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CI Thöny Magazine

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ECHT BRUTAL | HERBST/WINTER<br />

26<br />

Ein Thema, bei dem man erstmal zu wissen glaubt, zu<br />

welchem Schluss die Untersuchung führt …<br />

Ganz genau. 2005, als ich in Rom das erste Mal mit dem<br />

Thema Brutalismus in Berührung kam, war die einhellige<br />

Meinung, dass diese Architekturform schlichtweg gescheitert<br />

ist. Es hieß überall nur: „Das ist schlecht.“ Oder: “Don’t<br />

do it!” Das hat aber nicht erklärt, warum es diese Zeit überhaupt<br />

gab. Als junger Student habe ich diese Großformen<br />

deshalb nicht verstanden. Ich habe zwar gespürt, dass ich<br />

es mag, es mir aber nicht erlaubt, tiefer in das Thema einzutauchen.<br />

Durch die intensive Auseinandersetzung während meiner<br />

Abschlussarbeit habe ich dann das erste Mal gemerkt, dass<br />

diese Theorie zu sagen, diese Gebäude seien zum Scheitern<br />

verurteilt, weil sie so hässlich sind, nicht stimmt. Eine Konsequenz<br />

für unsere Arbeit war die Betrachtung eher banaler<br />

Dinge wie Pflege, Wartung, Infrastruktur, Anschluss.<br />

Wird das Treppenhaus regelmäßig gereinigt oder riecht<br />

es im Aufzug nach Urin? Solche<br />

Dinge haben einen ganz wesentlichen<br />

Einfluss darauf, wie wohl<br />

du dich in deinem Zuhause fühlst.<br />

Dazu kommt: Arbeiten die Bewohner:innen<br />

zwölf Stunden am Tag<br />

für wahnsinnig wenig Geld, hat<br />

verständlicherweise niemand die<br />

Muße, sich um das Haus zu kümmern.<br />

Es braucht also neben diesen<br />

Dingen auch Menschen, die<br />

sich engagieren, sich verantwortlich<br />

fühlen. Will man eine funktionierende<br />

Gesellschaft schaffen,<br />

muss es eine Durchmischung der<br />

Einkommensschichten geben. Ein gutes Beispiel ist Alterlaa<br />

in Wien: Da gibt es eine Mischung aus Eigentums- und<br />

sozial geförderten Wohnungen. Das ist ein Grund, warum<br />

dieses Projekt so gut funktioniert. Letzten Endes habe ich<br />

das Gefühl gehabt, dass diesen Gebäuden in der öffentlichen<br />

Wahrnehmung Unrecht geschehen ist.<br />

Aus der Beschäftigung mit Großformen hat sich eine regelrechte<br />

Liebe dazu entwickelt. Ich hatte einfach Bock, mal<br />

so etwas zu entwerfen, wie eine Art Filmkulisse. Als Architekt:in<br />

bist du von vielen verschiedenen Parteien abhängig<br />

und ich hatte einfach große Sehnsucht danach, ein Projekt<br />

zu machen, das nicht so zusammengeschrumpft wird, wie<br />

das meist der Fall ist, sondern das von Anfang bis Ende so<br />

sein kann, wie ich das gern hätte.<br />

Trotzdem wirken die Gebäude auf deinen Bildern nicht<br />

so, als würden sie funktionieren. Sie scheinen verlassen,<br />

fast dystopisch. Warum?<br />

Ich mochte immer diesen Moment, wenn man nach einer<br />

durchzechten Nacht um 7 Uhr morgens nach Hause geht.<br />

Niemand ist auf den Straßen und die Sonne geht langsam<br />

auf. Aber tatsächlich lasse ich es auf meinen Bildern<br />

offen, ob es Aufnahmen nach einer Apokalypse sind oder<br />

ob gerade niemand auf der Straße ist. Offen bleibt auch, ob<br />

die Gebäude funktionieren oder nicht. Es gibt immer ein<br />

bisschen Schmutz und Niedergang, aber ich übertreibe es<br />

nicht mit der Zerstörung. Ich nehme mir zwar jedes Mal<br />

vor, eine Scheibe zu zerbrechen, bringe es aber einfach<br />

nicht übers Herz.<br />

Woher kommt deine Inspiration für die Gebäude? Gibt es<br />

Vorbilder in der Architektur?<br />

»Letzten Endes habe<br />

ich das Gefühl gehabt,<br />

dass diesen Gebäuden<br />

in der öffentlichen<br />

Wahrnehmung Unrecht<br />

geschehen ist.«<br />

CLEMENS GRITL<br />

Als ich damit begonnen habe, habe ich mir in der Bibliothek<br />

Architekturzeitschriften<br />

aus den sechziger und siebziger<br />

Jahren angeschaut. Da war zum<br />

Beispiel Marcel Breuers Museum<br />

in New York, die Arbeiten von Paul<br />

Rudolph, aber auch Klassiker brutalistischer<br />

Architektur oder Novi<br />

Beograd, der neue Teil Belgrads<br />

– der seltene Fall einer komplett<br />

brutalistischen Stadt. Dabei gab<br />

es viele Stadtutopien, die nie über<br />

den Modellstatus hinausgekommen<br />

sind und die viel extremer<br />

und futuristischer sind als alles,<br />

was heute als futuristisch verkauft<br />

wird. Das hat eine andere Stärke, die von ungebrochenem<br />

Optimismus strotzt.<br />

Wenn wir von Modellstatus sprechen – wie entstehen<br />

deine Gebäude und wie sehr gehst du ins Detail?<br />

Es beginnt immer mit Handskizzen der Grundidee. Anschließend<br />

erstelle ich Grundrisse, Ansichten und Schnitte<br />

und am Ende 3D-Renderings. Die Gebäude haben folglich<br />

eine innere architektonische Logik.<br />

Es gibt aber bisher keine Innenansichten, kaum Details?<br />

Tatsächlich wird es bald erstmals einen Blick rein geben:<br />

Ich bin dabei mit einem Interiorbild anzufangen und habe<br />

unglaublich Lust, mit Farbe zu arbeiten. Momentan ist es<br />

aber noch ein erstes Rantasten an diese neue Welt.

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