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MAEA-07-24 online

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6<br />

TITELTHEMA<br />

Münchner Ärztliche Anzeigen<br />

Dr. Sonja Mayer ist Apothekerin in<br />

Gröbenzell und Vizepräsidentin der<br />

Bayerischen Landesapothekerkammer.<br />

Foto: privat<br />

Warum sind manche Medikamente<br />

in Österreich lieferbar, aber hier<br />

nicht?<br />

Manchmal ist es auch umgekehrt.<br />

Wenn wir in Deutschland einen<br />

geringeren Betrag für die Wirkstoffe<br />

bezahlen als beispielsweise in<br />

Österreich, dann geben die Firmen<br />

ihre Produkte natürlich bevorzugt an<br />

Österreich ab. Das ist grundsätzlich<br />

so. Nehmen Sie zum Beispiel die<br />

Abnehmspritze Ozempic. Dafür<br />

berappen wir in Deutschland pro<br />

Monat etwa 50 Euro. In Amerika zahlen<br />

Sie dafür aber 1.000 Euro. Hinzu<br />

kommt: Wenn wir Arzneimittel wie<br />

Ozempic auch für Indikationen einsetzen,<br />

für die sie die Erstzulassung<br />

nicht haben, kreieren wir Wartelisten<br />

für alle. Die Versorgung unserer Diabetiker*innen<br />

hängt jetzt an der<br />

erhöhten Nachfrage durch Menschen<br />

mit Übergewicht. Wir Apotheker*innen<br />

dokumentieren die Nichtlieferfähigkeit<br />

über eine Sonder-<br />

Pharmazentralnummer. Letztes Jahr<br />

haben wir damit 20 Millionen Fälle<br />

von nichtlieferbaren Medikamenten<br />

in den deutschen Apotheken dokumentiert.<br />

Die tatsächliche Zahl ist<br />

wahrscheinlich sogar noch größer,<br />

weil wir diese Nummer nur auf den<br />

gesetzlichen Rezepten dokumentieren,<br />

nicht auf den Privatrezepten.<br />

Im letzten Jahr hatten die BLAK<br />

und das bayerische Gesundheitsministerium<br />

verschiedene Forderungen<br />

an die Politik gestellt. Sind<br />

diese berücksichtigt worden?<br />

Das bayerische Gesundheitsministerium<br />

steht hinter uns und erkennt<br />

unsere versorgungskritische Situation<br />

an. Als Ausnahmeregelung durften<br />

wir z.B. auch mal Antibiotika aus<br />

dem Ausland importieren und konnten<br />

dann schneller wieder handeln.<br />

In die bundesweiten Listen beim<br />

Bundesinstitut für Arzneimittel und<br />

Medizinprodukte (BfArM) allerdings<br />

tragen sich die Hersteller nur über<br />

eine Selbstverpflichtung ein. Dort<br />

stehen aktuell 417 Arzneimittel, ich<br />

habe gestern nachgeschaut (Anm.<br />

der Redaktion: Das Interview fand<br />

am 1. März statt). Laut BfArM ist ein<br />

Lieferengpass eine über zwei<br />

Wochen hinausgehende Unterbrechung<br />

der üblichen Auslieferung.<br />

Wenn die Firma dazwischen aber<br />

mal wieder etwas ausliefert, wenn<br />

auch nur wenig, ist es laut Definition<br />

kein Lieferengpass mehr.<br />

Wie sieht es bei Impfstoffen aus?<br />

Das Paul Ehrlich Institut führt eine<br />

Liste über versorgungskritische Impfstoffe:<br />

Für die normalen Impfungen<br />

gibt es aktuell keinen Versorgungsengpass,<br />

aber Indikationsimpfungen<br />

wie beispielsweise Tollwut gibt es<br />

aktuell nicht. Bei einer Tollwutimpfung<br />

müsste man, wie beim Antibiotikum,<br />

das Mittel der zweiten Wahl<br />

nehmen, also unspezifisch wirkende<br />

Immunglobuline. Auch mit anderen<br />

Reiseimpfstoffen ist es schwierig. Die<br />

Impfstoffe gegen Cholera oder japanische<br />

Enzephalitis sind häufig nur<br />

als kontingentierte Auslieferung oder<br />

als Einzelimport auf Anfrage verfügbar.<br />

Kontingentiert heißt, es wird<br />

immer wieder ein geringer Teil ausgeliefert.<br />

In so einem Fall ist es praktisch,<br />

wenn ich als Besitzerin mehrere<br />

Apothekenfilialen habe. So besteht<br />

die Chance, dass eine andere Filiale<br />

den Impfstoff vielleicht noch vorrätig<br />

hat. Wer dieses Jahr weiter weg in<br />

Urlaub fahren will, sollte sich dennoch<br />

sehr frühzeitig um seine Impfungen<br />

kümmern.<br />

Was empfehlen Sie Ärztinnen und<br />

Ärzten angesichts der Arzneimittelknappheit?<br />

Die Patient*innen müssen früher als<br />

sonst ein Folgerezept holen, weil der<br />

Versorgungsweg länger dauern<br />

kann. Ärzt*innen empfehle ich, wirkstoffbezogen<br />

zu verordnen, ohne<br />

das Präparat auf das Rezept zu<br />

schreiben. Dann haben wir mehr<br />

Alternativen. Ärzt*innen sollten mit<br />

den Apotheken auch direkt über<br />

Alternativen sprechen. Das ist insbesondere<br />

im Notdienst sehr wichtig,<br />

z.B. wenn ein Angehöriger nach<br />

einem Hausbesuch am Wochenende<br />

mit seinem Privatrezept in die Notdienstapotheke<br />

gehen muss. Es<br />

wäre praktisch, sich schon im Vorfeld<br />

abzusprechen: Welche antibiotikahaltigen<br />

Augentropfen haben wir<br />

überhaupt da?<br />

Was sind Ihre Forderungen?<br />

Wir Apotheken stellen die Versorgungsqualität<br />

sicher, wo es eigentlich<br />

keine mehr gibt. Daher brauchen<br />

wir mehr Entscheidungsfreiheit beim<br />

Austausch nicht verfügbarer Medikamente<br />

– wie zu Coronazeiten. Es darf<br />

keine Zahlungsverweigerung von<br />

den Krankenkassen geben, wenn<br />

man verfügbare Alternativen abgibt.<br />

Wir sind froh, wenn wir überhaupt<br />

etwas abgeben können. Und wir<br />

bräuchten einen angemessenen<br />

finanziellen Ausgleich für das<br />

Management der Engpässe.<br />

Es ist wirklich frustrierend, dass wir<br />

uns nicht mehr um die Patient*innen<br />

kümmern können, sondern immer<br />

nur damit beschäftigt sind, zu klären:<br />

Was bekomme ich woher? Für<br />

die Patient*innen ist das alles<br />

schwer zu begreifen. Bisher hat<br />

doch alles immer geklappt. Besonders<br />

schwierig wird es, wenn jemand<br />

eine schwerwiegende Erkrankung<br />

hat. Nehmen Sie das Brustkrebsmittel<br />

Tamoxifen, das lange nicht verfügbar<br />

war. Das Gleiche gilt für Psychopharmaka<br />

wie Paroxetin gegen<br />

Depressionen. Es hat eine Zulassung<br />

für Kinder und Jugendliche, aber weil<br />

es nicht verfügbar ist, müssen wir<br />

einen komplett anderen Wirkstoff<br />

wählen – ohne Zulassung für diese<br />

Altersgruppe.<br />

Das Gespräch führte Stephanie Hügler

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