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E.A. Seemann Henschel Verlagsgruppe Herbst 2023: Gesamtprogramm

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Was verändert eine Frauenquote am Theater?<br />

SABINE LEUCHT, PETRA<br />

PATERNO, KATRIN ULLMANN<br />

(HG.)<br />

Status Quote<br />

Theater im Umbruch: Regisseurinnen<br />

im Gespräch<br />

224 Seiten<br />

Broschur<br />

13 x 19 cm<br />

€ 18,– [D]<br />

€ 18,50 [A]<br />

WGS 1 969<br />

lieferbar<br />

Noch nicht angeboten<br />

ISBN 978-3-89487-845-0<br />

86<br />

Karin Beier, geboren 1965 in<br />

Köln. Ab 1988 Hausregisseurin<br />

am Düsseldorfer Schauspielhaus.<br />

Romeo und Julia wurde<br />

1994, Ein Sommernachtstraum<br />

1995 zum Berliner Theatertreffen<br />

eingeladen. Ab 1995 Inszenierungen<br />

in Hamburg, München,<br />

Hannover, Bonn, Bochum, Zürich<br />

und Köln. Fünf Jahre war sie<br />

Hausregisseurin am Burgtheater<br />

Wien. 2007 übernahm sie die<br />

Intendanz des Schauspiels Köln,<br />

das 2010 und 2011 von Kritiker:innen<br />

der Theaterzeitschrift<br />

Theater heute zum Theater des<br />

Jahres gewählt wurde. Für ihre<br />

Inszenierungen erhielt sie zahlreiche<br />

Preise. Außerdem wurde<br />

Karin Beier im September 2017<br />

für ihre herausragende Arbeit<br />

am Theater mit dem Bundesverdienstkreuz<br />

1. Klasse geehrt.<br />

Seit der Spielzeit 2013/14 ist<br />

Karin Beier Intendantin des<br />

Deutschen Schauspielhauses<br />

Hamburg und hat am Haus seither<br />

insgesamt 17 Stücke auf die<br />

Bühne gebracht – eine Auswahl:<br />

In ihrer ersten Spielzeit inszenierte<br />

sie den Antiken-Marathon<br />

Die Rasenden. In der Spielzeit<br />

2015/16 erarbeitete sie Schiff<br />

der Träume nach Federico Fellini<br />

und wurde damit eingeladen,<br />

das Berliner Theatertreffen 2016<br />

zu eröffnen. Außerdem inszenierte<br />

sie 2016 die deutschsprachige<br />

Erstaufführung von Michel<br />

Houellebecqs Unterwerfung, die<br />

auf nationaler und internationaler<br />

Ebene viel Aufmerksamkeit<br />

erhielt. Die Spielzeit 2020/21<br />

eröffnete sie mit der Uraufführung<br />

von Rainald Goetz’ Reich<br />

des Todes am 11. 9. 2020. Die<br />

Inszenierung wurde zum Berliner<br />

Theatertreffen 2021 und zu den<br />

Mülheimer Theatertagen eingeladen.<br />

In derselben Spielzeit<br />

erarbeitete sie auch die Uraufführung<br />

von Elfriede Jelineks<br />

Lärm. Blindes Sehen. Blinde<br />

sehen!, ebenfalls eingeladen zu<br />

den Mülheimer Theatertagen.<br />

88<br />

Karin Beier<br />

Foto: Florian Raz<br />

»Dieses Gefühl ›Ich habe es geschafft!‹,<br />

das gibt es nie«<br />

Als Sie 2007 am Schauspiel Köln Intendantin wurden, waren Sie gerade<br />

mal 40. Was war das für ein Gefühl?<br />

Dass ich Regisseurin werden wollte, war mir früh klar und ich hatte<br />

ja schon mit Mitte 20 die Gelegenheit, an großen Häusern zu inszenieren.<br />

Damals war ich manchmal die Jüngste in der Produktion<br />

und oft von Selbstzweifeln gequält. Als ich dann die Leitung des<br />

Schauspiel Köln übernommen habe, hatte ich mir schon eine gewisse<br />

Souveränität erarbeitet und die Unsicherheiten des Anfangs teilweise<br />

hinter mir gelassen. Dazu kam, dass ich in dieser Zeit meine<br />

Tochter bekommen habe. Das war wie eine Fügung des Schicksals.<br />

Natürlich habe ich mich oft gefragt, ob ich das überhaupt schaffe.<br />

Tatsächlich aber hat das eine das andere abgefedert. Durch meine<br />

Tochter gab es nicht mehr nur diesen Theatertunnel, sondern etwas<br />

anderes, was wichtiger war. Das hat einiges relativiert.<br />

Das klingt nach Erdung, aber ist ja tatsächlich eine Doppelbelastung.<br />

Eigentlich sogar eine Dreifachbelastung. Ich war gerade Mutter<br />

geworden, habe inszeniert und hatte ein Haus zu leiten. Aber ich<br />

bin in Köln in einen Betrieb gekommen, der inszenierende Intendanten<br />

gewohnt war. Das Team hat meine Situation respektiert und<br />

mich unterstützt. Das hat mir den Einstieg in die neue Funktion<br />

extrem erleichtert.<br />

Sie waren damals eine von wenigen Frauen in dieser Position …<br />

Als junge Regisseurin wurde ich in Interviews oft gefragt: »Wie<br />

ist es denn als Frau im Männerberuf?« »Das kann ich nicht sagen«,<br />

habe ich geantwortet, »ich weiß ja nicht, wie es als Mann ist.«<br />

Als ich Intendantin wurde, sind mir diese Fragen nicht mehr begegnet.<br />

Und ich kann mich auch nicht an irgendwelche Situationen<br />

mit männlichen Kollegen erinnern, in denen das eine Rolle gespielt<br />

87<br />

Reich des Todes • v. l.: Sebastian Blomberg, Holger Stockhaus.<br />

Foto: Arno Declair<br />

hätte. In meiner Funktion als Intendantin habe ich Machismo<br />

relativ selten erlebt.<br />

Aber als Regisseurin erlebe ich in sehr männerlastigen Produktionen<br />

bis heute manchmal so ein komisches Gebaren. Das äußert sich<br />

selten als direkte verbale Konfrontation, sondern meist über eine<br />

gewisse machistische Körpersprache. Wenn ich zum Beispiel auf der<br />

Probe sage, kommt mal bitte alle her, und dann kommen manche<br />

Männer demonstrativ ganz, ganz langsam. Ob die das bei männlichen<br />

Regisseuren auch machen, weiß ich nicht, aber das ist ein<br />

Verhalten, das mich total auf die Palme bringt. Oder wenn auf einer<br />

Bauprobe eine Gruppe von Männern zusammensteht und mich<br />

einfach ignoriert, wenn ich sie anspreche. Diese scheinbar kleinen<br />

Momente der Missachtung und Respektlosigkeit, die wahrscheinlich<br />

viele Frauen in ganz unterschiedlichen Kontexten erleben,<br />

89<br />

Regisseurinnen über ungleiche Produktionsbedingungen und Gender Pay Gap<br />

Aktueller Debattenbeitrag über Quotenregelungen in der Kultur<br />

Es war ein radikaler Schritt: Als die Leiterin des Berliner Theatertreffens Yvonne<br />

Büdenhölzer im Jahr 2019 die 50 %-Frauenquote einführte, wurde sie dafür bewundert,<br />

aber auch scharf kritisiert. Trifft die eingeladenen Regisseurinnen nicht<br />

der Generalverdacht, dass sie es nur als »Quotenfrauen« ins Rampenlicht geschafft<br />

haben? Ist bei so einer Vorgabe die Unabhängigkeit der Jury in Gefahr? Gefährdet<br />

die Quote die Qualität des bedeutendsten Theaterfestivals im deutschsprachigen<br />

Raum? Andererseits: Kann es einzig an der künstlerischen Kompetenz liegen, wenn<br />

in den 56 Festival-Jahren zuvor nur 27 eingeladene Frauen 193 Männern gegenüberstanden?<br />

Die Herausgeberinnen nehmen diese Fragen zum Ausgangspunkt ihrer Publikation.<br />

Sie sprechen mit allen zwischen 2020 und <strong>2023</strong> eingeladenen Regisseurinnen über<br />

weibliche Ästhetik und Arbeitsweisen, den Gender Pay Gap sowie über die Erfolge<br />

und den Sinn der Quotenregelung. Einordnende Essays sowie Statements über die<br />

Zukunft der Quotenregelung ergänzen den vielstimmigen Debattenband.<br />

Interviewte Regisseurinnen:<br />

Claudia Bauer, Karin Beier, Lucia<br />

Bihler, Leonie Böhm, Felicitas Brucker,<br />

Barbara Frey, Helgard Haug, Karin<br />

Henkel, Florentina Holzinger, Pınar<br />

Karabulut, Mateja Koležnik, Signa<br />

Köstler, Anne Lenk, Ewelina Marciniak,<br />

Katie Mitchell, Anta Helena Recke,<br />

Yael Ronen, Marie Schleef, She<br />

She Pop, Rieke Süßkow, Lucy Wilke<br />

SABINE LEUCHT schreibt u. a.<br />

für die Süddeutsche Zeitung<br />

und Theater der Zeit über Tanz<br />

und Theater.<br />

PETRA PATERNO ist Theaterkritikerin<br />

und Redakteurin der<br />

Wiener Zeitung.<br />

KATRIN ULLMANN ist als freie<br />

Journalistin und Kritikerin u.a.<br />

für Theater heute und Deutschlandfunk<br />

Kultur tätig.<br />

Die Herausgeberinnen haben<br />

zusammengerechnet acht Jahre<br />

Erfahrung als Mitglieder in<br />

der Jury des Berliner Theatertreffens.<br />

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HENSCHEL<br />

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