />

d. h. Richtung Berlin, Hirschberg, Kohlfurt,<br />

Breslau, Dresden, Zittau und Reichenberg.<br />

Die im Sommerfahrplan 1939 mit dem<br />

Hinweis „verkehrt erst von einem noch<br />

bekanntzugebenden Tage an“ angekündigte<br />

Schnelltriebwagen-Verbindung FDt<br />

458/459 Breslau – Dresden – Leipzig kam<br />

infolge Treibstoff-Verknappung und Kriegsausbruchs<br />

nicht mehr zur Ausführung.<br />

Der propagandistischen Vorgabe „erst<br />

siegen, dann reisen“ entsprechend, reduzierte<br />

die Reichsbahn in den Kriegsjahren<br />

zwangsläufig das Angebot auf allen Strecken.<br />

Zwischen Dresden, Görlitz, Liegnitz<br />

und Breslau gab es nur mehr die regulären<br />

Schnellzüge D 125/126 von München nach<br />

Breslau und zurück, außerdem D 121 ab<br />

Hof, in der Gegenrichtung D 124 und D 126.<br />

Von Berlin nach Hirschberg und umgekehrt<br />

blieben nur ein D- und zwei Eilzug-Paare<br />

allgemein zugänglich.<br />

Die übrigen schnellen Reiseverbindun-<br />

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30<br />

Geschichte


Über oder und Neisse: Bahnknoten Görlitz<br />

Bahnverbindung<br />

DB-Kursbuch von 1994: Gut ist zu sehen, wie in Görlitz die Hauptstrecken gebündelt sind. Foto: G. Nagel<br />

gen galten als „D-Zug mit Wehrmachtsteil“<br />

(DmW) bzw. „Schnellzug für Fronturlauber<br />

mit einigen Wagen für den öffentlichen<br />

Verkehr“ (SFR). Die Hauptlast der zivilen<br />

Fahrten entfiel fortan auf Personenzüge,<br />

auch auf den Strecken Görlitz – Zittau bzw.<br />

Reichenberg. Und immer häufiger begegnete<br />

man in den Fahrplanspalten einem<br />

liegenden Kreuz auf schwarzem Grund im<br />

Oval mit der Bedeutung „Verkehrt nur auf<br />

besondere Anordnung“.<br />

Der Reichsbahn gelang es im Frühjahr<br />

1945, Lokomotiven aus schlesischen Bahnbetriebswerken<br />

vor den heranrückenden<br />

sowjetischen Kampftruppen in Richtung<br />

Westen abzufahren. Auf verschiedenen Wegen<br />

gelangten auch Triebwagen der Baureihen<br />

ET 87, ET 88 und ET 89 ins süddeut-<br />

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31


Seit 1847 per erreichbar –<br />

Bahnverbindung<br />

Das Bild dieses Schnellzuges in Hirschberg mit der E 21 01 zeigt im Hintergrund den Hausberg. Da der Zug<br />

im linken Gleis fährt, wird er in Richtung Riesengebirge nach Schreiberhau abbiegen. Foto: Brian Rampp<br />

sche Netz, wo sie noch auf Jahre hinaus im<br />

Plandienst Verwendung fanden. Verloren<br />

gegangen ist hingegen Rollmaterial, das<br />

sich zur Reparatur im RAW Lauban befand,<br />

namentlich Triebzüge der Berliner S-Bahn.<br />

Teilung der Bahn und der Stadt<br />

Nur einen Tag vor Eintritt des Waffenstillstands,<br />

am 7. Mai 1945, vollzog ein Sonderkommando<br />

der Wehrmacht den irrsinnigen<br />

Befehl Hitlers, sämtliche Brücken<br />

und Flussübergänge zu sprengen, um das<br />

Vordringen der kämpfenden feindlichen<br />

Truppen zu verhindern. Zwei Mittelbögen<br />

des Neiße-Viadukts stürzten dabei in die<br />

Tiefe; der durchgehende Schienenverkehr<br />

war nun nicht mehr möglich. Görlitz und<br />

die auf dem rechten Flussufer gelegene Abzweigstation<br />

im Stadtteil Moys wurden zu<br />

Kopfbahnhöfen gegenüber Schlesien.<br />

Und die Anfang August 1945 in Potsdam<br />

zwischen den Alliierten getroffene Vereinbarung,<br />

die deutschen Gebiete östlich<br />

von Oder und Neiße unter polnische (bzw.<br />

sowjetische) Verwaltung zu stellen, brachte<br />

auch der Stadt und ihrem Umland die<br />

Teilung. Es sollte noch elf Jahre dauern,<br />

bis der Wiederaufbau des imposanten Brückenbauwerks<br />

über die Neiße als nunmehr<br />

internationale Schienenverbindung zum<br />

Abschluss gebracht werden konnte. Die<br />

einst zentrale Bedeutung im Netz mit bis zu<br />

44 Zugpaaren pro Tag in Spitzenzeiten war<br />

jedoch endgültig verloren. Ab 1957 gab es<br />

nur mehr wenige Reisezüge im Fernverkehr,<br />

dazu zeitweise Leerwagen-Bewegungen<br />

mit ehemaligen DR-38ern, 50ern und<br />

52ern. Der planmäßige Güterverkehr wurde<br />

32<br />

Geschichte


Seit 1847 per erreichbar –<br />

Bahnverbindung<br />

fortan – und wird noch heute – über Horka<br />

und Węgliniec (Kohlfurt) abgewickelt.<br />

Lockerungen in den 1970ern<br />

Von der Visafreiheit im Reiseverkehr mit<br />

Polen zum Jahresbeginn 1972 hatten sich<br />

die beteiligten Bahnen mehr versprochen.<br />

Für Nachbarschaftsbesuche und Urlaubsfahrten<br />

dominierte nun der Pkw. Das an<br />

den Wochenenden zwischen Dresden und<br />

Karpacz (Krummhübel) eingesetzte D-Zug-<br />

Paar ins bislang nur schwer erreichbare<br />

Riesengebirge fand zunächst interessierte<br />

Fahrgäste, sollte jedoch dauerhaft keinen<br />

Bestand haben.<br />

Im Winterfahrplan 1977/78 waren es immerhin<br />

fünf Zugpaare pro Tag zwischen<br />

Warschau, Krakau, Kattowitz und Przemyśl<br />

einerseits sowie Leipzig, Eisenach, Paris<br />

und Berlin Ostbahnhof andererseits. Die<br />

Zahl blieb fortan jedoch auf vier bzw. drei<br />

begrenzt, wobei nun auch Rzeszów und<br />

Lublin als Ausgangs- bzw. Endpunkte fungierten,<br />

auf deutscher Seite zusätzlich<br />

München. Nach Ende der Dampftraktion<br />

führten die polnischen Diesel-SU 46 die<br />

Züge ab/bis Görlitz.<br />

Die Fahrplantabelle B 7 des Deutschen Kursbuches<br />

wies in den Jahren 1993 bis 2000<br />

im Wesentlichen die D 450/451 Warschau<br />

– Frankfurt (Main), D 452/451 Warschau<br />

– Leipzig und D 456/457 Breslau – Dresden<br />

aus, nachdem 1993 das bis dahin verkehrende<br />

saisonierte Zugpaar D 464/465<br />

Warschau – München „wegen mangelnder<br />

Nachfrage“ bereits entfallen war. Nur noch<br />

einmal, im Fahrplanjahr 2001/2002, gab<br />

es sechs Zugpaare zwischen Dresden und<br />

Breslau, neben einer Nachtverbindung von<br />

und nach Warschau. Doch schon 2002/2003<br />

waren es nur mehr zwei Interregio-Garnituren<br />

pro Tag und Richtung zwischen Dresden<br />

und Breslau; 2003/2004 sollte es sogar<br />

lediglich noch ein IR zwischen der Elbmetropole<br />

und der polnischen Hauptstadt sein<br />

– nicht nur für Görlitz und seine Besucher<br />

ein großer Verlust.<br />

Eine der schönsten Städte Deutschlands<br />

Bei der Stadt an der Neiße mit ihren böhmischen,<br />

sächsischen, preußischen und<br />

nicht zuletzt schlesischen Einflüssen handelt<br />

es sich um das größte Flächendenkmal<br />

Deutschlands. Mit insgesamt 4.000, meist<br />

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34<br />

Geschichte


Über oder und Neisse: Bahnknoten Görlitz<br />

Bahnverbindung<br />

Interessant: Bei der Elektrifizierung des Abschnittes Görlitz-Moys – Hermsdorf verwendete man 1922<br />

bereits versuchsweise Masten aus Stahlbeton. Foto: Brian Rampp<br />

sorgfältig restaurierten Baudenkmälern,<br />

zählt das historische Stadtbild zu den besterhaltenen<br />

in ganz Mitteleuropa. Und nicht zu<br />

vergessen: Durch die Lage auf dem 15. Meridian<br />

zeigt die Uhr hier exakt die Mitteleuropäische<br />

Zeit (MEZ) an.<br />

… und rechts der Neiße?<br />

Durch die Trennung der Stadt, die mittlerweile<br />

einer erfreulichen Kooperation mit<br />

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Geschichte<br />

35


Seit 1847 per erreichbar –<br />

Bahnverbindung<br />

Lokwechsel in Görlitz: Am 30. April 1992 hat die PKP-Diesellok SU 46-036 den D 451 aus Dresden zur<br />

Weiterfahrt nach Breslau Hauptbahnhof (Wrocław) übernommen … Foto: Friedhelm Ernst<br />

Zgorzelec (dem früheren Görlitz-Moys) gewichen<br />

ist, haben sich auch Verkehrswege<br />

und -ströme verändert. Die einstige Schlesische<br />

Gebirgsbahn (SGB), deren elektrische<br />

Ausrüstung von den Sowjets demontiert<br />

und ebenso wie die verbliebenen deutschen<br />

Elektrolokomotiven als Reparationsgut abtransportiert<br />

worden war, hat im westlichen<br />

Abschnitt das zweite Gleis und planmäßige<br />

Reisezüge von und nach Görlitz verloren.<br />

Dank einer 1948 von Polen erbauten eingleisigen<br />

Verbindungskurve zwischen Zgorzelec<br />

Miasto und der SGB bestand für die PKP<br />

jedoch die Gelegenheit eines durchgehenden<br />

Betriebs zwischen den Bahnlinien von/<br />

nach Węgliniec (Kohlfurt) einerseits und der<br />

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36<br />

Geschichte


Über oder und Neisse: Bahnknoten Görlitz<br />

Bahnverbindung<br />

Schlesischen Gebirgsbahn andererseits. Dies<br />

reduzierte zugleich aber auch einen dauerhaften<br />

Schienenpersonenverkehr zwischen<br />

Breslau oder dem einstigen Waldenburg<br />

und Jelenia Góra (Hirschberg), Lubań (Lauban)<br />

und Görlitz über den wiederaufgebauten<br />

Neiße-Viadukt. Selbst der Schienenpersonenverkehr<br />

Lubań – Zgorzelec wurde<br />

„aufgrund fehlender Frequentierung“ im<br />

Jahr 2002 eingestellt. Der Versuch einer Wiederbelebung<br />

ab Dezember 2008 hatte nur<br />

weniger als ein Jahr Bestand. Bleibt zu hoffen,<br />

dass den erneuten Bemühungen unter<br />

kompletter Regie der Koleje Dolnośląskie<br />

(Niederschlesische Eisenbahn, Regionalbetrieb<br />

im Besitz der Wojewodschaft) seit Dezember<br />

2011 dauerhafter Erfolg beschieden<br />

sei und letztlich auch Görlitz wieder angeschlossen<br />

wird.<br />

Planmäßig wieder Dresden – Breslau<br />

Seit dem 1. März 2009 besteht auch wieder<br />

planmäßiger Reisezugverkehr zwischen<br />

Dresden und Breslau. Dabei kommen Dieseltriebwagen<br />

der Baureihe 642 der Deutschen<br />

Bahn als Regional-Express zum Einsatz.<br />

Die Erwartung einer baldigen Elektrifizierung<br />

ist durchaus realistisch, haben doch<br />

beide Staaten am 30. April 2003 ein Abkommen<br />

unterzeichnet, das „die Zusammenarbeit<br />

bei der Weiterentwicklung der<br />

Eisenbahnverbindungen Berlin – Warschau<br />

und Dresden – Breslau einschließlich des<br />

Abzweigs Hoyerswerda – Kohlfurt“ vorsieht<br />

und zum Teil bereits realisiert wurde. Fakt ist<br />

aber auch, dass inzwischen die Autobahn<br />

zwischen Dresden, Görlitz und Breslau fertig<br />

ist. In erstklassiger Qualität …<br />

Von Friedhelm Ernst<br />

(Erschienen im Lok Magazin<br />

Ausgabe 11/2012)<br />

Impressum:<br />

Herausgeber (V.i.S.d.P.):<br />

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Andreas Ch. de Morales Roque<br />

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Mo. - Fr. von 9.00 bis 16.00 Uhr<br />

Druck:<br />

Graphische Werkstätten Zittau GmbH<br />

Erscheinungsweise: monatlich<br />

Redaktion:<br />

Andreas Ch. de Morales Roque<br />

Dipl. - Ing. Eberhard Oertel<br />

Bertram Oertel<br />

Layout:<br />

Kathrin Drochmann<br />

Lektorat:<br />

Wolfgang Reuter, Berlin<br />

Anzeigen verantw.:<br />

Andreas Ch. de Morales Roque<br />

Thomas Oertel<br />

Dipl. - Ing. Eberhard Oertel<br />

Bertram Oertel<br />

Teile der Auflage werden kostenlos verteilt, um<br />

eine größere Verbreitungsdichte zu gewährleisten.<br />

Für eingesandte Texte & Fotos übernimmt der Herausgeber<br />

keine Haftung. Artikel, die namentlich<br />

gekennzeichnet sind, spiegeln nicht die Auffassung<br />

des Herausgebers wider. Anzeigen und redaktionelle<br />

Texte können nur nach schriftlicher Genehmigung<br />

des Herausgebers verwendet werden.<br />

Redaktionsschluss:<br />

Für die nächste Ausgabe (August)<br />

ist am 20.07.<strong>2021</strong><br />

Geschichte<br />

37


38<br />

Hard- und Software ab <strong>2021</strong> schneller abschreiben<br />

ETL-Steuerberatung<br />

Corona hat die Digitalisierung extrem beschleunigt. In kurzer Zeit haben sich viele Unternehmen<br />

auf digitale Kommunikation eingestellt und die Arbeit ins Homeoffice verlagert. Investitionen in<br />

Computer Hard- und Software wurden notwendig, oftmals ungeplant. Da es sich dabei um Investitionen<br />

in betriebliches Anlagevermögen handelt, wirken sich die Aufwendungen in der Regel<br />

steuerlich nicht sofort als Betriebsausgaben aus. Vielmehr sind sie über die betriebsgewöhnliche<br />

Nutzungsdauer abzuschreiben. Eine Ausnahme bilden die sogenannten geringwertigen Wirtschaftsgüter<br />

mit Anschaffungs- oder Herstellungskosten bis 800 Euro. Diese können im Jahr der<br />

Anschaffung oder Herstellung sofort abgeschrieben werden.<br />

Betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer beträgt nur noch ein Jahr<br />

Die Nutzungsdauern für die einzelnen Wirtschaftsgüter werden von der Finanzverwaltung in sogenannten<br />

AfA-Tabellen festgelegt. Für Büroausstattung beträgt sie beispielsweise 10 Jahre und<br />

für Pkw mindestens 6 Jahre. Für Computer Hard- und Software lag diese Nutzungsdauer bislang<br />

bei drei Jahren. Um Unternehmen weiter zu unterstützen und die Digitalisierung zu fördern, ermöglicht<br />

der Fiskus für digitale Wirtschaftsgüter seit diesem Jahr eine deutlich kürzere Nutzungsdauer<br />

von einem Jahr. Dies kommt einer Sofortabschreibung gleich, denn nur bei einer Nutzungsdauer<br />

von mehr als einem Jahr muss auch im Jahr der Anschaffung zeitanteilig (monatsweise)<br />

abgeschrieben werden.<br />

Begünstigte Wirtschaftsgüter sind:<br />

– Computer<br />

– Desktop-Computer<br />

– Notebook-Computer (Tablets, Slates, mobile Thin-Clients)<br />

– Desktop-Thin-Clients<br />

– Workstations<br />

– Mobile Workstations<br />

– Small-Scale-Server<br />

– Dockingstations<br />

– Externe Netzteile<br />

– Peripherie-Geräte<br />

– Betriebs- und Anwendersoftware.<br />

Altgeräte <strong>2021</strong> komplett abschreiben<br />

Die kürzere Nutzungsdauer gilt erstmals für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31. Dezember 2020<br />

enden. Unternehmen, deren Wirtschaftsjahr dem Kalenderjahr entspricht, können daher die Aufwendungen<br />

für in <strong>2021</strong> angeschaffte Computer bereits in diesem Jahr komplett als Betriebsausgaben<br />

steuerlich geltend machen. Zudem darf in <strong>2021</strong> auch der Restwert von Computern, Tablets<br />

etc., die in den Vorjahren angeschafft wurden, komplett abgeschrieben werden. Damit kann die<br />

steuerliche Belastung gemindert und letztlich Liquidität geschont werden.<br />

Beispiel: Ein Unternehmer erwirbt im <strong>Juli</strong> <strong>2021</strong> fünf Notebooks für jeweils 1.500 € (Anschaffungskosten).<br />

In seinem Anlageverzeichnis zum 31. Dezember 2020 weist er noch PC mit einem Restwert<br />

von 10.000 € aus, die er in den Jahren 2019 und 2020 angeschafft und bisher linear über die<br />

betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer von 3 Jahren abgeschrieben hatte.<br />

Der Unternehmer kann <strong>2021</strong> insgesamt 17.500 € an Abschreibungen als Betriebsausgaben abziehen.<br />

10.000 € entfallen auf die Altgeräte und 7.500 € auf die neu in <strong>2021</strong> angeschafften Notebooks,<br />

die sofort abgeschrieben werden können.<br />

Autor: Ulf Hannemann, Freund & Partner GmbH (Stand: 25.06.<strong>2021</strong>)<br />

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