Andersen
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Hans Christian Andersen in Deutschland
BERND BRÄUER
1
HANS CHRISTIAN ANDERSEN
ÜBER DIE REISEN IN DEUTSCHLAND
HARZ I EISLEBEN I LEIPZIG I MERSEBURG
MEISSEN I DRESDEN I SÄCHSISCHE SCHWEIZ
2 Hans Christian Andersen in Deutschland
Wer kennt sie nicht, die weltberühmten Märchen des dänischen Dichters Hans Christian Andersen (1805 bis
1875) wie: Das Feuerzeug, Die Prinzessin auf der Erbse, Die kleine Seejungfrau, Des Kaisers neue Kleider,
Die Schneekönigin, die in mehr als 150 Sprachen übersetzt sind. Dass Andersens literarisches Gesamtwerk
allerdings viel umfassender ist, dürfte heute wohl nur noch unter Literaturfreunden bekannt sein. Dazu gehören
auch seine meisterhaft geschriebenen Reisebücher, die von der unablässigen Reisetätigkeit des Dichters (und
des bildenden Künstlers) durch sein Heimatland und Europa künden. Seine erste Auslandsreise führt ihn 1831
nach Deutschland, das er dann bis zu seiner letzten Reise 1873 mehrmals für längere Zeit besucht. Die vorliegende
Schrift dokumentiert einige der erlebnisreichen Reisen von Hans Christian Andersen durch Deutschland,
die gleichsam die reiche Kultur-, Kunst- und Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts aufscheinen lassen.
MIT DEM DAMPFSCHIFF
IN DER PFERDEKUTSCHE | ZU FUSS
KOPENHAGEN.
Das königliche Kopenhagen. Schloss
Amalienborg. Andersen ist hier zu Gast
beim dänischen König.
Wenn die Flügel wachsen, dann will
der Vogel auch fliegen ... Und Hans
Christian Andersen will reisen! Das
fordert seine rastlose und unruhige
Zugvogelnatur, sein Bestreben, die
Welt kennenzulernen, um sie literarisch
darstellen und verwandeln zu
können. Im Mai 1831 bricht deshalb
der frühe literarische Erfolge feiernde
Dichter zu seiner ersten Reise nach
Deutschland auf – der Beginn seiner
zahlreichen Reisen durch Europa.
Mit dem Dampfschiff Prinzessin Wilhelmine
geht es über die Ostsee bis Travemünde
und Lübeck. Lebensphilosophische
Gedanken ergreifen Andersen
beim Anblick des ruhigen Meeres:
Himmel und Erde spiegeln sich im
Meer wie in unserem Herzen, aber
das Menschenherz wird nie so ruhig
wie das Meer, wenn erst des Lebens
Stürme ... sein Inneres erschüttert haben,
was sich für sein gesamtes Leben
bewahrheiten sollte.
DURCH DEN HARZ.
Von Lübeck über Hamburg, Braunschweig
und Goslar reisend, erreicht
der Dichter bei einem Gewitter den
Flecken Ilsenburg im Harz. Er ruht eine
Zeitlang und besteigt dann voll Neugier
und Eifer mit einem kundigen Führer
den Brocken. Der Harz, der Brocken
ist für Andersen ein großartiges
Landschaftserlebnis. Allein schon deshalb,
weil er zum ersten Mal in seinem
Leben in einer Gebirgslandschaft wandert.
Der deutschen Sprache mächtig,
hat er über dieses Gebirge wohl in
Goethes, aber vor allem in Heines
Harzreise, die zu seinem literarischen
Reisegepäck gehört haben soll, viel
erfahren. Jedoch, der Brocken ist auf
der Bergspitze von Nebel umhüllt; es
gibt keine Fernsicht. So kehrt der dichtende
Bergsteiger in einer gemütlichen
Berghütte ein, wo er auch übernachtet.
NACH EISLEBEN. NACH LEIPZIG.
Der Morgen auf dem Brocken. Herrlicher
Sonnenaufgang. Weitsicht
bis Magdeburg mit seinen Türmen,
Halberstadt und Quedlinburg. Am
liebsten möchte der schwärmerische
Odense. Andersen lebt in seiner Kindheit in diesem Haus.
Andersen ist in Leipzig zu Gast beim
bedeutenden Verleger Heinrich Brockhaus.
Hans Christian Andersen in Deutschland
3
Besichtigt wird in Eisleben die St. Andreas-Kirche mit der Lutherkanzel.
Dichter sogleich eine Abhandlung
mit der Überschrift Natur und Kunst
schreiben. Elbingerode ist bald erreicht.
In Rübeland besichtigt Andersen
die berühmte Baumann-Höhle.
Von hier aus wandert er bis Blankenburg.
Das hoch über der Saale gelegene
Schloss wird besichtigt. Der
Dichter steigt im berühmten Gasthof
Weißer Adler ab. Am nächsten Morgen
setzt er in der Frühe seine Fußreise
fort. Über Gernrode, Harzgerode
und Mansfeld eilt nun Hans Christian
Andersen nach Eisleben, zur Stadt
Luthers mit ihren vielen Kirchen. Er
durchwandert die Stadt. Zu Luthers
Wohn- und Sterbehaus. Hinein in die
St. Andreas-Kirche mit der berühmten
Lutherkanzel. Von Eisleben aus reist
der Poet wieder in der Postkutsche, im
sächsischen Eilwagen. Vorbei an zwei
großen Binnenseen (Süßer und Salziger
See) mit grünenden Weinbergen.
Durch die Stadt Halle hindurch. Reizvoll,
der mit Kirschbäumen bepflanzte
Weg nach Merseburg. Gotischer Dom
und Renaissanceschloss werden bestaunt.
Der Dichter lauscht andächtig
und sicher amüsiert der grausamen
Volkssage vom mordenden Bischof
und dem diebischen Raben im eisernen
Käfig. Von hier geht es weiter zum
deutschen Buchladen Leipzig, dessen
Umland mit der unübersehbaren Ebene
Andersen sehr dänisch anmutet.
Leipzig ist eine große freundliche Stadt,
die einen angenehmen Eindruck auf
ihn macht. Wohl auch deshalb, weil
der Dichter glaubt, dass zwei bis drei
Buchhändler in jeder Straße wohnen
und überall Bücherschränke stehen.
Er besucht die Nikolaikirche; er steht
am Grab des Fabeldichters Christian
Fürchtegott Gellert auf dem Johannisfriedhof.
Er durchwandert die Stadt;
kehrt in Auerbachs Keller ein. Er speist
beim Verlagsbuchhändler Heinrich
Brockhaus. Die Oper wird besucht –
Rossinis Tell wird durch eine italienische
Operngesellschaft gegeben.
MEISSEN. Drei Tage verweilt Andersen
1831 in Leipzig. Von hier aus reist
er mit der Schnellpost nach Meißen.
In Meißen beeindrucken Dom und Burg.
In Merseburg werden Gotischer Dom und Renaissanceschloss bestaunt.
Er bestaunt das romantische Aussehen
der Meißner Landschaft mit ihren rotgelben
Felsen, den steil aufragenden
grünenden Weinbergen und der Elbe
in malerischen Krümmungen. Der
Meißner Dom und Burg beeindrucken
ihn, aber die Stadt mit ihren engen
Straßen wirkt unheimlich auf ihn. Man
muss es hier wie mit jedem schönen
Gemälde machen, man darf die Augen
nicht allzu nahe dranhalten.
4 Hans Christian Andersen in Deutschland
In Meißen bestaunt Hans Christian
Andersen nicht nur die zauberhaft
an der Elbe gelegenen Weinberge,
erfährt so Manches über die lange
Geschichte des Weinanbaus in dieser
Elbregion, die Anfang des 12. Jahrhunderts
bereits beginnt, sondern er kostet,
ja bechert wohl auch den Meißner
Wein. Zu vermuten ist auch, dass er
das Schloss Siebeneichen und die Burg
Scharfenberg, unweit von Meißen,
IN UND DURCH DRESDEN
mit der breiten Treppe und die katholische
Hofkirche rechts davon werden
erreicht. Durch das prachtvolle Georgentor
gelangt der Ankömmling in die
eigentliche Stadt hinein, die für ihn sofort
etwas einladend Freundliches hat.
Andersen steigt im Hotel de Russie ab.
Sogleich, nach der Table d’hôte, sucht
er den norwegischen Landschafts-
Maler Johan Christian Clausen Dahl
(1788 bis 1857) auf, der seit 1818 hier
in Dresden, im Haus an der Elbe 33
lebt, und seit 1824 als Professor an der
Kunstakademie Dresden wirkt. Dahl,
der auch Mitglied der Kunstakademie
in Kopenhagen ist, empfängt Andersen
mit großer Freundlichkeit und lädt
den Dichter sofort ein, mit ihm den
bedeutenden romantischen Dichter
Ludwig Tieck (1773 bis 1853), in seiner
Dresdner Zeit auch Dramaturg
des Dresdner Hoftheaters, am Abend
zu besuchen.
Groß muss die Freude darüber beim
Dänen gewesen sein, hat er sich doch
mit Tiecks-Werken, wie Der gestiefelte
Kater oder Die Elfen, im Geiste so
oft und viel beschäftigt und dem Kö-
Burg Scharfenberg bei Nacht, Gemälde von E. Ferdinand Oehme, 1827
Ludwig Tieck mit seiner Tochter, Detail,
Gemälde von Christian Vogel von Vogelstein,
1834
hoch über der Elbe gelegen, besichtigt.
Wohl nicht zuletzt auch deshalb,
um zu schauen, wo der bedeutende
deutsche Dichter der Frühromantik,
Novalis (Friedrich von Hardenberg,
1772 bis 1801), dessen Leben und
Werk Andersen bekannt sein durfte,
hier mehrmals zu Gast war.
Durch Alleen von Birnbäumen und
Akazien, vorbei an freundlichen Anhöhen,
reist Hans Christian Andersen
am 2. Juni 1831 von Meißen weiter
nach Dresden, das deutsche Florenz
mit seinen Türmen und Kuppeln. In
der Pferdekutsche überquert er die
Augustusbrücke, die er wohl von Canalettos
berühmtem Gemälde kennt.
Auf Elbe und Brücke ist viel Leben
und Treiben. Die Brühlsche Terrasse
Schloss Siebeneichen, gegenwärtig ein Fortbildungs- und Tagungszentrum
Hans Christian Andersen in Deutschland
5
Dresden bei Tag von der Straße nach Meißen aus gesehen, Gemälde von Johan Christian Clausen Dahl, 1822
nig der Romantik bereits 1829 ein Exemplar
seines Debüt-Werkes Fußreise
von Holmens Kanal zur Ostspitze von
Amager mit begleitendem Brief geschickt.
Doch zunächst spaziert Andersen
über die Brühlsche Terrasse, durch
ein Menschengewühl hindurch, denn
man feiert das Fronleichnamsfest. Er
verweilt eine kurze Zeit, bestaunt die
Schönheit der Barockstadt, die vielen
Schiffe auf der Elbe, die grünen Weinberge
in der Ferne. Er besucht die Hofkirche.
Hell und groß wirkt sie auf den
Dichter. Auf allen Altären brennen
Kerzen. Musik erklingt. Kastraten singen
in weichsten Molltönen. Betende
Menschen in den Seitenkapellen und
in den großen Gängen. Auch der anwesende
König (Anton von Sachsen,
der Gütige genannt, 1755 bis 1836) im
Kreise seiner Familie betet ...
Gegen sieben Uhr am Abend findet
sich Andersen mit Dahl beim
berühmten Dichter und Übersetzer
Ludwig Tieck ein. Er wird vorgestellt.
Tieck begrüßt ihn herzlich, verweist
mit verbindlichen Worten darauf, dass
er dessen Schrift Fußreise gelesen hat
und heißt ihn in Deutschland nochmals
willkommen.
Christian Dahl, Portrait, Detail, Gemälde von Johann Carl Rössler, 1819/1820
Die fast allabendlich stattfindende
dramatische Tieck-Lesung beginnt –
an diesem Abend aus Shakespeares
Heinrich der Vierte. Ein gelungener
geistreicher Abend. Tieck bittet Andersen
beim Abschied, ihn erneut zu
besuchen, was dieser freudvoll annimmt.
Hans Christian Andersen verweilt in
Dresden noch bis zum 10. Juni. Er
besucht mit Dahl die Gemäldegalerie,
geht ins Grüne Gewölbe, sieht Theater-Aufführungen
... Und: Er reist zu
einem weiteren seiner Sehnsuchtsorte
in Deutschland: In die Sächsische
Schweiz …
6 Hans Christian Andersen in Deutschland
AUF DEM WEG IN DIE SÄCHSISCHE SCHWEIZ
Sehnsuchtsort für Hans Christian
Andersen wird in Dresden, wohl
aus vielerlei Gründen, die Sächsische
Schweiz. Dahin sehnt er sich, dahin
will er reisen. Mit dem Harz hat
er, der bis dahin nur das flache Land
seiner dänischen Heimat kannte, die
Berglandschaft mit ihren romantischen
Orten, den faszinierenden Reiz
von Tälern und Höhen entdeckt. Aber
auch der Landschafts-Maler Christian
Dahl, der die Sächsische Schweiz
liebt und malt, wird den Dichter zu
einem solchen Ausflug angeregt haben.
Am 06. Juni 1831, bei herrlichem
sonnigen Frühlingswetter ist es dann
soweit. Andersen geht zunächst in die
Hof-Kirche. Die Altarlichter sind angezündet.
Er lauscht hingebungsvoll den
Orgeltönen und einem wohltuenden
unschuldigen Gesang von jugendlichen
Stimmen, von kleinen Mädchen
und Knaben. Wenn nur dies Ganze
kein Traum ist, denkt er, wenn ich nur
nicht vielleicht gar zu Hause in Dänemark
bin und schlafe und mich nur in
Die Reisegesellschaft beginnt
zu singen und zu lachen und
Andersen ist dabei
diese fremde Stadt zwischen den Bergen
hineinträume ... Er reißt sich aus
seinen Gedanken. Schnellen Schrittes
läuft er zur Elbe hinunter, wo er von
seinen Reisebegleitern bereits erwartet
wird.
Die Gondel mit der Reisegesellschaft
erreicht die herrschaftliche Sommerresidenz
der sächsischen Könige,
das Schloss Pillnitz. Andersen erfährt
Manches über dessen wechselvolle
Geschichte seit dem 14. Jahrhundert.
So über den Kurfürsten August der
Starke, der hier zu Beginn des 18.
Jahrhunderts eine prachtvolle Sommerresidenz
errichten lässt und die
in einem Großbrand 1818 vernichtet
wird. Danach wird an dieser Stelle bis
1830 das dreiflügelige Neue Palais mit
Kuppelsaal, Schlosskapelle und Königlicher
Küche errichtet. Möglicherweise
hat Andersen den repräsentativen
Fest- und Speisesaal und die
Schlosskapelle, ausgestaltet mit Gemälden
durch den berühmten Maler
Carl Christian Vogel von Vogelstein,
besichtigt.
Das historische Dresden, Blick zur Augustusbrücke, Frauen- und Hofkirche, Gemälde von Bellotto Canaletto, 1748
Impressum: 2024
Texte und Photos: Dr. Bernd Bräuer, Gelenau
www.berndbraeuerverlag.de
Technische Erstellung: Daniel Meyer
Druck: Druckerei Gebrüder Schütze GbR, Wolkenstein
www.druckerei-schuetze.de
Hans Christian Andersen in Deutschland
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Portrait des Christian Vogel von Vogelstein,
Gemälde von F. von Amerling, 1837
Johan Christian Dahl, Blick auf Schloss Pillnitz, Detail, 1823
Andersen spaziert durch den Schlosspark,
durch den Ort Pillnitz. Die nahe
zum Schloss Pillnitz stehende und
1725 geweihte barocke Weinbergkirche
Zum Heiligen Geist wird aufgesucht;
der Königliche Weinberg wird
durchwandert, erstiegen und der sich
von hier oben ergebende malerische
Blick, weit über die Elblandschaft, lange
genossen.
Von Pillnitz aus beginnt die erkundende
Fuß-Wanderung des Hans Christian
Andersen in und durch die Sächsische
Schweiz.
Heine in Paris nannte ihn einen
wahren Dichter … Henrik Ibsen,
Clara und Robert Schumann,
Jacob Grimm, Charles Dickens,
Richard Wagner … erkannten das
literarische Genie des Dänen …
Die Weinbergkirche im Königlichen Weinberg. In der Ferne Schloss Pillnitz
8 Hans Christian Andersen in Deutschland
WANDERUNG DURCH DIE SÄCHSISCHE SCHWEIZ
Von Pillnitz aus wandert Hans
Christian Andersen mit Freunden
in die freie, schöne Natur hinaus. Bis
zum Ort Lohmen – berühmt durch
seinen Sandsteinbruch, der bereits seit
Anfang des 13. Jahrhunderts für den
Bau von Burgen, Schlössern, Klöstern
und Kirchen verwendet wurde und
wird.
Andersen besichtigt das hoch auf einem
Felsen stehende Schloss Lohmen,
historische Ansicht, um 1830
Die kleine Wandergesellschaft nähert
sich schon bald dem Liebethaler
Grund, einem herrlichen, langen Felstal.
Man wandert freudig hindurch.
Die Steinbrecher, Gemälde von Robert Sterl, 1911
Bestaunt die hoch oben liegenden
Felder und Wiesen, die gelben und
grauen Steinmassen, zwischen denen
verkrüppeltes Gebüsch aufschießt.
Am brausenden Fluss Wesenitz, der
das Tal durchfließt, verweilt man eine
kurze Zeit. Arbeitern, die kraftvoll
Sandstein aus dem Felsen brechen,
schaut man neugierig zu.
Der Dichter mit seinen Freunden
wandert weiter im immer enger werdenden
Tal. Eine merkwürdige Stille
ergreift die Wanderer. Man hat sich
verlaufen, kehrt um und findet in der
nahe gelegenen Mühle einen kundigen
Führer nach Lohmen.
Hier angekommen werden das hoch
über dem Fluss auf einem Felsen stehende
Schloss mit der herrlich romantischen
Aussicht und die nahe gelegene
schöne Dorf-Kirche besichtigt.
Man übernachtet in Lohmen.
Am nächsten Morgen (7. Juni) stehen
der Dichter und seine kleine Gesellschaft
bereits gegen drei Uhr auf, um
wandernd wichtige Orte der Sächsischen
Schweiz aufzusuchen: Den
Uttewalder Grund. Die Felsformation
Bastei. Die Wolfsschlucht, durch
die man regelrecht hindurchkriecht.
Hohnstein, das man nahezu erklettert
und Schandau, das man durchstreift.
Den Kuhstall, wo man übernachtet.
Wilde Felsenklüfte, Berge mit schwarzen
Tannen, über die blaugrauer Nebel
in wunderlichen Formen hinweg-
Am brausenden Fluss Wesenitz, der den Liebethaler Grund durchfließt, verweilt man. Gemälde von Johan Christian Dahl, 1823
Hans Christian Andersen in Deutschland
9
Andersen besteigt die Bastei und erfreut sich am herrlich weiten Blick über die Landschaft. Gemälde von Johan Christian Dahl, 1819
schwebt … Der Regenbogen, der sich
über den Bergen wölbt. Die Wolken
… von einem ganz seltsamen Indigoblau
und dazu gelb und grau gesprenkelt,
so erlebt Andersen diese Tal- und
Berg-Landschaft.
Am nächsten Tag (8. Juni, früh vier
Uhr) reisen der Däne und seine Freunde
auf der Elbe ins Böhmische. Man
passiert, mit großer Freude des Dichters,
jenen Steinbruch, wo einst Steine
für das dänische Schloss Christiansborg
gebrochen worden sind.
Wilde Felsenklüfte, Berge mit
schwarzen Tannen,
über die blaugrauer Nebel
in wunderlichen Formen
hinwegschwebt …
Man geht an Land, wandert, besichtigt
den Ort Herrnskretschen, geht
weiter längs der Elbe … In einer Gondel
mit Segel schiffen Hans Christian
Andersen und seine Begleiter zurück
bis Schandau.
Von hier wandern sie auf einem kleinen
Pfad längs der Elbe … unter hohen
Felswänden bis nach Pirna und
setzen mit der Fähre über die Elbe, um
Ort, gotische Kirche und Bergschloss
Sonnenstein zu besichtigen.
Am späten Abend reist der hoch gestimmte
Dichter in der Postkutsche
zurück nach Dresden, von wo er am
10. Juni nach Berlin aufbricht.
In Pirna setzt der Dichter mit der Fähre über die Elbe, um Ort, gotische Kirche und Bergschloss
Sonnenstein zu besichtigen.
Für die kleine Meerjungfrau gab es keine
größere Freude, als von der Menschenwelt
droben zu hören; die Großmutter mußte alles
erzählen, was sie von Schiffen und Städten,
Menschen und Tieren wußte …
10 Hans Christian Andersen in Deutschland
Bereits auf seiner ersten Deutschlandreise
1831 ist es Hans Christian
Andersens innigster Wunsch,
Goethe und Weimar zu besuchen.
Er verzichtet aber darauf, da er befürchtet,
als ein in Deutschland noch
kaum bekannter Dichter, vom hochbetagten
Geheimrat nicht empfangen
zu werden. Erst dann, so beschließt
Andersen, wenn seine Werke auch
in Deutschland bekannt sind, will er
nach Weimar reisen, in die Stadt von
der so viel Licht über die Welt ausgeströmt
ist.
Am 24. Juni 1844 ist es dann soweit.
Zwar ist Goethe da bereits tot. Aber
nicht nur bei Goethes Nachfahren,
vor allem bei dessen Enkel Walter,
sondern auch am Weimarer Hof
wird Andersen als ein großer Dichter
geschätzt, werden seine Werke begeistert
aufgenommen und gelesen.
Schon am ersten Tag in Weimar besucht
er den Kanzler Müller (Friedrich
von Müller, 1779 bis 1849, Unterhaltungen
mit Goethe); auch Johann Peter
Eckermann (1792 bis 1854, Gespräche
mit Goethe), Goethes Assistent
seit 1823.
Beide einst engste Vertraute des Geheimrates,
die dem dänischen Dichter
Goethes Alltags- und Dichterleben
lebendig aufrollen. Man steht vor
IN WEIMAR
Goethes Wohnhaus am Frauenplan.
Die Wohnräume können nicht besichtigt
werden, aber der Garten hinterm
Haus. Mit seinen neuen Freunden
spaziert Andersen durch Ort und
Schlossgarten, zur Ilm und vielleicht
bis zu Goethes Gartenhaus. Am frühen
Abend weilt er im Haus von Schiller.
Danach geht‘s zum Opernbesuch
ins Theater. Anwesend ist auch der
junge, seinen Geburtstag feiernde
Erbgroßherzog Carl Alexander (1818
bis 1901), der als Knabe und Heranwachsender
viel Zeit mit Goethe und
Andersens innigster
Wunsch ist es, Goethe und
Weimar zu besuchen
dessen Enkeln im Haus am Frauenplan
verbracht hat. Herzlich empfangen
wird Andersen vom regierenden
Großherzog Carl Friedrich und von
der kunstsinnigen Großherzogin Maria
Pawlowna, die den greisen Goethe
bis zu dessen Tod allwöchentlich besucht.
Tief beeindruckt zeigt sich Andersen
vom Herrscherpaar. Auch von
der Einladung des Erbgroßherzogs und
seiner Gemahlin Sophie ins Jagd- und
Zum 26. Geburtstag von Erbgroßherzog,
später Großherzog Carl Alexander,
trifft Andersen in Weimar ein.
Sommerschloss Ettersburg, das sich
wieder zum Mittelpunkt eines geistigliterarischen
und geselligen Lebens
entfaltet. Eine schicksalshafte Begegnung:
Carl Alexander, der Erbgroßherzog
und Hans Christian Andersen, der
Dichter empfinden sofort tiefe Zuneigung
füreinander; sind schon bald wie
gute Freunde miteinander vertraut.
Ein langer gemeinsamer Spaziergang
durch den Park; ernsthafte Gespräche
– über Goethe in Ettersburg, über die
Auf Schloss Ettersburg beginnt die lebenslange Freundschaft Andersens mit dem Erbgroßherzog Carl Alexander.
Hans Christian Andersen in Deutschland
11
Andersen ist in Belvedere Gast des herrschenden Großherzogs Carl Friedrich und der Großherzogin Maria Pawlowna.
weitgespannten Pläne des Erbgroßherzogs
mit Weimar und dem Schloss,
vielleicht eine erste Bitte, ein erstes
Angebot: der Dichter möge länger in
Weimar bleiben. Andersen liest im
Schloss aus seinen Werken, wird dafür
bewundert. Man trinkt Rheinwein und
Champagner …
so fühlt er es. Weitere erlebnisreiche
Besuche in Weimar folgen. So bereits
im Januar / Februar 1846 – viele
herzliche, bewegende Begegnungen
mit Carl Alexander, der den Dichter
Von Weimar aus
ist Sonnenschein
in mein Herz geströmt
erneut bittet, für immer nach Weimar
zu kommen. Dann 1856 und 1857
zur Einweihung des Goethe-Schiller-
Denkmals. Reger Briefwechsel Andersens
mit Carl Alexander, der seit 1853
regierender Großherzog von Sachsen-
Weimar-Eisenach ist. Letztmalig ist
der Dichter 1873 in Deutschland. Er
schafft es, von schwerer Krankheit
bereits gezeichnet, nur bis Eisenach.
Er besichtigt die Wartburg, die von
seinem verehrtem Lebensfreund Carl
Alexander vor dem Zerfall bewahrt
worden ist. Nach Weimar schafft es
der Dichter nicht mehr, lässt jedoch
die Herrscherfamilie durch einen Boten
herzlich grüßen. Fast ein märchenhaftes
Ende seiner Besuche und Begegnungen
in Weimar. Mein Leben ist
ein hübsches Märchen, so reich und
glücklich. So sieht Hans Christian Andersen
sein Leben. Wohl auch seine
Zeit in Weimar.
Andersens Spaziergang durch den Schloss-
Park führt auch zu Goethes Gartenhaus.
Am 28. Juni zur Tafel beim Großherzog
auf Belvedere. Danach erneut nach
Ettersburg. Eine literarische Soirée zu
Ehren des Dänen. Lesezeit: Die Prinzessin
auf der Erbse. Des Kaisers neue
Kleider. Carl Alexander liest eine Novelle,
wahrscheinlich von ihm selbst …
Rührender Abschied. Andersens erste
Weimar-Reise endet am 2. Juli 1844.
Von Weimar aus ist Sonnenschein in
mein Herz geströmt, so schreibt er,
Andersen besichtigt 1873 Eisenach und die Wartburg.
Wenn die Flügel wachsen, dann will der Vogel auch fliegen …
Und Hans Christian Andersen will reisen! Das fordert seine rastlose und unruhige Zugvogelnatur …
Lithographie von Bertold Löffler zum Andersen Märchen: Zwölf mit der Post