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Posamentervelotour - Juraparadies

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<strong>Posamentervelotour</strong><br />

Entdecken und erleben Sie die Geschichte<br />

der Heimposamenterei


<strong>Posamentervelotour</strong><br />

Entdecken und erleben Sie die Geschichte<br />

der Heimposamenterei<br />

In den achtziger Jahren legte die letzte Heimposamenterin<br />

im Baselbiet ihre Arbeit nieder und beendete damit die<br />

mehrere Jahrhunderte dauernde Geschichte der Heimposamenterei<br />

in Baselland.<br />

Auf unserer Posamentertour können wir, diese Geschichte<br />

wieder entdecken und erleben. Dazu begeben wir uns auf<br />

die Veloroute von Werner Walther1 . Dieser kontrollierte in<br />

seiner Funktion als Visiteur in den 1940er Jahren die Webstühle<br />

der Heimposamenter. Auf der Tour begegnen wir typischen<br />

Posamenterhäuser und -dörfern. Zu jedem Dorf erzählt uns<br />

Werner Walther eine Anekdote aus seinen Erlebnissen.<br />

Wer will, kann sogar einen der letzten funktionstüchtigen<br />

Seidenbandwebstühle in Aktion sehen. Der Exkursionsführer<br />

zur Tour gewährt uns einen Einblick in den Alltag der Posamenter<br />

und lässt uns in die Geschichte der Posamenterei<br />

eintauchen.<br />

Der Exkursionsführer und der Podcast mit den Anekdoten<br />

können unter folgendem Link bezogen werden:<br />

www.juraparadies.ch


3<br />

Plan<br />

<strong>Posamentervelotour</strong><br />

Entdecken und erleben Sie die Geschichte<br />

der Heimposamenterei<br />

4<br />

5<br />

2<br />

6<br />

7<br />

1


Routen<br />

Liestal – Bubendorf – Ziefen – Reigoldswil –<br />

Titterten – Arboldswil – Liestal per Velo<br />

Es werden drei verschiedene Velorouten von unterschiedlicher<br />

Länge und Schwierigkeit angeboten:<br />

Route 1:<br />

Liestal-Bubendorf-Ziefen-Bretzwil-Eich-Reigoldswil-Titterten-<br />

Arboldswil-Liestal (Alle Halte)<br />

(Originalroute des Visiteurs)<br />

Fahrzeit: ca. 3 Stunden<br />

Schwierigkeit: Die Route beinhaltet zwei längere Steigungen,<br />

zwei rasante Abfahrten und wenig flache Teilstücke. Ideal<br />

für sportliche Velofahrer und Velofahrerinnen, oder solche<br />

mit E-Bikes.<br />

Route 2:<br />

Liestal-Bubendorf-Ziefen-Bretzwil-Eich-Reigoldswil-Liestal<br />

(Halt 1-5)<br />

Fahrzeit: ca. 2,5 Stunden<br />

Schwierigkeit: Die Route ist empfehlenswert für durchschnittlich<br />

fitte Personen und weniger fitte Personen mit E-Bike.<br />

Diese Route enthält eine lange Steigung, eine rasante Abfahrt<br />

und längere flache Strecken.<br />

Route 3:<br />

Liestal-Bubendorf-Ziefen-Reigoldswil-Titterten-Arboldswil<br />

(Halt 1, 2, 5, 6, 7)<br />

Dauer: ca. 2 Stunden<br />

Schwierigkeit: Die Route ist für alle Velofahrer mit oder ohne<br />

E-Bike geeignet. Es hat eine starke Steigung in der Mitte der<br />

Route, die auch zu Fuss bewältigt werden kann. Sonst ist es<br />

mehrheitlich flach und am Schluss gibt es eine längere Abfahrt.<br />

Achtung: Die Zeitangaben beziehen sich auf die reine Fahrdauer,<br />

ohne Pausen und Stopps. Die Routen 2 und 3 sind<br />

auch mit dem öffentlichen Verkehr durchführbar. Bei der<br />

Route 2 muss jedoch die Reihenfolge leicht geändert werden.<br />

Sie sieht dann folgendermassen aus: Liestal, Bubendorf,<br />

Ziefen, Reigoldswil, Eich, Bretzwil, Liestal.<br />

1 Werner Walther ist mittlerweile 87 Jahre alt. Er hat darum gebeten zu erwähnen,<br />

dass er in Zusammenhang mit der Posamenterei keine Auskünfte mehr geben<br />

möchte. Wer weitere Informationen will, soll dies doch bitte in einem seiner<br />

Bücher (Siehe Quellenverzeichnis) nachlesen.<br />

Gut zu wissen<br />

Ausrüstung<br />

Wer nicht mit dem eigenen Fahrrad kommt, kann hier welche<br />

mieten:<br />

� Mietvelos am Bahnhof Liestal (normale Velos oder<br />

E-Bikes)<br />

Reservation unter: www.rentabike.ch<br />

oder Tel.: 051 229 37 00.<br />

� Für Gruppen: Sportshop Karrer (bis zu 24 E-Bikes)<br />

Reservation unter Tel.: 061 766 99 33<br />

Wegen der Abfahrten, wird ein Helm dringend empfohlen.<br />

Anfahrt<br />

Regelmässige Zugverbindungen nach Liestal von Basel und<br />

Olten. Zwischen den verschiedenen Dörfern der Tour verkehren<br />

Busse.<br />

Fahrpläne auf www.sbb.ch<br />

Essen und Trinken<br />

Unterwegs besteht in jedem Ort die Möglichkeit etwas zu<br />

Essen oder zu Trinken (siehe Karte). An folgenden Restaurants<br />

kommen wir auf unserer Tour vorbei:<br />

Bubendorf<br />

� Hotel Bad Bubendorf, Kantonsstrasse 3<br />

� Restaurant Murenberg, Krummackerstrasse 4<br />

� Restaurant Frohsinn, Hauptstrasse 35<br />

� Schmiedstube Teichweg 1<br />

Ziefen<br />

� Restaurant Tanne, Hauptstrasse 94<br />

Bretzwil<br />

� Gasthof Eintracht, Hauptstrasse 48<br />

� Restaurant zur Blume, Hauptstrasse 29<br />

� Restaurant Rössli, Hauptstrasse 64<br />

Reigoldswil<br />

� Glacéstube & Café zum Molerbeck, Mittelbiel 2<br />

� Gasthof Ryfenstein, Unterbiel 1<br />

� Gasthaus zur Sonne, Dorfplatz 8<br />

Titterten<br />

� Sodhuus Beizli, Hauptstrasse 52<br />

Arboldswil<br />

� Restaurant Rudin, Bubendörferstrasse 2


Museen<br />

� Museum zum Feld Reigoldswil<br />

Kontakt: Sekretariat Sekundarschule Tel.: 061 945 90 20<br />

Rémy Suter und sein Team freuen sich, Sie durch ein<br />

Bauernhaus zu führen, welches wie zu Zeiten der<br />

Posamenterei eingerichtet ist. Zudem können Sie einen<br />

Webstuhl in Aktion sehen.<br />

Weitere Informationen und Öffnungszeiten unter:<br />

http://www.feld-reigoldswil.ch/<br />

� Dorfmuseum Ziefen<br />

Kontakt: Dominik Stohler Tel.: 061 931 29 07<br />

E-Mail: kontakt@fuenflibertal-tourismus.ch<br />

Dominik Stohler bietet Führungen durchs Dorfmuseum<br />

an, in dem ebenfalls ein Webstuhl in Aktion gesehen<br />

werden kann.<br />

Weitere Informationen und Öffnungszeiten unter: http://<br />

www.baselland.ch/Bildung_Kultur-htm.311317.0.html<br />

oder http://www.fuenflibertal-tourismus.ch/<br />

� Museum.BL<br />

Kontakt: Museum.BL Tel.: 061 552 59 86<br />

E-Mail: museum@bl.ch<br />

Im Museum Liestal hat es eine grosse Sammlung an<br />

Seidenbändern.<br />

Weitere Informationen und Öffnungszeiten unter:<br />

www.museum.bl.ch<br />

Führungen<br />

Es besteht die Möglichkeit für die komplette Posamentertour<br />

eine Führung zu buchen. Dabei werden Ihnen die Inhalte der<br />

Tour auf eine interessante Art durch einen professionellen<br />

Führer vermittelt.<br />

Kontakt:<br />

Tourismusbüro<br />

Region Wasserfallen – das <strong>Juraparadies</strong> Tel.: 061 943 00 88


Start Liestal - Einführung<br />

Heimposamenterei im Oberbaselbiet<br />

Während über 200 Jahren war die Heimposamenterei im<br />

Baselbiet weit verbreitet. Noch heute sind überall im Oberbaselbiet<br />

Spuren davon zu erkennen. Unter Heimposamenterei<br />

versteht man das Weben von Seidenbändern an einem<br />

Webstuhl zuhause. Da es hier so viele Heimposamenter gab,<br />

waren alle Abläufe in diesem Produktionsprozess gut organisiert.<br />

Fabrikbesitzer aus Basel, oft Bändelherren genannt,<br />

vergaben die Aufträge, so genannte Stuhlrechnungen, an<br />

die Posamenter. Natürlich begaben sich diese Herren nicht<br />

selber zu den Posamentern ins Baselbiet, sondern liessen<br />

die Aufträge durch die Seidenboten zu den Heimposamentern<br />

nach Hause bringen. Die Seidenboten fuhren also mit ihren<br />

Fuhrwerken, später mit Lastwagen, aufs Land und brachten<br />

den Heimposamentern neue Aufträge und die dazugehörigen<br />

Seidenfäden. Gleichzeitig holten sie die fertig gestellten<br />

Aufträge ab. Ein weiterer Verbindungsmann zwischen Heimposamenter<br />

und Bändelherren war der Visiteur. Er war von<br />

den Fabrikanten angestellt und ging von Heimposamenter<br />

zu Heimposamenter, um die Webstühle und die gewobenen<br />

Bänder zu kontrollieren und allenfalls Änderungen am<br />

Webstuhl vorzunehmen.<br />

Route<br />

Der Visiteur Werner Walther machte anfangs der 1940er Jahre<br />

Visiteurdienst im oberen Baselbiet. Er besuchte die Heimposamenter,<br />

welche von der Firma Senn & Co aus Basel<br />

Aufträge erhielten. Eine Tagestour ging beispielsweise mit<br />

dem Velo von Arlesheim nach Muttenz, dann per Bahn von<br />

Muttenz nach Liestal und von dort per Velo zu den Posamentern<br />

in Bubendorf, Ziefen, Bretzwil, Lauwil, Reigoldswil,<br />

Titterten und Arboldswil. Auf dieser Tour kontrollierte er um<br />

die 30 Webstühle und war oft von morgens um 6 Uhr bis<br />

abends um 20 Uhr unterwegs.<br />

So werden wir auf dieser Tour eine Teilstrecke der Visiteurroute<br />

absolvieren und dabei zu jedem Dorf eine kurze Anekdote<br />

hören. Die Anekdoten können im Original als Podcast<br />

auf einen mobilen Player geladen oder als Texte ausdruckt<br />

werden auf www.juraparadies.ch.<br />

1 bis 7 Was glaubst du?<br />

An jedem Halt gibt es eine Frage von unserem Mini-Visiteur,<br />

der uns auf der Tour begleitet. Es sind keine Wissensfragen,<br />

man kann also einfach drauflos raten und schätzen. Die<br />

Lösungen gibt es am Ende der Tour.<br />

E Erster Halt<br />

Vom Bahnhof Liestal geht es nach rechts auf die Strasse, die<br />

entlang der Bahnlinie führt. Dort wo man auf die Hauptstrasse<br />

trifft biegen wir nach rechts ab. Wir befinden uns nun auf<br />

einem Veloweg auf dem wir vorläufig den Pfeilen Richtung<br />

Reigoldswil folgen. Dieser Veloweg führt uns in Bubendorf<br />

zum Dinghof, unserem ersten Halt. Das Gebäude steht am<br />

rechten Strassenrand, vis-à-vis des Dorfbrunnens.<br />

Anekdoten<br />

An jedem Halt finden Sie Anekdoten des Visiteurs Werner<br />

Walter, gekennzeichnet mit �


1. Halt Bubendorf – Beginn der<br />

Seidenbandindustrie<br />

In Bubendorf halten wir beim Dinghof. In diesem Dorf sind<br />

besonders an den Häusern noch Spuren der Blütezeit der<br />

Heimposamenterei zu entdecken. So entwickelten sich etwa<br />

die geschlossenen Häuserreihen, denen wir eben entlang<br />

gefahren sind, während dieser Zeit. Denn zu Zeiten der<br />

Heimposamenterei wurden immer mehr Steinhäuser gebaut<br />

und die Siedlungszeilen schlossen sich. Wenn wir später<br />

durch den Rest des Dorfes fahren, sehen wir auf der linken<br />

Seite noch weitere zusammengewachsene Häuserreihen.<br />

Dort sind auch die typischen hohen Fenster zu sehen. Charakteristisch<br />

sind zudem die grossen, bis dreigeschossigen<br />

Häuser, in denen damals bis zu 3 Familien lebten.<br />

Anfang der Seidenbandweberei<br />

Der Anfang des Seidenbandwebens ist auf französische Glaubensflüchtlinge<br />

im 16. Jahrhundert zurückzuführen. Sie<br />

brachten das Handwerk des Seidenbandwebens mit nach<br />

Basel. In der Stadt wurde diese Tätigkeit zuerst nur von<br />

Handwerkern der Webernzunft ausgeführt. Später suchten<br />

Seidenbandhersteller, die keiner Zunft angehörten, nach<br />

Produktionsmöglichkeiten ausserhalb der Stadt um die<br />

Zunftreglemente zu umgehen. Deshalb bezahlten sie Leute<br />

im Baselbiet, die an ihren Webstühlen zuhause für sie<br />

Aufträge erledigten. So entstand die Heimposamenterei. Im<br />

Amt Waldenburg gab es bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts,<br />

also 100 Jahre vor dem Höhepunkt, viele Webstühle.<br />

Dort herrschten wegen der steilen Hänge und schlechten<br />

Böden ungünstige Bedingungen für die Landwirtschaft. Die<br />

Leute waren froh über den zusätzlichen Verdienst.<br />

Auf und Ab<br />

Zu den besten Zeiten gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren<br />

die Heimposamenterstühle an ca. 300 Tagen im Jahr in Betrieb,<br />

in schlechten Jahren waren es nur deren 260. Die Auslastung<br />

der Heimwebstühle war also sehr unterschiedlich,<br />

was kein Zufall war. Sie dienten den Fabrikherren als eine<br />

Art Puffer. In einem guten Jahr mit vielen Aufträgen, waren<br />

die Bändelherren froh über die Heimposamenter. War es<br />

hingegen ein schlechtes Jahr, bekamen die Heimposamenter<br />

viel weniger Aufträge. Weitergearbeitet wurde dann fast<br />

nur noch in den Fabriken. Diese abzustellen, wäre zu teuer<br />

gewesen. Deshalb und auch weil die Heimarbeiter günstiger<br />

und flexibler waren, gaben die Bändelherren die Heimposamenterstühle<br />

nicht so schnell auf.<br />

1 Was glaubst du?<br />

Wie viele Webstühle hatte es im Kanton Baselland auf dem<br />

Höhepunkt?<br />

E Nächster Halt<br />

Wir folgen weiter der Hauptstrasse und erreichen so nach<br />

ca. 15 min Ziefen. Unser Halt ist vis-à-vis des Dorfbrunnens,<br />

beim Haus mit der Nr. 64.<br />

� Ich musste mich schon als 18-jähriger Bursche bei den<br />

Landposamentern behaupten können. Am Anfang prüften<br />

mich einige Posamenter, ob ich vom Stuhlrichten etwas<br />

verstünde. Sie hatten ihren Webstuhl umgestellt (verrichtet)<br />

und wollten sehen, ob ich es merke und diesen wieder in<br />

Ordnung bringen könne. Da ich alle Webstuhlarbeiten schon<br />

gut beherrschte, war es für mich eine leichte Aufgabe, einen<br />

verrichteten Bandwebstuhl wieder in Ordnung zu bringen.<br />

Meistens lief dieser nachher noch besser als vorher und<br />

produzierte erst noch schönere und bessere Bänder.


2. Halt Ziefen – Posamenterei und<br />

Landwirtschaft<br />

Hier in Ziefen an der Hauptstrasse 64 halten wir vor einem<br />

typischen Posamenterhaus. Das Haus wurde 1851 erbaut.<br />

Typisch sind die vielen und grossen Fenster und die hohen<br />

Stuben, die es erlaubten, genügend Licht und Platz für die<br />

Webstühle zu haben. Die Webstuben der Familien wurden<br />

relativ sauber gehalten und im Gegensatz zu den anderen<br />

Räumen mehrmals in der Woche gefegt. Es herrschte jedoch<br />

eine stickige und staubige Luft. Gelüftet wurde nur selten,<br />

da man Angst hatte die Kälte und Feuchtigkeit beeinträchtige<br />

die Qualität der Bänder. Das Haus enthielt ursprünglich<br />

2 – 3 Wohnungen und es ist anzunehmen, dass in jeder mindestens<br />

ein Webstuhl stand. Bei diesem Haus, wie auch bei<br />

vielen anderen Häusern entlang der Hauptstrasse, ist der<br />

kleine landwirtschaftliche Anbau auffällig. Da mit dem Posamenten<br />

ein wichtiger Teil des Einkommens erzielt wurde,<br />

wurde entsprechend mehr in das Wohnhaus investiert, und<br />

nicht hauptsächlich in das Ökonomiegebäude wie in anderen<br />

Gegenden.<br />

Im Industriegebiet vor Ziefen, welches wir gerade durchquert<br />

haben, steht auf der linken Seite noch das ehemalige<br />

Fabrikgebäude der Bandfabrik Senn & Co AG. (Heute befindet<br />

sich dort eine Brocken-Stube). Diese Firma vergab noch<br />

bis 1986 Webaufträge an Heimposamenter. 2001 schloss die<br />

Firma die Fabrik in Ziefen.<br />

Leben in der Webstube<br />

Die Einkünfte aus der Heimposamenterei waren für viele<br />

Familien in Ziefen und Umgebung überlebenswichtig. Nur<br />

von der Landwirtschaft oder den Einkünften als Handwerker<br />

konnten sie nicht leben. Deshalb mussten alle Familienmitglieder,<br />

die draussen entbehrt werden konnten, beim Posamenten<br />

mit anpacken. Die Webstube bildete das Zentrum<br />

des Familienlebens. Die kleinsten Kinder schliefen in der<br />

Webstube, während die grösseren mithalfen Seidenfäden<br />

von grossen Spulen auf kleine Spüeli zu übertragen (Bild).<br />

Im Jugendalter mussten sie schon mal alleine am Webstuhl<br />

stehen, wenn die Eltern keine Zeit hatten. Wegen des Termindruckes<br />

wechselte man sich ab, so dass bis spät in die<br />

Nacht gearbeitet werden konnte. Wurden die Aufträge von<br />

den Bändelherren aus Basel nicht rechtzeitig fertig, konnte<br />

es sein, dass man sobald keinen Auftrag mehr erhielt. Wenn<br />

im Sommer zu einem eiligen Auftrag auch noch schönes<br />

Wetter hinzu kam, arbeitete ein Posamenterbauer bis zu 20<br />

Stunden am Tag.<br />

2 Was glaubst du?<br />

Wie viel % machte Ende des 19. Jahrhunderts die Lohnsumme<br />

aus der Posamenterei am Einkommen im Kanton aus?<br />

E Nächster Halt<br />

Am Ende des Dorfes Ziefen geht es rechts hinauf, dort wo<br />

der Wegweiser nach «Seewen» zeigt. Die Route 3 bleibt auf<br />

der Hauptstrasse. Nach dem steilen Aufstieg und der Abfahrt<br />

folgen wir dem Wegweiser nach «Bretzwil». Wir halten wiederum<br />

beim Dorfbrunnen, vis-à-vis des Restaurants Blume.<br />

Fahrtdauer ca. 40min.<br />

� Die Geschwister Frieda und Walter Aerni vom Hof Fraumatt.<br />

Die Landwirtschaft wurde von einem verheirateten Bruder<br />

und einer anderen Schwester betrieben. Frieda und Walter<br />

hatten auf einem Bandwebstuhl mit einer mehrschiffligen<br />

Weblade Bonbonsäckli gewebt, die man mit einem Bändelizug<br />

zusammenziehen konnte. Diese Säckli wurden fixfertig<br />

mit einem eingelegten Bändeli zum Zusammenziehen des<br />

Säcklis gewebt. Es brauchte für dieses komplizierte Ecossais-<br />

Schlauchgewebe eine riesige Webkarte mit Hunderten von<br />

Lochkarten. Um auf das Einlegen des Zugbandes aufmerksam<br />

zu machen, war auf dem Webstuhl eine starke Glocke montiert.<br />

Einige Webschüsse vor dem Bandeinlegen wurde diese<br />

Glocke von der Jacquard mit einer Schnur gezogen und gab<br />

dann ein lautes, heimeliges Läutsignal. Dann musste Walter<br />

Aerni gut aufpassen und den Webstuhl im rechten Moment<br />

und bei der richtigen Geschirrfachstellung abstellen. Nachher<br />

schob er bei jedem Band das Zugbändeli durchs offene Fach.<br />

Aernis kelien Webstuhlglocke wurde später vom Dorfweibel<br />

Heinrich Furler-Rudin, genannt der «Chnöpflerheiri», zum<br />

Ausschellen von wichtigen Meldungen im Dorf verwendet,<br />

bei seiner eigenen alten Handglocke war nämlich ein Stück<br />

vom Glockenmantel ausgebrochen, so dass die Glocke keine<br />

schönen Klang mehr hatte. Er war natürlich hell begeistert<br />

von der schön hergerichteten, ehemaligen Webstuhlglocke.


3. Halt Bretzwil – Das Seidenband<br />

Mit dem Endprodukt ihrer Arbeit kamen die Posamenter nicht<br />

oft in Kontakt. Die Heimposamenter mussten hart arbeiten,<br />

um genügend Geld für ihr Essen zusammen zu bekommen<br />

und hatten kaum Zeit, sich gross um teure Mode zu kümmern.<br />

Wie die Anekdote zeigt, war es in Bretzwil schon eine kleine<br />

Sensation, wenn eine Posamenterin mit Männerhosen herumlief.<br />

Den Hof Sabel, wo diese Posamenterin wohnte, sieht<br />

man übrigens beim nächsten Halt, auf dem Hügel westlich<br />

über Bretzwil.<br />

Der Gebrauch des Seidenbandes<br />

Von den wohlhabenden Leuten wurde das Seidenband zu<br />

vielen Zwecken gebraucht, beispielsweise zum Schmücken<br />

von Festkleidern, als kunstvoll geschwungene Schärpe um<br />

die Taille, als Wäscheband an Frauen-Dessous, zur Verzierung<br />

von Hüten, als Haarband, zum Herstellen von Seidenblumen<br />

oder als Rüsche. Je nach Epoche wurde das Seidenband anders<br />

verwendet. Während des Barocks (1650-1720) beispielsweise<br />

wurde das Band zu Rüschen geknüpft und schmückte das<br />

hochgesteckte Haar. Zur Dekoration von Reifenröcken wurde<br />

das Seidenband in der Epoche des Rokoko (1720-1780) verwendet.<br />

Den Höhepunkt erlebte das Seidenband während<br />

der Biedermeierzeit (1820-1840). Die leuchtendfarbigen<br />

Seidenbänder, die damals oft zu Schleifen und Maschen geknüpft<br />

waren, verliehen den damals typischen pastellfarbenen<br />

Kleidern ihren besonderen Glanz.<br />

Modetrends<br />

Für die Bandfabrikanten war es äusserst wichtig, so schnell<br />

wie möglich die neuesten Modetrends herauszufinden. Zu<br />

diesem Zweck schickten sie ihre hauseigenen Zeichner nach<br />

Paris in die grossen Modehäuser. Besonders wichtig war<br />

dabei ein Besuch der Pferderennen, denn dort zeigten sich<br />

die Mannequins der grossen Modehäuser in deren neuesten<br />

Modellen.<br />

Verschwinden des Seidenbandes aus der Mode<br />

Nach dem Ersten Weltkrieg änderte sich dann der Modegeschmack<br />

und damit sank die Nachfrage nach Seidenbändern<br />

stark. Die Basler Bandfabrikanten versuchten die Nachfrage<br />

dennoch hoch zu halten, in dem sie dafür sorgten, dass sich<br />

populäre Schauspielerinnen mit Seidenbandhüten zeigten<br />

und Seidenbänder in den grossen Modehäusern der Welt<br />

ausgestellt wurden. (Bild)<br />

3 Was glaubst du?<br />

Bis zu wie viel Meter Seidenband hatte es in einem Damenhut<br />

Anfang des 19. Jahrhunderts?<br />

E Nächster Halt<br />

Von Bretzwil geht es neben dem Restaurant Blume hinauf<br />

Richtung Reigoldswil. Wir fahren nicht bis ganz nach Lauwil,<br />

wie der Visiteur, sondern halten auf der Eich, der Passhöhe.<br />

Fahrtdauer ca. 10 min.<br />

� Von Ziefen ging es den holzenberg hinauf nach Bretzwil.<br />

Hans Scheidegger-Abt, der ewige Meckerer und Nimmersatt.<br />

Er und seine Frau assen immer getrennt voneinander, damit<br />

der Schlagstuhl von frühmorgens bis spätabends durchlaufen<br />

konnte. Wehe, wenn die nachfolgende Stuhlrechnung nicht<br />

rechzeitig bereit war!<br />

Frau Jauslin-Hartmann, Hof Rot-Sabel. Sie war für mich damals<br />

die erste Frau, die mit Männerhosen herumlief. Sie wirkte<br />

auch sehr männlich und führte respektgebietend das Zepter<br />

zu Hause. Ich erfuhr erst viel später, dass sie sich längere<br />

Zeit als sehr gute Dorfjournalistin betätigte. Sie hat in den<br />

Zeitungen über Bretzwil geschrieben.


4. Halt Eich - Leben der Posamenter<br />

Auf diesem Übergang zwischen Bretzwil und Reigoldswil<br />

befinden wir uns auf dem höchsten Punkt der Visiteurroute.<br />

Von hier aus geniessen wir eine wunderschöne Aussicht<br />

über das Waldenburgeramt, welches als Hochburg der Heimposamenterei<br />

galt. Oberhalb Reigoldswil sieht man das Dorf<br />

Titterten, wo wir später Halt machen werden.<br />

An der Landschaft ist gut erkennbar, weshalb das Leben als<br />

Landwirt in dieser Gegend nicht einfach war. Es hat kaum<br />

flache Felder, dafür viele steile Hänge, die nur schwer zu bestellen<br />

sind. So ist es nicht verwunderlich, dass hier das Posamenten<br />

als zusätzliche Einkommensquelle so verbreitet war.<br />

Der Seidenbote<br />

Von hier aus sehen wir auch, wie abgeschieden die Dörfer<br />

liegen. Deshalb nahm der Seidenbote einen wichtigen Platz<br />

im Leben der Posamenter ein. Er erschien ein- bis zweimal<br />

in der Woche, brachte neue Aufträge und holte die fertigen<br />

Bänder ab. Die Leute strömten jeweils von überall herbei, um<br />

dem Boten auch noch private Päckchen und Waren für Verwandte<br />

und Bekannte in der Stadt mitzugeben. Die Boten<br />

stellten damit nicht nur eine Verbindung zwischen den Bändelherren<br />

und den Posamentern her, sondern waren auch die<br />

Verbindung mit der Aussenwelt.<br />

Verdienst<br />

Ein Posamenter verdiente in einem sehr guten Jahr Ende des<br />

19. Jahrhunderts 800-900 Franken pro Webstuhl. Diese Summe<br />

war für jene Zeit relativ beträchtlich. Es muss jedoch berücksichtig<br />

werden, dass von diesem Geld ganze Familien leben<br />

mussten. Hinzu kamen auch noch Abzüge für den Transport<br />

der Seide und der fertigen Bänder, sowie der Zins für die<br />

Webstuhlmiete. Die Heimposamenter hatten nur wenig vom<br />

steigenden Geschäftsgewinn der Bandfabrikanten. Ihr Lohn<br />

wurde kaum erhöht, oder nur soviel, dass er knapp die Inflation<br />

des Frankens deckte.<br />

Seidendiebstähle<br />

Diese Situation führte immer wieder zu finanziellen Notlagen<br />

unter den Heimposamentern und auch zu negativen Vorkommnissen.<br />

Es wurden immer wieder Seidendiebstähle bekannt,<br />

so auch im Sommer 1802. Damals wurden einige<br />

Posamenter aus Reigoldswil vom Bezirksgericht Waldenburg<br />

zu öffentlichem Pranger, zu Zuchthaus oder zu Arreststrafen<br />

verurteilt. Die bestraften Posamenter hatten einen Teil der<br />

Seide, die zur Verarbeitung bei ihnen war, verkauft. Einige<br />

hatten sogar gestohlene Seide gekauft und zu einem höheren<br />

Preis wieder verkauft. Trotz dieser harten Urteile, die abschrecken<br />

sollten, kam es immer wieder zu Seidendiebstählen.<br />

4 Was glaubst du?<br />

Wie viel verdiente ein Heimposamenter in der Stunde?<br />

E Nächster Halt<br />

Nun geht es die Strasse hinunter. Dann über den Dorfplatz<br />

von Reigoldswil, zum Museum zum Feld (Wegweiser).<br />

Fahrtdauer ca. 10 min.<br />

� Von Bretzwil ging es weiter nach Lauwil. Jakob Dürrenberger-Schweizer,<br />

der Posamenter mit dem markanten<br />

Schnauz, der beim Weben seiner Leinenbänder immer<br />

staubig wurde. Damit beim Weben dieser kriegstechnischen<br />

Bänder weniger Staub aufwirbelte und es auch besser lief,<br />

legte er immer nasse Tücher oder Säcke unter den Webstuhl.<br />

Witwe Schweizer-Rudin, die ruhige und sehr tüchtige Posamenterin,<br />

die trotz ihres schweren Schicksals als Alleinverdienende<br />

für die Familie stets guten Mutes und guter Laune war.<br />

Paul Schweizer-Schweizer, der riesige Mann mit der kleinen<br />

zierlichen Frau. Er hatte Finger wie Klöpfer und konnte dennoch<br />

die kleinen Randspüli in den Webschiffchen auswechseln.<br />

Sie hatten einen geistig behinderten Sohn, der mich immer<br />

mit einem grossen Geheul begrüsste. Anfänglich hatten sie<br />

diesen Sohn in einem Hinterzimmer von mir ferngehalten.<br />

Mich störte das Aussehen und Benehmen dieses armen<br />

Menschen nicht und deshalb wollte ich, dass er bei meiner<br />

Webstuhlkontrolle immer dabei sein konnte. Er verlor mit der<br />

Zeit die Scheu vor mir und betrachtete mich als seinen lieben<br />

Freund. Wegen seiner lauten Begrüssung wusste die ganze<br />

Nachbarschaft, dass der Visiteur ins Dorf gekommen war.


5. Halt Reigoldswil – Handwerk<br />

Hier in Reigoldswil halten wir vor dem Museum im Feld, wo<br />

noch ein funktionstüchtiger Webstühl steht. Dieses Bauernhaus<br />

wurde 1765 erbaut. Die vielen Fenster auf der Giebelfassade<br />

entstanden allerdings erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts.<br />

Sie sorgten für genügend Licht im Haus, um die<br />

Webstühle in den verschiedenen Stuben zu bedienen. Diese<br />

brauchten viel Platz. Jeder belegte eine Fläche von ca. 6m2<br />

und war etwa 3 Meter hoch, füllte also fast die ganze Stube<br />

aus. Während der Blütezeit gab es in Reigoldswil auf vier<br />

Einwohner einen Webstuhl. Das auffallende Dach mit den<br />

Biberschwanzziegeln, das giebelseitig fassadenbündig ist,<br />

verkörpert übrigens eine typische Baselbieter Bauart.<br />

Der Webstuhl<br />

Die so genannten Kunststühle waren wichtig für die Entstehung<br />

der Heimposamenterei. Sie ersetzten im 19. Jahrhundert<br />

immer mehr den herkömmlichen Handwebstuhl, was den<br />

Aufschwung der Seidenbandindustrie erst so richtig in Gang<br />

brachte. Der grosse Vorteil dieses neuen Stuhls war, dass<br />

mehrere Bänder gleichzeitig gewoben werden konnten.<br />

Mittels einer Schlaglade wurden die Schiffchen (Bild) in Bewegung<br />

versetzt. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde zusätzlich<br />

damit begonnen, die Landwebstühle mit so genannten<br />

Jacquard-Apparaten auszurüsten. Damit konnten die gleichen<br />

Muster mittels eines Lochkartensystems (Bild) immer wieder<br />

gewoben werden.<br />

Das Seidenband<br />

Ein Seidenband besteht jeweils aus Kett- und Schussfäden.<br />

Kett-, auch Längsfäden genannt, sind die zur Länge parallel<br />

verlaufenden Fäden. Die Schuss- oder Querfäden sind die<br />

zur Länge quer verlaufenden Fäden. Als Kettfäden wurden<br />

starke Fäden verwendet, als Schussfäden weiche.<br />

Das Weben<br />

Bevor mit dem Weben eines neuen Auftrages begonnen werden<br />

konnte, musste der Posamenter den Webstuhl herrüsten.<br />

Das so genannte Aufmachen aller Fäden und Verknüpfen der<br />

ca. 10’00 Kettfäden (Bild) dauerte bis zu 3 Tagen. Während<br />

des Webens musste der Posamenter den Webstuhl gut im<br />

Auge behalten. Er überwachte die Seidenfäden, ob nicht etwa<br />

ein Faden gerissen war. War dies der Fall, galt es die Fäden<br />

möglichst so zusammenknüpfen, dass der Fadenriss nicht<br />

erkennbar war. Auch die Spülchen mussten oft kontrolliert<br />

werden, so dass sie ausgewechselt werden konnten, bevor<br />

sie leer waren.<br />

5 Was glaubst du?<br />

Wie viel Meter Band entstand an einem Webstuhl pro Tag?<br />

E Nächster Halt<br />

Wir gehen wieder zurück auf die Strasse, die weiter hinauf<br />

führt. Beim Wegweiser «Titterten» biegen wir links abbiegen.<br />

Beim Waschhaus vis-à-vis des Restaurants Sodhaus in Titterten<br />

ist unser nächster Halt. Fahrtdauer ca. 30 min.<br />

� Die Firma Senn & Co. AG hatte hier nur wenige Webstühle,<br />

weil Reigoldswil die Hochburg der Firmen Sarasin, De Bary,<br />

Thurneysen und Scholer war. Umso besser kannte ich dort<br />

das berühmte Gasthaus zur Sonne, wo sich die Visiteure zum<br />

Mittagessen trafen.<br />

Es waren die Herren Kirchhofer, Neukomm, Kopp, Dürrenberger<br />

und Rudin, die dort regelmässig speisten. Die Mittagsrast<br />

dauerte manchmal etwas länger, wenn es interessante<br />

Gesprächsthemen gab oder ein kurzer Jass geklopft wurde.<br />

Dort wurde von den Dorfjungen auch einmal das Auto des<br />

Visiteurs Rudin mit Holzspälten blockiert, und es dauerte<br />

längere Zeit, bis Herr Rudin den Ulk bemerkte.


6. Halt Titterten – Alltag der Posamenter<br />

Hier in Titterten halten wir beim Sodhaus, wo früher Wasser<br />

aus der Tiefe geholt wurde. Es diente seinerzeit als Waschhaus,<br />

wo die Dorfbewohner ihre Wäsche wuschen. Es gab<br />

ja damals noch keine Wasserleitungen in die Häuser. Solche<br />

Waschhäuser finden sich überall in der Region und werden<br />

oft auch Buchhäuser genannt. Denn Buchenasche wurde als<br />

Lauge für die Wäsche benutzt, die in einem Trog im Waschhaus<br />

gewaschen wurde. So wurde auch bei den Posamentern<br />

zwei- bis dreimal im Jahr, bei den ärmeren Familien mit<br />

weniger Kleidern dementsprechend öfter, beim Waschhaus<br />

gewaschen. Das Waschen wurde am Abend und in der Nacht<br />

erledigt. Am nächsten Morgen baumelte dann die frisch gewaschene<br />

Wäsche an Seilen, die zwischen den Obstbäumen<br />

gespannt waren.<br />

Das Wesen der Posamenter<br />

Die Posamenter waren bekannt als fleissige und sparsame<br />

Leute. Wenn immer möglich legten sie etwas auf die Seite,<br />

um es zinsbringend anzulegen. Wenn sie genügend gespart<br />

hatten, kauften sie sich ein Stück Land. Dies führte zu einem<br />

regelrechten Landhunger, der die Bodenpreise ansteigen<br />

liess. Gesagt wird über die Posamenter auch, dass sie ihre<br />

Meinung nicht sehr mutig vertraten und nur solange über den<br />

Bändelherrn schimpften, bis der Visiteur vor der Tür stand.<br />

Mancher behauptet sogar, dass das hierarchische Verhältnis<br />

ihnen ein wenig den Sinn für Selbständigkeit und die Initiative<br />

für Neues genommen hat.<br />

Essen<br />

Die Posamenter ernährten sich sehr einseitig. Den Hausfrauen<br />

wurde häufig vorgeworfen, dass sie das Kochen vernachläs<br />

sigten, da sie die ganze Zeit am Webstuhl sassen. Oft gab es<br />

drei bis vier Mal am Tag Kaffee mit Kartoffeln oder Brot.<br />

Fleisch und Gemüse waren Mangelware. Grund für das karge<br />

Essen war aber oft auch, dass sich Familien mit wenig Land<br />

nichts Besseres als Kartoffeln leisten konnten.<br />

Freizeit<br />

Die einzige beschauliche Jahreszeit der Posamenter war der<br />

Winter. Da war nebst dem Weben nicht viel zu tun. In dieser<br />

Zeit fand man sogar Zeit, ein Buch oder eine Zeitung zu lesen.<br />

6 Was glaubst du?<br />

Wie viele Personen woben zur Blütezeit an den Heimwebstühlen?<br />

E Nächster Halt<br />

Nach dem Restaurant biegen wir nach links und bei der<br />

anschliessenden Weggabelung vor einem Haus rechts ab<br />

nach Arboldswil. Dort ist sich unser nächster Halt bei der<br />

Kreuzung beim Restaurant Rudin. Fahrtdauer ca. 5 min.<br />

� Albertine Schweizer, die freundlich Posamenterin mit<br />

dem Holzbein.<br />

Trotz dieser Behinderung war sie sehr beweglich und leistungsfähig.<br />

Sie galt bei uns als tüchtige und pflichtbewusste<br />

Weberin mit einem feinen Humor. Ich freute mich immer auf<br />

die Webstuhlkontrolle bei Albertine. Alle schmalen Bändeli<br />

sahen schön und exakt gewebt aus, und ich konnte bei ihr<br />

viel Lebensweisheit erfahren die mir später von Nutzen war.<br />

Frau Dettwiler-Schweizer, die lustige Posamenterin und<br />

Hebamme, die immer fröhlich und zu einem Spass aufgelegt<br />

war.<br />

Sie bedeutete mir sehr viel und hätte gut meine Mutter sein<br />

können. So war ich jeweils enttäuscht, wenn sie bei meiner<br />

Stuhlvisite nicht zu Hause war, sondern bei einer Wöchnerin<br />

aushelfen musste. Die gewebten Bandmeter hatte sie für<br />

mich dann auf ein Papierzettelchen geschrieben und dieses<br />

auf den Fenstersims gelegt und mit einem Stein beschwert.


7. Halt Arboldswil – Ende der Heimposamenterei<br />

Hier in Arboldswil, wo der Visiteur jeweils seine Route abschloss<br />

und noch einen Schlussbecher trank, endet die<br />

Posamentertour. Auch wir halten bei einer Wirtschaft und<br />

zwar dem Restaurant Rudin. Dieses wurde 1580 erbaut und<br />

gehört somit zu den ältesten Gebäuden des Dorfes. Auch<br />

einige Posamenter liessen sich oft im Wirtshaus blicken. Oft<br />

waren es diejenigen, die das Sparen am nötigsten gehabt<br />

hätten. Deshalb wurden sie im Dorf von den mehrheitlich<br />

sparsamen Posamenter salopp als Fötzel oder Glunggi bezeichnet.<br />

Krise und Ende der Heimposamenterei<br />

Im Jahr 1986 legte Lisette Waldner in Ziefen als letzte Heimposamenterin<br />

ihre Arbeit nieder und beendete damit die<br />

Geschichte der Heimposamenterei im Baselbiet. Bereits<br />

100 Jahre zuvor wurden immer mehr Webstühle abgebaut,<br />

da die Heimposamenterei schrittweise durch die Fabrikbandweberei<br />

abgelöst wurde. Mehrere Faktoren waren für den<br />

endgültigen Niedergang verantwortlich. So erhöhten gegen<br />

Ende des 19. Jahrhunderts verschiedene Länder, welche<br />

wichtig waren für den Export, die Zölle. Zudem stiegen die<br />

Rohmaterialkosten und die Löhne, die Arbeitszeiten hingegen<br />

wurden verkürzt. All dies verteuerte die Seidenbänder. Ein<br />

weiteres Problem stellte die Mode dar. Sie veränderte sich<br />

immer schneller, so dass sich die Fabrikanten laufend anpassen<br />

mussten. Auch wendete sich die Modewelt zunehmend<br />

von den Seidenbändern ab. Die neue Mode wollte einfache<br />

und billige Kleider.<br />

Nach dem ersten Weltkrieg wurden die Auswirkungen der<br />

Krise auch für die Heimposamenter spürbar. Viele Posamenter<br />

waren über das Weltgeschehen schlecht informiert und<br />

wussten noch nichts von den Schwierigkeiten, in denen die<br />

Seidenbandindustrie steckte. Die Anzahl Webstühle nahm<br />

von 1920 bis 1930 um 2270 auf nur noch 1650 ab. Viele der<br />

arbeitslos werdenden Posamenter arbeiteten nun als Hilfsarbeiter<br />

oder Tagelöhner bei Bauern oder in Fabriken. Die<br />

Anfang des 20. Jahrhunderts einsetzende Elektrifizierung der<br />

Webstühle vermochte den Untergang der Heimposamenterei<br />

lediglich hinaus zu schieben. Auch war das Interesse an der<br />

Heimposamenterei bei jungen Leuten nicht mehr gross, da<br />

ihnen andere Industriezweige weit mehr zu bieten hatten.<br />

So starb die Heimposamenterei mit jedem aufgegebenen<br />

Webstuhl langsam aus.<br />

7 Was glaubst du?<br />

Wie viele Kilometer Band produzierten in einem Spitzenjahr<br />

alle Heimwebstühle des Baselbiets zusammen?<br />

E Nächster Halt<br />

Nun geht es wieder zurück nach Liestal. Die Strasse, die<br />

hinter dem Restaurant Rudin hinab führt, bringt uns nach<br />

Bubendorf. Von dort nehmen wir dann wieder den Veloweg<br />

nach Liestal. Dauer ca. 25min.<br />

� In Arboldswil hatte unsere Firma keine Heimwebstühle.<br />

Die Firma Scholer mit dem einheimischen Visiteur Rudin,<br />

wegen seiner hohen Stimme s’Wiehnachtschindli genannt,<br />

betrieb dort die meisten Posamentstühle. Lustig war in<br />

Arboldswil die Dorfbeiz vos Schange mit dem Wildsaukopfe<br />

an der Wand. Der Wirt war ein leidenschaftlicher Jäger mit<br />

grossem Humor und einem ausschweifenden Jägerlatein.<br />

Seine Frau Albertine war ebenfalls ein Dorforiginal und ergänzte<br />

ihn sehr gut. Dort trank ich meistens einen Schlussbecher,<br />

bevor ich nach der Tour im Hinteren Frenkental mit<br />

dem Velo zur Verladestation Liestal fuhr.


Weiterführende Informationen<br />

Quellen und weiterführende Literatur<br />

Irene Amstutz<br />

Seidenbande: die Familie De Bary und die Basler Seidenbandproduktion<br />

von 1600 bis 2000.<br />

Baden: hier + jetzt, 2002.<br />

Amt für Raumplanung Baselland<br />

Inventar der geschützten Kulturdenkmäler. http://www.<br />

baselland.ch/Kulturdenkmaeler.273743.0.html, 28.06.2010.<br />

Ruedi Epple<br />

Zeitalter der Seidenbandweberei. www.geschichte.bl.ch,<br />

Kategorie: Wirtschaft, 14.04.2010.<br />

Fritz Grieder<br />

Glanz und Niedergang der Baselbieter Heimposamenterei im<br />

19. und 20. Jahrhundert: ein Beitrag zur wirtschaftlichen, sozialen,<br />

kulturellen und politischen Geschichte von Baselland.<br />

Liestal: Kantonale Schul- und Büromaterialverwaltung, 1985.<br />

Rudolf Roth<br />

Die Reliktsituation in der Baselbieter Heimposamenterei.<br />

Basel: Basler Geographische Hefte Nr. 9, 1974.<br />

Therese Schaltenbrand<br />

Band im Bild: Bänder und die Welt dahinter<br />

Liestal: Amt für Museen und Archäologie, 1994.<br />

Paul Suter<br />

Die letzten Heimposamenter: Kanton Basel-Landschaft<br />

Basel: Schweizerische Gesellschaft für Volkskunde, 1978.<br />

Werner Walther-Alispach<br />

Bild im Band: Seidenbilder, Jacquard-Bänder entworfen und<br />

gewoben. Berichte aus der Arbeit des Amtes für Museen und<br />

Archäologie des Kantons Baselland, Band 28<br />

Liestal: Amt für Museen und Archäologie des Kantons Basellandschaft,<br />

1994<br />

Werner Walther-Alispach<br />

Das Seidenband als Lebensband - 48 Jahre in der Bandweberei:<br />

Die Entwicklung der Bandweberei von der Landposamenterei<br />

zum Fabrikbetrieb.<br />

Liestal: Verlag des Kantons Basel-Landschaft, 2000.<br />

Werner Walther-Alispach<br />

Erlebnisse eines Visiteurs. Ein ehemaliger Visiteur in der<br />

Landposamenterei erzählt. In: Baselbieter Heimatbuch 17.<br />

Herausgegeben von der Kommission für das Baselbieter<br />

Heimatbuch. Liestal, 1989, S. 65-76.<br />

Nützliche Links<br />

www.geschichte.bl.ch<br />

Dort finden sich weitere Informationen<br />

zu Seidenbandindustrie wie: Fotos, Filme und Texte.<br />

www.feld-reigoldswil.ch<br />

www.fuenflibertal-tourismus.ch<br />

www.museum.bl.ch<br />

Antworten «Was glaubst du?»<br />

1 4467 Webstühle, die meisten davon im Bezirk Sissach<br />

(44,8%) und im Bezirk Waldenburg (36,1%).<br />

2 1861 machte der Betrag der mit der Posamenterei erzielt<br />

wurde 30 - 40% des im Kanton erzielten Einkommens aus.<br />

3 Bis zu 15 Meter.<br />

4 Anfang 20. Jahrhundert um die 20 Rappen, je nach<br />

Webstuhl.<br />

5 Ca. 120 Meter Band (pro Gang 10m).<br />

6 Ca. 10 000 Personen.<br />

7 Ca. 160 000 km. 4 mal um die Erde, oder halbe Distanz<br />

Erde-Mond.<br />

Impressum<br />

Konzept und Text: nateco, Gelterkinden<br />

Bildnachweis: nateco, Gelterkinden<br />

Gestaltung und Bilder: Schmutz & Pfister, Titterten

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