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Künstler-Magazin 03-2023

Fachmagazin für die Show- und Eventbranche - Ob Messen, Konzerte oder Festivals, stets die aktuellsten Infos aus der Showszene

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Showszene aktuell / Magic<br />

www.gedu.com<br />

ANDINOs Programmheft ScheinSpiele<br />

Ein Juwel unter den Theaterbroschüren<br />

Die euphorische Kritik von<br />

Eva-Maria Köhler-Renfordt und<br />

Wolfgang Schneider-Barthold<br />

anlässlich des neuen Andino-Soloprogramms<br />

philosophischer Illusionskunst<br />

am 27.9.2022 im<br />

Rathaussaal der Stadt Koblenz<br />

endet mit den Worten: "Kurzum:<br />

ScheinSpiele sind auf hohem Niveau<br />

unterhaltsam, inspirierend<br />

und kurzweilig... Unbedingt zu<br />

empfehlen: das Programmheft.<br />

Ideen Andinos, aber auch Zitate<br />

bekannter <strong>Künstler</strong> und Philosophen<br />

rund um Magie und Kunst<br />

verlängern das Vergnügen über<br />

den Abend hinaus und verführen<br />

zum Nachlesen." (Magie, Zeitschrift<br />

des Magischen Zirkels<br />

von Deutschland, 2/<strong>2023</strong>, S. 85)<br />

Wer sich ein wenig in der geschichtlichen<br />

Entwicklung der<br />

Programmhefte auskennt, wird<br />

sich dieser unbedingten Empfehlung<br />

anschließen. Es ist schon<br />

auffällig, dass auch andere Rezensionen<br />

Andinos Programmheft<br />

in besonderer Weise hervorheben.<br />

Frank Peller spricht beispielsweise<br />

nach der offiziellen<br />

Premiere am 5.3.2022 im Theatersaal<br />

der VHS-Koblenz von einem<br />

"schönen Mehrwert", der<br />

zur anschließenden Reflexion<br />

der zauberphilosophischen Bühnenshow<br />

einlädt (<strong>Künstler</strong>-<strong>Magazin</strong><br />

3/2022, S.11). Historisch<br />

betrachtet, gibt es die Gattung<br />

der Programmhefte erst um die<br />

Wende zum 20. Jahrhundert.<br />

Sie sind aus den sogenannten<br />

"Theaterzetteln" hervorgegangen,<br />

wo lediglich Informationen<br />

über den Namen des Spielortes,<br />

das Datum der Aufführung, den<br />

Titel des Stücks sowie ein Register<br />

der Darsteller vermerkt sind.<br />

Zwischen dem in Deutschland<br />

erstmals erschienenen Programmheft<br />

(30.8.1894 im Schiller-Theater<br />

Berlin) und Andinos<br />

Programmheft (Koblenz 2020)<br />

liegen 126 Jahre; eine Zeitspanne,<br />

in der sich die Konzeptionen<br />

immer wieder stark verändert<br />

haben: von der knappen Inhaltsangabe<br />

über Statements von<br />

<strong>Künstler</strong>n und Regisseuren bis<br />

hin zu voluminösen Studienobjekten<br />

wie etwa eingestrichenen<br />

Textfassungen mit historischen<br />

Materialien und Interpretationsansätzen.<br />

Für die meisten Besucher<br />

sind Programmhefte nette<br />

Erinnerungsstücke. Andinos Broschüre<br />

ist allerdings mehr als ein<br />

schönes Souvenir. Sie eröffnet<br />

sokratische Fragestellungen<br />

über die Vorstellung hinaus mit<br />

offenem Ausgang. Zitate von renommierten<br />

<strong>Künstler</strong>n und Philosophen,<br />

die Entstehungsgeschichte<br />

der "ScheinSpiele",<br />

reich bebildert und klug ausgewählte<br />

Textauszüge aus dem<br />

Andino-Abend als Denkimpulse<br />

bilden eine wahrlich abgerundete<br />

Publikation: gleichsam das<br />

bibliophile Fazit einer über 40-<br />

jährigen Bühnenerfahrung des<br />

philosophierenden Zauberkünstlers.<br />

Genau in der Mitte platziert<br />

Andino seine Programmfolge<br />

(Erster Teil - Zweiter Teil). Die<br />

Doppelseite mit dem zierlich verschnörkelten,<br />

handschriftlich anmutenden<br />

Schriftzug wirkt optisch<br />

wie die exklusive Speisekarte<br />

eines Nobelrestaurants.<br />

Der kulinarische<br />

Vergleich ist nicht<br />

zufällig gewählt,<br />

bringt das Zaubermenu<br />

doch<br />

den Gast auf den<br />

feinen Geschmack.<br />

Es regt<br />

den Appetit auf<br />

philosophische<br />

Grundbegriffe wie<br />

Realität und Illusion,<br />

Freiheit und<br />

Utopie in raffiniert<br />

kalligraphischer<br />

und damit sinnlicher<br />

Weise an.<br />

Das Titelbild ist eine besonders<br />

charmante Herausforderung für<br />

den Betrachter. Es erfüllt die hermeneutische<br />

Unwägbarkeit eines<br />

Vexierbildes - also passend<br />

zu den Inhalten und Motiven des<br />

Soloprogramms philosophischer<br />

Illusionskunst. Man sieht das<br />

Konterfei Andinos, diskret in den<br />

Hintergrund gerückt. Sein "Markenzeichen"<br />

Chaplin-Hut und<br />

Zauberstab hat der Maler Ralf<br />

Godde in die großflächige Mitte<br />

gesetzt. Und jetzt kommt ein<br />

sensationeller Blickfang, auch<br />

farblich hervorgehoben. Die<br />

weibliche Person (Mädchen,<br />

Frau) schmiegt sich träumerisch,<br />

mit geschlossenen Augen an die<br />

Zauberfigur. Auch der Zauberer<br />

umarmt "sein Publikum". Denn<br />

das Mädchen bzw. die Frau<br />

kann man als Personifikation eines<br />

von der Illusion überwältigten<br />

Publikums deuten - zumal<br />

der Text "Spiel mit dem Schein<br />

und dem Publikum" ausdrücklich<br />

die Besucher in die Zaubervorstellung<br />

einbezieht. Die nach<br />

unten fließende Bewegung des<br />

hellen Kleides und schwarzen<br />

Zauberkostüms (über den Bildbzw.<br />

Bühnenrahmen hinaus)<br />

erzeugt eine weitere Verbindung<br />

zwischen Zauberer und Publikum.<br />

Die komponierte Mischung<br />

von konkreten Einzelteilen (Konterfei,<br />

Chaplinhut und Zauberstab<br />

sowie weiblicher Figur) und<br />

symbolisch assoziativen Anspielungen<br />

(auf Spiel, Illusion<br />

und Publikum) ist großartig. - .<br />

Und auf der Rückseite des Programmheftes<br />

die so unterschiedlichen<br />

Geistesgiganten Sokrates,<br />

Kant, Schopenhauer und<br />

Sartre zu einem Quartett augenzwinkernd<br />

zusammenzuführen,<br />

auch das ist eine humorvolle<br />

Pointe. Diese Geistesgrößen mit<br />

dem Diminutiv "Teufelchen" zu<br />

etikettieren, sie gleichsam zu<br />

freundlichen "Nervensägen" zu<br />

erklären und als Andinos Partner<br />

der Illusionskunst zu charakterisieren,<br />

das ist schon intelligent<br />

auf den visuellen Punkt gebracht.<br />

Weit im Hintergrund (unter<br />

Schopenhauer) lauert bereits<br />

das nächste prominente "Teufelchen";<br />

es ist offensichtlich nur<br />

noch eine Frage der Zeit, wann<br />

aus dem philosophischen Quartett<br />

ein Quintett wird. Dieses<br />

Bild, auf der Grundlage eines<br />

historischen Plakats des Zauberers<br />

Harry Kellar entstanden,<br />

hat Andino von Armin Thommes<br />

"nachmalen" lassen; und zwar<br />

mit bemerkenswerten "Korrekturen":<br />

Die putzigen Teufelchen,<br />

so berichtet Andino, waren auf<br />

Zauberplakaten im 19. Jahrhundert<br />

typisch und machten den<br />

spielerischen, aber auch leicht<br />

ketzerischen Charakter der Zauberkunst<br />

deutlich. Der vergnüglich<br />

spielerische Umgang mit der<br />

Figur des Teufels nimmt ihm seine<br />

dämonische Macht und degradiert<br />

ihn zu einem herausfordernden<br />

"Spielkameraden".<br />

Dass Andino die Teufelchen zu<br />

einflussreichen Philosophen hat<br />

umgestalten lassen, die bei seinen<br />

Aufführungen eine nicht unbedeutende<br />

Rolle spielen, ist<br />

seine "Idee" gewesen - und<br />

eine solche Transformation<br />

spricht, in der Tat, zauberphilosophische<br />

Bände …<br />

Helge Degen<br />

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