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Konzepte und Entwicklungsschritte für den Aufbau der Notfallselsorge

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MODERNES MANAGEMENT ALS GRUNDLAGE DER<br />

ERFOLGREICHEN DIAKONIETÄTIGKEIT<br />

KONZEPTE UND ENTWICKLUNGSSCHRITTE FÜR DEN AUFBAU<br />

DER NOTFALLSEELSORGE IN UNGARN<br />

Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades<br />

Doktor <strong>der</strong> Theologie<br />

Eingereicht an <strong>der</strong> Katholisch-Theologischen Fakultät<br />

<strong>der</strong> Karl-Franzens-Universität Graz<br />

von Fodor János<br />

unter <strong>der</strong> Betreuung von o. Univ. Prof. Dr. Rainer Bucher<br />

Graz, 2012


Vorwort<br />

Vorwort<br />

Seit meiner Kindheit höre ich oft <strong>den</strong> folgen<strong>den</strong> Satz „Was dich nicht umbringt, macht<br />

dich härter ….“. Im Laufe meiner späteren Studien hat mich die Frage, ob es wirklich<br />

wahr ist, dass man aus einer Krise menschlich <strong>und</strong> seelisch gestärkt hervorgeht, sehr<br />

interessiert. Was passiert mit uns, wenn wir etwas Negatives erleben, was löst es in <strong>der</strong><br />

Seele <strong>und</strong> im Leben aus?. Warum erfahren wir, dass eine bestimmte Krisensituation, die<br />

einem wi<strong>der</strong>fährt, in einigen die Lebensbejahung weckt, während an<strong>der</strong>e pessimistisch<br />

wer<strong>den</strong> <strong>und</strong> selbst das Gute nicht mehr sehen können?<br />

Die vorliegende Arbeit sucht Antworten auf die Frage, wie die Kirche <strong>und</strong> die<br />

Diözesanorganisationen <strong>den</strong> Menschen beistehen können, die ein hohes Maß an Stress<br />

erlebt haben, außergewöhnliche Ereignisse meistern müssen o<strong>der</strong> auf einen Notfall<br />

treffen, <strong>für</strong> dessen Bewältigung ihre eigene Kraft nicht ausreicht <strong>und</strong> sie externe Hilfe<br />

benötigen.<br />

Als Priester <strong>der</strong> Kirche halte ich die Frage, wie ich diesen Menschen helfen kann <strong>und</strong><br />

welchen Rahmen die katholische Kirche bei <strong>der</strong> Hilfeleistung bieten kann, persönlich<br />

<strong>für</strong> sehr wichtig. Ich habe auch die Frage gestellt, ob im deutschen Sprachgebiet <strong>und</strong> in<br />

<strong>den</strong> ungarischen Diözesen vorhan<strong>den</strong>e bzw. vorgestellte Strukturlösungen <strong>für</strong><br />

vergleichbare Situationen vergleichbare Lösungsansätze haben können.<br />

Deshalb stellt die vorliegende Arbeit vor, wie die Kirchen in Österreich, Deutschland<br />

<strong>und</strong> Ungarn notlei<strong>den</strong>de Menschen unterstützen <strong>und</strong> versorgen.<br />

Gleichzeitig ist Ziel <strong>der</strong> Arbeit, die Gestaltung des entsprechen<strong>den</strong> Organisations- <strong>und</strong><br />

Funktionshintergr<strong>und</strong>es in Ungarn, wo das Suchen <strong>der</strong> Möglichkeiten <strong>und</strong> die<br />

Gestaltung eines funktionell entsprechen<strong>den</strong> Systems noch in <strong>den</strong> Kin<strong>der</strong>schuhen steckt<br />

<strong>und</strong> wo die katholische Kirche als Partnerorganisation mit dem Katastrophenschutz <strong>und</strong><br />

<strong>den</strong> Ges<strong>und</strong>heitsorganisationen zur Unterstützung <strong>der</strong> Gesellschaft kooperieren könnte,<br />

auszuarbeiten.<br />

Die Diözese Debrecen-Nyíregyházi, die mir ermöglicht hat, meine Doktorstudien durch<br />

das Stipendium <strong>der</strong> Hilfsorganisation Filentia in Graz machen zu können, sowie die<br />

Reformierte Universität Debrecen, die mich in ihre Doktorschule aufgenommen hat <strong>und</strong><br />

mich so in meinem Thema gestärkt hat, haben mich dabei entschei<strong>den</strong>d unterstützt.<br />

1


Vorwort<br />

Ein großer Dank gilt <strong>der</strong> Diözese Graz-Seckau – namentlich ganz beson<strong>der</strong>s Herrn<br />

Diözesanbischof Dr. Egon Kapellari -, die mich als ungarischen Priester drei Jahre lang<br />

aufgenommen haben <strong>und</strong> mir auch „Unterschlupf“ gewährten.<br />

Herrn Univ.-Prof. Dr Rainer Bucher, meinem Erstbegutachter, gilt mein beson<strong>der</strong>er<br />

Dank <strong>für</strong> die professionelle <strong>und</strong> menschliche Hilfe, die mir im Laufe <strong>der</strong> vergangenen<br />

Jahre gewährt wurde. Es waren seine klaren methodologischen Erkenntnisse, die mir<br />

geholfen haben, meine Kenntnisse bei meinen Forschungen konsequent weiter zu<br />

vertiefen <strong>und</strong> meine Forschung erfolgreich abzuschließen.<br />

Ein beson<strong>der</strong>er Dank gilt meinem Zweitbegutachter, Herrn Univ.-Prof. Dr. Leopold<br />

Neuhold, <strong>der</strong> mir mit seiner Fröhlichkeit im Laufe meiner Forschung immer geholfen<br />

hat, meine toten Punkte zu überwin<strong>den</strong>. Er hat meine Arbeit mit einer unendlichen<br />

Geduld korrigiert <strong>und</strong> mich ermutigt, trotz Voranschreitens <strong>der</strong> Zeit meine<br />

wissenschaftliche Arbeit weiter zu verfolgen.<br />

Die Fachkompetenz von Herrn Ass.-Prof. Karl Heinz La<strong>den</strong>hauf, <strong>der</strong> die Tätigkeit des<br />

Notfallseelsorgers selbst ausübt, war mir ein beson<strong>der</strong>es Geschenk. So konnte er mein<br />

Thema nicht nur wissenschaftlich, son<strong>der</strong>n auch praktisch, mit mir überlegen.<br />

Gleichzeitig war er auch beim Fin<strong>den</strong> <strong>der</strong> theologischen <strong>und</strong> psychologischen<br />

Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> literarischen Quellen eine große Hilfe <strong>und</strong> unterstützte <strong>den</strong> Fortschritt<br />

<strong>und</strong> Erfolg meiner Arbeit mit ständigem bereicherndem Feedback.<br />

Es ist mir ein beson<strong>der</strong>s großes Geschenk, dass die ungarische Gemeinde in Graz <strong>und</strong> in<br />

Folge auch die Diözese <strong>der</strong> Gemeinde Gógánfa toleriert haben, dass ich nicht nur die<br />

Arbeit eines Priesters, son<strong>der</strong>n auch die eines Wissenschafters machen wollte, <strong>und</strong> sie<br />

mir selbst dann beistan<strong>den</strong>, als ich ihnen als Priester meines Erachtens manchmal<br />

weniger bieten konnte.<br />

Ich danke András Antal, <strong>der</strong> zum Erfolg meiner Arbeit menschlich <strong>und</strong> sprachlich viel<br />

beigesteuert hat. Er hat neben seiner konkreten Hilfe bei meiner Arbeit auch meine<br />

manchmal ermü<strong>den</strong>de Überzeugung gestärkt, dass das Thema nicht nur mir, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong><br />

Kirche, <strong>der</strong> ungarischen Gesellschaft <strong>und</strong> meiner ganzen Umgebung wichtig ist.<br />

Mein beson<strong>der</strong>er Dank gilt auch Mag. a Dr. in Dr Priska Pschaid <strong>und</strong> Maria Lerch <strong>für</strong> die<br />

präzise Sprachkorrektur meiner Arbeit, die gewiss nicht immer eine leichte Aufgabe<br />

war.<br />

2


Vorwort<br />

Neben meinen Eltern <strong>und</strong> Geschwistern – <strong>den</strong>en mein Dank mit Worten allein niemals<br />

genüge getan wer<strong>den</strong> kann – möchte ich Familie Winkler, meinen Fre<strong>und</strong>Innen <strong>und</strong><br />

ehemaligen KollegInnen, die mich mit Liebe umgeben haben, meinen Dank<br />

aussprechen. Sie waren die GarantInnen <strong>für</strong> eine konstante ruhige <strong>und</strong> ausgeglichene<br />

Atmosphäre, wodurch mir die innere Ruhe beim Schreiben dieser Arbeit ermöglicht<br />

wurde.<br />

3


Inhaltübersicht<br />

Inhaltübersicht<br />

Vorwort ………………………………………………………………………..………. 1<br />

Inhaltübersicht ………………………………...………………………………..……… 4<br />

Einleitung .............................................................…………………. …………..…..... 10<br />

I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns .........………….………......…........ 17<br />

II. Methodologie <strong>und</strong> Problematik ..................................…………….……………...... 72<br />

III. Vorstellung österreichischer <strong>und</strong> deutscher NFS-Modelle ……….…………..….. 97<br />

IV. Benchmarking Analyse ................................……….………………………….... 108<br />

V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn .………………………….…….... 199<br />

VI. Die Rotschlammkatastrophe von Devecser aus Sicht <strong>der</strong> Notfallseelsorge …….. 272<br />

Webseitenverzeichnis ……………………………………………………………... .. 294<br />

Literaturverzeichnis …………………………………………………………………. 301<br />

4


Inhaltsverzeichnis<br />

Inhaltverzeichnis<br />

Vorwort............................................................................................................................. 1<br />

Inhaltübersicht .................................................................................................................. 4<br />

Inhaltsverzeichnis ............................................................................................................. 5<br />

Einleitung........................................................................................................................ 10<br />

I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns......................................................... 17<br />

1. Was ist Notfallseelsorge <strong>und</strong> was sind ihre Herausfor<strong>der</strong>ungen?........................... 17<br />

1.1. Definition Notfallseelsorge.............................................................................. 18<br />

1.2. Die Tätigkeiten <strong>der</strong> NFS vor Ort ..................................................................... 20<br />

1.3. Organisationsformen von Notfallseelsorge ..................................................... 22<br />

1.4. Institutionalisierung <strong>und</strong> Kooperation als Gr<strong>und</strong>lagen.................................... 23<br />

1.5. Kollegialität <strong>und</strong> ständige Erreichbarkeit ........................................................ 24<br />

1.6. Freiwilligkeit.................................................................................................... 25<br />

1.7. Professionalität................................................................................................. 25<br />

1.8. Ausbildung von NotfallseelsorgerInnen .......................................................... 26<br />

2. Theologische Begründung <strong>der</strong> NFS als diakonisches Handeln .............................. 26<br />

2.1. Gr<strong>und</strong>lagen des Kirchendienstes ..................................................................... 27<br />

2.1.1. Liturgie....................................................................................................... 29<br />

2.1.2. Martyria: Pastoralpsychologische Skizze – das Bild des fragmentierten<br />

Menschen ............................................................................................................. 32<br />

2.1.3. Diakonie in Pastoraltheologie <strong>und</strong> Notfallseelsorge.................................. 36<br />

3. Wer braucht NFS? .................................................................................................. 38<br />

3.1. Fallbeispiele aus <strong>der</strong> NFS ................................................................................ 38<br />

3.2. Trauma ............................................................................................................. 41<br />

3.3. Coping-Strategien ............................................................................................ 54<br />

II. Methodologie <strong>und</strong> Problematik.................................................................................. 72<br />

1. Quellenmaterial <strong>der</strong> Modellbeschreibung............................................................... 73<br />

1.1. Primäre Informationsquelle: Das Interview ................................................. 74<br />

1.2. Sek<strong>und</strong>äre Informationsquelle: Daten sammeln........................................... 76<br />

1.3. Die SWOT-Analyse......................................................................................... 77<br />

1.4. Die verwendete Untersuchungsmethode: Die Benchmarking-Analyse........... 78<br />

2. Themenvorstellung – Ein Fallbeispiel .................................................................... 83<br />

3. Situationsanalyse in Ungarn ................................................................................... 85<br />

4. Die Gr<strong>und</strong>frage <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heitsreform: Dienst o<strong>der</strong> Dienstleistung?................... 86<br />

5. Die Stellung <strong>der</strong> ungarischen Katholischen Kirche zur Ges<strong>und</strong>heitsreform .......... 88<br />

5


Inhaltverzeichnis<br />

6. Die Rolle <strong>und</strong> Aufgabe <strong>der</strong> Kirchen bei <strong>der</strong> Schaffung <strong>der</strong> Zivilgesellschaft heute<br />

.................................................................................................................................... 94<br />

III. Vorstellung österreichischer <strong>und</strong> deutscher NFS-Modelle....................................... 97<br />

1. Modell „Klagenfurt” – Präsentation eines österreichischen Modells..................... 97<br />

2. Modell „Berlin” – Vorstellung eines deutschen Modells ..................................... 102<br />

IV. Benchmarking Analyse .......................................................................................... 108<br />

1. Die Führung .......................................................................................................... 108<br />

1.1. Die Verantwortung <strong>der</strong> Leitung <strong>für</strong> die Qualität <strong>der</strong> NFS............................. 108<br />

1.2. Die Rolle <strong>der</strong> Leitung beim Management <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ungen...................... 110<br />

2. Politik <strong>und</strong> Strategie.............................................................................................. 112<br />

2.1. Interpretation <strong>der</strong> gegenwärtigen <strong>und</strong> Prognose über zukünftige Ansprüche <strong>der</strong><br />

Gesellschaft an die Gestaltung <strong>der</strong> Organisationsstrategie................................... 112<br />

2.2. Aspekte <strong>der</strong> Gestaltung einer erfolgreichen Strategie ................................... 113<br />

2.3. Entstehung, Supervision <strong>und</strong> Aktualisierung <strong>der</strong> Strategie ........................... 114<br />

3. Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeiter.......................................................................... 117<br />

3.1. Aspekte, welche aus <strong>der</strong> Auswahl <strong>der</strong> Humanressourcen resultieren ........... 117<br />

3.2. Der Einsatz von Freiwilligen ......................................................................... 118<br />

3.3. Die Zahl <strong>der</strong> Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeiter ............................................. 120<br />

3.4. Die Fachausbildung <strong>der</strong> Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeiter .......................... 122<br />

3.5. Eignungsfeststellung <strong>für</strong> die Mitarbeit in <strong>der</strong> NFS........................................ 126<br />

3.6. Exakte Definition des Arbeitsfeldes .............................................................. 129<br />

3.7. Aufgabenteilung als Mittel <strong>der</strong> effizienten Arbeit......................................... 131<br />

3.8. Regelmäßigkeit <strong>und</strong> Intensität <strong>der</strong> Weiterbildungen ..................................... 132<br />

4. PartnerInnenschaften <strong>und</strong> Ressourcen .................................................................. 134<br />

4.1. Die Qualität <strong>der</strong> PartnerInnenschaft .............................................................. 134<br />

4.2. Der ökumenische Charakter des Dienstes, Kontakt zu an<strong>der</strong>en kirchlichcaritativen<br />

Diensten .............................................................................................. 134<br />

4.3. Kontakt zu PartnerInneninstitutionen <strong>und</strong> Organisationen mit anknüpfen<strong>den</strong><br />

Aktivitäten ............................................................................................................ 136<br />

4.4. Interreligiöse Beziehungen ............................................................................ 138<br />

4.5. Kontakt zur eigenen Diözese ......................................................................... 139<br />

4.6. Kontakt zu an<strong>der</strong>en Pfarren ........................................................................... 143<br />

4.7. Die Übergabe <strong>der</strong> Krisengefährdeten an <strong>den</strong> örtlich zuständigen Seelsorger 145<br />

4.8. Ressourcen ..................................................................................................... 147<br />

4.8.1. Wirtschaftliche Gr<strong>und</strong>lagen..................................................................... 147<br />

4.8.2. Finanzierungssicherheit ........................................................................... 147<br />

6


Inhaltverzeichnis<br />

4.8.3. Planbarkeit <strong>der</strong> Finanzierung................................................................... 149<br />

4.8.4. Klarheit <strong>der</strong> Situation bei einer gemischten Finanzierung....................... 150<br />

5. Prozesse ................................................................................................................ 153<br />

5.1. Methodisches Planen <strong>und</strong> Management <strong>der</strong> Prozesse ................................... 153<br />

5.2. Weiterentwicklung <strong>der</strong> Prozesse zwecks <strong>der</strong> besseren Versorgung <strong>der</strong><br />

Betroffenen ........................................................................................................... 156<br />

5.3. Bereitschaftssystem <strong>und</strong> Erreichbarkeit......................................................... 159<br />

6. NFS aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> „K<strong>und</strong>Innen“..................................................................... 162<br />

6.1. Die Kirchen als potentielle AkteurInnen mo<strong>der</strong>ner<br />

Ges<strong>und</strong>heitsdienstleistungen................................................................................. 162<br />

6.2. Mo<strong>der</strong>nes Management als Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> erfolgreichen Diakonietätigkeit . 164<br />

6.3. Die Bedeutung <strong>der</strong> Untersuchung <strong>der</strong> „K<strong>und</strong>Innenzufrie<strong>den</strong>heit“ <strong>für</strong> <strong>den</strong><br />

Dienst.................................................................................................................... 166<br />

7. MitarbeiterInnenergebnisse .................................................................................. 167<br />

7.1. Definition, Weiterentwicklung <strong>und</strong> Nachhaltigkeit <strong>der</strong> Kompetenzen, des<br />

Fachwissens <strong>und</strong> <strong>der</strong> Vorbereitung von MitarbeiterInnen.................................... 168<br />

7.2. Motiviertheit <strong>der</strong> MitarbeiterInnen, das System <strong>der</strong> Belohnung <strong>und</strong><br />

Entlohnung............................................................................................................ 169<br />

7.3. Planung, Steuerung <strong>und</strong> Weiterentwicklung <strong>der</strong> Humanressourcen ............. 172<br />

7.4. Kommunikation innerhalb <strong>der</strong> Organisation, Dialog mit <strong>den</strong> KollegInnen <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Organisation.................................................................................................... 173<br />

7.5. Die Bedeutung <strong>der</strong> Supervision ..................................................................... 175<br />

7.6. Durchführung <strong>und</strong> Evaluierung <strong>der</strong> Feedbacks ............................................. 177<br />

7.7. Klärung <strong>der</strong> Kooperationsbeziehungen – Aufgabenteilung innerhalb <strong>der</strong><br />

Organisation.......................................................................................................... 180<br />

8. Gesellschaftliche Anerkennung ............................................................................ 181<br />

8.1. Akzeptanz innerhalb <strong>der</strong> Kirchenleitung ....................................................... 182<br />

8.2. Akzeptanz <strong>und</strong> Anerkennung innerhalb <strong>der</strong> PartnerInnenkirchen................. 184<br />

8.3. Akzeptanz innerhalb ziviler Organisationen.................................................. 185<br />

8.4. Akzeptanz innerhalb <strong>der</strong> kooperieren<strong>den</strong> Organisationen............................. 187<br />

8.5. Meinung <strong>und</strong> Zufrie<strong>den</strong>heit <strong>der</strong> Gesellschaft ................................................ 189<br />

8.6. Medienarbeit als Basis sozialer Anerkennung............................................... 189<br />

9. Resultate von gr<strong>und</strong>legen<strong>der</strong> Bedeutung .............................................................. 190<br />

9.1. Management externer PartnerInnenschaften ................................................. 190<br />

9.2. Management externer Ressourcen ................................................................. 193<br />

9.3. Management finanzieller Ressourcen............................................................ 195<br />

9.4. Information <strong>und</strong> Wissensmanagement........................................................... 197<br />

7


Inhaltverzeichnis<br />

V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn ....................................................... 199<br />

1. Konkrete Schritte <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn ......................................... 199<br />

1.1. Umwelteinflüsse zur Stärkung <strong>und</strong> Schwächung <strong>der</strong> Organisation <strong>der</strong> NFS 202<br />

1.1.1. Umwelteinflüsse zur Schwächung <strong>der</strong> NFS-Organisation ...................... 203<br />

1.1.2. Umwelteinflüsse zur Stärkung <strong>der</strong> NFS-Organisation ............................ 207<br />

1.2. Schritte <strong>der</strong> Organisation <strong>der</strong> konkreten NFS-Organisationsstruktur: Die<br />

Logframe-Projektplanungsmethode...................................................................... 208<br />

2. Teilnahmeanalyse ................................................................................................. 210<br />

2.1. Die Frage des Betriebsumfeldes .................................................................... 212<br />

2.1.1. Die Einglie<strong>der</strong>ung in die Kirche <strong>und</strong> in ihre Organisation ...................... 213<br />

2.1.2. Die I<strong>den</strong>titätskrise .................................................................................... 214<br />

2.1.3. Die Kategorialseelsorge in Ungarn.......................................................... 216<br />

2.2. Konkrete Einglie<strong>der</strong>ung in das Ges<strong>und</strong>heitssystem....................................... 217<br />

2.3. Praktische Schritte bezüglich des Reformprozesses im ungarischen<br />

Ges<strong>und</strong>heitswesen................................................................................................. 221<br />

2.4. Kontakt zu an<strong>der</strong>en Kirchen .......................................................................... 223<br />

2.5. Problemanalyse (Aufstellung des Zielbaumes) ............................................. 225<br />

3. Notwendige Strukturen <strong>der</strong> Diözesanorganisationen – Möglichkeiten <strong>der</strong><br />

Kooperation mit an<strong>der</strong>en staatlichen Einrichtungen <strong>und</strong> NGOs / Zielanalyse......... 228<br />

3.1. Analyse <strong>der</strong> Alternativen: Verwirklichung des Ziels mithilfe <strong>der</strong> logischen<br />

Rahmenmatrix....................................................................................................... 230<br />

3.2. Untersuchung <strong>der</strong> Projektkomponenten......................................................... 231<br />

3.3. Externe Faktoren............................................................................................ 232<br />

3.3.1. Umfeld des staatlichen Versorgungssystems........................................... 233<br />

3.3.2. Kirchliches Umfeld.................................................................................. 234<br />

3.3.3. Soziales Umfeld....................................................................................... 235<br />

3.4. Indikatoren ..................................................................................................... 236<br />

3.5. Leistungserhebung (Sammeln von Input-Daten)........................................... 237<br />

4. Konkrete Schritte <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS-Organisation ..................................... 239<br />

4.1. Ziele, die bei <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS-Organisation zu erreichen sind ......... 239<br />

4.2. Konkretes System <strong>der</strong> Organisationsgestaltung ............................................ 240<br />

4.2.1. Prinzipien <strong>der</strong> Organisierung................................................................... 241<br />

4.2.2. Verpflichtung, Zuverlässigkeit, Loyalität <strong>und</strong> die Stärkung <strong>der</strong> sozialen<br />

Akzeptanz .......................................................................................................... 244<br />

4.2.3. Der Ethikkodex als Gr<strong>und</strong>stein des Organisationsbetriebs...................... 245<br />

8


Inhaltverzeichnis<br />

4.3. Planung .......................................................................................................... 246<br />

4.3.1. Zeitliche Planung <strong>der</strong> Aktivitäten ............................................................ 247<br />

4.3.2. Nachbearbeitung ...................................................................................... 248<br />

5. Aus- <strong>und</strong> Weiterbildung/Organisation <strong>der</strong> Humanressourcen.............................. 249<br />

5.1. Der Koordinator/Die Koordinatorin .............................................................. 249<br />

5.2. Sonstige Aufgabenbereiche innerhalb des Dienstes ...................................... 250<br />

5.3. Training <strong>und</strong> Weiterbildung <strong>der</strong> Humanressourcen....................................... 251<br />

5.4. Weiterbildung – kontinuierliches Training.................................................... 255<br />

5.5. Debriefing <strong>und</strong> Supervision........................................................................... 260<br />

5.6. Berichte.......................................................................................................... 261<br />

5.7. Gestaltung <strong>der</strong> Einsatzstruktur....................................................................... 261<br />

5.8. Aktivitäten zur Bekanntmachung <strong>der</strong> NFS-Arbeit: Die Öffentlichkeitsarbeit<br />

.............................................................................................................................. 263<br />

6. <strong>Konzepte</strong> <strong>der</strong> Evaluierung <strong>und</strong> Weiterentwicklung, Organisation <strong>der</strong><br />

Finanzierungsfonds................................................................................................... 265<br />

6.1. Einnahmenorientierte Ausgabenpolitik ......................................................... 266<br />

6.2. Finanzierung <strong>der</strong> Notfallseelsorge ................................................................. 268<br />

7. Zusammenfassung ................................................................................................ 269<br />

VI. Die Rotschlammkatastrophe von Devecser aus Sicht <strong>der</strong> Notfallseelsorge........... 272<br />

Webseitenverzeichnis ................................................................................................... 294<br />

Literaturverzeichnis ...................................................................................................... 301<br />

9


Einleitung<br />

Einleitung<br />

Der allgemeine Charakter <strong>und</strong> die Intensität <strong>der</strong> sozialen Än<strong>der</strong>ungen des 20.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts haben das Leben westlicher Gesellschaften radikal geän<strong>der</strong>t. Als Folge<br />

dieser Än<strong>der</strong>ungen sind Individuen heutzutage intensiven Reizen ausgesetzt, die oft als<br />

Stressfaktoren auftreten. Dadurch lei<strong>den</strong> viele Menschen immer häufiger an starken<br />

negativen Stressgefühlen.<br />

In <strong>den</strong> vorangegangenen Jahrh<strong>und</strong>erten wur<strong>den</strong> persönliche Probleme mit <strong>der</strong><br />

Unterstützung <strong>der</strong> Mikrogemeinschaften <strong>der</strong> Gesellschaft - in erster Linie Familien <strong>und</strong><br />

Fre<strong>und</strong>Innen - gelöst. In <strong>den</strong> letzten Jahrzehnten wur<strong>den</strong> wir aber ZeugInnen des<br />

Phänomens, dass die Verarbeitung <strong>der</strong> Auswirkungen <strong>der</strong> umfassen<strong>den</strong> sozialen<br />

Än<strong>der</strong>ungen die psychische Ges<strong>und</strong>heit <strong>der</strong> Menschen auf die Probe gestellt hat. Viele<br />

bleiben aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> ständigen Schwächung <strong>der</strong> an <strong>der</strong> Verarbeitung beteiligten<br />

Strukturen sowie des sozialen Rückhalts mit ihren Problemen, Sorgen, Ängsten,<br />

unbeantworteten <strong>und</strong> ungelösten Fragen immer mehr alleine. Als Folge davon ist die<br />

Individualisierung 1 in <strong>den</strong> westlichen Gesellschaften seit <strong>der</strong> letzten Hälfte des vorigen<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts sprungartig angestiegen. Dieses Phänomen ist beson<strong>der</strong>s bei Extremen <strong>der</strong><br />

sozialen Existenz - Naturkatastrophen, Unfällen, an<strong>der</strong>en, unerwarteten Notsituationen -<br />

zu bemerken, <strong>den</strong>n hier ist die Aufarbeitung <strong>der</strong> Traumata eine beson<strong>der</strong>s schwierige<br />

Aufgabe.<br />

In <strong>den</strong> westlichen Gesellschaften fielen in <strong>den</strong> letzten Jahrh<strong>und</strong>erten bei <strong>der</strong><br />

Bewältigung von Krisensituationen immer mehr soziale Rollen <strong>der</strong> Kirche zu, welche<br />

auf Basis eines <strong>für</strong> alle Lebenslagen gültigen Wertesystems bemüht war, geregelte <strong>und</strong><br />

sichere Antworten zu geben. Gr<strong>und</strong>lage dieser Antwort war dabei die Vorrangigkeit des<br />

Seelenheils, welche die Schmerzen des Körpers <strong>und</strong> die Probleme des Lebens als<br />

unumgängliche Mittel auf dem Weg zur Erlösung erachtete. Die Strömungen <strong>der</strong><br />

Aufklärung haben dieses geistige Monopol aufgelöst <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Folge wur<strong>den</strong><br />

Lebensbereiche nicht mehr vom absoluten Wertesystem einer Ideologie geregelt. In <strong>den</strong><br />

mo<strong>der</strong>nen Gesellschaften wer<strong>den</strong> einzelne Lebensbereiche durch eigenständige, jeweils<br />

<strong>für</strong> diesen Bereich gültige Wertordnungen bestimmt. Viele wer<strong>den</strong> durch die Relativität<br />

dieser Werte allerdings verunsichert.<br />

1 Vgl. die noch immer gr<strong>und</strong>legende Studie: BECK, Die Risikogesellschaft, 206.<br />

10


Einleitung<br />

Papst Johannes XXIII. reagierte auf diese Än<strong>der</strong>ungen <strong>und</strong> berief – die Zeichen <strong>der</strong> Zeit<br />

wahrnehmend – das II. Vatikanische Konzil ein. Eines <strong>der</strong> gr<strong>und</strong>legen<strong>den</strong> Ziele des<br />

Konzils war eine Erneuerung bzw. Neuinterpretation <strong>der</strong> Kirche, die sie dazu befähigen<br />

soll, neue Antworten <strong>für</strong> verän<strong>der</strong>te Gesellschaften zu geben.<br />

Im Mittelpunkt eines <strong>der</strong> <strong>für</strong> meine Diplomarbeit wichtigsten Dokumente des II.<br />

Vatikanischen Konzils, nämlich Gaudium et Spes, steht <strong>der</strong> Mensch, „<strong>der</strong> eine <strong>und</strong><br />

ganze Mensch, mit Leib <strong>und</strong> Seele, Herz <strong>und</strong> Gewissen, Vernunft <strong>und</strong> Willen.“ 2 Diese<br />

einheitliche Interpretation war <strong>für</strong> die Denkweise <strong>der</strong> Kirche eine Erneuerung mit<br />

gr<strong>und</strong>legen<strong>den</strong> <strong>und</strong> bedeuten<strong>den</strong> Konsequenzen. Das Konzilsdokument geht aus dem<br />

Fakt <strong>der</strong> sozialen Verän<strong>der</strong>ungen hervor: „Heute steht die Menschheit in einer neuen<br />

Epoche ihrer Geschichte, in <strong>der</strong> tiefgehende <strong>und</strong> rasche Verän<strong>der</strong>ungen Schritt um<br />

Schritt auf die ganze Welt übergreifen. “3 Menschen müssen diese Verän<strong>der</strong>ungen<br />

ständig aufarbeiten, um, ohne seelische Schä<strong>den</strong> zu erlei<strong>den</strong>, bestehen zu können. Sie<br />

müssen diese Situationen in ihr Leben einbauen <strong>und</strong> Gott <strong>und</strong> sich selbst näher<br />

kommen.<br />

Der Wandel, <strong>den</strong> die Welt durchgemacht hat, hat zwischenmenschliche Kontakte<br />

verän<strong>der</strong>t, aber auch die Art <strong>und</strong> Weise, wie Individuen die Welt sehen <strong>und</strong> Erlebnisse<br />

verarbeiten. Unter <strong>den</strong> zahlreichen Folgen des Wandels sollen wir zum Beispiel daran<br />

<strong>den</strong>ken, wie viele Menschen aus verschie<strong>den</strong>en Grün<strong>den</strong> ihre Heimat verlassen haben<br />

<strong>und</strong> dadurch ihre Lebensführung än<strong>der</strong>n mussten. 4 Der Schauplatz <strong>der</strong> Verarbeitung von<br />

Erlebnissen hat sich aber nicht geän<strong>der</strong>t, es ist weiterhin die menschliche Seele, <strong>den</strong>n<br />

„In Wahrheit hängen die Störungen des Gleichgewichts, an <strong>den</strong>en die mo<strong>der</strong>ne Welt<br />

leidet, mit jener tiefer liegen<strong>den</strong> Störung des Gleichgewichts zusammen, die im Herzen<br />

des Menschen ihren Ursprung hat.” 5 Also wird <strong>der</strong> Mensch, wie ‚mo<strong>der</strong>n‘ seine/ihre<br />

Zeit auch ist, im Endeffekt mit <strong>den</strong> gr<strong>und</strong>legendsten Fragen konfrontiert: ‚Was ist <strong>der</strong><br />

Mensch? Was ist <strong>der</strong> Sinn des Leids, des Bösen, des Todes (alles Dinge, die trotz des<br />

Fortschritts weiterbestehen)?“ 6 Je<strong>der</strong> Mensch hat es nötig zu spüren, dass seine/ihre<br />

Fragen <strong>und</strong> Zweifel ernst genommen wer<strong>den</strong>, seine/ihre inneren Ängste auch an<strong>der</strong>en<br />

wichtig sind <strong>und</strong> er/sie beim Lösen seiner Probleme von seiner/ihrer Umwelt unterstützt<br />

2 GS 3.<br />

3 GS 4.<br />

4 Vgl. GS 6.<br />

5 GS 10.<br />

6 GS 10.<br />

11


Einleitung<br />

wird. „Heute ganz beson<strong>der</strong>s sind wir dringend verpflichtet, uns zum Nächsten<br />

schlechthin eines je<strong>den</strong> Menschen zu machen <strong>und</strong> ihm, wo immer er uns begegnet,<br />

tatkräftig zu helfen […] durch die Erinnerung an das Wort des Herrn: ‚Was ihr einem<br />

<strong>der</strong> Geringsten von diesen meinen Brü<strong>der</strong>n getan habt, das habt ihr mir getan‘ (Mt<br />

25,40).“ 7 Die katholische Kirche versucht also, auch in <strong>den</strong> mo<strong>der</strong>nen Gesellschaften<br />

<strong>den</strong> Erfor<strong>der</strong>nissen <strong>der</strong> Zeit gerecht zu wer<strong>den</strong> <strong>und</strong> ihre Aufgaben darin wahrzunehmen.<br />

Dies tut sie manchmal auf externen Druck hin, manchmal angestoßen durch neue, aus<br />

dem Evangelium gewonnene Impulse.<br />

Im Rahmen dieses Themas lohnt es sich, darüber nachzu<strong>den</strong>ken, was unter ‚katholischer<br />

Kirche‘ eigentlich verstan<strong>den</strong> wird. In <strong>der</strong> Welt erscheint sie manchmal als die<br />

einheitliche Kirche, die ihren Weg entlang klar definierter Aufgaben geht. An<strong>der</strong>e Male<br />

wer<strong>den</strong> nationale o<strong>der</strong> sogar diözesane I<strong>den</strong>titäten in ihrer Vielfalt offenbart, in <strong>der</strong> alle<br />

die als allgemein vermutete Berufung ihren eigenen Vorstellungen anpassen. Für die<br />

Katholizität ist ‚Einheit‘ ein Schlüsselbegriff, aber wir müssen sehen, dass we<strong>der</strong><br />

nationale Kirchen noch die Diözesen eines Staates als homogen erachtet wer<strong>den</strong><br />

können. Dieser Unterschied ist beson<strong>der</strong>s beim Vergleich größerer Regionen, zum<br />

Beispiel <strong>der</strong> Teilkirchen Osteuropas, auffällig. Die Wirkkraft des Zweiten<br />

Vatikanischen Konzils, welches zweifelsfrei eine Erneuerung <strong>der</strong> Kirche mit sich<br />

gebracht hat, beschränkte sich in Ost-Europa in vielen Fällen auf die Einführung <strong>der</strong><br />

Nationalsprache <strong>und</strong> <strong>den</strong> Wechsel zum sogenannten Volksaltar, gr<strong>und</strong>legende<br />

Än<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Betrachtungsweise <strong>der</strong> Kirche sind aber nicht erfolgt. In <strong>der</strong><br />

Zwischenzeit haben Kirchen in West-Europa das Gefühl, dass das II. Vaticanum<br />

überholt ist <strong>und</strong> neue Impulse, neue Wegweisungen vonnöten wären, ohne die die<br />

Kirche <strong>den</strong> neuen sozialen Herausfor<strong>der</strong>ungen nicht gerecht wer<strong>den</strong> kann 8 .<br />

Es macht auch nach<strong>den</strong>klich, dass nationale Teilkirchen zwar markante Unterschiede<br />

aufweisen, die Struktur des Dienstes jedoch überall gleich aufgebaut ist. Das Leben <strong>der</strong><br />

Diözesen wird immer noch fast ausschließlich vom Kirchenbild des Bischofs <strong>und</strong> seiner<br />

engsten MitarbeiterInnen beeinflusst. Die interne Glie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Diözese <strong>und</strong> die<br />

Aufnahme neuer Tätigkeitsbereiche spiegelt so die persönliche Hingabe <strong>der</strong> diözesanen<br />

Leitung wi<strong>der</strong>. Viele meinen, dass diese stark personale Wirkung mit <strong>den</strong><br />

7 GS 27.<br />

8 GS 33.<br />

12


Einleitung<br />

Ortskenntnissen zu tun habe, da nur diejenigen, die tatsächlich vor Ort sind, wüssten,<br />

welche Bereiche <strong>der</strong> Diakonie notwendig sind. Das ist eine eigentlich akzeptable<br />

Erklärung, sie nimmt aber die Komplexität <strong>der</strong> Situation nicht ernst bzw. schränkt sie<br />

die Informationsbasis <strong>der</strong> Entscheidungsvorbereitung ein. Damit ist zu erklären, dass es<br />

aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Komplexität <strong>der</strong> Situation zwar selbstverständlich wäre, dass aber <strong>den</strong>noch<br />

keine wissenschaftlichen Untersuchungen bezüglich <strong>der</strong> pastoralen Bedürfnisse <strong>und</strong><br />

Möglichkeiten gemacht wer<strong>den</strong>.<br />

Das früher auf dem Territorialprinzip gut aufgebaute Pfarrsystem 9 wird aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

niedrigen Priesterzahl <strong>und</strong> <strong>der</strong> in immer mehr Gesellschaftsschichten wachsen<strong>den</strong><br />

pastoralen Bedürfnisse v.a. in Westeuropa vielerorts über kategoriale Seelsorgegruppen<br />

versorgt.<br />

In Osteuropa hat dieser Strukturwandel nur mühsam <strong>und</strong> erst zum Teil begonnen. Die<br />

Menschen-, Kirchen- <strong>und</strong> Sozialauffassung des II. Vaticanums ist auch in <strong>der</strong><br />

ungarischen Kirche nicht restlos umgesetzt wor<strong>den</strong>. Hierzulande ist die Än<strong>der</strong>ung in<br />

<strong>den</strong> meisten Diözesen nur in <strong>der</strong> Liturgie erfolgt. Nach <strong>der</strong> Wende hat die Kirche zwar<br />

auf all ihren Fel<strong>der</strong>n neue Möglichkeiten bekommen, die Diözesen können aber mit<br />

neuen Möglichkeiten bzw. Bedürfnissen in <strong>den</strong> meisten Fällen nichts anfangen, da diese<br />

die Erneuerung interner Strukturen erfor<strong>der</strong>n wür<strong>den</strong>. Es ist typisch, dass keine<br />

objektive Erhebung mo<strong>der</strong>ner Bedürfnisse erfolgt ist, weshalb man bemüht ist, neue<br />

Aufgaben auf verschie<strong>den</strong>en Ebenen mittels alter Modelle zu lösen. Än<strong>der</strong>ungen<br />

wer<strong>den</strong> durch die gemeinsamen Wirkungen mehrerer Umstände induziert. Der<br />

wichtigste Faktor ist <strong>der</strong> Rückgang <strong>der</strong> Priesterzahlen. Parallel dazu haben LaiInnen<br />

noch keine feste Rolle in <strong>der</strong> Kirche. Mit dem Erscheinen neuer Erwartungen an die<br />

Kirche funktionieren Tätigkeitsbereiche <strong>der</strong> Kirche <strong>und</strong> die Evangelisierung auch auf<br />

einem immer kleineren Gebiet, oft nur innerhalb <strong>der</strong> Mauern <strong>der</strong> Kirche. Die Chance<br />

auf eine Än<strong>der</strong>ung würde nur die Aufnahme neuer Aktivitäten <strong>und</strong> AkteurInnen bieten,<br />

wie dies Jesus bei seinem öffentlichen Wirken unter Beweis gestellt hatte.<br />

In <strong>der</strong> Erneuerung des theologischen Denkens kann, schon aufgr<strong>und</strong> historischer<br />

Traditionen, <strong>der</strong> deutsche Sprachraum eine tragende Rolle spielen. Die ungarische<br />

Kirche erachtet dessen Ansichten zu <strong>den</strong> Problemen <strong>der</strong> Kirche aber oftmals als zu<br />

liberal, genauer gesagt als nicht in vollem Einklang mit <strong>der</strong> kirchlichen Lehre.<br />

9 Vgl. ERDŐ, Paphiány és lelkipásztori ellátás, 2.<br />

13


Einleitung<br />

Ein an<strong>der</strong>er Aspekt des Ausbleibens interner Strukturän<strong>der</strong>ungen ist, dass die<br />

Akzeptanz <strong>der</strong> Kategorialseelsorge als eine Form <strong>der</strong> Seelsorge innerhalb <strong>der</strong><br />

ungarischen Kirche fehlt. Der Hauptgr<strong>und</strong> <strong>für</strong> die mangelnde Akzeptanz ist, dass die<br />

Kategorialseelsorge in <strong>den</strong> meisten Fällen <strong>den</strong> interdisziplinären Charakter <strong>der</strong><br />

Theologie Ernst nimmt. Viele Seelsorger scheinen aber Angst davor zu haben, dass sich<br />

ein engerer Kontakt zwischen <strong>den</strong> profanen Wissenschaften <strong>und</strong> <strong>der</strong> Religion als<br />

schädlich <strong>für</strong> die Autonomie 10 <strong>der</strong> Menschen <strong>und</strong> Gruppen bezichungweise <strong>für</strong><br />

Wissenschaft <strong>und</strong> Theologie erweisen könnte. Auf bestimmten Gebieten ist ein<br />

Zusammen<strong>den</strong>ken aber unumgänglich.<br />

Die Pastoraltheologie hätte die Aufgabe, die entsprechende Methodik <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />

Aufgaben <strong>der</strong> Pastoral auszuarbeiten, erhielt we<strong>der</strong> innerhalb <strong>der</strong> Kirche noch bei <strong>der</strong><br />

theologischen Ausbildung von Seelsorgern die richtige Bedeutung <strong>und</strong><br />

Aufmerksamkeit. Bucher meint: „Pastoral ist auch nicht mehr nur ein kircheninternes<br />

Geschehen zwischen Klerikern <strong>und</strong> LaiInnen, son<strong>der</strong>n die kirchenkonstitutive Aufgabe<br />

aller in <strong>der</strong> Kirche an <strong>und</strong> <strong>für</strong> die Welt.“ 11 Ein Raumgewinn <strong>der</strong> Kategorialseelsorge<br />

wäre auch deshalb von großer Bedeutung, weil jenseits <strong>der</strong> Behandlung mo<strong>der</strong>ner,<br />

methodologischer Fragen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Analyse <strong>der</strong> Gegenwart die Skizzierung eines<br />

Leitbildes als Teil dieser Disziplin von großer Bedeutung ist. Die Diözesen hätten dies<br />

dringend nötig. Die ungarische Pastoraltheologie 12 betrachtet alle sonstigen<br />

wissenschaftlichen Annäherungen – vielleicht gerade aufgr<strong>und</strong> ihrer Geschichte – als<br />

Fremdelemente, obwohl ihre Aufgabe nicht nur in <strong>der</strong> Beschreibung <strong>der</strong> Gegenwart<br />

über historische, soziologische <strong>und</strong> theologische Zugänge besteht. Obwohl Gaudium et<br />

Spes bemüht ist, bezüglich des ökonomischen Umfeldes umfassende Prinzipien zu<br />

formulieren, ist die Methodik <strong>der</strong> Volkswirtschaft noch kein Element <strong>der</strong> theologischen<br />

Wissenschaft, in unserem Fall <strong>der</strong> Pastoraltheologie. Die Messlatte <strong>der</strong> kirchlichen<br />

Leistungen ist seit langem ausschließlich die Barmherzigkeit. 13<br />

Der Kontakt <strong>der</strong> Kirche <strong>und</strong> <strong>der</strong> Welt zueinan<strong>der</strong> war in <strong>den</strong> letzten Jahrh<strong>und</strong>erten<br />

genauso wie heute ein ständiges Problem. Die Welt akzeptiert die Annäherung <strong>der</strong><br />

Kirche nicht immer, <strong>den</strong>n sie lebt nach an<strong>der</strong>en Wertesystemen – <strong>und</strong> selbst<br />

10<br />

GS 32.<br />

11<br />

BUCHER, Theologie im Risiko <strong>der</strong> Gegenwart, 205.<br />

12<br />

ZULEHNER / MÁTÉ-TÓTH, Unterwegs zur Pastoraltheologie in <strong>den</strong> postkommunistischen Län<strong>der</strong>n<br />

Europas, 3.<br />

13<br />

POCK, Die Pfarkanzlei als Ort <strong>der</strong> Seelsorge?!, 533.<br />

14


Einleitung<br />

KatholikInnen neigen schnell dazu, das profane Wertsystem anzunehmen, wodurch sie<br />

ihr Umfeld nicht segnen, son<strong>der</strong>n sich diesem angleichen. Diesen Wi<strong>der</strong>spruch <strong>der</strong><br />

Werte können Individuen in sich selbst nicht auflösen. Auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong><br />

Organisationen ist dieser Unterschied manchmal Quelle von Skandalen, manchmal<br />

Quelle des aneinan<strong>der</strong> Vorbeire<strong>den</strong>s. Das Ergebnis dieser Arbeit ist die Erkenntnis, dass<br />

die Beschreibung <strong>und</strong> Evaluierung eines Segments <strong>der</strong> Kategorialseelsorge, <strong>der</strong> NFS-<br />

Organisationen, nicht nur durch die gewohnte theologische Annäherung, son<strong>der</strong>n auch<br />

mit <strong>den</strong> Untersuchungsmetho<strong>den</strong> marktorientierter Gesellschaften evaluiert gehören,<br />

<strong>und</strong> zwar im Blick auf die bereits angesprochene Differenz zwischen <strong>den</strong><br />

Wertesystemen <strong>der</strong> Gesellschaft <strong>und</strong> <strong>der</strong> Diözesen. Eine Evaluierung auf Marktbasis<br />

gibt Antworten auf die Beurteilung <strong>der</strong> breiteren Massen <strong>der</strong> Gesellschaft.<br />

Die erste handfeste Konsequenz <strong>der</strong> Wertedifferenz zwischen theologischen Ansätzen<br />

<strong>und</strong> ökonomischen Ansätzen des Marktes war, dass die Theologie meine Doktorarbeit<br />

mit Zurückhaltung empfangen <strong>und</strong> meine Ergebnisse mit Unverständnis aufgenommen<br />

hat bzw. meinen Forschungen kaum fachlichen Beistand leisten konnte.<br />

Für meine Arbeit wur<strong>den</strong> Interviews mit KoordinatorInnen operieren<strong>der</strong> NFS-<br />

Organisationen aufgearbeitet, die entwe<strong>der</strong> Hautpangestellte bei Diözesen o<strong>der</strong><br />

Freiwillige bei von Kirchen ins Leben gerufenen Institutionen waren. Die Angestellten<br />

haben dabei die konkreten Aktivitäten ihrer Organisationen, die Einstellung <strong>der</strong> Gruppe<br />

<strong>und</strong> Kirche zu <strong>den</strong> NFS-Aktivitäten, sowie sonstige Betriebsumstände im Rahmen <strong>der</strong><br />

Interviews skizziert. Die Befragten haben zumeist über Aktivitäten gesprochen, bei<br />

<strong>den</strong>en Kirchenangestellte mit Freiwilligen sowie <strong>der</strong> öffentlichen Hand<br />

zusammenarbeiten.<br />

Kircheninstitutionen existieren schon lange <strong>und</strong> blicken auf eine Tradition von beinahe<br />

zweitausend Jahren zurück. Manchmal haben wir trotzdem das Gefühl, als ob in<br />

Verbindung mit unseren alltäglichen diakonischen Herausfor<strong>der</strong>ungen - die aus <strong>der</strong><br />

gr<strong>und</strong>legen<strong>den</strong> Berufung <strong>der</strong> Kirche entspringen - diese Institutionen keine adäquaten<br />

Antworten fin<strong>den</strong>. Jesus heilt Kranke <strong>und</strong> lehrt uns, wie wir uns unseren Mitmenschen<br />

gegenüber richtig verhalten sollen. Im Gegensatz dazu wird <strong>der</strong> Kontakt <strong>der</strong> Kirche zum<br />

Ges<strong>und</strong>heitssystem, welches immer mehr zum offenen Schauplatz <strong>der</strong> Diakonietätigkeit<br />

wird, immer problematischer. Im Kontext <strong>der</strong> Reformen im Ges<strong>und</strong>heitssystem versteht<br />

sich die Kirche nicht so, als ob ihre Berufung die Weihe des ganzen Menschen mit Leib<br />

15


Einleitung<br />

<strong>und</strong> Seele wäre, son<strong>der</strong>n mehr als ein/e AkteurIn unter vielen mit <strong>der</strong> Aufgabe,<br />

Meinungen zu formulieren. Oft entsteht <strong>der</strong> Eindruck, dass die Theologie auf diesem<br />

Gebiet mit <strong>den</strong> Ergebnissen an<strong>der</strong>er Disziplinen wie Psychologie <strong>und</strong> Soziologie nichts<br />

anzufangen weiß. Als ob sie die alten <strong>und</strong> neuen Schätze ihrer früheren Praxis nicht<br />

herbeirufen könnte.<br />

Bei <strong>den</strong> Interviews wur<strong>den</strong> die NFS-Modelle mithilfe <strong>der</strong> so genannten SWOT-<br />

Analyse 14 aufgearbeitet. Sie wurde <strong>für</strong> die Analyse von MarktakteurInnen entwickelt.<br />

Anschließend konnte mit <strong>der</strong> Benchmarking-Methode 15 ein Vergleich von Resultaten<br />

verschie<strong>den</strong>er Organisationen ausgearbeitet wer<strong>den</strong>. Am Ende <strong>der</strong> Analyse wurde durch<br />

die ebenfalls bei MarktakteurInnen angewandte Methode des Logframe-<br />

Projektmanagements gezeigt, wie ein ungarisches NFS-Modell nach deutschem <strong>und</strong><br />

österreichischem Beispiel geschaffen wer<strong>den</strong> kann.<br />

Der letzte Teil meiner Arbeit hätte eine theologische Reflexion sein sollen, das reale<br />

Leben hat aber diese Überlegung neu geschrieben. Über die gesamte Arbeit war ich<br />

bemüht, theoretische Gr<strong>und</strong>lagen mit meinen persönlichen Erfahrungen zu bereichern,<br />

aber in Verbindung mit <strong>der</strong> Rotschlammkatastrophe bei Kolontár-Devecser bekam ich<br />

durch die Aufgaben als Seelsorger vor Ort Impulse, welche meine Vorstellungen über<br />

die Notwendigkeit <strong>und</strong> Rolle <strong>der</strong> NFS dramatisch verstärkt haben. Auch vorher war mir<br />

die Berechtigung <strong>und</strong> Wichtigkeit <strong>der</strong> Organisation bewusst, aber ich hatte keinesfalls<br />

gedacht, dass <strong>der</strong> Bedarf an Organisationen, die in Katastrophenfällen spezifische <strong>und</strong><br />

umfassende Seelsorge anbieten, <strong>der</strong>art groß ist. Die Trainings, Ausbildungen <strong>und</strong><br />

fallweisen Einsätze boten zwar die Möglichkeit, das wahre Leben <strong>der</strong> Organisation<br />

kennenzulernen, die dabei gesammelten Erfahrungen waren aber nicht annähernd so<br />

tiefgreifend wie <strong>der</strong> umfassende Eindruck des tiefen seelischen Traumas <strong>der</strong><br />

Betroffenen <strong>der</strong> Rotschlammkatastrophe. Deshalb werde ich in diesem letzten Kapitel<br />

von <strong>der</strong> konkreten theologischen Reflexion absehen <strong>und</strong> bemüht sein, ausschließlich<br />

mithilfe konkreter Erfahrungen darzustellen, was passiert, wenn <strong>der</strong> Diakoniedienst<br />

nicht mit <strong>der</strong> entsprechen<strong>den</strong> Professionalität institutionalisiert wird.<br />

14 Siehe Arbeitsseite 78.<br />

15 Siehe Arbeitsseite 83.<br />

16


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

„Pastoral ist als Geschehen in kronkreter Zeit <strong>und</strong> an konkreten Orten, als Geschehen<br />

von Menschen mit Menschen ein riskantes <strong>und</strong> gefährdetes Tun.“ 16 Bei schwerer<br />

Krankheit <strong>und</strong> im Angesicht des Todes ist es seit Jahrh<strong>und</strong>erten Sitte, <strong>den</strong> Priester zur<br />

sogenannten „letzten Ölung“, zur Krankensalbung zu rufen. Sie beinhaltet dringend<br />

ersehnten Trost, die Bitte um Vergebung <strong>der</strong> Sün<strong>den</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Absolution, <strong>den</strong> Segen<br />

<strong>der</strong> Kirche <strong>für</strong> einen guten Tod <strong>und</strong> die Versicherung <strong>der</strong> Barmherzigkeit Gottes <strong>für</strong><br />

<strong>den</strong>/die Betreffende/n <strong>und</strong> <strong>für</strong> seine/ihre Angehörigen. Das Bedürfnis nach einem<br />

„Abschied in Würde” besteht aber auch außerhalb <strong>der</strong> Familie des/<strong>der</strong> Toten. Feuerwehr<br />

<strong>und</strong> Rettungsdienste spüren heute immer deutlicher, dass eine Bergung <strong>der</strong> Toten in<br />

Würde vor sich gehen soll, was die wahrscheinlich schwerste Aufgabe ist. 17<br />

Neben dem Aspekt, an <strong>der</strong> verstorbenen Person einen Abschied in Würde zu vollziehen,<br />

zeigt sich gleich noch ein weiterer Aspekt, <strong>der</strong> immer schon Teil kirchlichen Handelns<br />

war, nämlich die Frage danach, wer o<strong>der</strong> wie Gott ist. Unglücksfälle wer<strong>den</strong> zwar nicht<br />

mehr als Gottesstrafe o<strong>der</strong> Prüfung gesehen, aber wir sind trotzdem auf <strong>der</strong> Suche nach<br />

dem/r VerursacherIn, <strong>den</strong> Schuldigen, <strong>und</strong> wenn keiner/keine zu fin<strong>den</strong> ist, wird oft<br />

Gott da<strong>für</strong> verantwortlich gemacht. 18 Die Theologie <strong>und</strong> zu einem bestimmten Teil die<br />

Notfallseelsorge haben daher vor allem auch eine (religions-)kritische Aufgabe,-zu<br />

sagen, was Gott nicht ist.<br />

Nach dieser einführen<strong>den</strong> Momentaufnahme soll im folgen<strong>den</strong> Abschnitt dargestellt<br />

wer<strong>den</strong>, was die Notfallseelsorge ist <strong>und</strong> welchen Herausfor<strong>der</strong>ungen sie sich zu stellen<br />

hat.<br />

1. Was ist Notfallseelsorge <strong>und</strong> was sind ihre Herausfor<strong>der</strong>ungen?<br />

Hierauf geben Karl Heinz La<strong>den</strong>hauf <strong>und</strong> Elisabeth Lienhart eine passende Antwort. In<br />

ihrer Interpretation ist die Notfallseelsorge eine Krisenintervention mit spiritueller <strong>und</strong><br />

ritueller Kompetenz. Die Notfallseelsorge ist ein Dienst <strong>der</strong> Kirchen, <strong>den</strong> sie Menschen<br />

16 BUCHER, Theologie im Risiko <strong>der</strong> Gegenwart, 205.<br />

17 Vgl. ZIPPERT, Notfallseelsorge, 34. KRAUS, Notfallseelsorge, 126.<br />

18 Vgl. HAGER, Beratung <strong>und</strong> Betreuung in <strong>der</strong> Notfallseelsorge, 63.<br />

19 Vgl. BUCHER, F<strong>und</strong>amentalpastoral: Die Kirche <strong>und</strong> ihr Handeln, 4.<br />

17


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

in akuten Not- <strong>und</strong> Krisensituationen anbietet. Die Notfallseelsorge wird meistens bei<br />

Katastrophen, Unglücksfällen, Unfällen, Suizi<strong>den</strong> <strong>und</strong> Mord geleistet, wobei Betroffene<br />

wie auch Einsatzkräften unterstüzt wer<strong>den</strong> können. 20<br />

1.1. Definition Notfallseelsorge<br />

Was zeichnet die Notfallseelsorge (NFS) aus? Wie kann <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> NFS umrissen<br />

wer<strong>den</strong>? In <strong>den</strong> frühen 1990er Jahren entstan<strong>den</strong> die ersten organisierten Formen<br />

heutiger „Notfallseelsorge”, <strong>und</strong> zwar als menschlich-geistlicher Beistand in Situationen<br />

extremer <strong>und</strong> plötzlicher Belastung. 21 Die Notfallseelsorge ist ähnlich schnell erreichbar<br />

wie an<strong>der</strong>e Rettungsdienste, Hilfsorganisationen <strong>und</strong> die Krisenintervention, aber in<br />

Abgrenzung dazu ist <strong>und</strong> bleibt sie Seelsorge. 22 Notfallseelsorge wird in <strong>den</strong> Kasseler<br />

Thesen 23 als „Erste Hilfe <strong>für</strong> die Seele“ in Notfällen <strong>und</strong> Krisensituationen bezeichnet.<br />

Sie ist ein Gr<strong>und</strong>bestandteil des Seelsorgeauftrages <strong>der</strong> Kirche. Notfallseelsorge „sieht<br />

<strong>den</strong> Menschen in Not <strong>und</strong> Bedürftigkeit, in Schwäche <strong>und</strong> Schuld als ein von Gott<br />

getragenes, geliebtes <strong>und</strong> auf Hoffnung hin versöhntes <strong>und</strong> erlöstes Geschöpf“. 24 Die<br />

Definition wird aber erst dann konkret verständlich, wenn man sich von <strong>der</strong> praktischen<br />

Seite her anschaut, was die NFS tatsächlich ist.<br />

Notfallseelsorge bedeutet:<br />

a) Seelsorge in Notfallsituationen. Sie nimmt ernst, dass bei fast allen Menschen in<br />

existentiellen Extremsituationen die faktisch wirksamen religiösen <strong>und</strong><br />

weltanschaulichen Prägungen offenbar wer<strong>den</strong>. 25 In solchen Ausnahmesituationen<br />

wer<strong>den</strong> Sinn-, Wert-, Schuld-, <strong>und</strong> Theodizee-Fragen von <strong>den</strong> Betroffenen in <strong>den</strong><br />

Mittelpunkt ihres Denkens <strong>und</strong> Handelns gestellt.<br />

b) Seelsorge <strong>für</strong> Einsatzkräfte. Sie unterstützt in erster Linie die Arbeit <strong>der</strong><br />

Einsatzkräfte <strong>und</strong> begleitet diese nach belasten<strong>den</strong> Einsätzen, wenn Emotionen wie<br />

Versagen, Hilflosigkeit, Ohnmacht <strong>und</strong> Angst in ihnen aufsteigen. Wenn <strong>den</strong><br />

20<br />

Vgl. LADENHAUF / LIENHART, Mystik <strong>der</strong> offenen Augen: Am Beispiel Notfallseelsorge, 263.<br />

21<br />

Vgl. KRAUS, Notfallseelsorge, 126-127.<br />

22<br />

Vgl. ZIPPERT, Notfallseelsorge, 9.<br />

23<br />

Vgl. MÜLLER-LANGE, Handbuch Notfallseelsorge, 21., Vgl. auch: Thesenreihe zur Notfallseelsorge, in:<br />

http://www.notfallseelsorge.de/Infos/thesen.htm [abgerufen am 16.02.2011].<br />

24<br />

Vgl. ZIPPERT, Notfallseelsorge, 17.<br />

25<br />

LIENHART, Die ökumenische Notfallseelsorge Steiermark in Kooperation mit <strong>der</strong> Krisenintervention<br />

des Landes Steiermark, 19.<br />

18


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

Einsatzkräften nach schwer belasten<strong>den</strong> Einsätzen nicht die nötige seelische Entlastung<br />

geboten wird, besteht die Gefahr, dass sich diese belasten<strong>den</strong> Erlebnisse bzw. Eindrücke<br />

auf die Seele nie<strong>der</strong>schlagen. 26<br />

Weiters lassen sich vier Säulen 27 nennen, auf die die Arbeit mit <strong>den</strong> Betroffenen in <strong>der</strong><br />

Notfallseelsorge im Wesentlichen aufgebaut ist:<br />

1. Beziehung<br />

Damit ist in erster Linie Vertrauen gemeint. Menschen in Krisensituationen haben<br />

plötzlich das Vertrauen in das Leben, die Menschen, die Natur, <strong>den</strong> Glauben verloren.<br />

In <strong>der</strong> Begleitung durch die NFS wird langsam versucht, dieses Vertrauen wie<strong>der</strong><br />

herzustellen, vor allem auch das Vertrauen in die Zukunft. Da<strong>für</strong> ist Beziehungsarbeit<br />

notwendig, das heißt, Menschen, die sich nicht scheuen, mit <strong>den</strong> Betroffenen in dieser<br />

schwierigen Phase in Beziehung zu treten, um dieses Vertrauen gemeinsam neu zu<br />

erarbeiten.<br />

2. Kommunikation<br />

NotfallseelsorgerIinnen sollten gute ZuhörerInnen sein. Menschen in<br />

Ausnahmesituationen versuchen in <strong>der</strong> ersten Phase durch Erzählen <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

<strong>und</strong> durch Erinnern an früher ihren Zustand zu bewältigen. Da<strong>für</strong> brauchen sie<br />

ZuhörerInnen. Es kann beispielsweise vorkommen, dass man sich gemeinsam mit <strong>den</strong><br />

Betroffenen alte Fotoalben ansieht, wodurch sich die Angehörigen von Verstorbenen an<br />

<strong>der</strong> Erinnerung an jene Zeit festhalten können, in <strong>der</strong> noch alles in Ordnung war.<br />

3. Seelsorgliches Gespräch<br />

Menschen fin<strong>den</strong> gerade in Akutsituationen wie<strong>der</strong> zum Glauben o<strong>der</strong> möchten gerne<br />

mittels eines seelsorglichen Gespräches die Frage nach dem „Warum“ aufarbeiten.<br />

Diese ist sicherlich eine <strong>der</strong> schwierigsten Fragen, die an Gott, vor allem aber an die<br />

NotfallseelsorgerInnen gestellt wird. Manchmal wird gemeinsam mit <strong>den</strong> Betroffenen<br />

eine Antwort darauf gef<strong>und</strong>en, manchmal bleibt diese Frage aber unbeantwortet <strong>und</strong><br />

offen. Ich kann aus meiner Erfahrung sagen, dass die Frage nach dem „Warum“ fast<br />

26 Ebda.<br />

27 Ebd. 21.<br />

19


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

immer gestellt wird. Hier ist dann in erster Linie die Kompetenz des/r<br />

Notfallseelsorgers/in in Bezug auf „Stille/Schweigen“ <strong>und</strong> Aushalten-Können<br />

angefragt. Menschen wollen von Natur aus Antworten haben <strong>und</strong> geben, was in solchen<br />

Momenten eine große Herausfor<strong>der</strong>ung darstellt. Es ist oftmals schwer, dem in gewisser<br />

Hinsicht gebrochenen Menschen eine Antwort auf die Warum-Frage zu geben o<strong>der</strong> das<br />

gemeinsame Schweigen auszuhalten.<br />

4. Präsenz des/r Seelsorgers/in vor Ort<br />

Wenn <strong>der</strong> Tod plötzlich eintritt, herrscht bei <strong>den</strong> Angehörigen meistens Ohnmacht,<br />

Sprachlosigkeit <strong>und</strong> Hilflosigkeit. Hier soll die NFS präsent sein <strong>und</strong> die Betroffenen in<br />

ihren Bedürfnissen auffangen, sie evtl. zum Gedanken <strong>der</strong> Auferstehung hinführen. Das<br />

darf allerdings nicht vorschnell geschehen <strong>und</strong> muss dem Trauerprozess entsprechen,<br />

<strong>der</strong> sehr individuell verläuft, was ein beson<strong>der</strong>es Feingefühl in <strong>der</strong> Begleitung erfor<strong>der</strong>t.<br />

28<br />

1.2. Die Tätigkeiten <strong>der</strong> NFS vor Ort 29<br />

Wie die Tätigkeiten <strong>der</strong> Notfallseelsorge im Detail aussehen, soll hier kurz skizziert<br />

wer<strong>den</strong>:<br />

• Begleitung von unverletzten Beteiligten<br />

• Begleitung von Verletzen während <strong>der</strong> Rettung <strong>und</strong> in Wartezeiten<br />

• Begleitung von Angehörigen, die am Einsatzort sind o<strong>der</strong> dorthin kommen<br />

• Sorge um erschöpfte Einsatzkräfte<br />

• Auf Wunsch Spendung <strong>der</strong> Sakramente <strong>und</strong> Gebet <strong>für</strong> Sterbende <strong>und</strong> Tote<br />

• Überbringung <strong>der</strong> Todesnachricht gemeinsam mit <strong>der</strong> Polizei.<br />

Das Hauptanliegen ist, Menschen im Moment existentieller Notlagen direkt<br />

beizustehen. Notfallseelsorge soll Ausdruck <strong>der</strong> bedingungslosen Liebe Gottes zum<br />

Menschen sein. Aus dem, was vom Handeln Jesu 30 in <strong>der</strong> Bibel erfahrbar ist, bezieht sie<br />

28<br />

Vgl. dazu ausführlich: KAST, Trauern. Phasen <strong>und</strong> Chancen des psychischen Prozesses; WEIHER, Die<br />

Religion, die Trauer <strong>und</strong> <strong>der</strong> Trost, 10; LADENHAUF, Die Trauern<strong>den</strong> trösten, 1-6.<br />

29<br />

Vgl. MÜLLER-LANGE, Handbuch Notfallseelsorge, 21.<br />

30<br />

Ottmar Fuchs bezeichnet <strong>den</strong> Messias als Diakon in seinem Buch: Heilen <strong>und</strong> befreien: <strong>der</strong> Dienst am<br />

Nächsten als Ernstfall von Kirche <strong>und</strong> Pastoral. Als jeman<strong>den</strong> <strong>der</strong> mit <strong>den</strong> Menschen sensibel <strong>und</strong><br />

20


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

die Maximen ihres Handelns. 31 Ganz konkret bezieht sich dieses Handeln auf Seelsorge<br />

an drei Personengruppen 32 :<br />

1. an primär Geschädigte, d.h. Unfallopfer bzw. durch sonstige Notfälle geschädigte<br />

Menschen,<br />

2. an sek<strong>und</strong>är Geschädigte, d.h. die Angehörigen <strong>der</strong> primär Geschädigten, unverletzte<br />

Unfallbeteiligten <strong>und</strong> UnfallzeugInnen <strong>und</strong><br />

3. an Helfende, d.h. an Mitglie<strong>der</strong>Innen <strong>der</strong> Hilfsorganisationen.<br />

Da alle drei Gruppen eine bestimmte Betreuung brauchen, die ersten bei<strong>den</strong> jedoch<br />

jeweils zu <strong>den</strong> unmittelbaren Unfallopfern zu zählen sind, haben sich innerhalb <strong>der</strong><br />

Notfallseelsorge zwei Bereiche ergeben: Die eigentliche Notfallseelsorge an primär <strong>und</strong><br />

sek<strong>und</strong>är Geschädigten, <strong>und</strong> die Seelsorge im Feuerwehr- <strong>und</strong> Rettungsdienst.<br />

Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> sozialer Status<br />

Vor einigen Jahren ist meine Schwester nach einer Blutspende ins Auto gestiegen <strong>und</strong><br />

fuhr nach Hause. Einige Minuten nach dem Start hat sie sich immer schlechter gefühlt,<br />

dann ist sie gegen einen Baum geprallt <strong>und</strong> das Auto erlitt einen Totalscha<strong>den</strong>. Im<br />

Krankenwagen wurde festgestellt, dass sie keinerlei Ges<strong>und</strong>heitsschä<strong>den</strong><br />

davongetragen hatte, sie wurde aber <strong>für</strong> einige St<strong>und</strong>en im Spital behalten <strong>und</strong> dann<br />

nach Hause entlassen. Zu Hause hat sie sich nicht getraut, über das Ereignis zu<br />

sprechen, <strong>den</strong>n das Auto hatte sie von ihrem Vater bekommen <strong>und</strong> sie hatte ständig das<br />

Gefühl, dass sie es kaputt gemacht hätte. Das Erlebnis währt aber nicht nur <strong>für</strong> sie,<br />

son<strong>der</strong>n <strong>für</strong> die ganze Familie ewig, <strong>den</strong>n wann immer sie vor einem Hin<strong>der</strong>nis steht,<br />

sagt sie, warum sie damals aus dem Auto hat steigen können. 33<br />

Dieser persönliche Bericht zeigt, dass sich Ges<strong>und</strong>heit o<strong>der</strong> ein daraus resultierendes<br />

Ges<strong>und</strong>heitsgefühl nicht allein auf das physische Wohlergehen beschränkt. Laut<br />

Definition <strong>der</strong> WHO ist die Ges<strong>und</strong>heit <strong>der</strong> Zustand des vollkommenen physischen,<br />

zielbewusst umgeht. Vgl. FUCHS, Heilen <strong>und</strong> befreien: Der Dienst am Nächsten als Ernstfall von Kirche<br />

<strong>und</strong> Pastoral, 31.<br />

31 Vgl. HEINECKE, Erste Hilfe <strong>für</strong> die Seele, 23-28.<br />

32 Vgl. KAISER, Notfallseelsorge. Beistand in Extremsituationen, in:<br />

http://www.notfallseelsorge.de/Materialien/kaiser.pdf [abgerufen am 03.11.2010] 12.<br />

33 Aus meiner persönlichen Erfahrung möchte ich unterstützen, dass dieses Thema heuzutage sehr aktuell<br />

ist.<br />

21


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

psychischen <strong>und</strong> sozialen Wohlbefin<strong>den</strong>s <strong>und</strong> nicht nur das Fehlen von Krankheiten. 34<br />

Ein Eingriff wird immer dann notwendig, wenn die Ges<strong>und</strong>heit des Individuums von<br />

irgendeinem externen o<strong>der</strong> internen Faktor stark gefährdet wird – im obigen Bericht<br />

etwa plagende Erinnerungen o<strong>der</strong> Schuldgefühle im Zusammenhang mit einem Erlebnis<br />

in <strong>der</strong> Vergangenheit, <strong>der</strong> die Lebensqualität beeinträchtigt. Auch das soziale Bedürfnis<br />

in belasten<strong>den</strong> Situationen wie <strong>der</strong> Entfremdung sozialer Kontakte o<strong>der</strong> Vermin<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Zahl emotionaler Fre<strong>und</strong>schaften – das Bedürfnis also danach, in diesen Situationen<br />

Unterstützung zu bekommen, möchte befriedigt wer<strong>den</strong>.<br />

Eine beson<strong>der</strong>e Herausfor<strong>der</strong>ung <strong>für</strong> die NFS stellt die Tatsache dar, dass in<br />

Katastrophen- <strong>und</strong> Krisensituationen jene Menschen, die aufgr<strong>und</strong> ihres niedrigen<br />

sozio-ökonomischen Status schon vorher benachteiligt waren, im Hilfsangebot vielfach<br />

neuerlich benachteiligt wer<strong>den</strong>. Whitehead <strong>und</strong> Dahlgren stellten in Anbetracht <strong>der</strong><br />

Ergebnisse <strong>der</strong> Ungleichheitsforschungen fest, dass das Ziel nicht die Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

sozialen Ungleichheiten, son<strong>der</strong>n die Verbesserung des je schichtspezifisch<br />

unterschiedlichen Ges<strong>und</strong>heitszustandes sein soll: Heutzutage wollen wir aber <strong>den</strong>noch<br />

die Gesellschaft verän<strong>der</strong>n <strong>und</strong> <strong>den</strong>ken, falls die äußere Umwelt verän<strong>der</strong>t wird, wird<br />

alles in Ordnung sein. Dieses Team wi<strong>der</strong>spricht dieser These. 35<br />

Die Frage ist also neben dem Problem <strong>der</strong> sozialen Unterschiede die ganz praktische,<br />

wie man helfen kann. Daraus folgt, dass eine spezielle Strategie vonnöten ist, die auf<br />

zwei Ebenen geglie<strong>der</strong>t wer<strong>den</strong> kann, auf die individuelle <strong>und</strong> auf die gesellschaftliche<br />

Ebene. 36 Die individuelle Ebene kommt zumeist dann zur Geltung, wenn das<br />

Individuum mit Ges<strong>und</strong>heits- o<strong>der</strong> Sozialinstituten in Kontakt kommt. Als erster Schritt<br />

hierzu müssen benachteiligte Schichten ausfindig gemacht <strong>und</strong> die Art ihrer<br />

Benachteiligung festgestellt wer<strong>den</strong>. Im Weiteren muss ein schichtspezifisches<br />

Programm ausgearbeitet wer<strong>den</strong>.<br />

1.3. Organisationsformen von Notfallseelsorge<br />

In <strong>der</strong> <strong>Aufbau</strong>zeit sind verschie<strong>den</strong>e Organisationsformen von Notfallseelsorge erprobt<br />

wor<strong>den</strong>, meist bestehen sie als Bereitschaftsdienst von Pfarrerinnen <strong>und</strong> Pfarrern einer<br />

34<br />

Vgl. PIKÓ, Egészségszociológia, 27.<br />

35<br />

Vgl. WHITEHEAD / DAHLGREN, What can be done about inequalities in health?, 1059-1063.<br />

36<br />

Vgl. PIKÓ, Egészségszociológia, 48.<br />

22


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

Konfession. Dieser Dienst kann entwe<strong>der</strong> freiwillig o<strong>der</strong> <strong>für</strong> alle verpflichtend sein. Die<br />

Notfallseelsorge kann aber auch als Funktionspfarramt von wenigen wahrgenommen<br />

wer<strong>den</strong> bis hin zu eigenen Stellen <strong>für</strong> Feuerwehrseelsorge bei größeren<br />

Berufsfeuerwehren. 37<br />

Damit zuverlässig SeelsorgerInnen vor Ort sind, braucht es gezielte Organisation. In<br />

Bayern beispielsweise existieren seit 1990 Notfallseelsorge-Richtlinien 38 , die aus <strong>der</strong><br />

Erfahrung entstan<strong>den</strong> sind, dass bei etlichen Rettungseinsätzen SeelsorgerInnen<br />

benötigt, aber nur selten alarmiert wur<strong>den</strong>. Gr<strong>und</strong> da<strong>für</strong> war nicht selten die schlechte<br />

Erreichbarkeit von Pfarrern <strong>und</strong> SeelsorgerInnen, sodass in <strong>der</strong> Notfallseelsorge seither<br />

die Erreichbarkeit von mindestens einer Person r<strong>und</strong> um die Uhr gewährleistet wird:<br />

Der/die „SeelsorgerIn vom Dienst“ wird wochenweise wechselnd von <strong>den</strong><br />

GemeindeseelsorgerInnen gestellt <strong>und</strong> ist <strong>für</strong> innerhäusliche Einsätze wie Todesfälle<br />

zuständig. Er/sie trägt immer einen Piepser bei sich, um im Notfall über die Leitstelle<br />

des Rettungsdienstes o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Feuerwehr alarmiert wer<strong>den</strong> zu können. An<strong>der</strong>erseits sind<br />

die „Beauftragten <strong>für</strong> Notfallseelsorge“ SeelsorgerInnen mit einer zusätzlichen<br />

Ausbildung <strong>und</strong> wer<strong>den</strong> hauptsächlich im außerhäuslichen Bereich bei Unfällen o<strong>der</strong><br />

Naturkatastrophen u.ä. <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Stressnachbereitung <strong>für</strong> Einsatzkräfte eingesetzt. 39<br />

Ständige persönliche Erreichbarkeit ist in diesem Amt Gr<strong>und</strong>voraussetzung. Die<br />

Notwendigkeit <strong>für</strong> <strong>den</strong> Einsatz beurteilt je nachdem das notfallmedizinische Personal<br />

vor Ort o<strong>der</strong> die zentrale Leitstelle selbst. Ein Einsatz ist immer dann angezeigt, wenn<br />

aus dem Ereignis größere seelische Belastungen entstehen o<strong>der</strong> zu erwarten sind, sowie<br />

wenn Betroffene nach Beistand fragen. 40<br />

1.4. Institutionalisierung <strong>und</strong> Kooperation als Gr<strong>und</strong>lagen<br />

„Das Evangelium <strong>und</strong> <strong>der</strong> Mensch in seinen sozialen <strong>und</strong> weltbezogenen<br />

Zusammenhängen gehören unvermischt <strong>und</strong> ungetrennt zusammen.“ 41 Die<br />

Notfallseelsorge wurde in letzter Zeit auf fast allen Ebenen im deutschsprachigen Raum<br />

institutionalisiert, damit sie ihre gr<strong>und</strong>legen<strong>den</strong> Aufgaben versehen <strong>und</strong> mit staatlichen<br />

37<br />

Vgl. MÜLLER-LANGE, Handbuch Notfallseelsorge, 9.<br />

38<br />

Vgl. ebda.<br />

39<br />

Vgl. KRAUS, Notfallseelsorge, 128.<br />

40<br />

Vgl. KAISER, Notfallseelsorge, 12.<br />

41<br />

FUCHS, Die Wende des II Vatikanischen Konziles, 90.<br />

23


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

Organisationen bzw. freiwilligen Unternehmen zusammenarbeiten kann. Diese<br />

Institutionalisierung wurde teils von <strong>der</strong> effizienteren Arbeitsweise, teils von <strong>der</strong><br />

Spezifizierung <strong>der</strong> Aufgabenbereiche her begründet. So ist die Versorgung von<br />

Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> Aufgabe des Staates, gleichzeitig aber gibt es Non-Profit Organisationen,<br />

die sich bestimmten Bereichen widmen.<br />

Die Erfahrung zeigt, dass die Notfallseelsorge nur dann gut funktioniert, wenn <strong>der</strong><br />

Kirchendienst mit <strong>der</strong> Arbeit <strong>der</strong> Feuerwehr <strong>und</strong> des Rettungsdienstes verknüpft ist. So<br />

muss einerseits kein selbstständiges System aufgebaut wer<strong>den</strong>, an<strong>der</strong>erseits kann sie<br />

durch <strong>den</strong> ständigen Kontakt mit Feuerwehr <strong>und</strong> Rettungsdienst schnellstmöglich bei<br />

Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> sein. Ein wichtiger Faktor <strong>für</strong> effiziente Arbeit ist weiters <strong>der</strong> Kontakt zu<br />

Pfarrern <strong>und</strong> Pfarrerinnen an<strong>der</strong>er Kirchen sowie zu an<strong>der</strong>en Einrichtungen. In <strong>der</strong><br />

Praxis ist dies nicht selbstverständlich, <strong>den</strong>n die einzelnen Institutionen wissen nicht<br />

viel voneinan<strong>der</strong> <strong>und</strong> oft gibt es gegenseitige Vorurteile. Auch die Kooperation<br />

zwischen dem/r NotfallseelsorgerIn <strong>und</strong> dem örtlich zuständigen (katholischen) Pfarrer<br />

funktioniert nicht reibungslos, <strong>den</strong>n <strong>der</strong> Pfarrer erachtet die Tätigkeit <strong>der</strong><br />

NotfallseelsorgerInnen möglicherweise als Konkurrenz: Deren Krisenmanagement- <strong>und</strong><br />

Krisenpräventionsarbeit fällt notwendigerweise professioneller aus. Die Situation per<br />

se, dass ein Pfarrer fachliche Hilfe bei <strong>der</strong> Kategorialseelsorge bekommt, ist<br />

ungewöhnlich, <strong>den</strong>n gerade in Ungarn müssen Pfarrer – aus <strong>der</strong> generellen kirchlichen<br />

Struktur heraus – fast alles alleine lösen 42 . Daraus folgt, dass die Kooperation mit<br />

einem/r Kollegen/in in diesem Sinne einfach ungewohnt ist. An<strong>der</strong>erseits muss gesagt<br />

wer<strong>den</strong>, dass die Notfallseelsorge – selbst wenn sie entsprechend aufgebaut <strong>und</strong><br />

ausgerüstet ist – ihre Aufgaben nicht gut erfüllen kann, wenn es keine Kooperation mit<br />

an<strong>der</strong>en Institutionen gibt.<br />

1.5. Kollegialität <strong>und</strong> ständige Erreichbarkeit<br />

Bei <strong>der</strong> Arbeit ist daher kollegiale Zusammenarbeit zwingend erfor<strong>der</strong>lich, <strong>den</strong>n ohne<br />

sie würde <strong>der</strong> Dienst kaum funktionieren. Dies zeigt sich vor allem in <strong>der</strong><br />

Notwendigkeit <strong>der</strong> ständigen Erreichbarkeit. Diese kann ein Pfarrer aufgr<strong>und</strong> sonstiger<br />

42 BOSÁK, Az egyházközségek megújítása, in: http://www.tavlatok.hu/5808.htm [abgerufen am<br />

19.10.2011].<br />

24


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

Dienste im Normalfall unmöglich gewährleisten. Die Erreichbarkeit kann nur kollegial,<br />

räumlich <strong>und</strong> organisatorisch – wie etwa bei telefonischen Dienstleistungen – gelöst<br />

wer<strong>den</strong>. Die Kirchen selbst können kein selbstständiges Netzwerk bieten, können aber<br />

an an<strong>der</strong>e Organisationen wie Feuerwehr o<strong>der</strong> Rettungsdienst anknüpfen. 43<br />

1.6. Freiwilligkeit<br />

Freiwilligkeit beruht genau darauf, dass sie niemandem aufgezwungen wer<strong>den</strong> kann, sie<br />

bedarf einer speziellen Gesinnung <strong>und</strong> Hingabe. Die Kasseler Thesen 44 besagen<br />

eindeutig, dass die Aufgabenstellungen <strong>der</strong> Notfallseelsorge nur auf freiwilliger Basis<br />

ausgeführt wer<strong>den</strong> können, ansonsten können SeelsorgerInnen nicht o<strong>der</strong> nur schwierig<br />

motiviert wer<strong>den</strong> <strong>und</strong> sind <strong>für</strong> <strong>den</strong> Dienst nicht geeignet. Wenn Freiwilligkeit <strong>und</strong> eine<br />

Gr<strong>und</strong>motivation zum Helfen in <strong>der</strong> Notfallseelsorge nicht prinzipielle Bestandteile<br />

sind, dann bringen MitarbeiterInnen, egal wie gut sie vorbereitet sind, <strong>der</strong> Sache mehr<br />

Scha<strong>den</strong> als Nutzen.<br />

1.7. Professionalität 45<br />

Es wird seit langem diskutiert, inwiefern kirchliche Angestellte professionelle<br />

HelferInnen sind. Sowohl PsychologInnen als auch HelferInnen an<strong>der</strong>er Berufe haben<br />

ihnen gegenüber Kritik geübt. Wenn ihr Training nicht entsprechend ist, dann gefähr<strong>den</strong><br />

sie nicht nur ihre eigene Ges<strong>und</strong>heit – o<strong>der</strong> die <strong>der</strong> Bedürftigen –, son<strong>der</strong>n auch die <strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>en HelferInnen. Sie sind ständig mit Tod, Lei<strong>den</strong> <strong>und</strong> Schuld konfrontiert, <strong>und</strong><br />

dies ist lediglich ein kleiner Teil <strong>der</strong> theologischen Ausbildung. 46 In seltenen Fällen<br />

beinhaltet ihre Ausbildung die Konfrontation mit ges<strong>und</strong>heitlichen <strong>und</strong> psychischen<br />

Schä<strong>den</strong> (Trauma, PTSD 47 usw.). So ist ein spezielles Training <strong>für</strong><br />

43 Vgl. KRAUS, Notfallseelsorge, 127.<br />

44 Vgl. ZIPPERT, ebda.<br />

45 Prof. B. Gasch meint, dass von <strong>den</strong> LaiInnen-HelferInnen, die als Erste vor Ort eintreffen, nicht<br />

erwartet wer<strong>den</strong> kann, dass sie über die notwendiegen Kenntnisse verfügen, mit <strong>den</strong>en Hilfe geleistet<br />

wer<strong>den</strong> kann.; Vgl. GASCH, Laienhilfe: psychologische ethische Aspekte, 205.<br />

46 Rainer Bucher definiert drei Ambivalenzen <strong>der</strong> Professionalisierung: die Personale, die<br />

Gesamtpastorale <strong>und</strong> die Amtstheologische; BUCHER, Wi<strong>der</strong> die falschen Alternativen, 6-7.<br />

47 Posttraumatische Belastungsstörung, Englisch: Post-traumatic stress disor<strong>der</strong> ist deutsch:<br />

Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS): siehe ICD 10: F43.1.<br />

25


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

NotfallseelsorgerInnen unabdingbar, <strong>und</strong> dieses wird größtenteils nicht von<br />

TheologInnen gehalten.<br />

Papst Benedikt kritisiert in seiner Enzyklika Caritas in veritate, dass in entwickelten<br />

Gesellschaften zwar institutionelle Strukturen bestehen, dass sie aber nicht genutzt<br />

wer<strong>den</strong>. 48 An<strong>der</strong>swo sei nicht einmal mit dem Ausbau solcher Strukturen begonnen wor<strong>den</strong><br />

o<strong>der</strong> es gebe lediglich einige Initiativen. Staaten leben im westlichen <strong>und</strong> östlichen Block<br />

nebeneinan<strong>der</strong>, in <strong>der</strong> Versorgung ihrer StaatsbürgerInnen zeigt sich aus Sicht des<br />

Sozialnetzes aber ein recht unterschiedliches Bild.<br />

1.8. Ausbildung von NotfallseelsorgerInnen 49<br />

In <strong>der</strong> Ausbildung sollten die NotfallseelsorgerInnen also seelsorgliche <strong>und</strong><br />

theologische Kompetenzen erlangen <strong>und</strong> insbeson<strong>der</strong>e über folgende Kenntnisse <strong>und</strong><br />

Fähigkeiten verfügen:<br />

• Kenntnis möglicher Reaktionsformen von Menschen in Not- <strong>und</strong> Extremsituationen<br />

<strong>und</strong> gezieltes Darauf-Eingehen<br />

• Einschätzen <strong>der</strong> Gefahren an <strong>der</strong> Einsatzstelle (Erkennbarkeit, Selbstschutz,<br />

Schutzausrüstung) 50<br />

• Organisationsübergreifende Zusammenarbeit (Arbeitsweisen <strong>und</strong> Zusammenwirken<br />

von allen am Einsatz beteiligten Organisationseinheiten). 51 Es darf zu keiner<br />

Behin<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Einsatzkräfte durch die NFS kommen.<br />

2. Theologische Begründung <strong>der</strong> NFS als diakonisches Handeln<br />

Hans Joachin Höhn vertritt die Meinung, dass in <strong>der</strong> heutigen Gesellschaft verteilte<br />

Zuständigkeiten existieren. Wichtige Funktionen wer<strong>den</strong> an Teilsysteme überwiesen.<br />

48 Vgl. Caritas in veritate, in:<br />

http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/encyclicals/documents/hf_benxvi_enc_20090629_caritas-in-veritate_ge.html<br />

[abgerufen am 16.02.2011] 33, 42.<br />

49 Vgl. KRAUS, Notfallseelsorge, 128-130: Bietet eine gute Übersicht über das Wissen <strong>und</strong> die<br />

Kompetenzen, die in <strong>der</strong> Ausbildung zur NFS vermittelt wer<strong>den</strong> müssen <strong>und</strong> bezieht sich dabei auf <strong>den</strong><br />

Leitlinienkatalog <strong>der</strong> deutschen Plattform <strong>der</strong> Psychosozialen Notfallversorgung (www.bbk.b<strong>und</strong>.de )<br />

50 z.B. Helm, Einsatzjacke, Anm. d. Verf.<br />

51 Vgl. MÜLLER-LANGE, Handbuch Notfallseelsorge, 21.<br />

26


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

Die Kirche hat unter an<strong>der</strong>em die Aufgabe, bei humanitären Scha<strong>den</strong>sfällen<br />

einzugreifen. 52<br />

2.1. Gr<strong>und</strong>lagen des Kirchendienstes 53<br />

„Sind wir schlechter als die an<strong>der</strong>en? Warum bestraft uns Gott? Der Herr Pfarrer<br />

kommt auch nicht, auch er <strong>den</strong>kt sicherlich, dass wir das verdient haben, weil wir nicht<br />

regelmäßig zum Gottesdienst gehen!“ 54<br />

Hier kommt ein Bereich von Seelsorge zum Ausdruck, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Notfallseelsorge<br />

immer wie<strong>der</strong> Thema ist. Vor dem II. Vatikanischen Konzil war das Ziel <strong>der</strong> Seelsorge<br />

ausschließlich die Vermittlung <strong>der</strong> Heilsgewissheit, die Rettung <strong>der</strong> Seele. Heute<br />

müssen wir – im Sinne des Evangeliums – berücksichtigen, dass die Pastoral die Sorge<br />

um <strong>den</strong> gesamten Menschen bedeutet. 55 Dies beinhaltet die Verkündigung <strong>der</strong><br />

Heilsbotschaft, die Vermittlung religiös-seelischer Werte, die von <strong>der</strong> Kirche Christi<br />

vermittelte Seligkeit, das Leben nach dem Willen Gottes, aber auch die im wahrsten<br />

Sinne des Wortes menschliche Entfaltung, die Motivation dazu <strong>und</strong> <strong>der</strong>en För<strong>der</strong>ung –<br />

im Einklang mit an<strong>der</strong>en außerhalb <strong>der</strong> Kirche liegen<strong>den</strong> guten Absichten. Ziel ist, dass<br />

alle, auch die aus welchen Grün<strong>den</strong> auch immer benachteiligten <strong>und</strong> notlei<strong>den</strong><strong>den</strong><br />

Menschen vollwertige Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> menschlichen Gemeinschaft sind.<br />

Das Konzil hat die soziale Dimension neu entdeckt. Nach Kardinal Lecaro 56 müssen wir<br />

Christus in <strong>den</strong> Armen sehen, damit wir die Tragweite seiner Botschaft ernsthaft<br />

erfassen können. Dazu verweist Neuhold auf die folgende Problematik: „Eine<br />

Definition <strong>der</strong> Armut über psychische, geistige, einstellungsmäßige o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

Kriterien führt dazu, dass die, die als Arm betrachtet wer<strong>den</strong> - wobei die wirklich<br />

Armen im Sinne einer f<strong>und</strong>amentalen Reduktion <strong>der</strong> Möglichkeiten auf das physische<br />

<strong>und</strong> psychische Überleben - dann leicht in Vergessenheit geraten können.“ 57 Es handelt<br />

sich hier um eine Wie<strong>der</strong>entdeckung, <strong>den</strong>n bereits das Neue Testament spricht von <strong>der</strong><br />

52 HÖHN, Soziale Diakonie-kulturelle Diakonie, 302.<br />

53 Vgl. CSELÉNYI, Az egyházközség diakoniája, 221-229.<br />

54 Eine betroffene Frau nach <strong>der</strong> Flutkatastrophe vom 15.07.2010 an Sajó <strong>und</strong> Bózdva.<br />

55 Weil Gott nieman<strong>den</strong> allein lässt, darf auch <strong>der</strong> Mensch <strong>den</strong> An<strong>der</strong>en, beson<strong>der</strong>s <strong>den</strong> Armen, nicht<br />

allein lassen. in: NEUHOLD / NEUREITER , Muss arm sein?, 13.<br />

56 Vgl. CSELÉNYI, Az egyházközség diakoniája, 221.<br />

57 Vgl. NEUHOLD / NEUREITER, ebd. 15.<br />

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I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

Präsenz Christi in <strong>den</strong> Armen (Hungern<strong>den</strong>, Dürsten<strong>den</strong>), Hilflosen (Wan<strong>der</strong>ern,<br />

Entblößten), Kranken, von sozialen Ungerechtigkeiten Geplagten (Gefangenen). 58 Zur<br />

Zeit des Frühchristentums lebte in <strong>den</strong> heiligen Kirchenvätern noch <strong>der</strong> Gedanke <strong>der</strong><br />

„Eucharistie <strong>der</strong> Armen“ (z.B. beim Heiligen Johannes Chrysostomos). 59 Diese soziale<br />

Sensibilität gerät später schrittweise in <strong>den</strong> Hintergr<strong>und</strong>, daher erschien sie nach dem<br />

Konzil als so neuartig <strong>und</strong> revolutionär. Das II. Vatikanische Konzil erkannte in <strong>den</strong><br />

Aktivitäten <strong>für</strong> notlei<strong>den</strong>de Menschen in <strong>der</strong> Diakonie einen <strong>der</strong> evangelischen<br />

Gr<strong>und</strong>werte <strong>der</strong> Kirche wie<strong>der</strong>.<br />

Hier bekommt die Diakonie eine ungemein wichtige Rolle, sie bedeutet in <strong>der</strong> Sprache<br />

des Evangeliums nichts an<strong>der</strong>es als die ständige Praxis <strong>der</strong> (körperlichen <strong>und</strong><br />

seelischen) Werke <strong>der</strong> Barmherzigkeit <strong>und</strong> Gerechtigkeit <strong>und</strong> nicht bloß Almosen zu<br />

geben, einige überflüssige, <strong>den</strong> BettlerInnen überreichte Euros. Sie ist einerseits kein<br />

„evangelischer Rat“, <strong>der</strong> Personen mit beson<strong>der</strong>em Charisma vorenthalten ist,<br />

an<strong>der</strong>erseits aber viel mehr als eine bloße zu erledigende „Pflichterfüllung“. Sie ist auch<br />

keine „ergänzende Aufgabe“ zu religiösen Verpflichtungen wie Gebet o<strong>der</strong><br />

Kirchenbesuch, son<strong>der</strong>n selbst ein organischer Bestandteil christlicher Lebensform. Der<br />

diakonische Hilfsdienst ist die ständige Bereitschaft, an<strong>der</strong>en zu helfen in spontaner,<br />

mehr o<strong>der</strong> weniger organisierter o<strong>der</strong> institutioneller Form.<br />

Die Diakonie for<strong>der</strong>t sowohl Priestern als auch LaiInnen eine Bewusstseinsverän<strong>der</strong>ung<br />

ab. Beson<strong>der</strong>s <strong>für</strong> Amtsträger mag es lehrreich sein, dass eine leitende Position in <strong>der</strong><br />

Kirche nicht Herrschen, son<strong>der</strong>n im Sinne des Beispiels <strong>und</strong> <strong>der</strong> Lehre Christi Dienen<br />

<strong>und</strong> Dienst bedeutet. Für alle an<strong>der</strong>en ist es die Entdeckung <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>bereitschaft des<br />

Dienstes. Rudolf Pesch meint, dass unsere „Salbung“ <strong>für</strong> die Diakonie in <strong>der</strong> Taufe<br />

erfolgt. 60 Danach ist es die Aufgabe eines ganzen Lebens, in unseren Mitmenschen<br />

Geschwister zu entdecken <strong>und</strong> unsere Gemeinschaften (nicht nur theoretisch, son<strong>der</strong>n<br />

auch praktisch) zu tatsächlich geschwisterlichen Gemeinschaften zu machen. In diesem<br />

Sinne ist die Diakonie <strong>der</strong> „Klebstoff“ des Gemeinschaftsgeistes, <strong>und</strong> zwar anhand <strong>der</strong><br />

Glaubensmotive.<br />

58 Siehe Mt 25,31-46.<br />

59 Vgl. CSELÉNYI, Az egyházközség diakoniája, 221.<br />

60 Vgl. PESCH, Die zentralen Verkündigungsinhalte zur Diakonie, 51-64; Vgl. dazu auch FUCHS, Heilen<br />

<strong>und</strong> befreien, 31; HASLINGER, Handbuch Praktische Theologie<br />

60 Vgl. BUCHER, „Was ihr <strong>den</strong> Geringsten..“. Die Kirche <strong>und</strong> ihre Diakonie, 168-181.<br />

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I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

Die Diakonie kann sich innerhalb <strong>der</strong> Pastoral nicht isolieren. Katechese, Heilige Messe<br />

<strong>und</strong> Predigt selbst beinhalten Elemente, die auf die Diakonie hindeuten, z.B. zur<br />

Verwirklichung von Gemeinschaft <strong>und</strong> zur Versöhnung untereinan<strong>der</strong>. Im Endeffekt<br />

muss die Pastoral die dreifache Funktion, welche von <strong>der</strong> Urkirche als leiturgia,<br />

martyria <strong>und</strong> diakonia bezeichnet wurde – also Liturgie, Verkündigung <strong>und</strong> Diakonie –,<br />

nebeneinan<strong>der</strong> stellen <strong>und</strong> miteinan<strong>der</strong> in Wechselwirkung bringen. Wir müssen sie in<br />

Wechselwirkung sehen, <strong>den</strong>n wenn Predigt o<strong>der</strong> Messe sich nicht auf das tagtägliche<br />

Handeln auswirken, bewegen sie sich im luftleeren Raum. Wenn an<strong>der</strong>erseits die<br />

Diakonie ihre Kraft nicht aus Gottes Liebe bezieht, wird sie zur rein „sozialen Aktion“.<br />

Diakonie hat also in <strong>der</strong> Wechselwirkung <strong>der</strong> Liebe zu Gott <strong>und</strong> <strong>den</strong> Menschen einen<br />

vertikalen <strong>und</strong> einen horizontalen Bezug. Sobald Liturgie die verkündete Wahrheit<br />

reflektieren soll (lex orandi - lex cre<strong>den</strong>di), muss sich gelebter Glaube auch in Diakonie<br />

zeigen, er muss sich in Taten erweisen, <strong>den</strong>n wenn er keine Frucht bringt, wird er<br />

scheinheilig. Verkündigung, Liturgie <strong>und</strong> Diakonie können einan<strong>der</strong> nicht nur<br />

gegenseitig helfen, son<strong>der</strong>n auch kritisch betrachten. Daher muss eine nachkonziliare<br />

Pastoral auf die Wechselwirkung dieser drei Aufgaben aufgebaut sein.<br />

Im Folgen<strong>den</strong> sollen diese drei Gr<strong>und</strong>züge mit ihren praktischen Implikationen<br />

vorgestellt wer<strong>den</strong>.<br />

2.1.1. Liturgie<br />

Was soll ich in dieser Situation sagen? Sie sind so verwahrlost <strong>und</strong> sie tun mir so leid,<br />

ich selbst bin sprachlos, obwohl sie von mir, ihrem Priester- Fre<strong>und</strong> Trost erwarten. 61<br />

Es gibt kein eindeutiges, je<strong>der</strong> Situation entsprechendes liturgisches Buch – obwohl es<br />

immer mehr liturgische Anleitungen mit Gebeten <strong>und</strong> Riten <strong>für</strong> bestimmte<br />

Lebenssituationen gibt. „Der Gottesdienst kann verw<strong>und</strong>ete Menschen nicht heilen, aber<br />

er kann heilsam sein: Als Klage kann er menschliches Leid vor Gott ausdrücken, als<br />

Gedächtnis des Heilshandelns Gottes realisiert er die zugesagte Nähe des Gekreuzigten-<br />

Auferstan<strong>den</strong>en.“ 62 Liturgie muss daher folgende Aspekte berücksichtigen:<br />

61 Meine Gedanken auf dem Weg zum bereits erwähnten Fre<strong>und</strong> Főfai A.<br />

62 Vgl. ODENTAL, Heilsame Liturgie?, 112.<br />

29


Der symbolische Ausdruck 63<br />

I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

A. Lorenzer definiert Symbole als „Bild o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>er Form zugänglichen<br />

Objektivationen menschlicher Praxis, die als Bedeutungsträger fungieren, also<br />

‚sinn’voll sind, d.h. alle Produkte menschlicher Praxis, soweit sie ‚Bedeutungen’<br />

vermitteln“. 64<br />

Harvey Cox vertritt die Meinung, dass <strong>der</strong> Kontakt zwischen Vergangenheit <strong>und</strong><br />

Zukunft mit ästhetischen, emotionalen <strong>und</strong> symbolischen Aspekten des Lebens<br />

hergestellt wer<strong>den</strong> kann. Als symbolisch wer<strong>den</strong> jene Ausdrucksformen bezeichnet,<br />

welche allgemein-menschliche Erfahrungen in persönlicher Form ausdrücken <strong>und</strong> von<br />

umwelt- <strong>und</strong> sozialökonomischen Bedingungen relativ unabhängig sind. Es gibt<br />

Situationen, in <strong>den</strong>en Symbole unabdingbar sind <strong>und</strong> Aufgaben erleichtern, sodass sich<br />

zu einer emotionalen Krise nicht auch noch eine Kommunikationskrise gesellt.<br />

Ein Kommunikationsmittel im Emotionsmanagement stellen Riten dar:<br />

- sie sind eine Hilfestellung <strong>für</strong> das Leben<br />

- sie erfüllen eine Entlastungsfunktion<br />

- sie erfüllen eine Artikulierungsfunktion<br />

- sie helfen, überbor<strong>den</strong>de Gefühle abzuleiten.<br />

Riten haben ihren Platz an Krisen- <strong>und</strong> Wendepunkten des Lebens, sie tragen bei zur<br />

emotionalen Verarbeitung <strong>und</strong> wer<strong>den</strong> daher als „rites de passage“ bezeichnet. Sie<br />

vermitteln Sinn <strong>und</strong> erklären Existenz. H.-G. Heinbrock versteht unter Ritualen: „Alle<br />

Akte formalisierten <strong>und</strong> dramatisierten symbolischen Ausdruckshandels von einzelnen<br />

o<strong>der</strong> Gruppen mit transitorischem Carakter.“ 65<br />

Für die Theologie ist es keine Neuentdeckung, dass beson<strong>der</strong>s bei Menschen in<br />

Krisensituationen die Riten eine sehr effiziente Form des Managements sind. Sie sind<br />

unverzichtbare Hilfsmittel <strong>der</strong> menschlichen Kommunikation, sie regulieren<br />

zwischenmenschliche <strong>und</strong> gemeinschaftliche Kontakte <strong>und</strong> wer<strong>den</strong> als Vorgänger <strong>der</strong><br />

Therapien bezeichnet, da Riten therapeutisch-seelsorgliche Effekte haben. Durch die<br />

automatische Regulierung von Beziehungen stabilisieren sie außerdem menschliche<br />

Kontakte. Der Ausdruck durch Riten erleichtert Menschen <strong>den</strong> Umgang mit <strong>der</strong><br />

63 Vgl. HÉZSER, Az istentiszteletről-pasztorálpszichológiailag , 1-7.<br />

64 LORENZ, Das Konzil <strong>der</strong> Buchhalter, 23.<br />

65 HEIMBROCK, Ritus IV, 279-285.<br />

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I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

Belastung, das passende „bon mot“ <strong>und</strong> die entsprechen<strong>den</strong> Verhaltensweisen zu<br />

fin<strong>den</strong>. Mit ihrer Hilfe können Einzelne <strong>und</strong> kann die Gemeinde Emotionen ausdrücken,<br />

<strong>der</strong>en verbale Erfassung an Grenzen stößt. Rituelle Texte bringen starke Emotionen,<br />

Themen, Lebenssituationen <strong>und</strong> Krisen ins Wort. Ein großer Teil religiöser, sakraler<br />

<strong>und</strong> existenzieller Themen gehören hierher. Ein Glaubensbekenntnis beispielsweise, das<br />

sich in <strong>der</strong> Geschichte bewährt hat <strong>und</strong> vorformuliert ist, ist viel leichter als ein<br />

individuell-persönliches Bekenntnis.<br />

Die große Bedeutung <strong>der</strong> Riten liegt darin, dass sie das Individuum <strong>und</strong> die<br />

Gemeinschaft in Lebenslagen <strong>und</strong> Lebensthemen unterstützen, <strong>der</strong>en kommunikative<br />

<strong>und</strong> kognitive Verarbeitung aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> momentanen emotionalen Überlastung nicht<br />

möglich ist. Riten schützen kognitive Funktionen dadurch, dass sie sie temporär<br />

aussetzen. Setzt später <strong>der</strong> Zustand ein, in dem man fähig wird zu <strong>den</strong>ken, kann die<br />

individuelle <strong>und</strong> kollektive bewusste Verarbeitung des Erlebten beginnen. Rituelle<br />

Entlastungseffekte <strong>und</strong> die bewusste Verarbeitung stehen also in gegenseitiger<br />

Wechselwirkung.<br />

Der seelische Ausgangspunkt <strong>der</strong> Riten: die Krisenkommunikation 66<br />

Die Kommunikation ist ein wichtiges Element <strong>der</strong> menschlichen Existenz.<br />

Kommunikation <strong>und</strong> kommunikative Beziehung sind aus Sicht <strong>der</strong> Pastoral <strong>und</strong> einer<br />

Theorie von Theologie von gr<strong>und</strong>legen<strong>der</strong> Bedeutung: Theologie formuliert die<br />

kommunikative Beziehung zu Gott. Die pastorale Praxis kann phänomenologisch als<br />

konstante Kontaktaufnahme beschrieben wer<strong>den</strong>.<br />

Jede Situation, in <strong>der</strong> ein wichtiges Merkmal <strong>der</strong> Person im Krisenzustand zunehmend<br />

isoliert wird, Kommunikation eingeengt o<strong>der</strong> gestört wird, kann als Krise aufgefasst<br />

wer<strong>den</strong>. 67 Der in eine Krise geratene Mensch wird kommunikationsunfähig <strong>und</strong> erfährt<br />

oft, dass auch sein Umfeld <strong>den</strong> Kontakt zu ihm/ihr meidet. Die<br />

Kommunikationsforschung hat festgestellt, dass <strong>den</strong> in eine Krise geratenen Menschen<br />

bei <strong>der</strong> Kommunikation eine ganze Reihe Fallen erwartet.<br />

66 Vgl. HÉZSER, Pasztorálpszichológia, 273-285.<br />

67 Vgl. FECHTNER , http://www.notfallseelsorge.de/Materialien/Fechtner-<br />

Riskante_Liturgien%201%20.pdf [abgerufen am 20.10.2011].<br />

31


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

Eines <strong>der</strong> wichtigsten Charakteristika <strong>der</strong> Kommunikation eines Menschen in <strong>der</strong> Krise<br />

ist die so genannte Kodierung: Der Mensch in <strong>der</strong> Krise kann seinen/ihren Zustand<br />

unmöglich offen <strong>und</strong> eindeutig kommunizieren, seine/ihre<br />

Kommunikationsmöglichkeiten beschränken sich auf Andeutungen <strong>und</strong> Hilfezeichen.<br />

Diese Art <strong>der</strong> Kodierung ist keine bewusste Verschleierung, son<strong>der</strong>n die momentan<br />

einzige Form, sich auszudrücken. Eine spezielle Form <strong>der</strong> Kodierung ist die Wahl <strong>der</strong><br />

Diskussion <strong>und</strong> des Hilferufes. 68 Um versteckte Hilferufe zu verstehen, braucht <strong>der</strong>/die<br />

SeelsorgerIn ein breites Verstehensrepertoire. Da menschliche Kommunikation zu 90%<br />

Interpretation ist 69 , muss <strong>der</strong>/die SeelsorgerIn in <strong>der</strong> Lage sein, die versteckte Botschaft<br />

des krisengeplagten Menschen als Hilferuf aufzufassen, sie sich zu erarbeiten, zu<br />

interpretieren <strong>und</strong> zu analysieren. Dem wahrgenommenen <strong>und</strong> richtig interpretierten<br />

Hilferuf kann entsprechende Hilfe folgen.<br />

2.1.2. Martyria: Pastoralpsychologische Skizze – das Bild des fragmentierten<br />

Menschen<br />

Zu Martyria gehören Katechese <strong>und</strong> Predigt, die jeweils von einem bestimmten<br />

Menschenbild ausgehen müssen. Aus pastoralpsychologischer Perspektive können die<br />

wichtigsten Aspekte im Denken über <strong>den</strong> Menschen <strong>und</strong> im Eintreten <strong>für</strong> <strong>den</strong> Menschen<br />

wie folgt formuliert wer<strong>den</strong> 70 :<br />

Gott ist Garant des Lebens, nicht <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heit – menschliches Leben ist mehr<br />

als Ges<strong>und</strong>heit<br />

Die biblische Tradition sieht das Leben <strong>der</strong> Menschen, ihre Freiheit, aber auch ihr Leid <strong>und</strong><br />

ihre Krankheit in direkter Nähe zu Gott. 71 Die Befreiung aus Ägypten, die Suche nach <strong>den</strong><br />

Menschen <strong>und</strong> ihre Rettung (Lk 19,10) kommen ebenso aus Gottes Hand wie die<br />

„Verw<strong>und</strong>ung“, das „Nie<strong>der</strong>schmettern“ <strong>und</strong> die „Heilung” (Hiob 5,18). Gott erscheint als<br />

68<br />

Vgl. UHL, Rituale <strong>und</strong> symbolisches Handeln, 364-365.<br />

69<br />

Vgl. www.frie<strong>den</strong>spaedagogik.de/content/download/6562/35434/file/Kapitel%203.3.pdf [abgerufen am<br />

20.10.2011].<br />

70<br />

Vgl. HÉZSER, Pasztorálpszichológia, 278-302.<br />

71<br />

Vgl. SCHÜTZ / METZ, Notfallseelsorge als diakonische Aufgabe?, 26-27.<br />

32


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

F<strong>und</strong>ament des gesamten Lebens, als F<strong>und</strong>ament des Glücks, des Leides, <strong>der</strong> Krankheit <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heit. Bringt man nur o<strong>der</strong> in erster Linie die Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> das Heilen in<br />

Verbindung mit dem Willen Gottes, dann bedeutet dies implizit, dass we<strong>der</strong> Krankheiten<br />

noch Leid seinem Willen entsprechen. Jesus aber erachtet das Lei<strong>den</strong> als etwas, das direkt<br />

vom Vater kommt, als er bittet „Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an<br />

mir vorüber” (Mt 26,39). Theologisch gesehen bedeutet es also eine Verkürzung, wenn nur<br />

Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Glück mit Gott in Verbindung gebracht wer<strong>den</strong>, da das Leben als ganzes<br />

auch nicht auf diese Aspekte beschränkt bleibt.<br />

Eine <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>satzfragen <strong>der</strong> interdisziplinären pastoralpsychologischen<br />

Untersuchungen ist, ob Lei<strong>den</strong> <strong>und</strong> Krankheit als Lebenszustand betrachtet wer<strong>den</strong>, die<br />

mit <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heit gleichwertig sind.<br />

Leben als Geschenk, Ges<strong>und</strong>heit als Geschenk<br />

Niemand hat sich selbst das Leben gegeben, Leben ist immer ein empfangenes Geschenk,<br />

eine Gabe, nicht nur im einmaligen Akt <strong>der</strong> Geburt, son<strong>der</strong>n immer wie<strong>der</strong>. Dies offenbart<br />

sich noch deutlicher in extremen Gefahrensituationen. Das Leben ist ein Geschenk, das man<br />

- annehmen,<br />

- hegen<br />

- <strong>und</strong> in Verantwortung vollziehen soll.<br />

Im Phänomen Ges<strong>und</strong>heit-Krankheit kann die Ambivalenz des Lebens entdeckt wer<strong>den</strong>:<br />

- zwischen Abhängigkeit <strong>und</strong> Freiheit<br />

- zwischen Geb<strong>und</strong>enheit <strong>und</strong> Unabhängigkeit<br />

- zwischen Passivität <strong>und</strong> Aktivität <strong>und</strong><br />

- zwischen Unbeholfenheit <strong>und</strong> Verän<strong>der</strong>ungsfähigkeit.<br />

Die momentanen gesellschaftlichen Ideale spiegeln ausschließlich die Dimensionen<br />

individueller Gestaltungsmöglichkeiten in Freiheit, Unabhängigkeit, persönlicher<br />

Lebensführung <strong>und</strong> Pflege <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heit wi<strong>der</strong>, während Lebensrealitäten wie<br />

Abhängigkeit <strong>und</strong> Angewiesensein auf an<strong>der</strong>e verschleiert wer<strong>den</strong>, da diese die<br />

Aufmerksamkeit auf die schwieriger zu akzeptieren<strong>den</strong> Dinge des Lebens lenken wür<strong>den</strong>:<br />

33


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

auf die Vergänglichkeit des Lebens, auf beschränkte Möglichkeiten sowie auf begrenzten<br />

menschlichen Einfluss. 72<br />

In jedem Fall sind wir <strong>für</strong> das Leben <strong>und</strong> die Ges<strong>und</strong>heit verantwortlich, aber <strong>den</strong>noch<br />

können wir zahlreiche, bestimmende Faktoren des Lebens nicht beeinflussen, die unter<br />

an<strong>der</strong>em sind:<br />

- unsere genetische Kodierung,<br />

- Bedingungen, die unsere Sozialisierung lenken,<br />

- unsere biophysischen <strong>und</strong> ökologischen Lebensumstände.<br />

Ein ges<strong>und</strong>es Leben in dem Sinn, das Leben mit allen Schattierungen zu sehen, würde auch<br />

bedeuten, dass Menschen das, was sie beeinflussen <strong>und</strong> nicht beeinflussen können, als<br />

gleich wichtig erachten bzw. dass sie Güter wie beispielsweise Ges<strong>und</strong>heit nicht als<br />

selbstverständlich o<strong>der</strong> machbar, son<strong>der</strong>n als geschenkt betrachten.<br />

Das Fragment Leben, das Fragment Ges<strong>und</strong>heit 73<br />

Die Idee des Perfektionismus – etwas perfekt <strong>und</strong> makellos zu schaffen –, entstammt <strong>der</strong><br />

Welt <strong>der</strong> Technik <strong>und</strong> Naturwissenschaften. Aus unmittelbar menschlicher Sicht des<br />

Lebens sind dies aber fremde Kategorien, <strong>den</strong>n auch folgende Aspekte bestimmen es:<br />

- das Leben zeigt immer eine vorübergehende, vergängliche Mangelerscheinung,<br />

- das Sterben <strong>der</strong> Zellen beginnt gleichzeitig mit <strong>der</strong> Geburt.<br />

Religionen <strong>und</strong> KünstlerInnen haben diese Lebensanschauung <strong>und</strong> Lebenserfahrung, die<br />

Bruchstückhaftigkeit des Lebens, <strong>der</strong>en Anerkennung wichtiges Zeichen <strong>der</strong> Weisheit ist,<br />

wie<strong>der</strong> <strong>und</strong> wie<strong>der</strong> formuliert. Wenn nämlich das Leben ein Fragment ist, dann ist alles,<br />

was elementar zum Leben gehört, ebenfalls fragmentarisch. Dies trifft auch auf die<br />

Ges<strong>und</strong>heit zu. Der Zustand, welcher als Ges<strong>und</strong>heit bezeichnet wird, ist die Positionierung<br />

auf einem Punkt im Kontinuum zwischen Krankheit <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit.<br />

In diesem Sinne lohnt es sich, hier auch die Salutogenese-Theorie von Antonowsky 74 zu<br />

erwähnen, die besagt, dass die Ges<strong>und</strong>heit des Individuums von <strong>der</strong> Qualität <strong>der</strong> Stressoren<br />

72 ”Welche Erwartungen <strong>und</strong> Wünsche wer<strong>den</strong> von <strong>den</strong> betroffenen Opfern <strong>und</strong> Angehörigen, aber auch<br />

von <strong>den</strong> Einsatzkräften, eigentlich an die Notfallseelsorge gestellt? Eine Frage, die schwer zu beantworten<br />

ist. Menschen, die in solche Notsituationen geraten, haben diese nicht im Vorhinein kommen sehen.<br />

Plötzlich <strong>und</strong> völlig unerwartet trifft sie <strong>der</strong> Schicksalsschlag in voller Härte.” in: ARNOLD,”Du bist nicht<br />

allein“, 87.<br />

73 Vgl. LUTHER, I<strong>den</strong>tität <strong>und</strong> Fragment, 167.<br />

34


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Ressourcen abhängt, die er als individuelle Wi<strong>der</strong>standsquellen bezeichnet. Vier<br />

Wi<strong>der</strong>standsquellen wer<strong>den</strong> von ihm genannt:<br />

- Wi<strong>der</strong>standsquellen somatischer Art, vor allem das Immunsystem ,<br />

- Wi<strong>der</strong>standsquellen psychischer Art wie seelische Stabilität <strong>und</strong> Flexibilität,<br />

Intelligenz <strong>und</strong> Bildung,<br />

- Wi<strong>der</strong>standsquellen dinglich-materieller Art wie finanzielle Unabhängigkeit, gute<br />

Arbeits- <strong>und</strong> Wohnumstände, die erheblich zu ges<strong>und</strong>em Leben beitragen,<br />

- Wi<strong>der</strong>standsquellen psychosozialer Art wie befriedigende persönliche Kontakte,<br />

Integration in die Gemeinschaft <strong>und</strong> ein soziales Netz, die ebenfalls die Ges<strong>und</strong>heit<br />

för<strong>der</strong>n.<br />

Die verschie<strong>den</strong>en Wi<strong>der</strong>standsquellen sind jeweils ganz unterschiedlich ausgeprägt <strong>und</strong><br />

ergeben ein je unterschiedliches Ressourcenpotenzial, was wie<strong>der</strong>um die Fragmentartigkeit<br />

spiegelt.<br />

Ein weiterer Aspekt <strong>der</strong> Fragmentartigkeit des Lebens zeigt sich darin, dass <strong>der</strong> Sinn <strong>der</strong><br />

Krankheit o<strong>der</strong> die Beantwortung <strong>der</strong> Frage nach dem Warum <strong>der</strong> Krankheit ebenso<br />

fragmentarisch bleiben. Oft können wir ohne Schwierigkeiten subjektiv einen Sinn in<br />

unserer Krankheit entdecken, an<strong>der</strong>e Male haben wir berechtigt <strong>den</strong> Eindruck, dass eine<br />

Erkrankung keinen Sinn ergibt. Gelingt es, diese bei<strong>den</strong> Pole in einen übergeordneten,<br />

umfassen<strong>den</strong> Sinnzusammenhang zu bringen <strong>und</strong> zu akzeptieren, dann können wir das im<br />

Sinn von Dorothee Sölle als eine Form <strong>der</strong> Gnade <strong>und</strong> des Glaubens betrachten. 75<br />

Nach diesen Erwägungen muss also folgende Erkenntnis notwendigerweise formuliert<br />

wer<strong>den</strong>:<br />

Das Leid ist Teil des Lebens<br />

Horst Eberhart Richter hat bereits vor über dreißig Jahren festgestellt, dass die Gr<strong>und</strong>lage<br />

des Lei<strong>den</strong>s <strong>der</strong> Gesellschaft die ist, dass sie eben nicht lei<strong>den</strong> kann. 76 Der Kampf gegen die<br />

Krankheit schlägt früher als vermutet in einen Kampf gegen die Kranken um. Sobald sich<br />

aber das Menschenbild än<strong>der</strong>t <strong>und</strong> sich <strong>der</strong> Fokus vom Glücklichsein <strong>und</strong> von Fortschritt<br />

74<br />

Vgl. 2 ANTONOVSKY, Health, Stress, and Coping.; ANTONOVSKY, Unrevealing the mystery of health.<br />

PETZOLD, SCHUCH, Gr<strong>und</strong>züge des Krankheitsbegriff , 387.<br />

75<br />

Vgl. SÖLLE, Die Ros blüht ohn Warum, 251.<br />

76<br />

Vgl. RICHTER, Der Gotteskomplex, 129.<br />

35


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

<strong>und</strong> Machbarkeit weitet zu einer ganzheitlicheren Sicht, ist das Lei<strong>den</strong> ein sowohl<br />

individuell als auch kollektiv übernommener, selbstverständlicher Teil des Lebens, <strong>und</strong> die<br />

Gefahr des Kampfes gegen die Krankheit o<strong>der</strong> die Kranken wird deutlich gesenkt. Die<br />

Aufgabe <strong>der</strong> SeelsorgerInnen besteht darin, Lei<strong>den</strong><strong>den</strong> eine Hermeneutik des Lei<strong>den</strong>s o<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Krankheit zu ermöglichen. SeelsorgerInnen hören oft von Menschen, dass die<br />

Krankheit ihr Leben verän<strong>der</strong>t hat. Sie hat nicht nur ihre Lebensform eingeengt, son<strong>der</strong>n<br />

auch ihre Lebensauffassung geweitet <strong>und</strong> bereichert: Was bisher wichtig war, wird nichtig,<br />

was bedeutungslos erschien, wird plötzlich wichtig. Die Begleitung zu solchen<br />

Erkenntnissen ist ein Prozess in <strong>der</strong> Seelsorge, <strong>der</strong> hilft, die Annahme <strong>der</strong> Krankheit <strong>und</strong><br />

des Leides umzusetzen.<br />

Ideologisierung gefährdet das Menschenbild<br />

Ein endgültiges <strong>und</strong> abgeschlossenes Bild des Menschen ist damit aber noch nicht<br />

gewonnen <strong>und</strong> aus Sicht <strong>der</strong> Pastoralpsychologie auch nicht erstrebenswert. Diese wendet<br />

sich mit ihren Fragen an die Traditionen des Christentums <strong>und</strong> des Alten Testaments, da<br />

diese Quellen dem interdisziplinären Dialog wertvolle Impulse <strong>und</strong> überraschende<br />

Korrekturen bieten. Die vielfältigen, mehrere Aspekte aufweisen<strong>den</strong> Anschauungsweisen<br />

führen zu keinem endgültigen theologischen, anthropologischen o<strong>der</strong><br />

pastoralpsychologischen Ergebnis. Damit verhin<strong>der</strong>t sie auf interdisziplinärer Ebene die<br />

Entstehung eines homogenen <strong>und</strong> perfekten Menschenbildes, da ein solches in Gefahr ist,<br />

mit ideologischem Anspruch aufzutreten <strong>und</strong> <strong>den</strong> Weg zum Menschen zu versperren, <strong>der</strong><br />

letztlich immer ein Mysterium bleibt.<br />

2.1.3. Diakonie in Pastoraltheologie <strong>und</strong> Notfallseelsorge<br />

Als letzter Gr<strong>und</strong>vollzug <strong>der</strong> Kirche 77 nach Liturgia <strong>und</strong> Martyria bleibt die Diakonie,<br />

die in <strong>der</strong> Einleitung zu <strong>den</strong> Gr<strong>und</strong>lagen des Kirchendienstes bereits als ständige<br />

Bereitschaft dazu definiert wurde, an<strong>der</strong>en in spontaner, mehr o<strong>der</strong> weniger<br />

organisierter o<strong>der</strong> institutioneller Form zu helfen. Hier muss aber darauf geachtet<br />

77 Es gibt aber auch an<strong>der</strong>e wichtige Strukturierungen wie z.B. Bucher Martyria, Koionia, Liturgia,<br />

Diakonia? BUCHER, „Was Ihr <strong>den</strong> Geringsten…”171.<br />

36


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

wer<strong>den</strong>, dass keine Parallelen entstehen 78 . Für die Notfallseelsorge bedeutet dies ganz<br />

konkret, etwa Krisen- o<strong>der</strong> Abschiedsrituale, ein gemeinsames Gebet o<strong>der</strong> einen Segen<br />

anzubieten. Die traumatisierte Person o<strong>der</strong> die Angehörigen <strong>der</strong> Toten sind direkt o<strong>der</strong><br />

indirekt eingeb<strong>und</strong>en, während HelferInnen <strong>und</strong> Umgebung sie dabei unterstützen, die<br />

Geschehnisse, die hohen psychischen Stress mit sich bringen, würdevoll zu<br />

verarbeiten.„...in <strong>der</strong> katholischen Kirche hängt die entsprechende Funktion <strong>der</strong><br />

Diakonie vom jeweiligen Kirchenbild selber ab. Im katholischen Bereich darf man wohl<br />

zwei gegensätzliche Pole benennen, zwischen <strong>den</strong>en sich diese unterschiedlichen<br />

Kirchenbil<strong>der</strong> bewegen: da ist das glaubensintegralistischen Kirchenbild auf <strong>der</strong> einen<br />

<strong>und</strong> das proexistente Kirchenbild insbeson<strong>der</strong>e des Zweiten Vatikanums auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Seite.“ 79<br />

Eine weitere theologische Ortsbestimmung <strong>der</strong> Diakonie nach Jäger lautet: „Diakonie<br />

ist die Ausübung <strong>der</strong> Nächstenliebe. Es handelt sich um ein Streben, welches nicht mehr<br />

tun will, als was einem Menschen bei seinem Lei<strong>den</strong> nutzt. In <strong>der</strong> Diakonie muss sich<br />

ein je<strong>der</strong> auf <strong>den</strong> Gehorsam des doppelten Gebotes <strong>der</strong> Liebe einstimmen <strong>und</strong> bestrebt<br />

sein, die Mitmenschen mit Liebe zu umgeben, damit die notwendige Unterstützung<br />

gegeben wer<strong>den</strong> kann." 80 Im Zentrum dieser Definition steht das doppelte Gebot <strong>der</strong><br />

Liebe <strong>und</strong> somit <strong>der</strong> notlei<strong>den</strong>de <strong>und</strong> liebesbedürftige Mensch. Dieser kurze Bezug<br />

erscheint im Vergleich zu an<strong>der</strong>en theologischen Definitionen <strong>der</strong> diakonischen<br />

Tätigkeit sparsam. Ihre Zurückhaltung deutet darauf hin, dass die diakonische Tätigkeit<br />

keine weitreichen<strong>den</strong> Reflexionen, son<strong>der</strong>n einen aktiven „Samariterdienst“ im Sinne<br />

des Gebotes Jesu benötigt. 81 Die theologische Reflexion hat in <strong>der</strong> Gottesanbetung,<br />

Andacht <strong>und</strong> Seelsorge <strong>der</strong> Kranken <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>en zwar eine beson<strong>der</strong>s<br />

hervorgehobene Rolle, in <strong>der</strong> konkreten Arbeit <strong>der</strong> Diakonie steht aber vor allem die<br />

Nächstenliebe im Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>.<br />

Beispiele <strong>für</strong> die Unterstützung Notlei<strong>den</strong><strong>der</strong> gibt es viele – etwa <strong>für</strong> BettlerInnen,<br />

Obdachlose, Alkoholkranke 82 –, aber traumatische Erlebnisse, wie sie bisher immer<br />

wie<strong>der</strong> erwähnt wer<strong>den</strong> <strong>und</strong> Nachrichtenstoff liefern, sind Phänomene, bei <strong>den</strong>en<br />

78<br />

Vgl. BUCHER, „Was Ihr <strong>den</strong> Geringsten…”168.<br />

79<br />

FUCH, Die Katholische Funktion <strong>der</strong> Kirchen: Katholische Perspektiven, 107.<br />

80<br />

Vgl. JÄGER, Diakonia, mint keresztény vállalkozás, 98-102.<br />

81<br />

ABBING, Diakonie II, 644-656.<br />

82<br />

Alle diese Personen stellen neben allen barmherzigen Hilfsaktionen auch ein Existenzproblem <strong>für</strong> die<br />

Kirche dar. Vgl. BUCHER, ebd. 174.<br />

37


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

Menschen ohne Unterstützung psychische Schä<strong>den</strong> davontragen können <strong>und</strong> wo<br />

Diakonie o<strong>der</strong> eben Notfallseelsorge konkret gefragt ist. 83<br />

Auf <strong>den</strong> nächsten Seiten soll genauer auf spezifische Belastungssituationen eingegangen<br />

<strong>und</strong> dazugehörige Implikationen aufgezeigt wer<strong>den</strong>.<br />

3. Wer braucht NFS?<br />

Die Aktivitäten <strong>der</strong> NFS sind genau definiert. Anhand verschie<strong>den</strong>er Fallbeispiele im<br />

Punkt 3.1. wird versucht zu verdeutlichen, dass aber jede Situation einzigartig <strong>und</strong> nicht<br />

generalisierbar ist <strong>und</strong> <strong>der</strong> Beistand <strong>für</strong> die <strong>und</strong> die Unterstützung <strong>der</strong> Betroffenen 84<br />

überall notwendig sind. In Punkt 3.2. wird <strong>der</strong> Begriff des Traumas dargestellt <strong>und</strong> unter<br />

3.3. wer<strong>den</strong> Coping-Strategien unter verschie<strong>den</strong>en Gesichtspunkten erklärt.<br />

3.1. Fallbeispiele aus <strong>der</strong> NFS 85<br />

Im Folgen<strong>den</strong> fin<strong>den</strong> sich sieben Situationen, in <strong>den</strong>en die Notfallseelsorge zum Einsatz<br />

kam:<br />

a) Unfall: In <strong>der</strong> Nacht wur<strong>den</strong> wir in <strong>der</strong> Rettungszentrale alarmiert. Man sagte, wir<br />

müssten uns beeilen, <strong>den</strong>n ein Unfall sei passiert. Binnen fünf Minuten waren wir vor<br />

Ort, wo die Feuerwehr schon bemüht war, <strong>den</strong> Mann, <strong>der</strong> mit seinem Auto gegen einen<br />

Baum gefahren war, aus seinem Fahrzeug zu schnei<strong>den</strong>. Neben ihm stand seine<br />

Fre<strong>und</strong>in, die die Rettung gerufen hatte <strong>und</strong> folgte dem Geschehen mit Entsetzen. Der<br />

Mann, <strong>der</strong> bei Bewusstsein war, aber nur jammern konnte, wurde aus dem Auto<br />

geborgen <strong>und</strong> auf die Trage gelegt. Seine Fre<strong>und</strong>in stand alleine <strong>und</strong> versteinert da,<br />

niemand kümmerte sich um sie. Der Mann wurde in <strong>den</strong> Rettungswagen gebracht. Auf<br />

unser Angebot hin, dass sie mit uns fahren könnte, konnte sie kein Wort sagen, so dass<br />

83 Für Steinkamp gilt, dass die Kirche nur dann eine Kirche ist, wenn sie nicht nur <strong>für</strong> ihre „eigenen„<br />

Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong>, son<strong>der</strong>n <strong>für</strong> „an<strong>der</strong>e” Betroffene da ist, in: FUCHS, Auf dem Weg zu einer lokal <strong>und</strong> global<br />

geschwisterlichen Kirche, 220. in Gemeinschaft <strong>und</strong> Solidarität, in: HASLINGER, Handbuch Praktische<br />

Theologie, 437.<br />

84 Fuchs definiert Betroffene wie folgt: „Zum Begriff „Betroffenen” sei übrigens folgendes geklärt: er gilt<br />

als real objektiver Sammelbegriff <strong>für</strong> alle Menschen, die von Unglück, Not, Krankheit, Unterdrückung,<br />

<strong>und</strong> Ängsten betroffen sind. Nicht (je<strong>den</strong>falls nicht primär) die von Leid betroffener Menschen<br />

Betroffenene sind gemeint:, son<strong>der</strong>n die von Leid betroffenen selbst.” Vgl. FUCHS, Die Katholische<br />

Funktion <strong>der</strong> Kirchen, 117.<br />

85 Meine Praxiserfahrung<br />

38


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

wir gespürt haben, dass es nicht genügt, wenn sie mit uns kommt; diese Person<br />

benötigte mehr Hilfe.<br />

b) Katastrophe: Man hört nur Stimmen <strong>und</strong> das Hupen von Autos, so gehen sie auf die<br />

Straße, wo bereits alle auf <strong>der</strong> Flucht sind. Der Rotschlamm, <strong>der</strong> zuerst <strong>für</strong> <strong>den</strong> wegen<br />

einer gebrochenen Schleuse über das Ufer getretenen Bach gehalten wird, hat das Dorf<br />

überflutet. Sie rennen in ihre Häuser, aber <strong>der</strong> Schlammpegel steigt an. Das<br />

Nachbarskind schwimmt in ihre Richtung <strong>und</strong> sie zerren es in das Haus <strong>und</strong> rufen<br />

verzweifelt um Hilfe. Sie wer<strong>den</strong> von <strong>der</strong> Feuerwehr gerettet. Am nächsten Tag gehen<br />

sie in ihre Häuser zurück, wo ihnen nichts geblieben ist. Aber vielleicht kann man<br />

Möbel, Klei<strong>der</strong>, Geräte <strong>und</strong> Werkzeug noch gebrauchen. Sie räumen <strong>den</strong> Schlamm weg,<br />

obwohl sie Verätzungen haben. Die Kin<strong>der</strong> schicken sie in die Schule, obwohl sie nicht<br />

wissen, was genau passiert ist <strong>und</strong> wann dieser <strong>für</strong>chterliche Zustand zu Ende sein wird.<br />

c) Selbstmord: nach <strong>der</strong> Scheidung begeht ein Vater von fünf Kin<strong>der</strong>n angesichts <strong>der</strong><br />

finanziellen Unsicherheit Selbstmord. Die Familie hat <strong>der</strong> Tatsache ins Auge schauen<br />

müssen, dass die Anzeichen <strong>für</strong> die suizidale Neigung des Mannes aufgr<strong>und</strong> seiner<br />

ernsthaften Alkoholprobleme nicht beachtet <strong>und</strong> seine Beschwer<strong>den</strong> mehr als Hysterie<br />

<strong>und</strong> weniger als Hilferuf betrachtet wur<strong>den</strong>. Geschehenes kann zwar nicht rückgängig<br />

gemacht wer<strong>den</strong>, die Ereignisse müssen aber mit <strong>der</strong> Familie diskutiert wer<strong>den</strong>, die<br />

sonst nicht in <strong>der</strong> Lage ist, aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> unverarbeiteten Mitschuld ihr Leben „normal“<br />

weiterleben zu können.<br />

d) Brandkatastrophe: Ein Hochhaus geht in Flammen auf, ein Teil <strong>der</strong> BewohnerInnen<br />

bleibt im Haus <strong>und</strong> schreit um Hilfe. Die Feuerwehr versucht vergebens, die unten<br />

stehen<strong>den</strong> Personen zu beruhigen. Diese müssen zusehen, wie ihre Verwandten<br />

verzweifelt auf Anweisungen <strong>der</strong> Rettungsorgane warten. Inzwischen vergeht die Zeit,<br />

das Dach des Hauses fällt <strong>den</strong> Flammen zunehmend anheim <strong>und</strong> die Hoffnung auf<br />

Rettung schwindet von Minute zu Minute. Dann kommt eine längere Leiter, mit <strong>der</strong> die<br />

Feuerwehr alle bergen kann. Am Ende des Einsatzes stehen wir alle neben dem<br />

brennen<strong>den</strong> Haus, alle konnten geborgen wer<strong>den</strong>, aber die Arbeit mehrerer Jahre <strong>und</strong><br />

das Zuhause vieler Familien wurde binnen weniger Minuten ein Opfer des Feuers. Eine<br />

39


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

Vielzahl verzweifelter Menschen geht auf <strong>und</strong> ab <strong>und</strong> weiß nicht wohin <strong>und</strong> was jetzt<br />

wer<strong>den</strong> soll.<br />

e) Hohe Stresssituation: Nach <strong>der</strong> Besprechung von zwei Kin<strong>der</strong>n in einer Schule, wie<br />

sie ihren ehemaligen Fre<strong>und</strong> umbringen wer<strong>den</strong>, locken sie ihn zu ihrem gewohnten<br />

Treffpunkt, wo sie dann mit Knüppeln so lange auf <strong>den</strong> Jungen einschlagen, bis er<br />

schließlich nicht mehr atmet. Dann werfen sie <strong>den</strong> Leichnam in einen See in <strong>der</strong> Nähe.<br />

Einige Tage später verständigen sie die Polizei <strong>und</strong> erzählen, dass sie auf ihrem Weg<br />

dem Ufer entlang die Leiche ihres verschw<strong>und</strong>enen Kamera<strong>den</strong> gef<strong>und</strong>en haben. Die<br />

Wahrheit kommt sehr schnell ans Licht, <strong>und</strong> von diesem Moment an ist die Welt ihrer<br />

MitschülerInnen auf <strong>den</strong> Kopf gestellt, plötzlich gibt es kein Vertrauen mehr ineinan<strong>der</strong>.<br />

f) Verschw<strong>und</strong>en: Noémi, ein dreijähriges Mädchen, hat an einem Tag im Frühwinter<br />

auf dem Hof gespielt <strong>und</strong> ist verschw<strong>und</strong>en. Ihre Mutter hat sie überall gesucht, auf dem<br />

Hof, auf <strong>der</strong> Straße <strong>und</strong> im Dorf. Nachdem sie <strong>den</strong> ganzen Tag nicht gef<strong>und</strong>en wor<strong>den</strong><br />

war, wurde die Polizei verständigt. Mit H<strong>und</strong>en <strong>und</strong> ziviler Hilfe wird nach ihr gesucht,<br />

zwei Tage lang ohne Erfolg. Die Eltern geben sich die Schuld <strong>und</strong> können nicht<br />

verstehen, was passiert ist <strong>und</strong> wohin das Mädchen verschw<strong>und</strong>en sein kann. Je mehr<br />

Zeit vergeht, desto geringer wird die Hoffnung, dass das Kind noch am Leben ist. Die<br />

Polizei verhört im Sinne ihres Reglements alle, auch die Eltern. Nach fünf Tagen<br />

vergeblicher Suche gibt die Polizei auf <strong>und</strong> sagt, falls das Kind allein ist, hat es diese<br />

Tage sowieso nicht überlebt. Dann wer<strong>den</strong> auch die Eltern allein gelassen, nicht nur<br />

von <strong>den</strong> Medien <strong>und</strong> <strong>der</strong> Polizei, son<strong>der</strong>n auch von Bekannten. Ihre Einsamkeit<br />

verstärkt die Schwäche <strong>und</strong> Machtlosigkeit noch weiter.<br />

g) Überbringung <strong>der</strong> Todesnachricht: Es ist ein Unfall passiert, bei dem drei Fahrzeuge<br />

kollidiert sind, mehrere Verletzte <strong>und</strong> ein Toter liegen am Straßenrand. Die tödlich<br />

verunglückte Person hatte keine Schuld daran, dass die Person im nachkommen<strong>den</strong><br />

Fahrzeug die Geschwindigkeit falsch gewählt hat <strong>und</strong> auf ihr Fahrzeug auffuhr. Der<br />

Tote ist ein Familienvater, <strong>den</strong> seine Frau <strong>und</strong> drei Kin<strong>der</strong> nach <strong>der</strong> Arbeit zu Hause<br />

erwarten. Die Polizei ist verpflichtet, <strong>der</strong> Familie diese grausame Nachricht mitzuteilen.<br />

Aber auch <strong>der</strong> Polizist, <strong>der</strong> die Nachricht überbringen soll, hat Familie, ist ratlos <strong>und</strong><br />

40


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

weiß nicht, wie er handeln soll. Wir klingeln, die Frau macht die Tür auf <strong>und</strong> sagt kein<br />

Wort, als sie uns sieht. Der Polizist hat sich zur Seite gestellt, auch er schafft es nicht,<br />

die Nachricht zu überbringen, er weint. In <strong>der</strong> Wohnung bin schließlich ich <strong>der</strong>jenige,<br />

<strong>der</strong> die Nachricht überbringt. Die Frau starrt leeren Blickes vor sich hin, als hätte sie<br />

das Gesagte nicht gehört.<br />

Bei <strong>den</strong> hier geschil<strong>der</strong>ten Fällen bedürfen die betroffenen Personen neben eines<br />

psychologischen auch eines seelischen Beistandes. Sowohl die Betroffenen als auch die<br />

HelferInnen tragen ein hohes Risiko, traumatisiert zu wer<strong>den</strong>. Sie müssen ihre<br />

Machtlosigkeit, Ängste, Wut <strong>und</strong> Trauer aufarbeiten, sie suchen Antworten auf ihre<br />

Fragen <strong>und</strong> benötigen seelsorgliche Hilfe. Was in Betroffenen psychologisch vorgeht,<br />

soll in <strong>den</strong> folgen<strong>den</strong> Kapiteln entfaltet wer<strong>den</strong>, da dieses Hintergr<strong>und</strong>wissen <strong>für</strong> die<br />

Analyse des genaueren Aktivitätsbereiches <strong>und</strong> <strong>für</strong> die Erfor<strong>der</strong>nisse <strong>der</strong> Arbeit<br />

unbedingt notwendig ist.<br />

3.2. Trauma<br />

Das griechische Wort „Trauma“ bedeutet „Verletzung“, eine plötzlich eintretende<br />

Wirkung durch gravierende psychische o<strong>der</strong> physische Verletzungen. 86 Alle Trauma-<br />

Theorien 87 sind sich darin einig, dass Individuen sich im Erleben traumatisieren<strong>der</strong><br />

Ereignisse, bei <strong>der</strong> Länge <strong>und</strong> Art <strong>der</strong> Verarbeitung, sowie <strong>den</strong> Formen <strong>der</strong> Bewältigung<br />

unterschei<strong>den</strong>. 88<br />

Den Begriff des Traumas hat die Psychologie im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert von <strong>der</strong><br />

Unfallchirurgie übernommen, in <strong>der</strong> Psychoanalyse wurde er durch Sigm<strong>und</strong> Freud zu<br />

einem Gr<strong>und</strong>begriff <strong>und</strong> bekam neue Aufmerksamkeit. Das Trauma ist nach Definition<br />

von Jean Laplanche <strong>und</strong> Jean-Bertrand Pontalis „dasjenige Lebensereignis des Subjekts,<br />

welches durch seine Intensität <strong>und</strong> die Tatsache charakterisiert ist, dass das Subjekt auf<br />

die ihm wi<strong>der</strong>fahrene Erschütterung <strong>und</strong> die dauernde, pathologische Wirkung, die<br />

diese seelische Anordnung hervorruft, nicht entsprechend antworten kann”. 89 Es ist ein<br />

86 Vgl. BAKOS, Idegen szavak és kifejezések szótára, 863.<br />

87 FISCHER / RIEDESSER; Lehrbuch <strong>der</strong> Psychotraumatologie, 155, 157.<br />

88 B. S. Tarnow <strong>und</strong> K. Gladisch sagen, das die Klassifikation <strong>der</strong> Traumata nach <strong>den</strong> Kriterien <strong>der</strong><br />

Dauern (kurzfristige vs. langenhaltend). Und <strong>der</strong> Ursache ( Zufall/Unfall vs. von Menschen verursacht)<br />

das unvorhersehbaren Ereignisses erfolgt. In: TARNOW / GLADISCH, Seele in Not, 80.<br />

89 LAPLANCHE / PONTALIS, A pszichoanalízis szótára, 486.<br />

41


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

Reizstrom, <strong>der</strong> – egal, ob durch ein einmaliges heftiges Ereignis o<strong>der</strong> durch die<br />

Anhäufung von Reizen – die individuellen Belastungsgrenzen übersteigt. Klaus-Peter<br />

Jörns schreibt in seinem Artikel: „Zerstörtes Vertrauen - Zur traumatisieren<strong>den</strong><br />

Wirkung theologsicher Vorstellungen von Gott <strong>und</strong> Mensch <strong>und</strong> ihrer Überwindung“<br />

über das Trauma wie folgt: „Das Trauma betrifft eine umstürzende Erfahrung, die sich<br />

nicht mehr in <strong>der</strong> eigenen Welt integrieren lässt, in <strong>der</strong> man sich auskannte.“ 90<br />

Sigm<strong>und</strong> Freud 91 meint, dass das Wirksamwer<strong>den</strong> eines Traumas bedeutet, dass es dem<br />

Individuum nicht gelungen ist, ein Erlebnis zu integrieren <strong>und</strong> dass dieses als<br />

„Fremdkörper“ in <strong>der</strong> Psyche des Individuums verharrt.<br />

Dies wird bedingt durch:<br />

- die Empfindsamkeit des Individuums,<br />

- die Natur des Ereignisses, welches das perfekte Abreagieren ab ovo ausschließt<br />

- psychische / situationsbezogene Bedingungen, welche die entsprechende Reaktion<br />

verbieten o<strong>der</strong> verhin<strong>der</strong>n<br />

- psychische Konflikte, die die Abwehr <strong>der</strong> Ereignisse unmöglich machen. 92<br />

Das Trauma hat in seiner Definition eine psychologisch, sozial <strong>und</strong> psycho-politisch<br />

wechselvolle Entwicklungsgeschichte zurückgelegt. Freud sah zu Beginn seiner<br />

Laufbahn das Trauma durchaus als Folge von Gewalt- <strong>und</strong> Missbrauchserfahrungen an.<br />

Wohl in Anpassung an die Ideologien seiner Zeit beschrieb er posttraumatische<br />

Symptome <strong>und</strong> dissoziative Störungen bald als Wirkung von (sexuellen) Phantasien <strong>der</strong><br />

Betroffenen. 93 Spätere psychoanalytische Studien 94 hoben jeweils einen Aspekt des<br />

Traumas hervor <strong>und</strong> stellten es in <strong>den</strong> Mittelpunkt ihrer Untersuchungen. So wur<strong>den</strong><br />

von Ernst Kris gewalttätige <strong>und</strong> belastende (1956), von Masud M. Kahn kummulative<br />

(1963), von Anna Freud stumme (1968), von John Bowlby deprivatorische (1969), von<br />

Henry Krystal katastrophale (1978), von Joseph Sandler retrospektive (1967) <strong>und</strong> von<br />

Patricia M. Critten<strong>den</strong> ersetzende Traumata (1999) studiert.<br />

90<br />

JÖRNS, Zerstörtes Vertrauen, 107.<br />

91<br />

Die folgen<strong>den</strong> Informationen über Sigm<strong>und</strong> Freud <strong>und</strong> anschließende psychoanalytische Studien sind<br />

entnommen aus: BAKO, Sorstörés, 18.<br />

92<br />

Vgl. BAKO, Sorstörés, 18.<br />

93<br />

Vgl. LINDORFER, „Nicht mehr heimisch wer<strong>den</strong> in <strong>der</strong> Welt”, 78-86, 80-82. Lindorf vermittelt eine<br />

kompakte <strong>und</strong> engagierte Übersicht über die politisch motivierte Entwicklung <strong>der</strong> Traumatheorien. Zur<br />

jüngsten Diskussion zu Phänomenen <strong>der</strong> Dissoziation siehe: ELLERT / ONNO, Dissociation in Trauma: A<br />

New Definition and Comparison with Previous Formulations, 416-445.<br />

94<br />

Vgl. ebd. 19.<br />

42


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

Es wird deutlich, dass es in <strong>der</strong> Psychoanalyse keine alleinige, alles abdeckende<br />

Definition des Traumas gibt. Die Komplexität des Phänomens zeigt außerdem, dass<br />

nicht von monolinearen Ursache-Wirkung-Zusammenhängen ausgegangen wer<strong>den</strong><br />

kann, son<strong>der</strong>n als Auslöser zwischen diversen psychischen o<strong>der</strong> physischen Schä<strong>den</strong>,<br />

gravieren<strong>den</strong> Frustrationen o<strong>der</strong> psychischem Stress unterschie<strong>den</strong> wer<strong>den</strong> kann. Henry<br />

Krystall (1988) <strong>und</strong> Arnold M. Cooper (1986), die sich beide auf Anna Freud beziehen,<br />

kommen daher zum Schluss, dass die Definition des Traumas besser abgegrenzt wer<strong>den</strong><br />

muss. 95<br />

Cooper definiert das Trauma nach Freud als ein Ereignis, welches das Ich daran hin<strong>der</strong>t,<br />

seine Sicherheit <strong>und</strong> Integrität zu wahren. 96 Die dadurch entstan<strong>den</strong>e Verunsicherung<br />

führt zusammen mit einer durch Bedrohung verstärkten Hilflosigkeit zur Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

seelischen Lage. In dieser Definition sind also Plötzlichkeit <strong>und</strong> Unkontrollierbarkeit<br />

des traumatischen Ereignisses sowie das Gefühl <strong>der</strong> Hilflosigkeit zentrale<br />

Komponenten, die die Reaktion des Ichs in Verzug bringen.<br />

Krystal meint, dass das, was in <strong>der</strong> Fachliteratur oft als psychisches Trauma definiert<br />

wird, in Wirklichkeit nur eine dem Trauma ähnliche Erscheinung ist, welche nicht dem<br />

traumatisierten Zustand entspricht. Um <strong>den</strong> tatsächlichen Prozess des Traumas, das<br />

spezifische pathologische Folgen hat, zu differenzieren, spricht er vom katastrophalen<br />

Trauma, in dessen Brennpunkt die erlebte Hilflosigkeit steht. Die Hilflosigkeit wird<br />

nicht durch die traumatische Situation, son<strong>der</strong>n durch <strong>der</strong>en subjektives Erleben<br />

hervorgerufen. Ob Hilflosigkeit die adäquate Reaktion ist, spielt aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong><br />

seelischen Reaktion keine Rolle. Wird die Gefahr als etwas Unausweichliches erlebt,<br />

löst dies die Aufgabe des Ichs aus. Krystal ist <strong>der</strong> Meinung, dass die Hemmung <strong>der</strong><br />

Abwehrmechanismen durch traumatische Ereignisse hervorgerufen wird.<br />

Laut Definition von Dr. Tihamér Bakó ist das Trauma eine Reaktion auf ein<br />

erschütterndes Ereignis, in dem:<br />

1. Individuen ihr inneres Gleichgewicht mit <strong>den</strong> gewohnten Lösungsmetho<strong>den</strong> nicht<br />

wie<strong>der</strong>herstellen können,<br />

2. Individuen infolge des Ereignisses eine Bedrohung erleben,<br />

95 Vgl. BAKO, Sorstörés, 19.<br />

96 Vgl. COOPER, Toward a limited definition of psychic trauma, 41-56.<br />

43


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

3. das Ich aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Bedrohung zerfällt <strong>und</strong> die Verteidigung nicht koordinieren<br />

kann,<br />

4. Desintegration aufgr<strong>und</strong> des unerträglichen seelischen Schmerzes konstant bleibt,<br />

5. Erinnerungen zerbröckeln, so dass das Gedächtnis Schockbil<strong>der</strong> vom Ich fern hält,<br />

6. Dimensionen von Zeit <strong>und</strong> Raum sich verän<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Individuen dadurch<br />

Hilflosigkeit verspüren,<br />

7. Selbstvernichtung als möglicher Weg zur Beseitigung des Drucks immer drohen<strong>der</strong><br />

wird. 97<br />

Traumatisierende Ereignisse können Individuen als Schock unvorbereitet treffen o<strong>der</strong><br />

auch lang anhalten <strong>und</strong> sich durch ständiges Erzwingen von Emotionen schädlich<br />

auswirken. Bestimmten Forschungen nach gibt es drei Arten von Traumata:<br />

Man-made-Traumata, Naturkatastrophen o<strong>der</strong> schwere Schicksalsschläge <strong>und</strong> kollektive<br />

Traumatisierungen. 98<br />

Ob ein Ereignis traumatisierend wirkt o<strong>der</strong> nicht, hängt von folgen<strong>den</strong> Faktoren ab:<br />

- in welcher Phase <strong>der</strong> Persönlichkeitsentwicklung das Individuum getroffen wird, also<br />

ob es interne Kräfte zur Bewältigung o<strong>der</strong> Abwehr gibt;<br />

- in welchem Zustand das Individuum aktuell ist, das heißt, ob psychische Schutz- o<strong>der</strong><br />

Bewältigungsmechanismen mobilisiert wer<strong>den</strong> können;<br />

- wie empfänglich das Individuum <strong>für</strong> ein bestimmtes Problem ist, ob es sich<br />

beispielsweise um ein Ereignis handelt, bei dem es früher gescheitert ist, o<strong>der</strong> um eines,<br />

das es in einem ausgewogeneren Zustand beheben kann;<br />

- ob das Individuum eine externe, hilfeleistende Ressource hat. 99<br />

Das Trauma stört prinzipiell das Ich <strong>und</strong> Bedrohlichkeit, Intensität <strong>und</strong> Unerwartetheit<br />

<strong>der</strong> Ereignisse verhin<strong>der</strong>n die Integration. Traumatische Geschehnisse wirken weiter, da<br />

sie die Lebensqualität gr<strong>und</strong>legend än<strong>der</strong>n, das Erleben fortan prägen, weitere<br />

bedrohliche Erwartungen generieren <strong>und</strong> als Projektion einer verhängnisvollen Zukunft<br />

zur Geltung kommen.<br />

97 BAKO, Sorstörés, 21-22.<br />

98 Vgl. REDDEMANN / RECHNER-RAUCH,Trauma, 13.<br />

99 Eine These besagt, dass das menschliche Wertesystem die Verarbeitung von Traumatisierungen<br />

erleichten o<strong>der</strong> erschweren kann. Vgl. ebd., 14.<br />

44


Die allgemeine Symptomlehre des Traumas<br />

I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

Noch bevor ich das Thema meiner Arbeit gewählt hatte verbrachte ich eine<br />

Silvesternacht im Krankenhaus am Krankenbett einer Kindheitsfre<strong>und</strong>in. Sie hatte einen<br />

Autounfall erlitten, ihr Fre<strong>und</strong> war gefahren <strong>und</strong> konnte nach dem Unfall ihren Vater<br />

<strong>und</strong> sie aus dem Auto bergen, nicht aber ihre Mutter. Wir gingen ins Spital, weil sie seit<br />

Wochen trübselig war. Obwohl sie bemüht war, ihren Vater, <strong>der</strong> schlimmer verletzt<br />

wor<strong>den</strong> war, aufzuheitern, wusste sie selbst we<strong>der</strong> psychisch noch physisch mit dem<br />

Trauma umzugehen. Seit damals sind etliche Jahre vergangen <strong>und</strong> sie ist noch immer<br />

nicht wie<strong>der</strong> die alte. Sie akzeptiert keine Hilfe <strong>und</strong> kann bzw. will nicht von dem Unfall<br />

sprechen. Sie hatte zuvor mit einem Studium begonnen, es aber wie<strong>der</strong> aufgegeben, weil<br />

sie sich nicht allzu lange auf ein Thema konzentrieren konnte. Für sich selbst ist sie zu<br />

dem Entschluss gekommen, dass sie das Studium nicht nötig hätte. 100<br />

Diese eigene Wahrnehmung findet in vielen Untersuchungen Platz. Bako nennt<br />

verschie<strong>den</strong>e AutorInnen, die zur Traumaforschung Beiträge geliefert haben. 101 Nach<br />

Peter Felix Kellermann ist das Leben nach einem traumatischen Ereignis nie mehr so<br />

wie vorher. Die Geschehnisse übersteigen die Fähigkeit <strong>der</strong> alltäglichen Anpassung,<br />

verankern sich in <strong>der</strong> Tiefenstruktur <strong>der</strong> Persönlichkeit <strong>und</strong> schädigen diese 102 . Als<br />

Wirkung extremer Erlebnisse erfahren wir oft eine Adaptierungsunfähigkeit <strong>und</strong><br />

scheinbar unumkehrbare Verän<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Persönlichkeit 103 . Die Symptome sind<br />

mannigfaltig. Es können Än<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Wahrnehmung auftreten, das Denken kann<br />

sich verzerren, Disstress <strong>und</strong> dissoziale Gefühle entstehen, die Erlebnisintegration bleibt<br />

aus. 104 Die Elemente des Erlebten verschwin<strong>den</strong> aber nicht, son<strong>der</strong>n mel<strong>den</strong> sich in<br />

Form von Flashbacks <strong>und</strong> Albträumen.<br />

Als Auswirkung des Traumas – so David A. Kipper – än<strong>der</strong>n sich biochemische,<br />

physikalische, wahrnehmungsbezogene, emotionale, verhaltensbezogene <strong>und</strong><br />

psychologische Prozesse. 105 Folgen können Funktionsstörungen <strong>der</strong> Neurotransmitter,<br />

100 Aus meiner persönlichen Erfahrung.<br />

101 Vgl. BAKO, Sorstörés, 23-24.<br />

102 Vgl. BAKO, ebda.<br />

103 Vgl. KRYSTAL, Massive Psychic Trauma, 645-650.<br />

104 Vgl. TARNOW / GLADIS charakterisieren ein Trauma wie folgt: „Ein Trauma ist eine Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

<strong>für</strong> <strong>den</strong> Körper <strong>und</strong> die Psyche einer Person. Aus dem Erleben eines Traumas können unterschiedliche<br />

Beeinträchtigungen bis hin zu körperlicher <strong>und</strong> psychischer Erkrankung resultieren.” In: Seele in Not, 79.<br />

105 Vgl. KISS, Trauma, 47.<br />

45


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

eine Unterbrechung <strong>der</strong> Verbindung zwischen bestimmten Bereichen des Gehirns <strong>und</strong><br />

ein Ausschalten des sensomotorischen Gedächtnisses sein. Gleichzeitig entstehen z.B.<br />

Gedankenflucht, verzerrte Objektbeziehungen, inadäquate, intensive Gefühlsreaktionen,<br />

primitive Abwehrmechanismen <strong>und</strong> unkontrolliertes Verhalten. Bessel van <strong>der</strong> Kolk ist<br />

<strong>der</strong> Ansicht, dass diese Ereignisse in erster Linie auf sensomotorischer Ebene<br />

gespeichert wer<strong>den</strong>. Die Kodierung bedrücken<strong>der</strong>, emotionaler Ereignisse erleidet eine<br />

Störung, daher können Erinnerungsspuren aus dem kodierten Gedächtnis nicht entfernt<br />

wer<strong>den</strong>. 106<br />

Eine allgemeine Begleiterscheinung traumatischer Ereignisse ist die integrale<br />

Gefährdung von Leib <strong>und</strong> Leben bzw. die direkte Konfrontation mit dem Tod.<br />

Traumatische Ereignisse lassen das Individuum einer extrem erlebten Hilflosigkeit <strong>und</strong><br />

Furcht entgegenblicken <strong>und</strong> können Katastrophenreaktionen wie Panik, Stimmversagen<br />

<strong>und</strong> Einsamkeitsgefühle hervorrufen. Gemeinsame Charakteristika <strong>der</strong> psychischen<br />

Traumata sind Gefühle wie Angst, Ausgeliefertheit, Zerstörung <strong>und</strong> Kontrollverlust. Als<br />

Ergebnis des Gefühls <strong>der</strong> Hilflosigkeit <strong>und</strong> des Kontrollverlustes wird die alles<br />

bestimmende Furcht, dass man nicht in <strong>der</strong> Lage ist, das einem/r wi<strong>der</strong>fahrene Übel zu<br />

vergessen, zum dauerhaften Lernerlebnis. Wir benutzen die Beschreibung des<br />

körperlichen <strong>und</strong> geistigen Zustandes <strong>der</strong> post-traumatischen Belastungsstörung<br />

(PTSD) 107 im diagnostischen Sinne. Diese ist charakterisiert durch Ruhelosigkeit o<strong>der</strong><br />

Depression. Die Person erlebt das Trauma wie<strong>der</strong> <strong>und</strong> wie<strong>der</strong> in Form starker<br />

Flashbacks <strong>und</strong> von Albträumen, wendet sich <strong>der</strong> Außenwelt mit verringertem Interesse<br />

zu <strong>und</strong> leidet an mehr o<strong>der</strong> weniger physischen Symptomen wie Hypersensibilität o<strong>der</strong><br />

Schlafstörungen. Der Prozess ist endgültig, <strong>den</strong>n beide Zustände, <strong>der</strong> <strong>der</strong> Erinnerung<br />

<strong>und</strong> des Vergessens, können bestehen, <strong>der</strong> traumatisierte Mensch ist dem traumatischen<br />

Ereignis näher o<strong>der</strong> ferner – wie ein unterbrochener Bericht, <strong>der</strong> sich im Kreis dreht.<br />

Erlebte bedrückende Ereignisse <strong>und</strong> schmerzhafte Erinnerungen kehren immer wie<strong>der</strong>,<br />

während die Person sich eigentlich bemüht, diese aus ihren Erinnerungen zu verdrängen<br />

o<strong>der</strong> zu vermei<strong>den</strong>. Versuche, das innere Gleichgewicht zurückzugewinnen <strong>und</strong> wie<strong>der</strong><br />

funktionsfähig zu sein, scheitern hoffnungslos <strong>und</strong> verzweifelt. 108 Die Phänomenologie<br />

bzw. <strong>der</strong> Verlauf <strong>der</strong> PTSD ist seit mehr als einem Jahrh<strong>und</strong>ert bekannt. Hier muss aber<br />

106 Vgl. VAN DER KOLK /BLITZ / BURR, Nightmares and Trauma, 187-190.<br />

107 Vgl. BADDELEY, Human memory, 645. (benutzt man auch :ICD-10, DSM-IV-TR)<br />

108 Vgl. KISS, Trauma, 53.<br />

46


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

auch angesprochen wer<strong>den</strong>, dass Traumata nicht nur negative Folgen haben. Lawrence<br />

G. Calhoun, Arnie Cann, Richard G. Tedeschi <strong>und</strong> Jamie McMillan berichten in diesem<br />

Zusammenhang über <strong>den</strong> Begriff des posttraumatischen Wachstums <strong>und</strong> definieren<br />

diesen als die Erfahrung eines signifikanten positiven Wechsels des/r Einzelnen,<br />

welches aus <strong>der</strong> Bewältigung einer großen Lebenskrise resultiert 109 .<br />

In <strong>der</strong> Studie von Nancy C. Andreasen <strong>und</strong> Donald W. Black aus dem Jahr 1997 heißt<br />

es, dass die Symptome bereits während des Amerikanischen Bürgerkrieges bzw. danach<br />

erkannt <strong>und</strong> nie<strong>der</strong>geschrieben wur<strong>den</strong>. 110 Die erste glaubwürdige Beschreibung des<br />

Syndroms gab Da Costa, <strong>der</strong> darauf aufmerksam wurde, dass die Herzfunktion einiger<br />

Soldaten aus dem Bürgerkrieg vegetative Störungen aufwies. Daher nannte Da Costa<br />

diese Krankheit „Soldatenherz“. Später haben ÄrztInnen dieses Syndrom bei Kranken<br />

diagnostiziert, die zum Beispiel zu Kriegszeiten Stress ausgesetzt waren. PTSD wurde<br />

jedoch durch die Anpassungsschwierigkeiten <strong>der</strong> Vietnam-Veteranen zu einer weithin<br />

akzeptierten Diagnosekategorie.<br />

Die Symptome <strong>der</strong> post-traumatischen Belastungsstörung können in drei Hauptgruppen<br />

geglie<strong>der</strong>t wer<strong>den</strong>: Hyperarousal, Erinnerungsstörung <strong>und</strong> Bewusstseinseinengung. 111<br />

1. Das physiologische Arousal 112 bleibt nach dem Ausklang <strong>der</strong> Gefahr weiterhin<br />

bestehen. Die traumatisierte Person erschreckt leicht <strong>und</strong> reagiert selbst auf kleinste<br />

Provokationen gereizt bzw. kämpft mit Schlafstörungen. Psychophysiologische<br />

Än<strong>der</strong>ungen, die mit <strong>der</strong> post-traumatischen Belastungsstörung auftreten, sind<br />

verzweigt <strong>und</strong> lang anhaltend. PatientInnen lei<strong>den</strong> unter einer Mischung aus<br />

generalisierten <strong>und</strong> konkreten Ängsten. Ihre Gr<strong>und</strong>-Wachheit ist erhöht, ihr Körper<br />

ständig auf Gefahr vorbereitet. Abgesehen davon reagieren sie auf unerwartete Reize<br />

mit Angst <strong>und</strong> zeigen starke Reaktionen auf Trauma-geb<strong>und</strong>ene Reize. Personen, die an<br />

einer posttraumatischen Belastungsstörung lei<strong>den</strong>, schlafen langsamer ein als an<strong>der</strong>e.<br />

Beim Schlaf sind sie empfindlicher <strong>und</strong> schrecken oft wegen verschie<strong>den</strong>ster Geräusche<br />

auf.<br />

109<br />

CALHOUN, u.a., A Correlational Test of the Relationship between Posttraumatic Growth, 521.<br />

110<br />

Vgl. ebd.<br />

111<br />

Vgl. HERMAN, Trauma és Gyógyulás, 53-110.<br />

112<br />

Deutsch: Erregung<br />

47


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

2. Erinnerungsstörung trotz unauslöschlicher traumatischer Ereignisse<br />

Traumata verhin<strong>der</strong>n die normale Entwicklung <strong>der</strong> Betroffenen dadurch, dass sie<br />

wie<strong>der</strong>holt in ihr Leben eindringen. Da traumatische Momente im Gedächtnis auf<br />

abnorme Weise gespeichert wer<strong>den</strong>, dringen sie spontan in das Bewusstsein, in wachem<br />

Zustand in Form von „Flashbacks”, in <strong>der</strong> Nacht als störende Albträume. Traumatische<br />

Erinnerungen im wachen Zustand o<strong>der</strong> im Schlaf entstehen aus <strong>den</strong>selben<br />

neurophysiologischen Bedingungen. Diese Erinnerungen kehren mit <strong>der</strong> Intensität <strong>und</strong><br />

emotionalen Stärke des ursprünglichen Ereignisses zurück, ausgelöst durch scheinbar<br />

bedeutungslose, winzige Momente. Betroffene können nie sicher sein, nicht einen Reiz<br />

anzutreffen, <strong>der</strong> sie an das Trauma erinnert.<br />

Traumatische Erinnerungen wer<strong>den</strong> an<strong>der</strong>s als gewöhnliche Lebensereignisse im<br />

Bewusstsein kodiert. Sie wer<strong>den</strong> nicht in die Lebensgeschichte eingebaut <strong>und</strong> haben<br />

auch keine lineare Erzählform, son<strong>der</strong>n wer<strong>den</strong> als lebhafte Wahrnehmungen<br />

gespeichert. Aus dem Erlebnis kristallisiert sich ein bestimmter Kreis von Bil<strong>der</strong>n<br />

heraus, <strong>und</strong> diese brüchige, kontextlose, intensive Wahrnehmung verleiht dem Trauma<br />

Realität. Wahrscheinlich ist <strong>für</strong> diese Eigenheiten des Gedächtnisses das zentrale<br />

Nervensystem verantwortlich. Bessel van <strong>der</strong> Kolk entdeckte, dass im Zustand hoher<br />

sympathischer Nervenaktivität die linguistische Kodierung des Gedächtnisses<br />

ausgeschaltet wird <strong>und</strong> das zentrale Nervensystem zu <strong>den</strong> sensorischen <strong>und</strong> ikonartigen<br />

Formen des Gedächtnisses zurückkehrt, die das frühe Kindesalter charakterisieren. 113<br />

Traumatische Träume beinhalten oft Bruchstücke <strong>der</strong> betreffen<strong>den</strong> Ereignisse in<br />

genauer Form, ohne imaginative Verarbeitung. Albträume entstehen in <strong>der</strong> Phase des<br />

Schlafes, während <strong>der</strong> man normalerweise nicht träumt.<br />

Traumatisierte Menschen erleben das Trauma oft in ihren Taten wie<strong>der</strong>. Dies kann<br />

adaptiv sein, wenn die Betroffenen einen Weg fin<strong>den</strong>, die neu erlebten Geschehnisse in<br />

ihr Leben zu integrieren. Sie spüren das Gefühl <strong>der</strong> Unfreiwilligkeit auch dann in sich,<br />

wenn sie das Neuerleben traumatischer Ereignisse bewusst wählen. Sigm<strong>und</strong> Freud<br />

nennt dies einen „Wie<strong>der</strong>holungszwang“, dessen Antrieb emotional <strong>und</strong> nicht kognitiv<br />

ist. 114 Spätere Forschungen erachten dies als einen Versuch zur Integration des<br />

113 Vgl. VAN DER KOLK, The Trauma Spectrum, 273-290.<br />

114 Vgl. FREUD, A halálösztön és az életösztön, 20.<br />

48


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

traumatischen Ereignisses. Ein Trauma kann nur dann bewältigt wer<strong>den</strong>, wenn die<br />

Betroffenen ein neues mentales Schema <strong>für</strong> das Verstehen <strong>der</strong> Ereignisse entwickeln.<br />

3. Konstruktionssymptome, Einengung.<br />

Das traumatisierte Individuum ist unfähig, einer bestimmten Situation durch<br />

entsprechendes Handeln zu entkommen. Stattdessen än<strong>der</strong>t es seinen/ihren<br />

Bewusstseinszustand, <strong>und</strong> diese Än<strong>der</strong>ung wird zu einer Einengung <strong>der</strong> Wahrnehmung.<br />

Diese verengte Wahrnehmung bestimmt dann seine/ihre Perspektive. 115 Nebenbei<br />

entsteht eine Teilamnesie, in <strong>der</strong> die Erinnerung erlischt <strong>und</strong> das Erlebnis seinen<br />

Realitätscharakter einbüßt. Diese Wahrnehmungsän<strong>der</strong>ungen treten in Kombination mit<br />

dem Gefühl <strong>der</strong> Gleichgültigkeit, <strong>der</strong> emotionalen Abschottung <strong>und</strong> <strong>der</strong> vollständigen<br />

Passivität auf, in <strong>der</strong> das Individuum je<strong>der</strong> Motivation <strong>und</strong> jeglichem Antrieb entsagt.<br />

Einengungssymptome betreffen in erster Linie die Erinnerung, wirken sich aber auch<br />

auf das Denken, das Zukunftsbild, <strong>den</strong> Bewusstseinszustand <strong>und</strong> die bewussten<br />

Intentionen o<strong>der</strong> Handlungen aus. Bíró sagt dazu, dass <strong>der</strong> Intellekt zu verfallen<br />

beginnt. 116 PatientInnen löschen einen Teil ihres Intellektes dadurch, dass sie<br />

unangenehme Ereignisse aus ihrem Bewusstsein löschen. Dieser verän<strong>der</strong>te<br />

Bewusstseinszustand hin<strong>der</strong>t die Heilung des traumatisierten Menschen: Indem man alle<br />

Situationen, die an das Trauma erinnern, meidet, wird das traumatische Erlebnis vom<br />

gewohnten Bewusstsein ferngehalten, <strong>und</strong> jede Situation, die Zukunftsplanung <strong>und</strong><br />

Risiken beinhaltet, wird gemie<strong>den</strong>. So bleibt <strong>der</strong> Weg <strong>der</strong> Entwicklung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Heilung<br />

versperrt, <strong>und</strong> die Möglichkeit <strong>der</strong> erfolgreichen Bewältigung des Traumas entfällt.<br />

Traumata wirken sich auf die Persönlichkeit, auf das Ich aus <strong>und</strong> berühren das<br />

Individuum auf allen seelischen, körperlichen, hormonellen <strong>und</strong> nervösen Ebenen. Es<br />

stellt sich die Frage, wie die Kirche so auftreten kann, dass sie die scheinbar verlorene<br />

Situation meistert, aufbauend wirkt <strong>und</strong> zum Weitermachen ermutigt. Dazu gehört auch,<br />

dass das traumatische Ereignis nicht schicksalshaft wird, son<strong>der</strong>n die Persönlichkeit des<br />

Individuums bereichert <strong>und</strong> sie durch das Erlebte einzigartig macht. 117<br />

115 LESSING, A Small Personal Voice, 89.<br />

116 BÍRÓ, Életünk válsághelyzetei, 47.<br />

117 Vgl. WIGGER / MURKEN / MAERCKER, Positive <strong>und</strong> negative Aspekte religiösen Copings im<br />

Trauerprozess, 118-125.<br />

49


Ursachen <strong>für</strong> <strong>den</strong> Stress<br />

I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

Drei Tage nach <strong>der</strong> Flutkatastrophe war ich als Freiwilliger des Malteser Hilfsdienstes<br />

in Felsőzsolca <strong>und</strong> besuchte Häuser <strong>und</strong> Familien, um in Not geratenen Menschen zu<br />

helfen. Dort wurde ich mit verschie<strong>den</strong>en Reaktionen konfrontiert. Es gab Menschen,<br />

die bereits HandwerkerInnen aus an<strong>der</strong>en Siedlungen geholt <strong>und</strong> nicht nur mit dem<br />

Wie<strong>der</strong>aufbau begonnen hatten, son<strong>der</strong>n fast schon fertig waren. Es gab aber auch<br />

Betroffene, die nach <strong>den</strong> Ereignissen nur schlafen konnten, <strong>und</strong> wenn sie aufwachten,<br />

sofort zur Flasche griffen, um wie<strong>der</strong> schlafen zu können, da das Unwetter ihre Häuser<br />

ungemein beschädigt hatte. 118<br />

Die eigene Kontrollfähigkeit ist natürlicher Bestandteil <strong>der</strong> Anpassungsfähigkeit, das<br />

heißt, ohne äußere Störeinflüsse brauchen Betroffene keine Hilfe, da ihre Anpassungs-<br />

bzw. Kontrollfähigkeit zum Umgang mit Stress ausreicht. Es hängt also davon ab,<br />

inwieweit diese Kontrollfähigkeit begrenzt ist, um Stress verarbeiten zu können. 119<br />

Fühlt man sich in <strong>der</strong> Lage, Probleme bewältigen zu können, weil man über effiziente<br />

Konfliktlösungsmechanismen verfügt <strong>und</strong> <strong>den</strong> Ausgang <strong>der</strong> Ereignisse kontrollieren<br />

kann, wer<strong>den</strong> situationsbezogene adäquate Verhaltensweisen gef<strong>und</strong>en. Ist man nicht in<br />

<strong>der</strong> Lage, <strong>den</strong> Ausgang <strong>der</strong> Ereignisse zu kontrollieren, stellt sich starke Verunsicherung<br />

ein, <strong>und</strong> die Wahrscheinlichkeit <strong>der</strong> effizienten Problemlösung sinkt. In solchen<br />

Situationen kann es zur fatalen Einstellung kommen, dass sich das Individuum <strong>der</strong><br />

Kontrollmöglichkeit versagt lässt <strong>und</strong> die Ereignisse daher sich selbst überlässt, so dass<br />

das „Schicksal“ seinen Lauf nimmt.<br />

Die Kontrollfähigkeit ist bei <strong>der</strong> Stressbewältigung nicht nur auf individueller Ebene<br />

bestimmend. Der Erfolg o<strong>der</strong> Misserfolg <strong>der</strong> Anpassungsfähigkeit hängt auch vom<br />

Repertoire an Konfliktlösungsstrategien einer Gesellschaft ab, also welche<br />

gesellschaftlichen Normen eine effiziente Konfliktlösung för<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> behin<strong>der</strong>n. Auch<br />

hier ist die Rolle <strong>der</strong> Religion, auch empirisch nachgewiesen, ausschlaggebend 120 .<br />

Der Ausgangspunkt von Pearlin ist, dass stress-verursachende Faktoren nicht im<br />

luftleeren Raum, son<strong>der</strong>n innerhalb einer Gesellschaft liegen, deshalb bestimmen<br />

118 Aus meiner persönlichen Erfahrung.<br />

119 Vgl. PIKÓ, A szabadidős fizikai aktivitás felmérése populáció-vizsgálatokban, 5.<br />

120 Vgl. Das Interview von Margit SCHLESINGER-STOLL: Lehrt Not beten?, 54-55.<br />

50


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

gesellschaftliche Strukturen unsere Stressreaktionen. Dieser strukturelle Kontext<br />

schreibt entsprechend <strong>den</strong> gesellschaftlichen Rollen bestimmte Verhaltensmuster vor. 121<br />

Thomas Holmes <strong>und</strong> Richard Rahe haben 1967 eine Skala mit Lebensereignissen<br />

erstellt, <strong>den</strong>en Testpersonen eine bestimmte Punktzahl zuordnen sollten. 122 Dennoch<br />

erweist sich eine objektive Darstellung gerade aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> subjektiven Komponente<br />

als sehr schwierig.<br />

Hier ist die Tabelle:<br />

Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Lebenslage<br />

Punkt<br />

wert<br />

Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Lebenslage<br />

Tod des/r Ehepartners/in 100 Kin<strong>der</strong> ziehen aus 29<br />

Scheidung 73<br />

Vom/von <strong>der</strong> EhepartnerIn<br />

getrenntes Leben<br />

65<br />

Kontroversen mit dem<br />

Schwiegervater, mit <strong>der</strong><br />

Schwiegermutter<br />

Außeror<strong>den</strong>tlicher persönlicher<br />

Erfolg<br />

Gefängnisstrafe 63 EhepartnerIn beginnt zu arbeiten /<br />

geht in Pension<br />

Körperliche Verletzung o<strong>der</strong><br />

Krankheit<br />

53 Studienbeginn<br />

Eheschließung 50 Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Lebensumstände 25<br />

Entlassung vom Arbeitsplatz 47 Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Gewohnheiten 24<br />

Pensionierung 45 Streit mit dem/r ChefIn 23<br />

Versöhnung mit dem/r EhepartnerIn 45 Än<strong>der</strong>ung in <strong>der</strong> Arbeitszeit o<strong>der</strong> in<br />

<strong>den</strong> Arbeitsumstän<strong>den</strong><br />

20<br />

Erkrankung eines Familienmitglieds 44 Umzug 20<br />

Schwangerschaft 40 Schulwechsel 20<br />

Neues Mitglied in <strong>der</strong> Familie 39 Än<strong>der</strong>ung im Glaubensleben 19<br />

Start eines Unternehmens 39 Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> gemeinschaftlichen<br />

Tätigkeiten<br />

18<br />

Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Finanzlage 38 Aufnahme eines kleineren Kredites 17<br />

Punkt<br />

121<br />

Vgl. PEARLIN, The Sociological Study of Stress, 241-256.<br />

122<br />

Vgl. HOLMES / RAHE: Social Readjustment Rating Scale (SRRS), in:<br />

http://www.pdfdownload.org/pdf2html/pdf2html.php?url=http%3A%2F%2Fuserpage.fuberlin.de%2F~balloff%2Faltesemester%2FbegutachtungWS0708%2Freferate%2FSRRS.pdf&images=ye<br />

s [abgerufen am 02.03.2011].<br />

29<br />

28<br />

26<br />

26<br />

wert<br />

51


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

Tod eines/r nahen Fre<strong>und</strong>es/in 37 Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Schlafgewohnheiten 16<br />

Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Beschäftigung 36 Geän<strong>der</strong>te Häufigkeit <strong>der</strong><br />

Familientreffen<br />

15<br />

Häufiger Streit in <strong>der</strong> Familie 35 Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Essgewohnheiten 15<br />

Verschuldung 31 Urlaub 13<br />

Kreditsperre 30 Weihnachtsvorbereitungen 12<br />

Neue Stelle 29 Regelverstoß 11<br />

Der offensichtlich am meisten <strong>und</strong> gleichzeitig viele Menschen betreffende Stress ist<br />

<strong>der</strong> Umweltstress. Im sozialen Umfeld ergibt <strong>der</strong> Werteverlust, die Ziellosigkeit <strong>und</strong> das<br />

Erleben <strong>der</strong> Sinnlosigkeit des Lebens <strong>für</strong> das Individuum eine gefährliche, auswegslose<br />

Situation. Die Kriminalität steigt ständig, soziale Devianzen wer<strong>den</strong> verstärkt, das<br />

rechtskonforme Verhalten sinkt, immer mehr Menschen geraten in ausweglose<br />

Situationen. Gravierende Krankheiten, Unfälle, Feuergefahren, Gewaltakte, natürliche<br />

<strong>und</strong> industrielle Katastrophen, Kriege – dies sind die so genannten traumatischen<br />

Erlebnisse, welche jenseits <strong>der</strong> gewöhnlichen Grenzen menschlicher Erfahrungen<br />

liegen. Es sind Ereignisse, die in ihrer Stärke <strong>und</strong> Folgewirkung <strong>für</strong> das Individuum <strong>und</strong><br />

sein/ihr Umfeld <strong>den</strong> Charakteristika <strong>der</strong> Gefahrenlage entsprechen. Ähnlich <strong>den</strong><br />

Lebensereignissen tauchen auch die Än<strong>der</strong>ungen in <strong>den</strong> Rollenerwartungen o<strong>der</strong> <strong>den</strong><br />

gesellschaftlichen Rollen nicht immer als Stress auf, son<strong>der</strong>n nur in als bedrohlich o<strong>der</strong><br />

problematisch erachteten Fällen. Die Fachliteratur sagt hierzu, dass die Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

Rollen zumeist als Rollenkonflikt erlebt wird. Der Gr<strong>und</strong> da<strong>für</strong> liegt darin, dass unsere<br />

sozialen Rollen als Teile unseres Gewohnheitssystems zeitlich meistens stabil<br />

erschienen, <strong>den</strong>n gerade sie geben uns ein Gefühl <strong>der</strong> Sicherheit in <strong>der</strong> sich ständig<br />

än<strong>der</strong>n<strong>den</strong> sozialen Wirklichkeit. 123 Hier sollte erwähnt wer<strong>den</strong>, dass das Stresspunkt-<br />

Wertesystem <strong>der</strong> Lebensereignisse je nach Gesellschaft <strong>und</strong> Zeit variieren. Vor<br />

Jahrh<strong>und</strong>erten, als z.B. die Säuglingssterblichkeit fast in je<strong>der</strong> zweiten o<strong>der</strong> dritten<br />

Familie spürbar war, hatte sie einen deutlich geringeren Stresspunkt-Wert als heute –<br />

<strong>und</strong> selbst dieser Prozess än<strong>der</strong>t sich je nach Kultur <strong>und</strong> Zeit ständig.<br />

Traumata können aber nicht nur seelische, son<strong>der</strong>n auch physikalische Folgen haben. So<br />

berichtet Ulrich Sachsse, dass sich infolge von traumatisieren<strong>den</strong> Ereignissen Teile des<br />

123 Vgl. PEARLIN, Role Strain and Personal Stress, 3-32.<br />

52


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

Gehirns verän<strong>der</strong>n. Der Hippocampus schrumft über lange Zeit. Wenn das<br />

Traumaereignis vorbei ist, kann ein Wachstum des Hippocampus festgestellt wer<strong>den</strong>. 124<br />

Posttraumatische Belastungsstörung<br />

„Eine posttraumatische Belastungsstörung entsteht als eine verzögerte o<strong>der</strong> protrahierte<br />

Reaktion auf ein belastendes Ereignis o<strong>der</strong> eine Situation kürzerer o<strong>der</strong> längerer Dauer<br />

mit außergewöhnlicher Bedrohung o<strong>der</strong> katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast<br />

jedem/r eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren wie<br />

bestimmte, z.B. zwanghafte o<strong>der</strong> asthenische Persönlichkeitszüge o<strong>der</strong> neurotische<br />

Krankheiten in <strong>der</strong> Vorgeschichte können die Schwelle <strong>für</strong> die Entwicklung dieses<br />

Syndroms senken <strong>und</strong> seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind<br />

we<strong>der</strong> notwendig noch ausreichend, um das Auftreten <strong>der</strong> Störung zu erklären. Typische<br />

Merkmale sind das wie<strong>der</strong>holte Erleben des Traumas in sich aufdrängen<strong>den</strong><br />

Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen o<strong>der</strong> Albträumen, die vor<br />

dem Hintergr<strong>und</strong> eines andauern<strong>den</strong> Gefühls von Betäubtsein <strong>und</strong> emotionaler<br />

Stumpfheit auftreten. Ferner fin<strong>den</strong> sich Gleichgültigkeit gegenüber an<strong>der</strong>en Menschen,<br />

Teilnahmslosigkeit <strong>der</strong> Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von<br />

Aktivitäten <strong>und</strong> Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten.<br />

Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer<br />

übermäßigen Schreckhaftigkeit <strong>und</strong> Schlafstörung auf. Angst <strong>und</strong> Depression sind<br />

häufig mit <strong>den</strong> genannten Symptomen <strong>und</strong> Merkmalen assoziiert <strong>und</strong> Suizidgedanken<br />

sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen<br />

bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in <strong>der</strong> Mehrzahl <strong>der</strong> Fälle kann<br />

jedoch eine Heilung erwartet wer<strong>den</strong>. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele<br />

Jahre einen chronischen Verlauf <strong>und</strong> geht dann in eine andauernde<br />

Persönlichkeitsän<strong>der</strong>ung (F62.0) über.” 125<br />

124 Vgl. KIESSLING, Wenn das geknickte Rohr zu brechen…, 100.<br />

125 http://www.icd-code.de/icd/code/F43.1.html [abgerufen am 30.09.2010].<br />

53


3.3. Coping-Strategien<br />

I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

Die Tätigkeit, die das Individuum bemüht, um sich dem/r StressorIn zu wi<strong>der</strong>setzen,<br />

wird als Bewältigung o<strong>der</strong> Coping bezeichnet. Laut Lazarus <strong>und</strong> Folkman 1984 gibt<br />

es zwei Arten dieser Bewältigungsstrategien 126 :<br />

- Problemorientiertes Coping: Bei diesem Verhalten fokussiert das Individuum auf<br />

das spezielle Problem <strong>und</strong> ist bemüht, es in Zukunft zu vermei<strong>den</strong> o<strong>der</strong> zu än<strong>der</strong>n.<br />

Menschen, die diese Strategie anwen<strong>den</strong>, lei<strong>den</strong> weniger an stressverursachten<br />

Krankheiten. Bedauerlicherweise können Opfer von Katastrophen (aufgr<strong>und</strong> ihrer<br />

Beson<strong>der</strong>heit, Unvorhersehbarkeit <strong>und</strong> Unerwartetheit) diese Art <strong>der</strong> Bewältigung<br />

nicht wählen, daher brauchen sie psychologische Hilfestellung.<br />

- Emotionsorientiertes Coping: Bei dieser Strategie ist <strong>der</strong>/die Betroffene bemüht,<br />

emotionale Reaktionen in Verbindung mit Stresssituationen abzubauen. Diese<br />

Strategie wird oft in Katastrophensituationen <strong>und</strong> beim Eintreffen unerwarteter<br />

Ereignisse angewandt. Moos 1988 teilt diese Art <strong>der</strong> Bekämpfung in<br />

- Verhaltensstrategien: Das Ziel ist hier die Ablenkung <strong>der</strong> Aufmerksamkeit vom<br />

Problem etwa durch körperliche Bewegung, Gesellschaft o<strong>der</strong> Drogenkonsum<br />

<strong>und</strong><br />

- Kognitive Strategien: Hierher gehören Aktivitäten zum temporären<br />

Beiseitelegen des Problems. 127<br />

Die rezente Copingforschung verweist auch auf eine dritte Gruppe von Strategien:<br />

-Sinnorientiertes Coping: „Park <strong>und</strong> Folkman beschreiben Sinn <strong>und</strong> Sinnfindung im<br />

Kontext <strong>der</strong> Stress- <strong>und</strong> Copingforschung als eine allgemeine Lebensorientierung,<br />

bei <strong>der</strong> persönliche Bedeutsamkeit <strong>und</strong> Kausalität eine wichtige Rolle spielen. Die<br />

AutorInnen unterschie<strong>den</strong> dabei zwischen globaler Sinnhaftigkeit, die gr<strong>und</strong>legende<br />

Annahmen <strong>und</strong> Überzeugungen einer Person umfasst, sowie gr<strong>und</strong>legen<strong>den</strong> Zielen,<br />

die daraus abgeleitet wer<strong>den</strong>, <strong>und</strong> zwischen situationsbezogener Sinnhaftigkeit, die<br />

sich primär auf die Interaktion zwischen einer Person <strong>und</strong> <strong>der</strong> Umwelt bezieht.<br />

Entsprechend fin<strong>den</strong> sinnorientierte Copingstrategien wie die positive<br />

Neubewertung einer Situation, die Revision bisheriger Zielsetzungen, religiöse<br />

126 http://pszicho.btk.ppke.hu/diakelet/segedanyagok/bortonpszi/acoping.doc [abgerufen am 30.09.2010].<br />

127 http://www.magyarpedagogia.hu/document/Margitics-Pauwlik_MP1061.pdf [abgerufen am<br />

30.09.2010].<br />

54


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

Glaubensvorstellungen <strong>und</strong> Spiritualität als sinngebende adaptive<br />

Bewältigungsstrategien in <strong>der</strong> von Folkman modifizierten transaktionalen Stress-<br />

<strong>und</strong> Copingtheorie von Lazarus <strong>und</strong> Folkman Berücksichtigung.“ 128<br />

Unter diesen gibt es adaptive Strategien, aber auch solche, die das Stressausmaß<br />

erheblich erhöhen, z.B. ernste Alkoholprobleme (da diese Strategie in Ungarn sehr<br />

verbreitet ist, ist die Erteilung des Spirituosenverbots in Krisen- <strong>und</strong><br />

Katastrophengebieten eine <strong>der</strong> ersten Maßnahmen).<br />

Nolen <strong>und</strong> Hoeksema 129 beschreiben 1991 drei Arten emotionsorientierter<br />

Strategien, <strong>und</strong> zwar die<br />

- Grübelnde Strategie: Das Individuum zieht sich zurück <strong>und</strong> grübelt darüber<br />

nach, wie schlecht er/sie sich fühlt.<br />

- Ablenkungsstrategie: In so einem Fall flüchtet das Individuum in eine<br />

angenehme, stärkende Tätigkeit (Sport, Arbeit, Spielen mit <strong>den</strong> Kin<strong>der</strong>n), um das<br />

Gefühl <strong>der</strong> Situationskontrolle zu stärken.<br />

- Negative Meidungsstrategie: Auch diese lenkt die Aufmerksamkeit vom/von<br />

<strong>der</strong> StressorIn ab, allerdings mittels gefährlicher Dinge wie Alkoholsucht,<br />

selbstgefähr<strong>den</strong>dem Verhalten o<strong>der</strong> Aggressivität.<br />

Untersuchungen haben gezeigt, dass die grübeln<strong>den</strong> <strong>und</strong> mei<strong>den</strong><strong>den</strong> Strategien die<br />

bedrückte Stimmung nur verschlechtern, während bei <strong>der</strong> Ablenkung die<br />

Bedrücktheit schwindet. 130 In einer Gefahrensituation ist man bemüht, die Situation<br />

durch das Lösen des Problems zu än<strong>der</strong>n. Man ist bemüht, Reaktionen besser zu<br />

kontrollieren <strong>und</strong> negative psychische Wirkungen wie Spannung o<strong>der</strong> Angst zu<br />

senken, innere Destabilisierung zu vermei<strong>den</strong> <strong>und</strong> das Gleichgewicht<br />

schnellstmöglich wie<strong>der</strong>herzustellen. Dies kann auf drei Weisen erfolgen:<br />

- Toleranz (Ertragen) richtet sich auf das Aushalten <strong>der</strong> Gefahrensituation,<br />

z.B. wenn sie schnell vorbei ist.<br />

- Resignation (Annahme) ist auch eine passive Verhaltensform, aufgr<strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Ausweglosigkeit lohnt es sich <strong>für</strong> <strong>den</strong>/die Betroffene/n nicht, etwas zu<br />

unternehmen.<br />

128 DIEGELMANN / ISERMANN, Ressourcenorientierte Psychoonkologie: Psyche <strong>und</strong> Körper, 128.<br />

129 Vgl. ATKINSON, u.a., Pszichológia, 442.<br />

130 Vgl. ebda.<br />

55


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

- Kontrolle als ein aktives Handeln, das bemüht ist, die Gefahr o<strong>der</strong><br />

schädliche Wirkungen zu minimieren <strong>und</strong> die drohende Situation zu<br />

beherrschen.<br />

Kontrolle ist durch die Aktivierung von drei Mechanismen möglich. Zwischen ihnen<br />

besteht eine Bewältigungshierarchie. Das Scheitern <strong>der</strong> einen Strategie aktiviert<br />

dabei die jeweils nächste Stufe.<br />

- Kognitive Mechanismen (Erkenntnis, Reflexion, Planen, Handeln) kommen zum<br />

Zug, wenn die Gefahr nicht zu groß ist <strong>und</strong> es keinen Anpassungszwang gibt.<br />

Typische Beispiele da<strong>für</strong> wären konzentriertes Sammeln von Information über die<br />

Gefahr, das Treffen von Schutzmaßnahmen <strong>für</strong> die persönliche <strong>und</strong> materielle<br />

Sicherheit, das Ausschließen stören<strong>der</strong>, begleiten<strong>der</strong> Probleme, autosuggestive<br />

Steigerung <strong>der</strong> eigenen Kraft, Fokussieren auf die Gefahr usw. Wenn diese zu<br />

keinem Erfolg führen, dann treten folgende Mechanismen in Kraft:<br />

- Verdrängung, Verleumdung, Projektion. Sie verhin<strong>der</strong>n das Dekompensieren<br />

<strong>der</strong> drohen<strong>den</strong> Angst. Die Spannung wird nicht auf eine entsprechende Art <strong>und</strong><br />

Weise verarbeitet, son<strong>der</strong>n umgewertet o<strong>der</strong> verdreht, etwa durch ein Kopf-in-<br />

<strong>den</strong>-Sand-Stecken, blindes Vertrauen (die Behör<strong>den</strong> lösen das sowieso, sie holen<br />

uns da raus) o<strong>der</strong> die Sün<strong>den</strong>bock-Suche (Angriff des/r Verantwortlichen). Wenn<br />

die Gefahr zu schnell entsteht o<strong>der</strong> zu groß ist, dann beginnt folgen<strong>der</strong><br />

Mechanismus zu wirken:<br />

- Emotionale Reaktion. Neurotische Abwehrmechanismen scheitern, das<br />

Verhalten wird eine Ebene primitiver, instinktiv, emotional, damit das<br />

Individuum irgendwo eine Stabilität auf niedrigerer Stufe findet (Regression).<br />

Dazu zählen z.B. panikartige Flucht <strong>und</strong> sich tot stellen (v.a. in<br />

Kriegssituationen) 131 . Diese individuellen Reaktionsmöglichkeiten gibt es auch<br />

auf gesellschaftlicher Ebene.<br />

Trifft man auf eine bedrohliche Situation, entscheidet man zuerst, ob sie schädlich<br />

o<strong>der</strong> nützlich ist. Lazarus nennt dies primäre Bewertung 132 . Erachtet das Individuum<br />

eine Situation als schädlich, beginnt es, Strategien in seinem/ihrem Repertoire zu<br />

suchen, um entschei<strong>den</strong> zu können, ob es das Problem bewältigen kann (sek<strong>und</strong>äre<br />

131<br />

http://ktnye.akti.hu/index.php/Kr%C3%ADziskommunik%C3%A1ci%C3%B3 [abgerufen am<br />

16.06.2011].<br />

132<br />

http://193.224.76.4/download/konyvtar/digitgy/publikacio/Kirady.pdf [abgerufen am 01.10.2010].<br />

56


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

Bewertung). Dies ist auch <strong>der</strong> Fall, <strong>der</strong> zu einer Krise führt. Hier treffen sich die<br />

Begriffe <strong>der</strong> Krise <strong>und</strong> des Coping <strong>und</strong> verknüpfen sich stark auch in <strong>der</strong><br />

Katastrophenpsychologie.<br />

Gemäß <strong>der</strong> kognitiven, transaktionistischen Auffassung können alle kognitiven o<strong>der</strong><br />

verhaltensmäßigen Bemühungen als Bewältigung erachtet wer<strong>den</strong>, mit <strong>den</strong>en das<br />

Individuum stören<strong>den</strong> Faktoren zu begegnen sucht, die aus seiner/ihrer Sicht<br />

seine/ihren aktuellen persönlichen Ressourcen übersteigen. Jedes zielgerichtete<br />

Verhalten – unabhängig von seinem Erfolg – kann als Bewältigung erachtet wer<strong>den</strong>.<br />

Also führt nicht jede Bewältigungssituation zur Krise, son<strong>der</strong>n nur diejenigen, die<br />

keinen Erfolg tragen <strong>und</strong> daher als ineffizient eingestuft wer<strong>den</strong> müssen.<br />

Kognitive Persönlichkeitszüge, die zur Stärkung <strong>der</strong> individuellen<br />

Bewältigungseffizienz beitragen, wer<strong>den</strong> als kognitives Potenzial bezeichnet. Diese<br />

Dimensionen prägen die Effizienz <strong>der</strong> Bewältigung. Folgende<br />

Persönlichkeitsmerkmale können als Coping-Potenziale erachtet wer<strong>den</strong>:<br />

1. Kontrollfähigkeit,<br />

2. erlernte Raffinesse,<br />

3. seelische Stärke,<br />

4. Optimismus,<br />

5. Kohärenzgefühl,<br />

6. Selbstbewusstsein,<br />

7. Hoffnungsfähigkeit <strong>und</strong><br />

8. Selbsteffizienzgefühl. 133<br />

Diese acht Coping-Potenziale definierten Oláh <strong>und</strong> seine KollegInnen 134 als<br />

„psychologisches Immunsystem“ <strong>und</strong> interpretieren es als individuelle<br />

Stresswi<strong>der</strong>standsfähigkeit <strong>und</strong> Garantie <strong>für</strong> die Effizienz des Coping. Diese<br />

Eigenschaften sind aber nicht angeboren, son<strong>der</strong>n entwickeln sich im Laufe des<br />

Sozialisierungsprozesses. 135<br />

133 http://hawk.hu/kozokt/sites/default/files/IFJPSZICH0317.ppt#22 [abgerufen am 01.10.2010].<br />

<strong>und</strong> Vgl. BENN, S. I., WEINSTEIN, W. L., Being free to act and being a free man, in:<br />

http://philpapers.org/browse/theories-of-free-will [abgerufen am 14.11.2010].<br />

134 Vgl. OLÁH, Az éntudtosság fogalma és mikéntje, 1-18.<br />

135 Vgl. OLÁH, Az éntudtosság fogalma és mikéntje, 1-18.<br />

57


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

Hilfe benötigen wir bewusst o<strong>der</strong> unbewusst, wenn wir nicht einmal in <strong>der</strong> Lage sind,<br />

die Entstehung <strong>der</strong> Reaktionen auf <strong>den</strong> Stress zu verhin<strong>der</strong>n. Aber auch in so einem Fall<br />

können wir viel gegen die Entstehung schädlicher Ges<strong>und</strong>heitsfolgen tun. Gemeint ist<br />

hier, Stressprozesse „in Zaum zu halten“ <strong>und</strong> ständig zu kontrollieren. 136 Die Qualität<br />

<strong>der</strong> sozialen Beziehungen <strong>und</strong> die soziale Unterstützung sind in jedem Abschnitt <strong>der</strong><br />

Stressbewältigung <strong>und</strong> in je<strong>der</strong> Gesellschaftsform von gr<strong>und</strong>legen<strong>der</strong> Bedeutung. 137 Die<br />

sozialen Arten <strong>der</strong> Konfliktlösung können gerade durch die Steigerung des<br />

Stabilitätsgefühls Stressfolgen neutralisieren <strong>und</strong> bereiten Gruppen auf eine<br />

Interessensvertretung vor. 138<br />

Die Chancenungleichheit <strong>der</strong> Antworten auf <strong>den</strong> Stress kann am besten mit einem<br />

Begriff definiert wer<strong>den</strong>, <strong>den</strong> Benn <strong>und</strong> Weinstein als ‚positive Freiheit‘ bezeichnen. 139<br />

Die positive Freiheit ist die Freiheit <strong>der</strong> Wahl. Die Verbesserung <strong>der</strong> Chancengleichheit<br />

bedeutet nicht nur <strong>und</strong> ausschließlich eine Gleichstellung in finanziellen Dingen,<br />

son<strong>der</strong>n die Respektierung <strong>der</strong> Persönlichkeit <strong>und</strong> <strong>der</strong> allgemeinen Lebensumstände von<br />

Individuen aus verschie<strong>den</strong>en sozialen Schichten, die Entwicklung <strong>der</strong><br />

Stressmanagement- <strong>und</strong> Konfliktlösungsfähigkeiten sowie <strong>der</strong> Kommunikations- <strong>und</strong><br />

Verhaltenskultur. Die Freiheit <strong>der</strong> Wahl beinhaltet auch die richtige Abwägung <strong>der</strong><br />

Lebensbedingungen, die richtige Interpretation <strong>der</strong> Konflikte, sowie die Verantwortung<br />

des Neubeginns <strong>und</strong> <strong>der</strong> Entscheidungen. Es steht auch hier außer Frage, dass die<br />

Religion bei <strong>der</strong> Bewältigung von schicksalshaften Ereignissen eine tragende Rolle<br />

spielt. Sabine Wigger, Sebastian Murken <strong>und</strong> Andreas Maercker führen die Begriffe<br />

„positives <strong>und</strong> negatives religiöses Coping“ an <strong>und</strong> definieren sie wie folgt:<br />

„Während sich positives religiöses Coping durch eine positive Beziehung zu Gott sowie<br />

Gefühle <strong>der</strong> Verb<strong>und</strong>enheit <strong>und</strong> das Fin<strong>den</strong> von Sinn im Leben auszeichnet, zeigt sich<br />

in negativen religiösen Copingmustern eine unsichere Beziehung zu Gott, <strong>der</strong> dann oft<br />

richtend <strong>und</strong> strafend wahrgenommen wird. Negatives religiöses Coping ist oft<br />

136<br />

Vgl. PEARLIN / SCHOOLER, The Structure of Coping, 2-21.<br />

137<br />

Vgl. PIKÓ / PICZI, Az elégedettség és az elégedetlenség szociológiai vizsgálata a nővéri hivatásban,<br />

728-734.<br />

138<br />

Vgl. TURNER, Direct, Indirect and Mo<strong>der</strong>ating Effects of Social Support on Psychological Distress and<br />

Associated Conditions, 105-155.<br />

139<br />

Vgl. BENN / WEINSTEIN, Being free to act and being a free man, 121-136.<br />

58


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

verb<strong>und</strong>en mit (religiösem) Zweifeln <strong>und</strong> Ha<strong>der</strong>n in Bezug auf das eigene Schicksal <strong>und</strong><br />

eine manchmal verzweifelte Suche nach Sinn <strong>und</strong> Bedeutung des Lebens.« 140<br />

Eine Fülle von Untersuchungen untermauern <strong>den</strong> Zusammenhang zwischen Religion<br />

<strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit 141 .<br />

Von <strong>den</strong> sozialen Kontakten zur sozialen Unterstützung<br />

Infolge <strong>der</strong> bereits angesprochenen Flutkatastrophe wurde eine ungarnweite<br />

Sammelaktion gestartet. Alle wollten helfen, aber auch die NachbarInnen haben<br />

einan<strong>der</strong> informiert, wenn es irgendwo einen neuen Güterverteilungspunkt gab, sie<br />

kochten <strong>für</strong>einan<strong>der</strong> <strong>und</strong> gaben <strong>den</strong>jenigen, <strong>der</strong>en Häuser infolge <strong>der</strong> Katastrophe<br />

unbewohnbar gewor<strong>den</strong> waren, Obdach. Die politische Gemeinde hat aber nicht<br />

geholfen. Auch sie hatte Probleme <strong>und</strong> konnte ihre Funktion nicht ausüben, wodurch<br />

sich in <strong>den</strong> Menschen große Spannungen gebildet haben.<br />

Skrabski <strong>und</strong> Kopp sehen die Frage, ob das Individuum sich in einer schwierigen<br />

Situation auf an<strong>der</strong>e verlassen kann, als ein wichtiges Moment des Sozialkapitals. 142 Die<br />

Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> gegenseitigen Hilfe ist aber das Vertrauen. Eine feindselige Haltung<br />

senkt die Kraft <strong>der</strong> sozialen Kohäsion.<br />

Empirische Forschung war erst in <strong>der</strong> zweiten Hälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts so weit, dass<br />

sie die Beziehung zwischen <strong>der</strong> sozialen Unterstützung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heit mit<br />

wissenschaftlichen Mitteln untersuchen konnte. Seit jener Zeit haben<br />

psychophysiologische Untersuchungen aber bestätigt, dass helfende soziale<br />

Interaktionen <strong>und</strong> Gemeinschaft wichtige biochemische Prozesse im Organismus<br />

hervorrufen. Das wären etwa die Steigerung des Pegels <strong>der</strong> Wachstumshormone o<strong>der</strong><br />

das Senken <strong>der</strong> Katekolamine, die <strong>für</strong> die sympathische Aktivität zuständig sind.<br />

Bestimmte Neuropeptide entfalten ihre Wirkung im Prozess <strong>der</strong> Gesellschaftsfähigkeit<br />

140<br />

WIGGER / MURKEN / MAERCKER, Positive <strong>und</strong> negative Aspekte religiösen Copings im Trauerprozess,<br />

120.<br />

141<br />

Vgl. GROSSART-MATICEK, Formen <strong>der</strong> Religiosität <strong>und</strong> ihre Auswirkung auf Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong><br />

Kreativität. Einige Ergebnisse aus <strong>den</strong> Heidelberger prospektiven Interventionsstudien. 313-331.; JAE-<br />

LEE, Mo<strong>der</strong>ating Effects of Spiritual/Religious Coping in the Relation Between Percieved Stress and<br />

Psychological Well-Being, 759; LADENHAUF / UNTERRAINER: Religiosität <strong>und</strong> Spiritualität im<br />

Krankheitsprozess. Ergebnisse aus einem interdisziplinären Forschungsprojekt von empirischer<br />

Religionspsychologie <strong>und</strong> Pastoralpsychologie, 163 – 188.<br />

142<br />

Vgl. STRABSKI / KOPP, Társadalmi beállítottság, társadalmi tőke, in: Szabadvég, 128-146.<br />

59


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

bzw. spielen sie eine Rolle bei <strong>der</strong> Neutralisierung <strong>der</strong> immunschädlichen Wirkungen<br />

<strong>der</strong> sozialen Deprivation <strong>und</strong> Einsamkeit.<br />

Die erste soziologische Untersuchung, die noch am Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

durchgeführt wurde, untersuchte <strong>den</strong> Zusammenhang zwischen sozialer Integration <strong>und</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heit. Es handelt sich um das auf einer statistischen Datenanalyse beruhende<br />

Werk von Durkheim mit dem Titel „Selbstmord“ 143 . Durkheim stellt darin fest, dass<br />

Selbstmord in erster Linie ein soziales Phänomen ist, weshalb seine Charakteristika<br />

auch am adäquatesten mittels soziologischer Analysen ermittelt wer<strong>den</strong> können. Auf<br />

makrosozialer Ebene wie auch unter kleinen Gruppen fand er einen Zusammenhang<br />

zwischen dem Grad <strong>der</strong> sozialen Integration <strong>und</strong> <strong>der</strong> Selbstmordhäufigkeit: Je stärker<br />

eine Gesellschaft bzw. eine gesellschaftliche Gruppe das Individuum integriert, umso<br />

weniger wird es geneigt sein, Selbstmord zu begehen. Die soziale Integration wirkt sich<br />

auch auf <strong>den</strong> Lebenswillen aus.<br />

Theorien zur Erklärung <strong>der</strong> sozialen Unterstützung<br />

Die Gesellschaft ist im Durkheimschen Sinne ein kollektives Wesen, das mit seinen<br />

Normen, Traditionen <strong>und</strong> Rollenerwartungen Individuen integriert. Soziale Kontakte<br />

können wir aber nie ganz richtig verstehen, wenn wir nicht von <strong>der</strong> jeweiligen Kultur<br />

<strong>und</strong> <strong>den</strong> Gebräuchen einer bestimmten Gesellschaft ausgehen. In <strong>den</strong> heutigen<br />

zivilisierten Gesellschaften ist Individualisierung <strong>der</strong>jenige Leitbegriff, <strong>der</strong><br />

Selbstverwirklichung, Geltungsdrang <strong>und</strong> Autonomiebestreben <strong>der</strong> Einzelnen betont.<br />

Parallel dazu bestimmt die individuelle I<strong>den</strong>tität das Gleichheitsbewusstsein, während<br />

die kollektive I<strong>den</strong>tität sich dem unterordnet. Mit dem Raumgewinn <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne haben<br />

wir allmählich <strong>den</strong> Schutz <strong>der</strong> Gemeinschaft eingebüßt <strong>und</strong> so wur<strong>den</strong> Entfremdung,<br />

Einsamkeit <strong>und</strong> Isolierung zum Symbol <strong>der</strong> technisierten Gesellschaft. All diese<br />

Prozesse haben die Effizienz <strong>und</strong> die Umsetzungsmöglichkeiten <strong>der</strong> sozialen<br />

Unterstützung vermin<strong>der</strong>t. Es ist die Herausfor<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Postmo<strong>der</strong>ne, dass Individuen<br />

die Vorteile <strong>der</strong> Individualisierung mit <strong>den</strong> Vorteilen <strong>der</strong> kollektiven Existenz in<br />

143 Vgl. DURKHEIM, Suicide, 12-20.<br />

60


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

Einklang bringen müssen. Charakterzüge <strong>der</strong> sozialen Beziehungen wer<strong>den</strong> von <strong>den</strong><br />

jeweiligen Strukturbeziehungen einer Gesellschaft bestimmt. 144<br />

Geht man von <strong>der</strong> Makrogesellschaft in Richtung <strong>der</strong> durch die sozialen Beziehungen<br />

<strong>der</strong> Individuen gestalteten Mikrowelt, dann müssen einige bedeutende<br />

sozialpsychologische Theorien erwähnt wer<strong>den</strong>, die dem Verständnis <strong>der</strong> sozialen<br />

Unterstützung dienen können. Eine dieser gr<strong>und</strong>legen<strong>den</strong> Erklärungen knüpft an die<br />

Attributionstheorie an. Attribution ist <strong>der</strong> Prozess, bei dem nach Motiven von eigenem<br />

o<strong>der</strong> Fremdverhalten gesucht wird, um die jeweilige Handlung zu verstehen. Bei <strong>der</strong><br />

Interpretation <strong>der</strong> sozialen Unterstützung ist die Ausgangsfrage, wem/r das vorhan<strong>den</strong>e<br />

Problem zugeschrieben wird. Brickman meint, dass zum Verstehen <strong>der</strong> sozialen<br />

Unterstützung die Beziehung zwischen HelferInnen <strong>und</strong> Hilfesuchendem sowie die<br />

gegebene Situation bzw. das gegebene Problem wichtig sind. 145 Die Hilfesuchen<strong>den</strong><br />

können am ehesten dann mit Hilfe rechnen, wenn sie nicht o<strong>der</strong> nur gering <strong>für</strong> die<br />

Entstehung einer Situation verantwortlich ist.<br />

Die Attributionstheorie kann auf die Ursachenanalysetheorie zurückgeführt wer<strong>den</strong>. In<br />

diesem Sinne sind alle bemüht, hinter <strong>den</strong> alltäglichen Geschehnissen Gründe zu fin<strong>den</strong>.<br />

Beson<strong>der</strong>s ungewöhnliche o<strong>der</strong> negative Ereignisse, die nicht in existierende kognitive<br />

Schemen passen, wecken unser Interesse. Anhand <strong>der</strong> Ursachenanalyse kann die<br />

Attribution zweierlei sein: dispositioneller Art, wo persönliche Charakterzüge von<br />

Individuen <strong>für</strong> die Situation verantwortlich gemacht wer<strong>den</strong> bzw. situationsbezogen, wo<br />

externe Faktoren als Ursachen aufscheinen. 146 Die soziale Unterstützung wird von <strong>der</strong><br />

Ursache <strong>der</strong> Entstehung einer Situation immens beeinflusst.<br />

Die an<strong>der</strong>e wichtige sozialpsychologische Erklärungstheorie ist Festingers Theorie des<br />

sozialen Vergleichs, auf <strong>der</strong> zahlreiche sozialpsychologische Phänomene basieren. Der<br />

Ausgangspunkt ist, dass die Erkenntnis <strong>der</strong> Welt <strong>für</strong> alle ein Problem darstellt, <strong>den</strong>n wir<br />

betrachten die Welt durch die Brille <strong>der</strong> Subjektivität. Um ein möglichst realitätsnahes<br />

Bild zu bekommen, müssen wir die Meinung an<strong>der</strong>er Menschen kennenlernen, die wir<br />

dann mit unserer eigenen vergleichen können. 147 Die Informationen kommen also durch<br />

eine Art von Trichter. Diese Theorie lenkt die Aufmerksamkeit darauf, dass die Person<br />

144 Vgl. UTASI, Generációváltás, öregkor és a mo<strong>der</strong>nizáció ellentmondásai, 64-75.<br />

145 Vgl. BRICKMAN / RABINOWITZ / KARUZA, Models of Helping and Coping, 368-384.<br />

146 Vgl. STEWART, Social Support. Diverse Theoretical Perspectives, 1275-1282.<br />

147 Vgl. VEBER, Social Psychology, 135.<br />

61


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

des/r Helfers/in im Prozess <strong>der</strong> sozialen Unterstützung nicht nebensächlich ist, <strong>den</strong>n sie<br />

wirkt sich auf die Konfliktlösung <strong>der</strong> Unterstützung (Coping) <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Effizienz aus.<br />

Cantor hat 1979 anhand empirischer Forschungen festgestellt, dass <strong>der</strong> Hilferuf anhand<br />

einer hierarchischen Reihenfolge passiert: Zuerst wird aus einem inneren Kreis gewählt,<br />

d.h. man erbittet o<strong>der</strong> erwartet Hilfe von <strong>den</strong>en, die einem an nächsten stehen (Eltern,<br />

Familienmitglie<strong>der</strong>). Dann wendet man sich an Fre<strong>und</strong>Innen, Verwandte <strong>und</strong><br />

KollegInnen. Wenn schließlich informelle Kontaktnetze nicht funktionieren, wer<strong>den</strong><br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> formellen Hilfeleistung gesucht, die dann <strong>den</strong> Mangel familiärer o<strong>der</strong><br />

fre<strong>und</strong>schaftlicher Unterstützung kompensieren müssen. Anstelle des hierarchisch-<br />

kompensatorischen Modells stellen Litwak <strong>und</strong> Messeri<br />

148 (1989) das sog.<br />

Problemspezifische Modell in <strong>den</strong> Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>. Nach diesem Modell ist <strong>der</strong> Charakter<br />

<strong>der</strong> erbetenen/erwarteten Hilfe von <strong>der</strong> Person des/r Helfers/in bestimmt, d.h. jedes<br />

Kontaktnetzwerk hat jeweils an<strong>der</strong>e Funktionen. Während eine notwendige Information<br />

aus einem weiteren Kreis eingeholt wer<strong>den</strong> kann, können emotionale Bestätigung <strong>und</strong><br />

Unterstützung am effizientesten aus dem engsten Kreis gewonnen wer<strong>den</strong>.<br />

Aus <strong>der</strong> Theorie des sozialen Vergleichs sind die Gleichheitstheorie <strong>und</strong> die<br />

Substitutionstheorie entstan<strong>den</strong>. Im Sinne <strong>der</strong> letzteren sind die als Resultat<br />

sozialbiologischer Erfahrungen bekannten Reziprozitätsgesetze auch <strong>für</strong> soziale<br />

Kontakte gültig. Gleichzeitig betont sie auch, dass soziale Beziehungen nicht unbedingt<br />

„gewinnbringend“ sind <strong>und</strong> selbst gutgemeinte Unterstützungen „Nettoverluste“ zur<br />

Folge haben können. 149 Eine Gr<strong>und</strong>voraussetzung ist, dass es zwischen <strong>der</strong> Form <strong>der</strong><br />

Unterstützung <strong>und</strong> unseren Bedürfnissen eine Entsprechung geben muss, d.h. wir sollten<br />

das bekommen, was wir wirklich brauchen. 150 Diese Entsprechung erstreckt sich auch<br />

auf an<strong>der</strong>e Dinge, <strong>den</strong>n das Gleichberechtigungsprinzip beruht auf Gegenseitigkeit. Wir<br />

sind in unseren sozialen Kontakten bemüht, Gleichheit zu schaffen, in ungleichen<br />

Beziehungen fühlen wir uns unwohl <strong>und</strong> erleben eine Dissonanz, wenn wir die Hilfe<br />

nicht erwi<strong>der</strong>n können. So sind wir viel eher bereit, Hilfe von Personen anzunehmen,<br />

<strong>den</strong>en wir irgendwann auch helfen könnten. 151 Viele akzeptieren die Hilfe an<strong>der</strong>er nicht,<br />

weil sie das Gefühl haben, zu begleichende „Schul<strong>den</strong>“ anzuhäufen.<br />

148 Vgl. ebda.<br />

149 Vgl. FRANKS / CAMPBELL / SHIELDS, Social Relationships and Health, 779-788.<br />

150 Vgl. THOITS, Stress, Coping and Social Support Processes, 53-79.<br />

151 Vgl. HATFIELD / SPECHER, Equity Theory and Recipient Reactions to Aid.<br />

62


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

Gesellschaftsbiologische, ethnologische <strong>und</strong> anthropologische Theorien heben hervor,<br />

dass Unterstützung sich darin manifestiert, dass wir geliebt <strong>und</strong> akzeptiert wer<strong>den</strong>, dass<br />

man sich um uns kümmert <strong>und</strong> mit Informationen versorgt, je nachdem, was wir gerade<br />

brauchen. Soziale Bindungen in <strong>der</strong> Kindheit wirken sich auch auf das<br />

Erwachsenenleben aus. Bowlby 152 hält sie <strong>für</strong> die Aneignung sozialer Funktionen, wie<br />

an<strong>der</strong>en helfen o<strong>der</strong> <strong>für</strong> Toleranz <strong>und</strong> Solidarität, die eng mit <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong><br />

empathischen Fähigkeiten zu tun haben, wichtig. Die soziale Bindung trägt also zur<br />

Entwicklung <strong>der</strong> Konfliktlösungs- bzw. Stressbewältigungsfähigkeit bei. Abgesehen<br />

davon lin<strong>der</strong>t sie die Wahrscheinlichkeit <strong>der</strong> Entstehung psychopathologischer<br />

Phänomene. Selbstverständlich können gesellschaftsbiologische Ergebnisse nicht eins-<br />

zu-eins auf zivilisierte Gesellschaften übertragen wer<strong>den</strong>: In menschlichen<br />

Gemeinschaften wer<strong>den</strong> Unterstützungsneigung <strong>und</strong> Altruismus nicht immer von <strong>der</strong><br />

Möglichkeit des Gegenzugs, son<strong>der</strong>n auch von dem Bedürfnis gelenkt, zu einer Gruppe<br />

zu gehören. Altruistisches Verhalten <strong>und</strong> unterstützendes Handeln integrieren die<br />

Individuen <strong>und</strong> zeigen gerade diese Gruppenzusammengehörigkeit. 153<br />

<strong>Konzepte</strong> <strong>der</strong> sozialen Unterstützung (Das negative Erlebnis)<br />

In <strong>den</strong> letzten Jahrzehnten gewann die Vorstellung, nach <strong>der</strong> nicht nur <strong>der</strong> Mangel an<br />

sozialer Unterstützung sich schädlich auf <strong>den</strong> Ges<strong>und</strong>heitszustand auswirken kann,<br />

son<strong>der</strong>n auch die soziale Unterstützung selbst, indem sie einen sog. „Boomerangeffekt“<br />

auslöst, immer mehr an Bedeutung. In so einem Fall können helfende soziale Kontakte<br />

Stress im Individuum auslösen. 154<br />

Die Bedeutung <strong>der</strong> früheren theoretischen Annäherungen liegt darin, dass sie dem<br />

Konzeptionsrahmen <strong>der</strong> sozialen Unterstützung eine Gr<strong>und</strong>lage gegeben haben. Cobb<br />

ist <strong>der</strong> Ansicht, dass <strong>der</strong> Sinn <strong>der</strong> sozialen Unterstützung in <strong>der</strong> Information liegt, die<br />

dem Individuum garantiert, einer Gemeinschaft anzugehören, <strong>der</strong> es vertrauen kann. 155<br />

Kaplan, Cassel <strong>und</strong> Gore hoben <strong>den</strong> Zustandscharakter <strong>der</strong> sozialen Unterstützung<br />

hervor. Soziale Unterstützung ist demnach das Maß <strong>der</strong> individuellen Erreichbarkeit<br />

152<br />

Vgl. zur Theorie Bowlbys: http://www.kotodes.hu/kotodesrol [abgerufen am 13.11.2011].<br />

153<br />

Vgl. KAUFMANN / BEEHR, Occupational Stressors, Individual Strees and Social support, 9-12.<br />

154<br />

Vgl. PIKÓ, Egészségszociológia, 102.<br />

155<br />

Vgl. COBB, Social Support as a Mo<strong>der</strong>ator of Life Stress, 300-315.<br />

63


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

psychosozialer Quellen. 156 House hielt <strong>den</strong> Transaktionscharakter <strong>der</strong> sozialen<br />

Unterstützung <strong>für</strong> wichtig, dessen zentrales Element die gegenseitige Beziehung<br />

zwischen dem Individuum <strong>und</strong> seiner Umgebung ist. 157 Er schlug <strong>für</strong> die<br />

Weiterentwicklung des <strong>Konzepte</strong>s <strong>der</strong> Sozialen Unterstützung einen aus vier Elementen<br />

bestehen<strong>den</strong> Konzeptionsrahmen vor. Bei <strong>der</strong>en Untersuchung ging er von <strong>der</strong><br />

Gr<strong>und</strong>frage aus: Wer gibt wem, was <strong>und</strong> in Verbindung mit welchem Problem. Darauf<br />

bezugnehmend schlug er folgende vierdimensionale Klassifizierungsmatrix vor: a)<br />

Gegenstand <strong>der</strong> sozialen Unterstützung, b) Quellen <strong>der</strong> sozialen Unterstützung, c) das<br />

Gr<strong>und</strong>problem <strong>und</strong> d) Objektivität/Subjektivität. Bei <strong>der</strong> konzeptionellen Interpretation<br />

<strong>der</strong> sozialen Kontakte hat sich herausgestellt, dass de facto mehrere Dimensionen <strong>der</strong><br />

sozialen Unterstützung unterschie<strong>den</strong> wer<strong>den</strong> können, je nachdem, wie sich die<br />

Wirkung auf das Individuum zeigt. Die umfassendste Definition <strong>der</strong> sozialen<br />

Unterstützung fin<strong>den</strong> wir bei Kahn <strong>und</strong> Antonucci 158 , die sie als Gesamtheit von<br />

interpersonellen Aktivitäten sehen, <strong>für</strong> welche eine o<strong>der</strong> mehrere <strong>der</strong> folgen<strong>den</strong><br />

Eigenschaften gelten:<br />

- emotionale Äußerung, wo wir aus <strong>der</strong> Beziehung emotional „profitieren“ <strong>und</strong><br />

dadurch einen psychischen Gewinn erzielen;<br />

- kognitive Bekräftigung, wo uns eine Beziehung auf kognitiver Ebene in<br />

unserem Selbstbild <strong>und</strong> Glauben stärkt;<br />

- instrumentelle, konkrete, praktische Hilfe, z.B. Materielles, Information, Rat<br />

o<strong>der</strong> Zeit.<br />

Die Gr<strong>und</strong>dimensionen <strong>der</strong> sozialen Unterstützung wer<strong>den</strong> mit <strong>der</strong> Kartographie <strong>der</strong><br />

emotional-kognitiv-instrumentellen Achsen ausgeschöpft. Im Konzept von Vaux 159<br />

tauchen die Quelle <strong>der</strong> Unterstützung („Netzwerkdimension“), das unterstützende<br />

Verhalten („Verhaltensdimension“) <strong>und</strong> die Zufrie<strong>den</strong>heit mit dem Ausmaß <strong>der</strong><br />

Unterstützung („Subjektivdimension“) als tragende Elemente auf. In diesem Sinne ist<br />

das Gefühl <strong>der</strong> sozialen Unterstützung die potentielle Möglichkeit, Hilfe zu bekommen,<br />

wenn man sie nötig hat. Dies hebt die Subjektivität <strong>der</strong> sozialen Unterstützung hervor,<br />

156 Vgl. KAPLAN / CASSEL / GORE, Social Support and Health, 47-58.<br />

157 Vgl. PIKÓ, Egészségszociológia, 78.<br />

158 Vgl. KAHN / ANTONUCCI, Convoys over the Life Course. Attachment, Roles and Social Support.<br />

159 Vgl. VAUX, Social Support. Theory, Research and Intervention.<br />

64


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

<strong>den</strong>n nicht je<strong>der</strong> benötigt häufige soziale Kontakte. In <strong>der</strong> Interpretation von Cobb 160 ist<br />

die wichtigste Rolle <strong>der</strong> sozialen Unterstützung <strong>für</strong> das Individuum die Information,<br />

dass es geliebt <strong>und</strong> geschätzt wird bzw. dass man ihm vertraut <strong>und</strong> ihn akzeptiert. Die<br />

soziale Unterstützung ist also eine Erfahrung, <strong>für</strong> die es nicht so wichtig ist, welche Art<br />

von Unterstützung man konkret bekommt, son<strong>der</strong>n mehr, wie man sie erlebt <strong>und</strong> wie<br />

zufrie<strong>den</strong> man damit ist. Auch in <strong>der</strong> Beziehung <strong>der</strong> sozialen Unterstützung zur<br />

Ges<strong>und</strong>heit ist die sog. wahrgenommene <strong>und</strong> nicht die bekommene Unterstützung<br />

ausschlaggebend. Es ist kein Zufall, dass Sarason, Pierce <strong>und</strong> Sarason die soziale<br />

Unterstützung als eine Art Akzeptanzgefühl definieren. 161 Cobb meint, dass man<br />

zwischen <strong>der</strong> sog. Krisenunterstützung <strong>und</strong> <strong>der</strong> alltäglichen Unterstützung unterschei<strong>den</strong><br />

muss. Die Beobachtung, nach <strong>der</strong> Menschen ersteres kaum entbehren, da eine Krise<br />

zumeist <strong>den</strong> Zusammenhalt einer Gemeinschaft verstärkt, während das Fehlen <strong>der</strong><br />

alltäglichen Unterstützung viel problematischer ist, scheint dies zu untermauern. 162<br />

Soziale Epidemiologie <strong>der</strong> sozialen Unterstützung <strong>und</strong> des Ges<strong>und</strong>heitszustandes<br />

Die Untersuchung <strong>der</strong> Rolle <strong>der</strong> sozialen Kontakte in Krankheitsprozessen geriet in <strong>den</strong><br />

1970ern durch die Arbeiten von Pikó 163 , Cassel <strong>und</strong> Cobb 164 in <strong>den</strong> Mittelpunkt, die<br />

durch Untersuchungen an Mensch <strong>und</strong> Tier die ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>nde bzw.<br />

krankheitsprophylaktische Wirkung <strong>der</strong> sozialen Unterstützung eruierten. Kaplan <strong>und</strong><br />

seine KollegInnen betonten, dass sich die soziale Unterstützung positiv auf die<br />

Entwicklung des Ges<strong>und</strong>heitszustandes auswirkt <strong>und</strong> als eine Art modifizieren<strong>der</strong><br />

Faktor in <strong>der</strong> Verarbeitung von psychosozialen <strong>und</strong> physischen Stresswirkungen<br />

fungiert. 165<br />

Ab <strong>den</strong> 1970ern sind innerhalb <strong>der</strong> neuen Richtung Studien entlang zweier<br />

Hauptschienen entstan<strong>den</strong>: In einer Gruppe waren es retrospektive o<strong>der</strong><br />

Querschnittstudien (z.B. Fallstudien), in <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en prospektive Forschungen<br />

(Kohortenanalysen <strong>und</strong> kontrollierte, nach dem Zufallsprinzip durchgeführte klinische<br />

160<br />

Vgl. COBB, ebda.<br />

161<br />

Vgl. SARASON / PIERCE / SARASON, Social Support, 97-128.<br />

162<br />

Vgl. COBB, ebda.<br />

163<br />

Vgl. PIKÓ, A társas támogatás hatása az egészségügyi állapotra, 12-16.<br />

164<br />

Vgl. COBB, Social Support as a Mo<strong>der</strong>ator of Life Stress, 300-315.<br />

165<br />

Vgl. KAPLAN / CASSEL / GORE, Social Support and Health, 47-58.<br />

65


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

Proben). 166 Retrospektive <strong>und</strong> Querschnittstudien, die in <strong>den</strong> 1970ern in Verbindung mit<br />

<strong>der</strong> mentalen <strong>und</strong> somatischen Ges<strong>und</strong>heit gemacht wur<strong>den</strong>, bekräftigten <strong>den</strong> direkten<br />

positiven Zusammenhang zwischen dem Ges<strong>und</strong>heitszustand <strong>und</strong> <strong>der</strong> sozialen<br />

Unterstützung. Miller bestätigte <strong>den</strong> Zusammenhang zwischen Depression <strong>und</strong> dem<br />

Mangel sozialer Unterstützung 167 , Lin die zwischen Angst <strong>und</strong> sozialer<br />

Unterstützung 168 . Im Rahmen <strong>der</strong> neueren Untersuchungen wur<strong>den</strong> bei<br />

Selbstmordopfern häufig Störungen in <strong>den</strong> sozialen Kontakten <strong>und</strong> ungenügende soziale<br />

Unterstützung gef<strong>und</strong>en. 169 Eine <strong>der</strong> bedeutendsten Fallkontrollstudien hatte Porrit 1979<br />

erstellt: Er untersuchte die somatische <strong>und</strong> emotionale Genesung nach Autounfällen,<br />

<strong>und</strong> auch hier wurde die positive Rolle <strong>der</strong> sozialen Unterstützung beim<br />

Genesungsprozess bestätigt. 170<br />

Ein bedeuten<strong>der</strong> Teil <strong>der</strong> prospektiven Untersuchungen waren Mortalitätsstudien. Diese<br />

Untersuchungen waren bemüht, die Hypothese zu untermauern, wonach <strong>der</strong> Mangel<br />

sozialer Unterstützung einen allgemeinen Risikofaktor <strong>der</strong> Mortalität darstellt. Die<br />

ersten wichtigen diesbezüglichen Studien waren die Forschungen von Berkman <strong>und</strong><br />

Syme 171 . Berkman <strong>und</strong> Syme haben mit einem zufälligen, 4.775 Personen starken<br />

Muster gearbeitet. Im Jahre 1965 haben sie ihre Arbeit mit <strong>der</strong> Untersuchung von vier<br />

Formen sozialer Kontakte (Ehe, weitere Verwandtschaften, Fre<strong>und</strong>Innenkreis sowie<br />

Zugehörigkeit zu einer Kirchengemeinschaft o<strong>der</strong> einer sonstigen formellen o<strong>der</strong><br />

informellen Gemeinschaft) begonnen. Alle Typen korrelierten bei <strong>den</strong><br />

Nachfolgeuntersuchungen in <strong>den</strong> darauffolgen<strong>den</strong> neun Jahren bei <strong>der</strong> Mortalität. Das<br />

Alter, <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heitszustand am Anfang, ges<strong>und</strong>heitsgefähr<strong>den</strong>de Verhaltensmuster<br />

(Alkohol, Rauchen, Übergewicht) sowie die Rolle <strong>der</strong> Beanspruchung präventiver<br />

Ges<strong>und</strong>heitsversorgung wur<strong>den</strong> dabei streng kontrolliert. Unabhängig von <strong>den</strong><br />

Ausgangs-Risikofaktoren konnte ein Zusammenhang zwischen einem niedrigen Niveau<br />

sozialer Unterstützung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Mortalität bewiesen wer<strong>den</strong>. Die ges<strong>und</strong>heitsschützende<br />

Funktion <strong>der</strong> sozialen Unterstützung wurde damit bestätigt.<br />

166<br />

Vgl. BROADHEAD / KAPLAN / JAMES, The Epidemiologic Evi<strong>den</strong>ce for a Relationship between Social<br />

Support and Health, 523-537.<br />

167<br />

Vgl. MILLER / MC.C. INGHAM: Friends, Confi<strong>den</strong>ts and Symptoms, 51-58.<br />

168<br />

Vgl. LIN / ENSEL / SIMEONE, Social Support, Stressful Life Events and Illness, 108-119.<br />

169<br />

Vgl. MAGNE-INGVAR / ÖJEHAGEN / TRASKMAN-BENDZ, The Social Network of People who Attempt<br />

Suicide, 153-158.<br />

170<br />

Vgl. PORRIT, Social Support in Crisis. Quality or Quantity? 715, 721.<br />

171<br />

Vgl. BERKMAN / SYME, Social Network, Host resistance and Mortality, 187-204.<br />

66


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

Ges<strong>und</strong>heitspsychologische Erklärung des Zusammenhangs von sozialer<br />

Unterstützung <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit<br />

Die ges<strong>und</strong>heitswahrende Wirkung <strong>der</strong> sozialen Unterstützung ist vielfältig <strong>und</strong> wird<br />

von House et al. als eine allgemeine, bio-psychosoziale Präventivwirkung bezeichnet. 172<br />

Kaplan, Cassel <strong>und</strong> Gore sind <strong>der</strong> Ansicht, dass sich die soziale Unterstützung einerseits<br />

positiv auf die Entwicklung des Ges<strong>und</strong>heitszustandes auswirkt <strong>und</strong> dass sie,<br />

an<strong>der</strong>erseits, in <strong>der</strong> Verarbeitung physischer <strong>und</strong> psychosozialer Stresswirkungen als<br />

eine Art „Puffer“ fungiert. 173 Die direkte Wirkung kann sich darin offenbaren, dass die<br />

soziale Integration – o<strong>der</strong> noch treffen<strong>der</strong> gesagt: die soziale Kohäsion – dem<br />

Individuum hilft, ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>nde Verhaltensmuster aufzunehmen. Die zweite<br />

Wirkung kommt nicht direkt zur Geltung, son<strong>der</strong>n durch einen sog. „Puffereffekt“, da<br />

soziale Kontakte in <strong>der</strong> Neutralisierung von psychosozialen o<strong>der</strong> sonstigen<br />

Stresswirkungen eine Rolle spielen. Dies wirkt sich auf <strong>den</strong> Ges<strong>und</strong>heitszustand aus,<br />

<strong>den</strong>n Krankheit ist nichts An<strong>der</strong>es als <strong>der</strong> Verlust des Gleichgewichtes – welches die<br />

soziale Unterstützung ausbalancieren kann.<br />

Eine <strong>der</strong> vielleicht wichtigsten Rollen <strong>der</strong> sozialen Unterstützung bei <strong>der</strong> Konfliktlösung<br />

liegt im Kampf mit <strong>den</strong> Problemen. Es kann als soziales Coping bezeichnet wer<strong>den</strong>. 174<br />

Die Konfliktlösungseffizienz wird nicht nur von Faktoren in Zusammenhang mit <strong>der</strong><br />

Persönlichkeit des Individuums, son<strong>der</strong>n auch von externen Faktoren, wie dem sozialen<br />

Netz, beeinflusst. Von hier ist die Feststellung von Lyons et al., die <strong>den</strong> sozialen<br />

Charakter <strong>der</strong> Konfliktlösung hervorheben 175 , ein weiterer Schritt. Sie kommen zu dem<br />

Ergebnis, dass die Lösung in fast allen Fällen sozialer Natur ist, da <strong>der</strong> Hauptgr<strong>und</strong> <strong>für</strong><br />

<strong>den</strong> Stress soziale Interaktionen, aber auch <strong>der</strong>en Lösung betrifft – je<strong>den</strong>falls nicht nur<br />

das Individuum. Wir sind soziale Wesen, haben gemeinsame Probleme <strong>und</strong> die Lösung<br />

muss auch immer im Kontext an<strong>der</strong>er Personen gef<strong>und</strong>en wer<strong>den</strong>. Daher schlägt Lyons<br />

<strong>für</strong> <strong>den</strong> Ausdruck des sozialen Charakters <strong>der</strong> Konfliktlösung <strong>den</strong> Begriff „kommunales<br />

Coping“ vor.<br />

172 Vgl. HOUSE / LANDIS / UMBERSON, Social Relationships and Health, 540-545.<br />

173 Vgl. KAPLAN / CASSEL / GORE, Social Support and Health, 47-58.<br />

174 Vgl. PIKÓ, Coping-társas kapcsolatok-társas coping, 391-399.<br />

175 Vgl. LYONS, u.a., Coping as a Communal Process, 579-605.<br />

67


Religion <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit<br />

I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

Bei einem Familienvater haben ÄrztInnen eine schwere Krankheit entdeckt <strong>und</strong> seiner<br />

Familie mitgeteilt, dass er nur noch einige Monate zu Leben hätte. Sie begannen zu<br />

fasten <strong>und</strong> zu beten <strong>und</strong> baten sogar ihre Gemeinde, <strong>für</strong> sie zu beten. Der Mann glaubte<br />

daran, dass er geheilt werde, wenn er sich <strong>der</strong> nächsten Pilgerfahrt anschließen würde.<br />

Tatsächlich lebte er noch Jahre nach <strong>der</strong> Entdeckung seiner Krankheit. Dies schrieb er<br />

eindeutig seinem Glauben zu.<br />

Die Verbindung zwischen Religion <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit ist heutzutage ein wichtiger Bereich<br />

<strong>der</strong> ges<strong>und</strong>heitssoziologischen Literatur. 176 Beson<strong>der</strong>s amerikanische EpidemiologInnen<br />

<strong>und</strong> SoziologInnen beschäftigen sich mit dem empirischen Nachweis des<br />

Zusammenhangs. Während die Epidemiologische Forschung ihren Platz in <strong>der</strong> Reihe<br />

wissenschaftlicher Forschung erst ab <strong>den</strong> 1970ern gef<strong>und</strong>en hatte, wies <strong>der</strong> berühmte<br />

Arzt William Osler bereits in <strong>den</strong> ersten Jahrzehnten des letzten Jahrh<strong>und</strong>erts auf die<br />

Bedeutung <strong>der</strong> Religionsausübung von Kranken in klinischer Behandlung hin. 177<br />

Aufgr<strong>und</strong> seiner Erfahrungen riet er seinen ÄrztekollegInnen, ihre Kranken<br />

aufzufor<strong>der</strong>n, ihren Glauben zu praktizieren. Er war von <strong>der</strong> positiven Rolle <strong>der</strong><br />

Religion überzeugt, <strong>und</strong> obwohl ihm damals keine wissenschaftlichen Metho<strong>den</strong> zur<br />

Verfügung stan<strong>den</strong>, um diesen Zusammenhang zu beweisen, zweifelte er nie an dessen<br />

Wirkung. Es ist aber auch heute nicht leicht, diesen Zusammenhang zu erfassen. Wie<br />

Osler treffend formuliert: „Religion ist wie Ether, nicht zu erfassen <strong>und</strong> wird nur<br />

aufgr<strong>und</strong> ihrer Wirkung zur Realität." 178 Die Schwierigkeiten <strong>der</strong><br />

sozialepidemiologischen Analyse <strong>der</strong> Beziehung zwischen Religion <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit<br />

hängen stark mit <strong>den</strong> Ten<strong>den</strong>zen <strong>der</strong> Religionssoziologie zusammen, die vor allem auf<br />

die Definition <strong>der</strong> Religion, die Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Funktion <strong>und</strong> Rolle <strong>der</strong> Religion, sowie<br />

die Stellung <strong>der</strong> Religion <strong>und</strong> Kirche in <strong>der</strong> Gesellschaft ausgerichtet sind. Die<br />

unumgängliche Frage, welche Bedeutung Religion als ein relevantes Subsystem <strong>der</strong><br />

Gesellschaft heutzutage hat, taucht immer wie<strong>der</strong> auf. Nur mit <strong>der</strong> Beantwortung dieser<br />

Frage kommen wir zur nächsten: Welche Rolle kann die Religion als ein<br />

176 Vgl. LEVIN / PUCHALSKI, Religion and Spirituality in Medicine. Research and Education, 792-793.<br />

177 Vgl. OSLER,The Faith that Heals, 1470.<br />

178 Ebda.<br />

68


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

salutogenetischer Faktor 179 haben? Zur Klärung <strong>der</strong> Beziehung zwischen Religion <strong>und</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heit müssen also soziologietheoretische Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> religionssoziologische<br />

Resultate konsultiert wer<strong>den</strong>.<br />

Soziologietheoretische Interpretation von Religion<br />

Verschie<strong>den</strong>ste Zweige <strong>der</strong> Soziologietheorie waren bemüht, die Frage zu beantworten,<br />

welche menschlichen Bedürfnisse das Glaubenssystem, die Religion <strong>und</strong> die Institution<br />

Kirche abdecken. Malinowski ging als funktionalistischer Anthropologe von<br />

notwendigen menschlichen Bedürfnissen aus, wie z.B. <strong>der</strong> Angst, die Kontrolle zu<br />

verlieren, also positiv gewendet dem Kontrollbedarf. 180 Bei seinen Feldstudien unter<br />

naturnahen Völkern hatte er festgestellt, dass religiöse Rituale bei bestimmten Stress<br />

erzeugen<strong>den</strong> sozialen Ereignissen wie etwa Geburt, Erwachsenwer<strong>den</strong>, Eheschließung,<br />

Tod o<strong>der</strong> Fischen auf offener See, verstärkt eine Rolle spielen. Solche Ereignisse<br />

gefähr<strong>den</strong> auch die Integrität <strong>der</strong> Gesellschaft, daher ist es nicht gleichgültig, wie die<br />

Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft diese Herausfor<strong>der</strong>ungen meistern. Rituale senken die<br />

Angst vor Kontrollverlust <strong>und</strong> stärken die Integrität <strong>der</strong> Gesellschaft.<br />

Im Gegensatz dazu hatten funktionalistische SoziologInnen die gemeinschaftlichen<br />

Bedürfnisse anstelle <strong>der</strong> individuellen hervorgehoben. Durkheim betonte etwa die<br />

Befriedigung <strong>der</strong> normativen Bedürfnisse <strong>der</strong> Gesellschaft <strong>und</strong> dementsprechend ist die<br />

wichtigste Funktion <strong>der</strong> Gesellschaft die Garantie <strong>der</strong> sozialen Solidarität <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Werteabgleichung. 181 Da<strong>für</strong> spielen kirchliche Rituale eine Rolle: ihre Funktion ist die<br />

Vermittlung von Werten <strong>und</strong> Ideen. Außerdem haben sie eine integrierende Funktion.<br />

179 In <strong>der</strong> Selbstregulation des Menschen <strong>und</strong> an<strong>der</strong>er Lebewesen fin<strong>den</strong> wir diese bei<strong>den</strong> Aspekte des<br />

Lebens in <strong>den</strong> neuropsychischen motivationalen Systemen zur Annäherung <strong>und</strong> Vermeidung wie<strong>der</strong>. Das<br />

Annäherungssystem genannte Schaltsystem im Gehirn, das eng mit dem Lustzentrum verschaltet ist,<br />

stimmt uns bei attraktiven Zielen positiv <strong>und</strong> motiviert zu aufbauendem Verhalten in: GRAWE,<br />

Neuropsychotherapie, 74.<br />

180 Vgl. MALINOWSKI, Magic, Science and Religion and other Essays.<br />

181 Vgl. DURKHEIM, The Elementary Forms of the Religious Life.<br />

69


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

Die ges<strong>und</strong>heitssoziologische Erklärung <strong>der</strong> Beziehung Religion - Ges<strong>und</strong>heit<br />

Wie oben ersichtlich, hat eine Reihe von Studien bereits die Beziehung zwischen<br />

Religion <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit bestätigt. 182 Die ForscherInnen wollten aber nicht bei dem<br />

bloßen Beweis des Zusammenhangs stehen bleiben, son<strong>der</strong>n versuchten, durch die<br />

Festlegung einer Gr<strong>und</strong>beziehung diese auch zu bewerten. Es handelt sich dabei um ein<br />

zusammengesetztes Phänomen, <strong>den</strong>n die Bedeutung von Religiosität ist komplex.<br />

Idler gab folgende Mechanismen an, die dem besseren Ges<strong>und</strong>heitszustand <strong>der</strong><br />

praktizieren<strong>den</strong> Gläubigen maßgebend zuträglich sein können: 183 Einerseits kann die<br />

Religionsausübung ges<strong>und</strong>e Lebensweise för<strong>der</strong>nde Verhaltensmuster vorschlagen.<br />

An<strong>der</strong>erseits garantiert die Zugehörigkeit zu einer religiösen Gruppe soziale<br />

Unterstützung, die kognitiv <strong>und</strong> emotionell sein kann, je<strong>den</strong>falls aber in vielen Fällen<br />

Hilfe bei konkreten Problemen bietet. Religionsgemeinschaften bringen nämlich ähnlich<br />

<strong>den</strong>kende Menschen zusammen, die so erhöhtes Interesse aneinan<strong>der</strong> zeigen. So kommt<br />

es, dass die ForscherInnen nicht nur die quantitativen, son<strong>der</strong>n auch die qualitativen<br />

Indikatoren <strong>der</strong> sozialen Unterstützung begünstigend gef<strong>und</strong>en haben: die Netzwerke<br />

<strong>der</strong> praktizieren<strong>den</strong> Gläubigen sind nicht nur weitreichen<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n auch qualitativ<br />

günstiger <strong>und</strong> durch Zuhören, Kontaktsymmetrie <strong>und</strong> Gegenseitigkeit charakterisiert. 184<br />

Religion bedeutet <strong>der</strong> Person, die sie annimmt, ein Glaubens- <strong>und</strong> Wertesystem,<br />

welches dem Leben Richtung <strong>und</strong> Sinn gibt <strong>und</strong> hilft, Lebensereignisse zu akzeptieren.<br />

Berger 185 hält es <strong>für</strong> wichtig anzumerken, dass es nicht darum geht, dass <strong>der</strong> religiöse<br />

Glaube an sich glücklich macht, son<strong>der</strong>n darum, dass er Sinn stiftet. Dies ist eine<br />

Denkstruktur, die unsere Umweltauffassung, unsere Vorstellung vom Sinn des Lebens<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Gerechtigkeit nach dem Tod prägt.<br />

Die Religionsausübung hat eine wichtige Copingfunktion. Es ist kein Zufall, dass die<br />

Fragebögen zur Stressbewältigung ‚Gebet‘ als Antwortmöglichkeit beinhalten. Es kann<br />

laut Analysen in einem bestimmten Fall die Lösung eines passiven Problems sein, das<br />

182<br />

Vgl. KLEIN / BERTH / BARCK, Die Relevanz, Religiosität <strong>und</strong> Spiritualität vor <strong>der</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heitsforschung. Die Autoren betonen hier, dass diese Beziehung eher negativ als positiv ist, 11.<br />

183<br />

Vgl. IDLER, Religious Involvement and the Health of the El<strong>der</strong>ly. Some Hypotheses and an Initial<br />

Test, 226-238.<br />

184<br />

Vgl. MUSICK, Social Support and Well-Being among the El<strong>der</strong>ly. The Nature and Effect of Reciprocal<br />

Exchanges.<br />

185<br />

Vgl. BERGER, The Sacred Canopy. Elements of a Sociological Theory of Religion.<br />

70


I. NFS als notwendiger Teil kirchlichen Handelns<br />

Problem emotional neutralisieren <strong>und</strong> die Mobilisierung <strong>der</strong> effizienten<br />

Konfliktlösestrategien för<strong>der</strong>n. 186 Hierauf deuten Untersuchungen, welche das Gebet<br />

<strong>und</strong> die Beteiligung an religiösen Ritualen als eine <strong>der</strong> häufigsten Formen <strong>der</strong><br />

Konfliktlösung unter <strong>den</strong> KirchengängerInnen nennen. 187<br />

186 Vgl. PIKÓ, Magatartáskutatás középiskolások körében: kockázatot növelő és egészséget védő tényezők<br />

a dohányzás, alkohol- és a drogfogyasztás kialakításában, 337-354.<br />

187 Vgl. KOENIG / GEORGE / SIEGLER, The Use of Religion and other Emotion-Regulating Coping<br />

Strategies among Ol<strong>der</strong> Adults, 303-310.<br />

71


II. Methodologie <strong>und</strong> Problematik<br />

II. Methodologie <strong>und</strong> Problematik<br />

Die Pastoraltheologie bearbeitet <strong>den</strong> gr<strong>und</strong>legen<strong>den</strong> Kontrast zwischen dem diskursiven<br />

<strong>und</strong> dem nicht-diskursiven Handeln <strong>der</strong> Kirche 188 ; dieser Kontrast zwischen<br />

individuellem Glauben, theologischer Tradition <strong>und</strong> kirchlicher Praxis soll in<br />

gr<strong>und</strong>legen<strong>der</strong> Wertschätzung <strong>der</strong> unterschiedlichen Orte kirchlichen Handelns kreativ<br />

bennant <strong>und</strong> benutzt wer<strong>den</strong>. Hierzu muss die kirchliche Praxis wahrgenommen <strong>und</strong><br />

analysiert wer<strong>den</strong>. 189 In Verbindung mit <strong>der</strong> Adaptierung eines schon funktionieren<strong>den</strong><br />

Modells ist die Aufarbeitung von Erfahrungen, die bereits in einem spezifischen Thema<br />

an<strong>der</strong>swo zur Verfügung stehen, beson<strong>der</strong>s wichtig. Daher wer<strong>den</strong> im nächsten Teil <strong>der</strong><br />

Arbeit die NFS-Modelle österreichischer <strong>und</strong> deutscher Diözesen als Funktionsformen<br />

vorgestellt, welche die Möglichkeit zu einer erfolgreichen Adaptierung <strong>der</strong> NFS in<br />

Ungarn bieten.<br />

Die Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> Aufarbeitung ist die These Alfred Jägers 190 , welche besagt, dass die<br />

Diakoniearbeit nur dann lebensfähig ist, wenn nicht nur das theologische, son<strong>der</strong>n auch<br />

das ökonomische Gleichgewicht berücksichtigt wer<strong>den</strong>. Untersucht man Elemente des<br />

sozialen Umfeldes, welche die NFS-Arbeit potentiell definieren <strong>und</strong> beeinflussen, wird<br />

ersichtlich, dass eines <strong>der</strong> wichtigsten Schlüsselelemente <strong>der</strong> erfolgreichen NFS-<br />

Tätigkeit – abgesehen von <strong>den</strong> stabilen theologischen Gr<strong>und</strong>lagen – die Erscheinung des<br />

Ökonomieaspektes ist. Nach jenem Ökonomieaspekt wird <strong>der</strong> Organisationsbetrieb aus<br />

dem Blickwinkel des tatsächlichen Betriebsumfeldes, d.h. des von <strong>der</strong><br />

Konsumgesellschaft generierten Marktumfeldes, untersucht. Daher wurde <strong>für</strong> die<br />

Untersuchung <strong>der</strong> angeführten Modelle eine in <strong>der</strong> Ökonomie bekannte<br />

Untersuchungsmethode ausgesucht, welche <strong>den</strong> Betrieb einer bestimmten Organisation<br />

nach <strong>den</strong> Ordnungsprinzipien des effizient operieren<strong>den</strong> Dienstleistungsmarktes<br />

untersucht. Eine Annäherung <strong>und</strong> Evaluierung <strong>der</strong> auf kirchlichen Gr<strong>und</strong>lagen<br />

funktionieren<strong>den</strong> Diakonieorganisationen ist zwar ungewöhnlich, aber die Aufdeckung<br />

188 Vgl. BUCHER, Die Theologie im Volk Gottes, 36.<br />

189 LEIMGRUBER, Eine Untersuchung zur gegenwärtigen Rede vom Teufel im Volk Gottes, 130.<br />

190 JÄGER, Diakonie als christliches Unternehmen, 31. Eine Ausführung ist weiter oben erfolgt (Der<br />

Großteil von Publikationen über die NFS stellt psychologische <strong>und</strong> theologische Aspekte in <strong>den</strong><br />

Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>, obwohl es Andeutungen <strong>und</strong> Initiativen in einigen Diplomarbeiten gibt, dass <strong>für</strong> effektivere<br />

Arbeit eine breitere Untersuchung gemacht wer<strong>den</strong> müsste).<br />

72


II. Methodologie <strong>und</strong> Problematik<br />

des Rahmensystems des effizienten Betriebs eignet sich, <strong>den</strong> Betrieb, die Chancen <strong>und</strong><br />

Grenzen <strong>der</strong> hier untersuchten Organisationsformen genau zu definieren.<br />

1. Quellenmaterial <strong>der</strong> Modellbeschreibung<br />

Bei <strong>der</strong> Bearbeitung des in Ungarn gestarteten, aber gescheiterten GYOLCS-Modells 191<br />

tauchten Fragestellungen auf, die eine Aufarbeitung österreichischer o<strong>der</strong> deutscher<br />

Diözesanmodelle nach sich gezogen haben. Diese Fragen waren die Basis des<br />

Interviewentwurfs, mit dem die Sammlung <strong>der</strong> zur Beschreibung <strong>der</strong> Modelle<br />

notwendigen Informationen begonnen wurde.<br />

2006 wurde von mir mit József Vígh – einem in <strong>den</strong> ungarischen Medien bekannten <strong>und</strong><br />

anerkannten Kriminalpsychologen – ein Gespräch über die Möglichkeiten <strong>der</strong><br />

Gestaltung <strong>der</strong> NFS geführt. Vígh präsentierte darauf ein von ihm erstelltes Skriptum<br />

über <strong>den</strong> Ausbau des GYOLCS Modells. (vgl. 5. Kapitel). Diese Diskussion <strong>und</strong> das<br />

erhaltene Skriptum zeigten diejenigen Knoten eines Organisationsbetriebs, welche bei<br />

einer erfolgreichen Arbeit von immenser Bedeutung sind. Das Gespräch mit Vígh<br />

machte es dem Verfasser <strong>der</strong> vorliegen<strong>den</strong> Arbeit klar, dass die KoordinatoreInnen<br />

diejenigen Personen in <strong>den</strong> Diözesen sind, die einen Überblick über existierende NFS<br />

Organisationen haben, die Funktionsweisen <strong>der</strong> Modelle kennen <strong>und</strong> nicht nur<br />

theoretische, son<strong>der</strong>n auch praktische Erfahrungen haben. So wur<strong>den</strong> die erhaltenen<br />

Informationen bei <strong>der</strong> Erstellung eines Fragebogens als nützlich erachtet.<br />

Im Rahmen <strong>der</strong> Arbeit wurde zuerst <strong>der</strong> Kontakt zu <strong>den</strong> KoordinatorInnen aller<br />

österreichischer <strong>und</strong> deutscher Diözesen aufgenommen. Eine E-Mail mit einer kurzen<br />

Vorstellung <strong>und</strong> ein Fragebogen, erstellt anhand <strong>der</strong> Beschreibung des GYOLCS-<br />

Modells <strong>und</strong> <strong>der</strong> eigenen Erfahrungen, wurde, mit <strong>der</strong> Bitte diesen zu beantworten,<br />

übermittelt.<br />

Es kamen unterschiedliche Antworten auf das erste Ersuchen um Übermittlung von<br />

Informationen. Viele KoordinatorInnen haben lediglich die Adresse einer Website –<br />

z.B. www.nfs.de -, wo <strong>der</strong> Organisationsbetrieb auch externen BeobachterInnen<br />

ersichtlich ist, geschickt. An<strong>der</strong>e wie<strong>der</strong>um schickten Diplomarbeiten o<strong>der</strong> (Medien-)<br />

Artikel über ihre Aktivitäten.<br />

191 Ein in Ungarn früher im Jahre 2002 begonnener, allerdings im Jahr 2006 gescheiterter NFS-Versuch.<br />

73


II. Methodologie <strong>und</strong> Problematik<br />

Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Tatsache, dass die konkreten Fragen kaum beantwortet wur<strong>den</strong>, wur<strong>den</strong><br />

wegen <strong>der</strong> großen Entfernungen Telefoninterviews mit <strong>den</strong> KoordinatorInnen aller 35<br />

österreichischer <strong>und</strong> deutscher Diözesen geführt. Diese Interviews wur<strong>den</strong><br />

aufgezeichnet <strong>und</strong> anschließend notiert. Die Interviewfragen wur<strong>den</strong> problemorientiert<br />

ausgearbeitet.<br />

Im Laufe <strong>der</strong> Notierung <strong>der</strong> Telefoninterviews erwiesen sich 14 als brauchbar, d.h. diese<br />

Interviews gaben sinnvolle <strong>und</strong> nützliche Informationen über <strong>den</strong> modus operandi <strong>der</strong><br />

NFS Organisationen. Dementsprechend wur<strong>den</strong> diese zur Gr<strong>und</strong>lage weiterer Analysen.<br />

1.1. Primäre Informationsquelle: Das Interview<br />

Um die bestehende Praxis <strong>und</strong> die Organisationsstrukturen <strong>der</strong> NFS zu erfassen wur<strong>den</strong><br />

schriftliche Erhebungen <strong>und</strong> telefonische Befragungen nach <strong>der</strong> Methode <strong>der</strong><br />

ExpertInneninterviews gewählt.<br />

Die Methodik <strong>der</strong> Interviews folgte zwei Annäherungen:<br />

Qualitative Annäherungsweise: 192<br />

- Die Interviews wur<strong>den</strong> als persönliche Einzelgespräche in Form von<br />

Alltagsgesprächen durchgeführt.<br />

- Die Befragten hatten die Möglichkeit, sich auszusprechen. Der Interviewer verhielt<br />

sich zurückhaltend <strong>und</strong> neutral.<br />

- In <strong>der</strong> Regel handelte es sich um nicht standardisierte Fragebögen, anhand <strong>der</strong>er die<br />

Interviews geführt wur<strong>den</strong>. Angeführte Themen wur<strong>den</strong> flexibel behandelt, lediglich die<br />

Themenkreise wur<strong>den</strong> fixiert.<br />

Problemzentrierte Annäherungsweise: 193<br />

Bei diesem Verfahren geht es „um individuelle <strong>und</strong> kollektive Handlungsstrukturen <strong>und</strong><br />

Verarbeitungmuster gesellschaftlicher Realität“ 194 . Bei dieser Art des Interviews wer<strong>den</strong><br />

anhand eine Leitfa<strong>den</strong>s vor allem biografische Daten hinsichtlich eines bestimmten<br />

Problems thematisiert. Damit hebt sich das problemzentierte Interview vom narrativen<br />

192<br />

Vgl. LAMNEK, Qualitative Sozialforschung, 35-68.<br />

193<br />

Vgl. ebd. 74-78.<br />

194<br />

WITZEL, Verfahren <strong>der</strong> quantitativen Sozialforschung, 67.<br />

74


II. Methodologie <strong>und</strong> Problematik<br />

Interview ab, da es mehr als nur das Hervorbringen einer Erzählung zum Ziel hat. Als<br />

zentrale Kriterien wer<strong>den</strong> gennant: Problemzentrierung, Gegenstandsorientierung <strong>und</strong><br />

Prozessorientierung. 195<br />

„Positiv an diesen Metho<strong>den</strong> hinsichtlich <strong>der</strong> vorliegen<strong>den</strong> Untersuchung ist, dass ein<br />

bestimmter Gegenstand mit spezifischen Fragestellungen im Mittelpunkt steht <strong>und</strong> dass<br />

<strong>der</strong> Leitfa<strong>den</strong> die zentrale Fragestellung thematisiert. Darüber hinaus kann <strong>der</strong>/die<br />

InterviewerIn spezifische Sondierungsfragen zur Klärung einzelner Punkte, aber auch<br />

ad-hoc-Fragen, die nicht im Leitfa<strong>den</strong> enthalten sind, stellen.“ 196<br />

- Interviews wer<strong>den</strong> entsprechend einem theoretischen Konzept geführt. Nach <strong>der</strong><br />

Anführung des Themenkreises wird <strong>der</strong> Gesprächsverlauf vom/von <strong>der</strong> Befragten<br />

bestimmt. Der Interviewer gewährt dem/r Interviewten die Möglichkeit, seinen/ihren<br />

eigenen Gedankengang weiterzuführen.<br />

Die Auswahl <strong>der</strong> Befragten:<br />

Interviews hätten mit solchen Personen geführt wer<strong>den</strong> sollen, die sowohl in interne<br />

Prozesse als auch in die externen Bedingungen <strong>der</strong> NFS Einblick haben. In allen<br />

untersuchten Diözesen – es waren insgesamt 35 - 197 waren KoordinatorInnen eingesetzt,<br />

die auf <strong>der</strong> Homepage <strong>der</strong> jeweiligen Diözese o<strong>der</strong> <strong>der</strong>en NFS-Organisation angeführt<br />

waren. Ihnen wur<strong>den</strong> die Interviewskizzen sowie die Zeitpunkte, zu <strong>den</strong>en die<br />

Interviews geführt wer<strong>den</strong> sollten, geschickt.<br />

Die Interviews umfassten folgende Themenkreise:<br />

- Die Definition von NFS – wie wird die Aktivität interpretiert bzw. beschrieben?<br />

- Einbindung in die Diözese <strong>und</strong> Kontakt zu an<strong>der</strong>en Organisationen,<br />

PartnerInnenschaften,<br />

- Offenheit <strong>für</strong> Marktumstände,<br />

- Humanressourcen,<br />

- Strukturaufbau <strong>und</strong> Funktion,<br />

- Wirtschaftsgr<strong>und</strong>lagen,<br />

- Strategieüberlegungen, Zukunftsbild.<br />

195 Vgl. WITZEL, Verfahren <strong>der</strong> quantitativen Sozialforschung, 70.<br />

196 LEIMGRUBER, Kein Abschied vom Teufel, 141.<br />

75


II. Methodologie <strong>und</strong> Problematik<br />

Es ist gelungen, Informationen von insgesamt 25 Modellen zu sammeln, da die<br />

Antworten auf die zugeschickten Fragebögen von <strong>den</strong> KoordinatorInnen teils per Post,<br />

teils per Telefon geschickt wur<strong>den</strong>. Die Telefoninterviews (insgesamt 14) waren 30-40<br />

Minuten lang. Sie wur<strong>den</strong> aufgezeichnet <strong>und</strong> inhaltlich zusammengefasst. Die<br />

Bearbeitung <strong>der</strong> Interviews konzentrierte sich auf die Organisationsfunktionen <strong>und</strong><br />

<strong>den</strong> Betrieb. Die Aktivitätsbereiche wur<strong>den</strong> an <strong>den</strong> gegebenen Orten in allen Diözesen<br />

aufgr<strong>und</strong> anknüpfen<strong>der</strong> Organisationen, bestehen<strong>der</strong> Möglichkeiten sowie <strong>der</strong> eigenen<br />

Arbeitskultur jeweils unterschiedlich gelöst. Neben einer Beschreibung <strong>der</strong> Prozesse<br />

war <strong>der</strong> Verfasser <strong>der</strong> Arbeit bemüht, individuelle Lösungen vorzustellen (diese<br />

bekommen bei <strong>der</strong> nachfolgen<strong>den</strong> Benchmarking Analyse eine eigene Betonung). Bei<br />

<strong>der</strong> Beschreibung <strong>der</strong> Modelle waren die übermittelten bzw. im Internet auffindbaren<br />

Prozessgraphen o<strong>der</strong> Statistikangaben hilfreich.<br />

1.2. Sek<strong>und</strong>äre Informationsquelle: Daten sammeln<br />

Es gibt NFS-Modelle, von <strong>der</strong>en Aktivitäten Standardmaterialien <strong>und</strong> Statistikdaten<br />

(bezüglich Funktion <strong>und</strong> Produktivität) im Internet veröffentlicht wur<strong>den</strong>. Diese<br />

Angaben sind fragmentarisch <strong>und</strong> subjektiv, d.h. auch sie geben kein vollkommenes,<br />

objektives Bild über das Selbstverständnis <strong>und</strong> die Organisationsstrukturen <strong>der</strong> NFS in<br />

<strong>den</strong> jeweiligen Diözesen (im Weiteren als „Modell“ bezeichnet). So wur<strong>den</strong> die<br />

Interviews als Primärquellen herangezogen. Gleichzeitig wur<strong>den</strong> die daraus<br />

gewonnenen Informationen mit jenen aus Statistiken, Jahresberichten <strong>und</strong> Webseiten<br />

ergänzt bzw. Diplomarbeiten von TheologInnen <strong>und</strong> ReligionslehrerInnen zu diesem<br />

Thema aufgearbeitet.<br />

Für die Aufarbeitung <strong>der</strong> Interviews <strong>und</strong> Materialien wurde ein zweifaches<br />

Ordnungsprinzip angewendet. Anhand <strong>der</strong> Interviews wur<strong>den</strong> acht Diözesen, jeweils<br />

vier aus Österreich <strong>und</strong> Deutschland, ausgesucht <strong>und</strong> detailliert beschrieben.<br />

Die kurze Zusammenfassung <strong>der</strong> Interviews wurde je nach Themenkreis mit<br />

quantifizierbaren Daten ergänzt <strong>und</strong> anschließend die SWOT-Analyse <strong>der</strong> Modelle<br />

erstellt.<br />

76


1.3. Die SWOT-Analyse 198<br />

II. Methodologie <strong>und</strong> Problematik<br />

Die SWOT-Analyse ist eine Methode <strong>der</strong> Organisationsentwicklung <strong>für</strong><br />

Situationsauswertung <strong>und</strong> Problemlösung. Der Begriff ist ein Mosaikwort englischer<br />

Ausdrücke:<br />

Strengths Stärken<br />

Weaknesses Schwächen (zu entwickelnde Gebiete)<br />

Opportunities Chancen<br />

Threats Gefahren (Bedrohungen)<br />

Die Methode dient in dieser Arbeit dazu, die Meinungen <strong>der</strong> Betroffenen zu<br />

untersuchen, die momentane Situation zu evaluieren <strong>und</strong> ihre Chancen <strong>für</strong> die Zukunft<br />

zu ermessen.<br />

Bei <strong>der</strong> Anwendung <strong>der</strong> SWOT-Analyse wer<strong>den</strong> Antworten auf folgende Fragen<br />

gesucht:<br />

Stärken: Was halten die MitarbeiterInnen <strong>für</strong> die Stärken <strong>der</strong> Organisation? Was sind<br />

die Stärken? Auf welche Charakteristika (Wissen, Erfahrung, Ressourcen, Tradition<br />

usw.) kann in Zukunft gebaut wer<strong>den</strong>?<br />

Schwächen: Diese Charakteristika wer<strong>den</strong> oft als zu entwickelnde Gebiete bezeichnet,<br />

um die Bestrebung nach Verän<strong>der</strong>ung auszudrücken. Es sind Problemgebiete, mit <strong>den</strong>en<br />

die PartnerInnen unzufrie<strong>den</strong> sind. Eine Schwäche ist <strong>der</strong> schlechte Zustand <strong>der</strong><br />

Infrastruktur, die erschwerte Falllösung, eine ungenügende <strong>und</strong> mangelhafte<br />

Informationsversorgung usw.<br />

Chancen: Bedeutet im Endeffekt die genaue, gründliche Kenntnis <strong>der</strong> Umgebung, in<br />

welcher <strong>der</strong> Dienst operiert. Die Nutzung aller <strong>der</strong> Möglichkeiten beeinflusst <strong>den</strong> NFS-<br />

Betrieb erheblich.<br />

Gefahren (Bedrohungen): Den Chancen ähnlich sind die Gefahren von <strong>den</strong> NFS-<br />

Aktivitäten unabhängigen Faktoren.<br />

198 Vgl. http://www.idesol.hu/minsegfejlesztes/swot.html [abgerufen am 14.03.2007].<br />

77


II. Methodologie <strong>und</strong> Problematik<br />

Gemeinsam ist <strong>den</strong> Stärken <strong>und</strong> Schwächen, dass sie sich aus internen Charakteristika<br />

ergeben. Möglichkeiten <strong>und</strong> Verantwortungen <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung fallen auf die<br />

Organisation. Die Chancen <strong>und</strong> Gefahren ergeben sich hingegen aus dem Umfeld, auf<br />

das die Organisation keinen direkten Einfluss hat. Anpassung, Nutzung <strong>der</strong> Chancen<br />

<strong>und</strong> Transformation <strong>der</strong> Gefahren zu Möglichkeiten wer<strong>den</strong> wichtig, ebenso wie die<br />

Verbindung <strong>der</strong> zu entwickeln<strong>den</strong> Gebiete <strong>und</strong> Möglichkeiten.<br />

1.4. Die verwendete Untersuchungsmethode: Die Benchmarking-Analyse<br />

Anschließend an die SWOT-Analyse wurde anhand <strong>der</strong> zur Verfügung stehen<strong>den</strong><br />

Informationen <strong>der</strong> Betrieb <strong>der</strong> einzeln analysierten NFS-Organisationen mithilfe <strong>der</strong><br />

Benchmarking-Analyse untersucht. Benchmarking ist ein allgemeiner Vergleich mit<br />

dem Ziel <strong>der</strong> kritischen Bewertung <strong>der</strong> Ergebnisse an<strong>der</strong>er einerseits <strong>und</strong> <strong>der</strong> Suche<br />

nach eigenen Ergebnissen <strong>und</strong> Stärken an<strong>der</strong>erseits, die mit Offenheit, Ehrlichkeit <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Absicht ständiger <strong>und</strong> kontinuierlicher Weiterentwicklung verb<strong>und</strong>en sind. Man<br />

kann diese Methode als Niveauentwicklung (besser: als Weg zur Qualitätsentwicklung)<br />

bezeichnen. Konkret geht es zum einen darum, die Stellung eines untersuchten<br />

Unternehmens im Vergleich zu an<strong>der</strong>en zu eruieren, zum an<strong>der</strong>en darum, zu überlegen,<br />

wie sich jene Indikatoren beschreiben lassen, die die Adaptierungsfähigkeit zum Markt<br />

verbessern können. 199<br />

Der Begriff „Benchmarking“– ins Deutsche übersetzt – bedeutet ein Messen, eine<br />

ständige Aktivität <strong>der</strong> Firmen mit dem Ziel, die Firmenleistungen zu erheben <strong>und</strong> unter<br />

Nutzung <strong>der</strong> erhaltenen Ergebnisse <strong>und</strong> Informationen Ziele <strong>und</strong> Funktionen <strong>der</strong> Firmen<br />

zu gestalten. 200<br />

Bei <strong>der</strong> Benchmarking-Analyse wer<strong>den</strong> die Ziele <strong>und</strong> Erstreckungsbereiche <strong>der</strong><br />

Messung von <strong>der</strong> Organisation definiert, die die möglichen PartnerInnen aussucht, die<br />

Informationen über sich <strong>und</strong> ihre PartnerInnen sucht, die einzelnen Leistungslücken<br />

(Abbildung 1) 201 definiert, Daten analysiert <strong>und</strong> Ergebnisse kommuniziert.<br />

199<br />

http://www.tankonyvtar.hu/gazdasagtudomany/controlling-gyakorlatban-080904-304? [abgerufen am<br />

10.12.2010].<br />

200<br />

http://www.kvalikon.hu/bp/index.php [abgerufen am 10.12.2010].<br />

201<br />

http://www.benchmarking.hu/benchmarking/bm_bevezetes1.html [abgerufen am 10.12.2010].<br />

78


Leistung<br />

Abbildung 1: Benchmarking Ergenisse<br />

II. Methodologie <strong>und</strong> Problematik<br />

Anschließend wer<strong>den</strong> die neuen Informationen <strong>und</strong> Erfahrungen in <strong>der</strong> Gestaltung <strong>und</strong><br />

Entwicklung <strong>der</strong> eigenen Ziele <strong>und</strong> Funktionsweisen genutzt. Benchmarking hat sich in<br />

letzter Zeit als eine effiziente Form des organisierten Lernens <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Wissensaufteilung innerhalb <strong>der</strong> Organisationen erwiesen.<br />

Benchmarking <strong>und</strong> die SWOT (Stärken – Schwächen – Chancen – Gefahren)-Analyse<br />

stehen in engem Zusammenhang. In bei<strong>den</strong> Fällen muss eine Bezugsgr<strong>und</strong>lage<br />

gef<strong>und</strong>en wer<strong>den</strong>. Sehr oft ist diese Gr<strong>und</strong>lage nicht exakt benannt. Der Unterschied des<br />

Benchmarking zu traditionellen Wettbewerbsanalysen ist, dass es prozessorientiert ist<br />

<strong>und</strong> am besten misst.<br />

Die Benchmarking-Methode verleiht <strong>der</strong> Analyse von Qualitätsarbeiten einen Rahmen,<br />

bei dem sich alle Kriterien einer qualitativ hochwertigen Arbeit offenbaren. Die<br />

Interviews <strong>und</strong> SWOT-Analysen zeigen, dass alle NFS-Organisationen im Betrieb<br />

bemüht sind, auf ihrem Tätigkeitsfeld das Beste zu geben, aber es tauchen<br />

selbstverständlich auch Mängel auf. Diese operieren<strong>den</strong> Organisationen (im Weiteren<br />

als Modelle bezeichnet) wur<strong>den</strong> mithilfe des Benchmarking beschrieben. Die<br />

Beschreibungen wur<strong>den</strong> mit arbeitspsychologischen Kommentaren ergänzt, damit ein<br />

professionelles Bild <strong>der</strong> qualitativen Arbeitsausführung zur Verfügung steht.<br />

Das auf diese Weise vorgestellte, optimale Organisationsmodell kann <strong>der</strong><br />

Ausgangspunkt <strong>für</strong> ein zukünftiges in Ungarn noch zu schaffendes Modell sein.<br />

Abgesehen davon haben die analysierten Organisationen jetzt die Gelegenheit, ihre<br />

tatsächliche Betriebsweise mit <strong>der</strong> eines optimalen <strong>und</strong> eine effiziente Arbeit vor Augen<br />

führen<strong>den</strong> Modells zu vergleichen.<br />

Leistungslücke<br />

Heute Zukunft<br />

Unsere<br />

Organisation<br />

Benchmarking<br />

Organisation<br />

79


II. Methodologie <strong>und</strong> Problematik<br />

Prozess- o<strong>der</strong> Allgemein-Benchmarking bedeutet eine Beurteilung <strong>der</strong> direkten<br />

KontrahentInnen auf dem Markt. Das Ziel ist, verschie<strong>den</strong>e Metho<strong>den</strong> <strong>und</strong><br />

Arbeitsprozesse mit <strong>den</strong>en <strong>der</strong> KonkurrentInnen zu vergleichen. Benchmarking bietet<br />

dem/r Vergleichen<strong>den</strong> anschauliche Ergebnisse, an <strong>den</strong>en leicht abzulesen ist, wo die<br />

KontrahentInnen stehen <strong>und</strong> wo sich im Vergleich dazu die eigene Organisation nach<br />

<strong>den</strong> untersuchten Aspekten befindet. 202<br />

Bei dem angewandten Benchmarking wurde das Begriffs- <strong>und</strong> Evaluierungssystem des<br />

Modells, welches auf die Erstklassigkeit des EFQM 203 abzielt, als Gr<strong>und</strong>lage<br />

genommen. Die Beschreibung <strong>und</strong> Auswertung <strong>der</strong> Unterpunkte erfolgte nach dem<br />

EFQM-System. EFQM 204 ist eine Non-Profit-Organisation, welche 1988 von 14<br />

führen<strong>den</strong> europäischen Großkonzernen ins Leben gerufen wurde. Ihre Mission ist es, in<br />

Europa das Flaggschiff <strong>der</strong> nachhaltigen Exzellenz zu sein. Ihr Zukunftsbild ist eine<br />

Welt, in <strong>der</strong> europäische Organisationen durch ihre Exzellenz herausragen. Anhand<br />

eines 1992 ausgearbeiteten Modells 205 ist sie wie folgt aufgebaut:<br />

202<br />

http://www.tankonyvtar.hu/gazdasagtudomany/controlling-gyakorlatban-080904-303 [abgerufen am<br />

10.12.2010].<br />

203 EFQM: European Fo<strong>und</strong>ation for Quality Management – Europäischer Fonds <strong>für</strong><br />

Qualitätsmanagement Vgl. http://www.kivalosag.hu/web/id903.htm [abgerufen am 10.12.2010].<br />

204<br />

http://www.kivalosag.hu/web/id903.htm [abgerufen am 12.10.2010].<br />

205<br />

http://www.qualityaustria.com/index.php?id=545 [abgerufen am 06.03.2011].<br />

80


Abbild 2.: EFQM Excellence Modell 206<br />

II. Methodologie <strong>und</strong> Problematik<br />

Auf dem Originalabbild steht unter Punkt 7 „K<strong>und</strong>enbezogene Ergebnisse“, über<br />

welche in Verbindung mit dem NFS-Betrieb unter dieser Bezeichnung nicht gesprochen<br />

wer<strong>den</strong> kann. So wird anstelle dessen <strong>der</strong> Begriff „Beurteilung <strong>der</strong> Gesellschaft“<br />

verwendet. Bei dem angewandten Benchmarking wurde das Begriffs- <strong>und</strong><br />

Evaluierungssystem des Modells, welches auf die Erstklassigkeit des EFQM abzielt, als<br />

Gr<strong>und</strong>lage genommen. Die Beschreibung <strong>und</strong> Auswertung <strong>der</strong> Unterpunkte erfolgte<br />

nach dem EFQM-System.<br />

206 http://www.efqm.org/en/tabid/132/default.aspx [abgerufen am 03.12.2011].<br />

81


Soziale<br />

Verantwortung<br />

Entwicklung <strong>der</strong><br />

Partnerkontakte<br />

Ständige Schulung,<br />

Entwicklung, Innovation<br />

207 208<br />

Abbildung 3.: EFQM Gr<strong>und</strong>elemente<br />

II. Methodologie <strong>und</strong> Problematik<br />

Die Pfeile in <strong>der</strong> Abbildung des EFQM-Modells zeigen die Dynamik des Modells. Sie<br />

zeigen, dass Innovation <strong>und</strong> Schulung die Verbesserung <strong>der</strong> Gegebenheiten<br />

unterstützen. Dies führt zu besseren Resultaten <strong>und</strong> trägt zur Exzellenz bei.<br />

Modellinhalt <strong>und</strong> <strong>Aufbau</strong><br />

Das EFQM-Exzellenzmodell ist ein Rahmensystem, das in neun Kriterien geglie<strong>der</strong>t ist.<br />

Die Gruppe <strong>der</strong> „BefähigerInnen“ wird anhand von fünf, die <strong>der</strong> „Ergebnisse“ anhand<br />

von vier Aspektsystemen aufgearbeitet. Das Kriteriensystem <strong>der</strong> „BefähigerInnen“<br />

zeigt, was die Organisation zum Erreichen ihrer Ziele unternimmt. Die „Ergebnisse“<br />

zeigen, was die Organisation erreicht. „Ergebnisse“ können anhand <strong>der</strong><br />

„BefähigerInnen“ erreicht wer<strong>den</strong>, gleichzeitig sind „BefähigerInnen“ mit dem<br />

207 http://mbweb.unipannon.hu/index2.php?option=com_docman&task=doc_view&gid=13&Itemid=3<br />

[abgerufen am 03.12.2011].<br />

208 NMD: National Mammography Database<br />

Ergebnisorientier<br />

theit<br />

8 Gr<strong>und</strong>elemente<br />

des NMD/EFQM<br />

Modells<br />

Entwicklung <strong>und</strong><br />

Einbezug <strong>der</strong><br />

Mitarbeiter<br />

K<strong>und</strong>enfocus<br />

Stabilität <strong>der</strong><br />

Leitung <strong>und</strong><br />

Ziele<br />

Auf Fakten <strong>und</strong><br />

Prozessen basierende<br />

Leitung<br />

82


II. Methodologie <strong>und</strong> Problematik<br />

Feedback <strong>der</strong> „Ergebnisse“ zu verbessern <strong>und</strong> zu entwickeln. Diese Haupteinheiten<br />

zeigen Kriterien, anhand <strong>der</strong>er <strong>der</strong> Fortschritt <strong>der</strong> Organisation auf dem Weg zur<br />

Exzellenz evaluiert wer<strong>den</strong> kann beziehungsweise muss. Im Laufe <strong>der</strong> Untersuchung<br />

wur<strong>den</strong> die wichtigsten Punkte in weitere – <strong>den</strong> NFS-Betrieb konkret beeinflussende –<br />

Elemente aufgeteilt.<br />

Der Teil <strong>der</strong> methodologischen Beschreibung, welcher sich auf die Longframe Methode<br />

bezieht, soll zum Zwecke <strong>der</strong> Übersichtlichkeit im fünften Teil fortgeführt wer<strong>den</strong>,<br />

gleichzeitig wer<strong>den</strong> die Ergebnisse <strong>der</strong> bisher behandelten Metho<strong>den</strong> in <strong>den</strong> Kapiteln<br />

drei <strong>und</strong> vier vorgestellt.<br />

Im Weiteren wird die ungarische Situation <strong>der</strong> NFS Aktivität vorgestellt, <strong>den</strong>n hier<br />

verlaufen unterschiedliche, mit <strong>der</strong> NFS verb<strong>und</strong>ene Aktivitäten unorganisiert <strong>und</strong><br />

sporadisch.<br />

Eine Untersuchung dieser Lage erweist sich als interessant, da die sozialen Än<strong>der</strong>ungen<br />

im Ges<strong>und</strong>heitssektor Möglichkeiten induzieren, anhand <strong>der</strong>en die ungarische Kirche<br />

auf diesem Gebiet nach österreichischem <strong>und</strong> deutschem Modell bewusst operieren<br />

kann.<br />

Die Frage <strong>der</strong> Einglie<strong>der</strong>ung in die neu gestaltete Ges<strong>und</strong>heitsstruktur definiert in <strong>der</strong><br />

Zukunft auch das Verhältnis Kirche – Staat - öffentliche Hand.<br />

2. Themenvorstellung – Ein Fallbeispiel<br />

Kurze Beschreibung des Unfallherganges<br />

(Vehrkersunfall: Siófok, 08.05.2003)<br />

29 Personen haben vor Ort ihr Leben verloren, vier starben im Krankenhaus in <strong>der</strong><br />

Nähe des Unfallortes. Es gab Fehlinformationen über die Zahl <strong>der</strong> Toten, verschie<strong>den</strong>e<br />

Quellen variierten in ihren Angaben darüber. Zwei <strong>der</strong> ins Krankenhaus Siófok<br />

eingelieferten acht Verletzten starben, zwei wur<strong>den</strong> noch operiert, zwei erlitten leichte<br />

Verletzungen. Die bei<strong>den</strong> leicht verletzten Personen – die nach medizinischer<br />

Versorgung bereits nach Hause entlassen wer<strong>den</strong> konnten – waren <strong>der</strong> Zugführer <strong>und</strong><br />

ein Passagier. 209<br />

209 http://www.albamag.hu/node/352 [abgerufen am 18.01.2010].<br />

83


II. Methodologie <strong>und</strong> Problematik<br />

Die deutsche Botschaft begann mit <strong>der</strong> sofortigen Hilfe <strong>und</strong> schickte PsychologInnen,<br />

Priester <strong>und</strong> MentalexpertInnen aus Deutschland. Ihre Anreise nahm mehr als zehn<br />

St<strong>und</strong>en in Anspruch, obwohl man sie sofort benötig hätte. Angehörige wur<strong>den</strong> über <strong>den</strong><br />

Zustand <strong>der</strong> Unfallopfer <strong>und</strong> ihren eventuellen Tod verständigt. Die deutsche Botschaft<br />

nahm <strong>den</strong> Kontakt zu ungarischen Organisationen – Katastrophenschutz,<br />

Rettungsdienste, Versicherungen – aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Organisation <strong>der</strong> Krankenversorgung<br />

<strong>und</strong> Behandlungen auf. Die „Hilfsmaschinerie“ wurde gestartet <strong>und</strong> man war bemüht,<br />

allen vor Ort zu helfen.<br />

Es kamen auch PsychologInnen <strong>und</strong> MentalexpertInnen aus Budapest an <strong>den</strong> Unfallort,<br />

wobei auch sie vier St<strong>und</strong>en <strong>für</strong> die Anreise brauchten. Vor Ort gab es keine solchen<br />

ExpertInnen.<br />

Die Alarmierung war nicht typisch, <strong>den</strong>n ein Hilferuf kam nur von Auslän<strong>der</strong>Innen. Obwohl<br />

es auch in Ungarn solche Unfälle <strong>und</strong> Massenkatastrophen gibt, beschränkt sich die<br />

Hilfeleistung auf die Rettung materieller Güter.<br />

Die ExpertInnen waren bemüht, sich an die Seite <strong>der</strong> Betroffenen zu stellen, um das<br />

Geschehene verarbeiten zu helfen. Sie achteten auf die Abdeckung gr<strong>und</strong>legen<strong>der</strong><br />

Bedürfnisse <strong>und</strong> auf einen schnellstmöglichen Beginn des psycho-physischen<br />

Genesungsprozesses. Solche Erlebnisse alleine zu verarbeiten ist fast unmöglich. Die<br />

Betroffenen wer<strong>den</strong> ein Leben lang unter <strong>der</strong>en Einfluss stehen. Obwohl sie das Grauen<br />

physisch überlebt haben, bleibt „ein Teil ihrer Seele“ oft am Ort des Geschehens.<br />

Der Unterschied in <strong>der</strong> Versorgung bei solchen Unfällen in Deutschland o<strong>der</strong> Österreich ist,<br />

dass mentale <strong>und</strong> seelische HelferInnen (PsychiaterInnen, SeelsorgerInnen, Pfahrer) defacto<br />

gleichzeitig mit <strong>den</strong> Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Rettungsorganen eintreffen. Seelische HelferInnen<br />

helfen auch letzteren, damit sie ihre Arbeit reibungsloser durchführen können. Es kann auch<br />

vorkommen, dass RettungshelferInnen traumatisiert wer<strong>den</strong>. Falls etwa Erlebnisse am<br />

aktuellen Einsatzort frühere Unfall-Erlebnisse aus ihrem Unterbewusstsein hervorrufen,<br />

kümmert man sich um sie. In Ungarn ist diese Dienstform <strong>und</strong> diese Praxis kein Usus,<br />

zentrale Stellen verständigen lediglich Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> MentalexpertInnen<br />

(PsychiaterInnen) - obwohl <strong>der</strong> Mensch nicht nur aus einem Körper <strong>und</strong> materiellen Gütern<br />

besteht.<br />

84


3. Situationsanalyse in Ungarn<br />

II. Methodologie <strong>und</strong> Problematik<br />

Zuerst muss man sehen, dass <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heitszustand <strong>der</strong> ungarischen Bevölkerung im<br />

internationalen Vergleich äußerst ungünstig 210 ausfällt <strong>und</strong> bei weitem hinter dem liegt,<br />

was das Durchschnittsniveau unserer sozio-ökonomischen Entwicklung ermöglicht.<br />

Der beson<strong>der</strong>s schlechte Ges<strong>und</strong>heitszustand <strong>der</strong> ungarischen Bevölkerung ist auf<br />

zahlreiche historische, soziale, wirtschaftliche <strong>und</strong> kulturelle Gründe, wie z.B. die<br />

unges<strong>und</strong>e Lebensweise eines Großteils <strong>der</strong> Bevölkerung, <strong>den</strong> Zustand des<br />

Ges<strong>und</strong>heitsversorgungssystems <strong>und</strong> strukturelle Probleme, zurückzuführen. Das<br />

Ges<strong>und</strong>heitsbewusstsein <strong>der</strong> Bevölkerung ist schwach, die Menschen kümmern sich<br />

wenig um ihre eigene Ges<strong>und</strong>heit. 211 Ges<strong>und</strong>heitsschädigende Lebensweisen (Rauchen,<br />

Alkoholkonsum) sind weit verbreitet <strong>und</strong> ein Großteil <strong>der</strong> Bevölkerung führt ein<br />

bewegungsarmes Leben. All dies hat zur Folge, dass Ungarn in <strong>der</strong> durchschnittlichen<br />

Lebenserwartung weit hinter Staaten mit ähnlichem Entwicklungsstand liegt. In <strong>den</strong><br />

letzten bei<strong>den</strong> Jahrzehnten ging die Bevölkerungszahl zurück. Die Zahl <strong>der</strong><br />

Lebendgeburten nahm ab, die Sterberate stieg. Der Anteil <strong>der</strong> älteren Bevölkerung<br />

wuchs – wie in <strong>den</strong> an<strong>der</strong>en EU-Mitgliedstaaten auch. 212<br />

Die Effizienz <strong>und</strong> effiziente Nutzung (z.B. Kapital, Finanzierungsausgaben) <strong>der</strong><br />

Produktionsfaktoren (z.B. Arbeitskräfte) wird direkt vom infrastrukturellen Zustand des<br />

Ges<strong>und</strong>heitsversorgungssystems als öffentlichem Dienstleister beeinflusst. So wirkt sich<br />

<strong>der</strong> Zustand des Ges<strong>und</strong>heitssystems 213 direkt auf die Wettbewerbsfähigkeit des Staates<br />

aus. Der Ges<strong>und</strong>heitszustand <strong>der</strong> Bevölkerung ist ein bedeuten<strong>der</strong> Faktor <strong>der</strong><br />

Arbeitskräftequalität <strong>und</strong> <strong>der</strong> Arbeitsmarktaktivität.<br />

Die Zunahme <strong>der</strong> Beschäftigungsrate wird direkt durch die ungünstige Entwicklung <strong>der</strong><br />

<strong>den</strong> Ges<strong>und</strong>heitszustand <strong>der</strong> Bevölkerung charakterisieren<strong>den</strong> Demographie-,<br />

210<br />

Vgl. http://www.budapester.hu/index.php?option=com_content&task=view&id=6888&Itemid=26<br />

[abgerufen am 2011.11.14].<br />

211<br />

UZZOLI, Az egészségi állapot társadalmi-területi különbségei Magyarországon, in:<br />

http://geogr.elte.hu/REF/REF_Tezisek/UA_tezisek.pdf [abgerufen am 10.02.2011].<br />

212<br />

Dabei gibt Ungarn im internationalen Vergleich nicht wenig <strong>für</strong> die Ges<strong>und</strong>heit aus. 8,3% des BIP im<br />

Jahre 2004 entspricht dem europäischen Durchschnitt;<br />

(http://www.origo.hu/itthon/valasztas2010/igeretek/20100325-igeretek-foldje-4-az-egeszsegugy.html<br />

[abgerufen am 10.02.2011].); In <strong>der</strong> Rangordnung <strong>der</strong> am meisten entwickelten Staaten liegt Ungarn mit<br />

Spanien, Italien <strong>und</strong> dem Vereinigten Königreich im Mittelfeld, in: DÉZSY, Egészséggazdaságtan, 27.)<br />

212<br />

Obwohl Ungarn also viel <strong>für</strong> die Ges<strong>und</strong>heit ausgibt, ist die Nutzung <strong>und</strong> Effizienz nicht entsprechend.<br />

213 Vgl. http://www.matud.iif.hu/07sze/07.html [abgerufen am 10.02.2011].<br />

85


II. Methodologie <strong>und</strong> Problematik<br />

Mortalitäts- <strong>und</strong> Morbiditätsindikatoren verhin<strong>der</strong>t. So wird nicht nur die<br />

Lohnsicherheit <strong>der</strong> ArbeitnehmerInnen gefährdet, son<strong>der</strong>n – wegen des<br />

Produktivitätsrückgangs – auch die Wettbewerbsfähigkeit des Staates beziehungsweise<br />

<strong>der</strong> einzelnen Regionen gesenkt.<br />

Eines <strong>der</strong> wichtigsten Ziele <strong>der</strong> gr<strong>und</strong>legen<strong>den</strong> Umstrukturierung des<br />

Versorgungssystems <strong>und</strong> dessen Finanzierung bzw. <strong>der</strong> Aufstellung eines neuen<br />

Krankenversicherungsmodells ist die deutliche Verbesserung des Ges<strong>und</strong>heitszustandes<br />

<strong>der</strong> Bevölkerung. Der Auslöser <strong>der</strong> Reform-Überlegungen zur Umgestaltung des<br />

Ges<strong>und</strong>heitswesens war die Wirtschaftskrise. Der Staat wollte weniger Geld <strong>für</strong> diesen<br />

Sektor ausgeben.<br />

Es ist weiterhin kein Thema, dass die Gesellschaft mit <strong>den</strong> Traumata früherer<br />

Jahrzehnte klar kommen muss. Die Praxis <strong>der</strong> Seelsorge ist nicht verbreitet, da es<br />

hier<strong>für</strong> keinen „Bedarf“ gibt. Besser gesagt ist die Kooperation, die es auf diesem<br />

Gebiet zwischen Kirche <strong>und</strong> Staat geben sollte, we<strong>der</strong> im Bewusstsein <strong>der</strong> ExpertInnen,<br />

d.h. <strong>der</strong> Kirche, noch <strong>der</strong> Gesellschaft präsent.<br />

4. Die Gr<strong>und</strong>frage <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heitsreform: Dienst o<strong>der</strong> Dienstleistung? 214<br />

Die ungarische Gesellschaft wurde mit <strong>der</strong> Bedeutung dieser Frage im Jahr 2007<br />

konfrontiert. Bis zu diesem Datum war nämlich dasjenige soziale Abkommen, nach<br />

dem das Ges<strong>und</strong>heitswesen nicht als Dienstleistung, son<strong>der</strong>n als Dienst erachtet wurde,<br />

noch in Kraft.<br />

Das ungarische Ges<strong>und</strong>heitssystem wurde aber in dieser Zeit unter dem Motto einer<br />

Ges<strong>und</strong>heitsreform von solchen Sparmaßnahmen, nach <strong>den</strong>en die Versorgung deutlich<br />

an Qualität eingebüßt hatte, umstrukturiert. Eines <strong>der</strong> besten Beispiele <strong>für</strong> <strong>den</strong><br />

Perspektivenwandel ist, dass ab jetzt nicht einmal mittels <strong>der</strong> Parasolvenz eine gute<br />

Dienstleistung „gekauft“ wer<strong>den</strong> konnte.<br />

Gleichzeitig aber hat die Bevölkerung aufgr<strong>und</strong> von Ideologisierungen geglaubt, dass<br />

sie eine Konsumentin wäre <strong>und</strong> <strong>für</strong> die Ges<strong>und</strong>heitsversorgung <strong>und</strong> Dienstleistung zahlt,<br />

ergo, sie hat Rechte <strong>und</strong> Erwartungen <strong>und</strong> ist eine K<strong>und</strong>in, wie im Falle an<strong>der</strong>er,<br />

214 Vgl. KORNAI / EGGLESTEN, Egyéni választás és szolidaritás, 22-28.<br />

86


II. Methodologie <strong>und</strong> Problematik<br />

sonstiger Dienstleistungen. Der Großteil des Ges<strong>und</strong>heitswesens ist aber auf diese<br />

Dienstleistungsperspektive nicht vorbereitet <strong>und</strong> auch nicht in <strong>der</strong> Lage, tatsächliche<br />

Dienste zu leisten <strong>und</strong> ist bemüht, früher gewohnte Dienstleistungen aufrechtzuerhalten.<br />

Hier muss man hinzufügen, dass die diesbezüglichen Erfolgsquoten ständig schlechter<br />

ausfallen.<br />

Die Ges<strong>und</strong>heitspolitik muss zwischen zwei gr<strong>und</strong>legen<strong>den</strong> Modellen wählen. Das<br />

System läuft nach dem Dienstprinzip (Modell 1) bzw. nach dem Dienstleistungsprinzip<br />

(Modell 2).<br />

In <strong>der</strong> heutigen Praxis leistet <strong>der</strong> Staat im Ges<strong>und</strong>heitswesen noch einen Dienst, obwohl<br />

von <strong>den</strong> MitarbeiterInnen eine Versorgungsordnung erwartet wird, die immer mehr<br />

Dienstleistungselemente beinhaltet. Das heißt, dass Krankenhäuser <strong>und</strong> HausärztInnen<br />

beauftragt wer<strong>den</strong>, die Menschen, von <strong>den</strong>en sie aufgesucht wer<strong>den</strong>, zu behandeln. Die<br />

dadurch entstehen<strong>den</strong> Kosten wer<strong>den</strong> irgendwann erstattet. Die Dienstleistung ist – wie<br />

auf jedem an<strong>der</strong>en Markt – <strong>der</strong> Verkauf des Fachwissens bzw. des Produktes, mit <strong>den</strong>en<br />

die aktuell anfallen<strong>den</strong> Kosten gepaart wer<strong>den</strong> können. Das Angebot kann ebenso<br />

vielfältig sein wie auf an<strong>der</strong>en Gebieten <strong>und</strong> es kann sich in Preis <strong>und</strong> Qualität<br />

unterschei<strong>den</strong>. Die Qualität ist eventuell begrenzt. Der/die Dienstleistende hätte aber bei<br />

<strong>der</strong> Preisverhandlung auch unter solchen Umstän<strong>den</strong> einen Spielraum. Der Staat als<br />

Dienstleisten<strong>der</strong> wird nicht ganz aus dem Ges<strong>und</strong>heitswesen verdrängt, <strong>den</strong>n er hat<br />

Aufgaben im Bereich <strong>der</strong> Organisation <strong>und</strong> Kontrolle.<br />

Die Reform des Ges<strong>und</strong>heitswesens kann als Prozess von Dienst zu Dienstleistung<br />

definiert wer<strong>den</strong>. Der Staat ist bemüht, auch auf zahlreichen an<strong>der</strong>en Gebieten<br />

Aufgaben zu übertragen, welche traditionell im Sinne des Dienstes vom Staat getragen<br />

wur<strong>den</strong>. Er bietet also die Möglichkeit <strong>der</strong> Privatisierung, entzieht Budgetsubventionen<br />

aufgr<strong>und</strong> des Staatshaushaltsmangels, verschärft Kontrollen o<strong>der</strong> senkt Steuern, damit<br />

weniger neu verteilt wer<strong>den</strong> muss. All dies geschieht, um im globalen Wettbewerb<br />

bestehen zu können. 215<br />

215<br />

So läuft es auch in zahlreichen an<strong>der</strong>en Staaten Europas ab. In unserem durch die EU ratifizierten<br />

Konvergenzprogramm steht, dass die Ausgaben des Ges<strong>und</strong>heitskassenfonds im Zeitraum 2006-2009 im<br />

Verhältnis zum BIP um 0.9 Prozentpunkte gesenkt wer<strong>den</strong> sollen. Das ist beträchtlich, woraus ich<br />

schließe, dass die aus <strong>der</strong> Visitengebühr erhofften Einnahmen das Ges<strong>und</strong>heitsbudget <strong>der</strong> Regierung<br />

generell senken wer<strong>den</strong>. Heute ist aber überall auf <strong>der</strong> Welt <strong>der</strong> folgende Zusammenhang ersichtlich: Je<br />

mehr das BIP steigt, umso größer wird <strong>der</strong> Aufwand <strong>für</strong> die Ges<strong>und</strong>heit. In Ungarn kann damit im<br />

87


II. Methodologie <strong>und</strong> Problematik<br />

Die Ges<strong>und</strong>heitssysteme wur<strong>den</strong> in <strong>den</strong> letzten Jahrzehnten immer mehr zu wichtigen<br />

Bestandteilen <strong>der</strong> Wirtschaft einer Gesellschaft, mehr noch: zu einem bestimmen<strong>den</strong><br />

Wirtschaftsfaktor. Aus diesem Gr<strong>und</strong> ähnelte <strong>der</strong> Betrieb <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heitssysteme dem<br />

Betrieb <strong>der</strong> sonstigen von <strong>der</strong> Marktwirtschaft betriebenen Wirtschaftszweige. D.h., das<br />

Ges<strong>und</strong>heitswesen beginnt, als ein Element <strong>der</strong> Marktwirtschaft zu funktionieren.<br />

Dieser Prozess begründet die Untersuchung des Ges<strong>und</strong>heitswesens als eines Akteurs<br />

auf dem Markt. So sollen Möglichkeiten <strong>der</strong> Anknüpfung an das System gesucht<br />

wer<strong>den</strong>. Das ist <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>, warum die neue „Branche“ Ges<strong>und</strong>heitssektor im Weiteren<br />

als Element <strong>der</strong> Marktwirtschaft untersucht wird.<br />

5. Die Stellung <strong>der</strong> ungarischen Katholischen Kirche zur Ges<strong>und</strong>heitsreform<br />

Die ungarische Katholische Kirche stand <strong>der</strong> im Jahre 2006 begonnenen<br />

Ges<strong>und</strong>heitsreform in mehrfacher Hinsicht kritisch gegenüber. Miklós Beer, <strong>der</strong><br />

Diözesanbischof von Vác, vertrat die Meinung, <strong>der</strong> Bevölkerung werde wie in allen<br />

Belangen, in <strong>den</strong>en es um die Menschen gehen sollte, nun auch im Ges<strong>und</strong>heitsbereich<br />

die Perspektive <strong>der</strong> Profitorientierung aufgezwungen – weswegen <strong>der</strong> Mensch in <strong>den</strong><br />

Hintergr<strong>und</strong> gerate. 216 András Jávor, <strong>der</strong> zuständige Staatssekretär <strong>für</strong> Fragen <strong>der</strong><br />

Staatsverwaltung im Ministerium <strong>für</strong> Nationalentwicklung, betonte, dass es „sowohl mit<br />

christlichen als auch nicht christlichen Augen inakzeptabel ist, dass Entscheidungen<br />

gefasst wer<strong>den</strong>, die Menschenleben kosten“. 217 An <strong>den</strong> Gr<strong>und</strong>prinzipien kann nicht<br />

gerüttelt wer<strong>den</strong>, <strong>und</strong> es geht nicht, dass Notlei<strong>den</strong>de nicht das bekommen, woran es<br />

ihnen am meisten mangelt. Im Ges<strong>und</strong>heitswesen müssen die Prinzipien <strong>der</strong><br />

individuellen Würde, <strong>der</strong> Solidarität <strong>und</strong> <strong>der</strong> Subsidiarität berücksichtigt wer<strong>den</strong>. Bei<br />

<strong>der</strong> Umgestaltung dürfen zwei ethische Prinzipien nicht außer Acht gelassen wer<strong>den</strong>:<br />

Angesicht <strong>der</strong> bekannten Kostensituation kaum gerechnet wer<strong>den</strong>. Vgl.<br />

http://www.jogiforum.hu/hirek/15071 [abgerufen am 14.11.2011].<br />

216<br />

http://uj.katolikus.hu/cikk.php?h=960 <strong>und</strong> http://www.magyarkurir.hu/hirek/igazsagossag-magyaregeszseguegyi-rendszer-reformjaban<br />

[abgerufen am 05.02.2011].<br />

217<br />

http://www.kkaa.hu/index.php?option=content&task=view&id=373&Itemid=48 <strong>und</strong><br />

http://www.magyarkurir.hu/hirek/igazsagossag-magyar-egeszseguegyi-rendszer-reformjaban [abgerufen<br />

am 15.02.2011].<br />

88


II. Methodologie <strong>und</strong> Problematik<br />

1. Das Prinzip <strong>der</strong> individuellen Würde. Es muss eine Umstrukturierung<br />

vorangetrieben wer<strong>den</strong>, bei <strong>der</strong> die Entscheidungsrechte <strong>der</strong> Individuen im<br />

Bereich <strong>der</strong> Wohlstandsdienstleistungen ausgeweitet <strong>und</strong> die des Staates<br />

eingeengt wer<strong>den</strong>. 218<br />

In dem uns vom Kommunismus vererbten Wohlstandssektor ist <strong>der</strong> Kreis<br />

<strong>der</strong>jenigen Ressourcen, über die nicht das Individuum, son<strong>der</strong>n die Regierung,<br />

<strong>der</strong> Politprozess <strong>und</strong> die Bürokratie verfügen, zu groß. Das verletzt die<br />

Souveränität des Individuums <strong>und</strong> sein/ihr Recht auf Selbstbestimmung. Das<br />

Prinzip <strong>der</strong> individuellen Würde könnte des Weiteren die Tatsache verstärken,<br />

dass das Individuum <strong>für</strong> sein/ihr eigenes Leben, seine/ihre Entscheidungen <strong>und</strong><br />

seine/ihre Wahl verantwortlich ist <strong>und</strong> in dieser Angelegenheit nicht immer<br />

Hilfe vom Staat erwarten kann. 219<br />

Diesem Prinzip folgt auch, dass keine Gesellschaft ohne Zwänge seitens des<br />

Staates funktionieren kann. Diese müssen aber auf ein gewünschtes Minimum<br />

reduziert wer<strong>den</strong>, das Prinzip <strong>der</strong> Freiwilligkeit soll in <strong>den</strong> Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong> gestellt<br />

wer<strong>den</strong>.<br />

2. Das Solidaritätsprinzip. Lei<strong>den</strong><strong>den</strong> <strong>und</strong> Benachteiligten muss geholfen<br />

wer<strong>den</strong>. Dieses Prinzip kann nicht nur aus christlicher Überzeugung entstehen,<br />

son<strong>der</strong>n aus einfacher menschlicher Güte, aus dem Bewusstsein <strong>der</strong><br />

Gemeinschaft <strong>und</strong> Geschwisterlichkeit, aus einer altruistischen Gesinnung. Das<br />

Solidaritätsprinzip tritt dann in Kraft, wenn Menschen geholfen wird, die nicht<br />

in <strong>der</strong> Lage sind, Pflichtversicherungen zu zahlen. Im Hintergr<strong>und</strong> steht, dass<br />

218 KORNAI / EGGLESTON, Individuelle Wahl <strong>und</strong> Solidarität. Reform <strong>der</strong> Mechanismen von<br />

Ges<strong>und</strong>heitsinstitutionen in Ost-Europa, 18-27.<br />

219 In diesem Punkt kann das Recht <strong>der</strong> freien Religionsausübung verletzt wer<strong>den</strong> „60. § (1): In <strong>der</strong><br />

Ungarischen Republik hat jedes Individuum das Recht auf freie Meinungsäußerung, Religions- <strong>und</strong><br />

Gewissensfreiheit.<br />

(2) Dieses Recht beinhaltet die freie Wahl o<strong>der</strong> Akzeptanz <strong>der</strong> Religion o<strong>der</strong> einer an<strong>der</strong>en Überzeugung<br />

des Gewissens, sowie die Freiheit, die Religion <strong>und</strong> die Überzeugung in Form religiöser Handlungen <strong>und</strong><br />

Rituale o<strong>der</strong> auf an<strong>der</strong>en Wegen individuell o<strong>der</strong> zusammen mit an<strong>der</strong>en öffentlich o<strong>der</strong> privat zu äußern<br />

o<strong>der</strong> nicht zu äußern, auszuüben o<strong>der</strong> zu unterrichten.“<br />

Aus dem Gr<strong>und</strong>gesetz abgeleitet verfügen an<strong>der</strong>e Richtlinien – in erster Linie das Gesetz CXXIV/1997<br />

über die finanziellen Konditionen <strong>der</strong> religiösen <strong>und</strong> öffentlichen Aktivitäten <strong>der</strong> Kirchen – über die<br />

Gr<strong>und</strong>prinzipien <strong>der</strong> Institutsfinanzierung wie folgt:<br />

„5. § (1): Die Finanzierung <strong>der</strong> Aktivitäten von kirchlichen Institutionsbetreibern auf <strong>den</strong> Gebieten <strong>der</strong><br />

Bildung, Schulung, des Tertiärunterrichtes, <strong>der</strong> Kultur, des Sozialen, <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heit, des Sports, bzw.<br />

Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendschutzes aus dem Zentralhaushalt erfolgt anhand <strong>der</strong> allgemeinen, <strong>für</strong> Staats- <strong>und</strong><br />

Verwaltungsinstitute gelten<strong>den</strong> Regeln, mit <strong>den</strong>en zum gleichen Maße“.<br />

89


II. Methodologie <strong>und</strong> Problematik<br />

jedes Mitglied einer Gemeinschaft in <strong>der</strong> Lage sein soll, wenigstens<br />

Gr<strong>und</strong>bedürfnisse befriedigen zu können. Dies beinhaltet aber nicht, dass <strong>der</strong><br />

Staat sich um diese Gr<strong>und</strong>versorgung in Form kostenloser o<strong>der</strong> ermäßigter<br />

Zuschüsse – <strong>und</strong> zwar <strong>für</strong> alle – kümmern muss. Ein Großteil <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

ist in <strong>der</strong> Lage, dies aus eigener Kraft zu schaffen. Das Solidaritätsprinzip muss<br />

<strong>den</strong>jenigen gegenüber geltend gemacht wer<strong>den</strong>, die aus eigener Kraft eben nicht<br />

in <strong>der</strong> Lage sind, gr<strong>und</strong>legendste Bedürfnisse abzudecken.<br />

Der Unterschied zwischen bei<strong>den</strong> Prinzipien fällt ins Auge: minimale<br />

Pflichtversicherung, freiwillige Versicherung über dem Minimum <strong>und</strong> eine re-<br />

distributive Hilfe <strong>für</strong> Notlei<strong>den</strong>de o<strong>der</strong> eine universelle Berechtigung. We<strong>der</strong> das erste<br />

noch das zweite Prinzip schließen die gesetzgeb<strong>und</strong>enen staatlichen Verpflichtungen<br />

aus – schreiben sie aber auch nicht fest.<br />

Dazu, dass eine mehrere h<strong>und</strong>ert Jahre alte kirchliche Rollenübernahme im<br />

Ges<strong>und</strong>heitswesen nicht zurückgestuft, son<strong>der</strong>n ausgeweitet wird, bedarf es (abgesehen<br />

von <strong>der</strong> gesetzlich vorgeschriebenen Ressourcengarantie) eines regelmäßigen Dialogs<br />

<strong>der</strong> Kirchenleitung mit <strong>den</strong> politischen EntscheidungsträgerInnen zur Zeit <strong>der</strong><br />

Reformen, auch dann, wenn Fragen <strong>der</strong> kirchlichen Institutsfinanzierung in mehreren<br />

Abkommen <strong>und</strong> Verträgen fixiert wur<strong>den</strong>.<br />

Die ungarische Katholische Kirche ist nur mit <strong>den</strong> Gefahren <strong>der</strong> „Krisensituation“,<br />

entstan<strong>den</strong> durch die Ges<strong>und</strong>heitsreform, beschäftigt. Das ist teilweise berechtigt, <strong>den</strong>n<br />

die Rechte <strong>der</strong> Kirchen wur<strong>den</strong> bei <strong>den</strong> Reformen verletzt 220 . Gleichzeitig konzentriert<br />

sich die Kirche kaum auf die Möglichkeiten, die sich aus <strong>den</strong> Verän<strong>der</strong>ungen ergeben<br />

könnten. Es stimmt zwar, dass im Falle <strong>der</strong> Krankenhäuser immer weniger Ressourcen<br />

existieren. Der Ges<strong>und</strong>heitssektor hat aber mehrere „weiße Flecken“, in die die Kirchen<br />

MitarbeiterInnen entsen<strong>den</strong> <strong>und</strong> so das Sozialnetz stärken könnte. Im Endeffekt wäre<br />

dadurch die gesellschaftliche Basis <strong>der</strong> Kirchen ausgeweitet. Sie könnte ihre eigene<br />

Mission <strong>den</strong> Bedürftigen gegenüber erfüllen. Eine dieser weißen Flecken sind massiven<br />

Stresssituationen ausgesetzte Personen, die vorübergehend ohne mentale Unterstützung<br />

dastehen.<br />

220<br />

Bei <strong>der</strong> Finanzierung haben katholische Institutionen staatliche Normative nicht erhalten, wodurch die<br />

frühere „Vatikanvereinbarung” zwischen Kirche <strong>und</strong> Staat verletzt wurde.<br />

90


II. Methodologie <strong>und</strong> Problematik<br />

Die zahlreichen Unwetter <strong>der</strong> letzten Jahre führten in Ungarn zu mehreren<br />

Naturkatastrophen, bei <strong>den</strong>en die Notwendigkeit <strong>der</strong> Kooperation zwischen <strong>den</strong><br />

staatlichen Katastrophenschutzorganen <strong>und</strong> <strong>den</strong> diakonischen Einrichtungen <strong>der</strong><br />

Katholischen Kirche erneut auftauchte.<br />

Bereits früher gab es Ansuchen seitens <strong>der</strong> Katastrophenschutzorgane <strong>für</strong> eine<br />

Kooperation 221 , man konnte aber, abgesehen von <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>legung theoretischer<br />

Prinzipien <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> institutionellen Formen eines potentiellen Betriebs,<br />

keine Ergebnisse erzielen. Die Gründe hier<strong>für</strong> können wie folgt zusammengefasst<br />

wer<strong>den</strong>:<br />

• Die Katholische Kirche nimmt ihre Möglichkeiten auf dem Gebiet <strong>der</strong><br />

Kategorialpastoral nicht wahr, da die Spezialisierung <strong>und</strong> Pastoral jenseits <strong>der</strong><br />

Pfarr- bzw. Diözesanstrukturen – bis auf einige gut eingrenzbare Gebiete – <strong>der</strong><br />

jetzigen Kirchenstruktur fremd ist.<br />

• Die genaue Definition <strong>der</strong> Notfallsituationen, bei <strong>den</strong>en eine seelische Betreuung<br />

vonnöten wäre, fehlt heute noch.<br />

• We<strong>der</strong> die Finanzierung noch die Möglichkeiten <strong>der</strong> religionsbezogenen<br />

seelischen Hilfe <strong>und</strong> Präsenz wer<strong>den</strong> von <strong>der</strong> Sozialversicherung gestützt.<br />

• Das Aufkommen <strong>der</strong> sich ständig verän<strong>der</strong>n<strong>den</strong> „Sturmtruppen“ 222 im 19.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert ist <strong>den</strong> Diözesen – obwohl sie aus pastoraler Sicht nichts mit einer<br />

Krisensituation anfangen können – noch immer ein neues Gebiet, dessen<br />

institutionalisiertes Gesicht <strong>und</strong> Variabilität <strong>der</strong> Kirchenleitung Kopfzerbrechen<br />

verursacht.<br />

Die Kooperation mit <strong>den</strong> von <strong>der</strong> Sozialversicherung betriebenen Krankenhäusern wird<br />

darüber hinaus dadurch erschwert, dass nicht genau definiert wer<strong>den</strong> kann, welchen<br />

Status die kirchlichen MitarbeiterInnen in <strong>der</strong> Krankenversorgung haben bzw. haben<br />

können. Dies hat zur Folge, dass das Fachpersonal <strong>der</strong> Spitäler die Seelsorger nur<br />

schwer in <strong>den</strong> Prozess <strong>der</strong> Krankenversorgung einglie<strong>der</strong>n kann. Daher gibt es auch<br />

kein eindeutiges Protokoll darüber, wie ÄrztInnen, PsychologInnen o<strong>der</strong> Priester im<br />

Krankenhaus o<strong>der</strong> vor <strong>der</strong> Einlieferung in ein Krankenhaus an die Beteiligten kommen<br />

221 Der Wissenschaftsrat des Katastrophenschutzes ersucht die Kirchen im Jahre 2002 zur Ausarbeitung<br />

<strong>der</strong> Freiwilligenarbeit <strong>und</strong> des gesamten Programms, vgl.<br />

http://www.katasztrofavedelem.hu/index2.php?pageid=szervezet_tudomany [abgerufen am 10.11.2011].<br />

222 Ein Dorf ein Priester.<br />

91


II. Methodologie <strong>und</strong> Problematik<br />

o<strong>der</strong> auf welchen Gebieten <strong>der</strong> Krankenversorgung sie Menschen in Krisensituationen,<br />

bei einem Trauma o<strong>der</strong> PTSD 223 helfen können. Es sei hier vermerkt, dass die Präsenz<br />

eines hauptamtlichen Seelsorgers auch nicht eindeutig ist. 224<br />

In Ungarn wurde bei einer Sitzung des Wissenschaftsrates des Katastrophenschutzes<br />

festgehalten, dass die ungarischen Kirchen in die Katastrophenschutzarbeiten<br />

einbezogen wer<strong>den</strong> sollen. Als Gr<strong>und</strong> hier<strong>für</strong> wurde die hohe Zahl Seelsorge<br />

benötigen<strong>der</strong> Personen genannt. 225<br />

Ihre Rolle bei Katastrophensituationen wird von <strong>der</strong> ungarischen Kirche hauptsächlich<br />

mit <strong>der</strong> Spendung <strong>der</strong> Sakramente bzw. <strong>der</strong> Sammlung <strong>und</strong> Anbringung materieller<br />

Hilfsgüter definiert. Diese Aktivität beschränkt sich auf die Versorgung <strong>der</strong> primären<br />

Opfer. In diesem Fall kann die Tätigkeit – im Sinne kirchlicher Vorschriften – nur von<br />

Priestern versehen wer<strong>den</strong>. Freiwillige können sich nicht an <strong>der</strong> Arbeit beteiligen <strong>und</strong><br />

können lediglich Hilfsgüter verteilen. In Extremsituationen aber – zum Beispiel bei<br />

einem Unfall – ist es <strong>für</strong> einen Priester nicht immer einfach zu erahnen, welche<br />

speziellen Bedürfnisse eine Frau o<strong>der</strong> ein Kind haben könnte. 226 Im Weiteren ist es auch<br />

schwierig zu entschei<strong>den</strong>, mit wem sich <strong>der</strong> auf Seelsorge <strong>und</strong> Sakramentenspendung<br />

„spezialisierte“ Fachmann bei mehreren Verletzten beschäftigen soll (bei einem<br />

Busunfall z.B. können es sogar 30-35 Personen sein).<br />

In <strong>den</strong> letzten Jahren erhielten ungarische Kirche <strong>und</strong> Gesellschaft dank westlicher<br />

Vorschläge immer mehr Impulse, <strong>den</strong> Katastrophenopfern ganzheitliche, also Körper<br />

<strong>und</strong> Geist betreffende, Hilfe zu leisten. Bei Massenkatastrophen westlicher TouristInnen<br />

wer<strong>den</strong> Son<strong>der</strong>gruppen aus dem Heimatland entsendet, die dann <strong>den</strong> Kontakt suchen,<br />

um ihren MitbürgerInnen zu helfen, psychischen Krankheiten vorzubeugen o<strong>der</strong> die<br />

Genesung voranzutreiben.<br />

Angeregt von solchen Situationen könnten internationale Erfahrungen auf das<br />

ungarische Diözesannetz transplantiert wer<strong>den</strong>, falls die Kirche sich diesem neuen<br />

Gebiet als lehrende <strong>und</strong> lernende Kirche widmen würde.<br />

223 Posttraumatic Stress Disor<strong>der</strong>.<br />

224 Wir kämpfen ständig mit nicht eindeutig definierten Begriffen wie Seelsorger, Priester, Pfarrer,<br />

freiwillige BesucherInnen. Es ist nicht eindeutig, wer wo in <strong>den</strong> einzelnen Lebensbereichen eine Rolle hat<br />

o<strong>der</strong> haben könnte.<br />

225 Vgl. KÓNYA, Elgondolás a Magyar Köztársaság védelmi igazgatási rendszerének alakítására, 5.<br />

226 BUCHER / LADENHAUF, Welche Seelsorge brauchen Menschen heute?, 160.<br />

92


II. Methodologie <strong>und</strong> Problematik<br />

Albert Franz stellt die Frage:“ Was kann heute noch als katholische Tat betrachtet<br />

wer<strong>den</strong>?“ 227 Falls die katholische Tat mit <strong>der</strong> Fähigkeit <strong>der</strong> Kirche charakterisiert wird,<br />

die Gesellschaft auf die Zeichen <strong>der</strong> Zeit hinzuweisen, dann ist fraglich, ob die Tätigkeit<br />

des Klerus <strong>und</strong> <strong>der</strong> LaiInnen heutzutage als solche bezeichnet wer<strong>den</strong> kann. 228 Dies ist<br />

eine Schlüsselfrage, <strong>den</strong>n die Diakonie muss hier <strong>und</strong> heute auf das Leben <strong>der</strong><br />

Lei<strong>den</strong><strong>den</strong>, Verwahrlosten <strong>und</strong> Ausgelieferten achten. Diese Menschen bedürfen zur<br />

Bewahrung ihrer psychischen <strong>und</strong> physischen Ges<strong>und</strong>heit <strong>der</strong> Unterstützung. In Ungarn<br />

können sie diese Hilfe in organisierter Form we<strong>der</strong> von PsychologInnen noch von<br />

Angehörigen <strong>der</strong> Kirche bekommen. Dieses Alleingelassen-Sein wird dann <strong>der</strong><br />

Nährbo<strong>den</strong> <strong>für</strong> eine Symptomgruppe <strong>der</strong> PTSD, <strong>der</strong> Depression, die in <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

immer mehr verbreitet ist. 229<br />

Wenn wir es aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> Gesellschaft o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Verantwortlichen des<br />

Ges<strong>und</strong>heitssystems <strong>für</strong> wichtig halten, ein Beispiel da<strong>für</strong> zu setzen, wie man Menschen<br />

in einer Krisensituation sowohl psychisch als auch physisch versorgt, dann lohnt es<br />

sich, wenigstens alle zur Verfügung stehen<strong>den</strong> Möglichkeiten zu be<strong>den</strong>ken<br />

Die Anwendung traditioneller, lebendiger <strong>und</strong> von Vielen gekannten Praktiken <strong>für</strong><br />

spezielle Situationen ist von immenser Bedeutung. Das erste hiervon ist das Gebet, zu<br />

dem sich Taten gesellen sollen, <strong>den</strong>n diejenige Kirche, welche nur von <strong>der</strong> Liebe Gottes<br />

spricht, aber nichts tut, hat kein Recht Christ zu Hilfe zu rufen. Die Krankensalbung in<br />

<strong>der</strong> Gemeinde <strong>und</strong> am Krankenbett, <strong>der</strong> <strong>den</strong> langsamen Tod begleitende Hospiz-Dienst,<br />

die Kamillianerfamilien, die Kranke besuchen <strong>und</strong> Freiwillige, die Krankenhausbesuche<br />

machen, sowie die Hilfe an an<strong>der</strong>en Kliniken, in Altersheimen <strong>und</strong> Privathäusern bieten<br />

in Krisensituationen vielen eine Stütze.<br />

Diese Initiativen folgen <strong>den</strong> Überlegungen von Gaudium et Spes, nach <strong>den</strong>en sich <strong>der</strong><br />

Aufgabenkreis <strong>der</strong> Kirche verän<strong>der</strong>t hat. Dies bedeutet, dass man nun nicht mehr <strong>für</strong> die<br />

Seele allein, son<strong>der</strong>n <strong>für</strong> <strong>den</strong> gesamten Menschen verantwortlich ist. 230 Man kann<br />

natürlich darüber diskutieren, was man unter dieser Verantwortung zu verstehen hat <strong>und</strong><br />

227 FRANZ, Was ist heute noch Katholisch?.7-32.<br />

228 SANDER, In <strong>den</strong> Zeichen <strong>der</strong> Zeit die Lehren des Glaubens zumuten, 51-61. Zit. nach:<br />

http://www.sbg.ac.at/sathz/2003-1/sathz-2003-1-07_san<strong>der</strong>.pdf [abgerufen am 14.03.2011].<br />

229 Bevölkerungsuntersuchungen in Ungarn von KOPP, M., SKRABSKI. Á.,2002, vgl.<br />

http://www.behsci.sote.hu/hungarostudy2002/st_valosag_cikk.htm. [abgerufen am 14.03.2011].<br />

230 Vgl. GS 3.<br />

93


II. Methodologie <strong>und</strong> Problematik<br />

wie dies auf einem Spezialgebiet, welches Massen betrifft, in die Praxis umgesetzt<br />

wer<strong>den</strong> kann.<br />

6. Die Rolle <strong>und</strong> Aufgabe <strong>der</strong> Kirchen bei <strong>der</strong> Schaffung <strong>der</strong><br />

Zivilgesellschaft heute<br />

Die Wende stellte zahlreiche alte Funktionen religiöser Gesellschaften in Frage, bot<br />

gleichzeitig aber auch neue Möglichkeiten. Ein Teil <strong>der</strong> alten Mikrogemeinschaften<br />

fand neue Betätigungsfel<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Wirtschaft <strong>und</strong> bei <strong>der</strong> öffentlichen Hand. Diözesen<br />

<strong>und</strong> Glaubensgemeinschaften blieben aber weiterhin die standhaftesten Gr<strong>und</strong>strukturen<br />

örtlicher Gesellschaften. Die alten Aktivitäten wur<strong>den</strong> in zwei Richtungen fortgesetzt.<br />

Die eine war das öffentliche Leben. Ein deutlicher Teil <strong>der</strong> Selbstverwaltungen,<br />

Parteien <strong>und</strong> AktivistInnen lokaler Vereinigungen kam aus <strong>den</strong> Rängen <strong>der</strong> ehemals<br />

völlig unpolitischen religiösen Gemeinschaften. Die soziale Verpflichtung ist also<br />

geblieben.<br />

Die an<strong>der</strong>e, einen echten Aufschwung bedeutende Richtung, ist auf dem Gebiet <strong>der</strong><br />

Sozialversorgung vor Ort zu suchen. Dies wird durch <strong>den</strong> Prozess, bei dem <strong>der</strong> Staat<br />

sich immer mehr aus Ges<strong>und</strong>heits<strong>für</strong>sorge <strong>und</strong> Sozialversorgung zurückzieht, weiter<br />

betont. Die Sorgen <strong>der</strong> Kranken, Alten, Großfamilien, Menschen mit geringem Lohn,<br />

Arbeitslosen, aus sonstigen Grün<strong>den</strong> Benachteiligten <strong>und</strong> Suchtkranken ruhen immer<br />

mehr auf <strong>den</strong> Schultern <strong>der</strong> Gemeindeverwaltung <strong>und</strong> <strong>der</strong> direkten Wohnumgebung.<br />

Dieses Problem ist bei Weitem nicht bloß materieller Natur. Auch die Sicherheit einer<br />

Gemeinschaft, die persönliche Zuwendung, die gelegentliche Hilfe bei <strong>der</strong> Arbeit, <strong>der</strong><br />

Kin<strong>der</strong>versorgung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Abwicklung von Amtswegen u. Ä. haben eine große<br />

Bedeutung. Vor Allem sind aber das Erkennen <strong>der</strong> Notlage <strong>und</strong> Feingefühl bei <strong>der</strong><br />

Hilfeleistung notwendig. Direkte <strong>und</strong> inoffizielle zwischenmenschliche Kontakte<br />

können in Form einer nachbarschaftlichen o<strong>der</strong> von Kirchen bzw.<br />

Glaubensgemeinschaften kommen<strong>den</strong> Hilfe gewährleistet sein.<br />

Gemeinschafts<strong>den</strong>ken <strong>und</strong> die Hilfe <strong>für</strong> die Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> sind wichtige <strong>und</strong><br />

unabdingliche Dimensionen des religiös-kirchlichen Lebens. Zu dieser Hilfe gehört die<br />

Unterstützung konkreter Personen unter konkreten Umstän<strong>den</strong> ebenso wie die<br />

Vertretung <strong>der</strong> Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong>, das Streben nach <strong>der</strong> Umsetzung menschlicher <strong>und</strong><br />

94


II. Methodologie <strong>und</strong> Problematik<br />

gesellschaftlicher Entfaltungsmöglichkeiten auf lokaler (<strong>und</strong> staatlicher) Ebene, <strong>der</strong><br />

öffentliche Einsatz <strong>für</strong> eigene Werte <strong>und</strong> <strong>der</strong>en institutionelle Umsetzung, sowie <strong>der</strong><br />

Respekt <strong>der</strong> An<strong>der</strong>sartigkeit von An<strong>der</strong>en. All dies verpflichtet Gläubige <strong>und</strong><br />

Religionsgemeinschaften. Solch eine praktische Interpretation des Christentums (<strong>und</strong><br />

vielleicht auch an<strong>der</strong>er Religionen) birgt die Möglichkeit <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Zukunft noch<br />

deutlicher betonten Teilnahme <strong>der</strong> Kirchen als Netzwerke <strong>der</strong> Gemeinschaft <strong>und</strong> als<br />

Zellen <strong>der</strong> örtlichen Gesellschaft an <strong>der</strong> Formung <strong>der</strong> Zivilgesellschaft. Dies folgt aus<br />

dem christlichen Glauben. Darauf drängen die hingebungsvollen VertreterInnen <strong>der</strong><br />

Kirchen, <strong>und</strong> es wird auch von <strong>der</strong> Gesellschaft als Ganzes erwartet.<br />

Zu diesem Thema wurde eine Umfrage gemacht 231 . Das Ergebnis war, dass die<br />

Befragten <strong>den</strong> gesellschaftlichen Spielraum <strong>der</strong> Kirchen (d.h. „außerhalb <strong>der</strong> Kirche“)<br />

als sehr breit o<strong>der</strong> breit empf<strong>und</strong>en haben (insgesamt 67.6 %).<br />

Das Bild bezüglich <strong>der</strong> sozialen Funktionen <strong>der</strong> Kirche ist wi<strong>der</strong>sprüchlich. Einerseits<br />

ist aus <strong>den</strong> Messungen ersichtlich, dass die öffentliche Meinung unter allen möglichen<br />

<strong>und</strong> jetzt funktionieren<strong>den</strong> kirchlichen Gemeinschaftsdiensten diejenigen im<br />

Sozialbereich <strong>für</strong> wünschenswert <strong>und</strong> als <strong>der</strong> Funktion <strong>der</strong> Kirchen entsprechend<br />

erachtet. Während aber 62% <strong>der</strong> Befragten sich bei Notfällen an die<br />

Gemeindeverwaltung <strong>und</strong> 41% an eine staatliche Behörde wen<strong>den</strong>, <strong>den</strong>ken nur 15% 232<br />

daran, die Kirche aufzusuchen. An dieser starken Zentralisierung des Staates än<strong>der</strong>t<br />

auch die Tatsache nichts, dass we<strong>der</strong> Fürsorgefonds noch Gewerkschaften o<strong>der</strong><br />

Bewegungen als Hilfequellen genannt wer<strong>den</strong>.<br />

Im Ganzen wird die Gemeinschaftsdienstleistung <strong>der</strong> Kirchen von einem Viertel <strong>der</strong><br />

Befragten unterstützt. 38% <strong>der</strong> Befragten wür<strong>den</strong> <strong>für</strong> Sozialausgaben im Allgemeinen,<br />

35.5% nur <strong>für</strong> ein bestimmtes Institut, Mittel zur Verfügung stellen. Für <strong>den</strong> Unterricht<br />

im Allgemeinen bzw. an einem bestimmten Institut jeweils 30%, <strong>für</strong> an<strong>der</strong>e Zwecke<br />

25%. Unter <strong>den</strong> kirchlichen Instituten gibt es offensichtlich traditionsreiche<br />

Institutionen, die entsprechende Fachleute haben. Es gibt wie<strong>der</strong>um solche, die<br />

Probleme mit <strong>der</strong> Fachkräfteversorgung haben, o<strong>der</strong> solche, die unlängst gegründet<br />

wur<strong>den</strong>, wodurch es noch an Erfahrungen mit ihrem Betrieb fehlt. Nur ein geringer Teil<br />

<strong>der</strong> Menschen hat konkrete Erfahrungen mit Gemeinschaftsdiensten <strong>der</strong> Kirche<br />

231<br />

Das Ministerium <strong>für</strong> Nationalressourcen führte eine repräsentative Umfrage über die Beurteilung <strong>der</strong><br />

Kirchen <strong>und</strong> ihrer Aktivitäten durch.<br />

232<br />

http://www.nefmi.gov.hu/letolt/egyhaz/vatikanijelentes 06nov11.pdf, 15 [abgerufen am 15.02.2011].<br />

95


II. Methodologie <strong>und</strong> Problematik<br />

(abhängig vom Institutstyp 5-12%). Jedoch haben deutlich mehr Personen eine gute<br />

Meinung von <strong>den</strong> Instituten selbst. Es scheint so zu sein, dass aufgr<strong>und</strong> dieser relativ<br />

geringen empirischen Bekanntheit <strong>der</strong> Organisationen diesbezügliche Stereotype von<br />

einem Institut auf das an<strong>der</strong>e übertragen wer<strong>den</strong>. Je<strong>den</strong>falls <strong>den</strong>ken 55-60% <strong>der</strong><br />

Befragten, dass die Arbeitsqualität in <strong>den</strong> <strong>den</strong> Kirchen zurückgegebenen Instituten o<strong>der</strong><br />

in <strong>den</strong> dort aufgebauten Organisationen sich im Vergleich zu früheren Zeiten nicht<br />

geän<strong>der</strong>t hat. Ein ganz geringer Anteil (8-10%) <strong>den</strong>kt, dass die Arbeitsqualität sich<br />

verschlechtert hat, <strong>und</strong> 25-39% sind <strong>der</strong> Ansicht, dass die Arbeit besser wird. 233 Es<br />

lohnt sich anzuführen, dass die Öffentlichkeit die Verbesserung des<br />

Arbeitswirkungsgrades am meisten in <strong>den</strong> Altersheimen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Armenbeihilfe sieht.<br />

Der Einfluss <strong>der</strong> Kircheninstitute – seien sie noch so wichtig auf allen Gebieten – ist<br />

<strong>den</strong>noch kleiner, als die Gesellschaft das glauben mag. Ein Teil dieser ist von <strong>den</strong><br />

Kirchen unabhängig (ich halte Institutionen <strong>für</strong> gut, weil ich höre, dass sie gut sind). Ein<br />

an<strong>der</strong>er Teil folgt aus dem Maß <strong>der</strong> kirchlichen Bindung des/r Befragten. 234<br />

Der Staat war gezwungen, die Ges<strong>und</strong>heitsreform aufgr<strong>und</strong> des starken Wi<strong>der</strong>stands<br />

einzustellen. Seitdem wer<strong>den</strong> we<strong>der</strong> die Notwendigkeit noch die Möglichkeit Der<br />

Än<strong>der</strong>ung angesprochen. Seit dem Regierungswechsel <strong>und</strong> <strong>den</strong> Naturkatastrophen<br />

wurde die Frage unter <strong>den</strong> Teppich gekehrt, obwohl neue Maßnahmen spürbar<br />

notwendig wären. Die in <strong>der</strong> Öffentlichkeit herrschende Stimmung lässt dies noch<br />

immer nicht auf die Ebene <strong>der</strong> Gesellschaft. Die seit 2005 amtierende Regierung hat die<br />

„Moral“ früherer Wi<strong>der</strong>stände erkannt <strong>und</strong> schweigt über <strong>den</strong> Zustand des<br />

Ges<strong>und</strong>heitssektors.<br />

233 http://www.nefmi.gov.hu/letolt/egyhaz/vatikanijelentes06nov11.pdf, 14 [abgerufen am 15.02.2011].<br />

Das Ministerium <strong>für</strong> Nationalressourcen führte eine repräsentative Umfrage über die Beurteilung <strong>der</strong><br />

Kirchen <strong>und</strong> ihrer Aktivitäten durch.<br />

234 http://www.nefmi.gov.hu/letolt/egyhaz/vatikanijelentes06nov11.pdf, 15-16 [abgerufen am<br />

15.02.2011].<br />

96


III. Vorstellung österreichischer <strong>und</strong> deutscher NFS-Modelle<br />

III. Vorstellung österreichischer <strong>und</strong> deutscher NFS-Modelle<br />

Der dritte Teil <strong>der</strong> vorliegen<strong>den</strong> Dissertation zeigt NFS-Modelle österreichischer <strong>und</strong><br />

deutscher Diözesen als operierende Modelle, welche ungarischen Diözesen die<br />

Möglichkeit bieten, von ihren Aktivitäten zu lernen. Gemäß <strong>der</strong> Theorie Alfred<br />

Jägers 235 , nach <strong>der</strong> die Diakoniearbeit nur dann lebensfähig ist, wenn nicht nur das<br />

theologische, son<strong>der</strong>n auch das ökonomische Gleichgewicht berücksichtigt wird,<br />

wur<strong>den</strong> zur Aufarbeitung <strong>der</strong> Modelle auch Metho<strong>den</strong> <strong>der</strong> Marktforschung <strong>und</strong><br />

Wirtschaft herangezogen. Im Laufe <strong>der</strong> Arbeit wurde aus <strong>den</strong> durchgeführten Interviews<br />

anhand <strong>der</strong> oben angeführten Kriterien eine SWOT-Analyse <strong>der</strong> untersuchten Modelle<br />

erstellt. Diese dienten als Gr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> die späteren Arbeitsphasen.<br />

Anhand <strong>der</strong> Interviews wur<strong>den</strong> jeweils vier österreichische <strong>und</strong> deutsche Modelle<br />

ausgesucht <strong>und</strong> <strong>der</strong>en SWOT-Analyse erstellt.<br />

Hinter <strong>der</strong> Auswahl stehen zwei Aspekte: einerseits wur<strong>den</strong> Modelle, über die <strong>der</strong><br />

Verfasser <strong>der</strong> Dissertation die meisten <strong>und</strong> komplexesten Informationen hatte,<br />

ausgesucht. An<strong>der</strong>erseits wur<strong>den</strong> bei <strong>der</strong> Auswahl Modelle mit Extremen in Verbindung<br />

mit ihrer Betriebsweise, Effizienz, Problemstellungen <strong>und</strong> Resultate bevorzugt.<br />

Im Folgen<strong>den</strong> wird also jeweils ein österreichisches <strong>und</strong> ein deutsches Modell<br />

vorgestellt, um die Art <strong>und</strong> Weise sowie die Interpretation <strong>der</strong> SWOT-Analyse zu<br />

verdeutlichen.<br />

Das Klagenfurter Modell wird als Negativum, das Berliner Modell als Positivum<br />

detailliert vorgestellt.<br />

1. Modell „Klagenfurt” – Präsentation eines österreichischen Modells 236<br />

Die erste mit Hilfe <strong>der</strong> SWOT-Analyse vorgestellte Organisation ist ein österreichisches<br />

Modell. Dessen weitere Behandlung ist wichtig <strong>und</strong> lehrreich, da hier ersichtlich wird,<br />

dass dieser Zweig selbst in Staaten, wo man starke Traditionen <strong>der</strong> kategorialen<br />

Seelsorge vermutet, nicht gut funktioniert. Überall dort, wo die Diözesanleitung nicht<br />

235 Vgl. JÄGER, ebd.<br />

236 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 5-11.<br />

97


III. Vorstellung österreichischer <strong>und</strong> deutscher NFS-Modelle<br />

von <strong>der</strong> Wichtigkeit ihrer Tätigkeit überzeugt ist, kann es mit <strong>der</strong> Zeit passieren, dass<br />

die NFS-Organisation nur mehr formal existiert.<br />

Im Folgen<strong>den</strong> soll also das Modell Klagenfurt mit <strong>der</strong> SWOT-Analyse untersucht<br />

wer<strong>den</strong>:<br />

Stärken:<br />

- Die NFS-Organisation ist bereits aufgebaut, die Arbeit wurde aufgenommen. Sie<br />

hat Planung, Einbettung in die Diözese <strong>und</strong> Festlegung rechtlicher Gr<strong>und</strong>lagen<br />

hinter sich. Es gibt Strukturen <strong>und</strong> Vorstellungen, anhand <strong>der</strong>er die Organisation<br />

operieren kann. Der Dienst erlaubt während des Betriebs, dass marktorientierte<br />

Prinzipien zur Geltung kommen bzw. wer<strong>den</strong> Kontakte bevorzugt, mit <strong>den</strong>en das<br />

System betrieben wer<strong>den</strong> kann.<br />

- Die Ausbildung erfolgt in Wien, die Kosten <strong>der</strong> Infrastruktur wer<strong>den</strong> von <strong>der</strong><br />

Diözese übernommen. Sie bietet des Weiteren KollegInnen die Möglichkeit,<br />

sich am Dienst zu beteiligen.<br />

- Welche Notsituation sich auf dem Gebiet <strong>der</strong> Diözese auch ergibt, es gibt eine<br />

Schwächen:<br />

Gruppe, die entsprechend qualifiziert ist, um die Arbeit auszuführen. Für einen<br />

schnellen Einsatz gibt es immer Möglichkeiten.<br />

- Der Koordinator kann die MitarbeiterInnen in keiner Form motivieren. Es gibt<br />

keine Listen, auf <strong>den</strong>en die Erreichbarkeit festgehalten wird, keine<br />

Mindestdienstzeiten, we<strong>der</strong> Motivationsbriefe noch Jahresberichte, die besten<br />

KollegInnen wer<strong>den</strong> <strong>für</strong> ihre Leistungen nicht anerkannt, es fehlen gemeinsame<br />

Programme o<strong>der</strong> Ähnliches, um die Gruppenzusammengehörigkeit zu stärken.<br />

- Es gibt keine Resultate, die jährlichen zwei bis sechs Einsätze sind kaum<br />

auszuwerten, es wer<strong>den</strong> keine Versuche unternommen, etwaige Effizienz im<br />

Vergleich zu an<strong>der</strong>en Organisationen zu messen, von qualitativer Arbeit <strong>und</strong><br />

Erwartungen an Dienst <strong>und</strong> MitarbeiterInnen kann keine Rede sein.<br />

- Die Zahl <strong>der</strong> MitarbeiterInnen ist hier am niedrigsten, neue KollegInnen wer<strong>den</strong><br />

nicht gesucht, es gibt kaum Bewerbungen <strong>und</strong> auch keine Vorstellungen<br />

darüber, wie viele Personen <strong>für</strong> ein funktionierendes Team überhaupt benötigt<br />

98


III. Vorstellung österreichischer <strong>und</strong> deutscher NFS-Modelle<br />

wer<strong>den</strong>. MitarbeiterInnen wer<strong>den</strong> we<strong>der</strong> weitergebildet noch wird nach<br />

ExpertInnen <strong>für</strong> eine qualifizierte Arbeit gesucht.<br />

- Der Koordinator selbst verspürt keinen Eifer <strong>für</strong> effektive <strong>und</strong> erfolgreiche<br />

Arbeit <strong>und</strong> sieht keine Möglichkeit zur Erhöhung <strong>der</strong> Arbeitseffizienz, nicht<br />

einmal sich selbst kann er motivieren. Er ist <strong>der</strong> Aktivität sichtlich müde,<br />

obwohl gerade seine Einstellung das Modell am stärksten beeinflusst. Auch die<br />

Diözese motiviert ihn nicht, erfolgreicher <strong>und</strong> effizienter zu arbeiten. Eine<br />

Vernetzung mit <strong>der</strong> Konferenz <strong>der</strong> Diözesanbeauftragten <strong>der</strong> katholischen NFD<br />

wird nicht gesucht.<br />

- Die MitarbeiterInnen im Dienst sind von <strong>der</strong> Arbeit frustriert. Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

geringen Zahl an Einsätzen <strong>und</strong> Anfragen bildet sich kaum ein Wir-Gefühl, in<br />

<strong>der</strong> Freizeit wird mit dieser Beschäftigung nicht gerechnet, zu freiwilliger Arbeit<br />

besteht kein Ansporn.<br />

- Obwohl ein Großteil <strong>der</strong> Gruppe evangelisch ist, habe ich aus externen Quellen<br />

Chancen:<br />

erfahren, dass die bei<strong>den</strong> Kirchen aufgr<strong>und</strong> persönlicher Differenzen nicht<br />

reibungslos miteinan<strong>der</strong> arbeiten, da die viel kleinere evangelische Kirche davon<br />

abhängig ist, dass von <strong>den</strong> Verantwortlichen <strong>der</strong> katholischen Kirche Aktivitäten<br />

gesetzt wer<strong>den</strong>.<br />

- Das Training <strong>für</strong> die MitarbeiterInnen findet in einer an<strong>der</strong>en Diözese statt, die<br />

KoordinatorInnen <strong>und</strong> NFS-KollegInnen haben eine jährliche Weiterbildung,<br />

mit <strong>der</strong>en Hilfe die Modelle an<strong>der</strong>er Diözesen erlernt <strong>und</strong> angewandt wer<strong>den</strong><br />

können <strong>und</strong> ein Entwicklungsprozess <strong>für</strong> eine effiziente Organisation gestartet<br />

wer<strong>den</strong> kann. Diese Beziehungen müssen we<strong>der</strong> gesucht noch mit an<strong>der</strong>en<br />

PartnerInnenorganisationen aufgenommen wer<strong>den</strong>, da sie bereits bestehen.<br />

- Durch Gesellschaftsprozesse, Anspruch an Offenheit <strong>und</strong> die Notwendigkeit <strong>der</strong><br />

Kooperation sind sie sich über die Aktivitäten <strong>der</strong> letzten Jahre im Klaren.<br />

Wür<strong>den</strong> diese Erfahrungen gesammelt, könnten sie neu ausgewertet <strong>und</strong> mit<br />

an<strong>der</strong>en DienstleistungsanbieterInnen eine stärkere Organisationsstruktur<br />

ausgebaut wer<strong>den</strong>.<br />

99


III. Vorstellung österreichischer <strong>und</strong> deutscher NFS-Modelle<br />

- Dadurch, dass die Diözese das Modell geschaffen hat <strong>und</strong> betreibt, zeigt sich,<br />

Gefahren:<br />

dass diese Organisation <strong>für</strong> die Diözese wichtig ist. Ein neu begonnener,<br />

intensiver <strong>und</strong> ungestörter Kontakt zur evangelischen Kirche auf<br />

ExpertInnenebene könnte <strong>der</strong> Organisation zu effektiverer Kooperation<br />

verhelfen.<br />

- Der Organisation ist es in letzter Zeit nicht gelungen, eine/n markante/n<br />

SponsorIn zu fin<strong>den</strong>, so dass das Modell in <strong>der</strong> Luft zu schweben scheint.<br />

Natürlich existiert die Verbindung <strong>der</strong> Organisation zur Kirche auf dem Papier,<br />

aber es gibt keine vereinbarte Methode <strong>der</strong> Kommunikation.<br />

- Die Diözese ist bemüht, die mit <strong>der</strong> Organisation verb<strong>und</strong>enen Kosten niedrig zu<br />

halten. Das ist natürlich zu verstehen, muss aber gut durchdacht sein, damit das<br />

Modell seine Funktionstüchtigkeit bewahrt <strong>und</strong> seine Effektivität nicht<br />

beeinträchtigt wird. Es ist noch fraglich, ob das Land daran interessiert ist, das<br />

Modell zu betreiben <strong>und</strong> was die Organisation zu garantieren wünscht.<br />

- Die Funktionsweise des Modells ist nicht effizient, daher kann sie auch nicht als<br />

erfolgreich bezeichnet wer<strong>den</strong>, auch gesellschaftlich ist sie nicht anerkannt. Dies<br />

zeigt sich auch darin, dass die NFS von an<strong>der</strong>en Einsatzorganisationen (Rotes<br />

Kreuz, Feuerwehr) kaum beigezogen wird. Eine Folge davon ist, dass es keine<br />

Neuanmeldungen <strong>für</strong> MitarbeiterInnen gibt. Offensichtlich wird kein<br />

Nachwuchs rekrutiert, als ob kein Bedarf nach neuen MitarbeiterInnen bestünde.<br />

Dadurch gräbt sich die Organisation selbst das Wasser ab.<br />

100


III. Vorstellung österreichischer <strong>und</strong> deutscher NFS-Modelle<br />

Die zusammenfassende Tabelle <strong>der</strong> obigen Analyse sieht wie folgt aus:<br />

Dieses Modell könnte auch die Zusammenfassung <strong>der</strong> von <strong>den</strong> Traditionen<br />

abweichen<strong>den</strong>, spiritualistischen Pastoralaktivitäten an<strong>der</strong>er Diözesen sein. Geringe<br />

MitarbeiterInnenzahlen, häufige Burn-Outs unter <strong>den</strong> MitarbeiterInnen, die Gewinnung<br />

neuer MitarbeiterInnen, die Effizienz <strong>der</strong> Organisation sowie ihre Finanzierung werfen<br />

viele Fragen auf. Der Mangel an Ergebnissen wird seitens <strong>der</strong> Kirche als ein Fehlen <strong>der</strong><br />

Gnade betrachtet, wohl mit <strong>der</strong> Erklärung im Hintergr<strong>und</strong>, dass „<strong>der</strong> Geist [eben] weht,<br />

wo er will“. Sind aber <strong>der</strong> Mangel an neuen Ideen <strong>und</strong> Initiativen bzw. das Scheitern<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Misserfolg immer auf das Fehlen <strong>der</strong> göttlichen Gnade zurückzuführen? Man<br />

101


III. Vorstellung österreichischer <strong>und</strong> deutscher NFS-Modelle<br />

kann sich hinter solchen Antworten verstecken, aber muss man im Sinne <strong>der</strong> Effizienz<br />

nicht konkret handeln?<br />

Das Ziel <strong>der</strong> vorliegen<strong>den</strong> Arbeit ist keinesfalls die Evaluierung <strong>der</strong> Aktivitäten,<br />

son<strong>der</strong>n viel mehr die Präsentation von Möglichkeiten zum gemeinsamen<br />

Weiter<strong>den</strong>ken.<br />

2. Modell „Berlin” – Vorstellung eines deutschen Modells 237<br />

Im Folgen<strong>den</strong> soll eine seit zwölf Jahren in Deutschland aktive Organisation vorgestellt<br />

wer<strong>den</strong>, <strong>der</strong>en Arbeit sich auf eine Stadt konzentriert. Trotzdem kann bei <strong>der</strong> Analyse<br />

<strong>der</strong> verrichteten Arbeit das Gefühl entstehen, dass die Entfernungen groß sind, was die<br />

bessere Versorgung deutlich behin<strong>der</strong>t.<br />

SWOT-Analyse:<br />

Stärken:<br />

- Im Modell „Berlin” können nicht nur die Zentrale, son<strong>der</strong>n alle vor Ort an <strong>der</strong><br />

Rettung beteiligten Dienste alarmiert wer<strong>den</strong>. Da <strong>der</strong> Dienst bei zwei örtlichen<br />

Min<strong>der</strong>heiten West <strong>und</strong> Ost Berlin direkt präsent ist, ermöglicht dies einen<br />

effizienteren Eingriff in diesen Gemein<strong>den</strong>. Wenn nicht die gesamte<br />

Rettungsgruppe, son<strong>der</strong>n nur die Seelsorge gebraucht wird, können<br />

MitarbeiterInnen also extra aufgesucht wer<strong>den</strong>. Auch externe Organisationen<br />

haben Einblick, welche Aktivitäten die NFS verrichtet <strong>und</strong> wann sie zu<br />

alarmieren ist.<br />

- Dem Modell <strong>der</strong> Berliner NFS liegt ein öffentlich einsichtiges<br />

Organisationsschema zugr<strong>und</strong>e. Dieses zeigt, wie Prozesse innerhalb <strong>der</strong><br />

Organisation verlaufen. Alle MitarbeiterInnen kennen das Schema <strong>und</strong> dies ist<br />

am Sitz <strong>der</strong> Organisation je<strong>der</strong>zeit <strong>für</strong> alle abrufbar. Durch die graphisch<br />

expliziert dargestellte Organisationsstruktur wer<strong>den</strong> dem/r externen<br />

BeobachterIn die organisationsinternen Prozesse klar, bzw. wissen auch alle<br />

MitarbeiterInnen genau, wer wann wo<strong>für</strong> verantwortlich ist.<br />

- Es wer<strong>den</strong> fortlaufend Auswertungen <strong>und</strong> Analysen des Modellbetriebs erstellt.<br />

Daten wer<strong>den</strong> auf Jahre zurück gespeichert, evaluiert <strong>und</strong> miteinan<strong>der</strong><br />

237 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 63-72.<br />

102


III. Vorstellung österreichischer <strong>und</strong> deutscher NFS-Modelle<br />

verglichen. Ein gutes Feedback <strong>und</strong> die ständige Hintergr<strong>und</strong>arbeit sind eine<br />

optimale Gr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> die Weiterentewicklung des Modells.<br />

- Die Leiter des Modells suchen ständig nach Möglichkeiten, auf sich än<strong>der</strong>nde<br />

Gesellschaftsansprüche zu reagieren bzw. an bestehende Programme<br />

anzuknüpfen, wie z.B. die Fußball-WM, welche <strong>den</strong> Bekanntheitsgrad <strong>und</strong> das<br />

Image <strong>der</strong> Organisation verbessern können. Ihre Offenheit zeigt sich auch<br />

dadurch, dass sie mit an<strong>der</strong>en Organisationen – auch mit jüdischen <strong>und</strong><br />

muslimischen – zusammenarbeiten können, wobei sie gleichzeitig ihren<br />

christlichen Charakter betonen.<br />

- Der Modellleiter überprüft ständig, woher Anrufe kommen <strong>und</strong> woher nicht.<br />

Schwächen:<br />

Dorthin wer<strong>den</strong> dann Informationsbroschüren geschickt. Der Koordinator<br />

überprüft auch die Aktivitäten selbst, achtet auf neue Bedürfnisse <strong>und</strong><br />

organisiert Weiterbildungen anhand <strong>der</strong> aufgetauchten Fragen, Probleme <strong>und</strong><br />

Resultate.<br />

- Das Alarmierungssystem des Modells birgt eine große Unsicherheit in sich, da<br />

es keine eindeutige Erreichbarkeitsliste gibt <strong>und</strong> man nicht weiß, welche<br />

MitarbeiterInnen außer dem Koordinator zu einem bestimmten Zeitpunkt mit<br />

Sicherheit erreicht o<strong>der</strong> eingesetzt wer<strong>den</strong> können. Dies senkt die Effizienz bzw.<br />

die Schnelligkeit des Erscheinens vor Ort, wodurch auch die Arbeitseffizienz<br />

geringer wird.<br />

- Die Belastung des Koordinators ist zu groß. Neben <strong>den</strong> Vollzeitaktivitäten muss<br />

die Koordination kontinuierlich über die ganze Woche versehen wer<strong>den</strong>. Neben<br />

dieser Einteilung wer<strong>den</strong> die an<strong>der</strong>en Tätigkeiten bzw. die NFS-Aktivität<br />

ständig reduziert, o<strong>der</strong> es nimmt sich aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> zu großen Belastung niemand<br />

großherzig dieser Aufgabe an.<br />

- Aus <strong>den</strong> Interviews wurde ersichtlich, dass es zwischen dem örtlichen Pfarrer<br />

<strong>und</strong> <strong>den</strong> NFS-MitarbeiterInnen zu Konflikten kam. Es kam schon vor, dass sich<br />

<strong>der</strong> örtliche Pfarrer, am Einsatzort eingetroffen, nicht an <strong>der</strong> Versorgung<br />

beteiligen konnte. Die gemeinsame Arbeit verläuft also nicht reibungslos, <strong>und</strong><br />

103


III. Vorstellung österreichischer <strong>und</strong> deutscher NFS-Modelle<br />

dies belastet die Effizienz bzw. kann mit <strong>der</strong> Zeit die Angesehenheit des Modells<br />

innerhalb <strong>der</strong> Kirche darunter lei<strong>den</strong>.<br />

- Der Leiter meinte, dass mehrere externe Personen – Kleriker <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e<br />

ExpertInnen – das Gefühl hätten, die NFS-MitarbeiterInnen wür<strong>den</strong> nicht genug<br />

Einsätze verrichten. Daher will <strong>der</strong> Koordinator das Personal aufstocken,<br />

obwohl es sein kann, dass lediglich die Motivation <strong>der</strong> MitarbeiterInnen zu<br />

gering ist. Um dies zu klären, sollten Aufgaben gründlicher untersucht,<br />

Möglichkeiten erforscht <strong>und</strong> Einsätze analysiert wer<strong>den</strong>.<br />

- Es kommt lediglich ein/e MitarbeiterIn an <strong>den</strong> jeweiligen Einsatzort, somit hat<br />

Chancen:<br />

diese/r keine/n Kollegen/in, <strong>der</strong>/die seine/ihre Arbeit konkret o<strong>der</strong> auch mental<br />

unterstützen könnte.<br />

- Die Aktivität <strong>der</strong> Organisation ist auf einzigartige Weise ständig im Leben <strong>der</strong><br />

lokalen Gesellschaft präsent, hat eine gute Qualität, wodurch die Organisation<br />

<strong>den</strong> Respekt <strong>der</strong> kooperieren<strong>den</strong> Organisationen gewonnen hat. Sie braucht ihre<br />

Wichtigkeit <strong>und</strong> ihren Sinn nicht zu beweisen, weshalb sie hier<strong>für</strong> keinen<br />

Son<strong>der</strong>aufwand betreiben muss.<br />

- Ihre soziale Bedeutung zeigt sich daran, dass sie bei größeren Ereignissen um<br />

Kooperation gebeten wird. Dadurch gewinnt sie neue För<strong>der</strong>er/Fö<strong>der</strong>innen <strong>und</strong><br />

erlangt eine größere Bekanntheit, bzw. kann sie zur Entwicklung ihrer<br />

Aktivitäten weitere mitwirkende PartnerInnen gewinnen.<br />

- Detaillierte Angaben <strong>und</strong> die fortlaufend aufgearbeiteten Berichte bieten die<br />

Möglichkeit, Aktivitäten professionell zu planen, neue ExpertInnen<br />

hinzuzuziehen <strong>und</strong> die Resultate <strong>der</strong> Aktivitäten zu publizieren.<br />

- Der Einbezug <strong>der</strong> Gemeinschaft muslimischer <strong>und</strong> jüdischer ÄrztInnen in die<br />

Aktivitäten zeigt, dass an<strong>der</strong>e Religionen <strong>und</strong> Volksgruppen nicht aus <strong>der</strong><br />

Aktivität <strong>der</strong> Organisation ausgeschlossen sind, d.h. dass die Hilfeleistung sich<br />

nicht auf christliche BürgerInnen beschränkt. Diese Tätigkeit ist keine<br />

Missionstätigkeit, <strong>den</strong>noch stärkt sie die Toleranz <strong>und</strong> för<strong>der</strong>t die<br />

Kommunikation unter <strong>den</strong> Religionen.<br />

104


Gefahren:<br />

III. Vorstellung österreichischer <strong>und</strong> deutscher NFS-Modelle<br />

- Die OrganisationsleiterInnen sind stark mit <strong>den</strong> ständig steigen<strong>den</strong><br />

Gesellschaftsansprüchen konfrontiert, was schnell zu Frustration, Ermüdung<br />

o<strong>der</strong> auch Burn-Out führt. Ist dieser Druck zu stark, kann er Kreativität <strong>und</strong><br />

Leistung verringern.<br />

- Die im Laufe <strong>der</strong> Aktivitäten mit an<strong>der</strong>en Seelsorgern entstan<strong>den</strong>en Konflikte<br />

resultieren in einem Konkurrenzkampf, <strong>der</strong> Vermin<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Bekanntheit<br />

innerhalb <strong>der</strong> Kirche <strong>und</strong> <strong>der</strong> mangeln<strong>den</strong> Attraktivität <strong>der</strong> Organisation <strong>für</strong><br />

potenzielle neue MitarbeiterInnen. Der Konflikt bringt auch Statusfragen zum<br />

Vorschein: Wer ist NFS-Seelsorger, wer Diözesanseelsorger – <strong>und</strong> wer verfügt<br />

in welcher Situation über welche Kompetenzen?<br />

- Obwohl das Alarmierungssystem sehr offen ist, zeigen Daten, dass<br />

Alarmierungen nicht o<strong>der</strong> nur ganz selten aus Pfarren o<strong>der</strong> von ChristInnen<br />

kommen. Als ob die Leitung diese Form des Erreichens <strong>der</strong> Gesellschaft als<br />

unwichtig erachten würde, <strong>und</strong> das, obwohl die Entwicklung dieses Gebietes die<br />

Einglie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> NFS in das kirchliche Leben erleichtern würde. Wird diese<br />

vernachlässigt, kann auch die NFS früher o<strong>der</strong> später als Fremdkörper erachtet<br />

wer<strong>den</strong>.<br />

105


III. Vorstellung österreichischer <strong>und</strong> deutscher NFS-Modelle<br />

Die zusammenfassende Tabelle <strong>der</strong> obigen Analyse sieht wie folgt aus:<br />

Das Modell „Berlin” ist ein gutes Beispiel da<strong>für</strong>, wie man ein NFS-Modell in einer<br />

Stadt gut organisieren <strong>und</strong> gesellschaftlich verankern kann, wie man im Laufe <strong>der</strong> Jahre<br />

immer neue Gemeinschaften in die Aktivitäten mit einbeziehen <strong>und</strong> nebenbei die<br />

eigenen Werte bewahren kann. Das Modell ist <strong>für</strong> Inspirationen sowohl von innen als<br />

auch von außen sehr offen. Es möchte beson<strong>der</strong>s externen Ansprüchen entsprechen,<br />

wobei die interne Struktur sich in <strong>den</strong> letzten Jahren nicht allzu viel verän<strong>der</strong>t hat. Der<br />

106


III. Vorstellung österreichischer <strong>und</strong> deutscher NFS-Modelle<br />

erhöhte Bekanntheitsgrad muss aber auch <strong>den</strong> Wunsch nach einer internen<br />

Umstrukturierung mit sich bringen.<br />

107


IV. Benchmarking Analyse<br />

IV. Benchmarking Analyse<br />

Der Begriff “Benchmarking“ wurde bereits in dem methodologischen Teil beschrieben<br />

(vgl. 2. Kapitel), nun erfolgt die Ausarbeitung <strong>der</strong> Methode. Bei <strong>der</strong> Beschreibung<br />

wur<strong>den</strong> die Prinzipien <strong>der</strong> Arbeitspsychologie als “Regelsystem“ verwendet, wodurch<br />

<strong>der</strong> Prozess vollständig vorgestellt wird. 238 .<br />

1. Die Führung<br />

Es ist natürlich kein Zufall, dass das EFQM-Modell 239 bei <strong>der</strong> Analyse <strong>der</strong> qualitativen<br />

Arbeitsverrichtung <strong>der</strong> Organisationen mit <strong>der</strong> Analyse des Themenkreises „Leitung“<br />

beginnt.<br />

1.1. Die Verantwortung <strong>der</strong> Leitung <strong>für</strong> die Qualität <strong>der</strong> NFS<br />

Die menschlichen <strong>und</strong> fachlichen Qualitäten sowie die erlernten <strong>und</strong> im Unterbewussten<br />

verborgenen Fähigkeiten 240 <strong>der</strong> LeiterInnen prägen <strong>den</strong> effizienten Betrieb einer<br />

Organisation stark. Die internen Ansprüche, Ziele <strong>und</strong> Wertsysteme <strong>und</strong> die<br />

Zufrie<strong>den</strong>heit des Top-Managements drücken dem Betrieb <strong>der</strong> gesamten Organisation<br />

ihren Stempel auf, auch dadurch, dass die Leiten<strong>den</strong> anhand ihrer eigenen Wertsysteme<br />

entschei<strong>den</strong>, welche Leute sie als MitarbeiterInnen gewinnen wollen/anstellen. 241<br />

Daher ist es also bei <strong>der</strong> Organisation <strong>und</strong> beim Betrieb beson<strong>der</strong>s wichtig, eine/n<br />

wirklich geeignete/n LeiterIn zu fin<strong>den</strong>, <strong>der</strong>/die seine/ihre KollegInnen nicht nur<br />

motivieren, son<strong>der</strong>n in allen Belangen des anspruchsvollen Betriebes stärken kann.<br />

LeiterInnen wer<strong>den</strong> anhand verschie<strong>den</strong>er Selektionssysteme ausgewählt, <strong>der</strong>en<br />

Gr<strong>und</strong>lagen zumeist die fachlichen Vorkenntnisse bzw. die Erfahrung früherer<br />

Arbeitsplätze sind, welche in das Profil <strong>der</strong> Aufgabe passen. Da die NFS-Aktivität an<br />

<strong>den</strong> meisten Orten eine unbekannte Dienstform gewesen ist, wur<strong>den</strong> die LeiterInnen<br />

meistens auf Gr<strong>und</strong>lage von Vorstellungen – o<strong>der</strong> bestenfalls aufgr<strong>und</strong> an<strong>der</strong>swo<br />

238 Vgl, KLEIN / KLEIN, A szervezet lelke.<br />

239 Vgl. II. Kapitel 2.Abbild<br />

240 KLEIN, Vezetés- és szervezetpszichológia, 220.<br />

241 ANDERSON, Az átalakító vezetés, Új képességekkel egy nagyszerű jövő felé, 66-68.<br />

108


IV. Benchmarking Analyse<br />

gesammelter, aber unvollständiger, Erfahrungen – ausgesucht. Wenn die Leitung <strong>der</strong><br />

Diözese aber nicht genau weiß, was <strong>für</strong> eine Art von Organisation sie erschaffen möchte<br />

<strong>und</strong> „hier<strong>für</strong>“ Personen sucht, dann kann dies im Folgen<strong>den</strong> gravierende Probleme<br />

verursachen. Einer <strong>der</strong> Befragten äußerte sich diesbezüglich wie folgt:<br />

„Die Auswahl <strong>der</strong> Leiter erfolgte anhand <strong>der</strong> Tatsache, dass er <strong>der</strong> Leiter <strong>der</strong><br />

Notfallseelsorgezentrale war <strong>und</strong> man die Meinung vertrat, dass er so über die<br />

richtigen Erfahrungen verfügt, um dieses Modell zu leiten. Er selbst hat das psycho-<br />

soziale Training <strong>der</strong> KIT, sowie das NFS-Training nach seiner Ernennung absolviert,<br />

letzteres hält er in <strong>der</strong> letzten Zeit selbst.“ 242<br />

Das Verhältnis <strong>der</strong> Leiterin/des Leiters zu <strong>den</strong> Organisationszielen beeinflusst direkt das<br />

Verhältnis <strong>der</strong> MitarbeiterInnen zur Aufgabenverrichtung. Sein/Ihr beispielhaftes<br />

Verhalten <strong>und</strong> seine/ihre Hingabe <strong>für</strong> die Organisation helfen dem Verhalten <strong>der</strong><br />

MitarbeiterInnen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Qualität ihrer Arbeit sehr. 243 Gerade deshalb muss das<br />

Bedürfnis nach Qualitätsarbeit als konkrete <strong>und</strong> selbstständige Tugend sich vor <strong>den</strong><br />

MitarbeiterInnen manifestieren, <strong>den</strong>n nur so ist es möglich, dass dieser Wert sich in <strong>der</strong><br />

Arbeit nie<strong>der</strong>schlägt. Das Streben nach Qualitätsarbeit wird im Rahmen <strong>der</strong><br />

gemeinsamen Evaluierungen konkret. Hierbei muss <strong>der</strong> Fragenkreis <strong>der</strong> Qualität als<br />

Son<strong>der</strong>punkt auftauchen, daher müssen die erzielten Ergebnisse <strong>und</strong> Mängel ebenfalls<br />

aufgezeigt wer<strong>den</strong>. 244 Der Hinweis auf Fehler kann bei <strong>den</strong> Fallevaluierungen, in <strong>der</strong><br />

Supervision selbst o<strong>der</strong> eventuell unter vier Augen erfolgen. MitarbeiterInnen müssen<br />

verstehen, dass die Qualität wichtig <strong>für</strong> die NFS ist, da eine Arbeit von nicht<br />

entsprechen<strong>der</strong> Qualität sowohl <strong>für</strong> ihre Ges<strong>und</strong>heit, als auch <strong>für</strong> die <strong>der</strong> Versorgten<br />

gefährlich sein kann. In einem Interview hieß es dazu:<br />

„Der Koordinator 245 selbst fühlt sich <strong>für</strong> <strong>den</strong> effizienten <strong>und</strong> erfolgreichen Betrieb nicht<br />

verpflichtet, er sieht keine Möglichkeiten zu einer Steigerung <strong>der</strong> Arbeitseffizienz, nicht<br />

einmal sich selbst kann er motivieren. Er ermüdet an <strong>der</strong> Aktivität in offensichtlicher<br />

Weise, obwohl seine Einstellung das Modell am stärksten formt <strong>und</strong> prägt. Die Diözese<br />

motiviert ihn auch nicht zu einer erfolgreicheren o<strong>der</strong> effizienteren Arbeit.” 246<br />

242 BALDAUF in einem Vortrag am 25. 03. 2008 in Graz.<br />

243 KLEIN / KLEIN: A szervezet lelke, 698.<br />

244 HERZBERG, Work and then Naturale of Man.<br />

245 Vgl. V. Kapitel „Die Aufgabe <strong>der</strong> KoordinatorInnen”<br />

246 Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 10.<br />

109


IV. Benchmarking Analyse<br />

Im Sinne einer Qualitätssteigerung lohnt es sich, auf die Kontakte <strong>und</strong> die auf Empathie<br />

<strong>und</strong> Intellekt gestützten Überzeugungen <strong>der</strong> Leiten<strong>den</strong> zu achten. 247 Es lohnt sich auch,<br />

die schon mitgebrachten Leitungskompetenzen <strong>der</strong> Leiten<strong>den</strong> in Trainings<br />

weiterzuentwickeln, um dadurch bessere Arbeitsabläufe zu erzielen. Aufgr<strong>und</strong> des<br />

Aufgabenkreises <strong>der</strong> Leitung, <strong>der</strong> sich sehr von dem <strong>der</strong> übrigen MitarbeiterInnen<br />

unterscheidet, ist es eine gute Lösung, wenn die Diözese, welche die Gruppe ins Leben<br />

gerufen hat, sich mit <strong>den</strong> LeiterInnen geson<strong>der</strong>t beschäftigt.<br />

Bei <strong>den</strong> Interviews hat sich herausgestellt, dass man sich mit <strong>den</strong> LeiterInnen nicht<br />

persönlich beschäftigt. NFS-LeiterInnen freuen sich schon, wenn sie die Vorsitzen<strong>den</strong><br />

<strong>der</strong> Organisation einmal treffen, aber darüber hinaus bekommen sie keine Hilfe. Das<br />

Ausbleiben dieses Kontaktes kann gravierende Gründe haben, z.B. gab es LeiterInnen,<br />

die selbst ausgebrannt waren <strong>und</strong> dadurch die Entwicklung <strong>der</strong> Gruppe <strong>und</strong> ihre<br />

Arbeitsprozesse nicht weiter unterstützen konnten.<br />

1.2. Die Rolle <strong>der</strong> Leitung beim Management <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ungen<br />

Beim Management von Än<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Organisation ist es die Rolle des/r Leiters/in<br />

– <strong>der</strong>/die die Feedbacks <strong>der</strong> MitarbeiterInnen sowie Absichten <strong>und</strong> Erwartungen <strong>der</strong><br />

Grün<strong>der</strong>Innen <strong>und</strong> BetreiberInnen kennt –, InitiatorIn des ständigen Neu<strong>den</strong>kens <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> ständigen Entwicklung <strong>der</strong> Organisation zu sein. 248 In diesem Prozess ist die<br />

Kommunikation also ein wichtiges Element begründeter Entscheidungen.<br />

Die Än<strong>der</strong>ung selbst stellt die Leiten<strong>den</strong> vor eine schwierige Aufgabe. Die Än<strong>der</strong>ung<br />

wird im Optimalfall organisationsintern initiiert, z.B. als Reaktion auf die Evaluierung<br />

von Daten, die die Organisation selbst über geleistete Einsätze sammelt. 249 Die<br />

Än<strong>der</strong>ungen haben im Optimalfall eine Differenzierung <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Organisation zu<br />

versehen<strong>den</strong> Aufgaben zum Ergebnis, d.h. dass bestimmte Aufgaben von bestimmten<br />

KollegInnen übernommen wer<strong>den</strong>. So verbessern sich die Organisationseffizienz <strong>und</strong><br />

247 BAKÁCS, „Elég volt a kiskirályból!”-elvárt vezetőkép a magyar kultúrában a Globe nemzetközi<br />

összehasonlító kutatás eredményeinek tükrében. Európai vállalat-Európai menedzser, 29-31.<br />

248 Vgl. ANDERSON, Az átalakító vezetés, 66-68.<br />

249 Vgl. LINKER, Egy érdeklődő elmélet a szervezésről, a vezetésről és az igazgatásról, 101-126.<br />

110


IV. Benchmarking Analyse<br />

die Qualität <strong>der</strong> Arbeit. 250 Die Interviews spiegeln aber lei<strong>der</strong> etwas an<strong>der</strong>es als <strong>den</strong><br />

Optimalfall wi<strong>der</strong>:<br />

„Der Koordinator <strong>der</strong> Organisation hat eine Schlüsselrolle, alle Prozesse laufen fast<br />

ausschließlich über ihn. Daraus resultierend erscheint es im Laufe des Modellbetriebs<br />

offensichtlich, dass <strong>der</strong> Dienst ohne ihn nicht lebensfähig wäre. Die Koordinierung <strong>und</strong><br />

die Teilnahme an <strong>den</strong> Einsätzen (wenn niemand an<strong>der</strong>er gef<strong>und</strong>en wird), <strong>und</strong> die<br />

Vertretung <strong>der</strong> Organisation nach Außen, die Motivierung <strong>und</strong> die Aufarbeitung <strong>der</strong><br />

Statistikangaben sind alles seine Aufgaben.“ 251<br />

Der/die KoordinatorIn bzw. das Top-Management lernt die verschie<strong>den</strong>en internen<br />

Statistiken kennen. Mit Hilfe von Evaluierungen können die von <strong>der</strong> Organisation<br />

erzielten Ergebnisse <strong>und</strong> <strong>der</strong> eingeschlagene Weg kontrolliert wer<strong>den</strong>, bzw. kann<br />

überprüft wer<strong>den</strong>, ob <strong>der</strong> Arbeitsprozess richtig läuft. Die Leitung muss sich ständig die<br />

Fragen stellen: Warum existieren wir, welchen Weg gehen wir, mit welchen Mitteln<br />

erreichen wir unser Ziel? 252 Ziel muss es sein, dass die Organisation ihre Aufgaben<br />

immer effizienter versieht <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft nützliche Dienste leistet. Dadurch sollen<br />

immer mehr Leute sie aufsuchen <strong>und</strong> die MitarbeiterInnen sich zur allgemeinen <strong>und</strong><br />

ihrer eigenen Zufrie<strong>den</strong>heit an <strong>der</strong> Rettung <strong>der</strong> Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> beteiligen.<br />

Abgesehen von <strong>den</strong> allgemeinen Zielsetzungen ist die Artikulation <strong>der</strong> konkreten Ziele<br />

– <strong>der</strong> Strategien <strong>und</strong> Politiken – wichtig, weil MitarbeiterInnen sich diese konkreten<br />

Formulierungen, schriftlich festgehaltenen Ziele einverleiben können. Sie bedeuten<br />

konstruktive Herausfor<strong>der</strong>ung <strong>für</strong> die MitarbeiterInnen. Diese positive, Entwicklung<br />

vorantreibende, Wirkung kann nur dann erzielt wer<strong>den</strong>, wenn die MitarbeiterInnen<br />

verstehen, in welche Richtung die Organisation geht. Diese Prinzipien <strong>und</strong> Ziele müssen<br />

aber die LeiterInnen laufend formulieren. 253<br />

250 Vgl. FODOR, Személyiségfejlesztés II., 226.<br />

251 Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 184.<br />

252 GORDON, Vezetői Erdeményeségi Tréning, 35-36.<br />

253 Vgl. WILSON, Some Aspects of Social Process, 5-22.<br />

111


2. Politik <strong>und</strong> Strategie<br />

IV. Benchmarking Analyse<br />

2.1. Interpretation <strong>der</strong> gegenwärtigen <strong>und</strong> Prognose über zukünftige<br />

Ansprüche <strong>der</strong> Gesellschaft an die Gestaltung <strong>der</strong> Organisationsstrategie<br />

Damit die von <strong>der</strong> NFS geleistete Arbeit langfristig nützlich <strong>und</strong> dadurch von <strong>der</strong><br />

Gesellschaft akzeptiert <strong>und</strong> geschätzt wird, müssen die gesellschaftlichen Prozesse<br />

bekannt sein, welche die Aktivitäten des Dienstes in Zukunft definieren. 254 Dies kann<br />

man aus verschie<strong>den</strong>sten Untersuchungen <strong>und</strong> Erhebungen erfahren. Selbstverständlich<br />

bedarf diese Arbeit einer ständigen Korrektur, <strong>den</strong>n die Wünsche <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

wandeln sich fortwährend. 255 Dementsprechend gehört langfristiges Strategie<strong>den</strong>ken<br />

zum Organisationsbetrieb dazu.<br />

Um die Än<strong>der</strong>ungen evaluieren zu können, muss man die potenziell verursachen<strong>den</strong><br />

Faktoren <strong>und</strong> Kräfte, wie demographische Charakteristika, technischen Fortschritt,<br />

Verän<strong>der</strong>ungen am Markt <strong>und</strong> <strong>den</strong> gesellschaftspolitischen Druck, kennen. Soziale<br />

Verän<strong>der</strong>ungen dürfen aber nicht nur in Hinblick auf die Än<strong>der</strong>ung untersucht wer<strong>den</strong>.<br />

Persönliche Erfahrungen sind auf diesem Gebiet sehr wichtig <strong>und</strong> helfen nicht nur bei<br />

<strong>der</strong> Analyse <strong>der</strong> Makro-, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> Mikrogesellschaft. Die Beschreibung<br />

vergangener Ereignisse <strong>und</strong> Kurzzeitanalysen helfen, Bedürfnisse zu erheben <strong>und</strong><br />

abzudecken. 256<br />

Im Zuge <strong>der</strong> Anpassung von Strategie <strong>und</strong> Politik können auch neue Aktivitäten in <strong>den</strong><br />

Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Organisationsarbeit rücken, die bis zu diesem Zeitpunkt auf dem<br />

bestimmten Gebiet noch nicht abgedeckt waren (z.B. Seelsorge nach einem plötzlichen<br />

Todesfall) 257 . Man muss sich auch auf Situationen vorbereiten, die nicht in <strong>den</strong><br />

originären Tätigkeitsbereich <strong>der</strong> Organisation fallen, zum Beispiel wenn<br />

FremdarbeiterInnen o<strong>der</strong> fremdsprachige TouristInnen in das Gebiet <strong>der</strong> NFS kommen.<br />

In diesem Fall wird etwa die Kooperation mit KollegInnen, die über<br />

Fremdsprachkenntnisse verfügen, notwendig sein.<br />

254 Vgl. GORDON, Vezetői Erdeményeségi Tréning, 21-22.<br />

255 Vgl. KLEIN, Vezetés- és szervezetpszichológia, 48.<br />

256 Vgl. KLEIN, Vezetés- és szervezetpszichológia, 83.<br />

257 Vgl. ANDERSON, Az átalakító vezetés, 66-68.<br />

112


2.2. Aspekte <strong>der</strong> Gestaltung einer erfolgreichen Strategie<br />

IV. Benchmarking Analyse<br />

Die Definition <strong>der</strong> Strategie <strong>und</strong> <strong>der</strong> Politik ist im Leben einer Organisation<br />

unumgänglich. Gleichzeitig ist die darauf gegebene Organisationsantwort nur dann<br />

richtig, wenn die Informationen über die Ausgangsposition auf objektiver Basis<br />

beruhen. Dies zu sichern ist also <strong>für</strong> die Organisation von elementarer Bedeutung.<br />

Die Leitung muss die Bestimmungen <strong>der</strong> Strategie <strong>und</strong> <strong>der</strong> Politik bewusst planen. Die<br />

Wahrscheinlichkeit eines positiven Ergebnisses <strong>der</strong> so definierten Zielsetzungen steigt,<br />

wenn:<br />

- die zu erwarten<strong>den</strong> menschlichen <strong>und</strong> organisationsbezogenen Hin<strong>der</strong>nisse (z.B.<br />

in einer multikulturellen Großstadtumgebung müssen MitarbeiterInnen aus<br />

an<strong>der</strong>en Kulturkreisen nicht nur die Sprache, son<strong>der</strong>n auch kulturelle<br />

Unterschiede kennen) müssen einbezogen wer<strong>den</strong>;<br />

- Betriebsprobleme auf <strong>der</strong> höchstmöglichen Organisationsebene formuliert<br />

wer<strong>den</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong>/die MitarbeiterInnen dabei fühlt, dass <strong>der</strong> Arbeitsrahmen in<br />

seinem/ihrem Interesse formuliert wurde (es muss zum Beispiel garantiert sein,<br />

dass die Ideen <strong>und</strong> Vorschläge <strong>der</strong> MitarbeiterInnen im Rahmen <strong>der</strong> Aus- <strong>und</strong><br />

Weiterbildungen auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> gesamten Organisation evaluiert wer<strong>den</strong>,<br />

damit die soziale <strong>und</strong> kirchliche Anerkennung <strong>der</strong> NFS sich erhöht);<br />

- MitarbeiterInnen zur Evaluierung <strong>und</strong> Kontrolle bevollmächtigt wer<strong>den</strong> (das<br />

System <strong>der</strong> regelmäßigen Feedbacks nach <strong>den</strong> Einsätzen, bei <strong>den</strong>en<br />

MitarbeiterInnen <strong>den</strong> Organisationsbetrieb mit konkreten Meinungen <strong>und</strong><br />

Erfahrungen unterstützen, muss ausgebaut wer<strong>den</strong>);<br />

- die Ausarbeitung <strong>der</strong> Strategie <strong>und</strong> <strong>der</strong> Politik in Teamarbeit erfolgt – je mehr<br />

MitarbeiterInnen die vorhan<strong>den</strong>en Daten, das zur Verfügung stehende<br />

Mittelsystem <strong>und</strong> das Betriebsumfeld gemeinsam analysieren <strong>und</strong> interpretieren,<br />

desto effizienter <strong>und</strong> flexibler ist die Umsetzung <strong>der</strong> Pläne;<br />

- <strong>der</strong> Umsetzungsplan realistisch ist, mit früheren Erfolgen <strong>und</strong> zu erwarten<strong>den</strong><br />

Schwierigkeiten rechnet <strong>und</strong> ebenfalls auf die MitarbeiterInnen <strong>und</strong> Versorgten<br />

achtet. D.h. es ist nicht genug, die Probleme an sich aufzudecken. Auch <strong>der</strong>en<br />

Lösung braucht ihre Zeit <strong>und</strong> Methode. Die Möglichkeiten <strong>der</strong> im Rahmen <strong>der</strong><br />

113


IV. Benchmarking Analyse<br />

Organisationsarbeit entstan<strong>den</strong>en Gemeinschaft beeinflussen die Umsetzung <strong>der</strong><br />

tatsächlich zielführen<strong>den</strong> Entwicklung bzw. Än<strong>der</strong>ung;<br />

- die Strategie <strong>und</strong> Politik <strong>den</strong> Kontaktpersonen externer Organisationen bekannt<br />

gemacht wer<strong>den</strong>. Da <strong>der</strong> Dienst <strong>der</strong> NFS aufgr<strong>und</strong> seines Charakters immer<br />

schon die Kooperation mehrerer Organisationen bedeutet, müssen auch die<br />

PartnerInnenorganisationen über gesellschaftspolitische Än<strong>der</strong>ungen informiert<br />

wer<strong>den</strong>. 258<br />

Die Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Ziele, Strategien <strong>und</strong> <strong>der</strong> Organisationspolitik müssen immer als<br />

Möglichkeit gesehen wer<strong>den</strong>. In diesem Zusammenhang erscheinen negative Erlebnisse<br />

als Möglichkeiten <strong>für</strong> die Organisation, dazuzulernen, <strong>den</strong>n durch Misserfolge wird sie<br />

mit ihren eigenen Problemen <strong>und</strong> Grenzen konfrontiert. Die Än<strong>der</strong>ung ist nicht schlecht,<br />

in je<strong>der</strong> Organisation führt sie zur Steigerung <strong>der</strong> Gruppeneffizienz <strong>und</strong> zur<br />

Entwicklung <strong>der</strong> Individuen, wenn sich die Organisation davor nicht <strong>für</strong>chtet <strong>und</strong> die<br />

Än<strong>der</strong>ung auf tatsächlichen Erfahrungen basiert.<br />

2.3. Entstehung, Supervision <strong>und</strong> Aktualisierung <strong>der</strong> Strategie<br />

Die Arbeitsabläufe <strong>der</strong> Organisation können mittel- <strong>und</strong> langfristig nur dann wirklich<br />

effizient sein, wenn die Organisation, abgesehen von <strong>der</strong> Verrichtung <strong>der</strong> täglichen<br />

Arbeiten, auch einen Einblick in Prozesse hat, die ihre Arbeit im weitesten Sinne<br />

beeinflussen. Der erste Schritt <strong>der</strong> Ausarbeitung dieser Strategie ist das<br />

Zusammentragen von Informationen über soziale, wirtschaftliche <strong>und</strong> religiöse<br />

Prozesse. Die Strukturierung <strong>und</strong> Analyse geben konkrete Antworten auf die Fragen<br />

bezüglich <strong>der</strong> Zukunft <strong>der</strong> Organisation. 259 Parallel dazu muss ständig evaluiert wer<strong>den</strong>,<br />

wie die momentanen Ziele, die Organisationsstruktur <strong>und</strong> <strong>der</strong> Zustand in das<br />

Zukunftsbild passen, bzw. ob die Indikatoren <strong>der</strong> tatsächlichen Tätigkeit die<br />

Schlussfolgerungen wi<strong>der</strong>spiegeln.<br />

Die Gr<strong>und</strong>lage einer je<strong>den</strong> Untersuchung <strong>und</strong> Evaluierung ist die Garantie von Daten<br />

<strong>und</strong> Datenreihen. Die Verarbeitung <strong>der</strong> nach <strong>den</strong> Einsätzen erstellten Protokolle ergibt<br />

diese Datengr<strong>und</strong>lage. Abgesehen davon müssen sowohl Daten mit <strong>der</strong> Meinung<br />

258 Vgl. BECKHARD, szervezetfejlesztés stratégiája és modelljei, 7.<br />

259 Vgl. KLEIN, Vezetés- és szervezetpszichológia, 369.<br />

114


IV. Benchmarking Analyse<br />

An<strong>der</strong>er (Behandelte, PartnerInnenorganisationen, KollegInnen, Zivilverbände,<br />

Bevölkerung), als auch die vergleichende Analyse <strong>der</strong> Angaben von<br />

PartnerInnenorganisationen wichtig sein. Die Resultate <strong>der</strong> Datenreihen können<br />

Organisationen zur Verbesserung ihrer eigenen Effizienz verwen<strong>den</strong>.<br />

Die Analyse ist die Aufgabe <strong>der</strong> LeiterInnen <strong>und</strong> KoordinatorInnen. Es ist notwendig,<br />

dass diese Aktivität kontinuierlich <strong>und</strong> regelmäßig betrieben wird <strong>und</strong> in bestimmten<br />

Abstän<strong>den</strong> über einzelne Indikatoren Berichte erstellt wer<strong>den</strong>, um die Strategie- <strong>und</strong><br />

Politikentwicklung <strong>der</strong> Organisation zu unterstützen.<br />

Die Untersuchung <strong>der</strong> Organisationen kann mit <strong>den</strong> folgen<strong>den</strong> Metho<strong>den</strong> erfolgen 260 :<br />

- Vergleichende Analyse, wenn die NFS-Organisation mit an<strong>der</strong>en<br />

Organisationen verglichen wird. Der Vergleich kann entlang verschie<strong>den</strong>ster<br />

Dimensionen erfolgen. Internationale Vergleiche können beson<strong>der</strong>s interessant<br />

sein, da sich hierbei herausstellt, ob neben <strong>den</strong> als „allein seligmachend“<br />

erachteten Organisationslösungen nicht auch völlig an<strong>der</strong>e Lösungen möglich<br />

sind <strong>und</strong> ob diese eventuell eine deutlich effizientere Arbeit ermöglichen. Die<br />

vergleichende Analyse wird oft dadurch erschwert, dass das Protokollschreiben<br />

nicht überall Praxis ist bzw. wo solche Protokolle existieren, wer<strong>den</strong> Daten auf<br />

unterschiedliche Weise festgehalten. An einigen Orten wer<strong>den</strong> z.B. die mit <strong>den</strong><br />

Aktivitäten verbrachten St<strong>und</strong>en, an<strong>der</strong>swo die Fälle protokolliert.<br />

- Laboruntersuchungen: In diesem Fall wird die Organisationseffizienz in einer<br />

künstlichen Umgebung untersucht. Im Allgemeinen entsteht dies, wenn die<br />

Kommunikationskanäle unter <strong>den</strong> Gruppenmitglie<strong>der</strong>n künstlich unterbrochen<br />

wer<strong>den</strong>. In so einem Fall wird ersichtlich, wie eine Gruppe von Menschen sich<br />

zu einer Organisation entwickelt. Solche Untersuchungen können beim<br />

Aufspüren von gruppeninternen Spannungen helfen. Es gibt Modelle, bei <strong>den</strong>en<br />

die Kooperation nicht funktioniert, weil eine Person mit <strong>den</strong> meisten an<strong>der</strong>en<br />

Gruppenmitglie<strong>der</strong>n nicht arbeiten kann. Es kann auch passieren, dass die<br />

Gruppenmitglie<strong>der</strong> ihre Erwartungen nie reflektierten, geschweige <strong>den</strong>n sich<br />

darüber ausgetauscht haben, obwohl dies <strong>der</strong> Aus- <strong>und</strong> Weiterbildung helfen<br />

würde.<br />

260 Vgl. BÜKY, A beszédjavítás pszichológiája, 128-130.<br />

115


IV. Benchmarking Analyse<br />

- Operationsforschung: In diesem Fall wer<strong>den</strong> mathematische Metho<strong>den</strong> zur<br />

Erstellung einer umfassen<strong>den</strong> Analyse genutzt. Mehrere Organisationen<br />

erstellen solche Zusammenfassungen. Diese entstehen aber oft anhand<br />

verschie<strong>den</strong>ster Theorien. Die Verwertbarkeit des Datenmaterials wäre deutlich<br />

besser, wenn jede Organisation ihre Aktivitäten anhand eines einheitlichen<br />

Schemas aufarbeiten würde.<br />

- Unternehmensspiele: In diesem Fall können die Möglichkeiten <strong>und</strong> Wirkungen<br />

individueller Entscheidungen bzw. die Auswirkungen einer Entscheidung auf<br />

die Gruppe ermessen wer<strong>den</strong>. Ein solches Training kann die Arbeit <strong>der</strong><br />

KoordinatorInnen erleichtern, <strong>den</strong>n mit dieser Methode treten eventuelle Folgen<br />

<strong>der</strong> Ausführung von Anweisungen <strong>für</strong> die einzelnen Gruppenmitglie<strong>der</strong>n<br />

deutlicher zu Tage.<br />

- Mathematische Simulation: Hier wer<strong>den</strong> Prozesse als mathematische Kurven<br />

beschrieben, so können Risiken <strong>und</strong> Fehlschläge <strong>der</strong> Erfahrungen mehrerer<br />

Jahre vermie<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>. Diese Methode kann <strong>den</strong> theoretischen Hintergr<strong>und</strong>,<br />

die theoretische Annäherung <strong>und</strong> die Entwicklung unterstützen.<br />

- Aktionsforschung: Aus <strong>der</strong> Sicht des Lernprozesses wer<strong>den</strong> keine Individuen,<br />

son<strong>der</strong>n Kooperationen untersucht, <strong>und</strong> dies während einer Tätigkeit. 261 Diese<br />

Methode kann im Laufe <strong>der</strong> Weiterbildungen mithilfe verschie<strong>den</strong>ster<br />

Simulationsspiele angewandt wer<strong>den</strong>, ihr Ziel ist das Vorantreiben des<br />

gegenseitigen Verständnisses.<br />

- Unternehmenskultur-Fragebogen: Dies ist eine allgemeine Fragebogenerhebung,<br />

welche <strong>den</strong> Betrieb mit einer an einem repräsentativen Muster durchgeführten<br />

Interview-Reihe untersucht. In Linz wurde diese Untersuchung im Rahmen einer<br />

Diplomarbeit durchgeführt, die Ergebnisse bei <strong>der</strong> Zukunftsplanung<br />

berücksichtigt. 262<br />

Für eine Organisation, die in einem sich ständig än<strong>der</strong>n<strong>den</strong> <strong>und</strong> entwickeln<strong>den</strong> System<br />

arbeitet, gibt es keine endgültige Struktur <strong>und</strong> keinen ein <strong>für</strong> alle Mal festzulegen<strong>den</strong><br />

Tätigkeitsbereich. Daher müssen die Ziele <strong>und</strong> das Leben <strong>der</strong> Organisation stetig neu<br />

bedacht <strong>und</strong> geregelt wer<strong>den</strong>. In <strong>der</strong> gemeinsamen Anwendung <strong>der</strong> aufgelisteten<br />

261 Vgl. KLEIN, Vezetés- és szervezéspszichológia, 622- 624.<br />

262 Vgl. HAGER, Beratung <strong>und</strong> Betreung in <strong>der</strong> Notfallseelsorge, 63.<br />

116


IV. Benchmarking Analyse<br />

Metho<strong>den</strong> besteht die Möglichkeit zur mo<strong>der</strong>nen Selbstbestimmung <strong>und</strong><br />

Organisationsstruktur, also die Basis <strong>für</strong> eine dynamische Entwicklung.<br />

3. Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeiter<br />

Den eigentlichen Wert <strong>der</strong> Organisation bestimmen die MitarbeiterInnen, ihre<br />

Fachbildung <strong>und</strong> Einstellung zur Aktivität. 263 Neben <strong>der</strong> Ökonomie sind<br />

Humanressourcen das zweitwichtigste Kapital. Geistiges Kapital <strong>und</strong> motivierte<br />

MitarbeiterInnen sind von unschätzbarem Wert.<br />

3.1. Aspekte, welche aus <strong>der</strong> Auswahl <strong>der</strong> Humanressourcen resultieren<br />

Der Einstellung <strong>der</strong> MitarbeiterInnen beginnt bereits mit <strong>der</strong> Berufung des/r<br />

Koordinators/in begonnen. Seine/ihre Auswahl war niemals das Ergebnis einer<br />

Ausschreibung, son<strong>der</strong>n immer Ergebnis persönlichen Anfragens 264 . Keiner <strong>der</strong><br />

KoordinatorInnen kannte das genaue Kriteriensystem, also hat niemand gewusst, warum<br />

gerade er bzw. sie <strong>für</strong> die Aufgabe ausgesucht wurde. Zumeist waren die früheren<br />

sachlichen Aktivitäten <strong>der</strong> ausgesuchten Personen die Gr<strong>und</strong>lage ihrer Wahl.<br />

TrainerInnen bzw. Personen, die <strong>für</strong> die Erfüllung verschie<strong>den</strong>er Aufgaben geeignet<br />

waren, wur<strong>den</strong> mithilfe dieser Methode angeheuert. Die Auswahl <strong>der</strong> LeiterInnen <strong>und</strong><br />

MitarbeiterInnen erfolgt also anhand ihrer früheren Aktivitäten <strong>und</strong> Resultate. Nicht<br />

immer konnte nach dieser Methode die <strong>für</strong> die Aufgabe am besten geeignete Person<br />

gef<strong>und</strong>en wer<strong>den</strong>.<br />

Es wird sehr bald ersichtlich, dass die speziellen Aufgaben <strong>der</strong> NFS nur von einer<br />

körperlich <strong>und</strong> seelisch ausgeglichenen Person entsprechend ausgeführt wer<strong>den</strong> können.<br />

Dieser Aspekt muss bei <strong>der</strong> MitarbeiterInnenwahl beson<strong>der</strong>s beachtet wer<strong>den</strong>. 265 Unter<br />

keinen Umstän<strong>den</strong> darf eine Situation entstehen, bei <strong>der</strong> die HelferInnen während eines<br />

Einsatzes aufgr<strong>und</strong> seelischen o<strong>der</strong> physischen Drucks selber Hilfe benötigen. Daher<br />

muss bei <strong>der</strong> Aufnahme auf die Herausfilterung von Personen mit HelferInnensyndrom<br />

263 Vgl. http://www.pszicho.hu/ [abgerufen am 28.02.2011].<br />

264 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 23.<br />

265 Vgl. BOYATZIS, The Competent Manager.<br />

117


IV. Benchmarking Analyse<br />

geachtet wer<strong>den</strong>, <strong>den</strong>n solche MitarbeiterInnen scha<strong>den</strong> <strong>der</strong> Gruppe mehr, als sie ihr<br />

nützen.<br />

Ausgehend von <strong>den</strong> obigen Erfahrungen scheint es so, dass - abgesehen von <strong>der</strong><br />

persönlichen Anfrage - die Leitungsstelle auch ausgeschrieben wer<strong>den</strong> kann bzw.<br />

können die AnwärterInnen auch einer objektiven Kompetenzermessung ausgesetzt<br />

wer<strong>den</strong>.<br />

3.2. Der Einsatz von Freiwilligen<br />

Der Einsatz von Freiwilligen im Falle <strong>der</strong> NFS ist von gr<strong>und</strong>legen<strong>der</strong> Bedeutung, <strong>den</strong>n<br />

die Freiwilligen bringen das gewisse Etwas in die Dienstqualität, dessen Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong><br />

Diakoniedienst <strong>der</strong> Kirchenmitglie<strong>der</strong> ist.<br />

NFS-Organisationen beschäftigen haupt- <strong>und</strong> nebenberuflich Angestellte, in <strong>den</strong><br />

meisten Fällen aber Freiwillige. Meistens ist <strong>der</strong>/die KoordinatorIn <strong>der</strong>/die einzige,<br />

<strong>der</strong>/die die Aktivität als Teilzeitarbeit erledigt, alle an<strong>der</strong>en sind Freiwillige. Es<br />

bestehen aber Initiativen, mehrere hauptangestellte MitarbeiterInnen <strong>für</strong> diese Aufgabe<br />

zu beschäftigen.<br />

An mehreren Orten können sich nur kirchliche MitarbeiterInnen o<strong>der</strong> Menschen mit<br />

theologischem Universitätsabschluss an <strong>der</strong> Arbeit beteiligen. Dies schränkt die<br />

Kreativität <strong>der</strong> Organisation <strong>und</strong> die Möglichkeiten <strong>der</strong> differenzierten Lösung <strong>der</strong><br />

Situationen stark ein bzw. schließt es die Möglichkeit aus, dass an<strong>der</strong>e – auch<br />

Freiwillige – sich in die Aktivitäten einbringen.<br />

Es gibt NFS-Organisationen, wo die Teilnahme <strong>für</strong> Diözesanpfarrer verpflichtend ist 266 ,<br />

hier kann man nicht von Freiwilligkeit sprechen. Die NFS-Organisation wird in diesem<br />

Fall so aufgebaut, dass alle Pfarrer, die eine theologische Gr<strong>und</strong>ausbildung haben, in<br />

das System kommen. Hieraus folgt, dass die NFS-Aktivität nach <strong>der</strong> Entstehung <strong>der</strong><br />

Idee vor zehn Jahren sofort begonnen wer<strong>den</strong> konnte. Da aber beim Betrieb<br />

offensichtlich wurde, dass die NFS stark spezialisiert arbeiten muss, wur<strong>den</strong> <strong>den</strong><br />

MitarbeiterInnen die notwendigen speziellen Kenntnisse <strong>für</strong> die richtige Versorgung<br />

nach <strong>der</strong> Einführung bald in Form von Weiterbildungen garantiert. Im Falle <strong>der</strong><br />

Aktivität dieses Modells wurde bald <strong>der</strong> Mangel <strong>der</strong> Freiwilligenarbeit offensichtlich. In<br />

266 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 48.<br />

118


IV. Benchmarking Analyse<br />

Hinblick darauf, dass alle zu diesem Thema erscheinen<strong>den</strong> Fachpublikationen die<br />

Bedeutung <strong>der</strong> Freiwilligenarbeit in diesem speziellen Bereich betonen 267 , lässt die<br />

Praxis <strong>der</strong> „aufgezwungenen“ Aufgabe viel zu wünschen übrig. Der Mangel an<br />

Freiwilligkeit birgt die Vermin<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Motivation, <strong>den</strong> Mangel <strong>der</strong> im breiten<br />

Spektrum trainierten ExpertInnen, das Ausbleiben <strong>der</strong> kreativen Lösungen, <strong>und</strong> dadurch<br />

schließlich die Verschlechterung <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Organisation durchgeführten Aufgaben in<br />

sich. 268<br />

Der Rekrutierung von Freiwilligen in die NFS-Arbeit erfolgt teils über Suche,<br />

M<strong>und</strong>propaganda <strong>und</strong> Medienauftritte (z.B.: die Suche nach einem/r türkischsprachigen<br />

Kollegen/in), teils führt die vorher angekündigte Werbung zur Mitglie<strong>der</strong>aufnahme. 269<br />

Ausgewählt wird anhand <strong>der</strong> Bewerbung <strong>und</strong> des Gesprächs, dann müssen Freiwillige<br />

eine Erklärung abgeben, dass sie die mit dem Dienst verb<strong>und</strong>enen Verpflichtungen auf<br />

sich nehmen. Bei <strong>der</strong> Auswahl müssen zwei Aspektsysteme berücksichtigt wer<strong>den</strong>. Die<br />

Frage <strong>der</strong> Tauglichkeit wird teils durch die Ermessung <strong>der</strong> im Gespräch offenbarten<br />

Motivation, teils aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> beim Training angeeigneten Kenntnisse entschie<strong>den</strong>. 270<br />

Bei <strong>der</strong> Werbung wäre es wichtig, dass potentielle MitarbeiterInnen aus einem relativ<br />

großen Gesellschaftsspektrum angesprochen wer<strong>den</strong>, <strong>den</strong>n dies för<strong>der</strong>t die<br />

Einglie<strong>der</strong>ung in die Gesellschaft <strong>und</strong> die Kommunikation an sich bzw. för<strong>der</strong>t es die<br />

Gruppenkreativität. 271<br />

Bei <strong>der</strong> Einstellung <strong>der</strong> MitarbeiterInnen – egal, ob Ehrenamtliche o<strong>der</strong><br />

Hauptangestellte – ist die Definition <strong>der</strong> exakt formulierten Berechtigung <strong>und</strong> <strong>der</strong>en<br />

Übergabe an die MitarbeiterInnen sehr wichtig. 272 In diesem Dokument muss aber auch<br />

<strong>der</strong> Handlungsspielraum entfaltet wer<strong>den</strong>, <strong>den</strong>n <strong>für</strong> die Organisation ist seine Präsenz<br />

<strong>und</strong> Unterstützung von immenser Bedeutung. Diese Betrachtungsweise fehlt jedoch bei<br />

<strong>den</strong> meisten Modellen.<br />

267 Vgl. Kasseler Thesen zur Notfallseelsorge, in: MÜLLER-LANGE, Handbuch Notfallseelsorge, 20.<br />

268 http://www.civil.info.hu/uploaded/documents/Onkentes/20070117100932_20061102_Onkentes_Strate<br />

gia.pdf [abgerufen am 01.03.2011].<br />

269 Ich habe ebenso ein KIT- <strong>und</strong> eine NFS-Ausbildung beim Land Steiermark <strong>und</strong> bei <strong>der</strong> Graz-Seckau<br />

Diözese <strong>und</strong> bei <strong>den</strong> Maltesern gemacht.<br />

270 Die Einsatzbereiche <strong>der</strong> zu <strong>der</strong> Gruppe gehören<strong>den</strong> PensionistInnen sind als eigene Fragen erschienen.<br />

271 http://www.onkentes.hu/formanyom/Az_onkentesseg_mint_szervezeti_eroforras.pdf, 7 [abgerufen am<br />

01.03.2011].<br />

272 http://www.onkentes.hu/formanyom/Az_onkentesseg_mint_szervezeti_eroforras.pdf, 7 [abgerufen am<br />

01.03.2011].<br />

119


3.3. Die Zahl <strong>der</strong> Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeiter<br />

IV. Benchmarking Analyse<br />

Der Idealfall ist nicht unbedingt eine Gruppe mit hoher MitarbeiterInnenzahl, son<strong>der</strong>n<br />

eine Gruppe, die ihre Tätigkeiten möglichst effizient auf die einzelnen MitarbeiterInnen<br />

verteilt <strong>und</strong> koordiniert. Die MitarbeiterInnenzahl beeinflusst die erfolgreiche Funktion<br />

des Modells aber gr<strong>und</strong>legend. 273 Persönliche Begleitung ist die Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> NFS-<br />

Arbeit. Es geht aus <strong>der</strong> Natur des Dienstes hervor, dass die Versorgung <strong>der</strong><br />

Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> täglich 24 St<strong>und</strong>en, d.h. unter ständiger Erreichbarkeit <strong>und</strong> in bestimmten<br />

Fällen in einer sehr intensiven Weise erfolgt. Dies bedeutet auch, dass es genügend<br />

MitarbeiterInnen geben muss, um einerseits die ständige Erreichbarkeit, an<strong>der</strong>erseits die<br />

Versorgung <strong>der</strong> Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> mit entsprechen<strong>der</strong> Qualität <strong>und</strong> Tiefe zu gewährleisten.<br />

Daneben muss auch berücksichtigt wer<strong>den</strong>, dass die Belastung eines Mitarbeiters o<strong>der</strong><br />

einer Mitarbeiterin – wir sprechen immerhin von Bereitschaftsdienst – nie zu groß wird,<br />

da in diesem Fall mit einem hohen Anteil an Burn-Out-Fällen zu rechnen ist. 274<br />

MitarbeiterInnen sind üblicherweise Hauptangestellte o<strong>der</strong> Freiwillige. Der Gr<strong>und</strong><br />

hier<strong>für</strong> ist die Kasseler-These 275 , nach <strong>der</strong> <strong>der</strong> Miteinbezug <strong>und</strong> die Anwerbung solcher<br />

MitarbeiterInnen bzw. die genaue Planung <strong>und</strong> Gestaltung ihrer Zahl wichtig ist. Die<br />

Optimalzahl <strong>der</strong> MitarbeiterInnen hängt von <strong>der</strong> Größe des zu versorgen<strong>den</strong> Gebietes,<br />

<strong>der</strong> Zahl <strong>und</strong> Art <strong>der</strong> möglichen Einsätze sowie <strong>den</strong> Finanzierungsmöglichkeiten ab.<br />

Die MitarbeiterInnenzahl hängt stark mit <strong>der</strong> örtlichen Akzeptanz des Dienstes<br />

zusammen, <strong>den</strong>n davon hängt die Nachfrage nach dem Dienst ab. Die Bestimmung <strong>der</strong><br />

genauen MitarbeiterInnenzahl erweist sich als schwierig, <strong>den</strong>n die notwendigen<br />

Humanressourcen wer<strong>den</strong> bei <strong>den</strong> verschie<strong>den</strong>en Modellen unterschiedlich definiert.<br />

Typische Antworten aus <strong>den</strong> Interviews sind:<br />

„Alle, bis auf mich <strong>und</strong> <strong>den</strong> Koordinator, sind Freiwillige.” 276<br />

„Wir haben lediglich sechs Hauptangestellte, ihre Bildung ist aber jetzt im Gange.“ 277<br />

„Die Organisation hat insgesamt 68 Mitarbeiter. Im Jänner je<strong>den</strong> Jahres besteht die<br />

Möglichkeit, dass die neu aufgenommenen Kollegen die zu <strong>der</strong> Versorgung des Dienstes<br />

273 Vgl. KLEIN / KLEIN, A szervezet lelke, 541.<br />

274 Vgl. KLEIN / KLEIN, A szervezet lelke, 543.<br />

275 Vgl. Kasseler Thesen zur Notfallseelsorge, in: MÜLLER-LANGE, Handbuch Notfallseelsorge. Ebda.<br />

276 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 55.<br />

277 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 179.<br />

120


IV. Benchmarking Analyse<br />

notwendigen Kurse belegen können. Die Werbung selbst verläuft in zwei Richtungen. Es<br />

gibt Personen, die <strong>der</strong> Gruppenleiter aufsucht, während an<strong>der</strong>e – wenn sie sich <strong>für</strong> die<br />

Arbeit interessieren – sich dann in <strong>den</strong> Dienst einglie<strong>der</strong>n. Der Dienst hält eine<br />

Mitarbeiterzahl von ungefähr 70 als <strong>für</strong> die Versorgung <strong>der</strong> Aufgaben optimal.” 278<br />

Es gab Organisationen, wo dem/r LeiterIn – obwohl ihm/ihr genügend Zeit <strong>für</strong> die<br />

Vorbereitung auf das Interview zur Verfügung stand – nicht einmal die genaue<br />

MitarbeiterInnenzahl bekannt war:<br />

„Wir haben in etwa ca.… Mitarbeiter.” 279<br />

So eine Antwort macht bezüglich <strong>der</strong> organisationsinternen Einstellung <strong>und</strong> des<br />

Verantwortungsbewusstseins des/r Leiters/in nach<strong>den</strong>klich.<br />

An mehreren Stellen gibt es zu wenige MitarbeiterInnen. Der Gr<strong>und</strong> da<strong>für</strong> kann sein,<br />

dass das Modell in <strong>der</strong> Diözese o<strong>der</strong> <strong>der</strong> breiteren Gesellschaft nicht sehr anerkannt ist.<br />

Oft hat <strong>der</strong>/die KoordinatorIn auch keine Idee, wer <strong>und</strong> wie angeworben wer<strong>den</strong> soll.<br />

An<strong>der</strong>erseits kommt es auch vor, dass <strong>der</strong>/die OrganisationsleiterIn mit angestellten<br />

MitarbeiterInnen nichts anzufangen weiß, o<strong>der</strong> dass Probleme in <strong>der</strong><br />

Organisationsfunktion mit <strong>der</strong> Erhöhung <strong>der</strong> MitarbeiterInnenzahl behoben wer<strong>den</strong>. In<br />

mehreren Fällen hat sich aber auch gezeigt, dass die Erhöhung <strong>der</strong> MitarbeiterInnenzahl<br />

das Funktionieren des Dienstes nicht verbessert. Es ist bezeichnend, dass bei Modellen,<br />

wo dies <strong>der</strong> Fall war, KoordinatorInnen nicht über Motivation gesprochen haben. Dies<br />

zeugt einerseits von einem Motivationsmangel <strong>der</strong> Leiten<strong>den</strong> selbst, es gab aber auch<br />

Beispiele da<strong>für</strong>, dass <strong>der</strong>/die KoordinatorIn das Problem nicht verstan<strong>den</strong> hat, dass im<br />

Falle <strong>der</strong> MitarbeiterInnen eine einmalige Verpflichtung nicht ausreicht, son<strong>der</strong>n eine<br />

häufigere Zusammenarbeit <strong>und</strong> Unterstützung notwendig wären.<br />

Kleinere Gruppen sind bei gleichem Hintergr<strong>und</strong> effizienter als größere. Die Erklärung<br />

da<strong>für</strong> ist, dass in kleineren Gemeinschaften das Gefühl <strong>der</strong> Gruppenzugehörigkeit<br />

leichter aufzubauen ist. Das Hauptmotiv <strong>der</strong> Gruppenzugehörigkeit ist, dass die<br />

Mitglie<strong>der</strong> ihre Meinungen <strong>und</strong> Ideen zur Arbeit formulieren können. Je größer aber die<br />

Gruppen sind, desto kleiner ist da<strong>für</strong> die Möglichkeit. Bezüglich dieses Phänomens<br />

zeigt Bass 280 das Verhältnis <strong>der</strong>jenigen (in Prozent), die ihre Ideen aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Gruppengröße nicht zum Ausdruck bringen können.<br />

278 Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 56.<br />

279 Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 47.<br />

121


IV. Benchmarking Analyse<br />

1. Abbildung: das Verhältnis <strong>der</strong>jenigen Personen, die ihre Ideen aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Gruppengröße nicht erörtern konnten.<br />

3.4. Die Fachausbildung <strong>der</strong> Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeiter 281<br />

Die Weiterbildung <strong>der</strong> Mitarbeiten<strong>den</strong> zeigt – wenn gr<strong>und</strong>sätzlich vorhan<strong>den</strong> – ein<br />

gemischtes Bild. Üblicherweise stellt die Diözese die Themen zusammen, die<br />

AusbildnerInnen erstellen dann anhand <strong>der</strong> Themen ihr Lernprogramm.<br />

Dementsprechend ist die Qualität <strong>der</strong> Ausbildung je nach Organisation sehr<br />

unterschiedlich. Da im Falle <strong>der</strong> einzelnen Organisationen die Zusammensetzung <strong>der</strong><br />

NFS-MitarbeiterInnen-AnwärterInnen unterschiedlich ist, unterschei<strong>den</strong> sie sich auch in<br />

<strong>der</strong> Qualität <strong>der</strong> Ausbildung. Die unterschiedlichen Ausgangspositionen sollen hier kurz<br />

demonstriert wer<strong>den</strong>:<br />

„Die Anwärter sind gut qualifiziert, alle haben einen Universitätsabschluss jenseits des<br />

Trainings als Theologen, Religionslehrer o<strong>der</strong> Psychologen. Bei uns mel<strong>den</strong> sich nur<br />

interessierte Personen, die alle <strong>für</strong> sich motiviert bei <strong>der</strong> Aufgabenverrichtung vorgehen<br />

<strong>und</strong> in <strong>der</strong> Organisation mitarbeiten wollen.” 282<br />

„In <strong>der</strong> Gruppe arbeiten nur Personen mit einem Theologieabschluss. So geben sie<br />

Kollegen mit einer an<strong>der</strong>en Ausbildung aber höheren Qualitäten, keine Chance, sich an<br />

280 BASS,Organizational Psychology, 200.<br />

281 ZIPPERT, Notfallseelsorge, 69.<br />

282 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 113.<br />

122


IV. Benchmarking Analyse<br />

Einsätzen zu beteiligen. In Verbindung damit kann die Qualität <strong>der</strong> Arbeit innerhalb <strong>der</strong><br />

Organisation nicht verbessert wer<strong>den</strong>. Es ist schwierig, <strong>für</strong> einzelne Begleitaktivitäten<br />

(statistische Datensammlung <strong>und</strong> Verarbeitung) Leute zu fin<strong>den</strong>.” 283<br />

„Da sich an <strong>der</strong> Gruppenarbeit nicht nur Theologen beteiligen können, hat sich <strong>der</strong><br />

Mitarbeiterkreis um die Psychologen erweitert <strong>und</strong> dies garantiert eine bessere<br />

Abdeckung, ein höheres Niveau <strong>der</strong> Arbeit <strong>und</strong> eine stärkere Präsenz in <strong>der</strong><br />

Sozialsphäre. Aber wir benötigen auch eine theologische Schulung.” 284<br />

Die Auswahl <strong>der</strong> Mitarbeiten<strong>den</strong> ist viel einfacher, wenn unter <strong>den</strong> MitarbeiterInnen <strong>der</strong><br />

Diözese um Teilnahme an <strong>der</strong> Arbeit <strong>der</strong> NFS zielgerichtet geworben wird. So können<br />

ziemlich schnell Personen mit etwa gleichem Fachniveau <strong>für</strong> die Arbeit gewonnen<br />

wer<strong>den</strong>. Auf die Bewerbung muss auf je<strong>den</strong> Fall ein Gespräch o<strong>der</strong> ein kurzer Test<br />

folgen. 285 Um die Effizienz des Trainings zu optimieren, ist es am besten, wenn diese<br />

vor Ort organisiert wer<strong>den</strong>.<br />

Das Ges<strong>und</strong>heitstraining ist ebenfalls ein wichtiger Teil <strong>der</strong> Vorbereitung <strong>der</strong><br />

MitarbeiterInnen, da im Laufe <strong>der</strong> Einsätze die Situation entstehen kann, dass NFS-<br />

MitarbeiterInnen die KollegInnen <strong>der</strong> Rettungskräfte behin<strong>der</strong>n. An<strong>der</strong>erseits müssen<br />

NFS-MitarbeiterInnen auch in <strong>der</strong> Lage sein, bei Massensituationen einfache<br />

medizinische Diagnosen zu stellen <strong>und</strong> gegebenenfalls sogar medizinische Hilfe zu<br />

leisten. 286<br />

Das Training besteht aus mehreren Teilen, die an verschie<strong>den</strong>en Orten durchgeführt<br />

wer<strong>den</strong>. Es wer<strong>den</strong> Fachtrainings bei Rettungsorganisationen organisiert, die die<br />

Rettung von Leben <strong>und</strong> die Bewahrung von Sachgegenstän<strong>den</strong> zum Inhalt haben.<br />

Ebenso wer<strong>den</strong> Trainings bei verschie<strong>den</strong>en sozialen Organisationen abgehalten, um<br />

das soziale Netz kennen zu lernen, welches nach <strong>der</strong> NFS-Aktivität die Versorgung<br />

potentiell weiterführen kann. Ein wichtiges Element dieser bei<br />

PartnerInnenorganisationen erfolgten Trainingsblöcke ist, dass zukünftige NFS-<br />

MitarbeiterInnen menschliche Kontakte knüpfen können, welche bei ihrer späteren<br />

erfolgreichen Arbeit sehr wichtig sein wer<strong>den</strong>. 287 Selbstverständlich wer<strong>den</strong><br />

AnwärterInnen noch nicht in die gemeinsamen Übungen im Training involviert, ihnen<br />

283 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 40.<br />

284 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 113.<br />

285 Vgl. KLEIN, Munkapszichológia, 309.<br />

286 Vgl. http://www.notfallseelsorge-magdeburg.de/pdf/ausbildung_10.pdf [abgerufen am 02. 03. 2011].<br />

287 Vgl. http://www.notfallseelsorge-wetterau.de/index.php?id=59 [abgerufen am 02.03.2011].<br />

123


IV. Benchmarking Analyse<br />

wird vielmehr erzählt, wie die gemeinsame Aktivität verläuft. Interessant ist, dass<br />

bestimmte Aufgaben – Koordination, Verarbeitung von Statistikdaten, Logistik,<br />

Übergabe des/r Klienten/in – überall bei <strong>den</strong> Trainings (Rollenspiele) fehlen, obwohl<br />

das Kennen dieser Aufgaben die Freiwilligenarbeit erst vervollständigen würde.<br />

Da es sich um die Versorgung eines spezifischen Gebietes handelt, müssen die am<br />

Dienst beteiligten MitarbeiterInnen über ein spezielles Fachwissen 288 (psycho-soziale<br />

<strong>und</strong> NFS-Kenntnisse) verfügen, daher ist die entsprechende Auswahl <strong>der</strong><br />

MitarbeiterInnen äußerst wichtig. Das spezifische Wissen bedeutet einerseits, dass<br />

MitarbeiterInnen sich über die psychologischen Probleme <strong>und</strong> <strong>den</strong> Hintergr<strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> im Klaren sind, an<strong>der</strong>erseits, dass sie Möglichkeiten <strong>der</strong> theologischen<br />

Betrachtung einer bestimmten Situation kennen. Außerdem geht es um Fragen wie: Wie<br />

führt man ein Gespräch, wie leitet man ein Ritual an, wie beantwortet man adäquat bei<br />

<strong>der</strong> Versorgung aufgetauchte Fragen o<strong>der</strong> wie erlernt <strong>und</strong> wendet man die Rolle des/r<br />

Zuhörers/in an.<br />

Diese Gr<strong>und</strong>gegebenheiten müssen einerseits als Fertigkeiten bei <strong>den</strong> BewerberInnen<br />

vorhan<strong>den</strong> sein, an<strong>der</strong>erseits müssen die speziellen Kenntnisse im Rahmen <strong>der</strong> Aus- <strong>und</strong><br />

Weiterbildungen auf diese Fertigkeiten aufbauend entwickelt wer<strong>den</strong>.<br />

Die Ausbildung besteht aus mehreren Teilen. 289 Psycho-soziale Themen sowie<br />

Ges<strong>und</strong>heitskenntnisse können sich AnwärterInnen vernünftigerweise unter <strong>der</strong> Leitung<br />

an<strong>der</strong>er, verknüpfter Organisationen aneignen. Bezüglich des Trainingsinhalts war aber<br />

immer etwas an<strong>der</strong>es ausschlaggebend, im Allgemeinen war man darum bemüht, das<br />

Trainingsmaterial an das Bildungslevel <strong>der</strong> AnwärterInnen anzupassen. Bezüglich <strong>der</strong><br />

Trainingszeit gab es auch verschie<strong>den</strong>e Überlegungen. Es gab Modelle, wo das Training<br />

binnen einiger Tage abgewickelt wurde, an<strong>der</strong>swo wur<strong>den</strong> einzelne Themen in Blöcken<br />

organisiert, aber es gab auch Modelle, bei <strong>den</strong>en das Training keine Bedingung <strong>der</strong><br />

Beteiligung an <strong>der</strong> Arbeit war.<br />

Bei <strong>den</strong> Interviews wur<strong>den</strong> folgende Antworten gegeben:<br />

288 Vgl. http://www.notfallseelsorge-wetterau.de/index.php?id=50 [abgerufen am 02.03.2011].<br />

289 Vgl. http://www.notfallseelsorge.de/Materialien/fortbildungnfs.htm [abgerufen am 02.03.2011].<br />

124


IV. Benchmarking Analyse<br />

„Die Trainingszeit des NFS-Dienstes beträgt drei Tage. Nach <strong>der</strong>en Absolvierung<br />

erhalten alle die Genehmigung, auf dem Gebiet <strong>der</strong> Diözesen NFS-Freiwillige zu<br />

sein.“ 290<br />

„Es gibt ein vom Land geführtes psycho-soziales KIT-Training, sowie eine von <strong>der</strong><br />

Diözese veranstaltete NFS-Ausbildung.” 291<br />

„Beim Roten Kreuz o<strong>der</strong> dem Komitat kann ein psycho-soziales Training absolviert<br />

wer<strong>den</strong>.” 292<br />

„Es gibt NFS-Kurse in Wien” 293 , „Alle sind Theologen o<strong>der</strong> Religionslehrer.” 294<br />

„Alle haben eine an<strong>der</strong>e Ausbildung – Bergrettung, Feuerwehr, Psychologen,<br />

Psychiater, Ärzte usw., aber auch Pfarrer.” 295<br />

Aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> Effizienz <strong>der</strong> Gruppenarbeit ist die Gestaltung <strong>und</strong> Stärkung des<br />

Erlebnisses <strong>der</strong> Gruppenzusammengehörigkeit wichtig. Der Beginn <strong>der</strong> gemeinsamen<br />

Arbeit wird durch eine ausführliche Vorstellung <strong>und</strong> kontinuierliche Möglichkeiten zum<br />

Treffen markiert. Dem/r Kandidaten/in hilft die Tatsache, dass er/sie in <strong>der</strong> ersten<br />

Periode seine/ihre Aufgabe mit einem/r erfahrenen MitarbeiterIn erledigt. Die ständige<br />

Garantie des fachlichen Hintergr<strong>und</strong>es dient dem Erlernen <strong>der</strong> aktiven <strong>und</strong> fachlich<br />

f<strong>und</strong>ierten Teilnahme an <strong>den</strong> Einsätzen.<br />

An mehreren Orten gibt es Trainingsgruppen 296 , wo aus dem Laborverhalten <strong>der</strong><br />

TeilnehmerInnen herausgefiltert wird, wie eine Aufgabe gut zu bewältigen ist. Dies hilft<br />

dem Entstehen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Stärkung des richtigen Fachbewusstseins <strong>und</strong> verbessert die<br />

Selbstwahrnehmung <strong>der</strong> MitarbeiterInnen. 297<br />

Aufgr<strong>und</strong> des speziellen Charakters des NFS-Dienstes ist es offensichtlich, dass es ohne<br />

eine niveauvolle <strong>und</strong> auf alle möglichen Situationen vorbereitende Ausbildung<br />

verantwortungslos wäre, MitarbeiterInnen auf diesem Gebiet einzusetzen. Nicht zuletzt,<br />

weil eine unsachgerechte NFS-Tätigkeit auch die Arbeit <strong>der</strong> PartnerInnenorganisationen<br />

verschlechtert o<strong>der</strong> gefährdet. Im Extremfall gefähr<strong>den</strong> solche MitarbeiterInnen auch<br />

290 Ich habe es in <strong>der</strong> Steiermark erlebt.<br />

291 Eigenes Erlebnis.<br />

292 Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 7.<br />

293 Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 7.<br />

294 Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 169.<br />

295 Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 54.<br />

296 LEVI- STRUß, C., Sensitivity Training, in:<br />

http://aok.pte.hu/oktatas/magatartastudomany/orvosipszichologia/kallai/orvosi_pszichologia_XII.pdf [<br />

abgerufen am 25.11.2011].<br />

297 Vgl. KLEIN, Vezetés- és szervezetpszichológia, 238-239.<br />

125


IV. Benchmarking Analyse<br />

jenseits <strong>der</strong> Katastrophensituation die MitarbeiterInnen <strong>der</strong> PartnerInnenorganisationen,<br />

die Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> <strong>und</strong> auch sich selbst. Die Ausbildungszeit kann also nicht zu lang sein.<br />

Bei <strong>der</strong> Organisation ist es eine große Hilfe, wenn das Training an dem Ort<br />

durchgeführt wird, wo zukünftige MitarbeiterInnen ihren Dienst verrichten wer<strong>den</strong>.<br />

Beim Training ist es wichtig, die gesamte Tätigkeit kennenzulernen. Im letzten Teil des<br />

Trainings sollen Übungen, die zugleich Einsätze sind, organisiert wer<strong>den</strong>. Hierbei<br />

können AnwärterInnen die Arbeit mit erfahrenen KollegInnen durchführen.<br />

Nach dieser theoretischen <strong>und</strong> praktischen Vorbereitung sollen die AnwärterINnen<br />

gefragt wer<strong>den</strong>, ob sie sich mit <strong>der</strong> bei <strong>den</strong> Trainings erfahrenen Arbeit i<strong>den</strong>tifizieren<br />

können <strong>und</strong> sie infolgedessen zur NFS-Gruppe gehören möchten. Geben die<br />

AnwärterInnen eine positive Antwort, dann lohnt es sich, gemeinsam darüber zu<br />

diskutieren, in welchem Arbeitskreis die neuen MitarbeiterInnen sich beteiligen<br />

möchten bzw. wobei sie <strong>der</strong> Gruppe helfen können.<br />

3.5. Eignungsfeststellung <strong>für</strong> die Mitarbeit in <strong>der</strong> NFS 298<br />

Da es sich bei <strong>der</strong> NFS um anspruchsvolle <strong>und</strong> komplexe Aktivitäten handelt, die<br />

verschie<strong>den</strong>e Fähigkeiten voraussetzen, ist ein psychischer <strong>und</strong> physischer Eignungstest<br />

unerlässlich. 299 Es gibt Diözesen, in <strong>den</strong>en ein Theologie-Studium als ausreichende<br />

Basis erachtet wird, aber die Erfahrung zeigt, dass diese wissenschaftlichen Kenntnisse<br />

<strong>für</strong> die Aufgaben <strong>der</strong> NFS nicht ausreichen. Falls es bei <strong>der</strong> Aufnahme keinen<br />

Eignungstest gibt, kann <strong>der</strong>/die KandidatIn beim Training o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Arbeit sowohl<br />

psychisch als auch physisch Scha<strong>den</strong> nehmen. Bei <strong>der</strong> Anmeldung muss also ein<br />

strukturiertes Interview mit <strong>den</strong> KandidatInnen geführt wer<strong>den</strong>, um <strong>der</strong>en Fähigkeiten<br />

zu eruieren. Rollenspiele <strong>und</strong> Probefälle müssen zeigen, ob Gr<strong>und</strong>voraussetzungen <strong>für</strong><br />

die NFS-Arbeit vorhan<strong>den</strong> sind.<br />

Bei diesem Thema lohnt es sich, geson<strong>der</strong>t zu vermerken, falls <strong>der</strong>/die KoordinatorIn<br />

kein/e KlerikerIn ist <strong>und</strong> sich <strong>für</strong> <strong>den</strong> Dienst ein/e KlerikerIn meldet. Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

speziellen Lebenslage kirchlicher Personen ist es sinnvoll, wenn in diesem Fall die im<br />

298 Vgl. KLEIN / KLEIN, A szervezet lelke, 142-152 . Vgl. dazu gr<strong>und</strong>legend: STENGER, Eignung <strong>für</strong> die<br />

Berufe <strong>der</strong> Kirche.<br />

299 Vgl. ebd. 149.<br />

126


IV. Benchmarking Analyse<br />

Rahmen <strong>der</strong> Aufnahme geführten Gespräche <strong>und</strong> Evaluierungen <strong>der</strong>/die zivile<br />

KoordinatorIn mit einem/r KlerikerIn zusammen führt, <strong>den</strong>n sollte <strong>der</strong>/die BewerberIn<br />

nicht <strong>für</strong> <strong>den</strong> Dienst geeignet sein, wird er/sie diese Tatsache von einem/r Laien/in unter<br />

Umstän<strong>den</strong> nicht so leicht akzeptieren. Es gab Beispiele, wo die kirchliche <strong>und</strong> die<br />

psycho-soziale Ausbildung nicht miteinan<strong>der</strong> verb<strong>und</strong>en waren, daher operierte die NFS<br />

unabhängig von <strong>den</strong> PartnerInnenorganisationen. Dies hatte zur Folge, dass NFS-<br />

Mitglie<strong>der</strong> bei Einsätzen nie verständigt wur<strong>den</strong>. 300 Da die Arbeit <strong>der</strong> NFS meistens nur<br />

über PartnerInnenorganisationen zu definieren ist, ist die Klärung dieser Frage bei <strong>der</strong><br />

Gründung <strong>der</strong> Gruppe wichtig.<br />

Die Untersuchung <strong>der</strong> Tauglichkeit bedeutet im Falle <strong>der</strong> NFS nicht nur die<br />

Untersuchung auf die Existenz von Fachkenntnissen. Für das Versehen <strong>der</strong> Aufgaben<br />

sind ebenso das Vorhan<strong>den</strong>sein emotionaler Reife sowie Ges<strong>und</strong>heit notwendig, daher<br />

müssen auch diese Faktoren erforscht wer<strong>den</strong>. Trotzdem gibt es Modelle, von <strong>den</strong>en<br />

Folgendes berichtet wurde:<br />

„Wenn sich jemand zur Arbeit meldet, beginnt er sofort mit <strong>der</strong> Ausbildung. Es gibt<br />

keine psychologischen Tests o<strong>der</strong> Gespräche, bei <strong>den</strong>en die Vorstellungen <strong>der</strong><br />

Kandidaten bzw. die psychischen <strong>und</strong> physischen Belastungen geklärt wer<strong>den</strong>. Eine<br />

Evaluierung gibt es nur am Ende des Trainings. Im Laufe dessen bestehen<br />

Möglichkeiten zur Klärung, ob die Individuen <strong>für</strong> die Arbeit geeignet sind bzw. ob sie<br />

sich selbst in <strong>der</strong> Gruppe vorstellen können. Ein Gespräch o<strong>der</strong> Test nach <strong>der</strong><br />

Anmeldung könnten Kosten <strong>für</strong> beide Parteien sparen.” 301<br />

Bezüglich <strong>der</strong> Tauglichkeit <strong>und</strong> <strong>der</strong> psychischen <strong>und</strong> physischen Belastbarkeit <strong>der</strong><br />

MitarbeiterInnen muss ein Kriteriensystem gef<strong>und</strong>en wer<strong>den</strong>, welches sich sowohl auf<br />

die NFS-Angestellten als auch auf Freiwillige bezieht, <strong>den</strong>n alle MitarbeiterInnen<br />

müssen bei ihrer Arbeit Geschehnissen entgegenblicken, die auch die HelferInnen<br />

ernsthaft beanspruchen. Ein Theologieabschluss o<strong>der</strong> Diplom ist bei diesem Dienst –<br />

wie bereits angesprochen – kein ausreichendes Kriterium, <strong>den</strong>n es gibt spezielle<br />

Aufgaben wie z.B. die des/r Trainers/in, bei <strong>den</strong>en die Beanspruchung eine an<strong>der</strong>e ist,<br />

<strong>und</strong> hier<strong>für</strong> ist die diese Art von Gr<strong>und</strong>ausbildung nicht ausreichend. Erfahrungen<br />

zeigen, dass diese Probleme bei unterscheidlichen Modellen unterschiedlich behandelt<br />

300 Vgl. HAGER, Beratung <strong>und</strong> Betreuung in <strong>der</strong> Notfallseelsorge, 70.<br />

301 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 163.<br />

127


IV. Benchmarking Analyse<br />

wer<strong>den</strong>. Mehrere Beispiele zeigen, dass die Existenz von Fachwissen NFS-<br />

MitarbeiterInnen <strong>für</strong> fast alle Belange qualifiziert, es gibt aber auch Modelle, wo ein<br />

an<strong>der</strong>er Zugang gewählt wird:<br />

„Über die Tauglichkeit des Anwärters – <strong>der</strong> eine schriftliche Aufnahmeabsicht<br />

eingereicht hat – entscheidet <strong>der</strong> Koordinator nach einem über körperliche <strong>und</strong><br />

seelische Ges<strong>und</strong>heit Aufschluss geben<strong>den</strong> Gespräch.“ 302<br />

„Nachdem sich jemand meldet, muss man einen Brief schreiben, dann muss man an<br />

einem Gespräch teilnehmen.” 303<br />

„Am Ende <strong>der</strong> Ausbildung stellt sich heraus, wer unser Mitarbeiter wird.” 304<br />

Im Falle <strong>der</strong> leiten<strong>den</strong> MitarbeiterInnen ist diese Unentschlossenheit noch<br />

offensichtlicher <strong>und</strong> stören<strong>der</strong>:<br />

„Ich als hauptangestellter Koordinator wurde von <strong>der</strong> Diözese ausgesucht, aber nicht<br />

die Kommission hat über meine Tauglichkeit entschie<strong>den</strong>, <strong>den</strong>n dies war damals ein<br />

neuer Arbeitsbereich. Seitdem kümmert sich auch niemand um die zur Ausübung <strong>der</strong><br />

Koordinatorentätigkeit erfor<strong>der</strong>lichen Fähigkeiten.” 305<br />

Es ist auch charakteristisch, dass bei <strong>der</strong> Erscheinung eines neuen Bedürfnisses die<br />

Organisation lediglich die Erledigung <strong>der</strong> gegebenen Aufgabe lösen möchte <strong>und</strong> dabei<br />

die Bedingungen an<strong>der</strong>er NFS-Aufgaben vernachlässigt:<br />

„Jetzt suchen wir einen türkischsprachigen Mitarbeiter.” 306 Dies ist ein wichtiges<br />

Wissen <strong>und</strong> ein/e solche/r MitarbeiterIn, wenn er/sie gef<strong>und</strong>en wird, sehr wertvoll.<br />

Ihn/Sie zu fin<strong>den</strong> allein ist aber zur Lösung <strong>der</strong> Aufgabe auf dem entsprechen<strong>den</strong><br />

Niveau nicht ausreichend.<br />

Zusammenfassend kann also gesagt wer<strong>den</strong>, dass im Optimalfall die Auswahl <strong>der</strong><br />

Hauptangestellten, aber auch die Selektion <strong>der</strong> Freiwilligen von einer Gruppe anhand<br />

sorgfältig ausgesuchter Kriterien erfolgen muss. Über KandidatInnen sollte zweimal,<br />

zuerst bei <strong>der</strong> Aufnahme <strong>und</strong> dann noch einmal nach dem Training, entschie<strong>den</strong><br />

wer<strong>den</strong>. Natürlich können auch die KandidatInnen zweimal entschei<strong>den</strong>, bevor sie sich<br />

verpflichten.<br />

302<br />

Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 168.<br />

303<br />

Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 2.16.<br />

304<br />

Vgl. ebd.<br />

305<br />

Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 23.<br />

306<br />

Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 57.<br />

128


3.6. Exakte Definition des Arbeitsfeldes<br />

IV. Benchmarking Analyse<br />

Da es sich in Verbindung mit <strong>den</strong> NFS-Aktivitäten größtenteils um eine neue<br />

Kirchenaktivität handelt, welche einen Dienst bedeutet, <strong>der</strong> früher von mehreren Pfarren<br />

<strong>und</strong> KrankenhausseelsorgerInnen abgedeckt wurde, ist eine konkrete Formulierung <strong>der</strong><br />

Aufgabenkreise <strong>und</strong> Aktivitäten unerlässlich. Das wird oft erst dann offensichtlich,<br />

wenn die NFS bei konkreten Aufgaben beansprucht wer<strong>den</strong> soll. In solchen<br />

Einsatzsituationen tritt all das deutlich zu Tage, was die Arbeitsbeschreibung <strong>der</strong><br />

MitarbeiterInnen beinhaltet bzw. wozu sie die organisationsinternen <strong>und</strong> kirchlichen<br />

Befugnisse befähigen.<br />

Bei <strong>der</strong> exakten Definition des Arbeitsbereichs muss also schriftlich festgehalten<br />

wer<strong>den</strong>, wie er genannt wird, von wo nach wo sich das Einsatzgebiet erstreckt, wer<br />

<strong>der</strong>/die direkte Vorgesetzte ist, wie Arbeitsordnung <strong>und</strong> Entlohnung aussehen, wie die<br />

Leistungen evaluiert wer<strong>den</strong>, welche Pflichten mit dem Dienst verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> welche<br />

Kompetenzen da<strong>für</strong> notwendig sind. 307<br />

Lei<strong>der</strong> zeigt die Erfahrung, dass es bei dieser Arbeit keine vorher festgelegten, konkret<br />

definierten Beschreibungen bezüglich <strong>der</strong> Kompetenz einzelner NFS-MitarbeiterInnen<br />

in Verbindung mit <strong>den</strong> Einsätzen gibt. Diese Unklarheit verursacht eine Ungewissheit,<br />

<strong>den</strong>n bei <strong>den</strong> Einsätzen entscheidet gerade die Interpretation des/r beteiligten<br />

Kollegen/in, wann <strong>und</strong> wobei die NFS gefragt ist.<br />

Wird nicht mit Protokollen gearbeitet, wirkt sich das auch auf die Zahl <strong>der</strong> Einsätze aus.<br />

Die Alarmierungen registrierende Zentrale zeigt <strong>der</strong> NFS-Zentrale mittels eines Codes,<br />

ob NFS-MitarbeiterInnen alarmiert wer<strong>den</strong> sollen. Wenn <strong>der</strong> Code – <strong>der</strong> eine vorher<br />

definierte Situation anzeigt – keine konkrete Aktivitätsbeschreibung beinhaltet, wer<strong>den</strong><br />

die Einsätze sporadisch, die Arbeitseffizienz fraglich <strong>und</strong> als Endresultat treffen<br />

weniger Einsatzrufe bei <strong>den</strong> NFS-MitarbeiterInnen ein.<br />

Die Realität <strong>der</strong> ungeordneten Zustände zeigen folgende Interviewausschnitte:<br />

„Die genaue Definition ist unvollständig, weil die Rückkopplung mangelhaft ist, aber<br />

die zeitlichen Grenzen des Einbeziehens einzelner Mitarbeiter definieren teilweise auch<br />

die Zeitgrenzen <strong>der</strong> Aktivität.“ 308<br />

307 Vgl. KLEIN, Munkapszichológia, 259-260.<br />

308 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 2.17.<br />

129


„Es gibt keine genauen Arbeitsbeschreibungen.” 309<br />

IV. Benchmarking Analyse<br />

„Ich als <strong>der</strong> Koordinator erledige nur die Hintergr<strong>und</strong>arbeit, bei <strong>den</strong> Einsätzen war ich<br />

nur anfangs dabei, um die Aktivität kennen zu lernen.” 310<br />

„Es gibt von <strong>der</strong> Diözese verliehene Kompetenzen, sie wer<strong>den</strong> nach dem Training<br />

erteilt.” 311<br />

Die genaue Definition <strong>der</strong> Tätigkeitsbereiche – <strong>und</strong> gleichzeitig <strong>der</strong> Kompetenzen 312 –<br />

ist sowohl <strong>für</strong> die externen BeobachterInnen als auch <strong>für</strong> die MitarbeiterInnen von<br />

Bedeutung. Falls die sich am Einsatz beteiligende Person an einem Punkt angekommen<br />

ist, an dem die Situation es angemessen erscheinen lässt, in die Versorgung <strong>der</strong><br />

Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> an<strong>der</strong>e Personen bzw. ExpertInnen miteinzubeziehen, <strong>und</strong> <strong>der</strong>/die<br />

MitarbeiterIn das auch tut, zeugt das davon, dass die Person sich über ihre eigenen<br />

Fähigkeiten <strong>und</strong> Grenzen im Klaren ist <strong>und</strong> die Konsultierung Dritter nicht als<br />

Versagen, son<strong>der</strong>n als Ergänzung seiner/ihrer eigenen Werte zum Wohle <strong>der</strong> Verletzten<br />

erachtet. Gerade deshalb kann diese Frage dort, wo NFS-MitarbeiterInnen o<strong>der</strong> Priester<br />

mit I<strong>den</strong>titätsproblemen kämpfen, gravierende Spannungen erzeugen.<br />

Eine <strong>der</strong> direkten Folgen <strong>der</strong> Ungeklärtheit <strong>der</strong> Befugnisse kann das Phänomen <strong>der</strong><br />

Eifersucht sein. Wenn es kein vorher bestimmtes fachliches Protokoll einschließlich <strong>der</strong><br />

Beschreibung von Kompetenzgrenzen in diversen Fallbeispielen gibt, dann wer<strong>den</strong><br />

PsychologInnen oft aus Eifersucht nicht in die Arbeit <strong>der</strong> NFS miteinbezogen. Dieses<br />

Phänomen ist auch deshalb häufig, weil die LeiterInnen <strong>der</strong> Diözesen <strong>der</strong> Psychologie<br />

noch heute kritisch gegenüberstehen bzw. kritisch betrachten, wie sich diese<br />

Wissenschaft neben <strong>der</strong> Kirche entwickeln konnte. Es gibt auch Diözesen, in <strong>den</strong>en das<br />

Auftauchen des KIT 313 die frühere NFS-Struktur auf <strong>den</strong> Kopf gestellt hat. Obwohl es<br />

einiges an wissenschaftlichem Material gibt, das sich mit dem Fragenkreis <strong>der</strong> NFS<br />

beschäftigt, wie z.B. die Kasseler-Thesen 314 o<strong>der</strong> die Hamburger-These 315 , scheint es oft<br />

so, als hätten katholische Diözesen keine genaue Vorstellung von <strong>der</strong> NFS <strong>und</strong> ihrer<br />

Rolle innerhalb <strong>der</strong> Pastoralarbeit.<br />

309 Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 8.<br />

310 Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 55.<br />

311 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 2.16.<br />

312 „Allen alles wer<strong>den</strong>” Vgl. WEBER, u.a.: Im Glauben Mensch wer<strong>den</strong>, 192.<br />

313 KIT: Krisen-Interventions-Team. Mitglie<strong>der</strong> bekommen ein psycho-soziales Training, die Gruppe<br />

wird staatlich finanziert <strong>und</strong> betrieben. Sie besteht aus Freiwilligen unterschiedlichen Bildungsgrades.<br />

314 Vgl. http://www.notfallseelsorge.de/Infos/thesen.htm [abgerufen am 02.10.2011].<br />

315 Vgl. http://bil<strong>der</strong>.buecher.de/zusatz/33/33336/33336825_lese_1.pdf, 11. [abgerufen am 02.10.2011].<br />

130


IV. Benchmarking Analyse<br />

Zusammengefasst kann also gesagt wer<strong>den</strong>, dass Professionalität die konkrete<br />

Definition <strong>der</strong> Aufgaben voraussetzt, <strong>und</strong> zwar selbst dann, wenn das Profil des<br />

Dienstes als Reaktion auf sich wandelnde Gesellschaftsansprüche ständig erneuert<br />

wer<strong>den</strong> muss. MitarbeiterInnen müssen mit Kompetenzen ausgestattet wer<strong>den</strong>, <strong>den</strong>n<br />

dadurch fühlen sie die Wichtigkeit ihrer Arbeit <strong>und</strong> dass sie, obwohl sie Freiwillige<br />

sind, <strong>den</strong>noch Verantwortung <strong>für</strong> die Arbeit übernehmen müssen.<br />

3.7. Aufgabenteilung als Mittel <strong>der</strong> effizienten Arbeit<br />

Die Gesamtheit <strong>der</strong> Aufgaben wird in je<strong>der</strong> Diözese unter Berücksichtigung <strong>der</strong><br />

MitarbeiterInnen <strong>und</strong> <strong>der</strong> lokalen Gegebenheiten verteilt. Die Aufteilung <strong>der</strong> Aufgaben<br />

ist auch von <strong>der</strong> Frage abhängig, ob die Aufgaben verteilt wer<strong>den</strong> können. Die<br />

Aufteilung hat fast überall bedeutet, dass die Hintergr<strong>und</strong>arbeit <strong>und</strong> die Kontrolle –<br />

mancherorts selbst die Einsätze – vom/von <strong>der</strong> KoordinatorIn erledigt wer<strong>den</strong> müssen.<br />

Hier ist die Belastung des/r Koordinators/in eindeutig zu groß, beson<strong>der</strong>s wenn er/sie<br />

neben seiner/ihrer Haupttätigkeit unter <strong>der</strong> Woche noch kontinuierlich NFS-Tätigkeiten<br />

verrichten muss. Bei so großer Inanspruchnahme schwindet die Qualität sowohl <strong>der</strong><br />

geleisteten NFS-Arbeit als auch die <strong>der</strong> Hauptarbeit des/r Koordinators/in. Als Folge<br />

davon wird es auch immer weniger Leute geben, die sich angesichts <strong>der</strong> hohen<br />

Belastung ruhigen Herzens dieser Aufgabe annehmen wer<strong>den</strong>.<br />

Der/die KoordinatorIn <strong>der</strong> Organisation hat eine Schlüsselrolle bei sämtlichen<br />

Aktivitäten, aber wenn alle Prozesse fast ausschließlich über seine/ihre Person laufen,<br />

dann kann beim Modellbetrieb eine Situation entstehen, wo bei Ausfall des/r<br />

Koordinators/in <strong>der</strong> Dienst lebensunfähig wird. Wenn die Teilnahme des/r<br />

Koordinators/in an <strong>den</strong> Einsätzen <strong>und</strong> die Vertretung <strong>der</strong> Organisation nach Außen, die<br />

Motivierung <strong>der</strong> MitarbeiterInnen <strong>und</strong> die Aufarbeitung <strong>der</strong> Statistikdaten alles zu<br />

seinen/ihren Aufgaben gehört, dann ist die Aufgabenteilung <strong>der</strong> Organisation schwach<br />

<strong>und</strong> ein Ausfall des/r Koordinators/in – wenn auch nur vorübergehend – katastrophal.<br />

Die Arbeit langer Jahre kann dann binnen kürzester Zeit zu nichte gemacht wer<strong>den</strong>.<br />

Glücklicherweise ist bei einem Teil <strong>der</strong> untersuchten Modelle die Aufgabenaufteilung<br />

zur Sprache gekommen. Hiervon zeugen die folgen<strong>den</strong> Interviews:<br />

131


IV. Benchmarking Analyse<br />

„Der Koordinator versieht ausschließlich Aufgaben des Strukturleiters, ich erstelle die<br />

Statistikdaten.” 316<br />

„Nur die Hintergr<strong>und</strong>arbeit gehört zu mir. Ich nehme ganz selten an Einsätzen teil. Im<br />

Gegensatz dazu nehmen Freiwillige ausschließlich an <strong>den</strong> Einsätzen teil.” 317<br />

Aus <strong>den</strong> Interviews wird ersichtlich, dass nur bei Diözesen über eine Aufgabenteilung<br />

gesprochen wer<strong>den</strong> kann, wo es gelungen ist, MitarbeiterInnen aus unterschiedlichen<br />

Fachgebieten anzuheuern. Dies hat einen offensichtlichen Gr<strong>und</strong>, <strong>den</strong>n nur in einem<br />

solchen Umfeld fällt es dem/r KoordinatorIn ein, die Aufgaben besser aufzuteilen. Im<br />

Falle eines solchen MitarbeiterInnenhintergr<strong>und</strong>es ist das regelmäßige Neube<strong>den</strong>ken <strong>der</strong><br />

Aufgabenaufteilung berechtigt, <strong>den</strong>n die Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Aufgabenverteilung wie auch<br />

<strong>der</strong> Wechsel <strong>der</strong> MitarbeiterInnen können Wirkungen generieren, die die Neuverteilung<br />

<strong>der</strong> Aufgaben notwendig machen. Wenn alle MitarbeiterInnen gut ausgebildet sind,<br />

dann ist ihr Einbezug z.B. in die Hintergr<strong>und</strong>arbeit (Statistik, Fallbearbeitung) viel<br />

einfacher.<br />

Wenn alle drei Gruppen – Kleriker, laikale ExpertInnen <strong>und</strong> Freiwillige – in die Arbeit<br />

<strong>der</strong> NFS einbezogen wären, dann könnte eine heterogene Gruppe, in <strong>der</strong> die Aufgaben<br />

gut verteilt sind, entstehen. Es gibt aber kein Beispiel <strong>für</strong> diese Optimallösung in <strong>den</strong><br />

untersuchten Modellen. Ein ges<strong>und</strong>er Wettstreit unter <strong>den</strong> drei Gruppen kann aber auch<br />

ein Mittel zur Effizienzerhöhung sein. Dies kann aber nur dann das beste Ergebnis<br />

bringen, wenn im Rahmen <strong>der</strong> Gruppenbildung die unterschiedlichen Gegebenheiten<br />

tatsächlich <strong>der</strong> optimalen Aufgabenverteilung sowie dem Betrieb dienen <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Wettstreit keine Rivalität ist. 318<br />

3.8. Regelmäßigkeit <strong>und</strong> Intensität <strong>der</strong> Weiterbildungen<br />

Die Bedeutung <strong>der</strong> Weiterbildungen kann ermessen wer<strong>den</strong>, wenn wir die sich<br />

än<strong>der</strong>n<strong>den</strong> Bedürfnisse, Lösungsmetho<strong>den</strong> <strong>und</strong> das gesellschaftliche Umfeld in Betracht<br />

ziehen. Im Hinblick darauf hat die NFS-Arbeit eine beson<strong>der</strong>e Bedeutung. Die im<br />

Rahmen <strong>der</strong> fachlichen Tätigkeit auftauchen<strong>den</strong> Fragen sind natürliche Erscheinungen<br />

des Dienstes. Gleichzeitig stellt <strong>der</strong> ständige Wandel <strong>der</strong> Gesellschaft die NFS-<br />

316 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 2.16.<br />

317 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 55.<br />

318 Vgl. KLEIN, Munkapszichológia, 272-273.<br />

132


IV. Benchmarking Analyse<br />

MitarbeiterInnen vor immer neue Herausfor<strong>der</strong>ungen. Daher sind bewusst organisierte<br />

<strong>und</strong> aufgebaute Weiterbildungen unumgängliche Mittel zur Erhöhung <strong>der</strong><br />

Arbeitseffizienz gewor<strong>den</strong>. 319 Daher ist auch die zielorientierte Planung von<br />

Weiterbildungen, welche die Weiterentwicklung <strong>der</strong> Organisation anstreben, sowie die<br />

Zusammenstellung ihrer Thematiken Teil des bewussten <strong>und</strong> effizienten NFS-Betriebs.<br />

Selbstverständlich gibt es auch auf diesem Gebiet zahlreiche Erfahrungen:<br />

„Die Gruppenkohäsion ist stark. Dies wird durch die Auswahl <strong>der</strong> Supervision <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

ständigen Fortbildungen erreicht.“ 320<br />

„Jährlich wird die Weiterbildung <strong>für</strong> Experten aus ganz Österreich veranstaltet, daran<br />

nehmen wir Teil.“ 321<br />

„Es gibt keine Arten von Zusammenkünften.” 322<br />

„Treffen <strong>und</strong> Diskussionen außer <strong>der</strong> Supervision, bei <strong>der</strong> Fachkompetenzen entwickelt<br />

wer<strong>den</strong>, sind wichtig.“ 323<br />

Weiterbildungen können lokal o<strong>der</strong> landesweit organisiert sein <strong>und</strong> allgemeine<br />

Organisationsentwicklung, Methodik o<strong>der</strong> die Vorstellung neuer Fachkenntnisse zum<br />

Thema haben. Im Falle <strong>der</strong> NFS haben diese Weiterbildungen durch die Vermittlung<br />

theologischer, spiritueller <strong>und</strong> liturgischer Kenntnisse, sowie die Aufarbeitung <strong>der</strong><br />

psychologischen Aspekte des Traumamanagementes einen ganz speziellen Aspekt. In<br />

vielen Fällen beinhalten Weiterbildungen auch eine mindestens zehnstündige<br />

Supervision. 324<br />

Die Häufigkeit <strong>der</strong> Weiterbildungen ist unterschiedlich. Gr<strong>und</strong>sätzlich sind Faktoren<br />

wie finanzieller Status <strong>der</strong> Organisation, Zahl <strong>der</strong> Einsätze, Belastbarkeit <strong>der</strong><br />

MitarbeiterInnen <strong>und</strong> Trainingsbedarf entschei<strong>den</strong>d. Ein Treffen alle zwei Monate<br />

würde konkreten Situationen <strong>und</strong> ihren Anfor<strong>der</strong>ungen gut entgegenkommen <strong>und</strong><br />

tiefgehende fachliche Voraussetzungen schaffen.<br />

Erfahrungen zeigen, dass die Weiterbildungen je nach Organisation unterschiedlich tief<br />

gehen. Landesweite Trainings haben üblicherweise zum Ziel, <strong>den</strong> Diözesen <strong>und</strong> NFS-<br />

Organisationen ein umfassendes Bild zu vermitteln. Diese Treffen sind gute<br />

319 Vgl. KLEIN, Vezetés- és szervezetpszichológia, 450.<br />

320 Vgl. Dokumenattion <strong>der</strong> Interviews 167.<br />

321 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 60.<br />

322 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 9.<br />

323 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 60.<br />

324 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 60.<br />

133


IV. Benchmarking Analyse<br />

Möglichkeiten <strong>für</strong> die in <strong>den</strong> unterschiedlichen Diözesen operieren<strong>den</strong> Organisationen,<br />

die Arbeit, Aufgaben <strong>und</strong> Probleme <strong>der</strong> jeweils an<strong>der</strong>en kennen zu lernen. Die von <strong>den</strong><br />

NFS-Organisationen <strong>der</strong> Diözesen organisierten Weiterbildungen haben die<br />

Evaluierung <strong>der</strong> Fallberichte als wichtigste Aufgabe. Die in diesem Bereich<br />

organisierten Weiterbildungen sind sehr effizient <strong>und</strong> fin<strong>den</strong> in <strong>der</strong> Organisationsarbeit<br />

offensichtliche Bestätigung.<br />

4. PartnerInnenschaften <strong>und</strong> Ressourcen<br />

Eine <strong>der</strong> typischsten Eigenschaften <strong>der</strong> NFS-Organisationen ist, dass ihr Betrieb an sich<br />

fast uninterpretierbar ist, <strong>den</strong>n sie müssen ihre konkreten Einsätze mit mehreren<br />

Organisationen gemeinsam versehen <strong>und</strong> das Leben <strong>der</strong> Organisation muss immer <strong>der</strong><br />

doppelten Erwartung <strong>der</strong> Kirche <strong>und</strong> <strong>der</strong> professionellen Organisationen entsprechen.<br />

Betrachtet man die Gruppe als rein religiös, macht es die Organisation lebensunfähig,<br />

daher spielen also Offenheit, bewusste Suche <strong>und</strong> ein Kontaktausbau im Leben <strong>der</strong> NFS<br />

beson<strong>der</strong>s tragende Rollen.<br />

4.1. Die Qualität <strong>der</strong> PartnerInnenschaft<br />

Eigentlich kann im Falle aller Organisationen gesagt wer<strong>den</strong>, dass, je reicher die<br />

Qualität <strong>und</strong> Zahl <strong>der</strong> PartnerInnenschaften ist <strong>und</strong> je mehr eine Organisation in <strong>der</strong><br />

Gesellschaft akzeptiert wird, sie desto mehr geschätzt <strong>und</strong> ihre Arbeit in Anspruch<br />

genommen wird. Diese Verknüpfung kann im Falle <strong>der</strong> NFS von mehreren Seiten aus<br />

betrachtet wer<strong>den</strong>.<br />

4.2. Der ökumenische Charakter des Dienstes, Kontakt zu an<strong>der</strong>en<br />

kirchlich-caritativen Diensten 325<br />

Wenn man das gr<strong>und</strong>legende Wertesystem <strong>der</strong> NFS betrachtet, kann man sagen, sie hat<br />

einen ökumenischen Charakter. Bereits die Kasseler Thesen fixieren die Teilnahme<br />

325 Vgl. ZIPPERT, Notfallseelsorge, 69.<br />

134


IV. Benchmarking Analyse<br />

evangelischer Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong> Schwestern an so einem Dienst. 326 Bei <strong>den</strong> Interviews wurde<br />

jedoch ersichtlich, dass die Teilnahme Verschie<strong>den</strong>konfessioneller bei <strong>den</strong><br />

unterschiedlichen Organisationen unterschiedlich ausfällt. Im Idealfall glie<strong>der</strong>t sich das<br />

Modell in bei<strong>den</strong> Kirchen zum gleichen Ausmaß, wie dies in einem <strong>der</strong> Interviews<br />

bestätigt wurde:<br />

„Die Organisation steht auf ökumenischen Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> hat Kontakte zu an<strong>der</strong>en<br />

Kirchen. Die Diakonietätigkeit <strong>der</strong> evangelischen Kirche ist auch bedeutend, <strong>und</strong> die<br />

katholische Kirche hinkt in vieler Hinsicht <strong>der</strong> evangelischen Kirche nach. Vielleicht ist<br />

das damit zu erklären, dass die unter <strong>der</strong> Leitung <strong>der</strong> katholischen Kirche operierende<br />

NFS-Organisation auch evangelischen Strukturen folgt.“ 327<br />

Eine <strong>der</strong> ersten Voraussetzungen <strong>der</strong> Offenheit <strong>der</strong> NFS-Organisation <strong>für</strong><br />

PartnerInnenschaften ist <strong>der</strong> ökumenische Charakter. Es ist offensichtlich, dass so eine<br />

Organisation bei <strong>der</strong> Versorgung allgemeine menschliche Werte vermittelt, welche eine<br />

Differenzierung <strong>der</strong> Versorgten aufgr<strong>und</strong> religiöser Zugehörigkeiten ausschließt. Das<br />

hat dann auch zur Folge, dass – neben einer Versorgung <strong>der</strong> Betroffenen aus einer<br />

ökumenischen Perspektive – in <strong>den</strong> meisten Fällen eine Art regelmäßiger Kontakt zu<br />

<strong>den</strong> PartnerInnenorganisationen zwecks <strong>der</strong> noch besseren <strong>und</strong> umfassen<strong>der</strong>en NFS-<br />

Versorgung besteht. Es gibt Organisationen, wo dieser Kontakt christliche<br />

Gemeinschaften überschritten hat <strong>und</strong> in Form interregionaler Kontakte die<br />

Verknüpfung mit an<strong>der</strong>en Religionsgemeinschaften bereits erfolgt ist. Trotz <strong>der</strong><br />

Tatsache, dass die Idealität <strong>der</strong> oben vorgestellten, theoretischen Situation <strong>für</strong> die<br />

Modelle allgemein einsichtig ist, sind viele NFS-Organisationen aber nur nominell<br />

ökumenisch. Eine/r <strong>der</strong> Befragten sagte hierüber:<br />

„Laut <strong>der</strong> Erzählungen an<strong>der</strong>er funktioniert die Arbeit mit an<strong>der</strong>en christlichen<br />

Konfessionen in dieser Diözese lei<strong>der</strong> nicht reibungslos.” 328<br />

Dort, wo <strong>der</strong> Organisationsbetrieb tatsächlich ökumenisch funktioniert, übernimmt die<br />

Diözesanleitung einer Kirche die Koordinierung <strong>der</strong> Aktivität, während die<br />

Diözesanleitung einer an<strong>der</strong>en Kirche ihre Pfarrer bei <strong>der</strong> Modellarbeit unterstützt. Es<br />

gibt aber auch Beispiele, wo die Organisationen zweier Gemein<strong>den</strong> parallel operieren,<br />

von <strong>der</strong> Arbeit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en aber fast nichts wissen. Bei <strong>den</strong> Interviews war auch<br />

326 Vgl. ZIPPERT, Notfallseelsorge, 69.<br />

327 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 167.<br />

328 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 186.<br />

135


IV. Benchmarking Analyse<br />

deutlich spürbar, dass Fre<strong>und</strong>schaften <strong>und</strong> persönliche Differenzen seitens <strong>der</strong><br />

Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kirchen die Qualität <strong>der</strong> Organisationspartnerschaften stark beeinflussen.<br />

Eine echte, gut funktionierende ökumenische Perspektive hilft <strong>der</strong> gemeinsamen<br />

Aktivität, wenn unterschiedliche Religionsgemeinschaften mit i<strong>den</strong>tischen Begriffen,<br />

einer gemeinsamen Alarmierungsliste <strong>und</strong> einem gemeinsamen Alarmierungssystem<br />

arbeiten. Diese positive Wirkung wird beson<strong>der</strong>s verstärkt, wenn die von <strong>den</strong><br />

Gemein<strong>den</strong> delegierten NFS-LeiterInnen <strong>und</strong> MitarbeiterInnen die Evaluierungen <strong>und</strong><br />

die Organisationsfinanzierung gemeinsam steuern.<br />

4.3. Kontakt zu PartnerInneninstitutionen <strong>und</strong> Organisationen mit<br />

anknüpfen<strong>den</strong> Aktivitäten 329<br />

Unter <strong>den</strong> gegebenen Marktverhältnissen ist eindeutig, dass eine Organisation <strong>den</strong><br />

Kontakt zu an<strong>der</strong>en Organisationen suchen muss, die ihre eigenen Aktivitäten<br />

unterstützen. Betrachtet man die NFS unter diesem Aspekt, dann bedeutet das, dass die<br />

Diözesen mit an<strong>der</strong>en staatlichen <strong>und</strong> zivilen Organisationen kooperieren müssen, <strong>den</strong>n<br />

ohne sie funktionieren die Modelle nicht. Dort, wo Organisationen bemüht waren, die<br />

Arbeit alleine zu organisieren, hatten die Gruppen keine Einsätze.<br />

Die Vernetzung mit PartnerInnenorganisationen ist also Gr<strong>und</strong>voraussetzung <strong>der</strong><br />

Organisationsarbeit, <strong>den</strong>n in <strong>den</strong> meisten Fällen erfolgt die Alarmierung <strong>der</strong> NFS über<br />

die PartnerInnenorganisationen. 330 Bei <strong>der</strong> Analyse <strong>der</strong> einzelnen Modelle wird auch<br />

ersichtlich, dass dort, wo <strong>der</strong> Kontakt lebendig ist, die PartnerInnenorganisationen in<br />

<strong>den</strong> verschie<strong>den</strong>en Notlagen auf natürliche Weise auf die NFS als eine/n echte/n<br />

PartnerIn zurückgreifen können.<br />

Die naheliegendste <strong>und</strong> wichtigste Form <strong>der</strong> Kooperation ist, wenn die Alarmierung<br />

über eine zentral betriebene Alarmierungszentrale läuft bzw. wenn beim konkreten<br />

Einsatzfall die NFS-MitarbeiterInnen mit an<strong>der</strong>en an <strong>der</strong> Rettung beteiligten<br />

Organisationen kooperieren. Abgesehen von <strong>der</strong> Beanspruchung <strong>der</strong><br />

Alarmierungssysteme verschie<strong>den</strong>ster Organisationen ist es ratsam, die<br />

Trainingsinfrastrukturen <strong>der</strong> PartnerInnenorganisationen zu beanspruchen. Es gibt<br />

329 Vgl. ZIPPERT, Notfallseelsorge, 68.<br />

330 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 48.<br />

136


IV. Benchmarking Analyse<br />

Beispiele <strong>der</strong> Kooperation, wonach die NFS <strong>und</strong> die PartnerInnenorganisationen<br />

gemeinsame Einsatzübungen exerzieren, um die Aufgaben <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en kennen zu<br />

lernen. Es ist auch nützlich, wenn Treffen zwischen LeiterInnen <strong>und</strong> VertreterInnen <strong>der</strong><br />

PartnerInnenorganisationen veranstaltet wer<strong>den</strong>, um erreichte Ziele zu evaluieren <strong>und</strong><br />

die gegenseitigen Erwartungen zu akkordieren.<br />

Der Kontakt zwischen <strong>den</strong> verschie<strong>den</strong>en Organisationen wird durch die manchmal<br />

beträchtlichen Organisationsunterschiede erschwert. Übereinkünfte haben auch<br />

aufgr<strong>und</strong> dieser Unterschiede eine beson<strong>der</strong>e Bedeutung. Aus dem kirchlichen<br />

Charakter <strong>der</strong> NFS ergibt sich, dass die Organisation ihre Bindung an die Kirche ständig<br />

stärken muss, um eine Einverleibung in eine an<strong>der</strong>e Hilfsorganisation zu vermei<strong>den</strong>.<br />

Die Art <strong>der</strong> Kontaktaufnahme ist je nach PartnerInneninstitution unterschiedlich. Für<br />

alle untersuchten Modelle kann gesagt wer<strong>den</strong>, dass die NFS-Organisation die<br />

möglichen PartnerInnen aufgesucht hat. Es gab Gruppen, die nur eine bzw. sogar zehn<br />

mögliche PartnerInnenorganisationen aufgesucht hatten. 331 Im Idealfall ist <strong>der</strong> Kontakt<br />

zu <strong>den</strong> PartnerInnenorganisationen lebendig, so erkennen die<br />

PartnerInnenorganisationen die Tätigkeiten <strong>der</strong> jeweils an<strong>der</strong>en an <strong>und</strong> ergänzen sie.<br />

Manchmal ist zu beobachten, dass im Laufe <strong>der</strong> Zusammenarbeit die Organisationen so<br />

sehr zusammenwachsen, dass die Beteiligten nicht mehr wissen, wo die eine<br />

Organisation aufhört <strong>und</strong> die an<strong>der</strong>e beginnt. Einer <strong>der</strong> Befragten sagte hierüber:<br />

„Die Organisation ist so sehr mit dem Roten Kreuz verb<strong>und</strong>en, dass sie ohne sie<br />

lebensunfähig wäre.“ 332 Eine extreme Manifestation dieses Phänomens ist, wenn die<br />

NFS zum Zwecke des Betriebs praktisch ihre eigene I<strong>den</strong>tität aufgibt. Hierüber wurde<br />

folgendes gesagt:<br />

„Die Spezialität dieser Organisation ist, dass sie in <strong>der</strong> KIT organisatorisch zwar<br />

parallel operiert, aber in <strong>der</strong> tagtäglichen Arbeit unterschei<strong>den</strong> sich die bei<strong>den</strong><br />

Organisationen nicht. NFS-Aufgaben wer<strong>den</strong> praktisch innerhalb <strong>der</strong> KIT versehen.<br />

Dies ist <strong>für</strong> die NFS auch eine Art Gefahr, <strong>den</strong>n bei <strong>der</strong> Verschmelzung <strong>der</strong> bei<strong>den</strong><br />

Organisationen wird fraglich, was die Tätigkeit <strong>der</strong> KIT <strong>und</strong> was die <strong>der</strong> NFS ist.“ 333<br />

331 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 169.<br />

332 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 125.<br />

333 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 2.13.<br />

137


4.4. Interreligiöse Beziehungen<br />

IV. Benchmarking Analyse<br />

Da man in <strong>den</strong> EU-Staaten auf eine immer größere Zahl von Menschen nicht<br />

christlicher Religion trifft, muss dieser Tatsache in <strong>der</strong> NFS-Arbeit auch Rechnung<br />

getragen wer<strong>den</strong>. Die Arbeitsmigration verstärkt die Präsenz von Menschen an<strong>der</strong>er<br />

Religionen 334 bzw. steigt durch die Zuwan<strong>der</strong>ung die Präsenz an<strong>der</strong>er Volksgruppen in<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft. Mit <strong>der</strong> sprungartigen Entwicklung des Tourismus sind UrlauberINnen<br />

in immer größerer Zahl <strong>und</strong> in allen Lebensbelangen präsent. Die Versorgung dieser<br />

Leute erfolgt bei Bedarf idealiter entsprechend ihrer eigenen Kulturen, Religionen <strong>und</strong><br />

Erwartungen.<br />

Die NFS kann bei <strong>der</strong> Versehung ihrer Aufgaben, etwa bei einer Massenkatastrophe, in<br />

die Situation geraten, auf Notlei<strong>den</strong>de unterschiedlicher Religionen zu treffen <strong>und</strong><br />

zusätzliche MitarbeiterInnen zu Hilfe holen zu müssen. In so einer Situation ist die<br />

Kenntnis gr<strong>und</strong>legen<strong>der</strong> Theologiesysteme an<strong>der</strong>er Kirchen <strong>und</strong> Religion wichtig.<br />

Selbstverständlich hängt die Offenheit <strong>für</strong> Menschen an<strong>der</strong>er Religion stark mit dem<br />

ökumenischen, interkulturellen Aspekt zusammen, <strong>den</strong>n es ist offensichtlich, dass in so<br />

einem Fall die auf <strong>der</strong> christlichen Theorie aufgebauten Versorgungsformen nicht<br />

anwendbar sind. In diesem Fall dient <strong>der</strong> Kontakt zu ExpertInnen an<strong>der</strong>er Religionen<br />

dem Ziel, dass die MitarbeiterInnen immer sicherer auf die mentalen Stützen <strong>der</strong><br />

theologischen Systeme an<strong>der</strong>er Religionen zurückgreifen können. Freilich zeigt die<br />

Praxis auch auf diesem Gebiet ein gemischtes Bild. Erfahrungen zeigen, dass <strong>der</strong><br />

Kontakt zu an<strong>der</strong>en Kirchen nicht überall funktioniert. In einem Interview wurde<br />

gesagt:<br />

„Die Organisation erwartet auch keine Anerkennung von an<strong>der</strong>en Kirchen, in <strong>der</strong><br />

Arbeit taucht die religiöse Gesinnung nicht auf.“ 335<br />

Einzelne Organisationen sehen interkulturelles Lernen <strong>und</strong> Offenheit nicht als ihre<br />

Aufgabe, an<strong>der</strong>swo wurde das Erfahren religiöser Erwartungen <strong>und</strong> Glaubensprinzipien<br />

Teil <strong>der</strong> Ausbildung. Es gab Modelle, wo <strong>der</strong> Problemkreis <strong>der</strong> Versorgung von<br />

Personen an<strong>der</strong>er Nationalität als eine bloße Frage <strong>der</strong> Sprachkenntnisse abgehandelt<br />

334 Vgl. WEIss / FREDERSCHMID / TEMMER, Handbuch Interreligiöse Seelsorge, 7.<br />

335 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 2.39.<br />

138


IV. Benchmarking Analyse<br />

wurde, an<strong>der</strong>swo wurde er als Frage des Kulturunterschieds, selten in <strong>der</strong> Perspektive<br />

des Religionsunterschieds erachtet. 336 Natürlich gab es auch positive Annäherungen:<br />

„…auch die Leiter <strong>der</strong> öffentlichen Verkehrsorganisationen wur<strong>den</strong> aufgesucht, <strong>den</strong>n<br />

bei dem Verkehr können Unfälle entstehen. Sie kooperierten auch mit <strong>der</strong> Deutsch-<br />

Türkischen Medizinergesellschaft, <strong>den</strong>n sie wollten die Tätigkeit auch <strong>der</strong> islamischen<br />

Bevölkerung erreichbar machen. Da aber innerhalb <strong>der</strong> muslimischen Gemeinschaft in<br />

Berlin kein Leiter gef<strong>und</strong>en wurde, kamen sie zu <strong>den</strong> muslimischen Ärzten, mit <strong>den</strong>en<br />

dann die Bedingungen <strong>der</strong> Kooperation vereinbart wer<strong>den</strong> konnten. (…) Die<br />

Organisation war bei <strong>der</strong> Fußballweltmeisterschaft unter <strong>den</strong> Organisationen, die <strong>für</strong><br />

die Sicherheit verantwortlich waren…“ 337<br />

Im Leben <strong>der</strong> NFS-Organisation ist die Klärung dieser Frage wichtig, weil die NFS –<br />

als Organisation – nicht nur die Seelsorge <strong>der</strong> ChristenInnen als ihre Aufgabe sieht. Die<br />

Gr<strong>und</strong>legung, dass die NFS-Tätigkeiten keine Missionsaktivitäten sein wollen, ist auch<br />

wichtig. Diese Aktivität ist als viel mehr als eine bloße Kontaktaufnahme zu an<strong>der</strong>en<br />

Kirchen <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong> zu sehen. Die Existenz dieser positiven Annäherung<br />

beschreibt eine/r <strong>der</strong> Befragten wie folgt:<br />

„Der Einbezug muslimischer <strong>und</strong> jüdischer Ärzte in die Aktivität zeigt, dass jede an<strong>der</strong>e<br />

Religion <strong>und</strong> Volksgruppe miteinbezogen wird <strong>und</strong> kein Hin<strong>der</strong>nis <strong>der</strong> Seelsorge sein<br />

kann.” 338<br />

4.5. Kontakt zur eigenen Diözese<br />

NFS-Modelle sind auf die Initiative <strong>der</strong> Diözesen hin entstan<strong>den</strong> 339 , zumeist auf Druck<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft, weil nach einer Katastrophe die Medien auf <strong>den</strong> Mangel <strong>der</strong> seelischen<br />

Unterstützung hingewiesen hatten <strong>und</strong> in dieser Situation die Möglichkeit <strong>der</strong> aktiven<br />

Hilfe <strong>der</strong> Kirche offensichtlich wurde. Wo dieser Bedarf auf Initiativbereitschaft <strong>und</strong><br />

Fachkompetenz traf, konnte diese Initiative mit <strong>der</strong> Unterstützung <strong>der</strong> Diözese nach<br />

solchen Situationen schnell entstehen.<br />

336 Als ich meine KIT psycho-soziale Ausbildung gemacht habe, darüber haben wir viel gehört.<br />

337 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 72.<br />

338 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 69.<br />

339 Vgl. HAGER, Beratung <strong>und</strong> Betreuung in <strong>der</strong> Notfallseelsorge, 70.<br />

139


IV. Benchmarking Analyse<br />

An<strong>der</strong>swo hatte diese Bereitschaft aus unterschiedlichen Grün<strong>den</strong> gefehlt, aber<br />

aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Erfolge an<strong>der</strong>swo <strong>und</strong> dem Vermei<strong>den</strong> <strong>der</strong> oft unangenehmen Fragen<br />

wurde dieser Dienst <strong>den</strong>noch organisiert. Es gab Diözesen, wo das Ziel die Ausbreitung<br />

<strong>der</strong> Diakonietätigkeiten war <strong>und</strong> diese Absicht auf die stetig ansteigende Zahl <strong>der</strong> NFS-<br />

Gruppen getroffen ist. 340<br />

Welcher Gr<strong>und</strong> auch immer, haben praktisch alle deutschen <strong>und</strong> österreichischen<br />

Diözesen eine solche Gruppe aufgestellt. In mehreren Fällen hat das Modell eine<br />

Verbindung zu sozialen bzw. nichtkirchlichen sozial-caritativen Institutionen <strong>und</strong> so<br />

wurde <strong>der</strong> Dienst Teil des Sozialnetzwerkes. Es gibt aber auch Beispiele, wonach das<br />

Modell alleine <strong>und</strong> ausschließlich als Element <strong>der</strong> Kategorial-Seelsorge erschienen<br />

ist. 341 Im Allgemeinen kann gesagt wer<strong>den</strong>, dass die Aktivitätsgemeinschaft desto<br />

lebensfähiger <strong>und</strong> erfolgreicher wird, mit je mehr Organisationen sich das NFS-Modell<br />

vernetzt. 342 Der Kontakt zu an<strong>der</strong>en Organisationen eignet sich auch dazu, zu<br />

evaluieren, wie wichtig <strong>und</strong> wertvoll diese Tätigkeit dem/r Begrün<strong>der</strong>In, also <strong>der</strong><br />

Diözese, ist.<br />

Anhand <strong>der</strong> Interviews mit <strong>den</strong> KoordinatorInnen lässt sich zeigen, dass <strong>der</strong> Kontakt <strong>der</strong><br />

NFS-Organisationen zur Kirche ein gemischtes Bild ergibt. In <strong>den</strong> Interviews wurde<br />

absichtlich nicht erklärt, was darunter verstan<strong>den</strong> wer<strong>den</strong> soll, so kann die Frage frei<br />

interpretiert wer<strong>den</strong>: Bei <strong>der</strong> Untersuchung <strong>der</strong> Modelle haben fast alle Befragten die<br />

Wichtigkeit des Kontaktes zur örtlichen Kirche betont. Nicht alle Modelle haben einen<br />

direkten <strong>und</strong> ständigen Kontakt zu ihren Diözesen, obwohl Teile <strong>der</strong> Human- <strong>und</strong><br />

Materialressourcen von ihr stammen.<br />

- Keine/r <strong>der</strong> Befragten gab eine Antwort, aus <strong>der</strong> eine maximale Zufrie<strong>den</strong>heit<br />

bezüglich <strong>der</strong> Anbindung des Modells an die Diözese bzw. bezüglich des<br />

Kontaktes zwischen dem/r KoordinatorIn des Modells <strong>und</strong> dem/r<br />

SeelsorgeleiterIn <strong>der</strong> Diözese gesprochen hätte. 343 Wie sich gezeigt hat, ist die<br />

Zufrie<strong>den</strong>heit bezüglich des Kontaktes zur Kirche dann am größten, wenn<br />

<strong>der</strong>/die KoordinatorIn <strong>und</strong> <strong>der</strong>/die LeiterIn <strong>der</strong> Kategorialseelsorge im täglichen<br />

Kontakt zueinan<strong>der</strong> stehen <strong>und</strong> sich nicht nur schriftlich o<strong>der</strong> bei allfälligen<br />

340 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 6.<br />

341 Vgl. mit <strong>der</strong> Beschreibung <strong>der</strong> PartnerInnenschaften bei <strong>der</strong> Modellanalyse.<br />

342 Keine an<strong>der</strong>e Diakonieorganisation erlebt eine gegenseitige Angewiesenheit so intensiv, <strong>den</strong>n hier<br />

erfor<strong>der</strong>t <strong>der</strong> Kontakt überall hohe Intensität, sonst führt die Aktivität zu keinem Erfolg.<br />

343 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 116.<br />

140


IV. Benchmarking Analyse<br />

Evaluierungen begegnen. Die offensichtlichste Bedingung da<strong>für</strong> ist, dass beide<br />

Personen an einer Stelle arbeiten <strong>und</strong> sich aktiv <strong>für</strong> die Arbeit des/r an<strong>der</strong>en<br />

interessieren bzw. dass Konsultierungskanäle, <strong>der</strong>en Betrieb <strong>den</strong> automatischen<br />

Informationsfluss gewährleisten, in die Betriebsordnung von bei<strong>den</strong><br />

Organisationen eingebaut sind.<br />

- Die Antworten dazu haben ein uneindeutiges Bild ergeben. Es gibt<br />

KoordinatorInnen, die <strong>der</strong> Meinung sind, dass ihr Kontakt zur Kirche darin<br />

besteht, dass sie Priester sind. Gleichzeitig wird über <strong>den</strong> konkreten Kontakt<br />

gesagt, dass <strong>der</strong> Pfarrer sich nur dann mit <strong>der</strong> Gruppe beschäftigt, wenn es ein<br />

Problem gibt, ansonsten aber nicht <strong>den</strong> Kontakt sucht. 344 Es gibt aber auch<br />

Befragte, die angeben, dass sie keinen Kontakt zur Kirche haben, obwohl auf <strong>der</strong><br />

Homepage <strong>der</strong> Organisation etwas an<strong>der</strong>es zu lesen ist. Außerdem gibt es<br />

Befragte, die <strong>der</strong> Meinung sind, dass die Gruppe <strong>für</strong> die Kirche lediglich eine<br />

unter vielen Statistikzahlen ist. 345<br />

- Bei KoordinatorInnen, die LaiInnen sind, muss <strong>der</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>und</strong> Betrieb <strong>der</strong><br />

Kontakte zur Diözese beson<strong>der</strong>s beachtet wer<strong>den</strong>, da sie im Vergleich zu <strong>den</strong><br />

Klerikern auf mehreren Gebieten benachteiligt wer<strong>den</strong>. (Es gab allerdings sehr<br />

wohl klerikale Koordinatoren, die aufgr<strong>und</strong> des Kontaktmangels frustriert<br />

waren.) In bei<strong>den</strong> Fällen ist die Frage wichtig, wie die NFS-Organisation Kirche<br />

<strong>und</strong> Diözese betrachtet. Sieht sich die NFS-Organisation nur als ein Institut?<br />

O<strong>der</strong> erlebt sie die Arbeit als eine Aktivität innerhalb <strong>der</strong> Kirche?<br />

Die Koordination <strong>der</strong> diözesanen Betriebe <strong>und</strong> <strong>der</strong> NFS erweist sich als eine nicht<br />

einfache Aufgabe, da die bei<strong>den</strong> Organisationen hinsichtlich ihrer Ordnungsprinzipien<br />

unterschiedliche Charakteristika aufweisen. Die kirchliche Struktur ist eine<br />

hierarchische 346 , wo Personen, die in dieser Hierarchie höher stehen, oft unabhängig<br />

von ihren Leistungen per se Ehrung <strong>und</strong> Respekt erwarten <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> auch erwarten<br />

können. Daher haben hier die Werte Fachwissen, Spezialisierung <strong>und</strong> Professionalität<br />

eine weniger zentrale Bedeutung.<br />

344 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 8.<br />

345 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 4.<br />

346 Vgl. KLEIN, Vezetés- és szervezetpszichológia, 395.<br />

141


IV. Benchmarking Analyse<br />

Die NFS ähnelt einer „Überlappungsgruppe“ mit einem niedrigen <strong>Aufbau</strong> nach<br />

Linkert. 347 Die NFS-Struktur misst dem Wissen <strong>und</strong> <strong>der</strong> erzielten Leistung trotz<br />

Bestehens einer Hierarchie mehr Bedeutung zu. Wenn aber <strong>der</strong>/die ModellleiterIn nicht<br />

in <strong>der</strong> Welt hierarchischer Organisationen bewan<strong>der</strong>t ist, kann er/sie sich sehr schnell<br />

beleidigt fühlen o<strong>der</strong> meinen, dass die Kirchenleitung seine/ihre Arbeit nicht anerkennt.<br />

Um dies zu vermei<strong>den</strong>, muss auch die Kirchenleitung die unterschiedlichen<br />

Wertsysteme <strong>der</strong> auf sachlicher Basis organisierten Aktivitäten berücksichtigen.<br />

In <strong>der</strong> NFS-Organisation treffen <strong>der</strong> auf kirchlichen Traditionen beruhende, auf Respekt<br />

aufgebaute Leitungsstil <strong>und</strong> <strong>der</strong> dezentralisierte, auf Problemlösung <strong>und</strong> effizienten<br />

Betrieb ausgerichtete Leitungsstil aufeinan<strong>der</strong>. Das Zusammentreffen <strong>und</strong> schon gar<br />

eine erzwungene Kooperation dieser bei<strong>den</strong> Stile bergen große Gefahren in sich.<br />

Der/die GruppenleiterIn muss darauf achten, dass beim Erleben dieser Spannung die<br />

Gruppe nicht wi<strong>der</strong>spenstig wird, son<strong>der</strong>n kooperativ bleibt. Hierbei muss sich <strong>der</strong>/die<br />

LeiterIn, <strong>der</strong>/die die kirchliche Hierarchie hinter sich weiß, bei <strong>der</strong> Anwendung <strong>der</strong> zur<br />

Verfügung stehen<strong>den</strong> Mittel mäßigen, gleichzeitig müssen aber auch die<br />

Dezentralisierung, fachliches Ansehen <strong>und</strong> gleichberechtigte Kooperation gewohnten<br />

MitarbeiterInnen in Rücksicht auf die Funktionsweise <strong>der</strong> Kirche als eine spirituelle <strong>und</strong><br />

auf Traditionen aufgebaute Organisation, genügend Empathie aufweisen. Die NFS-<br />

Kommunikation muss nicht nur innerhalb <strong>der</strong> Gruppe selbst, son<strong>der</strong>n auch mit <strong>der</strong><br />

Kirche funktionieren, die Gruppe muss die Kompetenzen <strong>der</strong> MitarbeiterInnen an<strong>der</strong>er<br />

Branchen anerkennen <strong>und</strong> muss mit <strong>der</strong> Kirche ebenso wie mit an<strong>der</strong>en Organisationen<br />

kooperieren können. Diese Kooperation ist das Ergebnis gezielter Anstrengungen, sie<br />

entsteht nur selten von sich aus.<br />

Im Allgemeinen kann gesagt wer<strong>den</strong>, dass die Behandlung des oben angeführten,<br />

sensiblen Themas stark subjektiv ist <strong>und</strong> charakteristischerweise von <strong>der</strong> Offenheit <strong>der</strong><br />

MitarbeiterInnen <strong>der</strong> Organisation, ihrer Koordiniertheit <strong>und</strong> Kooperationsbereitschaft<br />

abhängt. In diesem Zusammenhang ist die Frage <strong>der</strong> Person des/r Koordinators/in von<br />

zentraler Rolle. Dort, wo <strong>der</strong>/die KoordinatorIn zu dieser Koordinierung nicht in <strong>der</strong><br />

Lage ist, wird die Vernetzung fraglich. 348 Da KoordinatorInnen immer von <strong>der</strong> Diözese<br />

als bezahlte MitarbeiterInnen ausgesucht wer<strong>den</strong>, liegt die Auswahl in <strong>der</strong><br />

347 Vgl. ebd. 402.<br />

348 Vgl. KLEIN, Vezetés- és szervezetpszichológia, 65.<br />

142


IV. Benchmarking Analyse<br />

Verantwortung <strong>der</strong> Kirche. Eine spezielle Lösung dieses Problems ergibt <strong>den</strong> Ansatz,<br />

zwei KoordinatorInnen parallel an <strong>der</strong> Spitze <strong>der</strong> Organisation arbeiten zu lassen. 349 Die<br />

Aufgabe <strong>der</strong> bei<strong>den</strong> KoordinatorInnen ist in dieser Situation gerade die<br />

Gleichgewichtung <strong>der</strong> bei<strong>den</strong> unterschiedlichen Funktionsweisen in ihrer Person.<br />

Diözesen, die mehrere Diakonietätigkeiten zu koordinieren haben, können nicht allen<br />

Gebieten Aufmerksamkeit in gleicher Intensität schenken. In so einer Situation wird <strong>der</strong><br />

Kontakt zwischen Kirche <strong>und</strong> ihren Organisationen gr<strong>und</strong>sätzlich von menschlichen<br />

Komponenten, also dem Kontakt zwischen dem/r KoordinatorIn <strong>und</strong> seinen/ihren<br />

Vorgesetzten, bestimmt. Da an <strong>den</strong> meisten Orten das NFS-Modell erst vor relativ<br />

kurzer Zeit eingeführt wurde, haben ModellleiterInnen lediglich erste Erfahrungen.<br />

Laufen<strong>der</strong> Erfahrungsaustausch <strong>und</strong> ständige Kommunikation helfen in so einer<br />

Situation <strong>der</strong> Organisationsentwicklung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Lösung von Problemen – beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong><br />

Kontaktprobleme <strong>der</strong> Kirche – bzw. steuern sie <strong>der</strong> Entwicklung einer zielgerichteten<br />

Kommunikation in Richtung <strong>der</strong> Diözese bei.<br />

4.6. Kontakt zu an<strong>der</strong>en Pfarren<br />

Nach dem Verhältnis zur Diözesanleitung wurde <strong>der</strong> Kontakt <strong>der</strong> NFS zu NFS-<br />

Organisationen externer Pfarren erfragt. Dieser Aspekt hat <strong>für</strong> <strong>den</strong> Funktionsbetrieb an<br />

mehreren Punkten eine tragende Bedeutung.<br />

Die NFS-Organisation ist eine stark spezialisierte Pastoralform, in <strong>der</strong>en Rahmen die<br />

MitarbeiterInnen <strong>den</strong> Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> unter beson<strong>der</strong>en Umstän<strong>den</strong> spezielle seelische<br />

Versorgung zukommen lassen. Diese Arbeitsform entlastet die Diözesanpfarrer von <strong>der</strong><br />

Sorge um Personen o<strong>der</strong> Gruppen, die eine beson<strong>der</strong>s intensive <strong>und</strong> spezielle Betreuung<br />

benötigen. Seelische Verletzungen <strong>und</strong> Notsituationen können vielgestaltig sein. Nur<br />

ein Teil dieser Situationen kann direkt mit einer offensichtlichen Krisensituation<br />

(Unfall, Todesfall in <strong>der</strong> Familie, Mord, an<strong>der</strong>e Gewalttaten) in Verbindung gebracht<br />

wer<strong>den</strong>. In diesen Fällen wer<strong>den</strong> die NFS-MitarbeiterInnen von <strong>den</strong> an <strong>der</strong> Rettung<br />

beteiligten ExpertInnen verständigt. Gleichzeitig ergibt sich ein bedeuten<strong>der</strong> Teil <strong>der</strong><br />

seelischen Notstände aus <strong>der</strong> Lebensführung, aus ungelösten Spannungen <strong>und</strong><br />

349 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 153.<br />

143


IV. Benchmarking Analyse<br />

aussichtslosen Zwangslagen. In vielen Fällen – teils ausschließlich – ist es <strong>der</strong> lokal<br />

zuständige Pfarrer, <strong>der</strong> von solchen Situationen erfährt <strong>und</strong>, falls er die Lage so<br />

einschätzt <strong>und</strong> die Arbeit <strong>der</strong> NFS kennt, die MitarbeiterInnen des Dienstes<br />

verständigen kann. Selbstverständlich ist die richtige Einschätzung <strong>der</strong> Tiefe des<br />

Problems wichtig. Die NFS kann bei <strong>der</strong> Entscheidung dadurch helfen, dass sie dem<br />

Pfarrer eine Konsultierungsmöglichkeit bietet.<br />

Es gibt Diözesen, in <strong>den</strong>en sich alle Pfarrer in das NFS-Modell einbin<strong>den</strong> müssen. 350 Es<br />

hat sich jedoch herausgestellt, dass die Bereitschaft <strong>und</strong> Fähigkeit <strong>für</strong> so eine Arbeit<br />

nicht immer gegeben ist <strong>und</strong> dass sie <strong>für</strong> einige mit Unannehmlichkeiten verb<strong>und</strong>en ist,<br />

<strong>den</strong>n nicht alle wollen sich spezialisieren, nicht alle erachten diese Aufgabe als<br />

Gr<strong>und</strong>aufgabe eines Pfarrers. Daher entziehen sich solche Personen sowohl dem<br />

Training als auch <strong>den</strong> konkreten Aufgaben <strong>der</strong> Gruppe.<br />

Der Kontakt zu <strong>den</strong> Pfarrern <strong>der</strong> Diözese ist wichtig, weil die Kirchenleitung im<br />

Endeffekt ihre Arbeit durch die Arbeit <strong>der</strong> NFS unterstützen möchte. Wo Konflikte<br />

zwischen dem Notfallseelsorger <strong>und</strong> dem regional zuständigen Pfarrer entstehen 351 ,<br />

wird die Kooperation unmöglich, in <strong>der</strong> Folge wer<strong>den</strong> bestimmte Diözesanpfarrer die<br />

Dienste <strong>der</strong> NFS nicht beanspruchen. Die im Rahmen <strong>der</strong> Aktivität mit an<strong>der</strong>en Pfarrern<br />

entstan<strong>den</strong>en Konflikte ergeben eine Art Konkurrenzkampf, woraus sich eine<br />

Schmälerung <strong>der</strong> Anerkennung innerhalb <strong>der</strong> Kirche sowie Misserfolg in Bezug auf die<br />

Werbung neuer MitarbeiterInnen ergibt. Davon abgesehen wirft so ein Konflikt auch<br />

eine Statusfrage auf: Wer ist Priester <strong>der</strong> NFS <strong>und</strong> wer <strong>der</strong> Diözese, d.h. wer hat wann<br />

<strong>und</strong> wo<strong>für</strong> Kompetenzen? Wo <strong>der</strong> Streit heftig ist, erbittet <strong>der</strong> Pfarrer selbst nie Hilfe.<br />

Es ist aber verblüffend, dass örtliche Pfarrer – selbst bei allseits bekannten NFS-<br />

Tätigkeiten – nur ganz selten verständigt wer<strong>den</strong>, d.h. <strong>der</strong> Konkurrenzkampf zwischen<br />

<strong>den</strong> bei<strong>den</strong> Bereichen ist präsent. Daher lohnt es sich, sich unausweichlich anbahnende<br />

Konflikte sofort zu lösen, <strong>und</strong>, wenn nötig, externe Hilfe heranzuziehen, damit<br />

Negativnachrichten an<strong>der</strong>en Pfarrern nicht die Möglichkeit bieten, NFS-bezogene<br />

Vorurteile zu entwickeln. Man muss also alles tun, damit Pfarrer möglichst aus eigener<br />

Erfahrung einsehen, dass bei einer gegenseitigen Unterstützung die seelische Betreuung<br />

350 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 118.<br />

351 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 71.<br />

144


IV. Benchmarking Analyse<br />

<strong>der</strong> Gläubigen <strong>und</strong> damit die Funktion <strong>der</strong> Diözese, effizienter erfüllt wer<strong>den</strong> kann. Das<br />

wichtigste Mittel dieser Arbeit ist die bewusst aufgebaute Kommunikation. 352<br />

Die NFS-Projekte <strong>der</strong> Diözesen bedeuten <strong>für</strong> die Pfarrgemeinde bezüglich <strong>der</strong><br />

räumlichen Abdeckung eine Art Überlappung <strong>und</strong> Parallelität. Dies ist trotz <strong>der</strong><br />

Tatsache, dass Ressourcen sich theoretisch addieren können <strong>und</strong> so die Kirche im<br />

Sozialnetz eine Art doppelten Bo<strong>den</strong> erhält, <strong>der</strong> Fall. Die Wirkung <strong>der</strong> nebeneinan<strong>der</strong><br />

operieren<strong>den</strong> NFS-Organisation <strong>und</strong> <strong>der</strong> Pfarre kann mit einer simplen mathematischen<br />

Formel gezeigt wer<strong>den</strong>, wobei die Klassifizierung nach dem Resultat <strong>der</strong><br />

Wechselwirkung bei<strong>der</strong> Organisationen erfolgt: 353<br />

1+1=2 - Notfallseelsorge + Pfarre = nebeneinan<strong>der</strong>, keine Wechselwirkung<br />

1+12 - Notfallseelsorge + Pfarre = verbessern <strong>den</strong> gegenseitigen Wirkungsgrad 354<br />

Der Idealfall ist <strong>der</strong> Zusammenhang <strong>der</strong> dritten Situation, wo die addierende Wirkung<br />

<strong>der</strong> bei<strong>den</strong> Organisationen die einzelnen Leistungen verbessert. Die Kooperation ist<br />

wichtig, weil die NFS-Dienste seelisch Lei<strong>den</strong><strong>den</strong> lediglich einige St<strong>und</strong>en lang helfen,<br />

wobei es gleichzeitig Personen gibt, die eine längerfristige seelische Hilfeleistung<br />

benötigen wür<strong>den</strong>.<br />

4.7. Die Übergabe <strong>der</strong> Krisengefährdeten an <strong>den</strong> örtlich zuständigen<br />

Seelsorger<br />

Für <strong>den</strong> traumatisierten Menschen ist die Nachversorgung wichtig, <strong>den</strong>n die<br />

Trauerperiode kann sich im Normalfall ein Jahr lang hinziehen. Die NFS-Aktivität ist<br />

viel kürzer als die tatsächliche Aufarbeitung des Traumas, daher wäre die<br />

Nachbetreuung eine Voraussetzung <strong>für</strong> Qualitätsarbeit, die Pfarren können dem aber<br />

352<br />

Vgl. KLEIN, Vezetés- és szervezetpszichológia, 372.<br />

353<br />

Vgl. ebd.<br />

354<br />

„Das Ganze ist mehr <strong>und</strong> etwas an<strong>der</strong>es als die Summer <strong>der</strong> Teile”. Dieses Prinzip <strong>der</strong><br />

Übersummativität postulierte die Grazer Schule <strong>der</strong> Gestaltpsychologie (C.v. Ehrenfels) schon 1890; Vgl.<br />

dazu ausführlich: LADENHAUF, Integrative Therapie <strong>und</strong> Gestalttherapie in <strong>der</strong> Seelsorge, 44-49.<br />

145


IV. Benchmarking Analyse<br />

nicht nachkommen. 355 Der Pfarrer, <strong>der</strong> NFS-Mitglied ist, kann dies jedoch ohne<br />

Probleme organisieren, <strong>den</strong>n er versorgt die zur Pfarre gehören<strong>den</strong> Menschen<br />

selbstverständlich. Dort, wo das NFS-Mitglied nicht vor Ort wohnt o<strong>der</strong> die<br />

Nachbehandlung nicht übernehmen kann, muss die Übergabe anhand eines Protokolls<br />

organisiert wer<strong>den</strong>.<br />

Die Übergabe <strong>der</strong> in eine Krisensituation geratenen Person an <strong>den</strong> örtlich zuständigen<br />

Pfarrer ist keine leichte Aufgabe. Eines <strong>der</strong> offensichtlichsten Probleme verbirgt sich im<br />

Datenschutz, <strong>den</strong>n die von <strong>der</strong> NFS Versorgten haben ein Recht darauf, zu entschei<strong>den</strong>,<br />

ob die NFS-MitarbeiterInnen ihre Angaben <strong>und</strong> letztendlich auch Informationen über<br />

die Art <strong>der</strong> Krisensituation dem zuständigen Pfarrer bekannt geben dürfen. Wenn die<br />

versorgte Person im Weiteren keine Hilfe erwüscht, muss dies respektiert wer<strong>den</strong>.<br />

Ein weiteres zu lösendes Problem ist <strong>der</strong> Kontakt des/r NFS-Mitarbeiters/in zum Pfarrer<br />

bzw., wenn die Kontaktaufnahme bereits erfolgt ist, ob beide die Wichtigkeit des<br />

An<strong>der</strong>en verstehen <strong>und</strong> die gegenseitigen fachlichen Ansichten respektieren. Die NFS<br />

kann die in einer Notsituation versorgten Verletzten nach einer kurzen<br />

Versorgungsphase aufgr<strong>und</strong> ihrer eigenen, spezifischen Funktionsweise nicht mehr<br />

versorgen. Demgegenüber ziehen sich seelische Traumata länger hin <strong>und</strong> bedürfen einer<br />

längerfristigen, kontinuierlichen Betreuung. Dieses Problem kann nur gelöst wer<strong>den</strong>,<br />

wenn die NFS die weitere Betreuung auch dem zuständigen Pfarrer übergeben kann.<br />

Die Probleme auf diesem Gebiet zeigen sich in <strong>der</strong> Tatsache, dass man eigentlich über<br />

keine Erfahrungen bezüglich <strong>der</strong> Übergabe von KlientInnen an <strong>den</strong> örtlichen Pfarrer<br />

verfügt, <strong>den</strong>n dies geschieht fast nirgendwo. In <strong>der</strong> Praxis schieben NFS-<br />

MitarbeiterInnen die Einsatzzeit hinaus o<strong>der</strong> gehen mit Son<strong>der</strong>genehmigungen zu <strong>den</strong><br />

Betroffenen zurück. Wenn die Aufgaben zwischen NFS <strong>und</strong> Pfarrern fachlich aufgeteilt<br />

sind <strong>und</strong> sich keine Partei ausgeschlossen o<strong>der</strong> benachteiligt fühlt, ist <strong>der</strong> Kontakt<br />

zwischen NFS <strong>und</strong> Pfarrern gut. Bezüglich <strong>der</strong> Übergabe <strong>der</strong> KlientInnen ist die<br />

Erstellung eines Protokolls von immenser Wichtigkeit, in dem festgehalten wird, wie<br />

eine von einem/einer NFS-MitarbeiterIn versorgte Person dem örtlichen Pfarrer<br />

übergeben wird. Dieser Ablauf sollte eindeutig definiert sein <strong>und</strong> kann auch kirchlichen<br />

Charakter haben – zum Beispiel in einer speziellen Liturgie <strong>der</strong> Übergabe. In Diözesen,<br />

wo alle Pfarrer NFS-Mitglie<strong>der</strong> sind, ist diese Aufgabe nicht notwendig.<br />

355 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 182.<br />

146


4.8. Ressourcen<br />

IV. Benchmarking Analyse<br />

Abgesehen von dem gesamten <strong>der</strong> Organisation zur Verfügung stehen<strong>den</strong> Inventar sind<br />

auch die Humanressourcen als Ressourcen zu erachten. Da sich aber die Benchmarking-<br />

Analyse in einem – bereits behandelten – eigenständigen Punkt mit dem Fragenkreis<br />

„MitarbeiterInnen“ beschäftigt, wer<strong>den</strong> unter Ressourcen in dieser Interpretation die<br />

Wirtschaftsgr<strong>und</strong>lagen verstan<strong>den</strong>.<br />

4.8.1. Wirtschaftliche Gr<strong>und</strong>lagen<br />

Im Falle von kirchlichen Organisationen kann nur ganz selten von einem<br />

Ökonomiehintergr<strong>und</strong> gesprochen wer<strong>den</strong>, obwohl diese, ähnlich wie an<strong>der</strong>e<br />

Organisationen, auch Ausgaben haben. 356 Diese Organisationen decken ihren<br />

finanziellen Bedarf teilweise o<strong>der</strong> zur Gänze aus Spen<strong>den</strong> von Firmen, Privatpersonen<br />

o<strong>der</strong> zentralen Quellen. Ein kleinerer Teil <strong>der</strong> so erhaltenen Einnahmen wird <strong>für</strong><br />

Selbstzwecke ausgegeben, während <strong>der</strong> größte Anteiln <strong>für</strong> die Umsetzung <strong>der</strong> Ziele<br />

verwendet wird. Daraus folgt <strong>für</strong> die Organisation die Wichtigkeit, <strong>den</strong> Spen<strong>der</strong>Innen<br />

auf glaubwürdige <strong>und</strong> übersichtliche Weise darzustellen, wo<strong>für</strong> sie die Einnahmen<br />

aufgewendet hat. Diese Berichte müssen die Organisationen nicht nur nach Außen, also<br />

in Richtung <strong>der</strong> Diözesen <strong>und</strong> <strong>der</strong> eventuellen Spen<strong>der</strong>Innen, son<strong>der</strong>n auch nach Innen<br />

<strong>den</strong> in <strong>der</strong> Organisation arbeiten<strong>den</strong> Freiwilligen präsentieren, die ihre Zeit <strong>und</strong> ihr<br />

Fachwissen <strong>den</strong> Zielen <strong>der</strong> Organisation opfern. Die Veröffentlichung <strong>der</strong> Daten<br />

verbessert das Arbeitsklima <strong>der</strong> KoordinatorInnen, da <strong>der</strong> übersichtliche<br />

Finanzhintergr<strong>und</strong> Stabilität verleiht.<br />

4.8.2. Finanzierungssicherheit<br />

Je<strong>der</strong> Organisation ist die Gewährleistung des ständigen Betriebs wichtig, damit die<br />

eventuell anfallen<strong>den</strong> finanziellen Bedürfnisse die effiziente Arbeit nicht behin<strong>der</strong>n. Die<br />

Anerkanntheit eines Gebietes o<strong>der</strong> einer Aktivität zeigt sich an <strong>der</strong> Finanzierung.<br />

356 Prof. in Dr. in Stella Reiter -Theil befasst sich in ihrem Artikel mit dem Titel „Ethik in <strong>der</strong><br />

Notfallmedizin” mit dieser Problematik. Vgl. REITER-THEIL, Ethik in <strong>der</strong> Notfallmedizin, 165.<br />

147


IV. Benchmarking Analyse<br />

Diözesen bil<strong>den</strong> hier keine keine Ausnahme. Soll ein Gebiet evaluiert o<strong>der</strong> entwickelt<br />

wer<strong>den</strong>, wer<strong>den</strong> diese besser finanziert bzw. falls man <strong>den</strong>kt, dass eine bestimmte<br />

Tätigkeit nicht notwendig ist, dann wird die För<strong>der</strong>ung entzogen.<br />

KoordinatorInnen äußern sich über <strong>den</strong> Finanzhintergr<strong>und</strong> ihrer Organisationen<br />

unterschiedlich. Es gibt Modelle, wo die finanziellen Schwierigkeiten deutlicher zu<br />

spüren sind:<br />

„Vielleicht ergibt sich aus dem Zusammenhalt <strong>der</strong> unterschiedlichen Betreiber, dass<br />

keiner das Modell als sein eigenes wahrnimmt, daher ist die Finanzierung durch eine<br />

kontinuierliche Ungewissheit charakterisiert. Das Land deckt <strong>den</strong> größten Teil <strong>der</strong><br />

Kosten ab, aber vom Rest tragen alle teilnehmen<strong>den</strong> Organisationen einen bestimmten<br />

Teil bei. Das Ausmaß des Beitrages ist aber nicht eindeutig definiert, <strong>und</strong> das<br />

verursacht Störungen in <strong>der</strong> Finanzierung.” 357<br />

O<strong>der</strong> bei einem an<strong>der</strong>en Modell: „Wir sind schlecht mit Finanzmitteln versehen <strong>und</strong> das<br />

verursacht Probleme.” 358<br />

Es gibt aber auch KoordinatorInnen, die bei <strong>den</strong> Interviews getrost sagten: „Das Land<br />

deckt alles ab, wir haben keine Finanzierungsprobleme.” 359<br />

Die geringen Finanzierungsmöglichkeiten engen die Möglichkeiten <strong>der</strong> Organisation<br />

deutlich ein. In Verbindung mit <strong>der</strong> unsicheren Finanzierung gibt es aber auch Beispiele<br />

da<strong>für</strong>, dass nicht einmal die Kosten <strong>der</strong> Freiwilligen zur Gänze abgedeckt sind. Es gibt<br />

zwar Wege, dass Privatpersonen o<strong>der</strong> Institutionen <strong>den</strong> Dienst – als gemeinnützige<br />

Aktivität – unterstützen, aber es scheint, dass diese Möglichkeit niemand ausnützt. 360<br />

Im Falle von Katastrophen setzt die Akquirierung finanzieller Mittel mehrere Dinge<br />

voraus. Hierzu gehören zum Beispiel die Nutzung <strong>und</strong> Bekanntmachung einer<br />

Kontonummer, mit <strong>der</strong>en Hilfe breite Schichten <strong>der</strong> Gesellschaft die Möglichkeit haben,<br />

sich durch ihre Spen<strong>den</strong> an einer gesellschaftlich nützlichen Aktivität zu beteiligen.<br />

Außerdem ist ein übersichtliches Budget unerlässlich, sowie eine Endabrechnung,<br />

welche die Widmung <strong>der</strong> im Budget beschlossenen Geldsummen transparent macht <strong>und</strong><br />

ein Nachverfolgen <strong>der</strong> Geldflüsse ermöglicht.<br />

357 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 2.40.<br />

358 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 59.<br />

359 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 19.<br />

360 Da dies keine Kirchenaktivität ist, lan<strong>den</strong> die gezielten Sammlungen nicht auf dem Konto <strong>der</strong><br />

Organisation.<br />

148


IV. Benchmarking Analyse<br />

Heutzutage, da Diözesen Spen<strong>den</strong> <strong>für</strong> verschie<strong>den</strong> Zwecke sammeln, hört man selten<br />

über diese Berichte. Teils aufgr<strong>und</strong> des Mangels an Berichten, teils aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Tatsache, dass diese Sammlungen oft einen ad-hoc-Charakter haben 361 , ist die Nutzung<br />

<strong>der</strong> Finanzmittel nicht immer entsprechend. Resultierend aus <strong>der</strong> fehlen<strong>den</strong> Planbarkeit<br />

gibt es we<strong>der</strong> fachlich begründete Prioritäten noch Protokolle da<strong>für</strong>, wer in einer<br />

bestimmten Situation auf welche Weise helfen soll, so erfolgt die Hilfeleistung oft<br />

fallweise. Diese Fragen tauchen dann bei größeren Katastrophen immer von neuem auf.<br />

4.8.3. Planbarkeit <strong>der</strong> Finanzierung<br />

Damit die Kosten einer bestimmten Organisation richtig geplant wer<strong>den</strong> können <strong>und</strong> die<br />

Finanzierung kontinuierlich <strong>und</strong> reibungslos funktioniert, muss im Voraus ersichtlich<br />

sein, über welche Einnahmen diese Organisation verfügt.<br />

Die Interviewten haben Fragen über die finanzielle Planbarkeit – bedauerlicherweise –<br />

negativ beantwortet, ihre Reflektiertheit wurde bei keiner Organisation erwähnt.<br />

Es ist insgesamt charakteristisch, dass Diözesen bemüht sind, mit dem Dienst<br />

verb<strong>und</strong>ene Kosten so gering wie nur möglich zu halten. Das ist durchwegs<br />

verständlich, man sollte dies aber mit Bedacht tun, damit das Modell seine<br />

Funktionstüchtigkeit beibehält bzw. seine Möglichkeiten nicht zu stark eingeschränkt<br />

wer<strong>den</strong>. Im Falle einer Unterfinanzierung wird die Wirtschaftung hektisch, oft wird erst<br />

unter dem Jahr bemerkt, dass es in Folge übertriebener Sparsamkeit auch <strong>für</strong><br />

notwendige Dinge keine Gel<strong>der</strong> mehr gibt, im Gegensatz dazu wer<strong>den</strong> angesichts des<br />

sicheren Budgets <strong>der</strong> kommen<strong>den</strong> Jahre übertriebene Ausgaben getätigt.<br />

Die Bedeutung <strong>der</strong> Planbarkeit <strong>der</strong> Finanzierung zeigt sich jenseits <strong>der</strong> Sicherheit <strong>der</strong><br />

Finanzierung. Die ungewisse Planbarkeit wirkt sich auch auf die Nachhaltigkeit <strong>der</strong><br />

bereits angesprochenen Strategie aus.<br />

Finanzierungsprobleme erscheinen in <strong>den</strong> Interviews auf unterschiedliche Weise:<br />

„Die Gruppe finanziert sich aus <strong>den</strong> För<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Stadt o<strong>der</strong> Spen<strong>den</strong>. Abgesehen<br />

davon beteiligt sich auch die Diözese geringfügig an <strong>der</strong> Finanzierung.” 362<br />

361 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 9.<br />

362 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 86.<br />

149


IV. Benchmarking Analyse<br />

„Die Diözese wünscht, nicht allzu viele Gel<strong>der</strong> <strong>für</strong> diese Tätigkeit auszugeben. Jährlich<br />

wer<strong>den</strong> ein Halbzeitangestellter bzw. 1.200 Euro zur Verfügung gestellt.” 363<br />

„Wir veranstalten Präsentationsabende an verschie<strong>den</strong>en Orten, um Spen<strong>den</strong> zu<br />

sammeln” 364 – sagt ein/e KoordinatorIn, um anzuzeigen, dass auch die<br />

Spen<strong>den</strong>sammlung in <strong>den</strong> Aufgabenbereich <strong>der</strong> Organisation gehört. Sie muss sich in<br />

ihrem Einsatzbereich bekannt machen <strong>und</strong> sich auf dem Markt verkaufen, damit die<br />

Gruppe nachhaltig wirken kann. Diese Aufgaben for<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Gruppe viele<br />

Zusatzenergien ab.<br />

Falls sich die Organisation bei <strong>der</strong> Arbeit an einer bestimmten Strategie orientiert,<br />

taucht direkt nach <strong>der</strong> Bestimmung <strong>der</strong> Strategie die Frage <strong>der</strong> <strong>den</strong> Aufgaben<br />

zugeordneten Ressourcen auf. Die Sicherheit <strong>der</strong> Finanzierung beeinflusst also direkt<br />

<strong>und</strong> auf lange Dauer die von <strong>der</strong> Organisation übernommenen Aufgaben bzw. das<br />

Niveau ihrer Ausführung. Wenn also ein/e Freiwillige/r die Kosten seines/ihres eigenen<br />

Einsatzes finanzieren muss, dann wird er/sie sich wenig wahrscheinlich in die<br />

Bereitschaftsliste eintragen.<br />

Das Zukunftsbild einer bestimmten NFS-Organisation wird also gr<strong>und</strong>sätzlich davon<br />

beeinflusst, ob die Organisation weiß, mit wem bzw. mit welcher Summe sie bei <strong>der</strong><br />

Finanzierung ihrer Aufgaben rechnen kann. Im Bewusstsein dessen wer<strong>den</strong> Freiwillige<br />

angeworben, Dienstzeiten, Bereitschaftsordnungen o<strong>der</strong> sonstige Kostenaufwände<br />

geplant.<br />

4.8.4. Klarheit <strong>der</strong> Situation bei einer gemischten Finanzierung 365<br />

Organisationen wer<strong>den</strong> – aus mehreren Grün<strong>den</strong>, aber zumeist zwecks <strong>der</strong> Aufteilung<br />

<strong>der</strong> im Sinne <strong>der</strong> gemeinsamen Ziele übernommenen Kosten – in vielen Fällen von<br />

mehreren Hintergr<strong>und</strong>organisationen geför<strong>der</strong>t. Einer <strong>der</strong> Befragten hat dies<br />

folgen<strong>der</strong>maßen erläutert:<br />

„Die Diözese <strong>und</strong> das Land geben dem Modell eine ständige finanzielle För<strong>der</strong>ung.<br />

Genau betrachtet ist die <strong>für</strong> <strong>den</strong> Dienst anwendbare Geldsumme nicht hoch, <strong>den</strong>noch<br />

363 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 2.20.<br />

364 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 117.<br />

365 MÜLLER-LANGE, Handbuch Notfallseelsorge, 372.<br />

150


IV. Benchmarking Analyse<br />

hat die Organisation aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> doppelten Finanzierungsquelle eine sichere <strong>und</strong><br />

solide Basis.” 366<br />

Diese Lösung erleichtert die Nachhaltigkeit <strong>und</strong> belastet die Diözese selbst auch<br />

weniger. Damit diese Finanzierungsvariante erfolgreich sein kann, muss geklärt <strong>und</strong><br />

koordiniert wer<strong>den</strong>, welche För<strong>der</strong>er/För<strong>der</strong>innen die Gruppe auf welche Weise bzw.<br />

mit welcher Summe garantiert för<strong>der</strong>n. Mit solchen Übereinkünften kann <strong>der</strong><br />

reibungslose Betrieb garantiert wer<strong>den</strong>. Wenn die Situation ungeklärt bleibt, verursacht<br />

das eine Unberechenbarkeit, die an einer Stelle wie folgt zusammengefasst wurde: „Das<br />

Land deckt <strong>den</strong> größten Teil <strong>der</strong> Kosten ab, zum Rest tragen alle beteiligten<br />

Organisationen einen gewissen Teil bei. Der Grad des Beitrages ist aber nicht fixiert,<br />

daher verursacht dies Störungen bei <strong>der</strong> Sicherheit <strong>der</strong> Finanzierung. Geringe<br />

Finanzierungsmöglichkeiten stören die Planbarkeit des Dienstes.” 367<br />

Das geteilte Einnahmen- bzw. Kostenmanagement kann unter <strong>den</strong> verschie<strong>den</strong>en<br />

Organisationen gravierende Probleme verursachen. Eine/r <strong>der</strong> KoordinatorInnen spricht<br />

darüber wie folgt: „Die Telefonkosten <strong>und</strong> sonstige Kosten <strong>der</strong> Organisation wer<strong>den</strong> zu<br />

<strong>den</strong> Pfarrkosten o<strong>der</strong> zu <strong>den</strong>en des Vikarbezirkes gerechnet. Weiterbildungen wer<strong>den</strong> in<br />

dem Weiterbildungslager <strong>der</strong> Diözese gehalten. Die Organisation hat Sponsoren <strong>und</strong><br />

Möglichkeiten, För<strong>der</strong>ungen zu erhalten. Abgesehen davon unterstützen uns auch einige<br />

Städte. Es gibt tatsächlich keine detaillierten Angaben o<strong>der</strong> Dokumente über die<br />

Finanzierung, die Einnahmen sind geglie<strong>der</strong>t <strong>und</strong> vielseitig, Kosten wer<strong>den</strong> an<br />

mehreren Stellen verrechnet.“ 368<br />

Der Hauptgr<strong>und</strong> <strong>für</strong> diese gemischte Finanzierungsmethode liegt an <strong>der</strong> Tatsache, dass<br />

es sich um eine typisch ökumenische Organisation handelt, bei <strong>der</strong> im Optimalfall zwei<br />

o<strong>der</strong> mehrere Kirchen <strong>für</strong> <strong>den</strong> Modellbetrieb verantwortlich sind. Gleichzeitig<br />

überschreitet <strong>der</strong> NFS-Betrieb <strong>den</strong> kirchlichen Rahmen in <strong>den</strong> meisten Fällen <strong>und</strong> ist zu<br />

einer gesamtgesellschaftlichen Frage gewor<strong>den</strong>. Da die NFS-Organisation das<br />

Sicherheitsgefühl <strong>der</strong> Gesellschaft stärkt, helfen Län<strong>der</strong> in ihrem eigenen Interesse<br />

durch die Garantie von sonstigen staatlichen För<strong>der</strong>ungen <strong>und</strong> Quellen, diese Aktivität<br />

zu unterstützen.<br />

366 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 2.19-20.<br />

367 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 2.59.<br />

368 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 116.<br />

151


IV. Benchmarking Analyse<br />

Es gibt Organisationen, wo die oben angeführte Finanzierungsteilung auf fallweise<br />

geschlossenen Vereinbarungen beruht, <strong>und</strong> solche, wo <strong>der</strong> Kooperationsrahmen konkret<br />

fixiert wurde, o<strong>der</strong> wo genau definiert wurde, wer die Reisekosten, Telefonkosten,<br />

Trainings- o<strong>der</strong> sonstige Kosten bezahlt. 369 Dort, wo diese Prinzipen nicht festgelegt<br />

sind, wird die Finanzierung <strong>der</strong> Aufgaben <strong>und</strong> im Endeffekt <strong>der</strong> NFS-Betrieb labil.<br />

Zusammengefasst kann gesagt wer<strong>den</strong>, dass die Finanzierungssicherheit <strong>für</strong> alle<br />

Organisationen wichtig ist, <strong>den</strong>n die Organisation kann zum Erreichen ihrer Ziele ihre<br />

Arbeit nur dann organisieren, wenn die Ressourcen <strong>der</strong> Aktivität garantiert sind. Wenn<br />

diese Sicherheit sinkt o<strong>der</strong> dauernd schwächer wird, dann wird das Gewicht <strong>der</strong><br />

Aktivitäten vom ursprünglichen Ziel auf die Sicherung des eigenen Fortbestandes<br />

verschoben. Diese Gleichgewichtsverschiebung kann auf eine Ebene gelangen, wo die<br />

bestehen<strong>den</strong> Ressourcen fast ausschließlich <strong>für</strong> die Weiterexistenz <strong>der</strong> Organisation<br />

aufgewandt wer<strong>den</strong>. Im Endeffekt kann also die Effizienz einer mit geringen Mitteln,<br />

aber sicher finanzierten Organisation größer sein, als die einer relativ gut, aber ungewiss<br />

finanzierten Organisation sein.<br />

Alle Organisationen, die mit Finanzierungsproblemen zu kämpfen haben, sind mit <strong>der</strong><br />

Reduzierung <strong>der</strong> Kosten <strong>der</strong> Aufgabenverrichtung beschäftigt <strong>und</strong> suchen nicht nach<br />

Möglichkeiten, eine bessere Arbeitsqualität zu erzielen. Glücklicherweise gibt es kaum<br />

solche Extrembeispiele in <strong>den</strong> Diözesen. Wo die Sicherheit <strong>der</strong> Finanzierung <strong>den</strong>/die<br />

KoordinatorIn spürbar stört, dort wer<strong>den</strong> MitarbeiterInnen viel mehr belastet <strong>und</strong> es<br />

wer<strong>den</strong> höhere Erwartungen gestellt bzw. wird von Organisationsentwicklung gar nicht<br />

gesprochen, man will z.B. die MitarbeiterInnenzahl gar nicht erhöhen.<br />

Es gibt an verschie<strong>den</strong>en Orten mehrere BetreiberInnen, das bietet eine gute<br />

Möglichkeit, Lasten zu verteilen <strong>und</strong> verhilft <strong>der</strong> Organisation zu mehr Einnahmen. Im<br />

Falle eines solchen Betriebsmodells kann es Probleme verursachen, wenn niemand das<br />

Modell als sein/ihr eigenes betrachtet, o<strong>der</strong> wenn Lasten nicht in einer vorher<br />

bestimmten, schriftlich festgehaltenen Weise getragen wer<strong>den</strong>.<br />

Es ist eine Gefahrenquelle, wenn die Organisation von weltlichen Institutionen<br />

verhältnismäßig mehr Geld bekommt <strong>und</strong> deshalb die wichtigsten Charakterzüge <strong>der</strong><br />

369 Vgl. ebd.<br />

152


IV. Benchmarking Analyse<br />

Kirchenzugehörigkeit „vergisst“. Dies hat – abgesehen vom eigentlichen<br />

I<strong>den</strong>titätsverlust – auch zur Folge, dass sich die Arbeitsmoral än<strong>der</strong>t.<br />

5. Prozesse<br />

Bei <strong>der</strong> Analyse wurde <strong>der</strong> Betrieb <strong>der</strong> in <strong>den</strong> Interviews angeführten Organisationen<br />

mit <strong>der</strong> Benchmarking-Methode aus <strong>der</strong> Sicht eines Kriteriensystems untersucht,<br />

welches markanterweise <strong>für</strong> die Analyse von MarktakteurInnen geschaffen wurde. Die<br />

Methode wurde gerade deshalb gewählt, damit gezeigt wer<strong>den</strong> kann, zu welchen<br />

Organisationen die auf kirchlicher Basis organisierten Notfallseelsorge unter <strong>den</strong><br />

Marktverhältnissen, unter <strong>den</strong>en sie ihre Tätigkeit verrichten, gehören bzw. wo<br />

Anknüpfpunkte zu an<strong>der</strong>en Organisationen auf dem Ges<strong>und</strong>heitsmarkt vorhan<strong>den</strong> sind,<br />

welche aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> gewählten Kooperation ausschlaggebend sind.<br />

Zu diesen Anknüpfungspunkten gehören gerade die in <strong>der</strong> Organisation selbst laufen<strong>den</strong><br />

Prozesse, <strong>der</strong>en Abwicklung am meisten dem Betrieb eines mo<strong>der</strong>nen Institutes mit<br />

Marktperspektiven ähneln, daher zeigt das methodische Planen <strong>und</strong> Management dieser<br />

Prozesse <strong>den</strong> Erfolg <strong>der</strong> Adaptierung auf dem Markt.<br />

Man darf aber bei dem Betrieb <strong>der</strong> NFS niemals vergessen, dass es sich hier immer um<br />

eine christlich motivierte Organisation handelt, die sich in die hierarchische<br />

Kirchenstruktur organisch einbettet. Wird diese Gr<strong>und</strong>gegebenheit missachtet, dann ist<br />

sie keine Notfallseelsorge mehr, son<strong>der</strong>n eine zivile – wenn auch religiös begründete –<br />

caritative Organisation.<br />

Die Organisation <strong>der</strong> internen Prozesse anhand von Marktaspekten ist aber keinesfalls<br />

eine so selbstverständliche <strong>und</strong> leichte Aufgabe, wie sie auf <strong>den</strong> ersten Blick erscheint.<br />

5.1. Methodisches Planen <strong>und</strong> Management <strong>der</strong> Prozesse<br />

Charakteristischerweise versucht jede Diözese, diese neue Diakonietätigkeit in ihre<br />

bestehen<strong>den</strong> Strukturen zu integrieren <strong>und</strong> ist bemüht, zu diesem Zweck eine eigene<br />

Organisationseinheit zu schaffen. Da es sich um eine neue Aktivität handelt, verfügt<br />

keine <strong>der</strong> Diözesen über Vorkenntnisse auf diesem Gebiet <strong>und</strong> so muss überall eine<br />

neue <strong>und</strong> eigene Betriebsstruktur aufgebaut wer<strong>den</strong>.<br />

153


IV. Benchmarking Analyse<br />

Die Akzeptanz <strong>der</strong> NFS-Struktur kann <strong>für</strong> die im regionalen Prinzip <strong>den</strong>kende<br />

Kirchenorganisation Probleme verursachen. Diese Schwierigkeit haben<br />

KoordinatorInnen aller Diözesen im Rahmen <strong>der</strong> Interviews klar formuliert, obwohl je<br />

nach Organisation auf unterschiedliche Aspekte hingewiesen wurde. „Eine gute<br />

Struktur ist sehr wichtig” 370 , d.h. jede Organisation muss in ihrem eigenen<br />

Betriebsumfeld diejenige Struktur, in <strong>der</strong> sie ihre Aufgaben am effizientesten meistern<br />

kann, fin<strong>den</strong> <strong>und</strong> gestalten. Diese Struktur ist aus Sicht des Betriebes wichtig, <strong>den</strong>n sie<br />

stellt <strong>den</strong> Rahmen <strong>für</strong> alle weiteren Aktivitäten.<br />

Mehrere Diözesen haben bereits zum Start des Modells die interne Struktur <strong>der</strong><br />

Organisation, sowie Supervision, Aktivitäten, MitarbeiterInnenzahl <strong>und</strong> <strong>den</strong> Punkt, an<br />

dem die NFS-Organisation an an<strong>der</strong>e Organisationen knüpfen kann, geplant.<br />

Zu diesem Thema soll angeführt wer<strong>den</strong>, dass die Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> Prozessplanung die<br />

Definition <strong>und</strong> Formulierung <strong>der</strong> Aufgaben ausmacht, <strong>der</strong>en Ergebnis eine Art <strong>der</strong><br />

Differenzierung entlang <strong>der</strong> Aufgaben ist. (Für die Kirche sind die Aktivitäten <strong>der</strong><br />

Kataegorialseelsorge gr<strong>und</strong>sätzlich eine Art <strong>der</strong> Differenzierung). Dort, wo es also<br />

keine konkreten Überlegungen bezüglich <strong>der</strong> Aufgaben gibt, wird nicht formuliert, was<br />

genau gemacht wer<strong>den</strong> soll, so können Prozesse auch nicht geplant wer<strong>den</strong>. 371 Die<br />

Definition <strong>der</strong> Ziele, Strategien <strong>und</strong> Politiken ist also eine Gr<strong>und</strong>voraussetzung <strong>für</strong> die<br />

Bestimmung <strong>der</strong> Prozesse.<br />

Aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> Prozesse betrachtet stellt sich im Falle <strong>der</strong> NFS die Frage, inwiefern<br />

sich die Organisation <strong>für</strong> Aktivitäten in Untergruppen glie<strong>der</strong>t, bzw. ob <strong>der</strong>/die LeiterIn<br />

<strong>der</strong> kategorialen Seelsorge die Integration (die Koordination <strong>der</strong> Teile) im Sinne <strong>der</strong><br />

Aktivitäten organisieren kann. Im Rahmen <strong>der</strong> Tätigkeit verrichten kleinere o<strong>der</strong><br />

größere Gruppen ihre Arbeit als Hauptangestellte o<strong>der</strong> Freiwillige, aber sie müssen auch<br />

SponsorInnen fin<strong>den</strong>, damit sie ihre Tätigkeit finanzieren können. In Wahrheit ist<br />

dieser, verschie<strong>den</strong>e Verhaltensmuster beanspruchende, Aufgabenkreis zu groß <strong>für</strong> eine<br />

kleine Gruppe, <strong>den</strong>n in diesem Fall erledigt sie neben <strong>der</strong> konkreten Teilnahme an<br />

Einsätzen auch die Hintergr<strong>und</strong>arbeit. Diese Glie<strong>der</strong>ung schwächt die Effizienz <strong>der</strong><br />

Hintergr<strong>und</strong>arbeit deutlich. Es gibt kleine Gruppen, die keine Leute geson<strong>der</strong>t <strong>für</strong> die<br />

370 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 9.<br />

371 Vgl. KLEIN, Vezetés- és szervezetpszichológia, 378.<br />

154


IV. Benchmarking Analyse<br />

Verrichtung <strong>der</strong> Hintergr<strong>und</strong>arbeiten haben 372 <strong>und</strong> dies erhöht die Arbeit <strong>der</strong> Personen<br />

im Hintergr<strong>und</strong> 373 <strong>und</strong> schwächt die Effizienz <strong>der</strong> Hintergr<strong>und</strong>arbeit.<br />

Untersucht man <strong>den</strong> Fragenkreis <strong>der</strong> Organisationsübereinstimmung <strong>der</strong> NFS <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Diözese, muss man mit mehreren aus <strong>den</strong> Organisationsunterschie<strong>den</strong> resultieren<strong>den</strong><br />

Problemen rechnen. Die NFS ist – aus Sicht <strong>der</strong> Kirchenführung – eine <strong>der</strong> <strong>für</strong> die<br />

Kirche typische, zentralisierte, auf Respekt aufgebaute, mechanische Organisation,<br />

welche eine Art stabilen Umfeldes bietet, daher 374 :<br />

- wer<strong>den</strong> Prozesse von <strong>der</strong> Kirchenleitung klar definiert <strong>und</strong> eingegrenzt,<br />

- bleiben Prozesse so lange unverän<strong>der</strong>t, bis die Leitung sie än<strong>der</strong>t,<br />

- ist die Kirchenorganisation von <strong>der</strong> hierarchischen Struktur <strong>der</strong> Kontrolle,<br />

Kompetenzen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Kommunikation charakterisiert,<br />

- funktionieren generell <strong>für</strong> die Kirchenleitung typische vertikale<br />

Kommunikationssysteme. Die Kommunikation erscheint in Form von von Oben<br />

kommen<strong>der</strong> Instruktionen <strong>und</strong> Entscheidungen,<br />

- sind Loyalität <strong>und</strong> Gehorsam Gr<strong>und</strong>voraussetzungen,<br />

- wird <strong>der</strong> I<strong>den</strong>tifizierung mit dem System hohe Wichtigkeit <strong>und</strong> hohes Prestige<br />

zugeordnet.<br />

Die oben angeführten Prinzipien sind Prinzipien des klassischen Betriebs kirchlicher<br />

Organisationen. Jede Diözese <strong>den</strong>kt, entlang <strong>der</strong> oben angeführten Prinzipien zu<br />

funktionieren. Daher kann in vielen Fällen beobachtet wer<strong>den</strong>, dass es fast schockierend<br />

wirkt, wenn die Kirchenleitung o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Priester anhand eines Problems o<strong>der</strong> Skandals<br />

damit konfrontiert wird, dass Diözesen o<strong>der</strong> Diözesanorganisationen nicht nach einem<br />

vordefinierten Schema funktionieren.<br />

Unter Marktumstän<strong>den</strong> operierende Organisationen verrichten ihre Aktivitäten in einer<br />

flexiblen, weniger geb<strong>und</strong>enen Struktur, in <strong>der</strong><br />

- Arbeitsprozesse viel stärker horizontal aneinan<strong>der</strong> geknüpft wer<strong>den</strong>,<br />

- die Organisation zwar ihre eigene Struktur hat, ihre Mitglie<strong>der</strong> aber<br />

Arbeitsprozesse ständig neu modifizieren <strong>und</strong> definieren. Es gibt zwar<br />

Lösungsschemata, diese wer<strong>den</strong> aber vom Leben, beson<strong>der</strong>s in Notlagen,<br />

ständig neu geschrieben,<br />

372 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 117.<br />

373 Der/die KoordinatorIn ist oft <strong>der</strong> Hintergr<strong>und</strong>.<br />

374 Vgl. KLEIN, Vezetés- és szervezetpszichológia, 382.<br />

155


IV. Benchmarking Analyse<br />

- Kontrolle, Kompetenz <strong>und</strong> Kommunikation in einer Netzwerkstruktur<br />

funktionieren. 375<br />

Die PartnerInnenorganisationen <strong>der</strong> NFS – obwohl oft Teil <strong>der</strong> öffentlichen Hand –<br />

folgen in ihrem Strukturaufbau Marktnormen. Die zentralisierte kirchliche Auffassung<br />

wird aber ständig mit <strong>der</strong> organischen, sich flexibel auf die Aufgabe konzentrieren<strong>den</strong><br />

Organisation konfrontiert. Diese Situation kann, falls nicht behandelt, in einem<br />

instabilen Umfeld resultieren. Missverständnisse <strong>und</strong> Konflikte wer<strong>den</strong> vielerorts durch<br />

das Zusammentreffen dieser bei<strong>den</strong> Prinzipien hervorgerufen.<br />

5.2. Weiterentwicklung <strong>der</strong> Prozesse zwecks <strong>der</strong> besseren Versorgung <strong>der</strong><br />

Betroffenen<br />

Alle Modelle müssen die Betriebsform fin<strong>den</strong>, mit <strong>der</strong> sie <strong>den</strong> Erwartungen gegenüber<br />

<strong>der</strong> Organisation am meisten entsprechen. Gerade deshalb kann o<strong>der</strong> muss <strong>der</strong> <strong>Aufbau</strong><br />

<strong>der</strong> Organisation sich <strong>den</strong> Ansprüchen entsprechend än<strong>der</strong>n, <strong>den</strong>n das externe Umfeld,<br />

welches das Organisationsumfeld bestimmt, än<strong>der</strong>t sich ständig.<br />

Im Rahmen eines NFS-Organisationsbetriebs müssen im Allgemeinen sechs bis sieben<br />

Jahre vergehen, bis sich die Struktur herauskristallisiert, welche <strong>der</strong> Arbeit am meisten<br />

entspricht. 376 In Zusammenhang damit kann <strong>der</strong> ständige Umzug von MitarbeiterInnen,<br />

sowie die Än<strong>der</strong>ung des von <strong>der</strong> Aktivität betroffenen Gebietes Probleme verursachen.<br />

Die direkte Folge <strong>der</strong> ständigen Än<strong>der</strong>ungen ist das Erscheinen neuer Arbeitsbereiche,<br />

bzw. das eventuelle Zusammenziehen o<strong>der</strong> eine Vernachlässigung von Funktionen <strong>und</strong><br />

Aufgaben innerhalb <strong>der</strong> Organisation. Dennoch gibt es Organisationen, welche diese<br />

Aufgabe erfolgreich gemeistert haben:<br />

„Das Modell ist vor 6-7 Jahren entstan<strong>den</strong> <strong>und</strong> jetzt wollen wir neue Formen des<br />

Betriebs fin<strong>den</strong>. Wir haben bereits begonnen, Än<strong>der</strong>ungen im Training <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Ausrüstung vorzunehmen. Im Laufe dessen wur<strong>den</strong> auch Än<strong>der</strong>ungen zwecks <strong>der</strong><br />

Verbesserung <strong>der</strong> Erreichbarkeit <strong>und</strong> <strong>der</strong> Werbung von Mitarbeitern vorgenommen. All<br />

dies resultiert in einer qualitätsvolleren Arbeit <strong>und</strong> einem erfolgreicheren Dienst.” 377<br />

375 Vgl. KLEIN, Vezetés és szervezetpszichológia, 68.<br />

376 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 116.<br />

377 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 117.<br />

156


IV. Benchmarking Analyse<br />

Die Erfahrungen mit <strong>der</strong> ständigen Entwicklung <strong>der</strong> Prozesse sind aber keinesfalls so<br />

positiv. In <strong>den</strong> meisten Diözesen wurde mit <strong>der</strong> Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> internen Struktur erst<br />

begonnen, wenn ein Prozess offensichtlich nicht optimal gelaufen ist <strong>und</strong> die Art des<br />

Kontaktes zu <strong>den</strong> PartnerInnenorganisationen wurde erst dann modifiziert, wenn die<br />

PartnerInnen dies explizit gefor<strong>der</strong>t haben o<strong>der</strong> die Organisation aufgr<strong>und</strong> des Mangels<br />

an Kontakt zu <strong>den</strong> PartnerInnenorganisationen nicht funktioniert hat.<br />

In mehreren Fällen war zu erkennen, dass die NFS-Organisation sich immer nur auf<br />

externen Druck hin geän<strong>der</strong>t hat. Sobald die externe Erwartung aufgehört hat, wurde<br />

auch <strong>der</strong> Än<strong>der</strong>ungsprozess eingestellt. 378 Deshalb entstand bei vielen Organisationen<br />

<strong>der</strong> Eindruck, dass eine Entwicklung lediglich durch die Unzufrie<strong>den</strong>heit <strong>der</strong><br />

PartnerInnenorganisationen <strong>und</strong> nicht durch <strong>den</strong> internen Wunsch nach Entwicklung<br />

inspiriert möglich wäre.<br />

Es gibt Organisationen, wo <strong>der</strong>/die KoordinatorIn die MitarbeiterInnen in keiner Weise<br />

motivieren konnte <strong>und</strong> keine kontinuierlich geführten Listen existieren, mit <strong>der</strong>en Hilfe<br />

die Erreichbarkeit hätte protokolliert wer<strong>den</strong> können. Es gibt nichts, was die<br />

Gruppenzugehörigkeit stärken würde, daher sind <strong>den</strong> MitarbeiterInnenn we<strong>der</strong> die<br />

Zielsetzungen noch die Struktur <strong>der</strong> Organisation bekannt. Ohne diese Informationen ist<br />

es aber unmöglich, Än<strong>der</strong>ungen zu bewirken. 379<br />

Die hartnäckige Existenz alter, offensichtlich nicht mehr funktionieren<strong>der</strong> Strukturen ist<br />

aus einigen Interviews immer noch zu vernehmen:<br />

„Die Alarmierung kommt nur aus <strong>der</strong> Zentrale <strong>und</strong> dies verursacht Probleme.” 380<br />

„Es gibt Mitarbeiter, die nicht auf <strong>der</strong> KIT-Liste stehen <strong>und</strong> das ist ein Problem.” 381<br />

„Das Dienstsystem ist auf 12 St<strong>und</strong>en eingestellt, das ist zumeist nicht gerade gut.“ 382<br />

Nachdem <strong>der</strong> Strukturaufbau <strong>der</strong> Organisation sich gefestigt hat, än<strong>der</strong>t man das<br />

Strukturschema des Dienstes oft aus Bequemlichkeit nicht, obwohl es sich lohnt,<br />

Prozesse neu anzu<strong>den</strong>ken, <strong>den</strong>n das sich än<strong>der</strong>nde Umfeld macht die Gestaltung neuer<br />

Lösungen von Zeit zu Zeit notwendig. Es ist mehreren Orts spürbar, dass Än<strong>der</strong>ungen<br />

erst nach Jahren durchgeführt wur<strong>den</strong>.<br />

378 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 49.<br />

379 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 9.<br />

380 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 59.<br />

381 Gerhard BALDAUF in einem Vortrag am 21.03.2008. in Graz.<br />

382 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 56.<br />

157


IV. Benchmarking Analyse<br />

Die wichtigste Informationsbasis <strong>der</strong> Prozessentwicklung ist die Evaluierung <strong>der</strong> Daten<br />

aus <strong>den</strong> Einsätzen sowie die Analyse <strong>der</strong> statistischen Datenreihen. 383 Bei <strong>der</strong><br />

Datensammlung lohnt es sich auch, Fragen zu stellen, welche die unterschiedlichen<br />

sozialen Wünsche aufdecken bzw. durch die auch die von dem Dienst versorgten<br />

Personen die Möglichkeit haben, sich über die Arbeit des Dienstes zu äußern. Diese<br />

Erhebungen helfen nicht nur bei <strong>der</strong> Strukturentwicklung, son<strong>der</strong>n auch bei <strong>der</strong><br />

Gestaltung <strong>der</strong> Thematiken von Aus- <strong>und</strong> Weiterbildung <strong>und</strong> des niveauvollen<br />

Organisationsbetriebs. Der Mangel an solchen Informationen kann im Endeffekt zu<br />

einer Verkümmerung <strong>der</strong> Organisation führen. Es ist ratsam, solche<br />

Evaluierungsangaben auf kleinstmögliche Gebiete geglie<strong>der</strong>t zu sammeln <strong>und</strong> zu<br />

ordnen, damit die Evaluierung zu einem Vergleich <strong>der</strong> sich stellen<strong>den</strong> Aufgaben <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

tatsächlichen Arbeit führt.<br />

Aus <strong>den</strong> Interviews wurde ersichtlich, dass die Organisationen fast überall in kleinere<br />

Gruppen geglie<strong>der</strong>t sind. Jede Gruppe hat ihre eigene Erreichbarkeit <strong>und</strong> Statistikdaten<br />

über ihre Aktivitäten. Diese Daten sind zumeist über das Internet zugänglich, so kann<br />

die Effizienz <strong>und</strong> die Entwicklung <strong>der</strong> Organisation leicht evaluiert wer<strong>den</strong> bzw. kann<br />

man sehen, welcher Bereich welche Aufgaben versieht <strong>und</strong> eventuell auch, welche Art<br />

von Weiterbildung o<strong>der</strong> Unterstützung die Organisation benötigt.<br />

Wie bereits angesprochen, führen Organisationen ihre Arbeit in kleineren Gruppen<br />

durch. Das bedeutet gleichzeitig auch, dass in diesem Fall die jeweiligen Gruppen so<br />

stark <strong>und</strong> organisiert sein müssen, dass sie alle Aktivitäten selbstständig durchführen<br />

können.<br />

Im Falle <strong>der</strong> untersuchten NFS-Strukturen hat das Erscheinen des KIT die größten<br />

Än<strong>der</strong>ungen verursacht. (Es gibt ein Modell, nachdem KIT <strong>und</strong> NFS ihre Aufgabe in<br />

einem Wechseltakt von 12 St<strong>und</strong>en versehen). 384 In Deutschland ist auf <strong>den</strong> Gebieten<br />

einzelner Diözesen die Verbindung <strong>und</strong> Kooperation von KIT <strong>und</strong> NFS unterschiedlich,<br />

zumeist war man bemüht, bei <strong>der</strong> Arbeitsaufteilung lokale Gegebenheiten zu<br />

berücksichtigen.<br />

Jedes Modell sucht die geeignetste Form, die <strong>der</strong> Mentalität <strong>der</strong> MitarbeiterInnen <strong>und</strong><br />

<strong>den</strong> lokalen Gegebenheiten am meisten entspricht. Ein tatsächlich effektives <strong>und</strong><br />

383 Vgl. MITZBURGER, Crafting Strategy.<br />

384 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 49.<br />

158


IV. Benchmarking Analyse<br />

flexibles Modell kann aber nur unter <strong>der</strong> ständigen Erhebung <strong>der</strong> Kreativität <strong>und</strong><br />

Bildung <strong>der</strong> MitarbeiterInnen erfolgen.<br />

Das Ziel <strong>der</strong> dauern<strong>den</strong> Prozessentwicklung muss in allen Fällen die Verbesserung <strong>der</strong><br />

Transparenz <strong>und</strong> ein effizienterer Organisationsbetrieb sein. Selbstverständlich gibt es<br />

im Falle <strong>der</strong> meisten Organisationen Bestrebungen, Prozesse weiterzuentwickeln,<br />

jedoch sind diese, im Gegensatz zu <strong>den</strong> Marktakteuren, individuelle Initiativen <strong>der</strong><br />

Leitung <strong>und</strong> keine bewussten, auf die Erfahrung <strong>der</strong> Betroffenen basieren<strong>den</strong><br />

Entwicklungstätigkeiten.<br />

Es war interessant, bei <strong>den</strong> Interviews zu vernehmen, dass, obwohl es sich hier um eine<br />

Organisation handelt, <strong>der</strong>en Hauptziel die Versorgung <strong>der</strong> Betroffenen ist, nirgendwo<br />

eine Umfrage bezüglich <strong>der</strong> Zufrie<strong>den</strong>heit <strong>der</strong> Betroffenen mit <strong>der</strong> Organisation<br />

gef<strong>und</strong>en wurde. Wahrscheinlich ist das <strong>der</strong> Punkt des NFS-Betriebes, in dem <strong>der</strong><br />

Unterschied in <strong>der</strong> Denkweise im Vergleich zu einer marktorientierten Organisation am<br />

meisten zur Geltung kommt.<br />

Es gab auch Organisationen, bei <strong>den</strong>en die Antworten im Laufe <strong>der</strong> Interviews gezeigt<br />

haben, dass die Diözese eine Spezialisierung nicht als Möglichkeit einer pastoralen<br />

Weiterentwicklung sieht. 385 Diese Betrachtungsweise stellt – wenn auch ungewollt –<br />

<strong>den</strong> Sinn <strong>der</strong> NFS-Arbeit <strong>und</strong> die Zukunft des Modells in Frage. Dies ist umso mehr<br />

beängstigend, wenngleich auch die Koordinatoren immer wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Meinung waren,<br />

dass diese Arbeit ohne spezielle Bildung nicht zu bewerkstelligen ist, o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s<br />

formuliert, dass zu einer effizienten Arbeit in <strong>der</strong> Pfarre ein Team vonnöten ist, welches<br />

bei <strong>der</strong> Lösung solch spezieller Aufgaben dem Pfarrer beistehen kann. 386<br />

5.3. Bereitschaftssystem <strong>und</strong> Erreichbarkeit 387<br />

Für eine qualifizierte Praxis <strong>der</strong> NFS sind die Erreichbarkeit <strong>und</strong> die Frage <strong>der</strong><br />

Alarmierung <strong>der</strong> MitarbeiterInnen sehr wichtig. Diese Fragen sind aus <strong>der</strong> Sicht des<br />

Betriebes unumgänglich <strong>und</strong> von gr<strong>und</strong>legen<strong>der</strong> Bedeutung, <strong>den</strong>n ohne die richtigen<br />

385 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 33.<br />

386 Müssen Pfarrer sich innerhalb <strong>der</strong> Kirche spezialisieren, <strong>und</strong> wenn ja zu welchem Ausmaß, welches<br />

Training erfor<strong>der</strong>t die Arbeit des Seelsorgers, <strong>und</strong> welche Arbeit wird ein Seelsorger verrichten? Dies<br />

sind Fragen, welche das Schreiben einer weiteren Diplomarbeit anregen, aber hier soll auf die<br />

Beantwortung dieser Fragen nicht eingegangen wer<strong>den</strong>.<br />

387 MÜLLER-LANGE, Handbuch Notfallseelsorge, 369.<br />

159


IV. Benchmarking Analyse<br />

Antworten darauf ist die jeweilige Organisation nicht in <strong>der</strong> Lage, ihre Aufgaben zu<br />

versehen. Verständigt wird überall über die Alarmierungszentrale des Landes <strong>und</strong> die<br />

Erreichbarkeitsliste ist entwe<strong>der</strong> über das Internet o<strong>der</strong> beim Koordinator zu fin<strong>den</strong>.<br />

Dienstzeiten <strong>und</strong> Bereitschaftsliste wer<strong>den</strong> zum Teil von <strong>der</strong> MitarbeiterInnenzahl, zum<br />

Teil von <strong>der</strong> Häufigkeit <strong>und</strong> Form <strong>der</strong> Einsatzrufe bestimmt. Diese än<strong>der</strong>n sich<br />

fortlaufend, je nach <strong>der</strong> MitarbeiterInnenzahl <strong>und</strong> dem Bekanntheitsgrad <strong>der</strong><br />

Organisation. Auch im Falle <strong>der</strong> Alarmierung gibt es Organisationen, in <strong>den</strong>en die<br />

Lösung dem Wunsch nach sachlicher Korrektheit entspricht: „Die Alarmierung kommt<br />

üblicherweise von <strong>der</strong> Feuerwehr o<strong>der</strong> Polizei in die Zentrale. Von dort aus geht dann<br />

ein Feuerwehrmann o<strong>der</strong> Polizist an <strong>den</strong> Ort des Geschehens <strong>und</strong> verständigt die<br />

Alarmierungszentrale. Eine Dienstliste mit wöchentlichen <strong>und</strong> täglichen Einteilungen<br />

wird erstellt. Die Dienstzeit dauert von 22.00 bis 12.00 Uhr. Bereitschaftszeit <strong>und</strong><br />

Bereitschaftsstelle sind so festgesetzt, dass NFS-MitarbeiterInnen binnen kürzester Zeit<br />

an <strong>den</strong> Einsatzort gelangen können. Der Dienst ist 24 St<strong>und</strong>en hindurch erreichbar, <strong>der</strong><br />

Koordinator beteiligt sich selbst an <strong>den</strong> Einsätzen. In einzelnen Bereichen wer<strong>den</strong><br />

Gruppen geschaffen. Wo es keine selbständigen Gruppen gibt, steht ein Pfarrer o<strong>der</strong> ein<br />

Diakon zur Verfügung.” 388<br />

Gleichzeitig gibt es eine Vielzahl an Organisationen, wo die Funktionsweise des<br />

Verständigungssystems an sich die Effizienz <strong>der</strong> Organisation verschlechtert.<br />

Ausgehend von <strong>der</strong> geringen Zahl <strong>der</strong> Einsätze ist fast überall evi<strong>den</strong>t, dass die<br />

Alarmierung nicht richtig funktioniert. Eine Verständigung erreicht die Organisation<br />

theoretisch über eine zentrale Nummer, in vielen Fällen schicken aber an <strong>der</strong><br />

Katastrophenbehebung beteiligte Organe ihre eigenen Leute vor Ort <strong>und</strong> verständigen<br />

die NFS nicht. Die Interviews haben auch gezeigt, dass in mehreren Fällen die<br />

Erreichbarkeit <strong>der</strong> NFS-MitarbeiterInnen im Dienst nicht gelöst ist. Folgende<br />

Interviewdetails zeugen von Problemen:<br />

„Alarmiert wird von verschie<strong>den</strong>en Stellen, wir wer<strong>den</strong> von <strong>der</strong> Landeszentrale<br />

verständigt“ 389 o<strong>der</strong>: „Private Anrufe nehmen wir nicht entgegen.“ 390<br />

„Wir wer<strong>den</strong> erst im Nachhinein verständigt.“ 391<br />

388<br />

Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 85.<br />

389<br />

Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 59.<br />

390<br />

Vgl. ebd.<br />

391<br />

Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 8.<br />

160


IV. Benchmarking Analyse<br />

„Mitarbeiter schreiben selbst auf, wer wann erreichbar ist, im Allgemeinen gibt es<br />

immer jeman<strong>den</strong>.“ 392<br />

„Wir schicken das Blatt hinaus <strong>und</strong> man muss monatlich vier Dienste übernehmen, im<br />

Allgemeinen ist immer jemand da.” 393<br />

„Alarmiert wird über das Diensttelefon <strong>und</strong> das Handy.” 394<br />

„Der Koordinator, <strong>der</strong> selbst Freiwilliger ist <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Seelsorgeraufgaben hat,<br />

nimmt die Alarmierung entgegen. Koordinatoren [sic] versehen ihre Arbeit im<br />

Wochentakt. Einen Wechsel gibt es immer montags um 12.00 Uhr. Der Koordinator<br />

alarmiert die MitarbeiterInnen, <strong>der</strong>en Wohnsitz sich dem Ereignis am nächsten<br />

befindet. Findet er nieman<strong>den</strong> – dies kann zumeist nachts passieren – muss er <strong>den</strong><br />

Verletzten vor Ort versorgen. Im Allgemeinen versieht eine Person die Aufgabe. Bei<br />

größeren Tragödien sind aber zwei o<strong>der</strong> mehrere Personen vor Ort.” 395<br />

Die Fragen <strong>der</strong> Verständigung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Erreichbarkeit sind <strong>der</strong> Schlüssel zur konkreten<br />

Hilfeleistung. Normalerweise haben die meisten Modelle hiermit zu kämpfen, entwe<strong>der</strong>,<br />

weil bei Fällen, wo seelische Hilfe notwendig wäre, die Organisationen nicht<br />

verständigt wer<strong>den</strong>, o<strong>der</strong>, weil es keine MitarbeiterInnen gibt, die zur Zeit <strong>der</strong><br />

Alarmierung – welche 24 St<strong>und</strong>en am Tag erfolgen kann – einsatzfähig wären. Modelle,<br />

bei <strong>den</strong>en von mehreren Stellen aus eine Alarmierung erfolgen kann, haben es besser als<br />

diejenigen, die nur einen Kanal zum Zwecke <strong>der</strong> Alarmierung offen halten.<br />

Hauptangestellte sind bei <strong>der</strong> Alarmierung eine große Hilfe, aber dort, wo <strong>der</strong> /die<br />

KoordinatorIn nur halbzeitbeschäftigt ist, kann die fortlaufende Erreichbarkeit nur<br />

schwer gelöst wer<strong>den</strong>. Der simple Gr<strong>und</strong> hier<strong>für</strong> ist, dass <strong>der</strong>/die halbzeitbeschäftigte<br />

MitarbeiterIn die Arbeit des/r an<strong>der</strong>en Halbzeitbeschäftigten erledigt. In diesem Fall<br />

wer<strong>den</strong> neben <strong>den</strong> halbzeitbeschäftigten KollegInnen – die ihren zivilen o<strong>der</strong><br />

kirchlichen Tätigkeiten nachgehen – vier bis sechs Freiwillige o<strong>der</strong> nebenberuflich<br />

angestellte MitarbeiterInnen benötigt, die dieser Aktivität neben ihrer Arbeit nachgehen<br />

können. So ist <strong>der</strong> reibungslose Betrieb garantiert, <strong>den</strong>n auf diese Weise gibt es immer<br />

wenigstens zwei MitarbeiterInnen, die bei einer Alarmierung vor Ort sein können.<br />

392<br />

Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 56.<br />

393<br />

Vgl. ebd.<br />

394<br />

Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 171.<br />

395<br />

Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 71.<br />

161


IV. Benchmarking Analyse<br />

In <strong>der</strong> Interpretation <strong>der</strong> ständigen Erreichbarkeit ist das Bild je nach Diözese ein<br />

an<strong>der</strong>es. Es gibt Organisationen, wo die Tätigkeit „nur“ über 12 St<strong>und</strong>en ausgeübt<br />

wird. 396 Es gibt Lösungen, wonach <strong>der</strong> Dienst an eine an<strong>der</strong>e, ständig erreichbare<br />

Organisation anknüpft <strong>und</strong> die NFS nur dann gerufen wird, wenn ein konkreter Wunsch<br />

diesbezüglich geäußert wird.<br />

Im Rahmen <strong>der</strong> Interviews hat sich herauskristallisiert, dass die KoordinatorInnen an<br />

<strong>den</strong> meisten Orten die Erreichbarkeit des Modells von <strong>der</strong> MitarbeiterInnenzahl <strong>und</strong> <strong>den</strong><br />

Anknüpfmöglichkeiten abhängig gemacht haben. Im Laufe <strong>der</strong> ständigen Evaluierungen<br />

macht es sich bezahlt, regelmäßig zu untersuchen, ob die Organisation die richtige Form<br />

<strong>der</strong> Alarmierung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Vernetzung gewählt hat.<br />

6. NFS aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> „K<strong>und</strong>Innen“<br />

Die zweite Gruppe <strong>der</strong> durch die Benchmarking-Analyse untersuchten Organisations-<br />

charakteristika befasst sich mit dem Organisationsbetrieb aus Sicht <strong>der</strong> „Erfolge“. Das<br />

letzte Element hierbei ist die Evaluierung <strong>der</strong> „K<strong>und</strong>Innenergebnisse“.<br />

Offensichtlicherweise wird bei <strong>der</strong> Analyse von Marktorganisationen bzw. <strong>der</strong> NFS<br />

unter dem Begriff „K<strong>und</strong>Innenergebnisse“ nicht das gleiche verstan<strong>den</strong>. Gleichzeitig<br />

beeinflussen die vom NFS-Dienst erzielten „Ergebnisse“, <strong>und</strong> im Genaueren die<br />

Evaluierung des Dienstes durch die versorgten Personen, das Ansehen <strong>der</strong> Organisation,<br />

bzw. das Betriebsumfeld, welches <strong>den</strong> Erfolg des Organisationsbetriebs gr<strong>und</strong>legend<br />

beeinflusst, in einer direkten Weise. Gerade deshalb ist die Untersuchung dieses<br />

Betriebselementes im Falle <strong>der</strong> NFS auch wichtig.<br />

6.1. Die Kirchen als potentielle AkteurInnen mo<strong>der</strong>ner<br />

Ges<strong>und</strong>heitsdienstleistungen<br />

Die Untersuchung <strong>der</strong> Aktivität aus dieser Perspektive ist auch durch einen an<strong>der</strong>en<br />

Aspekt begründet. Im mo<strong>der</strong>nen Ges<strong>und</strong>heitswesen wurde die Ges<strong>und</strong>heit zu einer<br />

Ware bzw. Dienstleistung wie alle an<strong>der</strong>en Produkte in <strong>der</strong> Marktwirtschaft. Tatsächlich<br />

396 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 56.<br />

162


IV. Benchmarking Analyse<br />

aber leisten ÄrztInnen, RettungsärztInnen <strong>und</strong> PflegerInnen nur Ges<strong>und</strong>heitsdienste <strong>und</strong><br />

schenken nicht die Ges<strong>und</strong>heit selbst. 397 Die NFS als potentielle Akteurin <strong>der</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heitsindustrie kann im 21. Jahrh<strong>und</strong>ert ein/e konkrete/ TeilnehmerIn auf dem<br />

<strong>und</strong> GestalterIn <strong>der</strong> Funktion des Ges<strong>und</strong>heitsmarktes sein, dessen/<strong>der</strong>en<br />

Hauptcharakterzug das Bestreben nach Effizienz <strong>und</strong> gleichzeitig nach einer qualitativ<br />

hochwertigen Versorgung ist. 398<br />

Die Einnahmen aus dem Ges<strong>und</strong>heitswesen gehen – hauptsächlich aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Abnahme <strong>der</strong> aktiven Bevölkerung – zurück o<strong>der</strong> stagnieren, während die Ausgaben –<br />

aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Überalterung <strong>der</strong> Gesellschaft <strong>und</strong> dank des technologischen Fortschrittes<br />

– deutlich ansteigen. 399 Diese Situation verursacht eine immer größere Spannung<br />

zwischen Effizienz <strong>und</strong> niveauvoller Krankenversorgung. Diese Spannung kann auf<br />

verschie<strong>den</strong>e Arten, zum Beispiel durch Miteinbezug <strong>der</strong> neuen AkteurInnen auf dem<br />

Sektor, gelin<strong>der</strong>t wer<strong>den</strong>.<br />

Kirchen o<strong>der</strong> Kirchenorganisationen wer<strong>den</strong> ganz selten als konkrete AkteurInnen auf<br />

dem Markt verstan<strong>den</strong>, <strong>den</strong>n die Zivilsphäre hat bei <strong>der</strong> Erfüllung bestimmter<br />

Diakonieaufgaben jahrzehntelange Traditionen <strong>und</strong> die ungarische Kirche gilt auf<br />

diesem Sektor in vielen Fällen als neue/r AkteurIn. Die Wirklichkeit zeigt aber oft, dass<br />

diese Organisationen nicht <strong>den</strong> gesamten Aufgabenbereich abdecken können. Sie sind<br />

beson<strong>der</strong>s auf das Auffangen seelischer, spiritueller Bedürfnisse nicht vorbereitet. Auf<br />

diesem Gebiet haben Kirchen neue Möglichkeiten <strong>und</strong> Aufgaben. Der Betrieb <strong>der</strong><br />

Notfallseelsorge kann eines dieser neuen kategorialen Seelsorgegebiete sein.<br />

Im NFS-Betrieb ist <strong>für</strong> die Kirchen die Tatsache, dass die an die Organisation gestellten<br />

Erwartungen nicht nur von innen kommen, ein neues <strong>und</strong> ungewöhnliches Moment. Es<br />

müssen auch ökonomische Aspekte zur Geltung kommen, welche zu <strong>den</strong> ‚weltlichen‘<br />

Erwartungen zählen. So gelangt man bei <strong>der</strong> NFS über die Geltung von Wirtschafts-<br />

<strong>und</strong> Marktkriterien zur konkreten Umsetzung von Solidarität.<br />

Die Rolle, welche jeweils die ungarische, deutsche <strong>und</strong> österreichische katholische<br />

Kirche einnimmt, zeugte in <strong>den</strong> letzten Jahrzehnten von allgemein bekannten,<br />

deutlichen Unterschie<strong>den</strong>. In Zusammenhang mit <strong>der</strong> gemeinsamen bürgerlichen<br />

Wertordnung nach <strong>der</strong> Wende <strong>und</strong> viel mehr dem Prozess in Richtung EU <strong>und</strong> dem<br />

397<br />

Vgl. DÉZSY, Egészséggazdaságtan, 30.<br />

398<br />

Vgl. ebda.<br />

399<br />

Vgl. DÉZSY, Egészséggazdaságtan, 27.<br />

163


IV. Benchmarking Analyse<br />

tatsächlichen Beitritt weisen die von <strong>den</strong> angesprochenen Teilkirchen zu verrichten<strong>den</strong><br />

Aufgaben <strong>und</strong> das sie umgebende soziale Milieu in vieler Hinsicht Ähnlichkeiten auf.<br />

Jedoch gibt es bis heute gravierende Unterschiede <strong>der</strong> sozialen Situation, Akzeptanz<br />

<strong>und</strong> <strong>den</strong> in <strong>der</strong> Gesellschaft tatsächlich verrichteten Aufgaben <strong>der</strong> drei Teilkirchen. Der<br />

Gr<strong>und</strong> da<strong>für</strong> ist in <strong>der</strong> Vergangenheit zu suchen.<br />

6.2. Mo<strong>der</strong>nes Management als Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> erfolgreichen<br />

Diakonietätigkeit<br />

Ein mo<strong>der</strong>nes Management spielt auch bei <strong>der</strong> Steuerung von Diakonieinstitutionen<br />

eine tragende Rolle. Man kann zwar Kircheninstitute nicht mit Unternehmen im Sinne<br />

<strong>der</strong> Marktwirtschaft gleichsetzen, sehr wohl aber ihre Erfahrungen nutzen. 400 Damit die<br />

katholische Diakonie in Europa trotz schwieriger Umstände in <strong>der</strong> Lage sein kann, sich<br />

in punkto Qualität zu entwickeln, muss die Qualität <strong>der</strong> Diakonieleitung in allen<br />

Belangen überprüft wer<strong>den</strong> bzw. müssen gr<strong>und</strong>legend neue Führungsaspekte zur<br />

Geltung kommen.<br />

Die unlängst umgesetzte Reform des Ges<strong>und</strong>heitssystems in Ungarn hat <strong>den</strong><br />

Miteinbezug neuer Dienstleisten<strong>der</strong> in die Ges<strong>und</strong>heitsaktivitäten ermöglicht. Neue<br />

dienstleistende AkteurInnen <strong>und</strong> Strukturen können nun in Erscheinung treten. 401 In<br />

dieser Situation haben auch Kirchen Möglichkeiten, ihre Präsenz neu zu über<strong>den</strong>ken.<br />

Internationale Erfahrungen zeigen, dass dort, wo die allgemeine soziale Tätigkeit <strong>der</strong><br />

Kirche akzeptiert <strong>und</strong> anerkannt wird, die in <strong>den</strong> unterschiedlichen Staaten je nach<br />

unterschiedlich operieren<strong>der</strong> NFS-Organisation auch deutlich bessere Arbeit leistet, die<br />

Bereitschaft des Ges<strong>und</strong>heitswesens stärkt, reelle Dienste zu leisten <strong>und</strong> <strong>den</strong> Verlust <strong>der</strong><br />

Solidarität auf Kosten von Geschäftsinteressen verhin<strong>der</strong>t.<br />

Der NFS-Dienst <strong>der</strong> Kirchen ist einerseits – aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Motivation des Dienstes – von<br />

<strong>der</strong> sozialen Zugehörigkeit <strong>der</strong> Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> unabhängig, an<strong>der</strong>seits in vielen Fällen eine<br />

Gemeinschaft von Freiwilligen, <strong>und</strong> in diesem Kontext folgt <strong>der</strong> modus operandi nicht<br />

immer <strong>den</strong> Marktregeln. Daher lin<strong>der</strong>t die NFS in <strong>den</strong> entwickelten Staaten soziale<br />

400 Vgl. JÄGER, Diakonia, mint keresztény vállalkozás, 20.<br />

401 Vgl. http://www.fajltube.com/gazdasag/Az-egeszsegugyi-ellatas-uj-ren32342.php [abgerufen am<br />

06.03.2011].<br />

164


IV. Benchmarking Analyse<br />

Ungleichheiten bzw. hebt sie sich bezüglich ihres Betriebs <strong>und</strong> Verhältnisses zum Markt<br />

von <strong>den</strong> Ges<strong>und</strong>heitsorganisationen ab.<br />

Auch die Erfahrung, dass die Freiwilligenarbeit laut verschie<strong>den</strong>er Statistiken in<br />

Gesellschaften mit einem höheren BIP weiter verbreitet ist, ist bemerkenswert. 402 In<br />

diesen Gesellschaften können aus dem staatlichen Versicherungssystem im Endeffekt<br />

mehr Ressourcen <strong>für</strong> die Aufrechterhaltung des Ges<strong>und</strong>heitssystems angewendet wer<strong>den</strong>.<br />

An<strong>der</strong>erseits können einzelne Diözesen durch die Freiwilligenarbeit<br />

Diakonieorganisationen wie die NFS gestalten, mit <strong>der</strong>en Hilfe sie sich an <strong>den</strong> Rand<br />

geratener Personen <strong>und</strong> Notlei<strong>den</strong><strong>der</strong> annehmen.<br />

Die Entstehung solcher Organisationen hat nicht nur die jeweilige Anpassung <strong>der</strong><br />

Diözesen an die realen Umstände vorangetrieben, son<strong>der</strong>n auch die Tatsache, dass<br />

mehrere bereits operierende weltliche Rettungsgruppen intern Teams geschaffen haben,<br />

welche sich mit dem Seelenzustand von Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> in <strong>der</strong> Gesellschaft befassen, um<br />

dadurch ihrer Not entgegenzuwirken, ist Teil dieser Entwicklung. Diese weltlichen<br />

Hilfsorganisationen vermengen Ökonomie <strong>und</strong> Diakonie in ihren Tätigkeiten, aber die<br />

Effizienz <strong>und</strong> die Erfüllung von Marktansprüchen bekommen bei ihrer Arbeit mehr<br />

Gewicht. Diözesen bzw. NFS-Organisationen müssen das Hauptaugenmerk hingegen<br />

auf die Diakonie selbst legen. Selbstverständlich gelten sowohl <strong>für</strong> kirchliche als auch<br />

weltliche soziale Organisationen, dass in <strong>der</strong> Gesamtheit <strong>der</strong> Institution Aktivitäten im<br />

Gleichgewicht von Theologie <strong>und</strong> Ökonomie durchgeführt wer<strong>den</strong> müssen. Bei <strong>den</strong><br />

weltlichen Organisationen dominiert dabei die Ökonomie, während bei kirchlichen<br />

Institutionen <strong>der</strong> theologisch-diakonische Aspekt dominiert.<br />

Für die NFS, in <strong>der</strong> oft die Freiwilligenarbeit dominiert, ist die Balance zwischen<br />

Theologie <strong>und</strong> Ökonomie nicht immer einfach. 403 Ausgehend von ihrem Charakter ist<br />

<strong>der</strong> NFS-Dienst bemüht, die theologische Dimension zu stärken, ständig neu zu<br />

definieren <strong>und</strong> zu interpretieren. Eine Vernachlässigung ökonomischer Aspekte würde<br />

allerdings die konkrete Präsenz <strong>und</strong> <strong>den</strong> erfolgreichen Betrieb <strong>der</strong> Organisation<br />

gefähr<strong>den</strong>.<br />

402<br />

Vgl. http://www.ofi.hu/tudastar/jelentes-magyar/1-oktatas-tarsadalmi-090617-1 [abgerufen am<br />

06.03.2011].<br />

403<br />

Vgl. JÄGER, Diakonia, mint keresztény vállalkozás, 29.<br />

165


IV. Benchmarking Analyse<br />

6.3. Die Bedeutung <strong>der</strong> Untersuchung <strong>der</strong> „K<strong>und</strong>Innenzufrie<strong>den</strong>heit“ <strong>für</strong><br />

<strong>den</strong> Dienst<br />

Die Evaluierung <strong>der</strong> „K<strong>und</strong>Innenergebnisse“, die in diesem Operationsbereich <strong>und</strong><br />

Umfeld ohnehin schwer zu erfassen sind, ist schwierig zu interpretieren, <strong>den</strong>n die durch<br />

die NFS versorgten Personen haben ja infolge eines gravieren<strong>den</strong>, negativen<br />

Lebensereignisses, Todesfalls, schweren Unfalls, Selbstmord etc. Kontakt mit <strong>der</strong><br />

Organisation.<br />

Gleichzeitig ist die Untersuchung dieses Betriebselementes aus zwei gr<strong>und</strong>sätzlichen<br />

Perspektiven <strong>für</strong> <strong>den</strong> Dienstbetrieb richtig <strong>und</strong> wichtig. Einerseits ist es wichtig, dass<br />

die OrganisationsleiterInnen über die Information <strong>der</strong> „KäuferInnenzufrie<strong>den</strong>heit“ ein<br />

Feedback über Ergebnisse, Wirkungen <strong>und</strong> Akzeptanz <strong>der</strong> getanen Arbeit bekommen.<br />

Diese Feedbacks geben <strong>den</strong> Leiten<strong>den</strong> Orientierung über interne Prozesse,<br />

Kompetenzen einzelner MitarbeiterInnen, Sachlichkeit <strong>und</strong> alle sonstigen Umstände,<br />

welche aus Sicht <strong>der</strong> Organisationsführung <strong>und</strong> Entwicklung notwendig sind.<br />

An<strong>der</strong>erseits dienen diese Feedbacks dem/r LeiterIn, <strong>den</strong> an<strong>der</strong>en Hauptangestellten <strong>und</strong><br />

Freiwilligen als Motivationsgr<strong>und</strong>lage. Aus dieser Sicht ist die Frage <strong>der</strong><br />

Dokumentation <strong>der</strong> „K<strong>und</strong>Innenzufrie<strong>den</strong>heit“ bedeutsam. Es ist offensichtlich, dass<br />

diese Angaben aus Sicht <strong>der</strong> Entwicklung <strong>und</strong> Evaluierung <strong>der</strong> Langzeitprozesse, <strong>der</strong><br />

Untermauerung <strong>der</strong> Qualifizierung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> MitarbeiterInnen von<br />

beson<strong>der</strong>em Wert sind. Ein weiterer, wichtiger Aspekt <strong>der</strong> Erhebung <strong>und</strong><br />

Dokumentierung <strong>der</strong> „K<strong>und</strong>Innenzufrie<strong>den</strong>heit“ ist die Perspektive <strong>der</strong> sozialen<br />

Akzeptanz <strong>der</strong> Organisation <strong>und</strong> dadurch auch ihre Langzeitentwicklung. 404<br />

Bei <strong>der</strong> NFS <strong>und</strong> ähnlichen Organisationen tauchen beson<strong>der</strong>s zu Zeiten wirtschaftlicher<br />

Probleme ständig die Frage auf, ob solche Organisationen überhaupt notwendig sind.<br />

Messdaten <strong>der</strong> „K<strong>und</strong>Innenzufrie<strong>den</strong>heit“ <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Veröffentlichung demonstrieren<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft die Existenzberechtigung <strong>der</strong> NFS-Organisationen. Ein solches<br />

Demonstrieren ist nicht eigennützig, <strong>den</strong>n infolge <strong>der</strong> Erweiterung <strong>der</strong> sozialen<br />

Akzeptanz <strong>und</strong> Basis kann die Lin<strong>der</strong>ung von Schä<strong>den</strong> zukünftiger Katastrophen bei<br />

einer immer größeren sozialen Unterstützung deutlich effizienter erfolgen.<br />

404 Vgl. KLEIN / KLEIN, A szervezet lelke, 773.<br />

166


IV. Benchmarking Analyse<br />

Schlussendlich führt die Erhebung, Dokumentation <strong>und</strong> Veröffentlichung <strong>der</strong><br />

„K<strong>und</strong>Innenzufrie<strong>den</strong>heit“ über stabile <strong>und</strong> sich entwickelnde NFS-Organisationen zu<br />

einer qualitativ besseren Versorgung von Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong>.<br />

7. MitarbeiterInnenergebnisse<br />

Ein weiteres Element des Aspektsystems, welches die Ergebnisse <strong>der</strong> Benchmarking-<br />

Analyse untersucht, sind die MitarbeiterInnenergebnisse. Die Untersuchung <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Vergleich dieses Betriebselementes regt unter harschen Marktkriterien zum<br />

Nach<strong>den</strong>ken an, da man Tag <strong>für</strong> Tag sieht, dass die MitarbeiterInnenzufrie<strong>den</strong>heit auf<br />

dem Arbeitsplatz im Vergleich zu <strong>der</strong> um je<strong>den</strong> Preis umzusetzen<strong>den</strong> Effizienz in <strong>den</strong><br />

Hintergr<strong>und</strong> gerät.<br />

Gleichzeitig ist allen, die bereits an einem konkreten Katastropheneinsatz teilgenommen<br />

haben, einsichtig, dass <strong>der</strong> Fragenkreis <strong>der</strong> MitarbeiterInnenzufrie<strong>den</strong>heit, beson<strong>der</strong>s bei<br />

sich über Wochen <strong>und</strong> Monate hinziehen<strong>den</strong> Katastrophen bzw. Einsätzen, wichtig ist<br />

<strong>und</strong> <strong>den</strong> effizienten Betrieb beeinflusst.<br />

Für alle Organisationen – selbst wenn sie dies nicht deklarieren – sind<br />

Humanressourcen <strong>der</strong> größte Wert. Organisationen können nur mit psychisch <strong>und</strong><br />

physisch ges<strong>und</strong>en <strong>und</strong> richtig ausgebildeten MitarbeiterInnen qualitativ gute Arbeit<br />

leisten. Selbstverständlich ist die Erhebung <strong>der</strong> internen Zufrie<strong>den</strong>heit <strong>der</strong> an <strong>der</strong><br />

Rettung beteiligten MitarbeiterInnen in dieser speziellen Diakonietätigkeit beson<strong>der</strong>s<br />

schwierig, <strong>den</strong>n bei einem Einsatz wird zumeist darauf fokussiert, dass <strong>der</strong>/die KlientIn<br />

so vollkommen wie möglich versorgt wird. Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> extremen Lebenslage können<br />

MitarbeiterInnen die Tatsache, wie zufrie<strong>den</strong> sie mit <strong>der</strong> Tätigkeit sind, oft nicht nach<br />

dem Einsatz, son<strong>der</strong>n erst nach mehreren Jahren formulieren, daher ist dieser Aspekt<br />

des Organisationsbetriebs nur schwer zu erheben. Dennoch muss man sich mit diesen<br />

Fragen befassen, <strong>den</strong>n in <strong>der</strong> Thematik <strong>der</strong> Zufrie<strong>den</strong>heit <strong>der</strong> MitarbeiterInnen mit <strong>der</strong><br />

Aktivität liegt <strong>der</strong> zukünftige Erfolg <strong>der</strong> NFS-Tätigkeit.<br />

167


IV. Benchmarking Analyse<br />

7.1. Definition, Weiterentwicklung <strong>und</strong> Nachhaltigkeit <strong>der</strong> Kompetenzen,<br />

des Fachwissens <strong>und</strong> <strong>der</strong> Vorbereitung von MitarbeiterInnen<br />

Die wichtigste Entwicklungsmethode des Fachwissens ist das System <strong>der</strong> Aus- <strong>und</strong><br />

Weiterbildungen. Bei <strong>der</strong> Ausbildung soll die richtige Interpretation von Begriffen wie<br />

Stress, Krise, PTSD usw. (siehe vorhergehende Kapitel) <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Bewältigung in <strong>den</strong><br />

Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong> gestellt wer<strong>den</strong>. Auch die Einsätze <strong>und</strong> die Hintergr<strong>und</strong>arbeit sollen von<br />

mehreren Seiten beleuchtet wer<strong>den</strong>. MitarbeiterInnen müssen nicht nur bezüglich ihrer<br />

eigenen Aufgaben eindeutig Bescheid wissen, son<strong>der</strong>n auch darüber, was die an<strong>der</strong>en an<br />

<strong>den</strong> Einsätzen beteiligten Personen zu tun haben. Die Erlangung <strong>der</strong> Vorbereitung ist<br />

nicht nur in <strong>der</strong> Theorie, son<strong>der</strong>n auch in <strong>der</strong> Praxis wichtig, daher ist die Aneignung<br />

neuer Kenntnisse im Laufe <strong>der</strong> ständigen Übungen unabdingbar.<br />

Bei <strong>den</strong> Weiterbildungen ist die Erstellung eines Weiterbildungsplans wichtig, d.h. einer<br />

Festlegung, wann <strong>und</strong> nach welchem System die regelmäßige Weiterbildung <strong>der</strong><br />

MitarbeiterInnen erfolgen soll. Erfahrungen zeigen bedauerlicherweise, dass nur an<br />

ganz wenigen Orten genau festgesetzt ist, wie viele Weiterbildungen eine Organisation<br />

jährlich verlangt bzw. wer welche Kenntnisse in diesem Rahmen erneuern soll. Im<br />

Laufe <strong>der</strong> Aus- <strong>und</strong> Weiterbildungen wäre es angebracht, mit wissenschaftlichen Stätten<br />

(Universitäten) zu kooperieren. Es ist abzusehen, dass diese Verknüpfungen sporadisch<br />

sind <strong>und</strong> sich zumeist auf Datenerhebungen konzentrieren, aber eine Evaluierung <strong>der</strong><br />

tiefer gehen<strong>den</strong> Zusammenhänge <strong>der</strong> Erfolge o<strong>der</strong> ein Wunsch nach einer speziellen<br />

Analyse wird immer wie<strong>der</strong> notwendig <strong>und</strong> angebracht sein von keiner Seite geäußert<br />

wird.<br />

Die psychische <strong>und</strong> physische Ges<strong>und</strong>heit <strong>der</strong> MitarbeiterInnen <strong>und</strong> Freiwilligen sollte<br />

ständig beobachtet wer<strong>den</strong>. Für alle wäre neben dem/r SupervisorIn auch ein/e<br />

geistliche/r BegleiterIn wichtig, mit dessen/<strong>der</strong>en Hilfe bei <strong>den</strong> Einsätzen o<strong>der</strong> in <strong>den</strong><br />

NFS-Gruppen die richtige Bewältigung von Problemen besser erfolgen kann.<br />

Nirgendwo gab es eine konkrete Methode, bei <strong>der</strong> man auf <strong>den</strong> Zustand <strong>der</strong><br />

KollegInnen o<strong>der</strong> Freiwilligen bewusst geachtet hätte. Vielleicht ist die Fluktuation<br />

innerhalb <strong>der</strong> Gruppen an vielen Orten auch deshalb so hoch. An<strong>der</strong>e mögliche Gründe<br />

da<strong>für</strong> können sein, dass Angestellte <strong>und</strong> Freiwillige ihre eigenen Kompetenzen<br />

innerhalb <strong>der</strong> Organisation als zu gering einschätzen, o<strong>der</strong> dass umgekehrt die<br />

168


IV. Benchmarking Analyse<br />

Kompetenz bzw. Kraft <strong>der</strong>maßen groß ist, dass sich KollegInnen dadurch belastet<br />

fühlen, unter Erschöpfung lei<strong>den</strong> <strong>und</strong> die Tätigkeit been<strong>den</strong>.<br />

Die Kommunikation zwischen Freiwilligen <strong>und</strong> KoordinatorInnen ist von<br />

gr<strong>und</strong>legen<strong>der</strong> Bedeutung, <strong>den</strong>n LeiterInnen müssen die Feedbacks <strong>der</strong><br />

MitarbeiterInnen über Belange, die sie beschäftigen, fachliche Fragen bzw. was sie bei<br />

<strong>der</strong> Arbeit benötigen, ständig im Auge haben. 405 Anhand dieser Fragen <strong>und</strong> Anfragen<br />

müssen LeiterInnen ein Bildungsprogramm festlegen, welches die aufgetauchten Fragen<br />

beantwortet. Dieses Programm hat eine große Bedeutung, <strong>den</strong>n ohne ein entsprechendes<br />

Niveau an Fachwissen <strong>und</strong> Hilfsmaterialien – ausschließlich auf <strong>der</strong> Kreativität <strong>der</strong> bei<br />

<strong>den</strong> Einsätzen beteiligten ExpertInnen basierend – sind die Chancen einer fachgerechten<br />

Hilfeleistung gering.<br />

Die Gr<strong>und</strong>voraussetzung <strong>für</strong> die Spezialisierung ist die Definition einer<br />

Mindestkompetenz. Diese erstreckt sich nicht nur auf die Aneignung von<br />

Bildungsmaterial o<strong>der</strong> das System <strong>der</strong> pflichtmäßigen Weiterbildungen, son<strong>der</strong>n<br />

beinhaltet Kriterien, die darüber hinausgehen.<br />

In <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> kirchlichen Tätigkeiten in Deuchland uns Österreich ist dieses System<br />

– nämlich die Achtsamkeit auf MitarbeiterInnen <strong>und</strong> KollegInnen – nicht präsent,<br />

während es auf an<strong>der</strong>en Gebieten (z.B. beim Grünen Kreuz) seit Langem besteht. 406<br />

Vielleicht ist es dieser Tatsache zu verdanken, dass die Arbeitsqualität <strong>und</strong> das<br />

Arbeitsumfeld in <strong>den</strong> kirchlich geführten Institutionen oft zu wünschen übrig lässt.<br />

7.2. Motiviertheit <strong>der</strong> MitarbeiterInnen, das System <strong>der</strong> Belohnung <strong>und</strong><br />

Entlohnung 407<br />

Trotz <strong>der</strong> Tatsache, dass NFS-Modelle von unterschiedlichem <strong>Aufbau</strong> funktionieren,<br />

spielt die Motiviertheit beim Dienst eine wichtige Rolle. Da es sich im Rahmen <strong>der</strong><br />

Aktivitäten zumeist um die Arbeit von Freiwilligen 408 handelt, ist ihre positive<br />

Einstellung, Arbeitsverrichtung <strong>und</strong> die Sicherung <strong>der</strong> <strong>für</strong> die Aktivität entsprechen<strong>den</strong><br />

Zeit nichts Selbstverständliches. Daher ist die Gestaltung des eigenen<br />

405 Vgl. KLEIN, Vezetés- és szervezetpszichológia, 431.<br />

406 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews<br />

407 Vgl. KLEIN / KLEIN, A szervezet lelke, 687-704.<br />

408 Vgl. ZIPPERT, Notfallseelsorge, 69.<br />

169


IV. Benchmarking Analyse<br />

Motivationssystems <strong>für</strong> jede Organisation wichtig, damit MitarbeiterInnen an einer<br />

effizienteren <strong>und</strong> besseren Arbeitsleistung interessiert sind.<br />

Bei <strong>den</strong> Interviews wurde klar, dass die Motivierung nicht einfach ist, sie nimmt in <strong>den</strong><br />

untersuchten Organisationen verschie<strong>den</strong>e Formen an:<br />

„Ich selbst kann sie nicht motivieren.” 409<br />

„Wir sen<strong>den</strong> kontinuierlich Listen, <strong>und</strong> sie [die MitarbeiterInnen] müssen vier Mal im<br />

Monat einen Dienst übernehmen.” 410<br />

„Briefe wer<strong>den</strong> jährlich versendet, Weiterbildungen wer<strong>den</strong> garantiert, die Besten<br />

wer<strong>den</strong> in die Weiterbildung involviert.” 411<br />

Bei <strong>den</strong> Modellen, wo es nur Kleriker als Hauptangestellte gibt bzw. die Teilnahme an<br />

<strong>der</strong> NFS-Arbeit verpflichtend ist, ist die Motivation schwierig, <strong>den</strong>n die Teilnahme an<br />

<strong>der</strong> Organisation erleben die MitarbeiterInnen als eine Art Zwang. Bei diesen Gruppen<br />

ist die Kasseler These über <strong>den</strong> Miteinbezug <strong>der</strong> Freiwilligen 412 in einem an<strong>der</strong>en<br />

Zusammenhang zu interpretieren.<br />

Dort, wo die MitarbeiterInnen unterschiedlich alt <strong>und</strong> Freiwillige sind, ist die<br />

Motivation <strong>für</strong> LeiterInnen leichter. Sie opfern ihre Zeit gerne <strong>für</strong> karitative <strong>und</strong><br />

Empathie erfor<strong>der</strong>nde Aktivitäten, da sie diese Arbeit als einen Mehrwert neben ihrer<br />

Basistätigkeit ansehen.<br />

Selbstverständlich müssen OrganisationsleiterInnen bei Organisationen, wo beide<br />

MitarbeiterInnentypen (Hauptangestellte <strong>und</strong> Freiwillige) aktiv sind, unterschiedliche<br />

Metho<strong>den</strong> anwen<strong>den</strong>. 413<br />

Die Motivierung <strong>der</strong> MitarbeiterInnen ist in vielen Fällen <strong>der</strong> Schlüssel zur Erhöhung<br />

<strong>der</strong> organisationsinternen Arbeitseffizienz. 414 In vielen Fällen ist dies auch <strong>der</strong> Faktor,<br />

welcher intern mit relativ wenig Aufwand die Resultate <strong>der</strong> Organisation verbessern<br />

kann.<br />

Bei Hauptangestellten ist die Frage <strong>der</strong> Be- <strong>und</strong> Entlohnung nur eine, aber zweifelsohne<br />

die effizienteste Methode <strong>der</strong> Motivierung. Die Möglichkeiten <strong>der</strong> Be- <strong>und</strong> Entlohnung<br />

wer<strong>den</strong> sehr stark von <strong>den</strong> finanziellen Ressourcen determiniert. Bei <strong>der</strong> Behandlung<br />

409 Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 9.<br />

410 Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 56.<br />

411 BALDAUF, in einem Vortrag am 21.04.2008.Graz.<br />

412 Kasseler Thesen zur Notfallseelsorge, in: MÜLLER-LANGE, Handbuch Notfallseelsorge, 20.<br />

413 Vgl. MARQUIS / HUSTON, Vezetői szerepek és menedzsmentfunkciók az ápolásban, 354.<br />

414 Vgl. KLEIN, Vezetés- és szervezetpszichológia, 306.<br />

170


IV. Benchmarking Analyse<br />

dieses Fragenkreises ist es wichtig festzuhalten, dass die Motivierung sich nicht<br />

ausschließlich auf finanzielle Be- <strong>und</strong> Entlohnung beschränken kann, <strong>den</strong>n dies erweist<br />

sich per se immer als zu wenig. Dieses Element muss mit <strong>den</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Motivationselementen <strong>der</strong> Organisation in einem System auftauchen.<br />

Im Falle sowohl <strong>der</strong> Hauptangestellten als auch <strong>der</strong> Freiwilligen ist die Gewährung des<br />

Erlebnisses <strong>der</strong> Kollektivzugehörigkeit wichtig. Je effizienter <strong>der</strong> Betrieb organisiert ist,<br />

desto besser gelingt es, das Modell auf einem niedrigen Einstiegsniveau zu halten, <strong>den</strong>n<br />

so kann das Gefühl <strong>der</strong> Gruppenzugehörigkeit leichter gestärkt wer<strong>den</strong>.<br />

Alle MitarbeiterInnen – sowohl <strong>der</strong>/die KoordinatorIn als auch MitarbeiterInnen sowie<br />

nur an einzelnen Einsätzen Beteiligte – halten Anerkennung <strong>für</strong> wichtig. Anerkennung<br />

darf nicht vernachlässigt o<strong>der</strong> gar weggelassen wer<strong>den</strong>, d.h. dass in möglichst<br />

regelmäßigen Abstän<strong>den</strong> verlautet wer<strong>den</strong> muss, wer was gut geleistet hat. In so einem<br />

Fall lohnt es sich, nicht nur die Anzahl <strong>der</strong> Einsätze, son<strong>der</strong>n auch die Qualität <strong>der</strong><br />

verrichteten Arbeit zu honorieren. Auch die Anerkennung <strong>der</strong> MitarbeiterInnen bei <strong>den</strong><br />

Weiterbildungen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Hintergr<strong>und</strong>arbeit darf nicht vernachlässigt wer<strong>den</strong>.<br />

Die Garantie <strong>der</strong> Geltung (des Wunsches nach Entfaltung <strong>der</strong> Fähigkeiten <strong>und</strong><br />

Fertigkeiten) ist jenseits <strong>der</strong> Anerkennung in <strong>der</strong> Organisation auch sehr wichtig. Der<br />

wichtigste Schauplatz <strong>der</strong> Geltung <strong>der</strong> Fähigkeiten ist <strong>der</strong> Arbeitsplatz, daher lohnt es<br />

sich, eine Karriereleiter zu gestalten, auf <strong>der</strong> „weitergekommen wer<strong>den</strong> kann“. Dies<br />

kann nur nach außen sichtbar <strong>und</strong> von symbolischem Wert sein, sich aber auch auf eine<br />

neue Arbeitsqualität erstrecken. Bei <strong>den</strong> Interviews wur<strong>den</strong> folgende Beispiele<br />

gef<strong>und</strong>en: „Die Besten wer<strong>den</strong> in die Weiterbildung involviert.” 415<br />

Wenn die Teilnahme an <strong>der</strong> Weiterbildung einen Status innerhalb <strong>der</strong> Organisation<br />

bedeutet, dann kann auch die Anerkennung Mittel <strong>der</strong> Geltung sein. Wie auch immer,<br />

das Erfolgsbestreben <strong>und</strong> <strong>der</strong> Wunsch nach Anerkennung <strong>der</strong> Fähigkeiten gelten als<br />

starke Motivationsfaktoren. Die Motivierung <strong>der</strong> MitarbeiterInnen ist in je<strong>der</strong><br />

Organisation ein Schlüsselelement <strong>der</strong> effizienten Arbeitsverrichtung. Da in <strong>den</strong> NFS-<br />

Organisationen vielerorts Freiwilligenarbeit verrichtet wird, müssen MitarbeiterInnen<br />

ständig <strong>und</strong> geson<strong>der</strong>t motiviert wer<strong>den</strong>, damit sie die Schwierigkeit <strong>der</strong> bzw. das<br />

Warten auf Einsätze nicht abschreckt.<br />

415 BALDAUF in einem Vortrag am 21.04.2008. in Graz.<br />

171


IV. Benchmarking Analyse<br />

Zusammenfassend kann zum Thema Motivation gesagt wer<strong>den</strong>, dass <strong>der</strong> Erfolg <strong>und</strong> die<br />

Erfüllung des Wunsches nach Geltung sich auch auf die Intensität des damit<br />

verb<strong>und</strong>enen Verhaltens auswirkt. 416 Die trotz des sich än<strong>der</strong>n<strong>den</strong> Umfeldes bewahrte<br />

<strong>und</strong> von Organisationen garantierte Stabilität verbessert die Motivation, während sich<br />

Frustration zumeist negativ <strong>und</strong> nur selten positiv auf die Motivation auswirkt. Das<br />

Verantwortungsbewusstsein <strong>und</strong> das Erleben <strong>der</strong> Gruppenzugehörigkeit <strong>der</strong> einzelnen<br />

Gruppenmitglie<strong>der</strong> können dementsprechend sehr voneinan<strong>der</strong> abweichen.<br />

7.3. Planung, Steuerung <strong>und</strong> Weiterentwicklung <strong>der</strong> Humanressourcen<br />

Bei <strong>der</strong> Planung <strong>der</strong> Arbeit muss eruiert wer<strong>den</strong>, welche MitarbeiterInnenzahl die durch<br />

das gegebene Umfeld induzierte Aufgabe, die Organisierung von ExpertInnen o<strong>der</strong> <strong>den</strong><br />

Miteinbezug sonstiger SpezialistInnen erfor<strong>der</strong>t. Wie bei <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong><br />

Organisation, so ergibt die objektive Erhebung <strong>der</strong> Wünsche im laufen<strong>den</strong> Betrieb die<br />

Möglichkeit zur Gestaltung des effizientesten ExpertInnenteams. Daher ist auch bei<br />

einem gut funktionieren<strong>den</strong> Betrieb die kontinuierliche <strong>und</strong> planmäßige<br />

Situationsermessung unabdingbar. Die Planung <strong>der</strong> Humanressourcen hängt von <strong>den</strong><br />

folgen<strong>den</strong> Faktoren ab: Modellstruktur, Größe des zu versehen<strong>den</strong> Gebietes,<br />

Bevölkerungszahl des Gebietes, sowie <strong>der</strong> Form <strong>der</strong> Erreichbarkeit, d.h. ob <strong>der</strong> Dienst<br />

über 24 St<strong>und</strong>en erreichbar ist o<strong>der</strong> nur temporär zum Einsatz kommt.<br />

Bei <strong>den</strong> Interviews gab es eine Organisation, wo die Personenzahl nach eigenem<br />

Ermessen gut definiert wer<strong>den</strong> konnte:<br />

„Das Modell funktioniert mit 70 Personen gut.“ 417<br />

Organisationen, welche zu <strong>den</strong> Einsätzen jeweils nur eine Person schicken, planen mit<br />

kleineren Zahlen, dort, wo zwei Personen zu einem Einsatzort kommen, bedarf es einer<br />

größeren MitarbeiterInnenzahl (letzteres bedeutet eine größere Sicherheit <strong>für</strong><br />

MitarbeiterInnen, kann aber auch die Zahl <strong>der</strong> Konflikte erhöhen). Die Größe des<br />

Gebietes <strong>und</strong> die Bevölkerungsdichte, weiters Verkehrsknotenpunkte o<strong>der</strong><br />

Gefahrensituationen, die in <strong>der</strong> Vergangenheit entstan<strong>den</strong> sind, sind ebenfalls<br />

beeinflussende Faktoren. Der Planung dient auch die Erreichbarkeitsliste, wo die<br />

416 Vgl. KLEIN, Vezetés- és szervezetpszichológia, 296.<br />

417 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 56.<br />

172


IV. Benchmarking Analyse<br />

Einteilung <strong>der</strong> jeweils erreichbaren KollegInnen fixiert ist. Falls die Organisation<br />

festhält, dass MitarbeiterInnen eine Mindestzahl an Diensten übernehmen müssen (z.B.<br />

vier Mal im Monat) 418 , dann hat <strong>der</strong>/die KoordinatorIn niemals Probleme, mit konkreten<br />

Personenzahlen zu planen. Größere Fälle, die zeitlich <strong>und</strong> personell einen<br />

Son<strong>der</strong>aufwand an MitarbeiterInnenn for<strong>der</strong>n, sind natürlich Ausnahmen. Die wichtige<br />

Aufgabe des/r Koordinators/in ist es, im Zeichen <strong>der</strong> Vorbereitung auf solche Fälle<br />

Listen über alle MitarbeiterInnen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e erreichbare ExpertInnen zu sammeln.<br />

Die Zahl <strong>der</strong> Organisationen än<strong>der</strong>t sich ständig <strong>und</strong> wird von <strong>der</strong> Effizienz des<br />

Miteinbezugs <strong>der</strong> PartnerInnen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Anerkennung <strong>der</strong> Organisation deutlich<br />

beeinflusst. Die Anzahl muss ständig überprüft wer<strong>den</strong>, neue Ansprüche müssen<br />

formuliert <strong>und</strong> intern bewusst gemacht wer<strong>den</strong> <strong>und</strong> man muss sich darauf mit <strong>der</strong><br />

Garantie <strong>der</strong> entsprechen<strong>den</strong> MitarbeiterInnenzahlen vorbereiten.<br />

7.4. Kommunikation innerhalb <strong>der</strong> Organisation, Dialog mit <strong>den</strong><br />

KollegInnen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Organisation<br />

Die NFS stellt ihre AkteurInnen – wie an<strong>der</strong>e Dienste ähnlichen Typs – ständig vor<br />

unerwartete Situationen. 419 Daher spielt die Kommunikation bei <strong>der</strong> effizienten<br />

Arbeitsverrichtung eine tragende Rolle. Diese Kommunikation muss zu einem<br />

alltäglichen Dialog wer<strong>den</strong>, damit die fachlichen Informationen, Wünsche, Fragen <strong>und</strong><br />

Vorwürfe schneller <strong>und</strong> effizienter von <strong>den</strong> MitarbeiterInnenn an die LeiterInnen <strong>und</strong><br />

umgekehrt gelangen. So eine Kommunikation ist aus noch einem Gr<strong>und</strong> von<br />

entschei<strong>den</strong><strong>der</strong> Bedeutung, nämlich dem, dass bei Einsätzen von ernsten psychischen<br />

<strong>und</strong> physischen Anstrengungen KollegInnen unumgänglich in Konfliktsituationen<br />

geraten. Diese Konfliktsituationen haben eine äußerst negative Wirkung auf die<br />

Arbeitseffizienz. 420 Daher ist ein Dialog im Sinne <strong>der</strong> Entschärfung solcher Konflikte<br />

von ungeheurer Bedeutung. Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> oben genannten Aspekte müssen regelmäßig<br />

organisierte Diskussionen im Sinne <strong>der</strong> Effizienzsteigerung <strong>und</strong> <strong>der</strong> guten<br />

Organisationsatmosphäre Teil <strong>der</strong> gemeinsamen Arbeit sein.<br />

418 Vgl. ebd.<br />

419 Vgl. KLEIN / KLEIN, A szervezet lelke, 357.<br />

420 Vgl. KLEIN / KLEIN, A szervezet lelke, 360.<br />

173


IV. Benchmarking Analyse<br />

Die Kommunikation in <strong>der</strong> Organisation muss mehrere Elemente vereinen. Abgesehen<br />

von <strong>den</strong> eben erläuterten Sachverhalten müssen PartnerInnenorganisationen <strong>und</strong><br />

Kirchen die Kommunikationsmöglichkeit mit dem/r KoordinatorIn garantieren, ebenso<br />

wichtig ist die Kommunikation zwischen dem/r KoordinatorIn <strong>und</strong> seinen/ihren<br />

MitarbeiterInnen.<br />

Die Kommunikation hilft <strong>der</strong> Integration <strong>und</strong> <strong>der</strong> Anpassung. 421 Das Ziel <strong>der</strong><br />

Kommunikation ist es, das Gruppenverhalten zu än<strong>der</strong>n. Voraussetzung ist dabei die<br />

Überzeugung, dass sie das leisten kann. Es ist wichtig, dass die einzelnen Gespräche<br />

protokolliert wer<strong>den</strong> <strong>und</strong> festgehaltene Informationen aufgearbeitet, gespeichert <strong>und</strong> <strong>den</strong><br />

MitarbeiterInnen zur Verfügung gestellt wer<strong>den</strong>. Die Meinungsumfrage innerhalb <strong>der</strong><br />

Gruppe ist ganz wichtig, <strong>den</strong>n diese verbessert die Arbeitsatmosphäre, beugt Gerüchten,<br />

Streitereien <strong>und</strong> Intrigen vor. Die Kommunikation kann auch in Form von Feedbacks<br />

erfolgen <strong>und</strong> hat so folgende Schritte 422 :<br />

- Vorbereitung,<br />

- Einführung,<br />

- Anhörung,<br />

- Besprechung,<br />

- Aktionsplan,<br />

- Danksagung.<br />

Wie aus <strong>den</strong> Interviews ersichtlich, stockt dieser Dialog bei vielen Organisationen,<br />

teilweise, weil „wir uns nicht treffen <strong>und</strong> es keine gemeinsamen Veranstaltungen<br />

gibt” 423 , teilweise, weil die Kommunikation von Oben nach Unten kontinuierlich ist,<br />

während sie in die an<strong>der</strong>e Richtung nicht funktioniert. Aus dem Wunsch nach<br />

effizienter Arbeit resultiert die Möglichkeit <strong>für</strong> eine ständige vertikale <strong>und</strong> horizontale<br />

Konsultierung, um mithilfe <strong>der</strong> bei <strong>den</strong> Einsätzen erworbenen Informationen <strong>und</strong><br />

Zeichen die Zustandsverbesserung <strong>der</strong> Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> voranzutreiben bzw. auch<br />

Informationen über Wünsche gegenüber <strong>der</strong> Organisation zu gewinnen. 424 Die echte<br />

Kommunikation verläuft in zwei Richtungen, d.h. sie beschränkt sich nicht auf die<br />

Vermittlung von Anweisungen, son<strong>der</strong>n för<strong>der</strong>t <strong>den</strong> Dialog. Eine Kommunikation in<br />

421 Vgl. http://www.scribd.com/doc/46526671/Bagdy-cikk [abgerufen am 06.03.2011].<br />

422 Vgl. KLEIN, Vezetés- és szervezetpszichológia, 440-441.<br />

423 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 9.<br />

424 Vgl. KLEIN, Vezetés- és szervezetpszichológia, 419.<br />

174


IV. Benchmarking Analyse<br />

zwei Richtungen ist genauer, die Beteiligten können besser beurteilen, ob sie in einer<br />

Situation richtig gehandelt haben. So eine Organisation erscheint von außen betrachtet<br />

lauter o<strong>der</strong> umständlicher, die Arbeit ist hier aber disziplinierter <strong>und</strong> effizienter, obwohl<br />

die Koordinierung des bewussten Informationsaustausches natürlich ein mehr an<br />

Energie for<strong>der</strong>t.<br />

7.5. Die Bedeutung <strong>der</strong> Supervision 425<br />

Die Möglichkeit <strong>der</strong> Supervision 426 stellt eine wichtige psychohygienische Maßnahme<br />

dar, weil die MitarbeiterInnen bei ihrer Arbeit hohem psychischen Druck ausgesetzt<br />

sind. Unverarbeitete Erlebnisse können <strong>der</strong> Beginn gravieren<strong>der</strong> Probleme sein.<br />

Dennoch wurde diese Aktivität bei nicht allen Organisationen organisiert. Bei Diözesen,<br />

wo auch PsychologInnen in <strong>der</strong> Gruppe arbeiten, sind alle Formen <strong>der</strong> Supervision<br />

auffindbar. Aus <strong>den</strong> Interviews wurde auch ersichtlich, dass trotz <strong>der</strong> Wichtigkeit dieses<br />

Themas die Beanspruchung vielerorts nicht zufrie<strong>den</strong>stellend ist:<br />

„Es besteht die Möglichkeit <strong>für</strong> Supervisionen, aber keiner nimmt daran teil.” 427<br />

Es gab aber auch gut organisierte Lösungen:<br />

„Leute sind in Gruppen geteilt, alle nehmen verpflichtend an sechs Supervisionen teil,<br />

abgesehen davon besteht die Möglichkeit zur individuellen Supervision.” 428<br />

Dort, wo nur Kleriker in einer Gruppe arbeiten, ist die Supervision, obwohl sie eine<br />

wichtige Tätigkeit ist, vielerorts nur formell präsent. Jede <strong>der</strong> möglichen Formen<br />

(Debriefing, individuelle <strong>und</strong> gruppenweise Supervision usw.) müssen <strong>den</strong><br />

MitarbeiterInnen als notwendige Option angeboten, bzw. muss <strong>den</strong> MitarbeiterInnen,<br />

ausgehend von <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong> Einsätze (zum Beispiel nach jedem zehnten Einsatz), eine<br />

Art <strong>der</strong> Supervision angeboten wer<strong>den</strong>. Die Supervision ist mehrschichtig. Es besteht<br />

die Möglichkeit, die Supervision einzeln o<strong>der</strong> in Gruppen zu absolvieren. Deren Formen<br />

425<br />

Vgl. MÜLLER-LANGE, Handbuch Notfallseelsorge, 232-248; DASCHNER, Krisenintervention im<br />

Rettungsdienst, 128-129.<br />

426<br />

Vgl. http://www.kigyk.hu/assets/multimedia/kiadvanyok/pillanatkepek_elemzesek_fejlesztesek.pdf<br />

[abgerufen am 06.03.2011].<br />

427<br />

Vgl. BALDAUF in einem Vortrag am 21.04.2008 in Graz.<br />

428<br />

Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 60.<br />

175


IV. Benchmarking Analyse<br />

sind die anhand <strong>der</strong> Kategorien des „Critical Inci<strong>den</strong>t Stress Management” 429<br />

angewendeten: Debriefing, Defusing, Crisis Management Briefing <strong>und</strong><br />

Demobilisierung.<br />

Die Möglichkeit <strong>für</strong> eine Supervision wird zumeist durch die Weiterbildungen gegeben.<br />

Die Weiterbildungen hingegen fokussieren auf <strong>der</strong> Weiterentwicklung <strong>der</strong> Organisation.<br />

Daher ist es wichtig, dass die Weiterbildungen über die spirituellen <strong>und</strong> rituellen<br />

Themen hinaus einen Kurs vorsehen, welcher die psychologischen Aspekte des<br />

Traumamanagementes aufarbeitet o<strong>der</strong> auch in Form einer zehnstündigen<br />

Supervision. 430 Bei <strong>der</strong> Supervision verarbeiten das Individuum <strong>und</strong> die in dem Modell<br />

wirken<strong>den</strong> Personen die Ereignisse aus ihrer Sicht bzw. aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> erlebten<br />

Ereignisse <strong>und</strong> zuvor unaufbereiteten Lebenserfahrungen. Dieses Angebot ist <strong>für</strong> das<br />

Leben einer Organisation deswegen von Bedeutung, weil sie <strong>den</strong><br />

Gruppenzusammenhalt stärkt <strong>und</strong> die Lösung <strong>und</strong> Schlichtung interner Kämpfe<br />

erleichtert, sowie dem Burn-Out vorbeugt. Gruppen mit einer starken Kohäsion<br />

erreichen starken Zusammenhalt mit bewusster Auswahl, sowie einer ständigen<br />

Supervision <strong>und</strong> Weiterbildung. 431<br />

Bei <strong>den</strong> Interviews gab es Gruppen, wo Leute klar definiert haben, mit wem sie<br />

keinesfalls zu einem Einsatz fahren möchten. Diese tiefe Kluft zwischen <strong>den</strong><br />

MitarbeiterInnen liegt im Mangel an Supervision, <strong>den</strong>n es stehen wahrscheinlich<br />

unverarbeitete Ereignisse im Hintergr<strong>und</strong>. Man kann eigentlich sagen, dass diese<br />

Tätigkeit ohne Supervision nicht über längere Zeit ausgeführt wer<strong>den</strong> kann, <strong>den</strong>n<br />

MitarbeiterInnen sind einer <strong>der</strong>maßen starken seelischen Einwirkung ausgesetzt, dass<br />

diese ohne Hilfe nur ganz schwer bewältigt wer<strong>den</strong> kann. Deswegen ist die Gefahr sehr<br />

groß, dass, falls die Tätigkeit von <strong>den</strong> MitarbeiterInnen nicht entsprechend ausgeführt<br />

wird, o<strong>der</strong> sie Wirkungen ausgesetzt sind, die in ihrem Leben unverarbeitet sind, sie<br />

ohne spezielle Unterstützung sehr schnell die Motivation verlieren <strong>und</strong> ausbrennen.<br />

Außerdem können in einer Gruppe, wie oben angesprochen, Konflikte zwischen<br />

mehreren Personen entstehen, aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong>er sie nicht miteinan<strong>der</strong> arbeiten können.<br />

Daher bedarf die Organisation je<strong>der</strong> Form <strong>der</strong> Supervision, daher müssen alle NFS-<br />

429 Vgl. http://www.aed4life.ca/cism.php; Vgl. die präzise Einführung auf <strong>der</strong> Homepage des Roten<br />

Kreuzes Tirol: http://www.sve-psd.at/sve.html [abgerufen am 10.12.2011].<br />

430 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 60.<br />

431 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 170.<br />

176


IV. Benchmarking Analyse<br />

Mitglie<strong>der</strong> Erfahrungen über die Bedeutung <strong>der</strong> individuellen <strong>und</strong> in Gruppen<br />

organisierten Supervision haben.<br />

Bei <strong>den</strong> Interviews hat <strong>der</strong>/die KoordinatorIn einer Gruppe, welche die bewusste<br />

Supervision anwendet, die Ergebnisse einer guten Supervision wie folgt<br />

zusammengefasst:<br />

„Bei <strong>der</strong> Supervision sprechen wir regelmäßig über die auftauchen<strong>den</strong> Sorgen, auch in<br />

<strong>der</strong> individuellen Supervision.” 432<br />

In so einer Gruppe können Individuen selbstständig o<strong>der</strong> auch in <strong>der</strong> Gruppe effizienter<br />

arbeiten.<br />

7.6. Durchführung <strong>und</strong> Evaluierung <strong>der</strong> Feedbacks<br />

Die Berichte – <strong>und</strong> im weiteren Sinne die Feedbacks – sind <strong>für</strong> die Zukunft <strong>der</strong><br />

Organisation <strong>und</strong> ihrer Entwicklung von herausragen<strong>der</strong> Bedeutung. Mithilfe <strong>der</strong><br />

Berichte <strong>und</strong> Feedbacks bekommen wir Informationen <strong>und</strong> somit ein relativ objektives<br />

Bild über <strong>den</strong> reellen Betrieb, <strong>den</strong> Zustand, die Entwicklungsmöglichkeiten <strong>und</strong> die<br />

notwendigen Entwicklungsrichtungen. Diese Berichte sind beson<strong>der</strong>s dann wertvoll,<br />

wenn sie die MitarbeiterInnen über das Leben <strong>der</strong> Organisation erstellen. Daraus<br />

gewinnen wir nämlich ein genaues Bild über organisationsinterne Prozesse, die dann die<br />

Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> MitarbeiterInnenzufrie<strong>den</strong>heit bedeuten. Nichtsdestotrotz ist die<br />

Wichtigkeit <strong>der</strong> Feedbacks laut <strong>der</strong> Lehre aus <strong>den</strong> Interviews manchmal nicht nur<br />

mangelhaft, son<strong>der</strong>n fehlt ganz:<br />

„Niemand schreibt Protokolle.” 433<br />

Da die KoordinatorInnen meinen, dass dies oft unvorstellbar ist, gibt es spontane<br />

Versuche, diese Tätigkeiten zu ersetzen:<br />

„Es gibt ein detailliertes Blatt, welches hiervon zeugt.” 434<br />

So erfolgt in <strong>den</strong> meisten Fällen kein genaues Feedback o<strong>der</strong> ein eventuelles Evaluieren<br />

<strong>der</strong> Daten nach <strong>den</strong> Einsätzen. Der tiefere Gr<strong>und</strong> hier<strong>für</strong> liegt teilweise darin, dass die<br />

Diözese keine regelmäßigen Berichte o<strong>der</strong> detaillierte Statistiken über die getane Arbeit<br />

erwartet, teilweise darin, dass <strong>der</strong>/die KoordinatorIn keinen Sinn in <strong>der</strong> Sammlung,<br />

432 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 60.<br />

433 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 7.<br />

434 Vgl. HAGER, Beratung <strong>und</strong> Betreuung in <strong>der</strong> Notfallseelsorge, 196.<br />

177


IV. Benchmarking Analyse<br />

Analyse <strong>und</strong> Präsentation solcher Daten in <strong>der</strong> Öffentlichkeit sieht. Ein an<strong>der</strong>er Gr<strong>und</strong><br />

<strong>für</strong> das Ausbleiben dieser Tätigkeit kann sein, dass die MitarbeiterInnen auch jetzt<br />

schon zu viel Papierarbeit haben. Der Hauptgr<strong>und</strong> hier<strong>für</strong> liegt aber wahrscheinlich<br />

darin, dass in <strong>der</strong> Kirche <strong>der</strong> schriftliche Bericht über das Ereignis selbst eher<br />

ungewöhnlich ist.<br />

Die Erstellung <strong>und</strong> Zusammenfassung <strong>der</strong> Berichte ist – obwohl sie als Extraarbeit<br />

erscheint – ein wichtiges Element <strong>der</strong> Tätigkeiten <strong>der</strong> Organisation, <strong>den</strong>n nach einer<br />

kurzen Zeit vergessen die MitarbeiterInnen die Umstände <strong>der</strong> verrichteten Arbeit <strong>und</strong><br />

die dabei aufgetauchten Fragen, Zweifel, Freu<strong>den</strong> o<strong>der</strong> eventuelles Bangen bei <strong>den</strong><br />

Einsätzen. Bei <strong>den</strong> Interviews gab es auch solche Institutionen, in <strong>den</strong>en es mangels <strong>der</strong><br />

Feedbacks keinen markierten Entwicklungsweg <strong>für</strong> die Organisation gab. So kam dann<br />

bei <strong>den</strong> Interviews heraus, dass <strong>der</strong>/die LeiterIn <strong>der</strong> Organisation mit keinem Teil <strong>der</strong><br />

Aktivitäten unzufrie<strong>den</strong> wäre – z.B. nicht die Qualität, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Ort <strong>der</strong> Ausbildung<br />

sollte geän<strong>der</strong>t wer<strong>den</strong>. 435 Gleichzeitig waren die objektiven Indikatoren des<br />

Organisationsbetriebs (z.B. Zahl <strong>der</strong> Fälle <strong>und</strong> MitarbeiterInnen) aber niedriger als<br />

erwartet. Das zeigt, dass es <strong>für</strong> die LeiterInnen mangels Berichten <strong>und</strong> Feedbacks nicht<br />

offensichtlich ist, welche Mängel das Modell aufweist <strong>und</strong> wie es entwickelt wer<strong>den</strong><br />

kann. Wegen <strong>der</strong> fehlen<strong>den</strong> Dokumentation können die Umstände <strong>der</strong> Einsätze bei <strong>den</strong><br />

eventuellen Fallbesprechungen nicht rekapituliert wer<strong>den</strong>, daher bleibt <strong>für</strong> die<br />

MitarbeiterInnen eine sehr wichtige Lerngelegenheit aus. Wenn die Organisation aber<br />

auf dem Niveau angekommen ist, wo die Leitung die Erstellung <strong>der</strong> Feedbacks<br />

unterstützt, muss darauf geachtet wer<strong>den</strong>, dass die Berichte sofort nach <strong>den</strong> Einsätzen<br />

geschrieben wer<strong>den</strong>, <strong>den</strong>n echte Erlebnisse verblassen aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Wirkung schnell<br />

aufeinan<strong>der</strong> folgen<strong>der</strong> Erlebnisse. Falls die Berichte erstellt wer<strong>den</strong>, muss darauf<br />

geachtet wer<strong>den</strong>, dass diese sobald wie möglich in die Zentrale gelangen, wo sie<br />

evaluiert wer<strong>den</strong>. Es ist darauf zu achten, dass bei <strong>den</strong> Berichten eine extra Möglichkeit<br />

besteht, eventuelle Fragen <strong>und</strong> nicht geklärte Probleme anzuführen. Es ist auch wichtig<br />

zu fixieren, wie <strong>der</strong> Fall nach Abschluss des Einsatzes übergeben wurde. Bei solchen<br />

Organisationen evaluieren Berichte die Protokolle in einer geordneten Form <strong>und</strong><br />

ermöglichen die schnelle <strong>und</strong> objektive Evaluierung <strong>und</strong> Zusammenfassung.<br />

435 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 121.<br />

178


IV. Benchmarking Analyse<br />

Wo Protokolle erstellt wer<strong>den</strong>, haben KoordinatorInnen bei <strong>den</strong> Interviews folgendes<br />

formuliert: Die Feedbacks <strong>und</strong> das Schreiben <strong>der</strong> Protokolle erfolgen kontinuierlich <strong>und</strong><br />

anhand eines entsprechen<strong>den</strong> Formblattes, so ist dessen Aufbereitung klar <strong>und</strong><br />

übersichtlich. Auch die Evaluierung <strong>der</strong> von <strong>den</strong> Protokollen gebotenen Datenreihen<br />

erfolgt kontinuierlich. Die Feedbacks <strong>und</strong> Berichte wer<strong>den</strong> nicht von einer Gruppe<br />

selbst gesammelt <strong>und</strong> ins Internet gestellt, son<strong>der</strong>n zentral gelagert, verarbeitet <strong>und</strong> auf<br />

einer Webpage publiziert. InteressentInnen stehen die Daten von 2004 bis 2007 zur<br />

Verfügung. 436<br />

In diesem Fall ist die Evaluierung <strong>der</strong> Fälle klar, eindeutig <strong>und</strong> übersichtlich. Über die<br />

Verständigung <strong>und</strong> die Tätigkeit am Einsatzort stehen genaue statistische Angaben zur<br />

Verfügung. Es scheint, dass die LeiterInnen dieser Organisationen diese Angaben<br />

ständig untersuchen <strong>und</strong> evaluieren, <strong>den</strong>n hierdurch können sie ihre Arbeit messen.<br />

Analysen <strong>und</strong> Daten dienen als Indikatoren, die <strong>der</strong> Organisation bei <strong>der</strong> Orientierung<br />

<strong>und</strong> Definition helfen, in welche Richtung sie sich besser öffnen kann o<strong>der</strong> soll. Die<br />

LeiterInnen dieser Organisationen erleben die geleistete Arbeit als qualitätsvoll. 437<br />

Das Protokollschreiben hilft, Ereignisse zusammenzufassen, die Qualität <strong>und</strong> Quantität<br />

<strong>der</strong> verrichteten Arbeit sichtbar zu machen, <strong>und</strong> sie helfen dem Individuum, das<br />

Geschehene zu reflektieren. Die aufgearbeiteten Daten <strong>und</strong> Statistiken helfen <strong>der</strong><br />

Organisation bei <strong>der</strong> Frage, in welche Richtung <strong>und</strong> mit welcher Intensität die<br />

Aktivitäten erweitert o<strong>der</strong> zurückgenommen wer<strong>den</strong> sollen bzw. welche Fortbildung<br />

notwendig ist. Außerdem helfen sie bei <strong>der</strong> Orientierung in Sachen Finanzierung <strong>und</strong><br />

Belohnung. Selbstverständlich wur<strong>den</strong> bei <strong>den</strong> Interviews auch in diesem Bereich<br />

Anzeichen <strong>für</strong> Störungen aufgedeckt, wie zum Beispiel: „Es gibt ein Protokoll, aber in<br />

Richtung des KIT. Dass auch NFS-Aufgaben übernommen wer<strong>den</strong>, wird lediglich mit<br />

einem x markiert.” 438<br />

Die strukturierten Daten (z.B. Bewerbungsschreiben) sind beson<strong>der</strong>s bei <strong>der</strong><br />

Transparentmachung in Richtung <strong>der</strong> Gesellschaft, <strong>den</strong> Medienpräsenzen, <strong>der</strong><br />

Erstellung <strong>der</strong> Berichte in Richtung <strong>der</strong> Kirche, des Landes <strong>und</strong> <strong>der</strong> Diözese <strong>und</strong><br />

sonstigen AkteurInnen <strong>der</strong> Gesellschaft, wichtig. Letztendlich sind die Feedbacks<br />

Strategiemittel <strong>der</strong> zukünftigen effizienten Aufgabenverrichtung <strong>und</strong> Entwicklung. Wo<br />

436 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 67.<br />

437 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 70.<br />

438 Gerhard Baldauf in einem Vortrag am 21.04.2008 in Graz.<br />

179


IV. Benchmarking Analyse<br />

in <strong>den</strong> Protokollen detailliert über die Einsätze berichtet wird, können die Aufgaben neu<br />

überdacht, umstrukturiert <strong>und</strong> aktualisiert wer<strong>den</strong>.<br />

7.7. Klärung <strong>der</strong> Kooperationsbeziehungen – Aufgabenteilung innerhalb <strong>der</strong><br />

Organisation<br />

Die Frage <strong>der</strong> Klärung <strong>der</strong> Kooperation mit an<strong>der</strong>en Einsatzorgansisationen tritt vor<br />

allem in Entscheidungssituationen in <strong>den</strong> Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>. Es ist <strong>für</strong> NFS-Aktivitäten<br />

allgemein charakteristisch, dass Mitarbeitende bei <strong>den</strong> Einsätzen in einer vorher nicht<br />

geplanten Weise sogar in extreme Entscheidungslagen geraten können. Die vorherige<br />

<strong>und</strong> auf Konsens basierende Fixierung <strong>der</strong> Kooperationsbeziehungen ist notwendig,<br />

damit die Beziehung zwischen KoordinatorIn <strong>und</strong> MitarbeiterInnen allen offensichtlich<br />

wird. Der Organisationsbetrieb wird aber gr<strong>und</strong>sätzlich von <strong>der</strong> internen<br />

Arbeitsaufteilung, <strong>der</strong>en Ordnung <strong>und</strong> Klarheit, zwischen KoordinatorIn <strong>und</strong> dem<br />

kirchlichen Verantwortlichen <strong>für</strong> die kategoriale Seelsorge beeinflusst. Schlussendlich<br />

muss aber auch die Beziehung <strong>der</strong> Mitarbeiten<strong>den</strong> untereinan<strong>der</strong> geklärt wer<strong>den</strong>, <strong>den</strong>n<br />

aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Nebenordnung kann die Organisation menschlichen Konflikten<br />

vorbeugen, welche aufgr<strong>und</strong> ihrer intern destruktiven Wirkung die Arbeitseffizienz<br />

deutlich senken können.<br />

Die Organisationskultur kann im Falle <strong>der</strong> NFS nur von aufgabenorientierter Natur sein<br />

<strong>und</strong> das bedeutet, dass im Mittelpunkt <strong>der</strong> Arbeit des Organisationsaufbaus die Aufgabe<br />

<strong>und</strong> die Leistungsorientierung stehen müssen. Gleichzeitig erledigen <strong>und</strong> erleben<br />

MitarbeiterInnen die Organisationsarbeit als Individuen. Im Zuge dessen erscheinen<br />

entlang <strong>der</strong> individuellen Gegebenheiten gewisse Ten<strong>den</strong>zen, welche die<br />

organisatorischen Abhängigkeitsstrukturen missachten: „Ich bin nur <strong>für</strong> die<br />

Hintergr<strong>und</strong>arbeit verantwortlich.” 439<br />

Diese Ten<strong>den</strong>zen resultieren gr<strong>und</strong>sätzlich aus dem fehlen<strong>den</strong> Fachwissen, <strong>den</strong> nicht<br />

besetzten Postitionen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> charismatischen Kraft einer bestimmten Person. Diese<br />

Faktoren lassen ihre Wirkung in <strong>der</strong> Organisationsarbeit deutlich zur Geltung<br />

kommen. 440 Bei <strong>der</strong> Beseitigung <strong>der</strong> unterschiedlichen – manchmal schädlichen –<br />

439 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 55.<br />

440 Vgl. KLEIN, Vezetés- és szervezetpszichológia, 495.<br />

180


IV. Benchmarking Analyse<br />

Wirkungen sind Flexibilität <strong>und</strong> Anpassungsfähigkeit von ungemein wichtiger<br />

Bedeutung.<br />

Wo Aufgaben nicht aufgeteilt wer<strong>den</strong>, dort wird die Verantwortungsteilung auch<br />

fraglich. Wenn jemand als KoordinatorIn selbst an einem Einsatz teilnimmt stellt sich<br />

die Frage, wer ist dann die Person, die im Hintergr<strong>und</strong> als Hilfe präsent ist, wer dann die<br />

Anrufe entgegen nimmt, wer sie weiter leitet bzw. wie diese Aufgaben gelöst wer<strong>den</strong><br />

können. Die Frage, wer innerhalb einer Organisation eine Tätigkeit übernimmt, wird<br />

teilweise von <strong>den</strong> infrastrukturellen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Gegebenheiten, <strong>der</strong> Zahl des<br />

Personals, <strong>der</strong>en Kompetenz <strong>und</strong> Beziehung zu <strong>den</strong> Hintergr<strong>und</strong>organisationen bzw.<br />

von <strong>der</strong> Übersichtlichkeit des Organisationsaufbaus komplex beeinflusst. 441 Im<br />

Optimalfall weiß jede/r, wer wo<strong>für</strong> verantwortlich ist, an wen man sich in einer<br />

bestimmten Frage richten kann <strong>und</strong> was <strong>der</strong> entsprechende Arbeitsbereich konkret<br />

umfasst.<br />

8. Gesellschaftliche Anerkennung<br />

Die Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> Aktivitäten <strong>der</strong> NFS-Organisationen ist die kirchlich bedingte<br />

Hilfeleistung, welche <strong>den</strong> Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft in schwierigen Lebenslagen<br />

hilft. In diesem Sinne sind die seitens <strong>der</strong> Gesellschaft geäußerten positiven<br />

Rückmeldungen, sprich die sozialen Ergebnisse, wichtige Indikatoren <strong>der</strong> Arbeit <strong>der</strong><br />

jeweiligen NFS-Organisation. Die Resonanz <strong>der</strong> Gesellschaft beeinflusst <strong>den</strong> Erfolg <strong>der</strong><br />

Gesamttätigkeit deutlich. Bei <strong>der</strong> Interpretation des Themas ist es aber ein Problem,<br />

dass in <strong>der</strong> Kirche <strong>und</strong> innerhalb <strong>der</strong> Kirchenorganisationen Feedbacks zur Qualität zu<br />

fast unbekannten Begriffen zählen. Der Gr<strong>und</strong> hier<strong>für</strong> liegt in erster Linie daran, dass<br />

die Kirche bzw. ihre Organisationen in vielen Fällen die verrichtete Arbeit <strong>und</strong> <strong>der</strong>en<br />

Effizienz auf die Gnade als transzen<strong>den</strong>te Wirklichkeit zurückführen. Im Hinblick<br />

darauf kann die Erhebung <strong>und</strong> Evaluierung <strong>der</strong> geleisteten Arbeit absurd erscheinen. In<br />

vielen Fällen verhüllt diese Ansicht das menschliche Gesicht <strong>der</strong> irdischen<br />

Organisation, d.h. die Evaluierung <strong>der</strong> tatsächlichen Aktivität mit <strong>für</strong><br />

Arbeitsorganisationen geeigneten Metho<strong>den</strong>. Diese Vermischung <strong>der</strong> transzen<strong>den</strong>ten<br />

Realität <strong>und</strong> des Images <strong>der</strong> Organisation ist nicht unbedingt bewusst, garantiert aber in<br />

441 Vgl. KLEIN, Vezetés- és szervezetpszichológia, 495.<br />

181


IV. Benchmarking Analyse<br />

vielen Fällen einen „angenehmen“ Gr<strong>und</strong>zustand, sofern man unter Bezug auf die<br />

Unmessbarkeit <strong>der</strong> Gnade die Mängel <strong>und</strong> Fehler <strong>der</strong> Organisation verhüllt.<br />

In diesem Punkt <strong>der</strong> Benchmarking-Analyse wer<strong>den</strong> also diejenigen sozialen Ergebnisse<br />

erläutert, welche die Siegel einer erfolgreichen NFS-Aktivität sind. Daraus resultierend<br />

sollen die wichtigsten Schauplätze des sozialen Umfeldes <strong>der</strong> NFS erläutert wer<strong>den</strong>.<br />

8.1. Akzeptanz innerhalb <strong>der</strong> Kirchenleitung<br />

Bei <strong>der</strong> Behandlung des Themas wird hier absichtlich mit <strong>der</strong> Vorstellung des sozialen<br />

Umfeldes <strong>der</strong> NFS begonnen. Damit ein Modell effizient operieren kann, ist die<br />

Akzeptanz <strong>und</strong> Anerkennung durch diejenigen Organisationen, die es geschaffen haben,<br />

beson<strong>der</strong>s wichtig. 442 Daher ist die Unterstützung <strong>der</strong> Kirchenleitung, welche die NFS<br />

gegründet hat <strong>und</strong> betreibt, ein beson<strong>der</strong>s wichtiges Element <strong>der</strong> erfolgreichen Arbeit.<br />

Natürlich kann eine Organisation beson<strong>der</strong>s von jener Instanz Unterstützung erwarten,<br />

die sie geschaffen <strong>und</strong> mit <strong>der</strong> Versehung ihrer Aufgaben betreut hat. Diese<br />

Unterstützung soll einerseits moralisch sein, d.h. sie muss ihrem/r Grün<strong>der</strong>In <strong>und</strong><br />

BetreiberIn aufzeigen, dass ihr <strong>der</strong> erfolgreiche Betrieb wichtig ist, an<strong>der</strong>erseits muss<br />

die Unterstützung auch finanzieller Natur sein, d.h. <strong>der</strong>/die Grün<strong>der</strong>In muss die <strong>für</strong> <strong>den</strong><br />

Betrieb notwendigen Gr<strong>und</strong>lagen zur Verfügung stellen. 443 Diese bei<strong>den</strong> – moralischen<br />

<strong>und</strong> finanziellen – Arten <strong>der</strong> Unterstützung sind beson<strong>der</strong>s wichtig <strong>und</strong> nicht<br />

austauschbar. Die Gr<strong>und</strong>voraussetzung <strong>der</strong> Unterstützung ist die Information, mit <strong>der</strong>en<br />

Hilfe die Kirchenleitung mit <strong>der</strong> Arbeit, <strong>den</strong> Ergebnissen, Problemen <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Entwicklung <strong>der</strong> NFS konfrontiert wird. Gerade deshalb ist es beson<strong>der</strong>s wichtig, dass<br />

<strong>der</strong>/die Grün<strong>der</strong>In <strong>und</strong> BetreiberIn regelmäßig schriftliche Berichte von <strong>der</strong><br />

Organisation verlangt. Es lohnt sich, erzielte Ergebnisse <strong>und</strong> Leistungen gemeinsam zu<br />

evaluieren. Es ist im Weiteren nützlich, wenn die Kirchenleitung externe ExpertInnen –<br />

VertreterInnen von PartnerInnenorganisationen – fragt, wie sie <strong>den</strong> Betrieb <strong>der</strong><br />

Organisation sehen.<br />

Trotz <strong>der</strong> Tatsache, dass die oben beschriebenen Sachverhalte als Evi<strong>den</strong>z betrachtet<br />

wer<strong>den</strong> können, ist das Management dieses Kontaktes seitens <strong>der</strong> Kirchenleitung nicht<br />

442 Vgl. ebd. 500.<br />

443 Vgl. TOMORI, Szervezeti kultúra és kommunikáció, 24.<br />

182


IV. Benchmarking Analyse<br />

eindeutig. Mehrere KoordinatorInnen haben angegeben, dass bei <strong>der</strong> Arbeit die Präsenz<br />

<strong>und</strong> das Interesse <strong>der</strong> Diözese <strong>für</strong> sie nicht spürbar sind. 444 KoordinatorInnen haben dies<br />

gesagt, obwohl sie <strong>den</strong> Diözesen überall das Recht des Einblicks in die Daten gewähren,<br />

sich die Diözese an <strong>der</strong> Finanzierung beteiligt <strong>und</strong> sogar Pfarrer in das Modell<br />

eingeb<strong>und</strong>en sind. Der/die NFS-KoordinatorIn <strong>den</strong>kt <strong>den</strong>noch, dass die Organisation<br />

nur eine von vielen Gruppen ist. Die Situation ist umso wi<strong>der</strong>sprüchlicher an Stellen,<br />

wo die Diözese aus wirtschaftlicher Sicht nicht <strong>der</strong>/die BetreiberIn ist. In so einer<br />

Situation schottet sich die Organisation ab <strong>und</strong> die Kirche verschwindet als Mehrwert.<br />

Die Tatsache, dass eine Diözese dieser neuen Organisation keine beson<strong>der</strong>e Beachtung<br />

schenkt, kann mehrere Gründe haben. Einerseits ist es typisch, dass sie die<br />

Möglichkeiten einer solchen Gruppierung nicht sieht, es kommt aber auch vor, dass die<br />

Kirchenleitung Angst vor <strong>der</strong> Verpflichtung <strong>für</strong> die psychologischen Metho<strong>den</strong> <strong>der</strong><br />

NFS-Organisation <strong>und</strong> <strong>der</strong> stärkeren Präsenz von LaiInnen hat. In so einer Situation<br />

erachtet die Diözese die Organisation allenfalls als periphere Organisation.<br />

Es würde <strong>der</strong> Anerkennung einer je<strong>den</strong> NFS-Organisation helfen, wenn bei <strong>den</strong><br />

Trainings o<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Inauguration auch <strong>der</strong> zuständige Pfarrer anwesend sein könnte<br />

o<strong>der</strong> dieser <strong>den</strong> MitarbeiterInnen wenigstens ein Schreiben zukommen lassen könnte.<br />

Das Gefühl <strong>der</strong> Anerkennung wäre extrem gestärkt, wenn die Leitung <strong>der</strong> Diözese<br />

finanziell <strong>und</strong> auch moralisch bei verschie<strong>den</strong>en Anlässen zum Ausdruck bringen<br />

könnte, wie sehr sie die Notwendigkeit <strong>der</strong> Organisation sieht. Abgesehen davon darf<br />

auch die Anerkennung <strong>der</strong> Leitung als ein wichtiger Motivationsfaktor nicht außer Acht<br />

gelassen wer<strong>den</strong>. Gleichzeitig soll diese von echten Resultaten ausgehen <strong>und</strong> darf nicht<br />

überbetont wer<strong>den</strong>. Bei <strong>der</strong> Festlegung <strong>der</strong> Belohnungen bedarf es Sensibilität <strong>und</strong><br />

Einsicht, abzuwägen, welches Maß an Belohnung noch motivierend wirkt. 445<br />

Im Falle, dass keines <strong>der</strong> angeführten Modelle zur Anwendung kommt, kann von einem<br />

<strong>für</strong> NFS-Organisationen typischen Belohnungssystem gesprochen wer<strong>den</strong>. Die<br />

jeweiligen KoordinatorInnen veröffentlichen in <strong>den</strong> eigenen Werbematerialien Fotos<br />

<strong>und</strong> Artikel über die MitarbeiterInnen, um sie dadurch hervorzuheben <strong>und</strong><br />

anzuerkennen, aber die Diözesen nutzen nirgendwo die Möglichkeit <strong>der</strong><br />

Son<strong>der</strong>belohnung. Dieses Manko ist sehr bedauerlich. Und zwar deshalb, weil man<br />

444 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 8.<br />

445 Vgl. KLEIN, Vezetés- és szervezetpszichológia, 100.<br />

183


IV. Benchmarking Analyse<br />

innerhalb einer je<strong>den</strong> Arbeitsgemeinschaft lernen muss, die Arbeit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en, seien es<br />

Hauptangestellte o<strong>der</strong> Freiwillige, zu respektieren. Selbstverständlich arbeiten alle <strong>für</strong><br />

Gottes Kirche, also ist dies ein charismatischer institutioneller Dienst, dies schließt aber<br />

nicht aus, dass man sich die menschliche Seite <strong>der</strong> Arbeit bewusst macht, <strong>und</strong> diese<br />

verlangt Lob, Anerkennung <strong>und</strong> Belohnung. Eine Organisation muss in <strong>der</strong> Lage sein,<br />

von Zeit zu Zeit nicht nur negative, son<strong>der</strong>n auch positive Erfahrungen <strong>und</strong> Erlebnisse<br />

zu äußern, damit ihr gutes Potenzial – <strong>und</strong> d.h. die Motivation engagierter<br />

MitarbeiterInnen – nicht verloren geht.<br />

8.2. Akzeptanz <strong>und</strong> Anerkennung innerhalb <strong>der</strong> PartnerInnenkirchen<br />

Fast alle untersuchten NFS-Organisationen sind ökumenischer Natur. Damit ist die<br />

Kooperation mit <strong>den</strong> PartnerInnenkirchen eine direkte. An<strong>der</strong>e Kirchen, welche nicht<br />

Mitbegrün<strong>der</strong>Innen des Modells sind, können ihre Akzeptanz <strong>und</strong> Hingabe dadurch<br />

zeigen, dass sie MitarbeiterInnen <strong>für</strong> die Organisation werben <strong>und</strong> dadurch<br />

Mitverantwortung an <strong>der</strong> Arbeit übernehmen bzw. <strong>den</strong> Dienst auch unter ihren<br />

Gläubigen propagieren.<br />

Das Kontaktsystem zu <strong>den</strong> PartnerInnenkirchen weist über <strong>den</strong> des Rahmens <strong>der</strong><br />

Ökumene hinaus, <strong>den</strong>n die NFS-Mitarbeiten<strong>den</strong> treffen bei <strong>den</strong> Einsätzen unumgänglich<br />

auf Probleme <strong>der</strong> verschie<strong>den</strong>en Religionen. Daher ist es wichtig, dass<br />

PartnerInnenkirchen die NFS-Organisation als etwas zu Unterstützendes <strong>und</strong><br />

För<strong>der</strong>ndes erachten <strong>und</strong> die NFS selbst Menschen an<strong>der</strong>er Religionen toleriert. Dies ist<br />

wichtig, <strong>den</strong>n wenn <strong>der</strong> ökumenische Charakter in <strong>der</strong> Praxis gut funktioniert, dann<br />

können auch Pfarrer <strong>und</strong> LaiInnen, die zur PartnerInnenkirche gehören, ähnlich<br />

effiziente Arbeit innerhalb <strong>der</strong> NFS verrichten <strong>und</strong> gleichzeitig die Organisation in ihrer<br />

Gemeinschaft bekannt machen. Wenn die Bekanntheit <strong>und</strong> das Vertrauen auf einer<br />

stabilen Ebene gefestigt sind, dann ist es möglich – <strong>und</strong> ist wünschenswert – dass sie<br />

das Modell quasi als „eigene“ Organisation finanziell unterstützen <strong>und</strong> durch ihre<br />

eigenen Programme för<strong>der</strong>n.<br />

Bei <strong>den</strong> ersten Gesprächen, welche bei <strong>der</strong> Kontaktaufnahme stattfin<strong>den</strong>, müssen alle<br />

Kirchenleiter darauf aufmerksam gemacht wer<strong>den</strong>, dass das Modell per se ökumenisch<br />

ist. Der/die KoordinatorIn muss sich im Klaren sein, was die Stärken <strong>der</strong> Kirche auf <strong>den</strong><br />

184


IV. Benchmarking Analyse<br />

jeweiligen Betriebsgebieten sind, wie die Kirche <strong>den</strong> Organisationsbetrieb unterstützen<br />

kann o<strong>der</strong> worin sie das Modell nicht unterstützen kann. Dank <strong>der</strong> kontinuierlichen<br />

Dialoge kann <strong>der</strong> Kontakt weiter verstärkt <strong>und</strong> vertieft wer<strong>den</strong>, Ansprüche können klar<br />

definiert wer<strong>den</strong> <strong>und</strong> die Vernetzung <strong>der</strong> Kirche mit an<strong>der</strong>en Organisationen kann<br />

verstärkt wer<strong>den</strong>.<br />

Bei <strong>den</strong> Interviews wur<strong>den</strong> bezüglich dieses Themas unterschiedliche Antworten<br />

formuliert. Es gab Organisationen, wo interregionale Kontakte wichtig waren, aber auf<br />

deutliche Weise nur auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Kuriositäten – Gibt es etwas zu erzählen? –, aber<br />

die Ökumene selbst birgt kein durchdachtes Kontaktsystem. Es gibt NFS-<br />

KoordinatorInnen, die im Konflikt mit <strong>der</strong> eigenen Kirchenleitung stehen, wodurch es<br />

praktisch keinen Kontakt zwischen <strong>der</strong> Organisation <strong>und</strong> <strong>der</strong> Kirche gibt. Es gibt<br />

Organisationen, die mehrere KoordinatorInnen aus einer jeweils an<strong>der</strong>en Kirche haben,<br />

<strong>und</strong> das zeigt einerseits, dass sich auch an<strong>der</strong>e Kirchen in die Organisation einschalten<br />

können bzw. an<strong>der</strong>erseits, dass ihre Präsenz wichtig <strong>und</strong> anerkannt ist.<br />

8.3. Akzeptanz innerhalb ziviler Organisationen<br />

Die NFS-Organisationen versehen ihren Dienst üblicherweise in Situationen, in <strong>den</strong>en<br />

mehrere zivile Verbände präsent sind. Es gibt zivile Organisationen, die sich an <strong>der</strong><br />

Rettung beteiligen, sich aber nicht konkret an das NFS-Modell bin<strong>den</strong>, <strong>und</strong> es gibt<br />

solche, wo die Kooperation ganz eng ist. 446 Diese Anknüpfung bedeutet auf<br />

verschie<strong>den</strong>en Gebieten jeweils eine an<strong>der</strong>e Konstellation, <strong>den</strong>n unter Berücksichtigung<br />

<strong>der</strong> Kontaktmöglichkeiten findet jedes Modell selbst <strong>den</strong> Kontakt zu möglichen zivilen<br />

Organisationen. Diesbezüglich erscheint das Aufspüren <strong>der</strong> Kontaktmöglichkeiten als<br />

Aufgabe. Man muss eruieren, welche PartnerInnenorganisationen im näheren sozialen<br />

Umfeld operieren, zu <strong>den</strong>en Kontakt aufgenommen wer<strong>den</strong> kann bzw. mit <strong>den</strong>en<br />

potentiell eine Kooperation möglich ist. Man muss aber auch beachten, dass die<br />

Kontaktkriterien nicht mit <strong>den</strong> Gr<strong>und</strong>lagen <strong>der</strong> eigenen I<strong>den</strong>tität <strong>und</strong> des<br />

I<strong>den</strong>titätsbewusstseins <strong>der</strong> NFS-Organisation in Konflikt geraten.<br />

Hier muss das Problem <strong>der</strong> I<strong>den</strong>tität <strong>der</strong> NFS angesprochen wer<strong>den</strong>. Im Allgemeinen ist<br />

davon auszugehen, dass die Kooperation einer Organisation mit an<strong>der</strong>en Organisationen<br />

446 So z.B. im B<strong>und</strong>esland Salzburg<br />

185


IV. Benchmarking Analyse<br />

beson<strong>der</strong>s dann fruchtbar sein kann, wenn sie sich <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lagen ihrer eigenen<br />

I<strong>den</strong>tität bewusst ist. Dies trifft beson<strong>der</strong>s <strong>für</strong> eine kirchliche Organisation zu. In<br />

Verbindung mit <strong>der</strong> Kooperation muss man sich also bewusst machen, wo <strong>und</strong> worin<br />

sich die NFS von an<strong>der</strong>en Organisationen mit ähnlichen Aufgaben unterscheidet. Der<br />

wesentlichste Unterschied liegt hier in <strong>der</strong> Existenz religiöser Gr<strong>und</strong>lagen. Danach kann<br />

die Frage gestellt wer<strong>den</strong>, in welchem Bereich diese zivilen Verbände voneinan<strong>der</strong><br />

profitieren können bzw. wo <strong>und</strong> wie sie im Rahmen ihrer gemeinsamen Tätigkeit<br />

aneinan<strong>der</strong> anknüpfen können. Es erscheint dem Verfasser des Textes<br />

unwahrscheinlich, dass eine bloße Aufteilung <strong>der</strong> Notdienstzeit – 7.00 - 19.00 Uhr NFS,<br />

dann 19.00 - 07.00 Uhr KIT 447 – eine echte Anknüpfung o<strong>der</strong> Trennung zwischen <strong>den</strong><br />

Organisationen bedeuten würde. Diejenige NFS-Gruppe, die kein I<strong>den</strong>titätsbewusstsein<br />

besitzt, erlebt die Kooperation eher als Konkurrenzsituation, sie grenzt sich von <strong>der</strong><br />

Kooperation ab bzw. bewertet die Kooperation auf eine Weise, die <strong>der</strong>en Ansehen<br />

verunglimpft.<br />

Wenn das Modell ein stabiles internes I<strong>den</strong>titätsbewusstsein hat, kann <strong>der</strong> Kontakt zu<br />

an<strong>der</strong>en Organisationen aufgenommen <strong>und</strong> die möglichen Kooperationspunkte erfragt<br />

wer<strong>den</strong>. Diese Kontakte än<strong>der</strong>n sich ständig je nach Wünschen <strong>und</strong> Bedürfnissen, auch<br />

auf negative Weise, zum Beispiel aufgr<strong>und</strong> persönlicher Differenzen.<br />

Auch diejenigen Gruppen, mit <strong>den</strong>en die NFS-MitarbeiterInnen sich nur bei<br />

Konferenzen <strong>und</strong> Einsätzen treffen, können <strong>der</strong> Effizienz <strong>der</strong> NFS auf die Sprünge<br />

helfen, da diese bezüglich <strong>der</strong> Arbeitsqualität ein Feedback geben bzw. formulieren<br />

können, was <strong>für</strong> sie die konkrete Hilfe <strong>der</strong> NFS bedeuten kann. Es gibt ein Interview,<br />

bei dem <strong>der</strong>/die KoordinatorIn erzählt, dass die meisten Probleme aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

schlechten Beurteilung ihrer Arbeit entstehen, wodurch sie Angriffe seitens <strong>der</strong><br />

PsychologInnen erfahren, die <strong>der</strong> Meinung sind, dass die NFS ihre Arbeit behin<strong>der</strong>t.<br />

Ein an<strong>der</strong>er Aspekt <strong>der</strong> externen Kontakte ist also, dass sie dem Modell als eine Art<br />

Spiegel dienen <strong>und</strong> ihm zeigen, wie weit es mit dem fachlichen Fortschritt an<strong>der</strong>er<br />

Organisationen Schritt halten kann. Die fachliche Entwicklung <strong>und</strong> die Anwendung<br />

mo<strong>der</strong>ner Kriterien kann nur mithilfe lebendiger Kontakte ermessen wer<strong>den</strong>. 448 Ohne<br />

Feedbacks kann keine effiziente Gruppe gestaltet wer<strong>den</strong>. Diese Rückspiegelungen sind<br />

447 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 49.<br />

448 Vgl. KLEIN, Vezetés- és szervezetpszichológia, 85.<br />

186


IV. Benchmarking Analyse<br />

deshalb wichtig, weil sie ohne vorab definiertes Ziel sind <strong>und</strong> nicht von einer eng mit<br />

<strong>der</strong> NFS kooperieren<strong>den</strong> Gruppe kommen, welche, falls sie ein negatives Feedback<br />

gäbe, indirekt auch ihre eigene Arbeit negativ bewerten würde.<br />

8.4. Akzeptanz innerhalb <strong>der</strong> kooperieren<strong>den</strong> Organisationen<br />

Neben <strong>den</strong> im Vorgehen<strong>den</strong> behandelten zivilen Organisationen ist die Gewinnung <strong>der</strong><br />

Sympathie <strong>und</strong> die Akzeptanz <strong>der</strong> kooperieren<strong>den</strong> Organisationen von tagtäglicher<br />

Bedeutung, da im Hinblick auf die fachliche Arbeit diese Organisationen die Gr<strong>und</strong>lage<br />

<strong>der</strong> NFS bil<strong>den</strong>. Ein wichtiger Faktor bei <strong>der</strong> gemeinsamen Arbeit ist <strong>der</strong> Kontakt einer<br />

bestimmten Organisation zu <strong>den</strong> an<strong>der</strong>en Organisationen, <strong>den</strong>n dieser Faktor beeinflusst<br />

<strong>den</strong> effizienten Betrieb <strong>und</strong> die Geltung <strong>der</strong> Kirchlichkeit. Der spezielle Betrieb <strong>der</strong><br />

NFS generiert die Kooperation mit <strong>den</strong> PartnerInnenorganisationen, <strong>den</strong>n bei einem<br />

Einsatz passiert es nur ganz selten, dass ein/e NFS-MitarbeiterIn alleine Hilfe leistet.<br />

Üblicherweise alarmieren Rettung, Feuerwehr <strong>und</strong> Polizei, <strong>und</strong> die Hilfeleistung vor Ort<br />

erfolgt dann auch gemeinsam. Die Kooperation des Modells zu an<strong>der</strong>en Organisationen<br />

wird natürlich in allen Fällen ausgehend von örtlichen Gegebenheiten in jeweils an<strong>der</strong>er<br />

Form umgesetzt. Charakteristische Beispiele da<strong>für</strong> sollen im Folgen<strong>den</strong> vorgestellt<br />

wer<strong>den</strong>:<br />

„…die jetzt operierende Struktur ist das zweite Modell. Die erste Organisation wollte<br />

die Diözese selbst als eine rein kirchliche Organisation, ohne das Bestreben einer<br />

Offenheit <strong>für</strong> <strong>den</strong> Markt, betreiben, diese Organisation war aber ineffizient. Danach hat<br />

die Diözese <strong>den</strong> Kontakt zum Land aufgenommen, <strong>und</strong> seitdem wird ein gemeinsames<br />

Projekt betrieben.“ 449<br />

Die Kooperation mit mehreren Stellen bedeutet, dass es innerhalb <strong>der</strong> Gruppe<br />

Überschneidungen gibt. Als extremes Beispiel habe ich eine Organisation angetroffen,<br />

welche zu elf verschie<strong>den</strong>en Gruppen gehörige Personen zusammenfasst (diese<br />

Aufglie<strong>der</strong>ung ist aber an <strong>den</strong> meisten Stellen viel geringer). 450 Da in <strong>der</strong> Arbeit<br />

gemeinsame Aktivitäten mehrerer Gruppen erscheinen, kann die Gruppe <strong>den</strong> Kontakt zu<br />

an<strong>der</strong>en Organisationen leicht aufnehmen. Deshalb schätzt <strong>der</strong>/die KoordinatorIn dieser<br />

449 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 182.<br />

450 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 169.<br />

187


IV. Benchmarking Analyse<br />

Gruppe die Kooperationsfähigkeit <strong>der</strong> Gruppe <strong>und</strong> die Vielfalt <strong>der</strong> verrichteten Arbeit<br />

hoch <strong>und</strong> die Akzeptanz seitens an<strong>der</strong>er Organisationen als einzigartig vielfältig.<br />

Das Problem wird in einigen Fällen dadurch verursacht, dass Kooperation <strong>und</strong><br />

Anerkennung sich nur dann ergeben, wenn die NFS die Wünsche <strong>der</strong><br />

PartnerInnenorganisationen auch um <strong>den</strong> Preis erfüllt, dass <strong>der</strong> eigene Betrieb<br />

unscheinbar wird. Die Arbeit des KIT <strong>und</strong> <strong>der</strong> NFS o<strong>der</strong> des Roten Kreuzes <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

NFS kann nicht überall getrennt wer<strong>den</strong>. Wenn die Alarmierung immer nur beim KIT<br />

o<strong>der</strong> dem Roten Kreuz eintrifft <strong>und</strong> NFS-Mitglie<strong>der</strong> nur dann zum Einsatzort fahren,<br />

wenn gerade ein/e MitarbeiterIn mit <strong>den</strong> entsprechen<strong>den</strong> Kenntnissen im Dienst ist,<br />

dann verschwindet die Arbeit <strong>der</strong> NFS praktisch.<br />

Die Leitung <strong>der</strong> Diözesen muss also einen entsprechen<strong>den</strong> Verbindungspunkt 451<br />

wählen, sonst wird das Modell seinen Platz im System, in dem <strong>der</strong> Dienst seine<br />

Aufgaben praktisch verrichten kann, nicht fin<strong>den</strong>. Die Kooperation mit <strong>den</strong><br />

PartnerInnenorganisationen ist ungemein wichtig, muss aber unter ständiger Kontrolle<br />

gehalten wer<strong>den</strong> <strong>und</strong> die Einhaltung <strong>der</strong> Vereinbarungen muss beachtet wer<strong>den</strong>. Bei<br />

eventuellen Än<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Organisation muss bedacht wer<strong>den</strong>, dass die Interessen<br />

keiner Partei verletzt wer<strong>den</strong>. Die NFS muss also unter <strong>den</strong> PartnerInnenorganisationen<br />

ihre eigene I<strong>den</strong>tität, nämlich <strong>den</strong> kirchlichen Charakter, die Solidarität <strong>und</strong> die<br />

karitative Liebe, beibehalten.<br />

451 Im Sinne <strong>der</strong> Kooperation wurde die Matrix-Organisation geschaffen. Ihr Ziel ist die Kreuzung <strong>der</strong><br />

Zusammenarbeit <strong>der</strong> bei<strong>den</strong> Gruppen – traditionelle Organisation <strong>und</strong> „Forschungsorgan“. Diese<br />

Anordnung verletzt traditionelle Organisationsprinzipien wie Hierarchie <strong>und</strong> Einheit <strong>der</strong> Führung<br />

(SpezialistInnen sind teils dem/r funktionsbezogenen, teils dem/r „horizontalen“ LeiterIn <strong>der</strong><br />

Forschungsgruppe gegenüber <strong>für</strong> ihre Arbeit verantwortlich). Die Matrixorganisation hat viele Vorteile<br />

(Clelend-King, 1968): Der wichtigste von ihnen ist, dass sie in Verbindung mit <strong>den</strong> Arbeitskräften<br />

(beson<strong>der</strong>s <strong>den</strong> SpezialistInnen) eine Anpassung an sich än<strong>der</strong>nde Umstände ermöglicht. Kenntnisse <strong>der</strong><br />

SpezialistInnen stehen jedem Programm zur Verfügung (IBM machte mit dieser Annäherung negative<br />

Erfahrungen, <strong>den</strong>noch wird dieser Organisationsaufbau in <strong>den</strong> USA oft verwendet).<br />

Die Möglichkeit einer „Paarung“ des Linkel-Modells mit <strong>der</strong> sich <strong>den</strong> än<strong>der</strong>n<strong>den</strong> Umstän<strong>den</strong> radikal<br />

anpassen<strong>den</strong> „freien Organisationsform“ (McFarland, 1970) bietet weitere Chancen.<br />

Andrew S. Grove (1998, 123), <strong>der</strong> Vorsitzende von Intel, meint, dass alle großen Organisationen mit<br />

einem einheitlichen Geschäftsziel schlussendlich eine hybride Form annehmen, d.h. eine Art Mischung<br />

aus zielorientierter Geschäftsdivision <strong>und</strong> funktioneller Gruppen sind. Funktionelle Gruppen sind quasi<br />

betriebsinterne SubunternehmerInnen. Geschäftsdivisionen hingegen ähneln kämpfen<strong>den</strong> Einheiten, die<br />

von <strong>den</strong> funktionellen Gruppen mit Waffen, Munition <strong>und</strong> Aufklärungsdaten usw. versehen wer<strong>den</strong>.; Vgl.<br />

KLEIN, Vezetés- és szervezetpszichológia, 402-5.<br />

188


8.5. Meinung <strong>und</strong> Zufrie<strong>den</strong>heit <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

IV. Benchmarking Analyse<br />

Nach einer Untersuchung des näheren sozialen Umfeldes <strong>der</strong> NFS soll auch die<br />

breitestmögliche Zustimmung <strong>der</strong> Gesellschaft, als allgemeines gesellschaftliches<br />

Ereignis, angeführt wer<strong>den</strong>. Wie bereits ersichtlich, sind Akzeptanz <strong>und</strong> Anerkennung<br />

wichtige Elemente des Dienstes. Zum Teil, weil im Falle einer breitestmöglichen<br />

Bekanntheit die Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> die Hilfe bekannter Gruppen leichter annehmen,<br />

an<strong>der</strong>erseits kann die Organisation im Falle einer größeren Bekanntheit leichter<br />

MitarbeiterInnen <strong>und</strong> Freiwillige werben. Die allgemeine Bekanntheit motiviert auch<br />

die MitarbeiterInnen bzw. wird <strong>der</strong> <strong>Aufbau</strong> notwendiger PartnerInnenkontakte mit<br />

zunehmen<strong>der</strong> Akzeptanz <strong>und</strong> Bekanntheit leichter.<br />

8.6. Medienarbeit als Basis sozialer Anerkennung<br />

In <strong>den</strong> mo<strong>der</strong>nen Gesellschaften beeinflussen die Medienpräsenz <strong>und</strong> dadurch die<br />

öffentliche Meinung über die Tätigkeiten <strong>der</strong> Organisation die Zufrie<strong>den</strong>heit <strong>der</strong><br />

MitarbeiterInnen <strong>und</strong> die Intensität <strong>der</strong> Gruppeni<strong>den</strong>tität enorm. Wenn im Fernsehen<br />

o<strong>der</strong> Radio über einen Fall berichtet wird, sind alle stolz, Teil <strong>der</strong> Gruppe zu sein.<br />

Gleichzeitig kann man aber auch nicht außer Acht lassen, dass Medienpräsenz <strong>und</strong> ein<br />

hoher Bekanntheitsgrad die Möglichkeit bieten, neue Einsatzgebiete <strong>und</strong><br />

Tätigkeitsbereiche zu erschließen, <strong>und</strong> so zu neuen Aufträgen <strong>und</strong> Möglichkeiten zu<br />

kommen, Son<strong>der</strong>för<strong>der</strong>ungen zu beziehen. Die Bekanntheit ist <strong>für</strong> die Organisation<br />

nicht nur wichtig – sie selbst bewertet sie als ein wichtiges Resultat. Hiervon zeugt auch<br />

<strong>der</strong> folgende Interviewausschnitt:<br />

„Der Dienst ist gesellschaftlich anerkannt <strong>und</strong> akzeptiert. Die Anerkennung wird<br />

einerseits dadurch garantiert, dass das Modell in ganz Österreich Beispielwirkung hat,<br />

an<strong>der</strong>erseits dadurch, dass <strong>der</strong> Koordinator <strong>der</strong> Organisation die gesamte NFS-<br />

Tätigkeit in Österreich koordiniert.” 452<br />

Zwecks <strong>der</strong> Erhöhung <strong>der</strong> sozialen Anerkennung hat die Organisation auf dem Gebiet<br />

ihrer Bekanntheit Handlungsbedarf. Deshalb muss sie die bewusste Kooperation mit<br />

<strong>den</strong> Medien anstreben, <strong>den</strong>n die Medienpräsenz hilft <strong>der</strong> Bekanntheit des Modells per se<br />

452 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 178.<br />

189


IV. Benchmarking Analyse<br />

<strong>und</strong> verbessert die Einstellung <strong>der</strong> Menschen zum Wirken <strong>der</strong> Organisation. Die<br />

Kontinuität <strong>und</strong> Planbarkeit <strong>der</strong> Medienarbeit machen dieses Gebiet beson<strong>der</strong>s effizient.<br />

Ohne mediale Unterstützung kann die Aktivität in Ablehnung o<strong>der</strong> Desinteresse<br />

aufgr<strong>und</strong> des Informationsmangels mün<strong>den</strong>. Die Bekanntheit hilft <strong>der</strong> NFS in <strong>der</strong><br />

Kooperation mit an<strong>der</strong>en Organisationen, verbessert die Motivation, stärkt <strong>den</strong> Wunsch<br />

zur <strong>und</strong> das Erlebnis <strong>der</strong> Gruppenzusammengehörigkeit bzw. spielt auch in <strong>der</strong><br />

Werbung <strong>für</strong> die Organisation eine tragende Rolle. Die Diözese, welche diese Aktivität<br />

nicht ihrer Bedeutung entsprechend behandelt, behin<strong>der</strong>t dadurch die Arbeit ihrer<br />

eigenen Organisation.<br />

Trotz <strong>der</strong> oben angeführten Tatsachen wurde kein Modell gef<strong>und</strong>en, wo die<br />

Medienarbeit geson<strong>der</strong>t von trainierten Freiwilligen erledigt wor<strong>den</strong> wäre. Diese<br />

Aufgabe wird von <strong>den</strong> KoordinatorInnen als Nebenaktivität neben ihren an<strong>der</strong>en<br />

Aufgaben erledigt. Zumeist sind sie <strong>für</strong> Webpage <strong>und</strong> Zeitschriften zuständig bzw. sind<br />

sie es, die Interviews geben. Sie machen nicht bewusst Umfragen o<strong>der</strong> bereiten<br />

eventuell Diplomarbeiten vor, obwohl sie dadurch auch Rückmeldungen über<br />

Bekanntheit <strong>und</strong> Mängel bekommen könnten.<br />

9. Resultate von gr<strong>und</strong>legen<strong>der</strong> Bedeutung<br />

Die Benchmarking-Analyse lenkt die Aufmerksamkeit auf Gegebenheiten <strong>und</strong><br />

Resultate, anhand <strong>der</strong>er die Arbeit <strong>der</strong> NFS als Organisation erfolgreich gemacht<br />

wer<strong>den</strong> kann. Hierunter zeigen Resultate von gr<strong>und</strong>legen<strong>der</strong> Bedeutung diejenigen<br />

Resultate des Organisationsbetriebs, <strong>der</strong>en Berücksichtigung die Gr<strong>und</strong>lage eines<br />

erfolgreichen Betriebes ist. NFS-Resultate von gr<strong>und</strong>legen<strong>der</strong> Bedeutung können wie<br />

folgt zusammengefasst wer<strong>den</strong>:<br />

9.1. Management externer PartnerInnenschaften<br />

Die Kirche verfügt über einen gut etablierten, hierarchischen <strong>Aufbau</strong>, <strong>der</strong> in Verbindung<br />

mit <strong>der</strong> Art <strong>der</strong> Problembehandlung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Entscheidungsebenen eindeutige<br />

190


IV. Benchmarking Analyse<br />

Lösungsmechanismen definiert. 453 Im Falle <strong>der</strong> NFS-Organisationen scheinen aber<br />

externe PartnerInnen auf, bei <strong>den</strong>en eine dezentralisierte Betriebsstruktur auf die<br />

Betriebsordnung <strong>der</strong> Kirchenorganisation trifft. Bei <strong>der</strong> Dienstverrichtung müssen<br />

Aufgaben gemeinsam gelöst wer<strong>den</strong>, daher ist die Akkordierung bei<strong>der</strong> Betriebssysteme<br />

unumgänglich. In Verbindung damit ist die wichtigste Aufgabe das gegenseitige<br />

Kennenlernen <strong>der</strong> bei<strong>den</strong> Mechanismen, Entscheidungsprozesse <strong>und</strong> Ebenen. Im Sinne<br />

eines effizienten <strong>und</strong> konfliktlosen Betriebs müssen die Kompetenzen <strong>der</strong> einzelnen<br />

Bereiche sowie die Methodik <strong>der</strong> Disponierung über Ressourcen, Formen des bewusst<br />

aufgebauten Informationsflusses <strong>und</strong> <strong>der</strong> Kommunikation unter <strong>den</strong> kooperieren<strong>den</strong><br />

Organisationen offen gelegt wer<strong>den</strong>. 454<br />

Die Schlüsselfigur <strong>der</strong> Kooperation wie <strong>der</strong> Organisationsleitung ist <strong>der</strong>/die<br />

KoordinatorIn. KoordinatorInnen versehen ihre Arbeit in <strong>den</strong> diversen Organisationen<br />

unterschiedlich. Es gibt mannigfaltige Lösungen, aber eines <strong>der</strong> interessantesten<br />

Modelle soll folgen<strong>der</strong> Interviewausschnitt verdeutlichen: „Im Hintergr<strong>und</strong> arbeiten<br />

zwei Koordinatoren, ein Katholik <strong>und</strong> ein Evangelischer. Sie machen die<br />

Organisationsarbeit gemeinsam. Diese bei<strong>den</strong> Personen sind ständig erreichbar, was<br />

die Mitarbeiter [sic] beruhigt, <strong>den</strong>n im Hintergr<strong>und</strong> gibt es immer eine Person, von <strong>der</strong><br />

sie Informationen bekommen können, wenn <strong>der</strong> Einsatz ins Stocken gerät o<strong>der</strong> an <strong>der</strong><br />

Rettung beteiligte Mitarbeiter entscheidungsunfähig wer<strong>den</strong>. Ein weiterer Vorteil <strong>der</strong><br />

doppelten Führung ist die starke Prägung des ökumenischen Charakters, außerdem<br />

eine gleichmäßige Verantwortungsübernahme.” 455<br />

Im Sinne <strong>der</strong> Kasseler-These 456 ist eine Organisation ohne die Kooperation mit an<strong>der</strong>en<br />

Organisationen betriebsunfähig. KoordinatorInnen müssen von dieser Basiskorrelation<br />

ausgehen. Sie müssen sich eine Organisation als ein holographisches Gehirn vorstellen,<br />

dessen Eigenschaften Vernetzung <strong>und</strong> Regenerierung sind. Die Gr<strong>und</strong>voraussetzungen<br />

dieser Annäherung sind wie folgt 457 :<br />

1) Teile müssen in das Ganze eingebaut wer<strong>den</strong>. Im Zuge dieses Prozesses muss die<br />

Geltung folgen<strong>der</strong> Elemente unterstützt wer<strong>den</strong>:<br />

453 Vgl. PODMARKOV, Vregyenyij v promislennuju sociologiju, 54-55.<br />

454 Vgl. KLEIN, Vezetés- és szervezetpszichológia, 381.<br />

455 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 168.<br />

456 Vgl. Kasseler Thesen zur Notfallseelsorge, in: MÜLLER-LANGE, Handbuch Notfallseelsorge, 20.<br />

457 Vgl. KLEIN, Vezetés- és szervezetpszichológia, 406-407.<br />

191


IV. Benchmarking Analyse<br />

- Es ist notwendig, Werte, Modellkultur <strong>und</strong> langfristige Ziele zu definieren (wie<br />

scheinen Kirchenwerte in <strong>der</strong> Organisation auf, Betonung des<br />

Diakoniecharakters <strong>der</strong> Organisation, Formulierung <strong>der</strong> Organisationsziele,<br />

Bestimmung <strong>der</strong> Kooperationsart, Festlegung <strong>der</strong> gegenwärtigen <strong>und</strong><br />

langfristigen Aufgaben).<br />

- <strong>Aufbau</strong> eines alle PartnerInnen verbin<strong>den</strong><strong>den</strong> Informationssystems<br />

(Ausarbeitung <strong>der</strong> konkreten Kooperation mit PartnerInnenorganisationen,<br />

Ausbau des Alarmierungssystems, Bestimmung konkreter Aufgaben bei<br />

Einsätzen <strong>und</strong> Bereitschaftssituationen, Spen<strong>den</strong>sammlung, Organisation des<br />

Informationssystems).<br />

- Der Organisationsprozess soll ein Wachstum ermöglichen, ohne das<br />

w<strong>und</strong>erschöne Ideal des Kleinseins aufzugeben (wie kann man sich bei größeren<br />

Katastrophen in die Arbeit an<strong>der</strong>er Organisationen einbin<strong>den</strong>, wie können<br />

an<strong>der</strong>e Gruppen sich in unsere Arbeit einklinken, wie können wir uns Gruppen<br />

im Ausland anschließen).<br />

- Teambildung selbst organisierter Gruppen, in <strong>den</strong>en Teilarbeiten zu einem<br />

Ganzen wer<strong>den</strong> (welche an<strong>der</strong>en Gruppen o<strong>der</strong> ExpertInnen können in die<br />

Aktivitäten eingeb<strong>und</strong>en wer<strong>den</strong>, wer sind die Personen, die zwar nicht direkt<br />

zur Gruppe gehören, ihre Arbeit bei Notsituationen aber gerne unterstützend<br />

einbringen wür<strong>den</strong>).<br />

2) Erkennen <strong>der</strong> Bedeutung <strong>der</strong> Red<strong>und</strong>anz <strong>und</strong> in Zusammenhang damit:<br />

- die Teilred<strong>und</strong>anz: Es bedarf keiner strikten Hierarchie. Notfalls kann das<br />

Abhängigkeitsprinzip sich än<strong>der</strong>n, <strong>den</strong>n es können Entscheidungen anstehen, die<br />

sofort gefällt wer<strong>den</strong> müssen, daher ist es wichtig zu klären, was die HelferInnen<br />

in einer bestimmten Situation leisten können.<br />

- Funktionsred<strong>und</strong>anz: Jede/r soll in <strong>der</strong> Lage sein, Aufgaben zu übernehmen.<br />

Alle Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gruppe müssen alle Prozesse kennen, <strong>den</strong>n sonst sind sie<br />

nicht in <strong>der</strong> Lage, tatsächlich Hilfe zu leisten, wenn ein an<strong>der</strong>es<br />

Gruppenmitglied sie braucht, jemand ermüdet o<strong>der</strong> aus einem an<strong>der</strong>en Gr<strong>und</strong><br />

ausfällt.<br />

3) Prinzip <strong>der</strong> erfor<strong>der</strong>lichen Abwechslung: Interne Än<strong>der</strong>ungen müssen externen<br />

Umweltherausfor<strong>der</strong>ungen immer entsprechen. Obwohl man aus dem Erlebten viel<br />

192


IV. Benchmarking Analyse<br />

lernen kann, bedarf jede Situation einer an<strong>der</strong>en Art von Hilfe, da es keine zwei<br />

gleichen Fälle gibt.<br />

4) Prinzip <strong>der</strong> geringsten Geb<strong>und</strong>enheiten: Das System bedarf <strong>der</strong> Entwicklung einer<br />

Freiheit. Die Gruppe darf nicht auf allem fest beharren, <strong>der</strong> Spontaneität muss Raum<br />

gelassen wer<strong>den</strong>, <strong>den</strong>n nur so kann die Gruppe <strong>den</strong> Erwartungen entsprechen.<br />

5) Prozess des Lernens, wie man lernt: Das Lernen allein ist nicht ausreichend, <strong>den</strong>n<br />

dies führt zur Festigung einer Situation. Es sind die Bedürfnisse, die bestimmen, was<br />

<strong>und</strong> wie gelernt wer<strong>den</strong> soll.<br />

Diese Annäherungen helfen Leiten<strong>den</strong>, <strong>den</strong> Organisationsbetrieb <strong>und</strong> laufende Prozesse<br />

gründlich zu untersuchen <strong>und</strong> Kräfte zu entdecken, die sie mit ihrem Umfeld verbin<strong>den</strong>.<br />

Unterschiedliche Leitungsstile können die interne Kommunikationsgestaltung bzw. ein<br />

Neu<strong>den</strong>ken <strong>der</strong> Kooperation mit an<strong>der</strong>en Organisationen för<strong>der</strong>n.<br />

9.2. Management externer Ressourcen<br />

Das wichtigste Mittel <strong>der</strong> Entsprechung von Marktverhältnissen ist die Gestaltung <strong>der</strong><br />

bestmöglichen Position in <strong>der</strong> Gesellschaft sowie die ständige Pflege <strong>der</strong><br />

PartnerInnenkontakte. Diese Arbeit wird entwe<strong>der</strong> vom/von <strong>der</strong> KoordinatorIn o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

zuständigen Person seitens <strong>der</strong> Kirche erledigt. Dies soll eine Person sein, die <strong>den</strong><br />

Tätigkeitsbereich <strong>und</strong> die Stellung bzw. die Bedürfnisse des Dienstes <strong>für</strong> einen<br />

weiterhin erfolgreichen Betrieb kennt.<br />

Im Laufe <strong>der</strong> Interviews ergaben sich mehrere Formen <strong>der</strong> Kooperation mit<br />

verschie<strong>den</strong>en PartnerInnen. Im Falle <strong>der</strong> meisten Modelle verläuft die Kooperation –<br />

mit wem auch immer – aber keinesfalls reibungslos. Hiervon zeugen die folgen<strong>den</strong><br />

Interviews:<br />

„Bezüglich <strong>der</strong> Teilnahme an<strong>der</strong>er Partnerorganisationen – KIT, Rotes Kreuz – haben<br />

wir das Gefühl, dass sie im an<strong>der</strong>en eine Konkurrenz sehen, bzw. dass es zwischen <strong>den</strong><br />

einzelnen Organisationen persönliche Differenzen gibt.” 458<br />

„Die Organisation kooperiert mit allen an <strong>der</strong> Rettung beteiligten Organisationen. Das<br />

KIT hat seinen Dienst täglich von 19.00 bis 7.00 Uhr, die NFS von 7.00 bis 19.00 Uhr.<br />

458 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 19.<br />

193


IV. Benchmarking Analyse<br />

Dies hat sich ergeben, weil man zwischen <strong>der</strong> Arbeit bei<strong>der</strong> Organisationen keinen<br />

Unterschied machen konnte <strong>und</strong> wir hielten es <strong>für</strong> besser, die Aufgaben anhand von<br />

Zeitintervallen aufzuteilen.” 459<br />

Das Management externer Ressourcen ist im Falle <strong>der</strong> NFS die Gr<strong>und</strong>voraussetzung<br />

eines erfolgreichen Betriebes. Gerade deshalb ist die Leitung <strong>für</strong> die Verrichtung dieser<br />

Aufgabe verantwortlich <strong>und</strong> gleicht ihre Rolle so dem Management von Unternehmen.<br />

Das Management ist in diesem Zusammenhang in <strong>der</strong> Funktion <strong>der</strong> Modellsteuerung zu<br />

verstehen <strong>und</strong> beinhaltet alle Projektelemente, die <strong>für</strong> <strong>den</strong> Betrieb <strong>der</strong> untergeordneten<br />

Teilbereiche, die Betriebsregelung <strong>und</strong> die Koordinierung <strong>der</strong> Aktivitäten,<br />

verantwortlich sind. 460<br />

Die Leitung muss über alle Aspekte des Betriebes Bescheid wissen. Beson<strong>der</strong>s gilt dies<br />

<strong>für</strong> Punkte, die ohne die Hilfe an<strong>der</strong>er Organisationen nicht bewerkstelligt wer<strong>den</strong><br />

können (z.B. Alarmierung). In Zusammenhang mit diesen Aktivitäten müssen <strong>den</strong><br />

PartnerInnenorganisationen Möglichkeiten geboten wer<strong>den</strong>, bei <strong>den</strong>en sie NFS-Dienste,<br />

z.B. das Organisationsnetz, nutzen können. KoordinatorInnen dürfen also das Prinzip<br />

<strong>der</strong> Gegenseitigkeit niemals außer Acht lassen bzw. dürfen sie gegenüber an<strong>der</strong>en<br />

Organisationen nie nur ausschließlich For<strong>der</strong>ungen stellen. Es ist also wichtig, dass in<br />

Kooperationen – auch innerhalb <strong>der</strong> Diözese – auf bei<strong>den</strong> Seiten Vorteile gef<strong>und</strong>en<br />

wer<strong>den</strong>. Bei <strong>den</strong> Interviews ergaben sich folgende Beispiele:<br />

„Die Diözese bietet Möglichkeiten <strong>für</strong> eine bessere Organisation von Aus- <strong>und</strong><br />

Weiterbildungen <strong>der</strong> Caritas, <strong>der</strong> Telefonseelsorge <strong>und</strong> <strong>der</strong> Krankenhausseelsorge,<br />

sowie <strong>für</strong> das Fin<strong>den</strong> <strong>und</strong> Entwickeln von Kooperationspunkten. Abgesehen davon<br />

können sich Mitarbeiter an<strong>der</strong>er Kirchenorganisationen in die Arbeit einbin<strong>den</strong>.” 461<br />

Es gab aber auch negative Beispiele:<br />

„Die Organisation sucht – obwohl sie ineffizient arbeitet – keine neuen Gebiete o<strong>der</strong><br />

Partnerorganisationen, mit <strong>den</strong>en sie im Verb<strong>und</strong> ihre Aufgaben effizienter erfüllen<br />

könnte.” 462<br />

Bei <strong>der</strong> Kooperation mit PartnerInnenorganisationen sind Aufgabenaufteilung,<br />

gegenseitiges Lernen, gemeinsame Trainings <strong>und</strong> Übungen von beson<strong>der</strong>er Wichtigkeit.<br />

459 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 49.<br />

460 Vgl. JÄGER, Diakonia, mint keresztény vállalkozás, 20.<br />

461 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 183.<br />

462 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 8.<br />

194


IV. Benchmarking Analyse<br />

Lösungen, die in <strong>der</strong> Organisation Eifersucht erzeugen o<strong>der</strong> Än<strong>der</strong>ungen hervorrufen,<br />

welche <strong>den</strong> Interessen <strong>der</strong> Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> entgegenlaufen, sollen vermie<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>. Das<br />

Ziel <strong>der</strong> Kooperation ist eine Versorgung von besserer Qualität <strong>und</strong> ein Verhalten im<br />

Geiste des „guten Samariters“, sowie eine ständige Kontrolle, wodurch die Organisation<br />

sich entwickeln kann. Im Sinne <strong>der</strong> Qualitätsarbeit ist das Feedback <strong>der</strong> PartnerInnen<br />

einer <strong>der</strong> wichtigsten Faktoren. Dazu muss immer eine Möglichkeit gegeben sein bzw.<br />

muss das Feedback immer evaluiert wer<strong>den</strong>.<br />

9.3. Management finanzieller Ressourcen<br />

Die finanzielle Stabilität <strong>der</strong> Organisationen beeinträchtigt ihre Erfolge in einem<br />

deutlichen Maß. Das Ziel ist in allen Fällen eine zielgerichtete Arbeitsweise bei<br />

gleichzeitig möglichst sparsamem Ressourcenverbrauch. Eine ständige Erhebung <strong>der</strong><br />

Bedürfnisse <strong>und</strong> Möglichkeiten stärkt die Organisation bzw. hilft das Einbeziehen von<br />

WirtschaftsexpertInnen, die Effizienz <strong>der</strong> Organisation zu steigern. Ein Mangel an<br />

finanziellen Ressourcen schwächt das Interesse <strong>und</strong> die Motivation <strong>der</strong> Leitung, somit<br />

auch die Kreativität. So eine Wirkung wurde bei <strong>den</strong> Interviews mehrmals registriert,<br />

ein typischer Kommentar diesbezüglich lautet:<br />

„Ich [<strong>der</strong> Koordinator] selbst weiß auch nicht, wie ich ohne Geld in die gemeinsamen<br />

Aktivitäten mit einbeziehen o<strong>der</strong> zu effizienterem Arbeitsverhalten motivieren<br />

könnte.“ 463<br />

Finanzielle Ressourcen dienen dem Zweck <strong>der</strong> Organisation, zum Erreichen ihrer Ziele<br />

zu <strong>den</strong> richtigen Zeitpunkten entsprechende Finanzmittel zur Verfügung zu haben.<br />

Bezüglich finanzieller Ressourcen zeigt sich bei <strong>den</strong> Modellen ein gemischtes Bild. Es<br />

gibt Modelle, die mit unterschiedlichen Budgets <strong>und</strong> aus unterschiedlichen Quellen<br />

stammen<strong>den</strong> Ressourcen arbeiten. Die Modelle ähneln sich aber in dem Punkt, dass es<br />

nirgendwo lediglich eine/n BetreiberIn gibt, <strong>der</strong>/die die finanzielle Absicherung aller<br />

Aktivitäten zu 100% gewährleisten würde. In <strong>den</strong> meisten Fällen handelt es sich also<br />

um Modelle von gemischter Finanzierung, die ihre Finanzierungsquellen ständig <strong>und</strong> in<br />

mehreren Richtungen suchen. Ein typisches Beispiel hier<strong>für</strong> ist folgendem Interview zu<br />

entnehmen:<br />

463 Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 61.<br />

195


IV. Benchmarking Analyse<br />

„Der Modellbetreiber ist theoretisch die Diözese, sie zahlt ungefähr 1.200,- Euro sowie<br />

einen HalbzeitMitarbeiter…an<strong>der</strong>e Kosten – Kosten <strong>der</strong> Einsätze <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Materialbeschaffungen – wer<strong>den</strong> vom Land getragen. Die Aufteilung – also wen welche<br />

Kosten des Betriebs belasten – ist also eindeutig, d.h., die Finanzgr<strong>und</strong>lagen <strong>der</strong><br />

Organisation sind auch in Zukunft gut planbar.” 464<br />

In <strong>der</strong> überwiegen<strong>den</strong> Mehrheit <strong>der</strong> Fälle können Organisationen durch die Beschaffung<br />

von ergänzen<strong>den</strong> Ressourcen einen <strong>den</strong> Zielen entsprechen<strong>den</strong> Betrieb o<strong>der</strong> eine<br />

Entwicklung erreichen. Die wichtigsten solcher Ressourcen sind externe SponsorInnen<br />

(Selbstverwaltungen, soziale Organisationen, Staatsorgane, Firmen, Zivilpersonen) <strong>und</strong><br />

von Kirchen organisierte Spen<strong>den</strong>sammlungen bzw. Projektgel<strong>der</strong>. Eine<br />

Gr<strong>und</strong>voraussetzung <strong>für</strong> die Nutzung aller drei Quellen ist die Bekanntheit,<br />

Anerkanntheit <strong>und</strong> eine Unterstützung seitens des breitestmöglichen Sozialumfeldes. Im<br />

Falle externer SponsorInnen spielen persönliche Kontakte eine kaum unterschätzbare<br />

Rolle, während bei Kirchenspen<strong>den</strong> natürlich das Verhältnis zur Kirche bzw. die<br />

Anerkennung <strong>der</strong> Arbeit die Höhe <strong>der</strong> genehmigten Spen<strong>den</strong> stark beeinflussen. Neben<br />

<strong>den</strong> bei<strong>den</strong> eben genannten Möglichkeiten ist auch noch die Nutzung von<br />

Projektmöglichkeiten wichtig. Die wichtigsten Gr<strong>und</strong>voraussetzungen hier<strong>für</strong> sind<br />

Offenheit <strong>und</strong> Affinität <strong>der</strong> NFS-Leitung <strong>für</strong> Projektarbeit, eine waches Beobachten<br />

solcher Möglichkeiten sowie Erfahrungen mit Projekten. Bei Projektsystemen können<br />

Organisationen an nationale <strong>und</strong> internationale För<strong>der</strong>ungen <strong>den</strong>ken. Die<br />

Projektausschreibungen unterstützen üblicherweise Modelle, die <strong>der</strong> Arbeit von<br />

Katastrophenschutzorganisationen helfen.<br />

Neben <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung durch Kirchen <strong>und</strong> verschie<strong>den</strong>er SponsorInnengel<strong>der</strong> garantieren<br />

Projektgel<strong>der</strong> eine sichere Gr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> die Finanzierung <strong>und</strong> Entwicklung.<br />

Normalerweise grün<strong>den</strong> NFS-Organisationen eigenständige Non-Profit-Organisationen.<br />

Der wichtigste Gr<strong>und</strong> hier<strong>für</strong> ist das Bedürfnis nach klar definierten, eigenständigen<br />

Wirtschaftsressourcen. Wenn aber eine NFS-Organisation nicht als selbständige Non-<br />

Profit-Organisation fungieren möchte, lohnt es sich, über geson<strong>der</strong>t zu betrachtende<br />

Finanzierungswege zu verfügen, welche die Größe des Budgets bei <strong>der</strong> Arbeit<br />

definieren bzw. <strong>den</strong> Grad zu definieren, in dem verschie<strong>den</strong>e Organisationen in die<br />

Schaffung <strong>der</strong> Finanzgr<strong>und</strong>lagen miteinbezogen wer<strong>den</strong> müssen.<br />

464 Vgl. Gerhard Baldauf in einem Vortrag am 21.04.2008 in Graz.<br />

196


IV. Benchmarking Analyse<br />

Auf je<strong>den</strong> Fall müssen Organisationen, egal über welche Budgets sie verfügen, im<br />

Vorhinein definieren, welche Aktivitäten aus welchen Ressourcen finanziert wer<strong>den</strong><br />

können, d.h. sie müssen ein Budget – also einen Finanzierungsplan – erstellen. Die<br />

Ausarbeitung des Budgets ist wichtig, weil man sich ohne seriöse Pläne we<strong>der</strong> beim/bei<br />

<strong>der</strong> BetreiberIn noch bei an<strong>der</strong>en Organisationen mit begründeten Finanzwünschen<br />

mel<strong>den</strong> kann. Eine Bewerbung <strong>für</strong> Projektgel<strong>der</strong> wäre ohnehin ausgeschlossen.<br />

Natürlich macht es sich auch bezahlt, Schlussbilanzen, welche Kostenangaben<br />

durchgeführter Aktivitäten enthalten, zu publizieren, um dadurch die Transparenz zu<br />

erhöhen, eine bewusstere Ressourcennutzung zu erreichen <strong>und</strong> aufzuzeigen, dass<br />

eingelangte Gel<strong>der</strong> <strong>für</strong> wichtige, realistische Ziele verwendet wer<strong>den</strong>.<br />

9.4. Information <strong>und</strong> Wissensmanagement<br />

Der mo<strong>der</strong>ne Betrieb <strong>der</strong> Organisation sowie die zielgerichtete Erledigung <strong>der</strong><br />

Aufgaben machen eine ständige Beobachtung <strong>der</strong> Sammlung, Selektion <strong>und</strong> Weitergabe<br />

neuer Informationen an die MitarbeiterInnen notwendig. 465 In diesem Kontext soll<br />

Information das weitest mögliche Spektrum des Organisationsbetriebes abdecken, d.h.<br />

die Übereinstimmung <strong>der</strong> Organisationsgr<strong>und</strong>lagen sowie konkreten Arbeit mit <strong>der</strong><br />

kirchlichen Lehre, die Än<strong>der</strong>ung formulierter Bedürfnisse, die wissenschaftlichen<br />

Resultate (Medizin, Sozialwissenschaften, Volkswirtschaft) <strong>und</strong> die Än<strong>der</strong>ung sozialer<br />

sowie gesellschaftspolitischer Wirkungen. Das auf diesem Wege gesammelte<br />

Informationsmaterial gelangt entsprechend <strong>den</strong> Bedürfnissen in Form von<br />

Weiterbildungen an die MitarbeiterInnen.<br />

In mo<strong>der</strong>nen Organisationen gelten Informationen als Ressourcen, die mit Finanz- o<strong>der</strong><br />

Humanressourcen gleichwertig sind. 466 In gewissem Sinne kann auch gesagt wer<strong>den</strong>,<br />

dass Informationen aus Sicht des effizienten Betriebes von immer größerer Bedeutung<br />

sein wer<strong>den</strong>. Es ist kein Zufall, dass das Interesse bestimmter Wissenschaften am<br />

Modellbetrieb immer stärker wird. Dieses Interesse liegt an <strong>der</strong> Komplexität <strong>der</strong><br />

Aktivitäten. In <strong>der</strong> NFS-Arbeit wird die Kooperation von Soziologie, Psychologie,<br />

Theologie <strong>und</strong> Organisationsentwicklung vereint, gleichzeitig verrichtet die<br />

465 Vgl. KLEIN, Vezetés- és szervezetpszichológia, 501.<br />

466 Vgl. http://www.ofi.hu/tudastar/oktatasmenedzsment/erdekek-konfliktus [abgerufen am 07.03.2011].<br />

197


IV. Benchmarking Analyse<br />

Organisation konkrete Aufgaben im Rahmen von Katastrophenschutz,<br />

Ges<strong>und</strong>heitswesen <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsmanagement.<br />

Wie bei jedem neu untersuchten Projekt ist auch hier eine unstrukturierte Behandlung<br />

des Themas charakteristisch. Daher ist <strong>der</strong> Kontakt zu Wissenschaftszentren –<br />

Universitäten <strong>und</strong> Forschungsinstituten –, zu <strong>der</strong>en Gr<strong>und</strong>aktivitäten sowohl Forschung<br />

als auch die Untersuchung <strong>der</strong> Wirkung neuer Sozialformationen gehören, wichtig.<br />

Selbstverständlich kann die Kontaktaufnahme bei neuen <strong>und</strong> noch nicht allzu weit<br />

bekannten Organisationen schwierig sein. Wenn aber die ModellleiterInnen die<br />

Universitäten zur Kooperation auffor<strong>der</strong>n bzw. wenn die sich <strong>für</strong> das Thema mel<strong>den</strong><strong>den</strong><br />

Personen die Organisationen selbst unterstützen, können sehr qualitative <strong>und</strong> nützliche<br />

Materialien entstehen bzw. können so pseudowissenschaftliche <strong>und</strong> oberflächliche<br />

Analysen vermie<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>. Wertvolle, wissenschaftlichen Ansprüchen entsprechende<br />

Materialien können <strong>den</strong> Betrieb <strong>der</strong> untersuchten NFS-Organisationen stärker <strong>und</strong><br />

effizienter machen.<br />

Es muss auch die Möglichkeit <strong>der</strong> Publizierung <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Organisation erzielten<br />

Ergebnisse <strong>und</strong> Daten gegeben sein bzw. dass diese in verschie<strong>den</strong>en<br />

wissenschaftlichen Arbeiten vorgestellt wer<strong>den</strong>, <strong>und</strong> dass darüber hinaus einzelne<br />

Modelle mithilfe dieser Arbeiten voneinan<strong>der</strong> lernen können. Im Rahmen <strong>der</strong><br />

Interviews wurde ersichtlich, dass im Falle mehrerer Modelle diese Schritte bereits<br />

bewusst geplant wer<strong>den</strong>:<br />

„Es gibt ständige Feedbacks über die Arbeit des Dienstes, alle Prozesse sind geregelt.<br />

Dadurch besteht die Möglichkeit, Statistikdaten zu verarbeiten bzw. Fälle zu<br />

publizieren.” 467<br />

Das Rückkopplungssystem <strong>der</strong> Informationen in Verbindung mit <strong>den</strong> Einsätzen verläuft<br />

regelmäßig, das Protokoll ist gut aufgebaut <strong>und</strong> erfasst ein breites Spektrum <strong>der</strong><br />

Informationen, die Datenblätter sind detailliert. 468 Dadurch bietet sich die Möglichkeit,<br />

die Aktivitäten regelmäßig aufzuarbeiten, Feedbacks zu bekommen, Aktivitäten zu<br />

analysieren <strong>und</strong> zu evaluieren. Dadurch sind die Gr<strong>und</strong>lagen <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />

Aktivität garantiert.<br />

467 Vgl. HAGER, Beratung <strong>und</strong> Betreuung in <strong>der</strong> Notfallseelsorge, 145.<br />

468 Vgl. ebd. 196.<br />

198


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in<br />

Ungarn / Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

Im Folgen<strong>den</strong> wer<strong>den</strong> Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn untersucht. Der<br />

<strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> Organisation wird wie die Umsetzung eines Projektes im Wirtschaftssektor<br />

behandelt, deshalb wird <strong>der</strong> <strong>Aufbau</strong>prozess mit <strong>der</strong> unter MarktakteurInnen bekannten<br />

Logframe- Projektplanungsmethode 469 vorgestellt. Dazu ist es aber unbedingt<br />

notwendig, die bisherigen Versuche einer Gestaltung <strong>der</strong> NFS o<strong>der</strong> einer ähnlichen<br />

Initiative in Ungarn zu darzustellen, <strong>den</strong>n Richtungen <strong>und</strong> Gründe <strong>der</strong> Erfolge <strong>und</strong><br />

Fehlschläge sind im Sinne einer erfolgreichen Einführung ungemein lehrreich.<br />

1. Konkrete Schritte <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

In <strong>den</strong> letzten Jahrzehnten ist in Ungarn innerhalb <strong>der</strong> Aktivitäten des<br />

Katastrophenschutzes unter <strong>den</strong> am staatlichen Katastrophenschutz beteiligten Gruppen<br />

ein reibungslos funktionierendes System entstan<strong>den</strong>. Dieses arbeitet mit genau<br />

definierten <strong>und</strong> ausgebauten Strukturen, wobei sich das System allerdings auf die<br />

Begrenzung von Sachschä<strong>den</strong> beschränkt. Die erste Organisation, die darüber hinaus<br />

auch mentale Hilfeleistung in Katastrophensituationen anbot, war die von <strong>der</strong><br />

baptistischen Kirche organisierte GYOLCS-Gruppe im Jahre 1990. 470 Deren Dienste<br />

konnten die regionalen (o<strong>der</strong> in <strong>den</strong> Komitaten tätigen) Katastrophenschutzdirektorate<br />

in Katastrophenfällen über die Nationale Katastrophenschutzkommandantur des<br />

Ungarischen Innenministeriums anfor<strong>der</strong>n. 471<br />

Die GYOLCS bot einer caritativ operieren<strong>den</strong> Gruppe von Priestern <strong>und</strong><br />

PsychologInnen einen Organisationsrahmen, innerhalb dessen sie <strong>den</strong> Opfern von<br />

Natur- <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en Katastrophen, <strong>den</strong> RetterInnen, Schwerverletzten o<strong>der</strong> invalid<br />

469<br />

Vgl. V.1.2. Teil 1<br />

470<br />

Vgl. http://www.quickrelief.hu/hu/organization.html [abgerufen am 07.03.2011].<br />

471<br />

Hieraus ist ersichtlich, dass die Gruppe in eine staatlich kontrollierte Organisation integriert wer<strong>den</strong><br />

sollte, damit sie die Arbeit des Katastrophenschutzes unterstützen kann.<br />

199


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

gewor<strong>den</strong>en bzw. <strong>der</strong>en Angehörigen eine seelische Stütze boten. 472 So hat die<br />

GYOLCS einen Teil <strong>der</strong> früher vorgestellten NFS-Funktionen versehen.<br />

Die GYOLCS plante, folgende Arbeitsbereiche abzudecken 473 :<br />

- Unterstützung <strong>der</strong> Verletzen, <strong>der</strong> HelferInnen <strong>und</strong> Familienmitglie<strong>der</strong> in<br />

Katastrophenfällen,<br />

- konkrete Hilfe bei Massenveranstaltungen, im Notfall seelisch-psychische<br />

Hilfeleistung,<br />

- Beteiligung an Rettungsaktionen bei Verkehrsunfällen, Beschäftigung mit <strong>den</strong><br />

Überleben<strong>den</strong> <strong>und</strong> Familienmitglie<strong>der</strong>n,<br />

- Unterstützung <strong>der</strong> Betroffenen <strong>und</strong> Angehörigen bei Terroranschlägen bzw.<br />

terroristischen Aktivitäten,<br />

- Hilfeleistung in Krisensituationen aufgr<strong>und</strong> von Arbeitstätigkeiten <strong>und</strong><br />

- seelisch-psychische Versorgung <strong>der</strong> Opfer von Natur- <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Katastrophen.<br />

Vergleicht man die Aktivitäten <strong>der</strong> GYOLCS <strong>und</strong> <strong>der</strong> NFS, dann fehlen folgende<br />

Aktivitäten aus dem Aufgabenbereich: Unterstützung <strong>der</strong> Familie <strong>und</strong> des Umfeldes in<br />

Suizidfällen, die Unterstützung von Suizidgefährdeten, Übermittlung <strong>der</strong><br />

Todesnachricht, Unterstützung <strong>der</strong> Familie <strong>und</strong> Beteiligten bei plötzlichen Todesfällen.<br />

Da aber <strong>der</strong> Katastrophenschutz die Arbeit <strong>der</strong> GYOLCS nie beanspruchte, funktioniert<br />

diese Gruppe in Ungarn zur Zeit nicht 474 . Ihre Arbeit wird erst sichtbar, wenn sich im<br />

Ausland eine größere Katastrophe ereignet <strong>und</strong> die Gruppe in solchen Fällen mit<br />

einigen Personen <strong>den</strong> Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> zu Hilfe eilt. Die GYOLCS wird von <strong>der</strong><br />

baptistischen Seelsorge weiter am Leben erhalten, die an<strong>der</strong>en Kirchen beteiligen sich<br />

nicht daran. Ihre Aktivitäten finanziert sie durch Spen<strong>den</strong>.<br />

Auch die reformierte Kirche hatte eine Gruppe geformt, <strong>der</strong>en Aufgabe aber eindeutig<br />

auf die Beseitigung <strong>der</strong> Gefahren ausgerichtet war. Hierzu wur<strong>den</strong> Personen rekrutiert,<br />

welche die da<strong>für</strong> notwendigen technischen Geräte bedienen konnten. Die Gruppe sucht<br />

472<br />

Tamás Nyíri meint, dass wir aufgr<strong>und</strong> unserer Religionsausübung in großem Maße <strong>für</strong> unser verzerrtes<br />

Gottesbild <strong>und</strong> das <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en verantwortlich sind. Vgl. NYÍRI, Mélylélektan és ateizmus, 902.<br />

473<br />

Eine Betreuung bei Brandfällen gibt es auch bei NFS-Organisationen nicht in allen untersuchten<br />

Diözesen.<br />

474<br />

Das sich fortwährend än<strong>der</strong>nde, staatliche Katastrophenschutzorgan konnte mit dieser kirchlichen <strong>und</strong><br />

zivilen Initiative nichts anfangen, dies wird aber auch später noch angeführt.<br />

200


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

nun seit ihrer Gründung vor mehr als fünf Jahren ihren exakten Aufgabenbereich, wobei<br />

Seelsorge, wenigstens zur Zeit, keinesfalls in das Konzept passt. 475<br />

Es gab bereits zivile Initiativen auf diesem Gebiet. Bei Katastrophenfällen hatten etwa<br />

PsychologInnen in ad-hoc-Manier Stu<strong>den</strong>tInnen <strong>der</strong> psychologischen Fakultäten<br />

angeworben, um sie, unter <strong>der</strong> Führung eines/r Experten/in bzw. des Pfarrers, <strong>der</strong> in<br />

dem Katastrophengebiet dient, zu beteiligen. Diese Aktivität wollten sie aber ohne ein<br />

umfassendes, jeweils auf eine gegebene Situation abgestimmtes, Konzept ausführen.<br />

Diese Konzeptlosigkeit hat die Planbarkeit <strong>und</strong> die Kooperation mit an<strong>der</strong>en<br />

Organisationen praktisch unmöglich gemacht. 476<br />

Das KIT-Informationsblatt des Landes Steiermark 477 berichtet im Jahre 2006 über ein<br />

gemeinsames Projekt mit dem Ungarischen Katastrophenschutz. In diesem Rahmen hat<br />

<strong>der</strong> Organisator des Grazer KIT, Edwin Benko, zwei Kurse gehalten. Dies hätte ein<br />

neuer Schritt zur Einglie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> ungarischer Kirchen <strong>und</strong> Zivilorganisationen in die<br />

Organisation sein können, <strong>den</strong>n das „Grazer Modell“ baut auf SeelsorgerInnen <strong>und</strong><br />

bezieht ihre Arbeit als „Extra-Dienstleistung“ in die Aufgabenverteilung mit ein.<br />

Obwohl die Initiative nach <strong>den</strong> bei<strong>den</strong> Kursen theoretisch noch besteht <strong>und</strong> es sogar<br />

neue Trainings gibt, da <strong>für</strong> solche Projekte EU-För<strong>der</strong>gel<strong>der</strong> beansprucht wer<strong>den</strong><br />

können, kam es zu keinen Einsätzen, da niemand die Organisation zu Hilfe rief. Den<br />

Hauptgr<strong>und</strong> hier<strong>für</strong> sieht die österreichische Organisation im Fehlen eines Konzepts.<br />

Folgende Karikatur, die nach dem Scheitern <strong>der</strong> Initiative im „Organisationsblatt“<br />

erschienen ist, fasst die Erfahrungen des Grazer KIT sehr deutlich zusammen.<br />

475 Vgl. http://www.jobbadni.hu/ [abgerufen am 07.03.2011].<br />

476 Vgl. http://www.nol.hu/tud-tech/20101231-ha_rank_szakad_a_baj [abgerufen am 07.03.2011].<br />

477 Vgl. KIT-NEWS November 2006, www.kit.steiermark.at [abgerufen am 07.03.2007].<br />

201


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

1.Abbildung: KIT-Nachrichtenblatt 478<br />

Die bisherigen Initiativen zeigen also, dass eine Gruppierung <strong>und</strong> die Organisation eines<br />

Trainings noch nicht per se bedeuten, dass die Aufgabe gelöst ist. Die Integration <strong>der</strong><br />

„irgendwie organisierten“ Gruppe in <strong>den</strong> Katastrophenschutz <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Nutzung in<br />

Katastrophenfällen <strong>und</strong> Einsätzen konnte noch keine einzige Organisation<br />

bewerkstelligen.<br />

1.1. Umwelteinflüsse zur Stärkung <strong>und</strong> Schwächung <strong>der</strong> Organisation <strong>der</strong><br />

NFS<br />

Nachdem die bisherigen Erfahrungen <strong>der</strong> Organisationen vom Typ NFS in Ungarn<br />

erläutert wur<strong>den</strong>, sollen nun Umwelteinflüsse erläutert wer<strong>den</strong>, die eine stärkende bzw.<br />

schwächende Wirkung auf eine erfolgreiche Gestaltung <strong>der</strong> Organisation ausüben.<br />

478 KIT-Nachrichtenblatt Februar 2006.<br />

202


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

1.1.1. Umwelteinflüsse zur Schwächung <strong>der</strong> NFS-Organisation<br />

Die wichtigsten Risikoelemente bei <strong>der</strong> Gestaltung einer ungarischen NFS-Gruppierung<br />

sind wie folgt:<br />

1) Die an <strong>der</strong> Rettung beteiligten Personen achten nur auf die körperliche Ges<strong>und</strong>heit<br />

<strong>und</strong> die äußere Bewahrung des Lebens <strong>und</strong> Besitzes, ihre Kräfte konzentrieren sich<br />

darauf. Sie können we<strong>der</strong> psychologischen noch seelischen Beistand leisten,<br />

geschweige <strong>den</strong>n auf mentale Bedürfnisse, Wünsche <strong>und</strong> Fragen achten: Da<strong>für</strong> bleibt<br />

keine Zeit. 479<br />

2) Obwohl die MitarbeiterInnen des IM 480 in einem offenen Brief über die<br />

zukünftigen Tätigkeiten <strong>der</strong> NFS unterrichtet wur<strong>den</strong> <strong>und</strong> auch die rechtliche Lage<br />

innerhalb <strong>der</strong> Gruppe geklärt wurde, gab es <strong>den</strong>noch keine KollegInnen in <strong>den</strong> Rängen<br />

des IM, die verstan<strong>den</strong> hätten, warum so eine Organisation vonnöten ist. Die<br />

KollegInnen des IM verfügen über keine positiven Erfahrungen, sie haben an<strong>der</strong>sartige<br />

schlechte Erfahrungen mit dieser Art <strong>der</strong> Hilfeleistung, daher wurde die Organisation<br />

nicht beansprucht.<br />

Aufgr<strong>und</strong> alter, erstarrter Strukturen kann die Kooperation zwischen dem<br />

Katastrophenschutz <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en Organisationen kaum ausgebaut wer<strong>den</strong>. Die<br />

KatastrophenschutzexpertInnen in <strong>den</strong> Rängen des IM waren es in <strong>den</strong> letzten<br />

Jahrzehnten nicht gewohnt, mit zivilen <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> religiösen <strong>und</strong> kirchlichen<br />

Organisationen zu kooperieren. Die Katastrophenabwehr beschränkte sich auf die<br />

Rettung materieller Güter anhand eines vorgegebenen Protokolls. 481 Vor <strong>der</strong> Wende zur<br />

Demokratie (1990) konnten das Heer <strong>und</strong> lokale staatliche Firmen in die<br />

Scha<strong>den</strong>sbegrenzung miteinbezogen wer<strong>den</strong>, man musste aber nicht mit ihnen<br />

kooperieren, <strong>den</strong>n sie wur<strong>den</strong> vom Staat zur Beteiligung an <strong>der</strong> Rettung aufgefor<strong>der</strong>t. 482<br />

Daher bedurfte es keiner an<strong>der</strong>en Hilfe. Diese Organisationen, die in die Rettung<br />

miteinbezogen wer<strong>den</strong> konnten, wur<strong>den</strong> aufgelöst, an ihre Stelle sollten<br />

479<br />

Vgl. Kapitel 3.<br />

480<br />

Katastrophenschutz in Ungarn<br />

481<br />

Vgl. http://www.itb.hu/ajanlasok/a15/html/a15_10-2.htm [abgerufen am 08.03.2011].<br />

482<br />

Miklós Tomka vertritt die Meinung, dass die Kontrollfunktion <strong>der</strong> Kirchen, die Kirchlichkeit, seit <strong>der</strong><br />

Wende zur Demokratie schwindet <strong>und</strong> dies zu einer Än<strong>der</strong>ung des Stils <strong>und</strong> <strong>der</strong> Art <strong>der</strong> Religiosität<br />

führen muss. Vgl. TOMKA, Hagyományos vallási értékek, 421.<br />

203


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

Selbstverwaltungen treten, die aber we<strong>der</strong> die Gr<strong>und</strong>aufgabe noch die nicht gerade<br />

alltäglichen Situationen meistern konnten. 483<br />

Gleichzeitig wur<strong>den</strong> im Laufe <strong>der</strong> Jahre mehrmals Än<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong><br />

Organisationsstruktur des Katastrophenschutzes vorgenommen. Seine Aktivitäten<br />

wur<strong>den</strong> nach <strong>der</strong> Wende mit <strong>den</strong>en <strong>der</strong> Feuerwehr zusammengezogen. Das Ergebnis<br />

war, dass die Organisation von außen zwar größer schien, de facto kamen aber auf eine<br />

Person mehr Aufgaben zu als vorher. 484<br />

4) Die Kirchenleitung in Ungarn ist auf dem Gebiet <strong>der</strong> kategorialen Seelsorge<br />

unerfahren, konnte mit <strong>den</strong> früheren Pastoralaufgaben <strong>und</strong> <strong>den</strong>en nach <strong>der</strong> Wende nichts<br />

anfangen. 485 Einer <strong>der</strong> offensichtlichsten Gründe hier<strong>für</strong> liegt darin, dass die Diakonie in<br />

<strong>der</strong> ungarischen Kirche über vier Jahrzehnte durch <strong>den</strong> Staat verboten war. Dieser<br />

enorme Erfahrungsrückstand wird durch das Auftauchen neuer Gebiete <strong>und</strong> die<br />

Erfor<strong>der</strong>nis neuer Strukturen <strong>und</strong> Prinzipien noch verschärft. Die Angst vor dem Neuen<br />

erzeugt ein Gefühl <strong>der</strong> Ohnmacht bei <strong>der</strong> Gestaltung neuer Formen. Staatsorgane<br />

können das Aktivwer<strong>den</strong> <strong>der</strong> Kirchen auf diesen Gebieten auch nicht richtig<br />

einschätzen, <strong>den</strong>n es gibt keine vormaligen Beispiele <strong>für</strong> so eine Kooperation. 486 Da<br />

Kirchen bei Katastrophen die Rettungsaktionen niemals professionell unterstützen<br />

konnten, sind sie nun in <strong>der</strong> Gesamtheit aller Kontakte mit vielen Vorurteilen <strong>und</strong><br />

negativen Gefühlen konfrontiert.<br />

5) Der Platz <strong>und</strong> die Rolle <strong>der</strong> LaiInnen in <strong>der</strong> Kirche, <strong>den</strong> Diözesen <strong>und</strong><br />

Organisationen ist in vielen Fällen noch nicht verankert (wie früher schon<br />

angesprochen). Ungarische Kirchen sind hier im Vergleich zu Kirchen im deutschen<br />

Sprachraum schwächer, da LaiInnen in <strong>den</strong> Pfarren keine Pastoralgruppen bil<strong>den</strong>.<br />

LaiInnen haben außerdem kaum bezahlte Arbeitsplätze. 487 In <strong>den</strong> Gemein<strong>den</strong> ist das<br />

Prinzip, dass die Kirche nicht nur dem Klerus gehört, noch nicht verbreitet, daher<br />

483<br />

Vgl. BÁNKI, Önkéntes ha<strong>der</strong>ő, hiányzó képességek in: http://mataszbp.blog.com/tag/6-hirekerdekesegek/<br />

[abgerufen am 08.03.2011].<br />

484<br />

Vgl. http://www.katasztrofavedelem.hu/index2.php?pageid=kozigazgatas_jogszabalyi_hatterg<br />

[abgerufen am 08.03.2011].<br />

485<br />

Diejenige bischöfliche Ansicht, welche sich seit Jahrh<strong>und</strong>erten eingeprägt hat <strong>und</strong> nach <strong>der</strong> Bischöfe<br />

wie Gutsherren über ihren Gläubigen <strong>und</strong> dem Priestertum sitzen. Auch an<strong>der</strong>e Pfarrer halten die<br />

Beziehung zur Diözese <strong>für</strong> formell. Vgl. MOREL, Papok és püspökök. Aufbruch vitaanyag, 25<br />

486<br />

Vgl. ADORJÁN, Egyház a változó társadalomban, in: http://www.evangluth.ro/index.php?mid=195<br />

[abgerufen am 08.03.2011].<br />

487<br />

Die Rolle <strong>der</strong> Weltlichen war in <strong>den</strong> Diözesen unterschiedlich, mal haben Gläubige keine An<strong>der</strong>en um<br />

<strong>den</strong> Altar akzeptiert, o<strong>der</strong> die Priester wussten nichts mit weltlichen MithelferInnen anzufangen. Vgl.<br />

TOMKA, ”Kersztény Magyarország” vagy missziós terület?= Quo vadis Domine?, 265.<br />

204


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

erfolgt das Einbeziehen <strong>der</strong> LaiInnen selbst auf freiwilliger Basis in allen Bereichen nur<br />

schleppend. 488 Bei Katastrophen, wo mangels spezieller Kenntnisse die Priester selbst<br />

oft machtlos sind, ist es <strong>den</strong>kbar, dass eine LaiInnengruppe ohne klerikale Leitung die<br />

Aufgabe ausübt.<br />

6) Das momentane Katastrophenschutzsystem för<strong>der</strong>t die Tätigkeit <strong>der</strong> Zivilen nicht<br />

<strong>und</strong> kann es nicht in die professionelle Tätigkeit integrieren. 489 Deswegen erachten die<br />

Freiwilligen, die sich <strong>den</strong>noch mel<strong>den</strong>, ihre Arbeit als sinn- <strong>und</strong> wertlos. Abgesehen von<br />

<strong>der</strong> Ungewöhnlichkeit dieser Situation liegt ein wichtiger Aspekt auch darin, dass die<br />

offiziell Angestellten um ihren Arbeitsplatz bangen. Sie haben Angst, dass ihre Arbeit<br />

ab dem Moment, in dem Aktivitäten von Freiwilligen übernommen wer<strong>den</strong>, nicht mehr<br />

gebraucht wird. Dieses Phänomen kann die Vernachlässigung <strong>der</strong> KIT-Aktivitäten bei<br />

Katastrophenfällen erklären.<br />

7) Aufgr<strong>und</strong> des Alarmierungssystems, das <strong>für</strong> <strong>den</strong> effizienten Betrieb unbedingt<br />

notwendig ist, besteht zwischen dem Katastrophenschutz, <strong>der</strong> Feuerwehr <strong>und</strong> <strong>den</strong><br />

Rettungsdiensten bzw. <strong>den</strong> KIT- <strong>und</strong> NFS-Gruppen eine Kooperationsabhängigkeit, da<br />

diese Organisationen <strong>für</strong> die Alarmierung an mehreren Stellen einen<br />

„Kommunikationskanal“ nutzen. Diese Situation macht die bei<strong>den</strong> Gruppen zu<br />

„siamesischen Zwillingen“. Das KIT <strong>und</strong> die NFS können ohne <strong>den</strong> Katastrophenschutz<br />

nicht operieren, <strong>den</strong>n im Falle eines Einsatzes bedarf es <strong>der</strong> Erlaubnis <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Verständigung <strong>der</strong> Hilfsorganisationen. Das wird beim jetzigen System nicht<br />

ermöglicht.<br />

Um aber einen effizienten Betrieb gewährleisten zu können, wäre ein entsprechen<strong>der</strong><br />

Code vonnöten, durch dessen Benutzung das Alarmsystem <strong>der</strong> NFS-Einheit<br />

automatisch starten würde. So wäre es möglich, dass die NFS-Einheiten rasch <strong>und</strong><br />

zeitgerecht an <strong>den</strong> Einsatzort gelangen.<br />

8) Das Sozialnetz des Staates <strong>und</strong> das parallel dazu operierende kirchliche Sozialnetz<br />

können sich sehr schwer treffen. Obwohl <strong>der</strong> Staat sich damit von sehr vielen<br />

Sozialaufgaben befreien würde, passen Elemente <strong>der</strong> Systeme kaum zueinan<strong>der</strong> bzw.<br />

kann die Transparenz innerhalb <strong>der</strong> Systeme nicht ermöglicht wer<strong>den</strong>. Dies hat zur<br />

488<br />

Vgl. MÁTÉ-TÓTH, Laikusok az egyházban, in: http://www.vigilia.hu/1998/7/9807mat.html [abgerufen<br />

am 08.03.2011].<br />

489<br />

Weltliche haben nicht genug Fachwissen, Erfahrungen, Menschenkenntnis <strong>und</strong> Geduld. Vgl. MOREL,<br />

Gy., ebd.<br />

205


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

Folge, dass sowohl <strong>der</strong> Staat als auch die Kirche bemüht sind 490 , ihr eigenes Sozialnetz<br />

zu stärken, damit aber trotzdem kein besseres System bil<strong>den</strong>.<br />

9) Zum Betrieb <strong>der</strong> NFS-Dienste fehlen finanzielle Ressourcen. Der Hauptgr<strong>und</strong><br />

hier<strong>für</strong> liegt darin, dass <strong>der</strong> Staat selbst mit Finanzproblemen zu kämpfen hat <strong>und</strong> nicht<br />

plant, die Sozialleistungen weiter auszubauen – es sei <strong>den</strong>n, es können weitere EU-<br />

För<strong>der</strong>gel<strong>der</strong> zur Finanzierung herangezogen wer<strong>den</strong>. Da die Kirchenfinanzierung in<br />

Ungarn auf schwin<strong>den</strong><strong>den</strong> staatlichen Gel<strong>der</strong>n basiert, distanzieren sich auch die<br />

Kirchen von neuen Projekten <strong>und</strong> Investitionen, die mit erheblichem finanziellem<br />

Aufwand verb<strong>und</strong>en sind.<br />

10) Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> niedrigen Löhne sehen sich viele Menschen dazu gezwungen, einen<br />

zweiten Job anzunehmen, um ihren Unterhalt zu sichern. Deshalb ist auch die<br />

Bereitschaft <strong>der</strong> ungarischen Bevölkerung, Freiwilligenarbeit zu leisten, viel niedriger<br />

als in an<strong>der</strong>en untersuchten Staaten. 491 Gleichzeitig sind aber auch die Arbeitslosen in<br />

Ungarn wesentlich desinteressierter <strong>und</strong> können viel schwerer in die Freiwilligenarbeit<br />

eingeb<strong>und</strong>en wer<strong>den</strong> als Arbeitslose im deutschen Sprachraum.<br />

11) Der Mangel an Professionalität ist nicht nur bei TheologInnen, son<strong>der</strong>n auch bei<br />

PsychologInnen typisch. 492 Die Kultur <strong>der</strong> fachlichen Spezialisierung ist auf diesem<br />

Gebiet noch nicht sehr verankert. We<strong>der</strong> unter TheologInnen noch unter<br />

PsychologInnen gibt es ExpertInnenteams, die sich entsprechend spezialisiert haben.<br />

Vergebens waren einige ungarische Initiativen bemüht, österreichische Kontakte zu<br />

nutzen <strong>und</strong> KatastrophenschutzexpertInnen auszubil<strong>den</strong>: In Ermangelung an Übungen<br />

sind die echten ExpertInnen in Ungarn nicht erschienen (Trainingsabbild).<br />

Fehlende Professionalität zeigt sich auch darin, dass die Helfen<strong>den</strong> nicht genau wissen,<br />

wie sie sich vor dem auf sie zukommen<strong>den</strong> Stress <strong>und</strong> vor Traumatisierung schützen<br />

können. Sie erachten dies auch als ein nebensächliches Problem, obwohl die<br />

490<br />

Wie sehr auch die Religionsausübung eingeengt wurde <strong>und</strong> kirchliche Organisationen abgebaut<br />

wur<strong>den</strong>, das Kirchennetz hat die Bevölkerung sowohl vertikal als auch horizontal umspannt.; Vgl.<br />

KAMARÁS, Egyházközség-építők, 152.<br />

491<br />

Vgl. http://www.kormany.hu/hu/nemzeti-eroforras-miniszterium/szocialis-csaladi-es-ifjusagugyertfelelos-allamtitkarsag/hirek/itthon-is-szukseg-van-az-onkentessegre<br />

[abgerufen am 08.03.2011].<br />

492<br />

Priester wer<strong>den</strong> auch heute noch immer nicht entsprechend auf ihre Praxis vorbereitet: we<strong>der</strong> auf <strong>den</strong><br />

Religionsunterricht noch auf die Kommunikation mit <strong>den</strong> Gläubigen, noch auf <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> einer<br />

Gemeinschaft. Sie verfügen we<strong>der</strong> über entsprechende psychologische <strong>und</strong> soziologische Kenntnisse<br />

noch wissen sie, wie man diese anwendet. Vgl. KAMARÁS, Júdások vagy Péterek?, 251.<br />

206


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

Erfahrungen zeigen, dass die Aufarbeitung solcher Erlebnisse eines bewussten <strong>und</strong><br />

professionellen Lösungsprozesses bedarf.<br />

12) Die gesellschaftlich generierte Verän<strong>der</strong>ung von I<strong>den</strong>tität <strong>und</strong> Status des Priesters<br />

verursacht diesem schon an sich Stress, <strong>den</strong>n er muss immer mehr Rollen gerecht<br />

wer<strong>den</strong> 493 <strong>und</strong> die ständige Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Tätigkeitsbereiche verstärkt die innere<br />

Unsicherheit <strong>und</strong> resultiert daher in Wi<strong>der</strong>stand. 494 In <strong>der</strong> Tätigkeit <strong>für</strong> die NFS hat er<br />

eine zusätzliche Rolle, welcher er entsprechen muss – <strong>und</strong> dies verursacht Frust.<br />

1.1.2. Umwelteinflüsse zur Stärkung <strong>der</strong> NFS-Organisation<br />

1) Die Priester <strong>der</strong> ungarischen Diözesen <strong>und</strong> die Zivilbevölkerung haben in<br />

Katastrophenfällen oft spontan Gruppen gebildet <strong>und</strong> so an mehreren Orten Bedürftige<br />

versorgt: Im Laufe des Theiß-Hochwassers im Jahre 2001 eilte eine Gruppe unter <strong>der</strong><br />

Leitung <strong>der</strong> Psychologin Csilla Pető <strong>den</strong> Bedürftigen ohne jegliche Vorbereitung zur<br />

Hilfe. An <strong>den</strong> Aufräumarbeiten in <strong>den</strong> hochwassergeschädigten Gebieten hat sich die<br />

Gruppe aber nicht beteiligt. Interne Tagebücher berichten über Aktivitäten des Malteser<br />

Hilfsor<strong>den</strong>s, die ebenfalls Jugendliche rekrutiert haben, um die gesammelten Spen<strong>den</strong><br />

zu verteilen. 495<br />

2) Kirchliche Traditionen bil<strong>den</strong> eine gute Basis <strong>für</strong> die Kommunikation mit <strong>den</strong><br />

Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> <strong>und</strong> dadurch auch <strong>für</strong> eine effiziente Hilfe. Obwohl Liturgietexte, welche<br />

bei Krisensituationen genutzt wer<strong>den</strong> könnten, noch nicht auf Ungarisch vorliegen,<br />

können einzelne Gebete (z.B. „Hilf uns Maria“ usw.) unterstützend <strong>für</strong> die Seelsorge<br />

verwendet wer<strong>den</strong>. Frühere Erfahrungen auf dem Gebiet <strong>der</strong> Krankenversorgung helfen<br />

auch bei dieser Tätigkeit. Gleichzeitig bieten internationale Liturgietexte eine<br />

Gr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> die Annäherung an solche Situationen. Kamilanermönche waren bemüht,<br />

Zivile auf dem Gebiet des Krankenbesuchs auszubil<strong>den</strong>. Es gibt Krankenhäuser,<br />

493 Iván Kamarás hat folgende Rollen registriert: Theologe, Vertreter <strong>der</strong> Kirchenorganisation,<br />

Kulturvermittler, dienstleisten<strong>der</strong> Beamter, Prediger, Aktionsveranstalter, Vermögensverwalter/-Manager,<br />

Pädagoge, Vater, Mutter, Magier, Gemeinschaftsbildner. Vgl. KAMARÁS, Plébániai lelkipásztorkodás, 21.<br />

494 Vgl. Auf Gr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> letzten Jahre ist auch eine Glaubens- <strong>und</strong> pastorale Krise<br />

aufgetaucht. MÁTÉ-TÓTH, A., Hallgató egyház, 4.in:<br />

http://bokorsopron.fw.hu/index.php?option=com_content&view=article&id=375:mate-toth-andrashallgato-egyhaz&catid=11:eladasok&Itemid=17<br />

[abgerufen am: 05-12-2011].<br />

495 Vgl. Malteser-Ausbildung 2010.<br />

207


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

Pfarrhöfe <strong>und</strong> Diözesen, die ebenfalls dahingehend bemüht sind, spezielle<br />

Kommunikation mit Kranken zu unterrichten. 496<br />

3) Das Zweite Vatikanum hat als Gr<strong>und</strong>lage <strong>und</strong> Fokus <strong>der</strong> theologischen<br />

Reflexion <strong>den</strong> ganzen Menschen. 497 Dies gilt beson<strong>der</strong>s <strong>für</strong> Notlei<strong>den</strong>de, <strong>den</strong>n biblische<br />

Gr<strong>und</strong>lagen, wie z.B. die Geschichte des barmherzigen Samariters, zeigen uns, dass die<br />

Kirche nicht nur Seelen hilft, son<strong>der</strong>n bemüht ist, sich auf <strong>den</strong> ganzen Menschen zu<br />

konzentrieren, um alle Menschen auf <strong>den</strong> Weg <strong>der</strong> Glückseligkeit zu bringen.<br />

Die positive Haltung <strong>der</strong> Gesellschaft zur kirchlichen Diakonie zeigt sich in <strong>den</strong><br />

Umfragen über die Kirche <strong>und</strong> ihrer Diakonietätigkeiten. 498 Eine soziologische<br />

Umfrage, durchgeführt unter <strong>der</strong> Leitung des Soziologen Miklós Tomka, untersuchte<br />

die Beurteilung des Diakoniedienstes <strong>der</strong> Kirche in Ungarn. 499 Das Ergebnis zeigte<br />

eindeutig, dass, während die Gesellschaft die Kirche in vielen an<strong>der</strong>en Belangen kritisch<br />

betrachtet, sie ein positives Bild in Bezug auf die kirchlichen Diakonie-Aktivitäten<br />

bewahrt. Also ist die Beurteilung <strong>der</strong> Kirchen in Bezug auf die Diakoniearbeit besser als<br />

die allgemeine Beurteilung <strong>der</strong> Kirchen. 500<br />

1.2. Schritte <strong>der</strong> Organisation <strong>der</strong> konkreten NFS-Organisationsstruktur:<br />

Die Logframe-Projektplanungsmethode<br />

Im Folgen<strong>den</strong> sollen unter Bezugnahme auf frühere Erfahrungen <strong>und</strong> die kritischen<br />

bzw. för<strong>der</strong>n<strong>den</strong> Elementen des sozialen Umfeldes die konkreten<br />

Gestaltungsmöglichkeiten einer NFS-Organisation untersucht wer<strong>den</strong>. Die <strong>für</strong><br />

Unternehmen in einem Marktumfeld entwickelte Logframe-Methode 501 , die beson<strong>der</strong>s<br />

auf die Problemlösung in Einbeziehung früherer Probleme fokussiert ist, untersucht<br />

496<br />

Vgl. http://www.boldogozseb.ro/04_14_kamillianus_cs.php [abgerufen am 08.03.2011].<br />

497<br />

Ein Denken in einer mehr o<strong>der</strong> weniger christlichen Masse <strong>und</strong> einem Pfarrsystem, welches<br />

ausschließlich die Oberflächen lückenlos abdeckt, muss sich als überholt erweisen, die Raumorganisation<br />

<strong>der</strong> Kirche kann auf ausstrahlende Gemein<strong>den</strong> aufgebaut wer<strong>den</strong>. Vgl. RAHNER, Párbeszéd az egyházban,<br />

204.<br />

498<br />

Vgl. http://min<strong>den</strong>napi.hu/cikk/tarsadalom/jobban-bizunk-a-rendorokben-mint-a-papokban/2011-02-<br />

22/1696 [abgerufen am 08.03.2011].<br />

499<br />

Vgl. TOMKA, Kerszténység a mai Magyarországon, in: http://www.ferencessze.sulinet.hu/tartalom/t_hittan/PMate/23b_mai_magyar_kereszteny.htm<br />

[abgerufen am 08.03.2011].<br />

500<br />

Vgl. ZULEHNER, Isten a kommunizmus után, in:<br />

http://www.keresztenyszo.katolikhos.ro/archivum/2011/01/4.html [abgerufen am 08.03.2011].<br />

501<br />

Vgl. http://www.inspi-racio.hu/inspdocs/200607/23logframekitltse.pdf [abgerufen am 08.03.2011].<br />

208


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

Projekte in <strong>den</strong> folgen<strong>den</strong> Schritten:<br />

A) Situationsanalyse:<br />

1.) Beteiligungsanalyse<br />

2.) Problemanalyse (Aufstellung des Problembaums)<br />

3.) Zielanalyse (Aufstellung des Zielbaumes) – so sind Problem <strong>und</strong> Lösung<br />

gemeinsam ersichtlich<br />

4.) Analyse <strong>der</strong> Alternativen – Verwirklichung des Ziels mithilfe <strong>der</strong> logischen<br />

Rahmenmatrix<br />

B) Projektplanung – Ausfüllen <strong>der</strong> Tabelle:<br />

5.) Projektkomponenten<br />

6.) Externe Faktoren<br />

7.) Indikatoren<br />

209


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

Die Metho<strong>den</strong>struktur kann wie folgt zusammengefasst wer<strong>den</strong> 502 :<br />

Strategische<br />

Ziele<br />

Projektziel<br />

Resultate<br />

Aktivitäten<br />

2. Teilnahmeanalyse<br />

Eingriffsstrategie<br />

PartnerInnen<br />

Indikatoren<br />

Referenzen<br />

Ursprünge <strong>der</strong><br />

Indikatoren<br />

Bereits<br />

erhaltene<br />

Subventionen<br />

Mutmaßungen<br />

Der erste Schritt ist die Untersuchung <strong>der</strong>jenigen Gruppen, die bei <strong>der</strong> Schaffung einer<br />

möglichen NFS-Gruppe notwendig sind. Damit sich die gesellschaftlichen AkteurInnen<br />

in Ungarn 503 bewusst mit ihrer Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> <strong>der</strong> ihrer Gemeinschaft beschäftigen,<br />

sollte die Arbeit in Verbindung mit <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heitsentwicklung planmäßig koordiniert<br />

<strong>und</strong> eine Art von Ges<strong>und</strong>heitskultur entwickelt wer<strong>den</strong>. Hier wäre die Aufgabe <strong>der</strong><br />

502<br />

Vgl. Munkafüzet, Mulitplikátor képzési programhoz, in: http://taylorandtaylor.hu/sziekozgaz/documents/vallalatgazdasagtan_ii_swot_elemzes_segedlet_3.pdf<br />

[abgerufen am 08.03.2011].<br />

35<br />

M. Tomka sagt, dass die Gesellschaft einerseits von <strong>der</strong> wirtschaftlichen Rücklage, an<strong>der</strong>erseits von <strong>der</strong><br />

Stabilität sozialer Verhältnisse, wo Glauben <strong>und</strong> Kirche sich im Zentrum des Lebens befin<strong>den</strong> <strong>und</strong> dies<br />

im Alltag Sicherheit verleihe <strong>und</strong> weltliche Dinge in einer organischen Einheit vereinen würde,<br />

charakterisiert sei. Vgl. TOMKA, Jelentések a vallásról, 34.<br />

210


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

katholischen Kirche – die nach <strong>der</strong> Intention von Gaudium et Spes 504 darin besteht, dem<br />

ganzen Menschen, d.h. mit Leib <strong>und</strong> Seele, zu helfen o<strong>der</strong> diesen eventuell zu retten –<br />

eine sehr wichtige.<br />

Cockerham ist <strong>der</strong> Meinung, dass die Ges<strong>und</strong>heitsentwicklung so sehr die eigenständige<br />

Methode <strong>der</strong> individualisierten Gesellschaften sei, dass in einer Welt, in <strong>der</strong> es keine<br />

echte Wahl <strong>der</strong> Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Lebensführung gibt – wie in <strong>den</strong> ehemaligen<br />

sozialistischen Staaten – das bewusste Achten auf die Ges<strong>und</strong>heit nicht eingeführt<br />

wer<strong>den</strong> kann, da es keine Tradition hat. 505 Gerade deshalb gab es we<strong>der</strong> effizient<br />

organisierte Massenkommunikationskampagnen noch einen gesetzlichen Hintergr<strong>und</strong><br />

o<strong>der</strong> aktive Beratung <strong>für</strong> dieses Themenfeld. 506<br />

Im sozialistischen Ungarn fehlte die institutionelle Betonung <strong>der</strong> individuellen<br />

Verantwortung. Der Mangel an Eigenbestimmung <strong>und</strong> somit auch <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong><br />

Kontrolle über Leben <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit löschte in <strong>den</strong> Menschen jede Art von Motivation<br />

aus. Man war gewohnt, dass Staatsorgane sich um alles kümmerten, <strong>und</strong> etwas An<strong>der</strong>es<br />

konnte man ja auch gar nicht machen. Die Ges<strong>und</strong>heit als Wert wurde devalviert, aber<br />

auch Humanität <strong>und</strong> Eigeninitiative fehlten als Werte aus Sicht des kollektiven<br />

Bewusstseins. 507 Kirchen konnten in dieser Situation bis zur Wende im Jahre 1990 nur<br />

begrenzt <strong>und</strong> unter staatlicher Kontrolle Diakonietätigkeiten durchführen. Während in<br />

<strong>den</strong> westlichen Demokratien die Gefahr eher vom <strong>der</strong> Behenung auf die<br />

Eigenverantwortung ausging, die sehr oft <strong>den</strong> Start gemeinschaftlicher Strategien<br />

verhin<strong>der</strong>te, bedeutete in <strong>den</strong> sozialistischen Staaten die Konzentration auf die zentrale<br />

Macht <strong>und</strong> <strong>der</strong> völlige Kontrollverlust des Individuums eine Falle, in <strong>der</strong> es keine Rolle<br />

gespielt hätte, wenn die Ges<strong>und</strong>heitspolitik ein gutes Ziel gesetzt hätte. Die strukturelle<br />

Situation hätte die Umsetzung nicht möglich gemacht. 508 Im Sinne <strong>der</strong><br />

Aufrechterhaltung <strong>der</strong> Kollektivität kamen so aber we<strong>der</strong> eine Gesellschafts- noch eine<br />

Sozialpolitik zustande. Die Entwicklung des Ges<strong>und</strong>heitswesens blieb bei <strong>der</strong> Erhöhung<br />

504<br />

Vgl. Gaudium et Spes 1, 14 in: http://www.katolikus.hu/zsinat/gs.html [abgerufen am 08.03.2011].<br />

505<br />

Vgl. COCKERHAM, Health and Social Change in Russia and Eastern Europe.<br />

506<br />

Vgl. WHITE / BOJÁN, Hungary. A New Public Health, 341, 43.44.<br />

507<br />

Vgl. CSÁSZI, Interpreting Inequalities in the Hungarian Health System, 275-284.<br />

508<br />

Nach dem Ende des Kommunismus glaubte die Kirche, dass die Leute von sich aus Kirchen aufsuchen<br />

wür<strong>den</strong> <strong>und</strong> man nichts än<strong>der</strong>n müsste. Vgl.: ZUHLEHNER, Isten a kommunizmus után, in: [abgerufen am<br />

05-12-2011].<br />

211


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

<strong>der</strong> Bettzahlen <strong>und</strong> an<strong>der</strong>er quantitativer Faktoren stehen. 509 Fragen <strong>der</strong> seelischen<br />

Aspekte von Ges<strong>und</strong>heit galten jahrzehntelang als Tabu, daher können auch heute die<br />

führen<strong>den</strong> ExpertInnen häufig nichts mit diesem Thema anfangen. Aber auch <strong>den</strong><br />

Kirchen sind die Lebensumstände <strong>der</strong> vom Ges<strong>und</strong>heitswesen versorgten KlientInnen<br />

fremd. Der NFS-Dienst betont aber gerade <strong>den</strong> Zusammenhang zwischen <strong>der</strong> seelischen<br />

<strong>und</strong> körperlichen Ges<strong>und</strong>heit sowie die Wichtigkeit <strong>der</strong> Existenz bzw. Akzeptanz ihrer<br />

institutionellen Formen.<br />

2.1. Die Frage des Betriebsumfeldes<br />

Die erste Abbildung 510 zeigt Gruppen, die von <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> NFS betroffen sind:<br />

Auf <strong>der</strong> Abbildung sind alle Gruppen präsent, <strong>der</strong>en Hilfe bei einem Krisenfall in<br />

Anspruch genommen wer<strong>den</strong> kann. Im Falle <strong>der</strong> NFS knüpft die Kirche – als<br />

Organisation – hier an.<br />

Selbstverständlich lenkt dieses Bild die Aufmerksamkeit auch darauf, dass die Kirche<br />

<strong>den</strong> Betrieb <strong>und</strong> die Kooperationen <strong>der</strong> Gruppe weitgehend berücksichtigen muss, wenn<br />

sie ihre Arbeit in einer tatsächlich effizienten <strong>und</strong> tatkräftigen Gruppe machen möchte.<br />

Wie jedes NFS-Modell, so hat auch eine ungarische Notfallseelsorge darauf zu achten,<br />

dass sie mit ihrem sozialen Funktionsumfeld Kontakt aufbaut. Das tut sie dabei<br />

idealerweise in jedem <strong>der</strong> folgen<strong>den</strong> Kontaktbereiche:<br />

a. Einglie<strong>der</strong>ung in die Kirche <strong>und</strong> in ihre Organisation,<br />

b. konkrete Einglie<strong>der</strong>ung in das Ges<strong>und</strong>heitssystem <strong>und</strong><br />

c. Kontakt zu an<strong>der</strong>en Kirchen.<br />

509 Auch heute verursachen diese Zahlen zwischen Kirche, Staat <strong>und</strong> <strong>der</strong> öffentlichen Hand einen Streit.<br />

Die Prävention hat die mo<strong>der</strong>nen Metho<strong>den</strong> <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heitsbildung <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsentwicklung nicht<br />

integriert (CSÁSZI, L., 1990). Die Tatsache, dass die in <strong>der</strong> Medizin angewendeten soziologischen,<br />

psychologischen, anthropologischen <strong>und</strong> bio-ethischen Gegenstände jahrzehntelang in <strong>der</strong> Palette des<br />

Medizinstudiums gefehlt haben, obwohl diese die Gr<strong>und</strong>lagen <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Ges<strong>und</strong>heitsentwicklung<br />

sind (PIKÓ, 1999a), hat ebenfalls dazu beigetragen.<br />

510 Vgl. Kapitel I.3.2.<br />

212


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

2.1.1. Die Einglie<strong>der</strong>ung in die Kirche <strong>und</strong> in ihre Organisation<br />

Im Zuge <strong>der</strong> Aufarbeitung des Themas dieser Arbeit gelangte <strong>der</strong> Verfasser zu <strong>der</strong><br />

Einsicht, dass die Beispiele, die sich die Umsetzung eines eigenständigen,<br />

diözesanweiten NFS-Modells zum Ziel gesetzt haben, das mit <strong>den</strong> Pfarren kooperiert,<br />

selbst nicht effizient genug arbeiten <strong>und</strong> so im Moment keine Vorbildwirkung <strong>für</strong><br />

Ungarn haben.<br />

Die ungarische Kirche kann kein doppeltes caritativ-soziales Netz aufrechterhalten,<br />

<strong>den</strong>n die ungarische katholische Kirche kämpft schon mit <strong>der</strong> Organisation <strong>und</strong><br />

Aufrechterhaltung des Pfarrsystems, aber mittelfristig wird dieses System die<br />

Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> Pastoral bil<strong>den</strong>. In Ungarn scheint also ein NFS-Netzwerksystem,<br />

welches auf dem traditionellen Pfarrsystem basiert <strong>und</strong> das dessen Ressourcen nutzt,<br />

ähnlich wie die Aktivitäten <strong>der</strong> Caritas o<strong>der</strong> des Malteser Hilfsor<strong>den</strong>s, realistisch.<br />

Selbstverständlich bedeutet das nicht, dass die Pfarren sich nicht funktionell än<strong>der</strong>n<br />

wür<strong>den</strong>. Die prinzipielle Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> Umstrukturierung <strong>der</strong> Aufgabenbereiche <strong>der</strong><br />

Pfarren liegt in <strong>der</strong> Einsicht 511 , dass die Kirchenverwaltung <strong>den</strong> Zielen <strong>der</strong> Kirche<br />

ausgehend von <strong>der</strong> realen Situation dient. 512 Da die Umstände, die eine solche<br />

Än<strong>der</strong>ung früher erschwert hätten (Adelssystem, Güter, dann die Angst, dass das<br />

kommunistische Regime es nicht gestattet, an bestimmten Orten Pfarren zu grün<strong>den</strong>),<br />

weggefallen sind, kann <strong>der</strong> Diözesanbischof aus kirchenrechtlicher Sicht <strong>den</strong> Rahmen<br />

<strong>der</strong> Seelsorge selbst gestalten. 513<br />

Das heutige Pfarrsystem in Ungarn spiegelt eigentlich <strong>den</strong> Zustand <strong>der</strong> 1960er-Jahre<br />

wi<strong>der</strong>. Damals waren, dank <strong>der</strong> großen Seminaristen-Zahlen in <strong>den</strong> 1930ern bis 40ern<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Einteilung <strong>der</strong> Priester in <strong>den</strong> Diözesen, alle Pfarr-, Priester <strong>und</strong> Kaplanstellen<br />

besetzt. Dies ist das „damals“, an das – in Bezug auf die Zahl <strong>und</strong> Versorgung <strong>der</strong><br />

Priester – viele mit Nostalgie zurück<strong>den</strong>ken. Im Leben <strong>der</strong> ungarischen Kirche war die<br />

völlige seelsorgliche Abdeckung <strong>der</strong> 1960er Jahre die große Ausnahme, <strong>der</strong><br />

511 Einige Oberhäupter unserer Kirche wünschen sich, durch ihr Bangen um die Kirche verleitet, dass eine<br />

Art „geistiger“ Eisernen Vorhang fallengelassen wird.. Vgl. MÁTÉ-TÓTH., Katolikus konfliktuskultúra,<br />

34.<br />

512 Zu Zeiten des Kommunismus stagnierte die interne Leitung <strong>der</strong> Kirche, so war <strong>und</strong> ist eine radikale<br />

strukturelle Än<strong>der</strong>ung notwendig. Vgl. ZULEHNER, ebd. 5.<br />

513 Vgl. CIC 515 §2.<br />

213


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

„Gna<strong>den</strong>zustand“. Die momentane Situation entspricht <strong>den</strong> Verhältnissen mehrerer<br />

Jahrh<strong>und</strong>erte. 514 Dadurch ist es möglich, dass einige in Ungarn von einem<br />

Priestermangel sprechen, während an<strong>der</strong>e behaupten, dass dies nicht so sei.<br />

Das praktische Problem wird von dem Umstand verursacht, dass in Ungarn zur Zeit das<br />

„ein Dorf – eine Pfarre mit eigenem Pfarrer – Modell“ tatsächlich verbreitet ist <strong>und</strong><br />

aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> schwin<strong>den</strong><strong>den</strong> Priesterzahlen in einer Dauerkrise steckt. Deren Gewicht<br />

bekommt jede Diözese zu spüren, <strong>den</strong>noch sind Zukunftsbil<strong>der</strong> <strong>und</strong> Pastoralpläne<br />

sämtlicher Diözesen auf die „ein Dorf – ein Pfarrer“ -Struktur ausgerichtet. 515 Es ist also<br />

klar, dass das Problem durch <strong>den</strong> Priestermangel <strong>und</strong> die zu erwartende weitere<br />

Verschärfung <strong>der</strong> Situation verursacht wird. Hier handelt es sich nicht um kurze<br />

Übergangslösungen, son<strong>der</strong>n um das Vorhan<strong>den</strong>sein eines Übergangs, <strong>und</strong> dies ist<br />

praktisch <strong>und</strong> theologisch eine unbefriedigende Lösung. Falls ein Pfarrer mit <strong>der</strong><br />

Betrauung zu vieler Pfarren belastet ist, wird seine Präsenz immer nomineller. Dies<br />

resultiert gleichzeitig in <strong>der</strong> unmäßigen personellen Überlastung des Priestertums, was<br />

<strong>den</strong> Beruf des Priesters weniger attraktiv macht <strong>und</strong> die For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Erfüllung<br />

konkreter Pfarraufgaben ausschließt, <strong>den</strong>n ein einziger Pfarrer kann sie generell<br />

unmöglich erfüllen. 516 Dies hat demoralisierende Wirkungen <strong>und</strong> löst unter <strong>den</strong><br />

Priestern eine I<strong>den</strong>titätskrise aus. 517<br />

2.1.2. Die I<strong>den</strong>titätskrise 518<br />

Die Bedeutung dieses Problemkreises wird dann besser verständlich, wenn wir die<br />

gegenwärtige Praxis beleuchten, dass in <strong>den</strong> Pfarren alle Arten <strong>der</strong> Seelsorge von<br />

lokalen SeelsorgerInnen verrichten wer<strong>den</strong> müssen. Die Frage <strong>der</strong> I<strong>den</strong>titätskrise ist<br />

eine interessante <strong>und</strong> heikle, gleichzeitig ist sie aus <strong>der</strong> Sicht des vorliegen<strong>den</strong> Themas<br />

von gr<strong>und</strong>legen<strong>der</strong> Bedeutung.<br />

514<br />

Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong> Priester wird dieses System bereits in Stufen geteilt. Vgl.<br />

KAMARÁS, ebd.<br />

515<br />

Vgl. ERDŐ Paphiány, in: http://www.tavlatok.hu/5609papi-e-jo.htmgl.<br />

516<br />

Vgl. ERDŐ, Paphiány, in: http://www.tavlatok.hu/5609papi-e-jo.htmgl.<br />

517<br />

Die Positionierung <strong>der</strong> Kirche innerhalb <strong>der</strong> Gesamtkirche bedeutet einen kontinuierlichen Druck. Vgl.<br />

ZULEHNER, ebd.<br />

518<br />

In <strong>der</strong> Beurteilung <strong>der</strong> Rolle <strong>der</strong> Kirche <strong>und</strong> ihrer eigenen Rolle ist das Priestertum unsicher. Vgl.<br />

HALÁSZ / KAMARÁS, Beszélgetés Halász Piusszal papi hivatásokról, 62.<br />

214


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

Worin liegt diese Krise? Je<strong>der</strong> Mensch, auch ein Priester, muss auf die Fragen „Wer bin<br />

ich?“, „Wohin gehe ich?“ eine Antwort fin<strong>den</strong>. 519 Das Streben nach selbstbestimmter<br />

Lebensgestaltung beinhaltet die Entscheidung darüber, was wichtig ist, womit man sich<br />

in diesem Leben <strong>und</strong> Beruf beschäftigen sollte. Des Weiteren muss man bestrebt sein,<br />

Regeln zu gestalten, anhand <strong>der</strong>er das eigene Verhalten <strong>und</strong> das Verhalten an<strong>der</strong>er<br />

beurteilt wird. Davon abgesehen gehören auch das Selbstbewusstsein <strong>und</strong> das<br />

Kompetenzgefühl, also das Gefühl, dass man Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> so helfen kann, dass<br />

dadurch auch eigene Probleme gelöst wer<strong>den</strong> können, dazu. Erik Erikson führte 1968<br />

<strong>den</strong> Begriff <strong>der</strong> „I<strong>den</strong>titätskrise“ <strong>für</strong> <strong>den</strong> aktiven Prozess <strong>der</strong> Selbstbestimmung ein. 520<br />

Die Krise ist hier aber nicht als negativer Wandel aufzufassen, <strong>den</strong>n Erikson<br />

interpretiert das Zweifeln an sich selbst als integrierten Bestandteil <strong>der</strong> ges<strong>und</strong>en<br />

psycho-sozialen Entwicklung, <strong>und</strong> dieser Prozess muss im Leben einer je<strong>den</strong> Person,<br />

die einen Beruf ausübt, mehrmals ablaufen.<br />

Die sich wandelnde Gesellschaft stellt die I<strong>den</strong>tität <strong>der</strong> Priester ständig in Frage, wenn<br />

auch nicht direkt. So taucht die Frage, warum <strong>und</strong> wann ein Priester notwendig ist bzw.<br />

ob <strong>der</strong> Tätigkeitsbereich des Priesters sich in <strong>der</strong> ‚sakralen‘ Versorgung <strong>der</strong> Gläubigen<br />

erschöpft, kontinuierlich auf. 521 Priester wer<strong>den</strong> in unterschiedlichen Lebensstadien 522<br />

mit dieser Frage konfrontiert <strong>und</strong> suchen in externen (Befragung <strong>der</strong> Gesellschaft) o<strong>der</strong><br />

internen Foren (Theologische Tagungen, Priestertreffen) bzw. in kritischen Situationen<br />

in sich selbst die Antwort. I<strong>den</strong>tität wird aber nur theoretisch von <strong>der</strong> Art <strong>der</strong> Aufgaben<br />

bestimmt, die I<strong>den</strong>tifizierung über eine bestimmte Aufgabe kann we<strong>der</strong> Bedingung noch<br />

Erfor<strong>der</strong>nis sein. Dennoch hilft es bei <strong>der</strong> I<strong>den</strong>titätsfindung, wenn man in <strong>der</strong> Lage ist,<br />

zu formulieren, welche Aufgaben einen zum Mitglied einer Gruppe machen.<br />

Diakonieaufgaben decken nicht das ganze Tätigkeitsspektrum <strong>der</strong> Priester ab, gehören<br />

aber zu <strong>den</strong> Basisaufgaben. Gleichzeitig ist aber die Frage, welche möglichen<br />

519<br />

Vgl. http://www.pszicho-logosz.hu/anyagok/i<strong>den</strong>titas.html [abgerufen am 08.03.2011].<br />

520<br />

Vgl. ERIKSON, Az életciklus. Az i<strong>den</strong>titás epigenezise, in: A fiatal Luther és más írások, Siehe auch in:<br />

http://ktnye.akti.hu/index.php/I<strong>den</strong>tit%C3%A1s [abgerufen am 08.03.2011].<br />

521<br />

Vgl. http://www.radiovaticana.org/ung/Articolo.asp?c=318149 [abgerufen am 08.03.2011].<br />

522<br />

Gläubige haben kaum persönliche Kontakte zu <strong>den</strong> Priestern, sie erscheinen lediglich als<br />

Dienstleistende. Vgl. TOMKA, „Keresztény Magyarország” vagy missziós terület?=Quo vadis Domine?,<br />

261.<br />

215


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

Verantwortungsbereiche ein nicht speziell ausgebildeter Priester in <strong>der</strong><br />

Kategorialseelsorge hat, heikel. 523<br />

Eine weitere Folge des Auftauchens <strong>der</strong> I<strong>den</strong>titätskrise des Priestertums ist, dass die in<br />

dieser Phase neben Klerikern tätigen LaiInnen ihren Platz in <strong>der</strong> Kirche nicht so richtig<br />

fin<strong>den</strong> konnten. 524 Obwohl viele LaiInnen erkannt haben, 525 dass die Kirche nicht nur<br />

aus dem Klerus besteht, gab es keine bahnbrechende Än<strong>der</strong>ung – <strong>der</strong> Einbezug von<br />

LaiInnen in <strong>der</strong> Diakonie, die Evaluierung <strong>der</strong> getanen Arbeit <strong>und</strong> die genaue<br />

Bestimmung des Arbeitsrahmens sind we<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Kirche noch innerhalb <strong>der</strong><br />

Diakoniearbeit richtig formuliert, <strong>und</strong> auch nicht interpretiert.<br />

All das hin<strong>der</strong>t das Entstehen einer auch LaiInnen umfassen<strong>den</strong> Gruppe, bei <strong>der</strong> die<br />

Professionalität an erster Stelle – eventuell sogar vor dem Ordo – steht (vgl. Kapitel 2).<br />

2.1.3. Die Kategorialseelsorge in Ungarn<br />

Die Praxis <strong>der</strong> kategorialen Seelsorgeaktivitäten zeigt in Ungarn ein gemischtes Bild,<br />

generell kann aber gesagt wer<strong>den</strong>, dass die Kategorialseelsorge keine wirklich<br />

durchdachte Struktur hat. 526 Es gibt Pfarren, wo auch Diakonieinstitutionen existieren<br />

<strong>und</strong> man bemüht ist 527 , kategoriale Seelsorgeaufgaben zu verrichten. Gleichzeitig gibt<br />

es auch <strong>den</strong> Fall, wo funktionierende, von Kirchen <strong>und</strong> Diözesen betriebene<br />

Institutionen eine Pfarre suchen, <strong>der</strong> die Präsenz dieser Institution wichtig ist bzw. <strong>der</strong><br />

verantwortliche Seelsorger die Präsenz dieser speziellen Institution nicht als Belastung<br />

ansieht. Es gibt Initiativen <strong>für</strong> eine umfassen<strong>der</strong>e, größere Bereiche erfassende<br />

Umstrukturierung <strong>der</strong> Kategorialseelsorge. So sind zum Beispiel Propstbezirke bemüht,<br />

einzelne Segmente <strong>der</strong> Kategorialseelsorge zusammenzufassen <strong>und</strong> eventuell<br />

523<br />

Es gehen Priesteramtskandidaten, die <strong>für</strong> <strong>den</strong> Priesterberuf ungeeignet sind <strong>und</strong> diese wer<strong>den</strong> von<br />

untauglichen Personen mit nichtentsprechen<strong>den</strong> Metho<strong>den</strong> erzogen. Vgl. More ebd. Als Resultat verfügen<br />

unsere Priester über unausgereifte Persönlichkeiten, eine unsichere I<strong>den</strong>tität <strong>und</strong> einer Raum- <strong>und</strong><br />

Menschenkenntnis, die weniger als minimal ist. Vgl. HALÁSZ, KAMARÁS, ebd.<br />

524<br />

Vgl. SZABÓ, Papság válsága az egyház válsága, 4.<br />

525<br />

Vgl. LaiInnen müssen trainiert wer<strong>den</strong>, Aufgabenbereiche müssen gestaltet wer<strong>den</strong>, aber hierzu muss<br />

sich auch das Priestertum weiterbil<strong>den</strong>. Vgl. ZULEHNER, ebd.<br />

526<br />

Vgl. FODOR, Fájdalmasan hiányzó diakóniai tevékenység - A katasztrófalelkészségről,16.; FODOR,<br />

Kolontár –a lelkigondozó szemével, 6.<br />

527<br />

Die momentane Struktur zerfällt in Stücke, zur Zeit ist die ungarische Kirche ein Betrieb, welcher<br />

Sakramente vergibt, <strong>und</strong> ein Bestattungsunternehmen. Vgl. KAMARÁS, ebda.<br />

216


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

gemeinsame Programme zu veranstalten. An manchen Orten leisten mehrere Pfarren<br />

einer Stadt die Krankenversorgung in <strong>den</strong> Krankenhäusern.<br />

Ungarnweit versieht das Militärordinariat einen Teil <strong>der</strong> Kategorialseelsorge. In <strong>der</strong><br />

jüngsten Vergangenheit hat diese kleine Gruppe von Priestern wie<strong>der</strong> einen Bischof<br />

bekommen. 528 Mit <strong>der</strong> Abschaffung <strong>der</strong> Wehrpflicht sollte <strong>der</strong> Strukturaufbau, o<strong>der</strong><br />

noch wichtiger, sollten die funktionellen Aufgaben des Militärordinariates neu überlegt<br />

wer<strong>den</strong>. Es ist leicht einzusehen, dass ein Teil <strong>der</strong> klassischen Aufgaben des<br />

Militärordinariates nicht mehr existiert, gleichzeitig überschreiten sie das<br />

Territorialprinzip an sich. Damit wäre es in <strong>der</strong> Lage, kategoriale Seelsorgebereiche<br />

o<strong>der</strong> eventuell diakonische <strong>und</strong> caritative Organisationen – so auch <strong>den</strong> Betrieb <strong>der</strong> NFS<br />

– zu umfassen, die speziellen Seelsorgebedarf haben <strong>und</strong> deshalb spezielle,<br />

überregionale Kirchenorganisationen benötigen wür<strong>den</strong>.<br />

Nach <strong>der</strong> Wende wur<strong>den</strong> in Ungarn mehrere caritative Organisationen gegründet. Unter<br />

diesen funktionieren die Caritas <strong>und</strong> <strong>der</strong> Ungarische Malteser Hilfsdienst gut. Diese<br />

knüpfen ungarnweit an die Kirchen <strong>und</strong> Pfarren an. Der lebendige Charakter <strong>der</strong><br />

Verbindung zeigt sich auch dann, wenn im Falle einer gravieren<strong>den</strong> Katastrophe ein<br />

Gebiet finanzielle Hilfe benötigt o<strong>der</strong> Hilfsgüter gesammelt wer<strong>den</strong> sollen. Manchmal<br />

wird es zum Problem, dass nicht alle caritativen Organisationen eigene Gruppen<br />

innerhalb einer Region haben, daher zeigen Diözesen <strong>und</strong> Pfarren Kontaktfreudigkeit<br />

<strong>und</strong> Professionalität von unterschiedlicher Intensität. Es kommt vor, dass die Art <strong>der</strong><br />

Hilfeleistung in je<strong>der</strong> Organisation an<strong>der</strong>s betrachtet wird, da <strong>für</strong> Notfälle keine klaren<br />

<strong>und</strong> umfassen<strong>den</strong> <strong>Konzepte</strong> existieren. Es muss auch erwähnt wer<strong>den</strong>, dass <strong>der</strong> Kontakt<br />

caritativer Organisationen zur Kirche, die jeweilige Finanzierungsbasis <strong>und</strong> die<br />

Verantwortung <strong>der</strong> Organisationen nicht bei allen gleich ist. Will man diese Gruppen in<br />

eine NFS-Tätigkeit mit einbeziehen, müssen diese Elemente künftig unbedingt<br />

ausgearbeitet wer<strong>den</strong>.<br />

2.2. Konkrete Einglie<strong>der</strong>ung in das Ges<strong>und</strong>heitssystem<br />

Eine Einglie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> NFS in das Ges<strong>und</strong>heitssystem wird durch die radikale<br />

Än<strong>der</strong>ung des Ges<strong>und</strong>heitswesens in Ungarn ermöglicht. Deren Sinn liegt darin, dass<br />

528 Vgl. http://www.ktp.hu/index.php/tabori-lelkeszi-kar [abgerufen am 08.03.2011].<br />

217


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

<strong>der</strong> Staat zusammen mit <strong>den</strong> MarktakteurInnen in <strong>der</strong> Gesellschaft seinen Pflichten in<br />

Fragen <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heit nachkommt. Die Reformen ließen seit <strong>der</strong> Wende auf sich<br />

warten. Strukturell gab es einige kleinere Än<strong>der</strong>ungen, die wirtschaftlichen Probleme<br />

haben <strong>den</strong> Umbauprozess beschleunigt. Als erster konkreter Schritt wurde (im Jahre<br />

2007) <strong>der</strong> Krankentransport von <strong>der</strong> ambulanten Versorgung (Rettung) getrennt. 529 Dies<br />

ging einerseits mit einem Personalabbau <strong>der</strong> Organisationen, an<strong>der</strong>erseits mit dem<br />

Einbezug von Wirtschaftsunternehmen <strong>und</strong> zivilen Organisationen einher. Der<br />

Rettungsdienst, <strong>der</strong>, wenn man seine frühere Funktionen betrachtet, in einer<br />

Monopollage war, ist bei <strong>der</strong> Arbeit jetzt auf die AkteurInnen <strong>der</strong> Marktwirtschaft sowie<br />

die Kooperation mit zivilen <strong>und</strong> kirchlichen Organisationen angewiesen. Der Gr<strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Umstrukturierungen war, abgesehen von <strong>den</strong> Sparmaßnahmen im Ges<strong>und</strong>heitswesen,<br />

die Ineffizienz <strong>und</strong> Unwirtschaftlichkeit des Ges<strong>und</strong>heitssystems. Verschie<strong>den</strong>e<br />

Umfragen beweisen, dass das ungarische Ges<strong>und</strong>heitswesen, obwohl es sich<br />

hinsichtlich <strong>der</strong> Kosten im europäischen Vergleich im Mittelfeld befindet, hinsichtlich<br />

<strong>der</strong> Versorgung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Zufrie<strong>den</strong>heit aber eines <strong>der</strong> Schlusslichter bildet. 530<br />

Der Bedeutungszuwachs <strong>der</strong> Marktperspektive im Ges<strong>und</strong>heitswesen traf in <strong>der</strong><br />

Gesellschaft auf großen Wi<strong>der</strong>stand <strong>und</strong> warf Fragen bezüglich <strong>der</strong> Geltung des<br />

Solidaritätsprinzips auf.<br />

Ein marktorientiertes Ges<strong>und</strong>heitswesen offenbart soziale Unterschiede auf markante<br />

Weise. Deshalb wird die von ihm auch verursachte soziale Ungleichheit beim NFS-<br />

Betrieb noch offensichtlicher. Der NFS-Dienst <strong>der</strong> Kirchen arbeitet – aus <strong>der</strong> Motivation<br />

des Dienstes heraus, im Sinne <strong>der</strong> Kasseler These – unabhängig von <strong>der</strong> sozialen <strong>und</strong><br />

nationalen Zugehörigkeit <strong>der</strong> Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong>. Er ist eine in vielen Fällen aus Freiwilligen<br />

bestehende Diakoniegemeinschaft, <strong>der</strong>en Betrieb nicht in je<strong>der</strong> Hinsicht <strong>den</strong> Regeln des<br />

Marktes folgt. Daher lin<strong>der</strong>t die NFS in entwickelten Staaten auch soziale Ungleichheiten.<br />

Bezüglich ihres Betriebs <strong>und</strong> ihres Verhältnisses zum Markt unterscheidet sich die NFS<br />

also von an<strong>der</strong>en Ges<strong>und</strong>heitsorganisationen.<br />

Es ist auch bemerkenswert, dass Freiwilligenarbeit laut verschie<strong>den</strong>er Statistiken in<br />

Gesellschaften, wo das GDP 531 höher liegt, stärker verbreitet ist. So kommt in diesen<br />

529 Vgl. http://fakoosz.ewk.hu/egeszsegpolitikag [abgerufen am 08.03.2011].<br />

530 Vgl. SOLYMOSI, A mai magyar egészségügy, in: http://www.konzilium.hu/plafon/ve.pdfg, 9<br />

[abgerufen am 11.03.2011].<br />

531 Bruttonationalprodukt.<br />

218


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

Gesellschaften einerseits aus dem öffentlichen Versicherungssystem mehr <strong>für</strong> die<br />

Ges<strong>und</strong>heitsversorgung, an<strong>der</strong>erseits konnten Diözesen durch die Arbeit <strong>der</strong> Freiwilligen<br />

Diakonieinstitute wie die NFS gestalten, mit <strong>der</strong>en Hilfe sie sich an Randbereichen <strong>der</strong><br />

Gesellschaft mit Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> beschäftigen. 532 Die Entstehung dieser Organisationen<br />

wurde nicht nur durch die Anpassung <strong>der</strong> Diözesen an die Umstände vorangetrieben 533 ,<br />

son<strong>der</strong>n auch dadurch, dass bereits mehrere existierende weltliche Rettungstruppen<br />

innerhalb ihrer Organisation Gruppen gestalten, die sich mit <strong>der</strong> Versorgung <strong>der</strong><br />

seelischen Bedürfnisse Notlei<strong>den</strong><strong>der</strong> beschäftigen, um diese Bedürfnisse zu stillen.<br />

Diese weltlichen Rettungsorganisationen vermengen in ihren Aktivitäten Ökonomie <strong>und</strong><br />

Diakonie, aber sie legen bei ihrer Arbeit einen größeren Wert auf die Bedienung <strong>der</strong><br />

Bedürfnisse <strong>der</strong> Wirtschaftlichkeit <strong>und</strong> des Marktes. 534 Diözesen hingegen müssen die<br />

Betonung auf die Diakonie legen. Selbstverständlich gilt sowohl <strong>für</strong> weltliche als auch<br />

<strong>für</strong> kirchliche Organisationen, die eine soziale Arbeit leisten, dass sie in Hinblick auf<br />

die Gesamtheit <strong>der</strong> Aktivitäten ihren Dienst in Harmonie zwischen Theologie <strong>und</strong><br />

Ökonomie anlegen müssen. Während aber bei weltlichen Organisationen die Ökonomie<br />

dominiert, steht bei kirchlichen Organisationen die Theologie im Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>. 535<br />

Die NFS kann als ein Son<strong>der</strong>akteurin des Ges<strong>und</strong>heitswesens im 21. Jahrh<strong>und</strong>ert eine<br />

konkrete Teilnehmerin <strong>und</strong> Gestalterin dieses Marktes sein, dessen wichtigste<br />

Merkmale das Streben nach Effizienz <strong>und</strong> gleichzeitig nach einem hohen<br />

Versorgungsniveau sind.<br />

Die Einnahmen des Ges<strong>und</strong>heitswesens stagnieren o<strong>der</strong> sinken – beson<strong>der</strong>s wegen des<br />

Rückgangs <strong>der</strong> aktiven Bevölkerung, während die Ausgaben – dank <strong>der</strong> Überalterung<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft 536 <strong>und</strong> <strong>der</strong> Entwicklung neuer Technologien – deutlich steigen. Diese<br />

Situation verursacht im Spannungsfeld zwischen Effizienz <strong>und</strong> dem Bedürfnis nach<br />

einer Krankenversorgung auf hohem Niveau immer größere Spannungen. Dem kann mit<br />

532 Vgl. SZIGETI, Önkéntesek szerepe a fejlett piacgazdaságban, in:<br />

http://www.onkentes.hu/formanyom/Az_onkentesseg_szerepe_a_fejlett_piacgazdasagban.pdf 3.<br />

[abgerufen am 08.03.2011].<br />

533 Miklós Tomka sieht die Kirche als <strong>den</strong> Diener <strong>der</strong> Welt <strong>und</strong> al ein System, welches von Person zu<br />

Person <strong>und</strong> Gemeinschaft zu Gemeinschaft reicht. Vgl. TOMKA, Vallásszociológia. In [abgerufen am<br />

29.12. 2011].<br />

534 Vgl. JÄGER, Diakonia mint keresztény vállalkozás, 252.<br />

535 Vgl. ebd. 21.<br />

536 Vgl. DÉZSY, ebd. 28.<br />

219


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

vielen Metho<strong>den</strong>, u.a. durch <strong>den</strong> Miteinbezug neuer AkteurInnen in diesem Sektor,<br />

entgegengewirkt wer<strong>den</strong>.<br />

Für die NFS-Organisationen, in <strong>den</strong>en oft die Freiwilligenarbeit dominiert, ist es nicht<br />

immer einfach, die theologischen <strong>und</strong> ökonomischen Achsen im Gleichgewicht zu<br />

halten. 537 Der Dienst ist aufgr<strong>und</strong> seines Charakters bemüht, in erster Linie die<br />

theologische Dimension zu betonen, ständig neu zu formulieren <strong>und</strong> zu interpretieren.<br />

Die unbegründete Verdrängung <strong>der</strong> ökonomischen Aspekte gefährdet aber die konkrete<br />

Präsenz auf organisierten Märkten. Durch die Geltung <strong>der</strong> Wirtschafts- <strong>und</strong><br />

Marktkonditionen kommt man in <strong>der</strong> NFS aber zur konkreten Implementierung <strong>der</strong><br />

Solidarität. In <strong>der</strong> Gesellschaft interpretieren zurzeit nur wenige Menschen Kirchen als<br />

tatsächliche Marktakteurinnen. Obwohl die Zivilsphäre in <strong>der</strong> Übernahme einiger<br />

Diakonieaufgaben in vielen Fällen eine jahrzehntelange Tradition hat, gilt die Kirche in<br />

diesem Sektor in vielen Fällen als neue Akteurin, obwohl sie auch Krankenhäuser<br />

betreibt. Die Ist-Situation zeigt, dass es <strong>den</strong> schon früher etablierten Organisationen in<br />

Ungarn nicht gelungen ist, <strong>den</strong> gesamten Aufgabenbereich <strong>der</strong> seelisch-körperlichen<br />

Hilfeleistung abzudecken. Sie sind beson<strong>der</strong>s auf die Begegnung seelisch-spiritueller<br />

Bedürfnisse nicht vorbereitet. Auf diesem Gebiet haben also die Kirchen neue<br />

Möglichkeiten <strong>und</strong> Aufgaben. Unter <strong>den</strong> sogenannten Kategorialseelsorgegebieten kann<br />

eine dieser neuen Möglichkeiten bzw. Aufgaben die Notfallseelsorge sein.<br />

Beim Betrieb <strong>der</strong> NFS ist <strong>für</strong> die Kirchen ein neuer <strong>und</strong> ungewöhnlicher Aspekt, dass<br />

nicht nur die Organisation selbst Erwartungen an sich stellen kann – dies charakterisiert<br />

die typische Betriebsform <strong>der</strong> Kirche –, son<strong>der</strong>n es müssen auch unter weltlichen<br />

Erwartungen eingestufte Ökonomieaspekte zur Geltung kommen.<br />

Kirchliche Organisationen, so auch die NFS, müssen die Zentren <strong>der</strong> regionalen<br />

Rettungsdienste aufsuchen <strong>und</strong> entsprechende Kontaktpunkte suchen. Wo rechtliche<br />

Rahmen bereits vorbereit sind, muss man lediglich die Kooperationsmöglichkeiten<br />

nutzen können. Die wichtigsten Elemente <strong>der</strong> Implementierung des Modells müssen<br />

schriftlich festgehalten <strong>und</strong> mit <strong>den</strong> zukünftigen kooperieren<strong>den</strong> PartnerInnen eine<br />

Vereinbarung getroffen wer<strong>den</strong>, bei <strong>der</strong> das genaue Ziel <strong>der</strong> Kooperation, <strong>der</strong> Rahmen<br />

<strong>und</strong> die Konditionen schriftlich festgehalten wer<strong>den</strong>, damit eine reine Einsatz- <strong>und</strong><br />

537 Vgl. JÄGER,, ebd. 21.<br />

220


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

Abhängigkeitsordnung entsteht <strong>und</strong> die eventuellen Überlappungen herausgefiltert<br />

wer<strong>den</strong> können. Die Klärung dieser Fragen ist auch deshalb wichtig, weil dabei<br />

offensichtlich wird, welche <strong>der</strong> zu verrichten<strong>den</strong> Aufgaben die Diözese selbst nicht<br />

abdecken kann <strong>und</strong> dabei deshalb die Hilfe an<strong>der</strong>er kooperieren<strong>der</strong> Organisationen<br />

braucht (z.B. Alarmierungszentrale).<br />

Damit die mehrere Jahrh<strong>und</strong>erte alte Rolle <strong>der</strong> Kirche in <strong>der</strong> Gesellschaft nicht weiter<br />

abnimmt, son<strong>der</strong>n wie<strong>der</strong> stärker wird, ist - abgesehen von <strong>der</strong> Sicherung <strong>der</strong> gesetzlich<br />

vorgeschriebenen Ressourcen - <strong>der</strong> regelmäßige Dialog zwischen <strong>der</strong> Kirchenführung<br />

<strong>und</strong> <strong>den</strong> politischen EntscheidungsträgerInnen vonnöten. Dies ist beson<strong>der</strong>s zur Zeit <strong>der</strong><br />

Reformen wichtig, beson<strong>der</strong>s auch dann, wenn Institutionsfinanzierungsfragen <strong>der</strong><br />

Kirche in diversen Abkommen <strong>und</strong> Vereinbarungen fixiert wer<strong>den</strong>. 538<br />

Das eigentliche Problem liegt darin, dass die Kirche zur Zeit lediglich mit <strong>den</strong> Gefahren<br />

<strong>der</strong> durch die Ges<strong>und</strong>heitsreform entstan<strong>den</strong>en „Krisensituation“ beschäftigt ist – teils<br />

berechtigt, <strong>den</strong>n durch die einseitige Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Institutionsfinanzierung wur<strong>den</strong> die<br />

Rechte <strong>der</strong> Kirchen verletzt. 539 Gleichzeitig konzentrieren sich die Kirchen in dieser<br />

Situation aber nicht auf die Chancen <strong>der</strong> Än<strong>der</strong>ung. Tatsache ist, dass die Kirchen auf<br />

dem Gebiet <strong>der</strong> traditionellen Krankenhausversorgung weniger Möglichkeiten haben,<br />

präsent zu sein. Aber <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heitssektor hat mehrere „weiße Flecken“, die Kirchen<br />

könnten ihre MitarbeiterInnen umgruppieren, dadurch das Sozialnetz stärken, <strong>und</strong> im<br />

Endeffekt wäre die soziale Basis <strong>der</strong> Kirche gestärkt. Dadurch könnte sie ihre Mission<br />

<strong>für</strong> die Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> besser erfüllen.<br />

2.3. Praktische Schritte bezüglich des Reformprozesses im ungarischen<br />

Ges<strong>und</strong>heitswesen<br />

Im Bewusstsein, dass in einem sich verän<strong>der</strong>n<strong>den</strong> Ges<strong>und</strong>heitsumfeld die tagtäglich<br />

ankommen<strong>den</strong> Kranken 540 von einem immer frustrierteren Ges<strong>und</strong>heitspersonal<br />

empfangen wer<strong>den</strong>, haben die AutorInnen <strong>der</strong> Reformen auch Än<strong>der</strong>ungen<br />

538 Wir müssen neue Wege fin<strong>den</strong>, wenn wir dem Evangelium treu bleiben wollen, damit wir die frohe<br />

Botschaft in mehreren Sprachen verkün<strong>den</strong> können. Vgl. KAMARÁS, ebd.<br />

539 Vgl. Kapitel II.<br />

540 Vgl. http://www.gondola.hu/cikkek/51699-Mikola__Merre_tartanak_az_agylabak__.html [abgerufen<br />

am 09.03.2011].<br />

221


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

vorgeschlagen, die sowohl auf <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> Dienstleisten<strong>den</strong> als auch auf <strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Finanzieren<strong>den</strong> eine Funktionsverbesserung ergeben wird:<br />

1) Mithilfe des Nationalen Entwicklungsplanes wollen sie eine vollkommene<br />

Neuskizzierung <strong>der</strong> Kapazitäten <strong>der</strong> Dienstleisten<strong>den</strong> garantieren, die mit <strong>der</strong><br />

Gestaltung neuer Krankenhausstrukturen <strong>und</strong> (mikro)regionaler Versorgungseinheiten<br />

sowie <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>nisierung bestehen<strong>der</strong> Strukturen einhergeht. 541 Die Überlegung kann<br />

auch daher gut sein, da die Mikroregionen selber wissen, was sie in ihrer Region<br />

benötigen. Auch die Finanzierung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Betrieb sind auf kleineren Gebieten<br />

übersichtlicher <strong>und</strong> kontrollierbarer.<br />

2) Man will neu motivierte Dienstleistende (zur Zeit ein immer frustrierteres<br />

Ges<strong>und</strong>heitspersonal) unter Anwendung aller Mittel des Qualitätsmanagements <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Qualitätsentwicklung 542 – <strong>und</strong> <strong>der</strong> gleichzeitigen Schaffung einer neuen Interessiertheit<br />

– zu besserer Arbeit motivieren. Angefangen von <strong>der</strong> Akkreditierung über die<br />

Bestimmung <strong>der</strong> Fachprotokolle einschließlich des Standardsystems will man<br />

hinterfragbare Zustände generieren. Daneben ist die Gestaltung von Indikatoren zur<br />

Evaluierung <strong>der</strong> Dienstleistungen unumgänglich, da diese <strong>den</strong> Kontrollbehör<strong>den</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Bevölkerung bei <strong>der</strong> externen Kontrolle helfen.<br />

3) Bei <strong>der</strong> Neugestaltung des Dienstleistungshintergr<strong>und</strong>es will man<br />

Organisationsformen fin<strong>den</strong>, die einen flexibleren <strong>und</strong> transparenteren Betrieb<br />

garantieren. Das Zeitalter <strong>der</strong> bloßen Budgetorganisationen im Ges<strong>und</strong>heitswesen ist<br />

auch in Ungarn vorbei, <strong>den</strong>n im Falle dieser Betriebsform sind die Aufgaben des<br />

Managements in Form von Verantwortung <strong>und</strong> Verfahrensrechten nicht mit dem<br />

Finanzierungshintergr<strong>und</strong> im Einklang. 543<br />

4) Jenseits des zentral gesteuerten Krankenversorgungssystems existieren bis dato<br />

räumlich nicht vorgesehene Funktionen im jetzigen Ges<strong>und</strong>heitssystem. 544 Da diese<br />

Lokaleffizienz mit einem Verlust einhergeht, ist die Erhöhung <strong>der</strong> Zahl von<br />

Organisationen, die neben einer starken zentralen Kontrolle an <strong>der</strong> Krankenversorgung<br />

beteiligt sein können, unbedingt erwünscht. Sollten diese Organisationen auch eine<br />

541 Vgl. http://weborvos.hu/egeszsegpolitika/korhazi_struktura/81877/ [abgerufen am 09.03.2011].<br />

542 Vgl. TOPÁR/ GULÁCSI, Minőségfejlesztés-vezetési rendszerek, 28-31.<br />

543 http://www.kormany.hu/hu/nemzeti-eroforras-miniszterium/egeszsegugyert-felelosallamtitkarsag/hirek/semmelweis-terv-az-egeszsegugy-megmentesere<br />

[abgerufen am 09.03.2011].<br />

544 Vgl. http://www.motesz.hu/index.php?gr=248 [abgerufen am 09.03.2011].<br />

222


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

Dienstleistungskaufrolle ausüben können, dann würde dies sowohl auf <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong><br />

Finanzierung als auch <strong>der</strong> Dienstleistung die Systemeffizienz weiter erhöhen. Wichtig<br />

ist, das Interesse sowie die Langzeitkonzentration <strong>der</strong> Versorgungsverantwortung in<br />

einer Hand zu haben, <strong>den</strong>n dies resultiert im Auftauchen <strong>der</strong> Präventionsperspektive im<br />

System. Die Gestaltung <strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Versorgungsebene definierten Kompetenzen <strong>und</strong><br />

Krankenwege können – zusammen mit <strong>der</strong> Anwendung an<strong>der</strong>er Mittel – <strong>den</strong> Erfolg <strong>der</strong><br />

Versorgung zur richtigen Zeit am richtigen Ort garantieren.<br />

Die Reform des Ges<strong>und</strong>heitssystems in Ungarn hat – wie bereits erwähnt – auch <strong>den</strong><br />

Einbezug neuer Dienstleistungen ermöglicht <strong>und</strong> neuen AkteurInnen Spielraum geboten<br />

sowie die Schaffung neuer Strukturen ermöglicht. In dieser Situation haben auch<br />

Kirchen neue Möglichkeiten, ihre Rolle im Ges<strong>und</strong>heitssystem neu zu interpretieren.<br />

Dies bedarf allerdings einer bewussten <strong>und</strong> konkreten Strategie. Die Seelsorge wurde<br />

auch mühsam gestartet <strong>und</strong> die Kirchen sind in ambulanten Fällen bei <strong>der</strong> Versorgung<br />

lediglich sporadisch in Erscheinung getreten. Internationale Erfahrungen zeigen, wie<br />

bereits angesprochen, dass überall dort, wo die NFS-Aktivität <strong>der</strong> Kirche akzeptiert <strong>und</strong><br />

anerkannt ist – selbst wenn es sich um in verschie<strong>den</strong>en Staaten <strong>und</strong> regional<br />

unterschiedlich operierende Ges<strong>und</strong>heitsorganisationen handelt – die NFS beträchtliche<br />

Arbeit leisten kann. Dadurch wird die Offenheit <strong>und</strong> Bereitschaft <strong>der</strong> Gläubigen <strong>für</strong> die<br />

Diakonie gestärkt. Die Organisation <strong>der</strong> NFS ist eine Struktur im Ges<strong>und</strong>heitswesen, die<br />

da<strong>für</strong> sorgt, dass die Solidarität neben <strong>den</strong> Geschäftsinteressen nicht verloren geht.<br />

2.4. Kontakt zu an<strong>der</strong>en Kirchen<br />

Im Sinne <strong>der</strong> Kasseler These 545 hat die NFS einen ökumenischen Charakter 546 , d.h. es<br />

ist auch wichtig, dass sich Seelsorgerinnen <strong>und</strong> Seelsorger an<strong>der</strong>er Kirchen in die<br />

Aktivität einschalten. Die Kategorialseelsorge bei <strong>den</strong> an<strong>der</strong>en Kirchen ist mit <strong>den</strong><br />

Pfarrern <strong>der</strong> Gemein<strong>den</strong> verb<strong>und</strong>en, bis hin zu von Kirchen betriebenen Sozialinstituten,<br />

wo man bemüht ist, einen Priester als Institutionsleiter zu ernennen. Ein Teil <strong>der</strong><br />

staatlichen Sozialinstitute – Krankenhäuser, Schulen – ist bemüht, Priestern<br />

traditionsreicher Kirchen selbstständige Arbeitsplätze zu verschaffen.<br />

545 Vgl. MÜLLER-LANGE, Handbuch Notfallseelsorge, 20.<br />

546 Zukünftig ist <strong>für</strong> die Planung eine neue christliche (ökumenische) Strategie notwendig. Vgl.<br />

KAMARÁS, ebd.<br />

223


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

Nach <strong>der</strong> Meinung vieler können sich reformierte Kirchen bezüglich <strong>der</strong><br />

Kategorialseelsorge vieler Initiativen rühmen, ihre Aktivitäten sind auf bestimmten<br />

Gebieten (z.B. <strong>der</strong> Krankenhausseelsorge) kontinuierlich, die Möglichkeit <strong>der</strong><br />

Spezialisierung wird sogar als eigenständiges Training angeboten, um die fachgerechte<br />

Besetzung <strong>der</strong> Krankenhausseelsorgeposten zu ermöglichen. In Bereichen, wo die<br />

staatliche Finanzierung <strong>der</strong> Aktivität eine sichere Gr<strong>und</strong>lage bot, wurde die<br />

Zusammenarbeit unter <strong>den</strong> historischen Kirchen begonnen. Dort, wo <strong>der</strong> Staat nicht<br />

mitfinanziert, sollten die Hilfsorganisationen o<strong>der</strong> eventuell die Diözesen die<br />

Finanzierungsfrage lösen. In vielen Fällen waren LeiterInnen bestehen<strong>der</strong> Institutionen<br />

phantasielos im Blick auf solche Organisationen o<strong>der</strong> erachteten die neue Form als<br />

Konkurrenz, womit sie eine gemeinsame Initiierung bzw. Durchführung<br />

kategorialseelsorglicher Aktivitäten verhin<strong>der</strong>ten.<br />

Der Kontakt zwischen <strong>den</strong> verschie<strong>den</strong>en Kirchen 547 besteht in Ungarn nur in Form <strong>der</strong><br />

ökumenischen Gebetswoche, <strong>und</strong> eine tatsächliche gemeinsame Aktivität, abgesehen<br />

vom Gebet, existiert nur in Krankenhäusern <strong>und</strong> kirchlichen Schulen, aber auch hier<br />

sind die Kontakte eher formeller Natur. Die baptistische Caritas hatte in <strong>der</strong><br />

Vergangenheit eine <strong>der</strong> NFS ähnliche Organisation ins Leben gerufen, diese Initiative<br />

fand aber seitens <strong>der</strong> historischen Kirchen keine positive Aufnahme. Auch im Jahre<br />

2010 wurde eine baptistische <strong>und</strong> reformierte Gruppe losgeschickt, um auf Haiti zu<br />

helfen, während die katholische Kirche geson<strong>der</strong>t eine Sammelaktion gestartet hat <strong>und</strong><br />

die (materiellen <strong>und</strong> monetären) Güter, unabhängig von an<strong>der</strong>en Kirchen o<strong>der</strong><br />

Organisationen, <strong>den</strong> Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> zukommen ließ. Keinem/r <strong>der</strong> LeiterInnen kam <strong>der</strong><br />

Gedanke, die Kräfte in so einer Notlage zu bündeln.<br />

Wenn in Ungarn heute ein Unfall passiert, bei dem auch mentale Hilfeleistung<br />

gebraucht wird, kann keine <strong>der</strong> historischen Kirchen eine eigene professionelle Gruppe<br />

an <strong>den</strong> Katastrophenort schicken, die mit <strong>den</strong> Freiwilligen <strong>der</strong> Hilfsorganisationen<br />

an<strong>der</strong>er Kirchen zusammenarbeiten könnte o<strong>der</strong> wollte. Dies kann <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong> da<strong>für</strong> sein,<br />

dass bei größeren Unfällen o<strong>der</strong> zu Zeiten von Hochwasser die Kirchen <strong>den</strong><br />

Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> <strong>und</strong> ihrem Umfeld keine Art von professioneller seelischer o<strong>der</strong> mentaler<br />

Hilfe leisten können.<br />

547 Die Akzeptanz <strong>der</strong> gemeinsamen Werte <strong>und</strong> Strategien <strong>der</strong> Interreligionen, sowie die Nähe <strong>der</strong><br />

Interreligionen <strong>und</strong> Weltwissenschaften ist unerlässlich. Vgl. KAMARÁS, ebd.<br />

224


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

2.5. Problemanalyse (Aufstellung des Zielbaumes)<br />

Bei <strong>der</strong> Problemanalyse wer<strong>den</strong> Faktoren formuliert, die bei <strong>der</strong> Projektgestaltung o<strong>der</strong><br />

beim Projektbetrieb gelöst wer<strong>den</strong> müssen bzw. in sich selbst Hin<strong>der</strong>nisse <strong>für</strong> die<br />

erfolgreiche Projektimplementierung darstellen können. 548 Es ist offensichtlich, dass<br />

viele auf vielerlei Weise bemüht waren, einen Seelsorgedienst zu starten, wobei aber<br />

keines <strong>der</strong> Modelle funktionierte. Die Gründe <strong>für</strong> die Misserfolge können wie folgt<br />

zusammengefasst wer<strong>den</strong>:<br />

- Psychische <strong>und</strong> seelische Bedürfnisse <strong>der</strong> Personen in Notlagen wer<strong>den</strong> in <strong>den</strong><br />

Hintergr<strong>und</strong> gedrängt, da <strong>der</strong> Katastrophenschutz lediglich auf die Rettung von<br />

Menschenleben <strong>und</strong> finanziellen Gütern konzentriert ist <strong>und</strong> die mentale Hilfe nicht zu<br />

seinen Aktivitäten gehört. Die Erfahrungen <strong>der</strong> letzten Jahrzehnte zeigen aber, dass<br />

nach <strong>der</strong> Hilfeleistung die Zufrie<strong>den</strong>heit <strong>und</strong> <strong>der</strong> Umfang <strong>der</strong> inneren Heilung ohne<br />

mentale Hilfe viel geringer sind. Die Schnelligkeit <strong>der</strong> Traumabewältigung hängt nur<br />

zum Teil von <strong>der</strong> finanziellen Entschädigung ab. Ohne psychische Unterstützung<br />

können viele trotz Entschädigungen das Geschehen nicht verarbeiten.<br />

- Die Umgestaltung des Warnsystems des Katastrophenschutzes <strong>für</strong> die Bedürfnisse <strong>der</strong><br />

NFS verläuft schwierig, <strong>den</strong>n sie steht unter kirchlicher Aufsicht. Gleichzeitig ist dies<br />

aus <strong>der</strong> Sicht des Themas ein „Todesfaktor“ 549 , <strong>den</strong>n falls die NFS aus dem<br />

Alarmsystem ausgeschlossen bleibt, ist bei <strong>den</strong> Einsätzen eine mentale Hilfeleistung<br />

praktisch unmöglich (im Falle <strong>der</strong> „ersten Grazer Notfallseelsorgeorganisation“ 550 hat<br />

die Realität dies eindrucksvoll gezeigt). Der <strong>Aufbau</strong> eines eigenen Alarmsystems würde<br />

unmäßige Ressourcen benötigen, daher gibt es keine sinnvolle Alternative dazu, dass<br />

die NFS sich bei <strong>den</strong> staatlichen BetreiberInnen des Alarmierungssystems akkreditieren<br />

lässt. Der spezielle Alarmierungsbedarf muss mit einem speziellen Alarmierungscode<br />

gelöst wer<strong>den</strong> können, <strong>den</strong> alle potentiell an <strong>der</strong> Alarmierung beteiligten Organisationen<br />

kennen <strong>und</strong> nutzen. Dieses System ermöglicht die schnelle <strong>und</strong> gezielte Verständigung.<br />

548<br />

Vgl. KELLERMANN, Pályázatkészítési technikák. Problémafa, SWOT elemzése, logikai kertematrix<br />

készítése, in: http://www.ndi-int.hu/REND/kepz080228palyazatiro/alexa%20swot.pdf, 7 [abgerufen am<br />

09.03.2011].<br />

549<br />

Vgl. http://www.mezoferenc.hu/pdf/ppt_logframemodszer.pdf 19 [abgerufen am 09.03.2011].<br />

550<br />

Die Diözese wollte die Organisation allein, ohne <strong>den</strong> Einbezug <strong>der</strong> öffentlichen Hand, gestalten. Da es<br />

von <strong>der</strong> Zentrale keine Alarmierungen gab, gab es nur relative wenige Einsätze, so hat man die<br />

Alarmierung Richtung <strong>der</strong> KIT geöffnet.<br />

225


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

- Es ist bekannt, dass die Versorgungssysteme <strong>für</strong> die Verteilung von Hilfsgütern nicht<br />

immer reibungslos funktionieren. Der Gr<strong>und</strong> hier<strong>für</strong> kann teilweise darin liegen, dass<br />

die bei<strong>den</strong> größeren katholischen Hilfsorganisationen 551 nicht zusammenarbeiten. Beide<br />

haben eigene Systeme, die nur fallweise <strong>und</strong> unregelmäßig an Pfarren <strong>und</strong> Diözesen<br />

anknüpfen. Die Sammlung <strong>und</strong> Verteilung <strong>der</strong> Hilfsgüter erfolgt mit wechseln<strong>der</strong><br />

Effizienz. Darauf, dass bei <strong>der</strong> Hilfeleistung auch mentale Hilfe geleistet wird, achtet<br />

keine Hilfsorganisation. Die Ausarbeitung eines einheitlichen Hilfsplanes – wer in einer<br />

bestimmten Situation wem, wie <strong>und</strong> in welchem Maße hilft – ist nicht erfolgt. Es<br />

wur<strong>den</strong> auch keine Einsatzprotokolle ausgearbeitet. Bei <strong>der</strong> Hilfeleistung sind<br />

Kopflosigkeit, Missgunst <strong>und</strong> Rivalität unter <strong>den</strong> Hilfsorganisationen an <strong>der</strong><br />

Tagesordnung. Dies gilt, wie schon angedeutet, beson<strong>der</strong>s <strong>für</strong> die Kooperation mit<br />

Hilfsorganisationen an<strong>der</strong>er Kirchen.<br />

- Das Training <strong>und</strong> die Arbeit <strong>der</strong> die komplexe Rettung <strong>und</strong> Versorgung<br />

organisieren<strong>den</strong> KatastrophenschutzkommandantInnen ist in Ungarn eine neue <strong>und</strong><br />

unbekannte Aufgabe. Internationale Übungen mit PartnerInnenorganisationen haben<br />

gezeigt, dass ungarische KommandantInnen mangels spezieller Ausbildung die<br />

entsprechen<strong>den</strong> Maßnahmen nicht zielgerichtet durchführen können.<br />

- ExpertInnen <strong>und</strong> MitarbeiterInnen, die am Einsatz beteiligt sind, haben we<strong>der</strong> Foren<br />

noch eine Organisationsform, durch die <strong>und</strong> bei <strong>der</strong> sie Hilfe bekommen könnten.<br />

Obwohl die Gefährdung <strong>der</strong> HelferInnen bei Katastrophen in Fachkreisen bekannt ist,<br />

beschäftigt man sich nicht mit ihrer psychischen Ges<strong>und</strong>heit, es gibt keine vorab<br />

organisierten Supervisionen o<strong>der</strong> Debriefings. Seelische Schä<strong>den</strong> können durch<br />

ungelöste Ereignisse o<strong>der</strong> körperliche Risiken <strong>der</strong> HelferInnen während eigener<br />

Einsätze, aber auch durch die während eines Einsatzes entstehen<strong>den</strong> inneren Konflikte,<br />

verursacht wer<strong>den</strong>. Diese o<strong>der</strong> auch gewisse Lebensumstände <strong>der</strong> HelferInnen wür<strong>den</strong><br />

zu ihrer Lösung externe ExpertInnen benötigen. Mangels einer solchen externen<br />

Hilfeleistung wissen MitarbeiterInnen in <strong>der</strong> Krisensituation nicht, wo sie <strong>für</strong> ihre<br />

mentalen, psychischen <strong>und</strong> seelischen Bedürfnisse Hilfe suchen können. Es gibt zwar<br />

zentrale Seelsorgetelefondienste, aber diese sind eher allgemein bzw. bieten keine<br />

Möglichkeit <strong>der</strong> persönlichen Kontaktaufnahme zwischen lei<strong>den</strong><strong>den</strong> HelferInnen <strong>und</strong><br />

dem sek<strong>und</strong>ären, tertiären o<strong>der</strong> im weiteren Sinne betroffenen TeilnehmerInnen.<br />

551 Caritas <strong>und</strong> Malteser<br />

226


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

- Notlei<strong>den</strong>de können in vielen Fällen ihren seelischen Zustand o<strong>der</strong> <strong>den</strong> Wunsch nach<br />

psychischer Hilfe nicht artikulieren. Da die ExpertInnen im Zentrum des<br />

Verständigungssystems aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> früher formulierten Situation <strong>den</strong> Einsatz<br />

kirchlicher Gruppen nicht beanspruchen, wird <strong>für</strong> die die Alarme registrieren<strong>den</strong><br />

ExpertInnen we<strong>der</strong> die Möglichkeit noch <strong>der</strong> Bedarf an psychischer Hilfe offensichtlich.<br />

- Kirchen haben auf dem Gebiet des Katastrophenschutzes keine Erfahrungen bei <strong>der</strong><br />

Hilfeleistung, die Diakonie ist unterentwickelt <strong>und</strong> <strong>der</strong> Institutionsmangel ergibt, dass es<br />

noch keine funktionieren<strong>den</strong> Kooperationsstrategien mit <strong>den</strong> Staatsorganen gibt. In <strong>den</strong><br />

letzten Jahrzehnten, aber beson<strong>der</strong>s nach <strong>der</strong> Wende, konnte man mit solchen<br />

Ansprüchen <strong>der</strong> Zeit, teils wegen <strong>der</strong> früher fehlen<strong>den</strong> Möglichkeiten – offene<br />

Diakonietätigkeiten waren bis zur Wende verboten –, teils wegen <strong>der</strong> auch heute<br />

fehlen<strong>den</strong> Praxis <strong>der</strong> Kategorialseelsorge, nicht Schritt halten. 552<br />

- Die Anbindung an internationale Gruppen ist mühsam, man lernt nur schwer von<br />

ihnen. Der Gr<strong>und</strong> hier<strong>für</strong> ist <strong>der</strong> falsche Stolz, infolge dessen die ungarische Fachwelt<br />

mo<strong>der</strong>ne Lösungen <strong>und</strong> Modelle nur zögernd übernimmt. Der an<strong>der</strong>e Gr<strong>und</strong> ist das<br />

Fehlen positiver Erfahrungen aus <strong>der</strong> Modellübernahme. Seit dem EU-Beitritt Ungarns<br />

hat die Gemeinschaft mehrere aus zentralen Quellen finanzierte Trainings gestartet,<br />

<strong>der</strong>en Ziel die Adaptierung <strong>der</strong> EU-Praxis <strong>für</strong> ungarische Verhältnisse war. Solche<br />

gemeinsamen Trainings wur<strong>den</strong> im Falle des Katastrophenschutzes o<strong>der</strong> im Bereich <strong>der</strong><br />

Hilfsorganisationen organisiert, aber <strong>der</strong> Betrieb nach dem Training wurde aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

problematischen Einbettung im System <strong>und</strong> <strong>der</strong> ungelösten Finanzierung nicht gestartet<br />

bzw. schon nach kurzer Zeit aufgelöst.<br />

- Die Einbindung <strong>der</strong> Kirchen in das staatliche Versorgungssystem ist aufgr<strong>und</strong> des<br />

Traditionsmangels <strong>und</strong> <strong>der</strong> negativen Prägungen <strong>der</strong> letzten Jahrzehnte 553 ein von<br />

Vorurteilen belastetes Gebiet, was es zu einer kontinuierlichen Problemquelle macht. 554<br />

Die Tatsache, dass die Kirche <strong>und</strong> <strong>der</strong> Staat in Verbindung mit <strong>der</strong> Wirtschaftskrise auf<br />

552 Es gibt zu wenig Priester, die Rolle <strong>der</strong> Bischöfe ist auch oft nicht klar. Sie bieten keine<br />

Seelsorgemetho<strong>den</strong>. Auf bestimmten Seelsorgegebieten sind Seelsorger noch nicht erschienen. Während<br />

die gesamte Kirchenarbeit eher auf Sparflammen lo<strong>der</strong>te, haben Bischöfe die Diözesen geleitet, dies geht<br />

aber nicht mehr. Es gibt keine Kommunikation, es wer<strong>den</strong> Fälle gelöst <strong>und</strong> es wird getadelt. Eine<br />

kontinuierliche Weiterbildung fehlt in allen Bereichen. Vgl. KAMARÁS, ebd.<br />

553 Die Kirche hat sich vom Staat <strong>und</strong> <strong>der</strong> zivilen Gesellschaft abgeson<strong>der</strong>t, nichtsdestotrotz besteht die<br />

Aufgabe <strong>der</strong> Kirche sehr wohl noch. Vgl. TOMKA, Megosztottságaink, 210.<br />

554 Vgl. http://hirszerzo.hu/elemzes/1736_vita_az_egyhazak_finanszirozasarol [abgerufen am<br />

09.03.2011].<br />

227


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

vielen Gebieten bezüglich <strong>der</strong> Finanzierungsfragen im Streit stehen, verschärft das<br />

Problem. Obwohl das Konkordat, das als internationale Vereinbarung gilt, die<br />

Finanzierungsrahmen festhält, bzw. unter Berücksichtigung an<strong>der</strong>er bilateraler<br />

Möglichkeiten, gibt es wenige Regierungen, die diese Vereinbarungen als <strong>für</strong> sich selbst<br />

bin<strong>den</strong>d erachten. Die kognitiven <strong>und</strong> praktischen Energien <strong>der</strong> Kirche wer<strong>den</strong> in dieser<br />

Situation wegen des Streites geb<strong>und</strong>en. Es bleibt keine Energie <strong>und</strong> Kreativität zur<br />

Erledigung <strong>der</strong> eigentlichen Aufgaben. Das Verhältnis zwischen Staat <strong>und</strong> Kirche ist<br />

ständiges Thema im ungarischen Alltag, da eine auf gegenseitiges Vertrauen<br />

aufgebaute, ges<strong>und</strong>e <strong>und</strong> funktionierende Lösung seit <strong>der</strong> Wende nicht gef<strong>und</strong>en wer<strong>den</strong><br />

konnte.<br />

3. Notwendige Strukturen <strong>der</strong> Diözesanorganisationen – Möglichkeiten <strong>der</strong><br />

Kooperation mit an<strong>der</strong>en staatlichen Einrichtungen <strong>und</strong> NGOs / Zielanalyse<br />

Bei <strong>der</strong> Zielanalyse wird die Lösung <strong>der</strong> in <strong>den</strong> vorhergehen<strong>den</strong> Schritten aufgelisteten<br />

Probleme ausgearbeitet. Problem <strong>und</strong> Lösung können gemeinsam betrachtet wer<strong>den</strong>,<br />

<strong>den</strong>n die positive Formulierung <strong>der</strong> Probleme geht mit einer bestimmten<br />

Lösungsvariante einher. So können in diesem Schritt neben umfassen<strong>den</strong> Zielen auch<br />

konkrete Aufgaben formuliert wer<strong>den</strong>:<br />

- Die NFS bietet <strong>den</strong> Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> psychische <strong>und</strong> seelische Unterstützung, ergänzend<br />

zur Rettung von Menschenleben <strong>und</strong> <strong>der</strong> Bewahrung von Sachgütern. Das Ziel <strong>der</strong> NFS<br />

kann also keinesfalls die Zurückdrängung des offiziellen Katastrophenschutzsystems<br />

sein, <strong>den</strong>n dieses ist die Gr<strong>und</strong>lage ihres Dienstes. Die Arbeit <strong>der</strong> NFS ist also eine<br />

ergänzende Aktivität, die an die Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong>, ihr Umfeld <strong>und</strong> das Coping <strong>der</strong><br />

HelferInnen selbst gerichtet ist, <strong>und</strong> gibt auf mentale Bedürfnisse, Zweifel <strong>und</strong> Sorgen<br />

religiöse Antworten. Mit <strong>der</strong> Erichtung <strong>der</strong> NFS gibt es eine Institution, bei <strong>der</strong>en Arbeit<br />

Notlei<strong>den</strong>de, ihr Umfeld <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> ihre Angehörigen Informationen <strong>und</strong> fachgerechte<br />

psychische Hilfe bei <strong>der</strong> Krisenbewältigung bekommen.<br />

- Entsprechende Hilfe <strong>und</strong> Hilfsgüter gelangen zur richtigen Zeit an <strong>den</strong> richtigen Ort.<br />

Es bedarf vorher ausgearbeiteter Hilfspakete, einer entsprechen<strong>den</strong> Hintergr<strong>und</strong>arbeit,<br />

nicht nur bei <strong>der</strong> Beschaffung <strong>und</strong> Zusammenstellung <strong>der</strong> Pakete, son<strong>der</strong>n auch bei <strong>der</strong><br />

Logistik. Es sind auch Personen notwendig, die sich an <strong>den</strong> Einsatzort begeben <strong>und</strong> sich<br />

228


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

dort geson<strong>der</strong>t an <strong>der</strong> medizinischen Versorgung <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Seelsorge beteiligen<br />

können.<br />

- Innerhalb <strong>der</strong> NFS-Organisation ist auch die Supervision <strong>der</strong> an <strong>der</strong> Rettung<br />

beteiligten Personen gelöst. Es gibt mehrere Möglichkeiten <strong>und</strong> Arten <strong>der</strong> Unterstützung<br />

<strong>der</strong> HelferInnen. Falls <strong>den</strong> MitarbeiterInnen diese Möglichkeiten nicht zur Verfügung<br />

stehen, brennen sie aus <strong>und</strong> verlieren die Motivation. Der Verschleiß von<br />

Humanressourcen in <strong>der</strong> Organisation kann gravierende Ausmaße annehmen.<br />

- Die Alarmierung in beide Richtungen soll makellos funktionieren, d.h. in einem gut<br />

funktionieren<strong>den</strong> System ist allen klar, wer wann bei <strong>der</strong> Hilfe benötigt wird. Die klare<br />

Aufgabenverteilung unter <strong>den</strong> einzelnen Organisationen kann nur dann erfolgen, wenn<br />

jede/r, die/<strong>der</strong> Aufgaben verrichtet, eine klare Definition darüber hat, welche Gruppe<br />

beim Einsatz unter welchem Aspekt auf wen <strong>und</strong> was achtet. Wenn bei <strong>der</strong> Alarmierung<br />

das einheitliche Codesystem allen die Einsatzsituation klar macht, weiß man dadurch<br />

genau, welche Organisationen beim konkreten Einsatz benötigt wer<strong>den</strong>. Dadurch<br />

können Aufgaben genau getrennt <strong>und</strong> die richtigen Personen verständigt wer<strong>den</strong>. Zum<br />

erfolgreichen Alarmieren sind die ständige Erreichbarkeit <strong>und</strong> <strong>der</strong> Bereitschaftsdienst<br />

einzelner Organisationen – so auch <strong>der</strong> NFS MitarbeiterInnen – vonnöten.<br />

- Mit <strong>der</strong> Entstehung <strong>der</strong> NFS wird ein kirchliches Organisationssystem ins Leben<br />

gerufen, welches sich beson<strong>der</strong>s <strong>für</strong> diese spezielle Kategorialseelsorge- <strong>und</strong><br />

Diakonieaufgabe (von <strong>der</strong> Werbung bis zum Controlling) organisiert. Die Werbung, das<br />

Training, Erreichbarkeitslisten, Supervision, Finanzierung, das Eintreffen am<br />

Einsatzort, die Evaluierung, Feedbacks, das Berichtschreiben, die Statistikaufarbeitung,<br />

Belohnung, das Neu<strong>den</strong>ken <strong>der</strong> Aufgaben, die Flexibilität, Basispunkte <strong>und</strong> die<br />

sonstigen unterstützen<strong>den</strong> ExpertInnen müssen eine klare <strong>und</strong> durchdachte<br />

Betriebsstruktur ergeben, welche die effiziente Teilnahme an <strong>den</strong> Einsätzen ermöglicht.<br />

- Gemeinsame Übungen mit Partnerorganisationen in an<strong>der</strong>en Staaten sowie <strong>der</strong><br />

Erfahrungsaustausch unter KollegInnen för<strong>der</strong>n auch die gemeinsamen Aktivitäten. Die<br />

Organisation muss dazu befähigt wer<strong>den</strong>, sich in die Arbeit an<strong>der</strong>er Organisationen<br />

einbin<strong>den</strong> zu können. Man muss ggf. auch Einsätze ausländischer Gruppen bei<br />

Katastrophen in Ungarn vorbereiten. Eine Einbindung in die Rettung kann nur dann<br />

erfolgreich sein, wenn die an <strong>der</strong> Rettung beteiligten Organisationen internationale<br />

229


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

Protokolle nicht nur in <strong>der</strong> Theorie, son<strong>der</strong>n auch in <strong>der</strong> Praxis kennen. Daher machen<br />

gemeinsame Übungen Sinn.<br />

- Die Kombination von Professionalität <strong>und</strong> Spontaneität <strong>der</strong> Diakonie ergibt ein<br />

stabiles <strong>und</strong> gleichzeitig flexibles System. Innerhalb <strong>der</strong> Kirche entstehen neue<br />

Einsatzmöglichkeiten, ein soziales Netz, welches <strong>den</strong> LaiInnen mehr Spielraum <strong>für</strong><br />

Aktivitäten lässt. In <strong>der</strong> NFS kommt die Professionalität vor <strong>der</strong> Hierarchie <strong>der</strong> Kirche<br />

<strong>und</strong> dies hilft hoffentlich, die Arbeit von LaiInnen innerhalb <strong>der</strong> Kirche sowie das<br />

Erlebnis <strong>der</strong> Kirchenzugehörigkeit zu verstärken.<br />

3.1. Analyse <strong>der</strong> Alternativen: Verwirklichung des Ziels mithilfe <strong>der</strong><br />

logischen Rahmenmatrix<br />

Um die erfolgreiche Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn erreichen zu können, kann man<br />

mehrere Alternativen <strong>der</strong> Organisationsentwicklung skizzieren. 555 Unter diesen müssen<br />

die optimalsten <strong>und</strong> in bestimmten Situationen <strong>für</strong> alle Belange adäquatesten Lösungen<br />

ausgesucht wer<strong>den</strong>. Die Auswahlkriterien <strong>der</strong> lebensfähigsten Alternative kann in <strong>der</strong><br />

bereits erwähnten tabellarischen Form wie folgt zusammengefasst wer<strong>den</strong>:<br />

555 Vgl. http://www.mezoferenc.hu/pdf/ppt_logframemodszer.pdf, 16 [abgerufen am 09.03.2011].<br />

230


Strategische<br />

Ziele<br />

Projektziel<br />

Resultate<br />

Aktivitäten<br />

V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

Eingriffsstrategie<br />

Weniger PTSD-<br />

PatientInnen, bessere<br />

Rettungsqualität, die<br />

Aufgabe <strong>der</strong> Diakonie<br />

wird in einem neuen<br />

Segment besser versehen<br />

Gestaltung einer<br />

kooperationsfähigen<br />

<strong>und</strong> erfolgreichen<br />

Gruppe<br />

Bei Katastrophen<br />

anwesende, effiziente<br />

HelferInnen, die<br />

notfalls mit an<strong>der</strong>en<br />

HelferInnen<br />

kooperieren können<br />

<strong>und</strong> dadurch die<br />

Qualität <strong>der</strong> Aktivität<br />

verbessern<br />

Seelische Hilfe,<br />

Hilfsgüterverteilung,<br />

Supervision usw.<br />

PartnerInnen<br />

3.2. Untersuchung <strong>der</strong> Projektkomponenten<br />

Bei diesem Schritt wer<strong>den</strong> die im Zielbaum definierten Elemente <strong>der</strong> Logikmatrix<br />

zugeordnet, so kann die Ziel- <strong>und</strong> Mittelstruktur zusammen betrachtet wer<strong>den</strong>. Bei <strong>der</strong><br />

Gestaltung <strong>der</strong> NFS können die Basiszielelemente in <strong>den</strong> folgen<strong>den</strong> Hauptrichtungen<br />

zusammengefasst wer<strong>den</strong> 556 :<br />

Indikatoren<br />

Schaffung einer<br />

Gruppe, die in <strong>der</strong> Lage<br />

ist, Theodizee-Fragen<br />

zu beantworten <strong>und</strong> die<br />

Liebe Gottes <strong>den</strong><br />

Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> zu zeigen<br />

Das von <strong>der</strong> Kirche<br />

vertretene Wertesystem<br />

verstärkt sich bei <strong>der</strong><br />

Krisenbewältigung.<br />

Gesamtabdeckung <strong>der</strong><br />

Diözesen durch das<br />

Projekt Verstärkung<br />

internationaler<br />

Kontakte<br />

Einsatz,<br />

Gruppenwerbung,<br />

Nachtraining,<br />

Supervision usw.<br />

Referenzen<br />

Ursprünge <strong>der</strong><br />

Indikatoren<br />

Erhöhung <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong><br />

Einsätze<br />

Umfassen<strong>der</strong>, jährlich<br />

publizierter Bericht<br />

über Fälle, Betroffene,<br />

das personelle <strong>und</strong><br />

dingliche<br />

Kriteriensystem<br />

Publikation von<br />

Studien, Vorträgen,<br />

Artikeln<br />

Bereits<br />

erhaltene<br />

Subventionen<br />

Mutmaßungen<br />

Funktionierende<br />

ausländische Muster <strong>und</strong><br />

frühere Strukturmodelle<br />

ungarischer<br />

Bemühungen können zur<br />

Gestaltung genutzt<br />

wer<strong>den</strong><br />

Günstige Akzeptanz<br />

innerhalb des<br />

Fachapparates,<br />

spürbare Resultate bei<br />

<strong>der</strong> Krisenbewältigung<br />

Steigen<strong>der</strong> Bedarf <strong>für</strong><br />

die Arbeit <strong>der</strong> NFS,<br />

Garantie <strong>der</strong> Betriebs-<br />

<strong>und</strong><br />

Trainingsbedingungen<br />

I<strong>den</strong>tifizierung mit <strong>den</strong><br />

Zielen <strong>der</strong> NFS, <strong>der</strong>en<br />

Akzeptanz durch die<br />

Kirchenführung, <strong>den</strong><br />

Katastrophenschutz<br />

<strong>und</strong> sonstige an <strong>der</strong><br />

Versorgung beteiligte<br />

Gruppen<br />

556 Vgl. http://www.mezoferenc.hu/pdf/ppt_logframemodszer.pdf, 17. [abgerufen am 09.03.2011].<br />

231


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

a. Entwicklungsziel: Vervollständigung des Versorgungssystems – im<br />

Sinne <strong>der</strong> Überlegungen des II. Vatikanischen Konzils muss das Ziel <strong>der</strong><br />

ganze Mensch, somit auch die Sorge <strong>für</strong> mentale Bedürfnisse, sein.<br />

b. Direktes Ziel: Ein effizientes <strong>und</strong> lebensfähiges Strukturmodell, ein<br />

Diakoniesystem soll entstehen – dies kann als OUTPUT des Systems<br />

betrachtet wer<strong>den</strong>.<br />

c. Hauptressourcen: institutioneller Hintergr<strong>und</strong>, Geld, Personen,<br />

Gegenstände sollen unter abgeklärten Verhältnissen garantiert sein.<br />

Hier soll auf die Fragen <strong>der</strong> Finanzierung <strong>der</strong> Organisation eingegangen wer<strong>den</strong>. Beim<br />

Betrieb <strong>der</strong> NFS soll, wie bei je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Organisation auch, bereits in <strong>der</strong><br />

Planungsphase darauf geachtet wer<strong>den</strong>, dass finanzielle Mittel in entsprechen<strong>den</strong><br />

Maßen immer zur Verfügung stehen <strong>und</strong> diese effizient ausgeschöpft wer<strong>den</strong>. Die<br />

Verteilung (Allokation) <strong>der</strong> Ressourcen kann nach verschie<strong>den</strong>sten Prinzipien<br />

geschehen. Bei <strong>den</strong> Verteilungsprinzipien (z.B. nach Dienst, BenutzerInnengruppe,<br />

NFS-Arbeitsgebieten usw.) ist es ratsam, zu untersuchen, welches Gebiet eine optimale<br />

zu erwartende Entwicklung des Kosten/Nutzen-Verhältnisses hat. Um dies zu<br />

entschei<strong>den</strong>, gibt das Resultat <strong>der</strong> internen Untersuchung einer SWOT-Analyse<br />

wichtige Anhaltspunkte.<br />

Die Verteilung <strong>der</strong> Ressourcen wird angesichts des Schwin<strong>den</strong>s <strong>der</strong> verteilbaren<br />

Summen ein immer heiklerer <strong>und</strong> wichtigerer Bereich. Parallel zur Verteilung zeigen<br />

sich auch Wege <strong>der</strong> Kostenreduzierung. Es ist natürlich fraglich, wie man <strong>den</strong><br />

Finanzierungsrahmen reduzieren kann, ohne das Niveau <strong>der</strong> Dienstleistungen zu<br />

senken. Der Gruppe muss bewusst gemacht wer<strong>den</strong>, dass eine höhere Zahl an<br />

Freiwilligen bzw. ein höhere Mittel nicht immer eine Verbesserung <strong>der</strong> Arbeit bedeutet.<br />

3.3. Externe Faktoren<br />

Bei diesem Schritt wer<strong>den</strong> projektunabhängige Elemente untersucht. Im Falle <strong>der</strong> NFS<br />

bedeutet dies die Untersuchung des Staats-, Kirchen- <strong>und</strong> Sozialumfeldes, <strong>den</strong>n diese<br />

Faktoren beeinflussen die Qualität <strong>der</strong> Arbeit am meisten.<br />

232


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

3.3.1. Umfeld des staatlichen Versorgungssystems<br />

- Im Allgemeinen kann gesagt wer<strong>den</strong>, dass sich in <strong>den</strong> EU-Mitgliedstaaten <strong>der</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heitssektor als ein heterogenes <strong>und</strong> unsicheres Umfeld zeigt.<br />

Charakteristischerweise arbeitet er mit einem hohen Budget, kämpft aber mit einem<br />

ständigen Geldmangel. 557 Trotz <strong>der</strong> hohen Ausgaben ist die Systemeffizienz schlecht. In<br />

Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs versucht man, Betriebsprobleme mit <strong>der</strong><br />

Limitierung <strong>der</strong> Versorgungspakete zu lösen <strong>und</strong> dadurch <strong>den</strong> Geldmangel zu<br />

beheben. 558 Bisherige Än<strong>der</strong>ungen waren aber mit einem ständigen MedizinerInnen-<br />

bzw. mit gesellschaftlich-sozialem Wi<strong>der</strong>stand konfrontiert. Vorhaben von Regierungen<br />

in diese Richtung resultierten in Protesten <strong>und</strong> Streiks, obwohl alle wissen, dass eine<br />

Umstrukturierung unumgänglich ist.<br />

- Aus <strong>den</strong> Strukturän<strong>der</strong>ungen des Ges<strong>und</strong>heitssektors wurde bisher die Trennung des<br />

Krankentransports <strong>und</strong> <strong>der</strong> professionellen Versorgung gelöst. Trotz internationaler<br />

Erfahrungen scheinen keine Freiwilligen bei Ges<strong>und</strong>heitsaktivitäten auf. Das<br />

Privatkapital, welches die Aktivität von <strong>der</strong> Profitseite her betrachtet, ist aber in diesem<br />

Sektor präsent. 559 So haben diese Än<strong>der</strong>ungen keine echten Schritte in Richtung einer<br />

Kosteneffizienz gebracht.<br />

- MitarbeiterInnen des Katastrophenschutzes <strong>und</strong> <strong>der</strong> Feuerwehr sind weiterhin nicht<br />

bestrebt, Freiwillige mit einzubeziehen, unter an<strong>der</strong>em, weil sie um die eigenen<br />

Arbeitsplätze <strong>für</strong>chten. Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Wirtschaftskrise steigt die Arbeitslosenrate immer<br />

mehr, alle zittern um ihre Arbeitsplätze, Freiwilligenarbeit wird dadurch als Gefährdung<br />

<strong>der</strong> eigenen Existenz gesehen.<br />

- Der Staat ist bemüht, einen immer größeren Teil des sozialen Versorgungssystems in<br />

<strong>den</strong> Aufgabenkreis <strong>der</strong> Selbstverwaltungen zu legen. 560 Selbstverwaltungen können aber<br />

557<br />

Vgl. KORNAI, Az egészségügy reformjáról,872.<br />

558<br />

Vgl. http://www.fajltube.com/gazdasag/Az-egeszsegugyi-ellatas-uj-ren32342.php [abgerufen am<br />

09.03.2011].<br />

559<br />

Vgl. http://hirszerzo.hu/belfold/117916_magantoke_az_egeszsegugyben_koncepcio_nincs [abgerufen<br />

am 09.03.2011].<br />

560<br />

Vgl. http://www.mancs.hu/index.php?gcPage=/public/hirek/hir&id=19487 [abgerufen am 09.03.2011].<br />

233


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

– einerseits wegen Geldmangels, an<strong>der</strong>erseits wegen des Fehlens eines professionellen<br />

Fachapparates – diese Aufgaben nicht abdecken. 561<br />

3.3.2. Kirchliches Umfeld<br />

- Die Bewältigung, Organisation <strong>und</strong> Finanzierung <strong>der</strong> Kategorialseelsorge in Ungarn<br />

steckt von Seiten <strong>der</strong> Kirche noch in <strong>den</strong> Kin<strong>der</strong>schuhen. In <strong>den</strong> Diözesen gibt es noch<br />

keine Priester, die <strong>für</strong> bestimmte Teilbereiche zuständig wären. Die Ungarische Kirche<br />

betrachtet ihre Ausbildung <strong>und</strong> Organisation nicht als eigene Aufgabe. Priester wer<strong>den</strong><br />

angesichts neuer Aufgaben eher entmutigt <strong>und</strong> sie verlegen diese nicht mit einer<br />

eventuellen Strategieplanung in <strong>den</strong> Pastoralplan. Oft ist zu sehen, dass Aufgaben noch<br />

immer in <strong>der</strong> „ein Dorf – ein Priester“-Struktur gehandhabt wer<strong>den</strong>.<br />

- Die ungarische Kirchenauffassung ist noch immer stark Klerus-zentriert. Dem<br />

Kirchendienst verpflichtete LaiInnen beteiligen sich noch immer in einem geringen<br />

Maße an kirchenbezogenen Aufgaben. Die Rolle <strong>und</strong> Befugnis <strong>der</strong> Zivilen auf einem<br />

Gebiet wer<strong>den</strong> oft in Frage gestellt, daher können selbst LaiInnen nichts mit an<strong>der</strong>en<br />

LaiInnen an <strong>der</strong> Spitze einer Gemeinschaft o<strong>der</strong> als Dienstgeben<strong>den</strong> anfangen, sie<br />

wer<strong>den</strong> auch unter ihresgleichen nicht akzeptiert.<br />

- Die Professionalisierung von Kircheninstituten hat we<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Bildung noch im<br />

Betriebssystem Tradition. 562 Selbst SeelsorgerInnen haben ein relativ niedriges Niveau<br />

an mentalpsychologischer Ausbildung, viele Theologische Hochschulen haben keine<br />

ProfessorInnen mit dem richtigen wissenschaftlichen Rang, um in einem sich ständig<br />

än<strong>der</strong>n<strong>den</strong> Umfeld eine Bildung auf entsprechendem Niveau zu bieten. An vielen Orten<br />

unterrichten ProfessorInnen nicht die Gegenstände, in <strong>den</strong>en sie ihre akademischen<br />

Grade erworben haben. Es ist auch allgemein zu sehen, dass ausgebildete Priester nicht<br />

gewillt sind, sich an <strong>der</strong> Aus- <strong>und</strong> Weiterbildung zu beteiligen <strong>und</strong> es gibt kaum Zivile<br />

unter <strong>den</strong> TrainerInnen <strong>der</strong> zukünftigen SeelsorgerInnen. Da die Ernennung vom<br />

Kategorialseelsorgeleiter verliehen wird, können einzelne ProfessorInnenstellen nicht<br />

561<br />

Die Nation, <strong>der</strong> Staat o<strong>der</strong> die Gesellschaft nimmt in <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Welt <strong>und</strong> dem Bewusstsein <strong>der</strong><br />

Menschen die Rolle religiöser Institutionen ein. Vgl. NYÍRI, Mélylélektan és ateizmus, 205.<br />

562<br />

Die ErzieherInnen bei <strong>den</strong> Seminaren haben oft keine Ahnung von <strong>den</strong> wichtigsten spirituellen,<br />

theologischen <strong>und</strong> soziologischen Kenntnissen. Wer<strong>den</strong>de Priester wer<strong>den</strong> auf Respektbasis <strong>und</strong> mit <strong>der</strong><br />

Denkweise eines Untertanen indoktriniert. Deshalb fehlen ExpertInnen. Vgl. KAMARÁS, ebd.<br />

234


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

ausgeschrieben wer<strong>den</strong>, <strong>und</strong> dies kann sogar an <strong>den</strong> Theologielehrstühlen staatlicher<br />

Universitäten vorkommen.<br />

- Die Umstrukturierung <strong>der</strong> Diözesen aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> neuen Umstände ist ein schwieriger<br />

Prozess. Die Koordinierung <strong>der</strong> neuen Aufgaben, gegeben durch die Zahl <strong>der</strong><br />

SeelsorgerInnen, die Bedürfnisse <strong>der</strong> Gläubigen <strong>und</strong> die neuen Pastoralgebiete, verläuft<br />

mühsam. SeelsorgerInnen möchten mit alten Pastoralmetho<strong>den</strong> Erfolge erzielen, dies ist<br />

aber eindeutig zum Scheitern verurteilt, <strong>den</strong>n die Bedürfnisse <strong>der</strong> Gläubigen haben sich<br />

in <strong>den</strong> letzten Jahrzehnten deutlich verän<strong>der</strong>t.<br />

- Im Falle von Sterben<strong>den</strong> wird die Zahl <strong>der</strong> gespendeten Sakramente, die an <strong>den</strong><br />

traditionellen Kirchendienst geb<strong>und</strong>en sind, immer kleiner. 563 Statistiken zeigen, dass<br />

Gläubige nicht einmal zum Sterben einen Priester rufen, daher wird die Möglichkeit,<br />

dass ein/e SeelsorgerIn sich mit seelischer Unterstützung an die Seite <strong>der</strong> Sterben<strong>den</strong><br />

o<strong>der</strong> ihrer Familien stellt, immer kleiner. In <strong>der</strong> neuen Generation hat sich keine<br />

positive, konkrete Hilfe leistende <strong>und</strong> verfolgbare Praxis etabliert, daher ist die Präsenz<br />

des Priesters in <strong>der</strong> Not lebensfremd gewor<strong>den</strong>.<br />

- Die Pastoral beschränkt sich in vielen Fällen auf die Spendung <strong>der</strong> Sakramente. 564 An<br />

vielen Orten wird we<strong>der</strong> Gemeinschaftsbildung noch Gemeinschaftsaufbau betrieben,<br />

da die Priester völlig überlastet sind <strong>und</strong> über keine ausgebildeten KollegInnen<br />

verfügen. Zur Einschätzung <strong>und</strong> Planung tatsächlicher Bedürfnisse <strong>und</strong> zur<br />

Strategieplanung bleiben we<strong>der</strong> Zeit noch Energie.<br />

3.3.3. Soziales Umfeld<br />

- Die psychologische Kultur <strong>der</strong> Gesellschaft in Ungarn ist auf einem niedrigen Niveau.<br />

Und diejenige Kultur, nach <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Notlage eine psychologische Hilfe vonnöten sein<br />

kann, hat sich noch nicht etabliert. 565 Die Gesellschaft ist, was die Beurteilung <strong>der</strong><br />

Psychologie betrifft, zweigeteilt. Ein Teil <strong>der</strong> Menschen <strong>den</strong>kt, dass nur psychisch<br />

Kranke einen Psychologen o<strong>der</strong> eine Psychologin benötigen. Gleichzeitig sucht ein<br />

kleinerer Teil <strong>der</strong> Gesellschaft einen Psychologen/eine Psychologin auf, weil es mo<strong>der</strong>n<br />

563 Vgl. http://osha.europa.eu/fop/hungary/hu/statistics/index.html [abgerufen am 09.03.2011].<br />

564 Vgl. http://vponline.hu/kozelet/veszpremi-egyhazmegye-xx-szazadban [abgerufen am 09.03.2011].<br />

565 Vgl. http://www.cons.hu/index.php?id=292&menu=cikk [abgerufen am 09.03.2011].<br />

235


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

ist. Ein großer Teil <strong>der</strong> PsychologInnen führt keine Therapien durch, sie erkennen die<br />

Möglichkeit <strong>der</strong> Spezialisierung nicht, daher versuchen sie, auch auf Gebieten zu<br />

helfen, wo sie keine Fachkompetenzen besitzen. Das Scheitern aus <strong>den</strong> oben<br />

angeführten Grün<strong>den</strong> hat zur Folge, dass die Gesellschaft ihnen mit einem noch<br />

größeren Wi<strong>der</strong>willen entgegentritt.<br />

- Die soziale Unterstützung in Krisensituationen ist am Schwin<strong>den</strong>. Traditionelle soziale<br />

Mikrogruppen (z.B. Familien) sind am Zerfallen, übernehmen diese Aufgabe immer<br />

weniger. 566 Gleichzeitig verstärken die Urbanisierung <strong>und</strong> die Krise das Auflösen<br />

zwischenmenschlicher Kontakte. Die mehrere Generationen umfassende Großfamilie<br />

gibt es kaum noch irgendwo, Menschen wer<strong>den</strong> introvertiert <strong>und</strong> trauen sich nicht mehr,<br />

an<strong>der</strong>e um Hilfe zu bitten. Stattdessen erwarten sie Hilfe <strong>und</strong> Versorgung vom Staat.<br />

- Statistikdaten, Umfragen <strong>und</strong> Forschungen untermauern die hohe Zahl <strong>der</strong>jenigen, die<br />

seelische Unterstützung <strong>und</strong> Hilfeleistung benötigen wür<strong>den</strong>. 567 Dies ist <strong>der</strong> Beweis,<br />

dass die Gesellschaft die von <strong>der</strong> NFS gebotene Hilfe nötig hätte. Deshalb müssen<br />

korrekte <strong>und</strong> konkrete Rahmen geschaffen wer<strong>den</strong>.<br />

3.4. Indikatoren<br />

Die Evaluierung ist bei <strong>der</strong> Arbeit einer je<strong>den</strong> Organisation unumgänglich. Sie muss<br />

objektiv, räumlich <strong>und</strong> zeitlich vergleichbar sein, <strong>den</strong>n nur so kann die Entwicklung, die<br />

Reaktion auf neue Aufgaben <strong>und</strong> die realitätsnahe Beurteilung <strong>der</strong> MitarbeiterInnen <strong>der</strong><br />

Organisation mitverfolgt wer<strong>den</strong>. Die Evaluierung muss deshalb auf Indikatoren<br />

aufgebaut sein, <strong>der</strong>en Nutzung <strong>den</strong> oben angeführten Ansprüchen genügt. Die Nutzung<br />

<strong>der</strong> Indikatoren ist daher nicht einfach ein Teil traditioneller institutioneller Bürokratie,<br />

son<strong>der</strong>n diese dienen viel mehr <strong>der</strong> Organisationsentwicklung. Die bürokratische<br />

Verwaltung hat in <strong>der</strong> Welt <strong>der</strong> Kirchen eine lange Tradition, obwohl im letzten<br />

Jahrzehnt eine Verlangsamung <strong>der</strong> Entwicklung festzustellen ist. Da die Aufgaben <strong>der</strong><br />

NFS keine Routineaufgaben sind, muss unbedingt darauf geachtet wer<strong>den</strong>, dass die<br />

566<br />

Vgl. http://www.romacentrum.hu/dokumentok/szetszakado-tarsadalom [abgerufen am 09.03.2011].<br />

567<br />

Vgl. KOPP / SKRABSKI / SZEDMÁK, A szociális kohézió jelentõsége a magyarországi morbiditás és<br />

mortalitás alakulásában, Magyarország az ezredfordulón, 15-17.<br />

236


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

Evaluierung <strong>der</strong> Arbeit in <strong>der</strong> Organisation durch Indikatoren die Möglichkeit bietet,<br />

kreative Aufgabenbewältigung zu bewerten, zu evaluieren <strong>und</strong> zu entwickeln.<br />

3.5. Leistungserhebung (Sammeln von Input-Daten)<br />

Die Bestimmung <strong>der</strong> Leistungsindikatorenwerte erfolgt durch Beobachtung, Erhebung<br />

<strong>und</strong> Zusammenzählung. Um die Leistung bestimmen zu können, muss zuerst definiert<br />

wer<strong>den</strong>, was gemessen wer<strong>den</strong> soll. 568 Die Leistung <strong>der</strong> NFS kann anhand<br />

verschie<strong>den</strong>er Kriterien gemessen wer<strong>den</strong>. Es steht außer Frage, dass diese Messungen<br />

im deutschen Sprachraum – wo das System bereits seit Jahren funktioniert – auch noch<br />

immer mit viel Aufwand verb<strong>und</strong>en sind.<br />

- Messung <strong>der</strong> Marktabdeckung: das Verhältnis <strong>der</strong> tatsächlichen BenutzerInnen<br />

zu <strong>den</strong> möglichen BenutzerInnen <strong>und</strong> zur Gruppe <strong>der</strong> echten Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> zeigt,<br />

inwiefern es gelungen ist, das potentiell zu versorgende Gebiet abzudecken.<br />

- Messung des Erfolgs: Implementierung einer erfolgreichen bzw. zum Ziel<br />

führen<strong>den</strong> Aktivität im Vergleich zur Zahl <strong>der</strong> Einsätze - dieser Indikator wird<br />

im deutschen Sprachraum bei Diensten, wo ein Protokoll geschrieben wird,<br />

aussagekräftig evaluiert.<br />

- Messung <strong>der</strong> Effizienz: das Verhältnis <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong> Einsätze zu <strong>der</strong> <strong>der</strong> Erfolge,<br />

die <strong>der</strong>en positive Wirkungen wi<strong>der</strong>spiegeln – Nutzung <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong><br />

Freiwilligen, die Arbeitsqualität, die an <strong>den</strong> Rückmeldungen <strong>der</strong><br />

Dienstleisten<strong>den</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> Versorgten am besten messbar ist.<br />

- Messung <strong>der</strong> Kosteneffizienz: Zahl <strong>der</strong> erfolgreichen Einsätze pro Kosteneinheit<br />

– die Einführung dieses Indikators ist wichtig <strong>und</strong> unumgänglich, weil <strong>der</strong><br />

Betrieb <strong>der</strong> Organisation auch wirtschaftlich effizient sein muss.<br />

- Messung <strong>der</strong> Kosten, Ausgaben, Aufwendungen: direkt messbare Elemente sind<br />

Geld, materielle Unterstützung, indirekt messbare Elemente sind Personal,<br />

Arbeitskraft, Zeit, Räumlichkeiten usw. Diese Werte <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Än<strong>der</strong>ung<br />

zeigen, wie viel Kirche <strong>und</strong> Gesellschaft <strong>für</strong> diesen Sektor aufwen<strong>den</strong>, d.h. wie<br />

wichtig dieses Gebiet <strong>für</strong> die Kirche <strong>und</strong> die Gesellschaft ist.<br />

568 Vgl. PODMANICZKY, Logframe metódus, 23-24.<br />

237


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

Die oben genannten Indikatoren wer<strong>den</strong> durch die Einsatzberichte <strong>der</strong> KollegInnen <strong>und</strong><br />

die Rückmeldung <strong>der</strong> MitarbeiterInnen <strong>der</strong> PartnerInnenorganisationen vervollständigt.<br />

Diese Elemente gehören zu <strong>den</strong> wichtigsten Hilfen, damit die Arbeit <strong>der</strong> Organisation<br />

tatsächlich professionell ablaufen kann <strong>und</strong> die Aktivitäten nicht nur in Ungarn, son<strong>der</strong>n<br />

auch international akzeptiert wer<strong>den</strong>. Indikatoren sind auch deshalb wichtig, damit die<br />

zu erwartende Qualität <strong>der</strong> Implementierung, die zum Erreichen <strong>der</strong> Ziele notwendig ist,<br />

kontrolliert wer<strong>den</strong> kann. Die Indikatoren geben auch eine Hilfe bei <strong>der</strong> objektiven<br />

Evaluierung <strong>der</strong> Arbeit, daher ist es wichtig, dass diese spezifisch, messbar, realistisch<br />

<strong>und</strong> zeitlich beschränkt sind. Indikatoren beantworten aber auch die Frage nach <strong>der</strong><br />

Betriebsstruktur <strong>der</strong> NFS. Bei ihrer Gestaltung sind folgende Faktoren wichtig 569 :<br />

- Bestimmung <strong>der</strong> Zielgruppe (Wem liefern die Indikatoren Informationen?): In erster<br />

Linie geht es um zusammenarbeitende Gruppen, BetreiberInnen, Diözese <strong>und</strong> sonstige<br />

AkteurInnen <strong>der</strong> Gesellschaft, die von diesen Indikatoren profitieren.<br />

- Zeitliche Bestimmung <strong>der</strong> Quantität (In welchem Zeitintervall wird wie viel<br />

gemessen?): In <strong>der</strong> Gestaltungsphase <strong>der</strong> Organisation kann die regelmäßige<br />

Entwicklung nur dann garantiert wer<strong>den</strong>, wenn die Daten wenigstens monatlich<br />

evaluiert wer<strong>den</strong>. Später wird dies auch einmal pro Semester reichen. Die Sicherstellung<br />

<strong>der</strong> die gesamte Arbeit umfassen<strong>den</strong> Datenreihen <strong>und</strong> die Berichte an BetreiberInnen<br />

<strong>und</strong> Sozialorganisationen sind jährlich notwendig.<br />

- Suche nach Indikatoren zur Demonstration <strong>der</strong> qualitativen Arbeit (Die Suche nach<br />

Indikatoren, die die qualitative Implementierung <strong>der</strong> Arbeit messen): Es handelt sich um<br />

die Erstellung von mit Statistikmetho<strong>den</strong> gesammelten <strong>und</strong> quantifizierten Datenreihen<br />

– Diagramme, einfache, informative Daten, <strong>der</strong>en Anwendung die Evaluierung <strong>der</strong><br />

Professionalität <strong>der</strong> Arbeit ermöglicht.<br />

- Konkretisierung des Zeitintervalls (Mit welcher Regelmäßigkeit wer<strong>den</strong> Indikatoren<br />

<strong>und</strong> Berichte über welchen Zeitintervall erstellt?): In <strong>der</strong> Phase <strong>der</strong> Systemgestaltung<br />

(mindestens <strong>für</strong> zwei Jahre) pro Semester, bei Normalbetrieb ist die Evaluierung nur<br />

jährlich notwendig.<br />

- Bestimmung des Publikationsortes <strong>der</strong> Informationen (Wo wer<strong>den</strong> Indikatoren,<br />

Informationen, Berichte publiziert?): Die Publikation <strong>der</strong> Resultate <strong>der</strong> evaluierten<br />

Arbeit muss geplant wer<strong>den</strong>. Für KollegInnen, PartnerInnenorganisationen <strong>und</strong> Medien<br />

569 Vgl. http://www.inspi-racio.hu/inspdocs/200607/23logframekitltse.pdf, 14 [abgerufen am 09.03.2011].<br />

238


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

müssen jeweils an<strong>der</strong>e Materialien erstellt wer<strong>den</strong>. Die entsprechen<strong>den</strong><br />

Dokumentationen, Medienberichte <strong>und</strong> die Präsenz in <strong>der</strong> Massenkommunikation sind<br />

die Gr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> die Bekanntmachung <strong>der</strong> Organisation <strong>und</strong> die Erhöhung <strong>der</strong><br />

Anerkennung unter <strong>den</strong> Ortsansässigen, sowie <strong>für</strong> <strong>den</strong> leichteren Zugang <strong>der</strong><br />

Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> zur NFS, daher im Endeffekt auch <strong>für</strong> <strong>den</strong> Erfolg <strong>der</strong> Organisation.<br />

4. Konkrete Schritte <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS-Organisation<br />

Der nächste Teil <strong>der</strong> Arbeit beschreibt die konkreten Schritte <strong>der</strong> Gestaltung einer NFS-<br />

Organisation sowie die unumgänglichen Schritte zum Systembetrieb. Als Resultat einer<br />

soziologischen Umfrage können diese Elemente bei Modellen im deutschen<br />

Sprachraum gut definiert wer<strong>den</strong>. Die Nutzung <strong>der</strong> Elemente sowie die<br />

Berücksichtigung <strong>der</strong> lokalen Bedingungen können <strong>für</strong> die Gestaltung einer NFS-<br />

Organisation Erfolg bringend sein.<br />

4.1. Ziele, die bei <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS-Organisation zu erreichen sind 570<br />

Das Ziel ist die Gründung einer Fachgruppe, die<br />

- in <strong>der</strong> Krisensituation die seelischen Bedürfnisse <strong>der</strong> Menschen befriedigt. Daher muss<br />

mittels einer soziologischen Umfrage ermittelt wer<strong>den</strong>, welche Belastungen in einer<br />

bestimmten Sozialsituation auftauchen, welche Hilfe die Betroffenen benötigen <strong>und</strong> wie<br />

diese Bedürfnisse von <strong>den</strong> Kirchen befriedigt wer<strong>den</strong> können.<br />

- unter allen Umstän<strong>den</strong> erreichbar ist, d.h. die auch in <strong>den</strong> an <strong>der</strong> Rettung beteiligten<br />

PartnerInnenorganisationen präsent ist. Das Alarmierungssystem <strong>und</strong> die<br />

Einsatzmethode bestimmen die Möglichkeit <strong>der</strong> gemeinsamen Arbeit. Deshalb muss die<br />

Organisation einer Gruppe, sowie Auswahl <strong>und</strong> Training <strong>der</strong> geeigneten Personen die<br />

Aufgabe eines früher auserkorenen ExpertInnenteams sein. Mit Einbindung von<br />

Erfahrungen ausländischer Diözesen können die Betriebsprinzipien <strong>der</strong> Gruppe <strong>und</strong> die<br />

funktionelle Struktur, das Codesystem <strong>der</strong> Alarmierung sowie die ExpertInnengarde<br />

<strong>und</strong> das Trainingsmaterial kopiert wer<strong>den</strong>.<br />

570 Vgl. http://www.inspi-racio.hu/inspdocs/200607/23logframekitltse.pdf, 11 [abgerufen am 09.03.2011].<br />

239


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

- über sichere Finanzgr<strong>und</strong>lagen verfügt. Der Finanzierungshintergr<strong>und</strong> des Betriebs ist<br />

ausgearbeitet <strong>und</strong> stabil, die planbaren Kosten des Systembetriebs haben vorab planbare<br />

Quellen.<br />

- örtliche Gegebenheiten kennt, <strong>den</strong>n sowohl mikro- als auch makrosoziale<br />

Gemeinschaften haben jeweils an<strong>der</strong>e Bedürfnisse. Das Ziel ist <strong>der</strong> Betrieb einer<br />

international anerkannten Gruppe, da die Einglie<strong>der</strong>ung in die Arbeit an<strong>der</strong>er<br />

Organisationen – zum Beispiel bei einem Katastrophenfall – nur in diesem Fall<br />

erfolgreich sein kann.<br />

- auf Werbung, Ausbildung <strong>und</strong> die Heranbildung von Nachwuchs achtet. Die<br />

Kenntnisse <strong>der</strong> Einglie<strong>der</strong>ung in PartnerInnenorganisationen müssen <strong>den</strong> KollegInnen<br />

bereits beim Training vermittelt wer<strong>den</strong> <strong>und</strong> dieses Trainingselement muss auch in <strong>der</strong><br />

Weiterbildung auftauchen.<br />

- ein Fachteam betreibt, welches im Hintergr<strong>und</strong> die theoretischen <strong>und</strong><br />

methodologischen Gr<strong>und</strong>lagen <strong>der</strong> zu schaffen<strong>den</strong> Arbeit ausarbeitet, d.h. sich<br />

geson<strong>der</strong>t mit dem Kontakt zu <strong>den</strong> KollegInnen, <strong>der</strong> Hilfeleistung <strong>und</strong> <strong>den</strong><br />

Supervisionsmetho<strong>den</strong> (konkret z.B. mit <strong>der</strong> Ausarbeitung des „Abschieds“)<br />

beschäftigt, sich gleichzeitig sich aber auch um die Ausarbeitung des ethischen <strong>und</strong><br />

religiösen Hintergr<strong>und</strong>es kümmert.<br />

- die Gruppendynamik <strong>der</strong> MitarbeiterInnen ständig untersucht, Daten aufarbeitet <strong>und</strong><br />

evaluiert, <strong>den</strong>n dies kann <strong>der</strong> Leitung viele Informationen bieten, was die Gruppe<br />

künftig auch vor unnötigen Konflikten bewahren kann.<br />

- die Supervision <strong>der</strong> MitarbeiterInnen garantiert.<br />

- die Arbeit ständig kontrolliert, evaluiert, die Organisation überwacht <strong>und</strong> die Fehler<br />

ausbessert.<br />

- <strong>für</strong> die Publikation <strong>der</strong> erzielten Ergebnisse, quantifizierbare Wirkungen <strong>und</strong> Werte<br />

sorgt <strong>und</strong> <strong>den</strong> ständigen Kontakt zu <strong>den</strong> Medien hält.<br />

- <strong>den</strong> logistischen Hintergr<strong>und</strong> des Betriebs organisiert.<br />

4.2. Konkretes System <strong>der</strong> Organisationsgestaltung<br />

Bei <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> Modelle führt die Einhaltung <strong>der</strong> folgen<strong>den</strong> Prinzipien zur<br />

Entstehung einer gut funktionieren<strong>den</strong> Gruppe.<br />

240


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

4.2.1. Prinzipien <strong>der</strong> Organisierung<br />

Kommunikation <strong>und</strong> Zielbewusstsein<br />

Die Gesamtheit <strong>der</strong> Organisation muss sich auf die Erfüllung <strong>der</strong> vorher bestimmten<br />

Ziele konzentrieren. Eine Arbeit, die nicht zum Erreichen <strong>der</strong> Ziele beiträgt, ist unnütz,<br />

daher lohnt es sich nicht, sie auszuführen. Der kritische Erfolgsfaktor des Erreichens <strong>der</strong><br />

Ziele ist <strong>der</strong> effiziente Informationsfluss.<br />

Die effiziente Kommunikation muss in zwei Richtungen verlaufen. Die Information in<br />

Richtung des/r Leiters/in muss aus Berichten zum Zwecke <strong>der</strong> Leitungsaufgaben, <strong>der</strong><br />

Weiterleitung von Beschwer<strong>den</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> Formulierung von Än<strong>der</strong>ungsansprüchen<br />

bestehen. Gleichzeitig muss das Modell auch <strong>für</strong> die laterale Kommunikation sorgen.<br />

Dies ist nützlich, weil <strong>der</strong> formelle Informationsfluss – so sagt die Theorie – nie so gut<br />

ist wie <strong>der</strong>/die KoordinatorIn <strong>den</strong>kt. 571 Die Kommunikation muss so gestaltet sein, dass<br />

<strong>der</strong>/die LeiterIn das informelle Kommunikationsnetzwerk versteht <strong>und</strong> wahrnimmt. Die<br />

Möglichkeit soll auch <strong>für</strong> <strong>den</strong>/die LeiterIn da sein, um Sondierungen durchzuführen,<br />

d.h. durch die Nutzung des informellen Kommunikationssystems soll <strong>der</strong>/die LeiterIn<br />

auf die Vorstellungen bezüglich <strong>der</strong> Aufgaben, Tätigkeitsbereiche <strong>und</strong> Situationen<br />

schnelles Feedback bekommen.<br />

Aufgabenbereich, Zuständigkeiten, Rechenschaft <strong>und</strong> Befugnisse<br />

Aufgabenbereich (Inhalte <strong>der</strong> Aufgabenbeschreibung), Zuständigkeiten (Berechtigung<br />

<strong>für</strong> die Nutzung <strong>der</strong> Ressourcen), Rechenschaft (o<strong>der</strong> Verrechnungspflicht) <strong>und</strong><br />

Befugnisse gehören in einer gut funktionieren<strong>den</strong> Organisation zum selben<br />

Begriffskreis <strong>und</strong> haben klare Grenzen. 572 Die genaue Bestimmung <strong>der</strong> Zuständigkeiten<br />

<strong>und</strong> Kompetenzen wer<strong>den</strong> von <strong>der</strong> Diözese nach dem Training vorgenommen, dabei<br />

wer<strong>den</strong> das Ziel <strong>der</strong> Aufgabe, die zu verrichten<strong>den</strong> Aufgaben, die Bedingungen <strong>der</strong><br />

Gruppenzugehörigkeit <strong>und</strong> die zur Verfügung stehen<strong>den</strong> Ressourcen definiert. Die<br />

Übernahme <strong>der</strong> Verantwortung kann nur dann erwartet wer<strong>den</strong>, wenn auch eine <strong>den</strong><br />

Aufgaben angepasste Zuständigkeit garantiert ist.<br />

571 Vgl. http://nemvagyegyedul.gportal.hu/gindex.php?pg=7690255 [abgerufen am 09.03.2011].<br />

572 Vgl. KLEIN, Vezetés- és szervezetpszichológia, 377.<br />

241


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

Detaillierung <strong>und</strong> Funktionalisierung<br />

Im Sinne <strong>der</strong> Gestaltung einer Struktur, die handbar ist, müssen Rahmenbedingungen<br />

<strong>für</strong> <strong>den</strong> Betrieb <strong>und</strong> die Verrichtung <strong>der</strong> Aktivitäten gewährleistet sein. Unter diesen ist<br />

die Bestimmung <strong>der</strong> Aufgabenbereiche <strong>der</strong> MitarbeiterInnen beson<strong>der</strong>s wichtig. Die<br />

Betriebs- <strong>und</strong> Organisationsregeln müssen eindeutig aufgeteilte <strong>und</strong> i<strong>den</strong>tifizierbare<br />

Aufgaben beinhalten. Der/die KoordinatorIn bestimmt, welche Aktivitäten <strong>und</strong><br />

Zuständigkeiten zu <strong>den</strong> jeweiligen Funktionen (Tätigkeitsbereichen) gehören. Diese<br />

Definitionen können allgemein, <strong>für</strong> alle gültig, o<strong>der</strong> speziell sein, d.h. in einem<br />

bestimmten Aufgabenbereich individuell notwendig sein, so zum Beispiel die Kontrolle<br />

<strong>der</strong> Finanzierung o<strong>der</strong> die Pressearbeit. Die Gemeinschaft kooperieren<strong>der</strong> <strong>und</strong><br />

zusammen arbeiten<strong>der</strong> Menschen ist die Seele <strong>der</strong> effizienten Organisation. 573 Wenn die<br />

Menschen sich ihrer Rolle in <strong>der</strong> Organisation nicht bewusst sind o<strong>der</strong> nicht genau<br />

wissen, wo ihre Zuständigkeiten 574 beginnen <strong>und</strong> aufhören, dann sind sie geneigt, die<br />

zur Arbeitsverrichtung notwendigen Aufgaben- <strong>und</strong> Zuständigkeitsbereiche gewollt<br />

o<strong>der</strong> ungewollt zu verzerren, dadurch kann die Arbeitsqualität nicht kontinuierlich<br />

gehalten wer<strong>den</strong> <strong>und</strong> verschlechtert sich auf lange Sicht gesehen.<br />

Das Prinzip <strong>der</strong> Rechenschaft besagt, dass die Hierarchie <strong>der</strong> Aufgabenkreise <strong>und</strong><br />

Zuständigkeiten so gestaltet wer<strong>den</strong> soll, dass jede/r nur einem/r Vorgesetzten über<br />

seine/ihre Arbeit berichtet <strong>und</strong> auch nur dieser Person gegenüber verantwortlich ist.<br />

Diese Person ist in <strong>der</strong> kleinen Gruppe <strong>der</strong>/die KoordinatorIn, selbst dann, wenn die<br />

Berichte in die Zentrale geschickt wer<strong>den</strong>. Die Rechenschaftspflicht kann aus<br />

Organisationsstrukturen, in <strong>den</strong>en die Zuständigkeiten <strong>und</strong> Befugnisse vorher bestimmt<br />

sind <strong>und</strong> in <strong>der</strong> die Führung einheitlich ist, klar abgeleitet wer<strong>den</strong>.<br />

Das Prinzip <strong>der</strong> Befugnis bezieht sich auf die Anzahl <strong>der</strong> von einem/r KoordinatorIn<br />

geführten Menschen. Im Sinne dieses Prinzips muss die Organisation so aufgebaut sein,<br />

dass <strong>der</strong>en Befugnisse dasjenige Niveau, welches <strong>der</strong>/die KoordinatorIn noch effizient<br />

leiten <strong>und</strong> führen kann, nicht übersteigen soll. In <strong>der</strong> Praxis können Befugnisbereiche<br />

sehr variabel sein.<br />

573<br />

Vgl. CSEPELI, A szervezkedő ember, 21.<br />

574<br />

Vgl. Ebd. 279.<br />

242


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

Flexibilität <strong>und</strong> Verhältnisse<br />

Da die NFS mit an<strong>der</strong>en Organisationen <strong>und</strong> <strong>der</strong> ganzen Gesellschaft in einem<br />

dynamischen <strong>und</strong> lebendigen Kontakt stehen soll, üben verschie<strong>den</strong>e Än<strong>der</strong>ungen des<br />

breiten Umfeldes eine Wirkung auf sie aus. 575 Diesen muss sie sich einerseits anpassen<br />

– z.B. Trennung des Krankentransports <strong>und</strong> <strong>der</strong> ambulanten Versorgung, bei <strong>der</strong> auch<br />

die NFS sich än<strong>der</strong>t –, an<strong>der</strong>erseits kann sie diese Än<strong>der</strong>ungen bis zu einem gewissen<br />

Grad beeinflussen. Die Flexibilität ist ein ständiger Prüfstein <strong>der</strong><br />

organisationsbezogenen Lebensfähigkeit <strong>der</strong> NFS. Es ist wichtig, dass unter <strong>den</strong> Größen<br />

<strong>der</strong> einzelnen Organisationseinheiten <strong>und</strong> Abteilungen, <strong>den</strong> standardisierten,<br />

bestehen<strong>den</strong> <strong>und</strong> neuen Verfahren, sowie <strong>der</strong> Zentralisierung <strong>und</strong> Dezentralisierung <strong>der</strong><br />

Verantwortung <strong>der</strong> Entscheidungsträger eine rationelle Hierarchie besteht. Die ständige<br />

Aufgabe <strong>der</strong> Festlegung richtiger Verhältnisse ist nichts an<strong>der</strong>es als die Optimierung des<br />

Systembetriebs. 576<br />

Stabilität <strong>und</strong> Simplizität<br />

In einer sich schnell än<strong>der</strong>n<strong>den</strong> Umwelt ist die Stabilität im klassischen Sinne ihrer<br />

Bedeutung praktisch nichtinterpretierbar gewor<strong>den</strong>. Daher ist es vielleicht geschickter,<br />

von einem dynamischen Gleichgewicht zu sprechen. In einem an<strong>der</strong>en Sinne bedeutet<br />

das Prinzip <strong>der</strong> Stabilität, dass die Organisationsstruktur <strong>der</strong> NFS nicht an die<br />

KollegInnen, son<strong>der</strong>n an Funktionen <strong>und</strong> Aktivitäten angepasst ist. 577 Dies garantiert die<br />

Organisationsstabilität. Auch beim Ausfall einiger Personen darf die Effizienz nicht<br />

sinken. Es gibt keine unentbehrliche Person – <strong>und</strong> wenn es sie doch gibt, dann bedeutet<br />

das lediglich, dass die Organisation nicht auf festen Beinen steht. Die NFS muss stark<br />

genug sein, um auch beim Ausfall einzelner MitarbeiterInnen die Arbeit entsprechend<br />

qualitativ weiterzuführen. Daher lohnt es sich, Prozesse zu dokumentieren <strong>und</strong> vor<br />

allem auch einfache Prozesse zu entwickeln. So ist die Chance größer, dass im Notfall<br />

auch an<strong>der</strong>e KollegInnen einspringen <strong>und</strong> die Betriebsstabilität garantieren können.<br />

575<br />

Vgl. KLEIN, Vezetés- és szervezetpszichológia, 350-350.<br />

576<br />

Vgl. Ebd. 68.<br />

577<br />

KLEIN, Vezetés- és szervezetpszichológia, 393.<br />

243


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

Professionalität, Qualitätsarbeit, Verantwortung, Innovation<br />

Eine Verantwortung gegenüber dem Personal ist sicher zu stellen, dass sie ihre<br />

fachlichen <strong>und</strong> allgemeinen Kompetenzen <strong>und</strong> Fähigkeiten ständig entwickeln <strong>und</strong> ihre<br />

Arbeit fachgerecht <strong>und</strong> professionell verrichten können. 578 Sie sollen <strong>für</strong> ihre<br />

Aktivitäten <strong>und</strong> Entscheidungen die Verantwortung übernehmen <strong>und</strong> sich das System<br />

<strong>der</strong> Kriterien <strong>für</strong> qualitative Arbeitsverrichtung aneignen. Im Sinne einer erfolgreichen<br />

Anpassung an ein sich ständig än<strong>der</strong>ndes Umfeld sollen sie offen sein <strong>für</strong> Innovationen<br />

<strong>und</strong> sie auch anwen<strong>den</strong> wollen. Sie sollen im Sinne <strong>der</strong> Verbesserung <strong>der</strong> Effizienz <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Wirksamkeit mit dem Bedürfnis <strong>der</strong> Entwicklung auftreten <strong>und</strong> die zusätzlichen<br />

Lasten <strong>und</strong> Bür<strong>den</strong> <strong>der</strong> Innovation tragen wollen.<br />

Die Frage <strong>der</strong> Interpretation <strong>der</strong> Professionalität ist bei <strong>der</strong> Organisation wichtig. Der<br />

Gr<strong>und</strong> hier<strong>für</strong> mag vielleicht sein, dass die Kirche etwas An<strong>der</strong>es unter Professionalität<br />

versteht <strong>und</strong> wachsam ist bzw. die Möglichkeit <strong>der</strong> direkten Kontrolle über die<br />

pastoralen Möglichkeiten behalten möchte. Diese Haltung <strong>der</strong> Kirche kann als Axiom<br />

ihrer Denkweise erachtet wer<strong>den</strong>.<br />

Gleichzeitig versteht die von <strong>den</strong> Prozessen <strong>der</strong> Wirtschaft <strong>und</strong> des Marktes motivierte<br />

Welt unter dem Begriff <strong>der</strong> Professionalität etwas ganz An<strong>der</strong>es als die früher<br />

skizzierten Modelle.<br />

4.2.2. Verpflichtung, Zuverlässigkeit, Loyalität <strong>und</strong> die Stärkung <strong>der</strong> sozialen<br />

Akzeptanz<br />

Das Personal steuert zur Verbreitung des guten Rufes des Katastrophenschutzes, zur<br />

bewussten Bekanntmachung <strong>der</strong> Werte durch diszipliniertes Arbeiten <strong>und</strong> mit einer <strong>den</strong><br />

allgemeinen Normen entsprechen<strong>den</strong> Lebensführung seinen Anteil bei. Im Weiteren hat<br />

das Personal mit dem ihm anvertrauten Gütern, Werten <strong>und</strong> Mitteln, <strong>den</strong><br />

Fachinformationen <strong>und</strong> Metho<strong>den</strong> behutsam umzugehen. Wichtige Kriterien sind<br />

Kooperation, Berechenbarkeit, Motiviertheit, Verstärkung des Gemeinschaftsgeistes<br />

sowie das Kümmern um MitarbeiterInnen. Das Personal soll zum Erreichen <strong>der</strong> Ziele<br />

eine mit Hilfsbereitschaft gepaarte, kontinuierliche Kooperation, einen Ausbau <strong>der</strong><br />

578 Vgl. Ebd. 244.<br />

244


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

kollegialen Kontakte, die sich dem Hierarchiesystem gut anpassen, sowie die För<strong>der</strong>ung<br />

von Kollegialität <strong>und</strong> Kameradschaft anstreben.<br />

4.2.3. Der Ethikkodex als Gr<strong>und</strong>stein des Organisationsbetriebs<br />

Die Gesellschaft erwartet von <strong>den</strong> KollegInnen <strong>der</strong> offiziellen<br />

Katastrophenschutzorganisationen in Verbindung mit <strong>der</strong> Verrichtung humanitärer<br />

Aufgaben einen hohen Grad an moralischer Verantwortung sowie eine Werte- <strong>und</strong><br />

Normenfolge. Die Aktivität <strong>der</strong> Organisation wird in erster Linie von <strong>den</strong> sonstigen<br />

Rechtsmitteln <strong>der</strong> Staatsverwaltung bestimmt. Das im Ethikkodex zusammengefasste<br />

Normensystem – welches <strong>für</strong> die Katastrophenschutzmitarbeiter im IM 579 schon erstellt<br />

wurde <strong>und</strong> welches die hier in Ungarn arbeiten<strong>den</strong> SeelsorgerInnen übernehmen können<br />

– wird generell durch die Organisationskultur, Moral sowie das menschliche <strong>und</strong><br />

fachliche Gewissen <strong>der</strong> Katastrophenschutzorgane lebendig gemacht. 580 Das ethische<br />

Verhalten spiegelt <strong>den</strong> Entwicklungsgrad <strong>der</strong> Persönlichkeit <strong>und</strong> das positive<br />

Wertesystem wi<strong>der</strong> <strong>und</strong> kann nicht als eine dem/r ArbeitgeberIn gebotene<br />

Zusatzleistung gedeutet wer<strong>den</strong>. Dementsprechend kann das ethische Verhalten nicht<br />

finanziell gewürdigt wer<strong>den</strong>. Es liegt in seiner Natur, dass es we<strong>der</strong> bezahlt noch<br />

erzwungen wer<strong>den</strong> kann <strong>und</strong> ist vielmehr ein fester Bestandteil des menschlichen<br />

Verhaltens per se.<br />

Die Mission des Katastrophenschutzes ist in erster Linie die Verrichtung humanitärer<br />

Aufgaben (Prävention von Unfällen <strong>und</strong> Katastrophen, Informierung <strong>der</strong> Gesellschaft,<br />

Schutz des Lebens <strong>und</strong> materieller Güter <strong>der</strong> Bevölkerung, Garantie gr<strong>und</strong>legen<strong>der</strong><br />

Lebensumstände, Durchführung <strong>der</strong> Rettung sowie die Schaffung <strong>der</strong> Bedingungen <strong>für</strong><br />

<strong>den</strong> Wie<strong>der</strong>aufbau usw.).<br />

Das Ziel <strong>der</strong> Herausgabe des Ethikkodexes liegt darin, die von Regelwerken nicht<br />

regulierte <strong>und</strong> von <strong>der</strong> Gesellschaft erwartete Moral-, Benehmens-, <strong>und</strong><br />

Verhaltensnormen zu definieren <strong>und</strong> zusammenzufassen. Folgende Normen gelten <strong>für</strong><br />

die Mitarbeiten<strong>den</strong> 581 :<br />

579 Katastrophenschutz in Ungarn<br />

580 Vgl. http://www.katasztrofavedelem.hu/letoltes/szervezet/kodex.pdf [abgerufen am 09.03.2011].<br />

581 Vgl. http://www.katasztrofavedelem.hu/letoltes/szervezet/kodex.pdf [abgerufen am 09.03.2011].<br />

245


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

- entsprechende Anleitungen <strong>für</strong> MitarbeiterInnen <strong>und</strong> LeiterInnen im Falle eines<br />

ethisch zu bemängeln<strong>den</strong> Verhaltens <strong>für</strong> die Erkennung sowie <strong>für</strong> stärkende<br />

Aktivitäten, <strong>der</strong>en unparteiischer Beurteilung <strong>und</strong> Bewertung;<br />

- Vermittlung <strong>der</strong> Tatsache, dass das Personal <strong>der</strong> Organisation bei <strong>der</strong> Arbeit <strong>der</strong><br />

Einhaltung <strong>der</strong> Ethikvorschriften eine wichtige Rolle zuschreibt, um dadurch<br />

auch das Vertrauen in die Organisation zu steigern;<br />

- Schutzgarantie <strong>für</strong> alle <strong>den</strong> Normen folgen<strong>den</strong> Personen sowie ein Beitrag zur<br />

Stärkung <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> menschlichen Würde.<br />

Planung <strong>der</strong> konkreten Arbeitsorganisation<br />

Die Organisation kann dann mit <strong>der</strong> Arbeit beginnen, wenn <strong>der</strong> Plan, nach dem die<br />

Modellorganisation aufgestellt wird, innerhalb <strong>der</strong> Diözese ratifiziert wor<strong>den</strong> ist. Zu<br />

diesem Zweck soll ein/e Projektverantwortliche/r bestimmt wer<strong>den</strong>, <strong>der</strong>/die die<br />

Tätigkeiten startet <strong>und</strong> parallel dazu mit an<strong>der</strong>en potentiellen Kooperationsorganen<br />

akkordiert.<br />

Eine an<strong>der</strong>e mögliche Organisationsart kann sein, dass das Militärordinariat ungarnweit<br />

mit <strong>der</strong> Organisation <strong>der</strong> NFS beginnt <strong>und</strong> diese auf Diözesen aufbaut. Es ist kein<br />

Zufall, dass <strong>der</strong> Katastrophenschutz das Militärordinariat mit dieser Bitte aufgesucht<br />

hat. Gleichzeitig ist es auch ein Faktum, dass <strong>der</strong> Militärseelsorgedienst aufgr<strong>und</strong> seines<br />

Betriebes, welcher dem Regionalprinzip entsagt hat, jetzt auch als Kategorialseelsorge<br />

betreibende Organisation die Gr<strong>und</strong>lage des NFS-Betriebs sein kann. Gleichzeitig ist<br />

ein wichtiges Argument <strong>für</strong> das Militärordinariat, als Kirchenform verantwortlich <strong>für</strong><br />

die Supervision <strong>der</strong> NFS, dass mit dem Schwin<strong>den</strong> <strong>der</strong> Militärseelsorgeaktivitäten auch<br />

ihre Aufgaben umstrukturiert wer<strong>den</strong> <strong>und</strong> die Leitung des Militärordinariates sowie die<br />

ExpertInnen <strong>und</strong> SeelsorgerInnen dadurch mehr freie Kapazitäten haben.<br />

4.3. Planung<br />

Ausgehend von <strong>den</strong> bei <strong>der</strong> Planung festgelegten Zielen kann die Organisationsstruktur,<br />

die <strong>der</strong> effizienten Aufgabenlösung einen Rahmen gibt, durch die Schaffung eines<br />

246


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

Organisationsmodells gestaltet wer<strong>den</strong>. 582 Die Än<strong>der</strong>ung des sozialen Umfeldes <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

zur Verfügung stehen<strong>den</strong> Ressourcen, das Auftauchen neuer Aufgaben <strong>und</strong> das<br />

Ausbleiben des Bedarfs nach bestimmten Aufgaben ergeben, dass die Organisation im<br />

ständigen Wandel ist. Daher muss die Betriebsform in Hinblick auf Effizienz immer<br />

wie<strong>der</strong> neu überlegt <strong>und</strong> schließlich umstrukturiert wer<strong>den</strong>. Dies kann eventuell auch<br />

zur Folge haben, dass bestimmte Bereiche <strong>der</strong> Aktivität – ohne die gr<strong>und</strong>legen<strong>den</strong> Ziele<br />

<strong>der</strong> NFS zu vernachlässigen – abgetrennt wer<strong>den</strong> müssen.<br />

4.3.1. Zeitliche Planung <strong>der</strong> Aktivitäten<br />

Untersucht man die Gewichtung <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Katastrophenseelsorge verrichteten<br />

Aufgaben, kann festgestellt wer<strong>den</strong>, dass die Aktivitäten zeitlich von drei – ganz<br />

unterschiedliche Betriebscharakteristika aufweisen<strong>den</strong> – Phasen gekennzeichnet<br />

wer<strong>den</strong>. Diese sind <strong>der</strong> Bereitschaftszustand, die aktive Einsatzphase <strong>und</strong> die<br />

Nacharbeiten. Diese drei Phasen bil<strong>den</strong> natürlich ein logisch zusammenhängendes <strong>und</strong><br />

aufbauendes System.<br />

Die Ziele <strong>der</strong> Aktivitäten in <strong>der</strong> Vorbereitungsphase sind 583 :<br />

- Die seelisch-psychologische Vorbereitung <strong>der</strong> Bevölkerung auf die<br />

bevorstehen<strong>den</strong> Ereignisse;<br />

- Die Organisation von Veranstaltungen, Fortbildungen <strong>und</strong> Vorbereitung <strong>für</strong> das<br />

sich an <strong>der</strong> Katastrophenbewältigung beteiligende Zivilpersonal, damit diese<br />

sich mit <strong>der</strong> Bevölkerung unter Berücksichtigung moralischer <strong>und</strong><br />

psychologischer Aspekte beschäftigen können;<br />

- Die ständige Kommunikation mit <strong>den</strong> sich an <strong>der</strong> Katastrophenbewältigung<br />

beteiligen<strong>den</strong> Organisationen, damit <strong>der</strong> Bekanntheitsgrad <strong>und</strong> die Akzeptanz<br />

<strong>der</strong> Katastrophenseelsorge innerhalb <strong>der</strong> Branche größer wer<strong>den</strong>, wodurch bei<br />

Katastrophenfällen ein effizienteres Auftreten ermöglicht wird;<br />

- Die Kontrolle <strong>und</strong> das ständiges Überwachen <strong>der</strong> Strukturen, die Verarbeitung<br />

<strong>der</strong> dabei gesammelten Materialien, die Finanzierungsplanung <strong>und</strong><br />

582<br />

Vgl. http://www.echoinn.hu/_user/downloads/KDROP313/kl-ProjektTervezes.pdf [abgerufen am<br />

09.03.2011].<br />

583<br />

Vgl. http://www.menszt.hu/layout/set/print/content/view/full/445 [abgerufen am 09.03.2011].<br />

247


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

Strukturierung sowie Kontrolle <strong>der</strong> technischen Bedingungen gehören ebenso<br />

dazu;<br />

- Psychologische, seelische „Wartung“ <strong>der</strong> MitarbeiterInnen, Organisation von<br />

Teambuildung-Seminaren;<br />

- Organisation <strong>der</strong> Pressearbeit.<br />

Die Ziele <strong>der</strong> Aktivitäten in <strong>der</strong> aktiven Einsatzphase o<strong>der</strong> bei Katastrophen sind 584 :<br />

- Seelisch-psychische Unterstützung <strong>der</strong> Bevölkerung,<br />

- Seelisch-psychologische Unterstützung des Personals, Hilfe bei <strong>der</strong><br />

Stressbewältigung o<strong>der</strong> bei konkreten Aufgaben,<br />

- Hilfe bei <strong>der</strong> Bewältigung von Krisenstimmungen in <strong>den</strong> Notunterkünften,<br />

- Organisation <strong>der</strong> Pressearbeit,<br />

- Durchführung religiöser Rituale, ständige Präsenz bei <strong>den</strong> Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong>,<br />

- Feststellung <strong>der</strong> Bedürfnisse nach konkreter Hilfeleistung, Zuteilung<br />

notwendiger materieller Güter <strong>und</strong> ExpertInnen,<br />

- Koordinierung von Hilfen,<br />

- Führung eines Arbeitsprotokolls,<br />

- Debriefings, Achten auf die eigenen MitarbeiterInnen, gegebenenfalls<br />

Hilfeleistung.<br />

4.3.2. Nachbearbeitung<br />

Die geson<strong>der</strong>te Bewältigung <strong>der</strong> seelischen Aspekte von Katastrophen wird von <strong>der</strong><br />

Tatsache untermauert, dass ein seelisches Trauma, ausgehend von <strong>den</strong> allgemeinen<br />

Auswirkungen <strong>und</strong> konkreten Folgen, deutlich länger anhalten kann als die eigentliche<br />

Gefahrensituation. Daher stellt sich ein bis drei Tage nach einer Katastrophe die<br />

Aufgabe <strong>der</strong> Unterstützung beim Wie<strong>der</strong>aufbau <strong>und</strong> <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>herstellung. Abgesehen<br />

davon hat die NFS folgende spezielle Aufgaben 585 :<br />

584 Vgl. VÉGH, József: Skriptum zum Vortag in Budapest über Psycho-Soziale Ausbildung, abgehalten am<br />

25.03.2008.<br />

585 VÉGH, József: Skriptum zum Vortag in Budapest über Psycho-Soziale Ausbildung, abgehalten am<br />

25.03.2008.<br />

248


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

- organisierte Fallauswertung mit <strong>den</strong> MitarbeiterInnen <strong>und</strong> Supervision,<br />

- Teambuildig-Trainings,<br />

- Zusammenfassung, Evaluierung von Arbeitsprotokollen, Statistiken,<br />

Pressematerialien.<br />

5. Aus- <strong>und</strong> Weiterbildung/Organisation <strong>der</strong> Humanressourcen<br />

Im Rahmen dieses Themenkreises sollen zuerst diejenigen Aufgabenbereiche<br />

vorgestellt wer<strong>den</strong>, zu <strong>der</strong>en Ausführung MitarbeiterInnen geworben wer<strong>den</strong> müssen –<br />

wobei die Rolle des/r Koordinators/in hervorgehoben wird – <strong>und</strong> dann die eigentliche<br />

Aktivität.<br />

5.1. Der Koordinator/Die Koordinatorin<br />

Der/die NFS-KoordinatorIn kann ein/e hauptberuflich Beschäftigte/r o<strong>der</strong> ehrenamtlich<br />

tätige Person sein. Bei seiner/ihrer Auswahl muss aber bedacht wer<strong>den</strong>, dass diese<br />

Aktivität demjenigen/<strong>der</strong>jenigen, <strong>der</strong>/die dies neben <strong>den</strong> sonstigen normalen Tätigkeiten<br />

ausüben möchte, eine Extraaufgabe bedeuten wird. Denn er/sie hat nicht nur dann zu<br />

tun, wenn die Freiwilligen „im Einsatz“ sind, son<strong>der</strong>n muss aller Wahrscheinlichkeit<br />

nach auch alle Arbeiten im Vorfeld erledigen bzw. koordinieren. Deshalb ist es gut,<br />

wenn MitarbeiterInnen entschei<strong>den</strong> können, ob sie diese Aufgabe machen möchten.<br />

Wenn hier<strong>für</strong> keine Möglichkeit besteht, sollten Personen auserkoren wer<strong>den</strong>, die es in<br />

ihrer Arbeitszeit noch unterbringen können o<strong>der</strong> bereits Erfahrungen auf diesem Gebiet<br />

haben (z.B. wenn sie schon Freiwillige waren) bzw. über entsprechende Fähigkeiten<br />

verfügen.<br />

Die Aufgaben des/r Koordinators/in 586<br />

- Er/sie ermittelt, oft mit zusätzlicher Hilfe, die Fähigkeiten <strong>und</strong> Fertigkeiten <strong>der</strong><br />

Freiwilligen bzw. welche Arbeit sie in Zukunft gut bewältigen können.<br />

586 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 23-33.<br />

249


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

- Er/sie formuliert die noch nicht verteilten Aufgaben (die sowohl die Organisation als<br />

auch die Freiwilligen verrichten können).<br />

- Er/sie koordiniert <strong>und</strong> beobachtet die verrichtete Arbeit ständig.<br />

- Er/sie mischt sich bei Bedarf in die Prozesse ein (durch Hilfestellung o<strong>der</strong><br />

Bestimmung eines an<strong>der</strong>en Aufgabenbereichs).<br />

- Er/sie hält die Kommunikation zwischen <strong>den</strong> Freiwilligen <strong>und</strong> dem<br />

Hauptberufspersonal aufrecht.<br />

- Er/sie ist mit an<strong>der</strong>en Organisationen in Kontakt bzw. überwacht <strong>den</strong> Kontakt <strong>der</strong> NFS<br />

zu an<strong>der</strong>en Organisationen.<br />

- Er/sie sucht spezielle KollegInnen, z.B. Aufsichtspersonen o<strong>der</strong> KollegInnen mit<br />

Fremdsprachkenntnissen <strong>für</strong> spezielle Aufgaben, <strong>und</strong> teilt diese Personen zu.<br />

Die Organisation muss <strong>den</strong> reibungslosen Ablauf <strong>der</strong> Prozesse garantieren. Hierzu sind<br />

geklärte Betriebsrahmen <strong>und</strong> rechtliche Bestimmungen notwendig bzw. muss <strong>der</strong>/die<br />

KoordinatorIn wissen, wann <strong>und</strong> wobei er/sie alleine entschei<strong>den</strong> kann.<br />

Selbstverständlich sind eindeutige Rahmenbestimmungen nicht nur <strong>für</strong> <strong>den</strong>/die<br />

KoordinatorIn son<strong>der</strong>n <strong>für</strong> das gesamte Personal wichtig.<br />

5.2. Sonstige Aufgabenbereiche innerhalb des Dienstes<br />

- TrainerInnen <strong>und</strong> PsychologInnen: sind in <strong>der</strong> Lage, bei Auswahl <strong>und</strong> Training (auf<br />

seelischer, psychischer, ritueller, mentaler <strong>und</strong> professioneller Ebene) <strong>der</strong> Gruppen-<br />

formierung, Supervision <strong>und</strong> dem Debriefing <strong>der</strong> Gruppe zu helfen.<br />

- Wirtschafts- <strong>und</strong> StatistikexpertInnen: planen die Finanzierung, Koordiniation <strong>und</strong><br />

Hilfe bei wirtschaftlichen Fragen <strong>der</strong> NFS, fassen Berichte zusammen, ermessen<br />

Aktivitätseffizienz, lenken die Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit eventueller<br />

Än<strong>der</strong>ungen.<br />

- LogistikerInnen: helfen bei technischen Lösungen, treiben die Beschaffung des<br />

notwendigen Mittelkontingents voran.<br />

- PressereferentInnen: ermöglichen <strong>den</strong> Medien qualitativ hochwertige<br />

Pressematerialien, strukturieren <strong>und</strong> garantieren Hintergr<strong>und</strong>informationen<br />

wissenschaftlicher Arbeiten sowie Informationen <strong>und</strong> Basisdaten <strong>der</strong> Forschung.<br />

250


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

- IT-ExpertInnen: beteiligen sich an <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> Betrieb notwendigen<br />

Software, editieren Websites <strong>und</strong> unterstützen in Bereitschaftszeiten die Medienpräsenz.<br />

- Ärzte/innen, MedizinerInnen: halten Ges<strong>und</strong>heitstrainings, leiten die medizinischen<br />

Fortbildungen.<br />

- ProjektmanagerInnen: planen, koordinieren <strong>und</strong> gestalten Projekte entsprechend <strong>den</strong><br />

Bedürfnissen, unterstützen <strong>und</strong> beobachten <strong>den</strong> Verlauf <strong>der</strong> Aktivitäten.<br />

- Freiwillige: Ihre Aufgabe ist die Übernahme von monatlich zwölf St<strong>und</strong>en<br />

Bereitschaftsdienst. Bei Alarmierung sind ihre Pflichten, sich an <strong>den</strong> Einsatzort zu<br />

begeben, die Alarmierung des/r Koordinators/in, sowie die Informationsvermittlung <strong>und</strong><br />

entsprechende seelische <strong>und</strong> psychische Hilfeleistung <strong>für</strong> Notlei<strong>den</strong>de unter<br />

Berücksichtigung <strong>der</strong> Weisungen des/r Einsatzleiters/in.<br />

5.3. Training <strong>und</strong> Weiterbildung <strong>der</strong> Humanressourcen<br />

Im Sinne <strong>der</strong> Organisation eines kontinuierlichen <strong>und</strong> effizienten Betriebs müssen<br />

folgende Elemente ausgearbeitet sein:<br />

Konkrete Planung <strong>der</strong> Werbung 587<br />

Die Werbung <strong>der</strong> Freiwilligen kann von vielen Orten aus beginnen. Die Sammlung <strong>der</strong><br />

MitarbeiterInnen früherer Initiativen auf einer Liste kann zu einem schnellen Erfolg<br />

führen. Auch die Priester <strong>und</strong> Freiwilligen <strong>der</strong> historischen Kirchen, <strong>der</strong> Reformierte<br />

Hilfsdienst, die Caritas o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Malteser Hilfsdienst <strong>und</strong> die MitarbeiterInnen im<br />

Ges<strong>und</strong>heitswesen können angesprochen wer<strong>den</strong>. Die Werbung muss unbedingt mit<br />

dem Aufsuchen dieser Organisationen beginnen, aber geworben wer<strong>den</strong> kann nur mit<br />

Zustimmung <strong>der</strong> Führung dieser Organisationen.<br />

Jede Diözese hat Erfahrungen darüber, welche Art von Organisation mit welcher<br />

Struktur <strong>und</strong> welcher Personenzahl sich in die eigene Organisationskultur einglie<strong>der</strong>n<br />

lässt. Bei <strong>der</strong> Planung sind die bisherigen Erfahrungen von Freiwilligen an<strong>der</strong>er<br />

diözesaner Bereiche sowie <strong>der</strong>en Integration sehr wichtig. Dies muss mit <strong>den</strong> Aufgaben<br />

587 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 2.<br />

251


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

<strong>und</strong> Erwartungen, die gegenüber einer neuen o<strong>der</strong> jetzt nicht in allen Belangen richtig<br />

funktionieren NFS gestellt wer<strong>den</strong> können, abgestimmt sein. Dies sind die Gr<strong>und</strong>lagen<br />

<strong>der</strong> tatsächlichen Planung. Potentielle MitarbeiterInnen können schriftlich, persönlich,<br />

über das Internet o<strong>der</strong> die Medien angesprochen wer<strong>den</strong>. Jede/r Psychologe/in bzw.<br />

Pfarrer/in kann unabhängig von <strong>der</strong> religiösen <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> konfessionellen Zugehörigkeit<br />

Mitglied <strong>der</strong> Organisation sein, wenn er/sie die inhaltlichen <strong>und</strong> funktionellen<br />

Rahmenbedingungen akzeptiert, an <strong>den</strong> vorgegeben Fach-, sowie <strong>den</strong><br />

vorschriftsmäßigen Unfall- <strong>und</strong> Brandtrainings teilnimmt <strong>und</strong> laut Eignungstest über die<br />

zur Verrichtung <strong>der</strong> Arbeit notwendigen Kenntnisse verfügt. Außerdem muss er/sie es<br />

auf sich nehmen, nach <strong>den</strong> Einsätzen über die wichtigsten Erfahrungen <strong>und</strong> Einsichten<br />

einen schriftlichen Bericht zu verfassen.<br />

Bei <strong>der</strong> Arbeitstauglichkeit müssen sich die BewerberInnen mithilfe von speziellen<br />

ExpertInnen durchgeführten Arbeitstauglichkeits-, Qualifikations- <strong>und</strong> Selektionstests<br />

unterziehen bzw. muss man sich wegen <strong>der</strong> zeitlich ausgedehnten Krisensituationen<br />

permanent ihrer Belastbarkeit <strong>und</strong> ihres stabilen mentalen Zustands versichern.<br />

Training 588<br />

Das Ziel des Trainings ist, dass die sich bei <strong>der</strong> Organisation bewerben<strong>den</strong><br />

MitarbeiterInnen die Krisensituation erkennen, i<strong>den</strong>tifizieren <strong>und</strong> dann in <strong>der</strong> Lage sind,<br />

auf spezielle Situationen <strong>den</strong> Gegebenheiten <strong>und</strong> ihren Fähigkeiten entsprechend<br />

Antworten zu geben. Zukünftige MitarbeiterInnen müssen Kompetenzgrenzen ermessen<br />

<strong>und</strong> deuten, wie z. B. verschie<strong>den</strong>e Katastrophensituationen innerhalb welcher<br />

Fachkompetenzgrenzen sicher unter Kontrolle gehalten bzw. persönliche <strong>und</strong> räumliche<br />

Verantwortungen etabliert wer<strong>den</strong> können. Beim Training müssen Individuen in <strong>der</strong><br />

Lage sein, Fachwissen in Krisensituationen anzuwen<strong>den</strong>, d.h. Krisen bewältigen zu<br />

können <strong>und</strong> durch ständiges Lernen diese Bewältigungsfähigkeit zu verbessern <strong>und</strong> zu<br />

erweitern. Die KrisenmanagerInnen müssen <strong>den</strong> Anstieg des eigenen Stresspegels sehen<br />

bzw. regulieren können <strong>und</strong> <strong>den</strong> Stresspegel <strong>der</strong> Personen unter ihrer Obhut beobachten.<br />

Das Training muss zum Teil eine psychosoziale Komponente beinhalten, dies wird<br />

durch ein theologisches Gr<strong>und</strong>training <strong>und</strong> ein Training gewährleistet, welches sich auf<br />

die medizinischen Basiskenntnisse richtet. Ein Teil des theologischen Gr<strong>und</strong>trainings<br />

588 Vgl. Dokumentation <strong>der</strong> Interviews 189.<br />

252


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

beschäftigt sich mit <strong>der</strong> Aneignung <strong>der</strong> Kommunikation mit Verletzten. Beim Training<br />

müssen die psychischen Prozesse, die Ges<strong>und</strong>heitsversorgung <strong>und</strong> die Beschreibung <strong>der</strong><br />

Aktivitäten <strong>der</strong> an <strong>der</strong> Rettung Beteiligten bekannt gemacht wer<strong>den</strong> bzw. müssen,<br />

abgesehen von <strong>den</strong> Informationen über die Organisation, auch psychologische, rituelle,<br />

religiöse <strong>und</strong> medizinische Kenntnisse vermittelt wer<strong>den</strong>.<br />

Personen, die sich an konkreten Einsätzen beteiligt haben <strong>und</strong> nicht unbedingt NFS-<br />

MitarbeiterInnen waren – BürgermeisterInnen, ÄrztInnen, PsychologInnen – können<br />

auch gebeten wer<strong>den</strong>, sich am Training zu beteiligen, <strong>den</strong>n sie können dort mögliche<br />

Aufgaben vorstellen, die sich in einer konkreten Situation <strong>für</strong> die NFS ergeben können.<br />

Für das Training können potenzielle Gefahrenorte ausgesucht wer<strong>den</strong>. Falls möglich,<br />

kann auch <strong>der</strong> Besuch eines früheren Katastrophenortes als Traningsort ausgewählt<br />

wer<strong>den</strong>, <strong>den</strong>n vier bis fünf Jahre nach einem Ereignis können Beteiligte die Arbeit <strong>der</strong><br />

Freiwilligen aus einer vollkommen an<strong>der</strong>en Perspektive betrachten. Beim Training<br />

sollen auch die Geräte <strong>für</strong> die Scha<strong>den</strong>smin<strong>der</strong>ung – z.B. Zeltaufbau, Bettreparatur usw.<br />

– vorgestellt <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Gebrauch erklärt wer<strong>den</strong>, <strong>den</strong>n diese Kenntnisse haben im Falle<br />

einer länger anhalten<strong>den</strong> Katastrophe wichtigen Anteil am Erfolg. Die<br />

Hintergr<strong>und</strong>arbeit, <strong>der</strong> Planungsverlauf, dessen Struktur <strong>und</strong> auch das Controlling <strong>der</strong><br />

Aufgabenlösung sollen beim Training bekannt gemacht wer<strong>den</strong>, <strong>den</strong>n es ist wichtig,<br />

dass alle die Elemente <strong>der</strong> Betriebsstrategie <strong>und</strong> die vollständige Betriebsstruktur<br />

kennen, obwohl natürlich nicht jede/r alle Aufgaben verrichten wird. Das Training soll<br />

in mehrere Blöcke aufgeteilt wer<strong>den</strong>, wobei einzelne Blöcke jeweils in einem an<strong>der</strong>en<br />

Umfeld <strong>und</strong> mit einem/r an<strong>der</strong>en TrainerIn erfolgen sollen. Es ist von Vorteil, wenn<br />

zwei TrainerInnen die Gruppen die gesamte Trainingsphase hindurch begleiten, so<br />

besteht die Möglichkeit <strong>für</strong> ein kontinuierliches Feedback, die Entwicklung <strong>der</strong><br />

KandidatInnen <strong>und</strong> eventuelle Fehler können evaluiert wer<strong>den</strong>. Es ist auch wichtig, dass<br />

sich die zukünftigen NFS-MitarbeiterInnen über die Bedeutung <strong>der</strong><br />

Außenwahrnehmung <strong>der</strong> Organisation im Klaren sind, <strong>den</strong>n die Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> beurteilen<br />

<strong>den</strong> Arbeitsvorgang <strong>und</strong> die Qualität <strong>der</strong> Arbeit von außen. Während die Fachkenntnisse<br />

vermitteln<strong>den</strong> Elemente des Trainings <strong>der</strong> Professionalisierung dienen, können sich<br />

MitarbeiterInnen bei <strong>den</strong> Rollenspielen nicht nur in die Rolle <strong>der</strong> HelferInnen, son<strong>der</strong>n<br />

auch <strong>der</strong> Traumaopfer versetzen, <strong>und</strong> können so die Wirkungen einzelner Reaktionen in<br />

<strong>den</strong> KlientInnen „hautnah“ aus einem neuen Blickwinkel erleben. All dies ermöglicht<br />

253


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

die Analyse <strong>der</strong> Wirkungen <strong>der</strong> Metakommunikation, <strong>den</strong>n Menschen kommunizieren<br />

auch, wenn sie einan<strong>der</strong> bloß gegenüber sitzen. In einer Krisensituation wächst die<br />

Bedeutung <strong>der</strong> Metakommunikation. Beim Training sollen die Aktivitäten <strong>und</strong><br />

Rettungsaufgaben <strong>der</strong> PartnerInnenorganisationen vorgestellt wer<strong>den</strong>. Dazu ist es<br />

lohnend, jeweils einen Tag bei <strong>den</strong> jeweiligen PartnerInnenorganisationen zu<br />

verbringen.<br />

Beim Training:<br />

1. wird ein Vertrag zwischen <strong>den</strong> TeilnehmerInnen abgeschlossen, <strong>den</strong>n die<br />

verrichtete Arbeit kann in vielen Fällen eine fokussierte Psychotherapie sein; 589<br />

589 VÉGH, József: Skriptum zum Vortag in Budapest über Psycho-Soziale Ausbildung, abgehalten am<br />

25.03.2008. , Der Gr<strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> Psychologievertrag ist folgen<strong>der</strong>: Beim Training arbeiten wir mit<br />

solchen Ich-nahen Erlebnissen, die die Persönlichkeitsfunktion modifizieren. Im Allgemeinen entsteht das<br />

Bewusstsein <strong>der</strong> fachlichen I<strong>den</strong>tität in uns allen, d.h. man definiert <strong>für</strong> sich selbst, was <strong>für</strong> ein/e PfarrerIn<br />

etc. man ist. Man versetzt sich in eine Situation – <strong>und</strong> sieht <strong>den</strong> Betrieb –, vergleicht sie mit <strong>der</strong><br />

fachlichen I<strong>den</strong>tität <strong>und</strong> ist verblüfft zu sehen, dass dies dem früheren Selbstbild nicht entspricht. Dies ist<br />

ein ernstes Traumasymptom. In an<strong>der</strong>en Situationen wird man damit konfrontiert, dass man nicht als<br />

Mensch, son<strong>der</strong>n als Instinktwesen funktioniert <strong>und</strong> dies verblüfft auch ungemein. Ein weiteres Trauma<br />

verursacht die Tatsache, wenn <strong>der</strong>/die KandidatIn nicht in <strong>der</strong> Lage war, seinen/ihren Erwartungen o<strong>der</strong><br />

<strong>den</strong> <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en zu entsprechen <strong>und</strong> vielleicht feige o<strong>der</strong> unsinnig gehandelt hat. In einem Großteil <strong>der</strong><br />

Fälle musste das fachliche Selbstbild mit <strong>der</strong> Einschätzung neuer Kompetenzgrenzen neu bemessen<br />

wer<strong>den</strong>.<br />

Inhalt des Psychologievertrages:<br />

1. Jede/r wird <strong>für</strong> die Gesamtdauer des Trainings benötigt (es ist wohl schwierig, dort zu bleiben <strong>und</strong> mit<br />

unterschiedlichsten Aspekten konfrontiert zu wer<strong>den</strong>).<br />

2. Gemeinsame Verantwortung bei <strong>der</strong> Arbeit (Beteiligte sollen fühlen, dass wir mit ihnen <strong>und</strong> nicht<br />

gegen sie arbeiten).<br />

3. Jede/r ist <strong>für</strong> <strong>den</strong> Lernprozess verantwortlich (niemand wird auf die Einhaltung <strong>der</strong> Termine erinnert<br />

<strong>und</strong> ein seriöses Verhalten wird nicht eingemahnt).<br />

4. Jede/r spricht von sich in <strong>der</strong> ersten Person Singular (ich fühlte so, ich tat so usw.).<br />

5. Wir sprechen nur über das hier <strong>und</strong> jetzt <strong>und</strong> nicht darüber, was wäre, wenn (wir haben gemeinsame<br />

Erlebnisse, es ist leicht zu kontrollieren, was passiert ist).<br />

6. Gefühle wer<strong>den</strong> nicht bestritten, nur Fakten.<br />

7. Nur offene <strong>und</strong> ehrliche Meinungen können richtig <strong>und</strong> aufbauend kommentiert wer<strong>den</strong>.<br />

8. Wir geben unterstützende, aufbauende Feedbacks.<br />

9. Feedback zum Fehler: Wenn die Person nicht das Erhoffte erreicht hat, dann ist das ein Feedback <strong>und</strong><br />

keine Fehlermeldung. Feedback darüber, dass etwas das nächste Mal an<strong>der</strong>s geschehen soll. (Die<br />

Erfolgsorientierung <strong>und</strong> nicht die Fehlerorientierung soll in <strong>den</strong> TeilnehmerInnen aufgebaut wer<strong>den</strong>.)<br />

10. Geheimhaltung in dem Sinne, dass es nur die Betroffenen angeht, wer was wie gemacht hat. Die<br />

Lehren daraus können natürlich weitergetragen wer<strong>den</strong>.<br />

Der Vertrag beinhaltet noch die Klärung folgen<strong>der</strong> Sachverhalte:<br />

1. Ängste, Mutmaßungen, die bezüglich des Trainings Stress verursachen können.<br />

Dies zu klären ist wegen <strong>der</strong> Entlastung wichtig.<br />

2. Erwartungen gegenüber dem Training <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en. Es ist wichtig zu klären, wer mit welchen<br />

Erwartungen zum Training gekommen ist. Es hilft, <strong>den</strong> Trainingsverlauf <strong>und</strong> die Evaluierung bei Bedarf<br />

zu än<strong>der</strong>n bzw. darauf zu achten, wer mehr Aufmerksamkeit braucht.<br />

254


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

2. wer<strong>den</strong> die TeilnehmerInnen in eine Situation versetzt, mit <strong>der</strong> sie u.U. bei ihrer<br />

Arbeit konfrontiert wer<strong>den</strong> <strong>und</strong> welche extremen Stress verursachen kann. In vielen<br />

Fällen wird ihre berufliche I<strong>den</strong>tität in unterschiedlicher Ausprägung verletzt;<br />

3. wird mit <strong>den</strong> KandidatInnen detailliert ausdiskutiert, wer was in <strong>der</strong><br />

Extremsituation empf<strong>und</strong>en hat, ob es zum Stresserlebnis kam, woran sie das gemerkt<br />

haben, woran sie sich erinnern <strong>und</strong> wer was – bzw. wie – gemacht hat;<br />

4. kann es sein, dass man die Stresssituation nicht als solche wahrnimmt o<strong>der</strong> die<br />

Aufgabe <strong>und</strong> die Situation falsch einschätzt, da<strong>für</strong> erfolgt eine gemeinsame<br />

Videoanalyse;<br />

5. wer<strong>den</strong> Fachkenntnisse neu aufgebaut, Aufgaben <strong>und</strong> Situationskenntnisse<br />

verfeinert, richtige Reflexe aufgebaut <strong>und</strong> eingeprägt;<br />

6. wird gelehrt, wie man erfolgreiche Programme in Seele <strong>und</strong> Bewusstsein schreibt;<br />

7. wer<strong>den</strong> Stress- <strong>und</strong> Konfliktbewältigung <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e wichtige<br />

Selbsterkenntnistrainings gehalten;<br />

8. wer<strong>den</strong> TeilnehmerInnen erneut in Extremsituationen versetzt, wo die Mehrheit<br />

die Aufgabe <strong>und</strong> die Situation richtig analysieren. Sie behandeln ihre Fachkompetenz<br />

genau, daher gibt es wenige Stresserlebnisse, die Ausführung ist fachlich <strong>und</strong> rechtlich<br />

korrekt, es gibt kaum Ausfälle.<br />

5.4. Weiterbildung – kontinuierliches Training<br />

Die sich weiterbil<strong>den</strong><strong>den</strong> MitarbeiterInnen sind die wichtigste Ressource <strong>der</strong><br />

Informationszentrale <strong>und</strong> <strong>der</strong> Einsätze. Man muss die Informationsbedürfnisse <strong>der</strong><br />

MitarbeiterInnen kennen <strong>und</strong> <strong>den</strong>en, die es benötigen, Lernmöglichkeiten bieten. Alle<br />

sind sich des Lernbedarfs von neuen MitarbeiterInnen im Klaren. Es ist deshalb gut,<br />

wenn anfangs neue MitarbeiterInnen mit routinierten KollegInnen zusammenarbeiten,<br />

von <strong>den</strong>en sie lernen können. Die kontinuierliche Informationsbeschaffung älterer<br />

MitarbeiterInnen ist normalerweise geringer, obwohl die sich ständig än<strong>der</strong>nde Umwelt<br />

dies nötig machen würde.<br />

3. Garantien während des Trainings.<br />

Der emotionale Miteinbezug <strong>der</strong> TeilnehmerInnen in das Training muss erhöht wer<strong>den</strong>, <strong>den</strong>n dadurch<br />

än<strong>der</strong>t sich die Teilhabe <strong>und</strong> wird <strong>der</strong> Lernprozess besser.<br />

255


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

Die Fortbildungen haben folgendes Ziel 590 :<br />

- Garantie <strong>der</strong> Bildung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Personalentwicklung,<br />

- Erhöhung <strong>der</strong> Motivation <strong>und</strong> <strong>der</strong> MitarbeiterInnenzufrie<strong>den</strong>heit,<br />

- Maximierung <strong>der</strong> Leistungsfähigkeit,<br />

- Garantie des entsprechen<strong>den</strong> Arbeitsumfeldes. 591<br />

Häufige Trainings, durch die das Wissen sowie das Selbstvertrauen <strong>der</strong><br />

MitarbeiterInnen <strong>für</strong> die Einsätze gestärkt wer<strong>den</strong>, sind von hoher Wichtigkeit. Die<br />

Gruppenmitglie<strong>der</strong> können beim Training Fertigkeiten erwerben, entwickeln <strong>und</strong><br />

aufrechterhalten. Das Ziel <strong>der</strong> Trainings ist also die Entwicklung <strong>der</strong> Fachkenntnisse<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> psychischen <strong>und</strong> physischen Standhaftigkeit <strong>der</strong> EntscheidungsträgerInnen<br />

sowie <strong>der</strong> sich an <strong>den</strong> Einsätzen konkret beteiligen<strong>den</strong> MitarbeiterInnen in <strong>der</strong><br />

Krisensituation.<br />

Vielen MitarbeiterInnen sind Rollenspiele fremd. Gleichzeitig ist aber zu sehen, dass<br />

nach dem ersten Einsatz <strong>der</strong> Wunsch wächst, beim Training mit so vielen Situationen<br />

wie möglich konfrontiert zu wer<strong>den</strong>. Hier<strong>für</strong> sind Rollenspiele geeignet, weil<br />

KollegInnen dabei auf markante <strong>und</strong> direkte Weise, jedoch ohne Risiken <strong>und</strong> aus<br />

mehreren Perspektiven, mit Situationen konfrontiert wer<strong>den</strong>, <strong>den</strong>en sie auch bei<br />

Einsätzen begegnen wer<strong>den</strong>. Diese Workshops machen auch deutlich, dass die<br />

Behandlung <strong>der</strong> Gefahrensituation als Stresssituation <strong>den</strong> Einsatzerfolg deutlich steigert.<br />

Beim Training <strong>der</strong> MitarbeiterInnen – so auch <strong>der</strong> PfarrerInnen – sind Selbsterkenntnis,<br />

sowie das Erkennen <strong>und</strong> Bewältigen <strong>der</strong> Situation <strong>und</strong> <strong>der</strong> Aufgabe wichtige zu<br />

entwickelnde Bereiche.<br />

Entwicklung <strong>der</strong> Selbsterkenntnis:<br />

Die vielleicht wichtigste Frage ist, wie sich <strong>der</strong> am Einsatz beteiligte Priester in einer<br />

bestimmten Situation einschätzt, wie er seine Rolle bei <strong>den</strong> Einsätzen sieht. Die<br />

Antwort auf diese Frage ist gar nicht einfach. Abgesehen von <strong>den</strong> Unsicherheiten dieser<br />

speziellen Situation gibt auch <strong>der</strong> Hintergr<strong>und</strong> dieser Frage keine sicheren Antworten.<br />

In Osteuropa ist die Priesterschaft seit <strong>der</strong> Wende vor 20 Jahren <strong>und</strong> <strong>den</strong> sich daraus<br />

590 Vgl. KLEIN, Vezetés- és szervezetpszichológia, 572.<br />

591 Vgl. KLEIN, Munkapszichológia, 350.<br />

256


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

ergeben<strong>den</strong> gesellschaftlichen Umbrüchen auf <strong>der</strong> stetigen Suche nach sich selbst, ihren<br />

Aufgaben <strong>und</strong> ihrem Profil. Durch die fehlende Wegweisung <strong>der</strong> Kirchenführung sind<br />

die priesterlichen Selbstbil<strong>der</strong> vage, fallbegrenzt o<strong>der</strong> auch wi<strong>der</strong>sprüchlich. 592 Davor<br />

konnte je<strong>der</strong> Seminarist ein mehr o<strong>der</strong> weniger klares Bild davon bekommen, welche<br />

Rolle er bei Krankenbesuchen einnehmen sollte o<strong>der</strong> welche Möglichkeiten er hatte,<br />

Notlei<strong>den</strong>de <strong>und</strong> ihr Umfeld zu unterstützen. Heute ist diese klare Rollenbestimmung in<br />

dem Sinne veraltet, als <strong>der</strong> Wunsch religiös Bekennen<strong>der</strong> nach alten Rollen immer mehr<br />

abnimmt. Die Gestaltung neuer Rollenbil<strong>der</strong> liegt dabei wie<strong>der</strong> beim Einzelnen.<br />

Heute taucht in Priestern die Frage, über welche Fachkompetenzen sie bei ihrer Arbeit<br />

verfügen bzw. ob sie in <strong>der</strong> Lage sind, dem ganzen Menschen mit Leib <strong>und</strong> Seele in <strong>der</strong><br />

Not zu helfen, als Zweifel auf. Mangels durchdachter, konkreter Antworten <strong>und</strong><br />

Rahmenbestimmungen seitens <strong>der</strong> Kirchenführung ist diese Wegsuche nur selten<br />

erfolgreich, zumeist aber mit Scheitern belastet.<br />

Situationskenntnis:<br />

Die Situationskenntnis bedeutet, dass Personen, die eine Katastrophe bewältigen,<br />

mentale Schemen <strong>und</strong> kognitive Bil<strong>der</strong> besitzen, die sie durch persönliche Erlebnisse<br />

über die zu meisternde Situation gewonnen haben. In so einer Situation müssen diese<br />

inneren Bil<strong>der</strong> mit dem aktuellen Geschehen verglichen wer<strong>den</strong>, um feststellen zu<br />

können, was tatsächlich passiert. Es versteht sich, dass man nur von bereits erlebten<br />

Situationen mentale Bil<strong>der</strong> haben kann. Bleibt die Frage, in welche Situationen <strong>und</strong> wie<br />

tief die HelferInnen darin verwickelt waren, um die Katastrophensituation zu<br />

bewältigen. Basiert ihre Situationskenntnis auf <strong>der</strong> minimal zumutbaren fachlichen<br />

Erfahrung bzw. ist diese Erfahrung variabel genug, um bei einem Einsatz<br />

Verallgemeinerungen machen zu können?<br />

Die praktische Vorbereitung des Personals ist dann ausreichend, wenn die kognitive<br />

Arbeit nicht nur im Lehrsaal unter geschützten Umstän<strong>den</strong>, son<strong>der</strong>n auch unter hohem<br />

Stress <strong>und</strong> bei Müdigkeit ausgeführt wer<strong>den</strong> kann. Es stimmt zwar, dass die Müdigkeit<br />

<strong>den</strong> Entscheidungsprozess verlangsamt, sie verursacht aber keine hohe Fehlerquote. Es<br />

ist aber schädlich <strong>und</strong> gefährlich, wenn sie beim Dienst <strong>und</strong> im Katastrophenfall<br />

auftaucht. Daher muss dieser Umstand beim praktischen Training hervorgerufen<br />

592 Vgl. http://www.radiovaticana.org/ung/Articolo.asp?c=318149 [abgerufen am 09.03.2011].<br />

257


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

wer<strong>den</strong>, damit die MitarbeiterInnen bei echten Einsätzen mit <strong>den</strong> Gefahren <strong>der</strong><br />

Müdigkeit rechnen <strong>und</strong> diese ihnen kein Stresserlebnis verursachen kann.<br />

Kennen <strong>der</strong> Aufgabe:<br />

Die Erfahrungen des Verfassers dieser Arbeit zeigen, dass die MitarbeiterInnen eine<br />

ihnen vertraute Aufgabe in einfacher Analogie zu einer Aufgabe interpretieren, von <strong>der</strong><br />

sie – als erlebte Situation – ein mentales Bild haben. Der Gr<strong>und</strong> <strong>für</strong> diese Vereinfachung<br />

ist, dass die Aufgabe we<strong>der</strong> genau interpretiert noch genau erkannt wird. Wenn<br />

MitarbeiterInnen mit <strong>der</strong> zu lösen<strong>den</strong> Situation schon vor langer Zeit o<strong>der</strong> nicht einmal<br />

beim Training konfrontiert waren, dann haben sie kein klares Bild darüber, wie sie sie<br />

zu bewerkstelligen haben. Eine Aufgabe kann nur dann effizient gelöst wer<strong>den</strong>, wenn<br />

man mit <strong>den</strong> Tätigkeiten, <strong>der</strong>en Reihenfolge <strong>und</strong> dem Wissen, mit wem man sie<br />

verwirklichen kann, planvoll vorgehen kann. Eine Aufgabe zu kennen bedeutet also,<br />

dass <strong>der</strong>/die BearbeiterIn ein klar definiertes Bild über die fachlichen Grenzen einer<br />

bestimmten Aufgabe hat bzw. sich vor Augen hält, was er/sie <strong>und</strong> seine/ihre<br />

MitarbeiterInnen bei einem Einsatz sehen <strong>und</strong> hören müssen, um die Aufgabe richtig<br />

ausführen zu können. Ergo ist die Gestaltung konkreter <strong>und</strong> klar definierter kognitiver<br />

Verhaltensschemata vonnöten. 593<br />

Diese Fähigkeit muss man sich beim Training aneignen, <strong>den</strong>n man muss über eigene<br />

Erlebnisse <strong>und</strong> eigenes Wissen verfügen, um eine Aufgabe richtig zu interpretieren <strong>und</strong><br />

nicht falsch zu verstehen. Wenn Mitarbeitende eine Aufgaben- <strong>und</strong> Situationskenntnis<br />

haben, dann verlaufen das Erkennen <strong>der</strong> Situation <strong>und</strong> die Lösung <strong>der</strong> Aufgaben fast<br />

automatisch <strong>und</strong> sehr schnell. Mit <strong>der</strong> Situationskenntnis wird i<strong>den</strong>tifiziert, wovon eine<br />

Situation handelt <strong>und</strong> aus <strong>der</strong> Aufgabenkenntnis erfolgt die richtige Antwort darauf.<br />

Falls keine <strong>der</strong> bei<strong>den</strong> vorhan<strong>den</strong> ist, muss man überlegen, um die richtige Antwort auf<br />

das Geschehen aus dem Gelernten fin<strong>den</strong>. Während dieser Zeit nimmt aber <strong>der</strong><br />

Phasenverzug weiter zu, die Auswirkungen <strong>der</strong> Katastrophe breiten sich aus <strong>und</strong><br />

eskalieren. Die Person, welche die Krise bewältigt, kann nur dann synchron mit dem,<br />

o<strong>der</strong> noch besser, vor dem Geschehen sein (d.h. sie agiert, anstatt zu Reaktionen<br />

593 Vgl. ARGYRIS, Knowledge for Action (A Guide to Overcoming Barriers to Organizational Change), 8-<br />

11.<br />

258


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

gezwungen zu sein), wenn diese Automatismen entstehen <strong>und</strong> entsprechende<br />

Assoziationsbahnen bereits existieren.<br />

Die an<strong>der</strong>e Funktion <strong>der</strong> Trainings ist, dass sie die Gelegenheit bieten, Einsicht in<br />

fallspezifische Aufgabenlösungen zu erkennen <strong>und</strong> benennen <strong>und</strong> damit neue <strong>und</strong><br />

effiziente Lösungsmetho<strong>den</strong> unter <strong>den</strong> MitarbeiterInnen schaffen, die bei <strong>der</strong><br />

Krisenbewältigung zum Erfolg führen. Diese neuen Metho<strong>den</strong> wi<strong>der</strong>sprechen <strong>den</strong><br />

Instinktprogrammen <strong>und</strong> <strong>den</strong> als richtig vermuteten Prozessen von Zeit zu Zeit. Daher<br />

ist eine bewusste Ab- <strong>und</strong> <strong>Aufbau</strong>tätigkeit wichtig.<br />

Ein weiteres Ziel <strong>der</strong> Trainings ist, dass MitarbeiterInnen immer weniger Situationen als<br />

gefährlich einschätzen. Dies kann nicht in Form von Schulvorträgen gelernt <strong>und</strong><br />

bewältigt wer<strong>den</strong>, man kann es nur am eigenen Leib erfahren, d.h. sich durch eigene<br />

Erfahrungen aneignen.<br />

Ein/e gute/r TrainerIn bereitet die Trainierten darauf vor, was sie bei <strong>der</strong> Arbeit<br />

erwartet 594 , d.h.<br />

- auf eine Beanspruchung jenseits <strong>der</strong> bestehen<strong>den</strong> Erfahrungen,<br />

- auf die Offenheit <strong>für</strong> neue Formen <strong>der</strong> Katastrophenbewältigung.<br />

Das Training hat folgen<strong>den</strong> allgemeinen <strong>Aufbau</strong> 595 :<br />

- Am Anfang des Trainings sollen die TeilnehmerInnen in eine Stresssituation geraten.<br />

- Nach <strong>der</strong> Situation soll geklärt <strong>und</strong> verdeutlicht wer<strong>den</strong>, an welchen körperlichen o<strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>en Symptomen MitarbeiterInnen erkennen, dass sie unter Stress stehen. Es gibt<br />

viele, die dies nicht erkennen, so haben sie auch keine Chance, stressverursachte<br />

Auswirkungen zu lin<strong>der</strong>n.<br />

- Man kann erkennen, dass nicht das Ereignis selbst das Stresserlebnis verursacht,<br />

son<strong>der</strong>n viel mehr die Wahrnehmungs- <strong>und</strong> Evaluierungsprozesse bzw. die physischen<br />

Reaktionen. Eine beson<strong>der</strong>s gute Erkenntnischance bietet eine Situation, bei <strong>der</strong><br />

TeilnehmerInnen bereits bei <strong>der</strong> Aufgabenbekanntmachung über ein hohes<br />

Stresserlebnis berichten, obwohl sie zu <strong>der</strong> Zeit nicht in das Geschehen verwickelt sind.<br />

- Man kann die Aufmerksamkeit <strong>der</strong> TeilnehmerInnen darauf lenken, dass nicht das<br />

Ereignis, son<strong>der</strong>n das Erleben des Ereignisses, interpretiert wer<strong>den</strong> soll, <strong>den</strong>n man ist<br />

nicht in <strong>der</strong> Lage, das Ereignis selbst zu bewältigen.<br />

594 VÉGH, József: Skriptum zum Vortag in Budapest über Psycho-Soziale Ausbildung, abgehalten am<br />

25.03.2008.<br />

595 Ebd.<br />

259


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

Am Ende des Trainings muss die Entscheidung in Verbindung mit <strong>der</strong> Arbeit auf drei<br />

Ebenen erfolgen. Einerseits müssen AusbildnerInnen entschei<strong>den</strong>, wer sich im Weiteren<br />

an <strong>der</strong> Gruppenarbeit beteiligen kann, an<strong>der</strong>erseits muss auch die Gruppe selbst die<br />

Mitglie<strong>der</strong> charakterisieren <strong>und</strong> evaluieren, <strong>und</strong> drittens müssen auch die<br />

TeilnehmerInnen am Training eine Absichtserklärung darüber abgeben, ob sie <strong>den</strong><br />

gegebenen Anfor<strong>der</strong>ungen entsprechen möchten <strong>und</strong> die übernommenen<br />

Verpflichtungen – als Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> Gruppenzugehörigkeit – erfüllen können <strong>und</strong><br />

wollen.<br />

Der Anstieg <strong>der</strong> mit dem Training verb<strong>und</strong>enen Bedürfnisse bedarf eines immer<br />

größeren Organisierungsgrades. Neben selbstständigen Bildungsinstituten können<br />

Diözesen mit eigenen <strong>und</strong> externen TrainerInnen die Ausbildung anbieten. Diözesen<br />

übernehmen Elemente <strong>der</strong> lernen<strong>den</strong> Organisationskultur leichter, wenn<br />

Bildungsansprüche regelmäßig, d.h. jährlich, gemessen <strong>und</strong> Pläne zur Abstimmung <strong>der</strong><br />

Bildungsangebote gemacht wer<strong>den</strong>.<br />

5.5. Debriefing <strong>und</strong> Supervision<br />

Sowohl das Debriefing als auch die Supervision 596 wer<strong>den</strong> von <strong>der</strong> Zentrale organisiert.<br />

Ein wichtiges Element dieser Aktivität ist das Fin<strong>den</strong> eines/r Experten/in, <strong>der</strong>/die auf<br />

diesem Gebiet bewan<strong>der</strong>t ist <strong>und</strong> eventuell auch über eigene Erfahrungen verfügt. Die<br />

Supervision kann einzeln o<strong>der</strong> in Gruppen erfolgen. Sie kann anhand eines Ansuchens<br />

beim Berichten geschehen, aber aktive MitarbeiterInnen <strong>der</strong> Gruppe müssen sechs Mal<br />

im Jahr an einer Supervision teilnehmen. Nach <strong>der</strong> Anmeldung kann entschie<strong>den</strong><br />

wer<strong>den</strong>, ob eine individuelle o<strong>der</strong> gruppenweise Supervision notwendig ist. Wenn das<br />

zu besprechende Thema eine zu persönliche Sphäre betrifft o<strong>der</strong> nicht mit dem Einsatz<br />

zusammenhängt, dann ist es ratsam, eine individuelle Supervision durchzuführen. Die<br />

Supervision ist auch eine große Hilfe bei <strong>der</strong> Bewältigung <strong>der</strong> Spannungen <strong>und</strong><br />

596 „Drei mögliche Zugänge zum Verständnis von Supervision:<br />

-Supervision ist ein Instrument zur qualifizierten Bewältigung beruflicher Fragestellungen.<br />

-Gegenstand <strong>der</strong> Supervision ist die Reflexion <strong>der</strong> <strong>für</strong> professionelle Zusammenhänge relevanten<br />

Arbeitsbeziehungen <strong>und</strong> Arbeitsprozesse <strong>und</strong><br />

-als Ziel <strong>der</strong> Supervision gilt die Qualifizierung zu leisten<strong>der</strong> Arbeit.” BALDAUF, Spiritualität in <strong>der</strong><br />

Supervision?, 344.<br />

260


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

Schwierigkeiten innerhalb <strong>der</strong> Gruppe. Sie kann nicht durch Team-Building-Trainings<br />

ersetzt wer<strong>den</strong>.<br />

5.6. Berichte<br />

Nach dem Einsatz soll ein Bericht geschrieben <strong>und</strong> reflektiert wer<strong>den</strong>. Das Ziel ist die<br />

objektive Evaluierung <strong>der</strong> gemachten Arbeit. Das so ermöglichte Feedback ist ein<br />

wichtiges Element <strong>der</strong> professionellen Arbeit. Berichte müssen konkrete Teile<br />

beinhalten <strong>und</strong> auch Freiwillige müssen nach <strong>den</strong> Simulationsübungen beim Training<br />

Berichte schreiben. So wird das Berichtschreiben <strong>für</strong> sie schon früh zur<br />

Selbstverständlichkeit. Wichtiger Bestandteil des Berichtes ist die Zeit, <strong>der</strong> Ort <strong>und</strong> die<br />

Aktivität selbst, aber auch die Evaluierung <strong>der</strong> Hintergr<strong>und</strong>arbeit, die Rückmeldung des<br />

Supervisionsbedarfs <strong>und</strong> die Beschreibung <strong>der</strong> gegenseitigen Aktivitäten.<br />

Selbstverständlich ist auch eine Rubrik notwendig, in <strong>der</strong> alle sonstigen Bemerkungen<br />

festgehalten wer<strong>den</strong> können.<br />

5.7. Gestaltung <strong>der</strong> Einsatzstruktur<br />

Der Einsatz beginnt mit <strong>der</strong> Alarmierung. Die Erreichbarkeit <strong>der</strong> KoordinatorInnen <strong>und</strong><br />

Freiwilligen ist per Telefon lösbar. Die eintreffen<strong>den</strong> Notrufe – die von <strong>der</strong> Polizei,<br />

Feuerwehr, Rettung, von <strong>den</strong> Pfarren o<strong>der</strong> von Privatpersonen kommen können –<br />

gelangen zu <strong>den</strong> Hilfszentralen, die AssistentInnen verständigen die erreichbaren<br />

KoordinatorInnen <strong>und</strong> HelferInnen anhand einer Liste. Bedienstete des IM können<br />

direkt mel<strong>den</strong>, ob sie aufgr<strong>und</strong> ihres Dienstes von einer individuellen o<strong>der</strong> ganze<br />

Familien betreffen<strong>den</strong> Krisensituation bzw. traumatischen Folgen erfahren haben <strong>und</strong><br />

die Hilfe <strong>der</strong> NFS benötigen.<br />

Damit von verschie<strong>den</strong>en Bereichen Alarmierungen kommen können, müssen die<br />

MitarbeiterInnen verschie<strong>den</strong>er Institutionen die Aktivitäten <strong>der</strong> NFS bei <strong>der</strong><br />

kontinuierlichen Arbeit kennen lernen, es müssen Prospekte <strong>und</strong> Broschüren<br />

bereitgestellt wer<strong>den</strong>, bei Veranstaltungen <strong>der</strong> PartnerInnenorganisationen muss die<br />

Arbeit <strong>der</strong> NFS mit Kurzfilmen o<strong>der</strong> im Rahmen persönlicher Gespräche bekannt<br />

gemacht wer<strong>den</strong>, damit alle Organisationen sich über die tatsächliche Arbeit <strong>der</strong> NFS<br />

261


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

im Klaren sind bzw. sehen können, dass diese Organisation ihre Arbeit unterstützt.<br />

Nach <strong>der</strong> Alarmierung nehmen <strong>der</strong>/die KoordinatorIn <strong>und</strong> <strong>der</strong>/die diensthabende<br />

MitarbeiterIn <strong>den</strong> Kontakt zueinan<strong>der</strong> auf. Zwecks <strong>der</strong> exakten Informationen ist es<br />

angebracht, zur Anmeldung <strong>der</strong> PfarrerInnen <strong>und</strong> Mitarbeiten<strong>den</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> Dienst eine<br />

Internetseite bereitzustellen, die immer aktuell zu sein hat <strong>und</strong> auf <strong>der</strong> zeitgetreu<br />

verfolgt wer<strong>den</strong> kann, wer wann im Dienst ist.<br />

Es ist ratsam, MitarbeiterInnen auf <strong>der</strong> Erreichbarkeitsliste in Zwölfst<strong>und</strong>en-Dienste<br />

einzuteilen. Abgesehen davon ist es auch ratsam, die Diözesen aufgr<strong>und</strong> ihrer großen<br />

Gebiete in Einsatzgebiete aufzuteilen (im Falle ungarischer Diözesen bedeutet das vier<br />

Einsatzgebiete). Auf jedem Einsatzgebiet müssen zwei MitarbeiterInnen gleichzeitig zur<br />

Verfügung stehen <strong>und</strong> jede/r muss im Monat mindestens sechs Pflichtdienste<br />

übernehmen. Der Dienst erfolgt im normalen Dienstsystem, d.h. MitarbeiterInnen<br />

verrichten ihre normale Arbeit, während sie im Dienst sind. Sollten sie aber deshalb<br />

nicht in <strong>der</strong> Lage sein, zum Einsatzort zu kommen, dann müssen die KoordinatorInnen<br />

je<strong>der</strong>zeit einsetzbar sein, d.h. sie müssen diese Aktivität hauptberuflich ausüben o<strong>der</strong><br />

wenigstens nur halbtags beschäftigt sein. Pro Diözese sollte es außerdem mindestens<br />

sechs KoordinatorInnen geben. Die NFS-MitarbeiterInnen sollen über Privattelefone<br />

erreichbar sein <strong>und</strong> <strong>den</strong> Einsatzort mit dem eigenen PKW o<strong>der</strong> einem Dienstfahrzeug<br />

möglichst zu zweit aufsuchen. Auf dem Weg dorthin haben sie die Möglichkeit, im<br />

Sinne <strong>der</strong> vorausgeschickten Informationen ihren Bericht zu beginnen bzw. müssen sie<br />

immer die beim Training erhaltene Ausrüstung mitbringen. Bei <strong>der</strong> Ankunft am<br />

Einsatzort wer<strong>den</strong> <strong>der</strong>/die KoordinatorIn <strong>und</strong> auch die Zentrale über <strong>den</strong> Beginn <strong>der</strong><br />

Versorgung verständigt, dann beginnt die Versorgung selbst. Sollten Fragen bei <strong>der</strong><br />

Ausführung <strong>der</strong> Aufgaben auftauchen, haben die MitarbeiterInnen die Möglichkeit,<br />

<strong>den</strong>/die KoordinatorIn aufzusuchen bzw. ihn/sie um weitere HelferInnen zu bitten,<br />

wenn sie <strong>der</strong> Ansicht sind, dass sie die Aufgabe zu zweit nicht meistern können. Sie<br />

können hier auch bekannt geben, welche technischen o<strong>der</strong> sonstigen Hilfsmittel sie<br />

benötigen bzw. was die Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> brauchen. Dies kann dann eine Logistikgruppe <strong>für</strong><br />

<strong>den</strong>/die KoordinatorIn zusammenstellen o<strong>der</strong> einfach direkt ausliefern. Die Aufgabe soll<br />

immer nach Benachrichtigung des/r Einsatzleiters/in <strong>der</strong> Rettungskräfte vor Ort<br />

verrichtet wer<strong>den</strong>, <strong>der</strong> Kontakt zu ihm/ihr muss ständig aufrechterhalten wer<strong>den</strong> bzw.<br />

müssen auch Freiwillige miteinan<strong>der</strong> kommunizieren. Freiwillige können die Arbeiten<br />

262


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

vor Ort unterschiedlich auffassen. Von Fehlern selbst kann man nicht lernen, nur vom<br />

Weg, <strong>der</strong> zum Fehler geführt hat. Das Erkennen <strong>der</strong> erfolgreichen Lösung ist<br />

entschei<strong>den</strong>d. Daher ist es wichtig, dass die MitarbeiterInnen eine Situation reflektieren<br />

können, die erfolgreich gemeistert wurde, <strong>den</strong>n bei so einer Situation wur<strong>den</strong> offenbar<br />

die richtigen Schritte <strong>und</strong> Bedingungen erkannt.<br />

Daher müssen bei Trainings Katastrophensituationen simuliert wer<strong>den</strong>, mit <strong>den</strong>en<br />

MitarbeiterInnen noch nicht konfrontiert wur<strong>den</strong> o<strong>der</strong> die bei einem früheren Einsatz<br />

nicht entsprechend gehandhabt wur<strong>den</strong>. Nach Beendigung <strong>der</strong> Tätigkeiten wird <strong>der</strong>/die<br />

KoordinatorIn über <strong>den</strong> Abschluss verständigt, o<strong>der</strong>, falls das aus irgendeinem Gr<strong>und</strong><br />

nicht möglich ist, kann er/sie gebeten wer<strong>den</strong>, jeman<strong>den</strong> zur Weiterführung <strong>der</strong><br />

Versorgung an <strong>den</strong> Einsatzort zu schicken. Danach schreiben MitarbeiterInnen <strong>den</strong><br />

Bericht, <strong>den</strong> sie per Internet an die Zentrale schicken. Wenn <strong>der</strong>/die NFS-PfarrerIn<br />

<strong>der</strong>/die örtliche PfarrerIn ist, ist in dieser Situation keine Nachbetreuung o<strong>der</strong> Übergabe<br />

notwendig. Wenn die betreute Person an einer an<strong>der</strong>en Ort zurückkehrt, ist es ratsam,<br />

<strong>den</strong>/die dortige/n örtliche/n PfarrerIn darüber zu benachrichtigen – falls die betreute<br />

Person dem zustimmt.<br />

5.8. Aktivitäten zur Bekanntmachung <strong>der</strong> NFS-Arbeit: Die<br />

Öffentlichkeitsarbeit<br />

Wie jede Organisation, die bestrebt ist, effizient zu arbeiten, so ist auch <strong>für</strong> die NFS die<br />

Garantie <strong>der</strong> Medienpräsenz eine wichtige Aufgabe. Es ist also von immenser<br />

Bedeutung, dass das Notfallseelsorgeprogramm mittels<br />

Massenkommunikationsmetho<strong>den</strong> bekannt gemacht wird. Die Kommunikation muss,<br />

abgesehen von <strong>den</strong> lokalen <strong>und</strong> nationalen Medien, auch direkt zu an<strong>der</strong>en<br />

Katastrophenschutzorganisationen ausgebaut wer<strong>den</strong>.<br />

Deshalb muss ein Kommunikationsaktionsplan zur Bekanntmachung <strong>und</strong> Stärkung <strong>der</strong><br />

Akzeptanz des Notfallseelsorgeprogramms erstellt wer<strong>den</strong>. Dieser Prozess muss in <strong>den</strong><br />

Medien bewusst <strong>und</strong> methodisch geplant <strong>und</strong> durchgeführt wer<strong>den</strong>. Es ist wichtig, dass<br />

das Projekt an einem allseits verständlichen <strong>und</strong> prägnanten Begriff (z.B. „mentale Erste<br />

Hilfe“, „Mental Rescue“) <strong>und</strong> einem Logo in <strong>der</strong> Gesellschaft klar erkennbar ist.<br />

Daneben kann <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>erkennungswert <strong>der</strong> Organisation durch einen leicht mit ihr<br />

263


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

i<strong>den</strong>tifizierbaren <strong>und</strong> positiven Slogan wie „Hoffnung zur Realität – mit Tat <strong>und</strong> Herz“<br />

gesteigert wer<strong>den</strong>. Beson<strong>der</strong>s bei <strong>den</strong> BewohnerInnen von katastrophengeplagten<br />

Gebieten muss das Vor-Augen-Halten positiver Beispiele zur positiven Beeinflussung<br />

<strong>der</strong> Annahmebereitschaft verstärkt wer<strong>den</strong>, <strong>den</strong>n die Erlebnisse, die in <strong>den</strong> Individuen<br />

gespeichert wer<strong>den</strong>, sind bei <strong>der</strong> Traumabewältigung von großer Bedeutung.<br />

Zum Zwecke <strong>der</strong> Verstärkung <strong>der</strong> Akzeptanz soll extra betont wer<strong>den</strong>, dass <strong>der</strong>/die<br />

PressesprecherIn <strong>der</strong> Organisation PfarrerIn einer anerkannten Kirche ist, dessen/<strong>der</strong>en<br />

Eignung <strong>für</strong> die Aufgabe von einer Son<strong>der</strong>kommission geprüft wurde. Nach seiner/ihrer<br />

Einstellung könnten seine/ihre Fähigkeiten bei verschie<strong>den</strong>en<br />

Kommunikationstrainings, geleitet von international anerkannten ExpertInnen,<br />

ausgeweitert wer<strong>den</strong>. Die Teilnahme an <strong>den</strong> Kommunikationstrainings ist <strong>für</strong> jede/n<br />

PfarrerIn wichtig, da Situationen entstehen können, in <strong>den</strong>en jede/r Kollege/in die<br />

Medien selbstständig mit Informationen füttern muss. 597<br />

Der Bekanntheitsgrad <strong>der</strong> Organisation kann mit Interviews erhöht wer<strong>den</strong>, bei <strong>den</strong>en<br />

die MitarbeiterInnen <strong>der</strong> Organisation vorgestellt wer<strong>den</strong>. Diese Interviews können im<br />

Rahmen <strong>der</strong> Medienpräsenz <strong>der</strong> Kirchen bzw. in Medienberichten bezüglich <strong>der</strong><br />

Katastrophen publiziert wer<strong>den</strong>. Es ist auch wichtig, Informationshefte <strong>und</strong> Broschüren<br />

zu erstellen, wo alle potentiellen Betroffenen <strong>und</strong> InteressentInnen eindeutig erfahren,<br />

wann <strong>und</strong> wobei die Hilfe <strong>der</strong> NFS in Anspruch genommen wer<strong>den</strong> kann <strong>und</strong> wie dieses<br />

Ansuchen konkret auszusehen hat. Ebenfalls wichtig ist die Bekanntmachung einer<br />

Gratistelefonnummer, über die jede/r sofort das Hilfsbüro erreichen kann.<br />

Da die Gr<strong>und</strong>voraussetzung eines erfolgreichen NFS-Betriebes ist, dass ihre<br />

PartnerInnenorganisationen sie <strong>und</strong> ihre Aktivitäten kennen <strong>und</strong> akzeptieren lernen,<br />

muss sie auch <strong>den</strong> PartnerInnenorganisationen nicht nur allgemein o<strong>der</strong> bei <strong>den</strong><br />

LeiterInnen, son<strong>der</strong>n auch unter <strong>den</strong> MitarbeiterInnen, bekannt gemacht wer<strong>den</strong>. Jede/r<br />

<strong>der</strong> MitarbeiterInnen muss sich über <strong>den</strong> Sinn <strong>und</strong> das Ziel <strong>der</strong> NFS-Aktivitäten, sowie<br />

<strong>der</strong> Tatsache, dass dieser Dienst die Arbeit eines/r je<strong>den</strong> in <strong>der</strong> PartnerInnenorganisation<br />

konkret im Alltag unterstützt, im Klaren sein. Hier<strong>für</strong> kann, abgesehen von <strong>den</strong><br />

allgemeinen Kommunikationskanälen (Broschüren, Vorträge), die Formulierung eines<br />

597 VÉGH, József: Skriptum zum Vortag in Budapest über Psycho-Soziale Ausbildung, abgehalten am<br />

25.03.2008.<br />

264


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

Briefes geeignet sein, in dem alle MitarbeiterInnen <strong>der</strong> PartnerInnenorganisationen<br />

angesprochen wer<strong>den</strong>.<br />

Über Konferenzen <strong>und</strong> Diskussionen mit staatlichen <strong>und</strong> kirchlichen Führungskräften<br />

können <strong>den</strong> InteressentInnen ebenfalls Informationsmaterialen übermittelt wer<strong>den</strong>.<br />

Die Ausschöpfung <strong>der</strong> Möglichkeiten durch das Internet ist sowohl aus <strong>der</strong> Sicht des<br />

Bekanntheitsgrades als auch <strong>der</strong> Publizierung <strong>der</strong> Ergebnisse <strong>und</strong> <strong>der</strong> Vorstellung des<br />

Lebens <strong>der</strong> Organisation von großer Bedeutung.<br />

6. <strong>Konzepte</strong> <strong>der</strong> Evaluierung <strong>und</strong> Weiterentwicklung, Organisation <strong>der</strong><br />

Finanzierungsfonds<br />

Im Leben einer Gemeinschaft o<strong>der</strong> eines Staates sind die Aktivitäten des<br />

Ges<strong>und</strong>heitswesens – neben vielen an<strong>der</strong>en – nur ein, aber ein große Ressourcen<br />

beanspruchendes Segment <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Gemeinschaft zu versehen<strong>den</strong> Aufgaben.<br />

Deshalb ist die Frage <strong>der</strong> Effizienz des Ges<strong>und</strong>heitswesens immer vor dem geistigen<br />

Auge mo<strong>der</strong>nen sozialen Denkens.<br />

Wir müssen uns vor Augen halten, dass die Entwicklung <strong>der</strong> Wissenschaft dem<br />

Ges<strong>und</strong>heitswesen einen immer größeren Spielraum bietet, gleichzeitig erschöpfen sich<br />

aber die staatlichen Ressourcen. Die Spannung zwischen <strong>den</strong> wissenschaftlichen<br />

Möglichkeiten <strong>und</strong> <strong>den</strong> da<strong>für</strong> vorhan<strong>den</strong>en Ressourcen ist also offensichtlich.<br />

John P. Martin 598 betont in einem seiner Vorträge, dass die Untersuchung <strong>der</strong><br />

Effizienz vielleicht das einzige Mittel ist, <strong>den</strong> gesteigerten Bedarf nach<br />

Ges<strong>und</strong>heitsdiensten <strong>und</strong> die Grenzen <strong>der</strong> kommunalen Finanzierung in Einklang zu<br />

bringen. Internationale Daten zeigen, dass die Verbesserung <strong>der</strong> Kosteneffizienz in<br />

<strong>den</strong> meisten o<strong>der</strong> sogar allen Ges<strong>und</strong>heitssystemen möglich ist. John P. Martin<br />

meint, dass die Produktivität <strong>und</strong> das Ergebnis in vielen Fällen ohne<br />

Son<strong>der</strong>ausgaben verbessert wer<strong>den</strong> können, wenn die Ressourcen o<strong>der</strong> Mittel an<strong>der</strong>s<br />

verteilt wür<strong>den</strong>, man müsse also nicht nur Kosten senken, son<strong>der</strong>n Gel<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s<br />

ausgeben. 599<br />

598 Vgl. MARTIN, Az OECD három éves programja. 58-59.<br />

599 Vgl. DÉZSY, Egészséggazdaságtan, 65.<br />

265


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

Wir alle wissen, dass es <strong>für</strong> Institutionen bzw. Kranke das Beste wäre, wenn die<br />

Wirtschaftseffizienz <strong>und</strong> <strong>der</strong> niveauvolle Umgang mit <strong>den</strong> Kranken gemeinsam die<br />

Ges<strong>und</strong>heitspolitik unter Einbindung <strong>der</strong> Führung einzelner Institute bestimmen würde.<br />

In Wirklichkeit ist die Spannung zwischen bei<strong>den</strong> Faktoren <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>, warum<br />

gegensätzliche Ziele, Wertesysteme <strong>und</strong> Steuerungsprinzipien auftreten.<br />

Bei allen Aktivitäten, so auch beim Betrieb <strong>der</strong> Notfallseelsorge, muss im Auge<br />

behalten wer<strong>den</strong>, dass diese Aktivitäten wirksam <strong>und</strong> effizient durchgeführt wer<strong>den</strong>.<br />

6.1. Einnahmenorientierte Ausgabenpolitik<br />

Alle Elemente des Betriebsumfeldes <strong>der</strong> NFS-Kirchen, Ges<strong>und</strong>heitswesen <strong>und</strong><br />

Katastrophenschutz, verrichten ihre Arbeit innerhalb <strong>der</strong> <strong>für</strong> die jeweiligen<br />

Haushaltsorgane typischen Rahmen. Unter diesen ist <strong>der</strong> Betrieb des<br />

Ges<strong>und</strong>heitswesens aus Wirtschaftssicht als eine Anomalie zu erachten. Deswegen ist es<br />

lohnend, sich die Eigenheiten des Ges<strong>und</strong>heitshaushaltes anzuschauen.<br />

Die Finanzierungsrichtlinien <strong>der</strong> staatlichen Krankenkassen sind die größte Hürde<br />

<strong>für</strong> die Anwendung neuer Kenntnisse bei <strong>der</strong> Arbeit, da die demographische<br />

Situation <strong>und</strong> die Bedürfnisse <strong>der</strong> Bevölkerung sowie ein geän<strong>der</strong>ter Umgang mit<br />

<strong>den</strong> Erwartungen sich ständig als überbor<strong>den</strong><strong>der</strong> Ressourcenbedarf manifestieren.<br />

Selbstverständlich pochen alle auf ihr Recht auf <strong>den</strong> Erhalt <strong>der</strong> Finanzierung aller<br />

möglichen medizinischen Eingriffe, die zur Bewahrung bzw. Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong><br />

psycho-physischen Ges<strong>und</strong>heit notwendig sind. Die kritische Systemkomponente ist<br />

also die Beschleunigung <strong>der</strong> Technologieentwicklung. Natürlich steigert die<br />

Technologieentwicklung auch die Nachfrage nach dem erhöhten Angebot. Gleichzeitig<br />

ist das Finanzierungssystem des Ges<strong>und</strong>heitswesens – welches als Fonds angelegt ist,<br />

<strong>der</strong> die Balance von Einnahmen <strong>und</strong> Ausgaben voraussetzt – in seinen Gr<strong>und</strong>festen von<br />

Ressourcenmängeln erschüttert, da es auf das ständige Wachstum des Anteils <strong>der</strong><br />

aktiven Bevölkerung aufbaut, wobei dieses Verhältnis mit dem Aufkommen einer<br />

Wirtschaftskrise <strong>und</strong> dem Sinken <strong>der</strong> Lebenserwartung nicht steigt, son<strong>der</strong>n vielmehr<br />

prognostizierbar sinkt. Daher lenken Regierungen die Ausgaben des<br />

Ges<strong>und</strong>heitswesens, um die Balance des Fonds aufrechtzuerhalten, je nach <strong>den</strong><br />

Einnahmen.<br />

266


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

Diese aufgelöste Balancesituation zeigt sich an <strong>den</strong> gesteigerten Ausgaben des<br />

Ges<strong>und</strong>heitshaushaltes. 600<br />

Den Zustand des oben skizzierten negativen Zusammenhangssystems können weitere<br />

Umstände verschlechtern, von <strong>den</strong>en hier zwei hervorgehoben wer<strong>den</strong> sollen:<br />

- Die Zahlungsbereitschaft <strong>der</strong> Krankenkassen wurde infolge <strong>der</strong><br />

Frühpensionierungen <strong>und</strong> <strong>der</strong> ungünstigen Pensionsregelungen hinsichtlich<br />

Alters- <strong>und</strong> Invaliditätspension weiter verschlechtert. 601<br />

- Will man zu Krisenzeiten aus Kosteneffizienzgrün<strong>den</strong> die Kosten <strong>der</strong><br />

Humanressourcen senken, dann sucht man billige Arbeitskräfte – ob<br />

Auslän<strong>der</strong>Innen, Unterqualifizierte o<strong>der</strong> Freiwillige – <strong>und</strong> je billiger diese<br />

sind, desto geringer sind die Einnahmen des Fonds, <strong>und</strong> dies verschlechtert<br />

die Balance <strong>der</strong> Fonds weiter. 602<br />

Diese Faktoren erhöhen <strong>den</strong> aus rein demographischen Grün<strong>den</strong> entstehen<strong>den</strong><br />

Abgr<strong>und</strong> zwischen Einnahmen <strong>und</strong> Ausgaben <strong>und</strong> senken die in die Kasse<br />

eingezahlten Einnahmen.<br />

Der Ausgangspunkt des Betriebs <strong>der</strong> Fonds ist das Budget, anhand dessen einzelne<br />

Elemente <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heitsfinanzierung <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Quellen definiert wer<strong>den</strong>. Das Budget<br />

per se ist also ein Plan <strong>und</strong> gleichzeitig auch ein Urteil. Es beinhaltet nur diejenigen<br />

Sätze, die unter allen möglichen Ausgaben <strong>den</strong> Vorzug bekommen, d.h. bleibt etwas<br />

unerwähnt, dann wird es von <strong>den</strong> PlanerInnen als unwichtig erachtet. Das Budget ist<br />

also nicht nur ein Teil des Geschäftsplans, <strong>der</strong> die Ausgaben <strong>und</strong> Ziele bestimmt,<br />

son<strong>der</strong>n auch ein Mittel <strong>der</strong> Steuerung, Koordinierung, Kommunikation,<br />

Leistungsmessung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Motivation. Einzelnen Arbeitseinheiten können Ressourcen<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong>en eventuelle Än<strong>der</strong>ungen leicht zugeordnet wer<strong>den</strong>. 603<br />

600<br />

Vgl. http://videotar.mtv.hu/Cimkek/f/o/forrashiany.aspx [abgerufen am 09.03.2011].<br />

601<br />

Vgl. http://www.magannyugdijpenztarak.hu/ [abgerufen am 09.03.2011].<br />

602<br />

Vgl.<br />

http://bmf.atw.hu/letoltheto/index.php?dir=Magyar%2520gazdas%25E1g%2520helyzete/&file=Mo%252<br />

02004%2520KSH%2520jelentes.pdf&AutoIndex=2e7fcebdd0a1477cbd1f6b91440ff429 [abgerufen am<br />

09.03.2011].<br />

603<br />

Vgl.<br />

http://www.innostart.hu/files/Microsoft%20Word%20%20Az%20%C3%BCzleti%20terv%20s%C3%A9<br />

ma.pdf [abgerufen am 09.03.2011].<br />

267


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

6.2. Finanzierung <strong>der</strong> Notfallseelsorge<br />

Die Budgetführung <strong>der</strong> Notfallseelsorge ist auch eine Frage <strong>der</strong><br />

Organisationsautonomie, beson<strong>der</strong>s wenn die Notfallseelsorge Teil einer größeren<br />

Institution, z.B. <strong>der</strong> Kategorialseelsorge, ist. Falls die Notfallseelsorge über keinen<br />

getrennten Budgetrahmen verfügt – d.h. sie ist kein eigenständiges Budgetzentrum –<br />

dann besteht die Gefahr, dass die fachlichen Entscheidungen <strong>der</strong> Notfallseelsorge von<br />

<strong>den</strong> Wirtschaftsvorstellungen <strong>der</strong> BetreiberInnen beeinflusst wer<strong>den</strong>. Ein weiteres<br />

Problem ist es, wenn ein Großteil des Budgets „etikettiert“ ist, d.h. nur <strong>für</strong> bestimmte<br />

Zwecke verwendet wer<strong>den</strong> kann.<br />

Die Verwendung des Budgets als Regulator kann natürlich nur dann Erfolge bringen,<br />

wenn die Notfallseelsorge sich <strong>der</strong> direkten <strong>und</strong> indirekten Kosten bestimmter Dienste<br />

<strong>und</strong> Arbeitsprozesse bewusst ist. Zu <strong>den</strong> direkten Kosten gehören die<br />

Beschaffungspreise <strong>der</strong> Materialien <strong>und</strong> die mit dem Sozialbeitrag belasteten Kosten <strong>der</strong><br />

am Einsatz beteiligten KollegInnen, d.h. es sind Kosten, <strong>der</strong>en Höhe sich<br />

nachvollziehbar mit <strong>der</strong> Menge <strong>der</strong> Dienstleistungen än<strong>der</strong>t. Zu <strong>den</strong> indirekten Kosten<br />

gehören die Amortisierung <strong>der</strong> Einrichtungsgegenstände, die Betriebskosten eigener<br />

Räumlichkeiten sowie die Löhne <strong>und</strong> Lohnnebenkosten von KollegInnen – z.B. des/r<br />

Leiters/in –, die sich nicht an Einsätzen beteiligen.<br />

Ausgangspunkt <strong>der</strong> Finanzierungsplanung ist die prinzipielle Möglichkeit <strong>der</strong><br />

Finanzierung nicht nur durch die Diözesen, son<strong>der</strong>n durch alle historischen Kirchen,<br />

<strong>den</strong> Staatshaushalt, Stiftungen aber auch soziale Organisationen. Davon abgesehen gibt<br />

es nationale <strong>und</strong> EU-För<strong>der</strong>quellen, die einen Bereich – in unserem Fall <strong>den</strong> Betrieb <strong>der</strong><br />

NFS – o<strong>der</strong> die Kooperation mit an<strong>der</strong>en EU-Staaten unterstützen können. Es ist daher<br />

wichtig, WirtschaftsexpertInnen zu fin<strong>den</strong>, die die Finanzierungspläne vorbereiten, bei<br />

<strong>der</strong>en Akzeptanz helfen <strong>und</strong> die Realisierbarkeit des Plans in Hinblick auf<br />

Effizienzindikatoren <strong>und</strong> verschie<strong>den</strong>e Entwicklungen ständig revidieren.<br />

Die Frage <strong>der</strong> finanziellen Effizienz sollte in Verbindung mit <strong>den</strong> folgen<strong>den</strong><br />

Themenkreisen untersucht wer<strong>den</strong> 604 :<br />

604 Vgl. http://www.inspi-racio.hu/inspdocs/200607/23logframekitltse.pdf [abgerufen am 09.03.2011].<br />

268


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

- In <strong>der</strong> Diözese verrichten Freiwillige die Arbeiten, aber zu einem effizienten Betrieb<br />

(Hintergr<strong>und</strong>arbeit in Gruppen, Aufsicht) soll die Anstellung mindestens zweier<br />

KollegInnen – <strong>und</strong> somit ihre Löhne – von <strong>der</strong> Diözese abgedeckt wer<strong>den</strong>.<br />

- Wirtschaft: Bei <strong>der</strong> verrichteten Arbeit sollen die Fälle aufgelistet wer<strong>den</strong>, bei <strong>den</strong>en<br />

<strong>der</strong> NFS-Betrieb in Richtung traditioneller medizinischer Versorgungssysteme eine<br />

Kostenreduzierung bewirkt hat. (Die Ergebnisse dieser Untersuchungen müssen<br />

publiziert <strong>und</strong> auf <strong>der</strong> Homepage <strong>der</strong> NFS zugänglich gemacht wer<strong>den</strong>.)<br />

- Institutionsforschung: Eine bestimmte Organisation allein kann nicht alle Aufgaben<br />

übernehmen. Die NFS-Tätigkeit ist eine spezielle Aufgabe, die keine an<strong>der</strong>e<br />

Organisation leisten kann, daher bedarf sie einer speziellen Institution.<br />

- Sozialforschung: Die Aktivität <strong>der</strong> NFS senkt die Entstehung psychischer<br />

Krankheiten, schützt vor PTSD <strong>und</strong> beschleunigt die Stressbewältigung nach Traumata,<br />

daher sinken die Krankenstandstage <strong>und</strong> damit die Kosten <strong>für</strong> die Versicherungen.<br />

7. Zusammenfassung<br />

In Katastrophensituationen ist an <strong>den</strong> Reaktionen <strong>der</strong> an <strong>der</strong> Rettung beteiligten<br />

Organisationen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft zu spüren, dass <strong>der</strong> soziale Bedarf nach einer NFS-<br />

Gruppe immer mehr steigt. Die ungarische Bevölkerung geriet infolge <strong>der</strong> äußerst<br />

radikalen sozialen Än<strong>der</strong>ungen sowie <strong>der</strong> wirtschaftlichen Schwierigkeiten <strong>der</strong> letzten<br />

Jahre in einen immer schlimmeren, auch psychisch-ges<strong>und</strong>heitlichen Zustand. In<br />

Hinblick auf die Lebenserwartung befindet sich Ungarn innerhalb <strong>der</strong> EU auf einem <strong>der</strong><br />

hintersten Ränge, aber auch die Zahl <strong>der</strong> psychisch <strong>und</strong> seelisch Erkrankten zeigt<br />

höchste Statistikwerte (vgl. mit dem Medikamentenkonsum in Ungarn).<br />

Organisationen, die mit dem Ressourcenmangel <strong>der</strong> Versorgungssysteme zu kämpfen<br />

haben, haben Angst vor <strong>der</strong> Freiwilligenarbeit, aufgr<strong>und</strong> des niedrigen GDP ist die Zahl<br />

<strong>der</strong> Freiwilligen we<strong>der</strong> ausreichend noch haben sie eine entsprechende (Aus-)Bildung.<br />

Mit <strong>den</strong>jenigen, die sich trotzdem <strong>für</strong> die Freiwilligenarbeit bewerben, kann die<br />

Gesellschaft nichts anfangen. Keine <strong>der</strong> Organisationen übernimmt angesichts von<br />

Ressourcenmangel <strong>und</strong> Nachhaltigkeitsrisiken die Bildung <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> die Werbung.<br />

Än<strong>der</strong>t sich diese Einstellung nicht, wird niemals die Möglichkeit zur Gestaltung eines<br />

neuen Systems <strong>und</strong> zur Beseitigung <strong>der</strong> Probleme gegeben sein.<br />

269


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

Die Diskussionen des Staates <strong>und</strong> <strong>der</strong> Kirche (Nichteinhaltung <strong>der</strong> Vatikansverträge,<br />

Ausbleiben <strong>der</strong> Finanzierung sozialer Aufgaben usw.) sind sowohl auf politischer als<br />

auch sozialer Ebene Ursachen von Spannungen, daher gibt es kaum positive Beispiele<br />

von Kooperation o<strong>der</strong> gemeinsamen Initiativen. In dieser Situation ist es aber schwierig,<br />

Kooperationen auf einem neuen Terrain zu gestalten.<br />

Die Neuüberlegung <strong>der</strong> Diakoniesysteme <strong>der</strong> Diözesen steht ständig auf <strong>der</strong><br />

Tagesordnung, die Annäherung an das II. Vatikanischen Konzil kommt in <strong>der</strong><br />

ungarischen katholischen Kirche noch immer nicht vollständig zur Geltung. Das<br />

Beispiel <strong>der</strong> Diözesen an<strong>der</strong>er Staaten kann bei <strong>der</strong> Übernahme bestehen<strong>der</strong> Systeme<br />

bzw. bei <strong>der</strong> Gestaltung eigener Möglichkeiten sehr helfen. Die Bestimmung <strong>der</strong><br />

konkreten Aufgaben kann dabei unter Berücksichtigung <strong>der</strong> lokalen Bedürfnisse <strong>und</strong><br />

Möglichkeiten erfolgen.<br />

Folgende Faktoren müssen zur Verwirklichung eines lebensfähigen Projektes unbedingt<br />

<strong>und</strong> eindeutig verstärkt wer<strong>den</strong>:<br />

- För<strong>der</strong>ung seitens <strong>der</strong> Diözese: Die Bischofskonferenz, darunter <strong>der</strong> Pastoralamtsleiter<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Diözesanbischof, <strong>der</strong> Führungsapparat <strong>der</strong> Diözese <strong>und</strong> die<br />

Wirtschaftsdirektion, müssen einsehen, dass es sich lohnt, Energie <strong>und</strong> Geld <strong>für</strong> diese<br />

Aufgabe aufzuwen<strong>den</strong>. Alle Betroffenen müssen die Entstehung <strong>der</strong> Gruppen auf ihren<br />

Ebenen unterstützen. Ohne die offizielle Unterstützung <strong>der</strong> Kirchenführung <strong>und</strong> eine<br />

Einglie<strong>der</strong>ung in die Kirche ist die Initiative – unabhängig davon, wie kreativ o<strong>der</strong><br />

energisch die Gruppe agieren möchte – als religiöse Initiative zum Scheitern verurteilt.<br />

- Die Situation <strong>der</strong> Freiwilligenarbeit: Dieser Umstand bedarf geson<strong>der</strong>ter<br />

Aufmerksamkeit. Ungarische Traditionen diesbezüglich sind spärlich. Gleichzeitig ist<br />

die Schaffung einer breiten sozialen Basis <strong>und</strong> das Miteinbeziehen entsprechend<br />

versierter Fachleute in die Arbeit nur durch die Propagierung des Freiwilligenprinzips<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> gesellschaftlichen Vermittlung <strong>der</strong> Freiwilligenarbeit als etwas Hochwertigem<br />

zu lösen. Die große Zahl <strong>der</strong> Freiwilligen stärkt die soziale Basis des Dienstes, wodurch<br />

sie größere Menschenmengen erreichen kann.<br />

- Finanzierung durch die Staatsorgane: Das Betriebsumfeld ist wichtig, weil die NFS<br />

ihre Aufgabe nur zusammen mit dem Katastrophenschutz, <strong>der</strong> Feuerwehr, <strong>der</strong> Rettung<br />

<strong>und</strong> an<strong>der</strong>en Staatsorganen effizient versehen kann. Die Sympathie <strong>der</strong> KollegInnen bei<br />

<strong>den</strong> Staatsorganen, die Kenntnis <strong>der</strong> Arbeit des Dienstes, die direkte Hilfe unter <strong>den</strong><br />

270


V. <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungsschritte</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> NFS in Ungarn /<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> NFS in Ungarn<br />

MitarbeiterInnen <strong>und</strong> Kooperationen sind unumgänglich, <strong>den</strong>n nur diese Organisationen<br />

verfügen über ein effizientes Warnsystem. Die Möglichkeit <strong>der</strong> Nutzung des<br />

Warnsystems ist aber die Gr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> eine effektive <strong>und</strong> erfolgreiche Arbeit.<br />

- Garantie des stabilen Finanzhintergr<strong>und</strong>es: Ohne diese kann kein Projekt erfolgreich<br />

sein. Obwohl beim optimalen Betrieb hauptsächlich Freiwillige in <strong>den</strong> Gruppen arbeiten<br />

wür<strong>den</strong>, gibt es immer Betriebskosten, selbst wenn diese niedriger sind als die einer<br />

Gruppe bestehend aus vollzeitbeschäftigten ExpertInnen.<br />

- Die Garantie des personellen Hintergr<strong>und</strong>es: Diese ist ebenfalls ein wichtiger Faktor<br />

des Projekterfolges. KollegInnen, die sich an einer solchen Arbeit gerne, aus<br />

Nächstenliebe o<strong>der</strong> Hingabe beteiligen, opfern nicht nur ihre Freizeit, Chancen <strong>und</strong><br />

Fähigkeiten <strong>für</strong> ein erfolgreiches Ziel, son<strong>der</strong>n erweitern ihre Routine <strong>und</strong> Erfahrungen.<br />

Gelingt es, diese fünf oben genannten Komponenten auf eine stabile Art <strong>und</strong> Weise zu<br />

gestalten, dann wird das Projekt mit größter Wahrscheinlichkeit ebenso erfolgreich wie<br />

in Deutschland o<strong>der</strong> Österreich.<br />

Da die Bekanntmachung mit Staatsorganen <strong>und</strong> Kirchen <strong>und</strong> die Akzeptanz durch diese<br />

eine längere <strong>und</strong> umfangreichere Aufgabe von mindestens ein bis zwei Jahren ist,<br />

besteht im jetzigen, prosperieren<strong>den</strong> <strong>und</strong> am Ende <strong>der</strong> momentanen Krise Auswege<br />

suchen<strong>den</strong> Wirtschaftsumfeld die Hoffnung, dass die betroffenen Organisationen auch<br />

in <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> Finanzierung offener wer<strong>den</strong>. Gleichzeitig kann in <strong>der</strong><br />

Organisationsphase schon die ExpertInnenenausbildung gestartet wer<strong>den</strong>, welche<br />

ebenfalls ein wichtiges Kriterium <strong>für</strong> einen erfolgreichen Betrieb ist.<br />

271


VI. Die Rotschlammkatastrophe von Devecser aus Sicht <strong>der</strong> Notfallseelsorge<br />

VI. Die Rotschlammkatastrophe von Devecser aus Sicht <strong>der</strong><br />

Notfallseelsorge<br />

Das nächste Kapitel basiert auf einem persönlichen Erlebnis. Bisher wur<strong>den</strong> die<br />

theoretischen Gr<strong>und</strong>lagen <strong>der</strong> NFS geschil<strong>der</strong>t, d.h. wie sie in österreichischen <strong>und</strong><br />

deutschen Diözesen funktioniert, bzw. wie man sie in Ungarn umsetzen könnte. In<br />

diesem Kapitel wird gezeigt, dass solch eine Organisation tatsächlich vonnöten ist,<br />

<strong>den</strong>n am 04. Oktober 2010 überflutet Rotschlamm aus Reservoir bei Ajka die<br />

Gemein<strong>den</strong> Kolontár-Devecser <strong>und</strong> Somlóvásárhely.<br />

Am 4. Oktober 2010 konnte man in <strong>den</strong> Nachrichten sehen, dass <strong>der</strong> Damm des<br />

Klärbeckens <strong>der</strong> Tonerdefabrik bei Ajka durchgebrochen ist <strong>und</strong> drei Gemein<strong>den</strong><br />

entlang des Baches Tona, nämlich Kolontár, Devecser <strong>und</strong> Somlóvásárhely, von<br />

Rotschlamm überschwemmt wur<strong>den</strong>. Sofort habe ich die Pfarre bei Devecser angerufen<br />

<strong>und</strong> gefragt, ob ich helfen kann. Miklós Mód, <strong>der</strong> örtliche Pfarrer, hat mir gesagt, dass<br />

ich kommen soll, wenn ich kann. Ich habe ein Paar abgenutzte Stiefel, eine abgetragene<br />

Hose angezogen <strong>und</strong> die in Österreich <strong>für</strong> unerwartete Situationen eingerichtete<br />

„Einsatz“-Tasche in <strong>den</strong> Kofferraum geworfen <strong>und</strong> habe mich auf <strong>den</strong> Weg gemacht. Es<br />

war bereits dunkel, als ich ankam. Pfarrer Miklós kam mir auf <strong>der</strong> Hauptstraße<br />

entgegen, <strong>den</strong>n man hat mich nicht mehr in die Gemeinde gelassen. Der Pfarrer von<br />

Devecser war auf die vom Schlamm überschwemmten Straßen gegangen <strong>und</strong> hatte bei<br />

<strong>der</strong> Rettung <strong>der</strong> in ihren Häusern gebliebenen Menschen geholfen. Er war auch bemüht,<br />

über <strong>den</strong> Lautsprecher <strong>der</strong> Kirche die Bevölkerung über die wichtigsten Dinge zu<br />

informieren, obwohl er keine Ahnung hatte, was mit Kolontár passiert war.<br />

Wir sind ins Auto gestiegen <strong>und</strong> nach Kolontár gefahren, <strong>den</strong>n Pfarrer Miklós machte<br />

sich Sorgen um die DorfbewohnerInnen. Das Hochwasser war bereits zurückgegangen<br />

<strong>und</strong> im Bürgermeisteramt waren Leute mit mü<strong>den</strong> Gesichtern. Am Vorabend waren<br />

Gemein<strong>der</strong>atswahlen <strong>und</strong> man konnte ihnen ansehen, dass die Nacht zu lang war <strong>und</strong><br />

sie praktisch seit zwei Tagen auf <strong>den</strong> Beinen waren. Wir haben uns in <strong>der</strong> Gemeinde<br />

umgeschaut <strong>und</strong> waren über die bei Prozessionen verwendeten Lautsprecher bemüht,<br />

die wenigen Informationen, die wir hatten, <strong>der</strong> Bevölkerung mitzuteilen. So zum<br />

Beispiel, dass sie <strong>den</strong> Kontakt mit dem Schlamm mei<strong>den</strong> sollen o<strong>der</strong> dass sie keine<br />

Angst vor <strong>der</strong> Polizei haben sollen, <strong>den</strong>n diese bewachten lediglich die Straßen. Einige<br />

272


VI. Die Rotschlammkatastrophe von Devecser aus Sicht <strong>der</strong> Notfallseelsorge<br />

Leute aus <strong>den</strong> nicht überschwemmten Gebieten kamen auf die Straße <strong>und</strong> sagten, dass<br />

sie zwar <strong>für</strong> die Informationen dankbar waren, aber nicht verstün<strong>den</strong>, warum wir ihnen<br />

dies mitteilen, <strong>den</strong>n sie hätten nichts vom Schlamm abbekommen. In <strong>der</strong> Zwischenzeit<br />

sind wir öfters stehen geblieben <strong>und</strong> Pfarrer Miklós war bemüht, Informationen zu<br />

sammeln, aber niemand konnte genaue Auskunft geben.<br />

In <strong>den</strong> Abendst<strong>und</strong>en gingen wir zurück zur Gemeinde <strong>und</strong> ich nahm an <strong>der</strong> Sitzung <strong>der</strong><br />

Schutzkommission teil. Ich hatte <strong>den</strong> Eindruck, dass niemand wusste, was passiert,<br />

geschweige <strong>den</strong>n erahnen konnte, was zu erwarten war. Es war eindeutig, dass sich hier<br />

keine ExpertInnen, son<strong>der</strong>n PolitikerInnen beraten haben. Zwar waren einige KIT-<br />

Leute anwesend, diese konnten aber <strong>den</strong> Kontakt zu <strong>den</strong> Leuten nicht herstellen. Sie<br />

stan<strong>den</strong> stumm auf <strong>der</strong> Gemeinde, wur<strong>den</strong> zwar benachrichtigt, es gab aber keine<br />

konkreten Anfor<strong>der</strong>ungen ihnen gegenüber. Der Pfarrer bat mich, in Kolontár zu<br />

übernachten <strong>und</strong> mich um die Personen zu kümmern, die in <strong>der</strong> Pfarre untergebracht<br />

waren. Der Pfarrhof liegt an <strong>der</strong> Straße, wo <strong>der</strong> Schlamm gewütet hat, aber das<br />

Gebäude wurde nicht beschädigt.<br />

Wir haben die Schlafzimmer im Obergeschoss gerichtet, Bettwäsche überzogen <strong>und</strong><br />

Wasser von Wasserwagen geholt. Wir haben mehreren Personen Unterkunft geboten,<br />

unter ihnen war auch ein Staatssekretär. Da ich mich nicht <strong>für</strong> Politik interessiere, habe<br />

ich dies auch nicht beachtet <strong>und</strong> weiß nicht, wer er war. (Umweltstaatsekretär Zoltán<br />

Illés war Gast <strong>der</strong> Pfarre Kolontár von Montag bis Samstag). Nachts um zwei Uhr, als<br />

die wichtigsten Persönlichkeiten untergebracht waren, ging ich schlafen.<br />

Um fünf Uhr morgens sind wir dann aufgewacht <strong>und</strong> haben geschaut, was man in so<br />

einer Situation machen kann. Am nächsten Tag war die Situation aber noch<br />

enttäuschen<strong>der</strong>. Am Vormittag pendelte ich zwischen Amt <strong>und</strong> Kirche, wichtige<br />

Persönlichkeiten kamen <strong>und</strong> gingen <strong>und</strong> haben sich beraten. Zu diesem Zeitpunkt sind<br />

die Medien wie<strong>der</strong> abgezogen <strong>und</strong> viele örtliche PolitikerInnen haben <strong>den</strong> Saal<br />

verlassen, – deshalb sind keine Entscheidungen gefallen. Vielleicht war die<br />

Medienpräsenz wichtiger als das Handeln. Bei <strong>der</strong> Sitzung <strong>der</strong> Schutzkommission haben<br />

uns PolitikerInnen informiert, dass sie die Akademie <strong>der</strong> Wissenschaften gefragt haben,<br />

wie man <strong>den</strong> Rotschlamm neutralisieren kann. Dort wurde gesagt, dass man Gips<br />

streuen sollte <strong>und</strong> alles sei dann in Ordnung. Eine Gipslieferung wurde aus einem<br />

an<strong>der</strong>en Teil des Landes losgeschickt <strong>und</strong> entschie<strong>den</strong>, dass dadurch die weitere<br />

273


VI. Die Rotschlammkatastrophe von Devecser aus Sicht <strong>der</strong> Notfallseelsorge<br />

Verunreinigung des Flusses Marcal aufgehalten wer<strong>den</strong> könnte bzw., dass das Militär<br />

<strong>und</strong> sonstige Schutzorgane alles, was geschehen war, in Ordnung bringen sollten. Bei<br />

diesen Sitzungen waren die Kirchenvertreter we<strong>der</strong> als verhandelnde, noch als Hilfe<br />

leistende Partei präsent. Vater Miklós <strong>und</strong> ich wur<strong>den</strong> zwar bei <strong>der</strong> Sitzung zugelassen,<br />

galten aber trotzdem nicht als kompetente Kirchenpersonen.<br />

Um elf Uhr vormittags kam eine Falschmeldung über einen zweiten Dammbruch. Leute<br />

in Kolontár <strong>und</strong> Devecser flüchteten blind auf höher gelegene Stellen. Leute auf <strong>der</strong><br />

Gemeinde in Kolontár – PolitikerInnen <strong>und</strong> Zivile – rannten auf <strong>den</strong> Kirchenhügel. Es<br />

war seltsam zu sehen, wie Leute um ihr Leben gerannt sind. Auch ich habe mich beeilt,<br />

aber ich habe darauf geachtet, dass ich meine Tasse Kaffee nicht auf meine Kleidung<br />

schüttete. Es war lehrreich, die MitarbeitenInnen <strong>der</strong> Gemein<strong>den</strong> aus an<strong>der</strong>en Orten zu<br />

beobachten, die sich bisher als Fremde verhalten hatten. Die Flucht war aber <strong>den</strong>noch<br />

ein Erlebnis, weil sie eine Art Schicksalsgemeinschaft mit <strong>den</strong> Ortsansässigen<br />

bedeutete.<br />

Am Nachmittag waren einige Leute bemüht, Wertgegenstände aus <strong>den</strong> Häusern zu<br />

räumen. Viele Menschen, Soldaten, Katastrophenschutzleute, Zivile stan<strong>den</strong> da <strong>und</strong><br />

schauten zu, wie einige Menschen Dinge durch <strong>den</strong> Schlamm geschleppt haben.<br />

Selbstverständlich habe ich mich ihnen angeschlossen <strong>und</strong> es kamen einige vom<br />

Zivilschutz dazu. Ich habe gedacht, auch an<strong>der</strong>e wür<strong>den</strong> sich anschließen, <strong>den</strong>n sie<br />

kamen, um zu helfen. Dies war aber nicht so. H<strong>und</strong>erte schauten zu, wie einige Dutzend<br />

sich geplagt haben. Damals kam mir das Gefühl, dass wir Helfer Schlitzohren waren.<br />

Am gleichen Tag sahen wir eine alte Dame Wasser in das Haus tragen – damals haben<br />

wir gedacht, dass die EinwohnenInnen aufräumen wür<strong>den</strong>, um dann zu Hause einziehen<br />

zu können. Niemand half beim Wassertragen. Da man uns gebeten hatte, mit <strong>den</strong><br />

Masken über die Medien keine Panik zu verursachen, haben wir keine Masken getragen<br />

<strong>und</strong> die Polizei hat <strong>den</strong>jenigen, die eine Maske getragen haben, diese abgenommen.<br />

Dienstag hatte ich bereits <strong>den</strong> Mut, dem Bürgermeister, Herrn Károly Tili, zu sagen,<br />

dass er o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Amtsleiter nach Hause gehen <strong>und</strong> sich schlafen legen sollte, sonst<br />

wür<strong>den</strong> sie zugleich umfallen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Anzeichen <strong>der</strong><br />

Übermüdung bereits bei<strong>den</strong> anzusehen, daher war es ihnen egal, was gesagt wurde, sie<br />

haben uns kaum verstan<strong>den</strong>.<br />

274


VI. Die Rotschlammkatastrophe von Devecser aus Sicht <strong>der</strong> Notfallseelsorge<br />

Ich stieg in mein Auto <strong>und</strong> fuhr nach Gógánfa zurück, um eine Messe zu zelebrieren.<br />

Abends rief ich meine Fre<strong>und</strong>e in Graz an <strong>und</strong> sagte ihnen, dass ich Hilfe benötigte,<br />

<strong>den</strong>n alleine würde ich nicht weiterkommen, auch <strong>den</strong> Malteser Hilfsor<strong>den</strong>, wo ich<br />

früher meine Ausbildung absolviert habe, habe ich angerufen. Sie sagten mir, dass sie<br />

nicht in die Region kommen <strong>und</strong> tätig wer<strong>den</strong> wür<strong>den</strong>, weil dies kein ernstes Problem<br />

sei. Später sind sie dann aber doch erschienen.<br />

Mittwoch Früh war ich erneut in Devecser <strong>und</strong> mit Freiwilligen haben wir systematisch,<br />

nach Karten, begonnnen die überschwemmten Straßen abzugehen, um zu sehen, wem<br />

was passiert war <strong>und</strong> wer welche Art von Hilfe benötigte. Auch <strong>der</strong> Donnerstag wurde<br />

damit verbracht. Dabei musste ich allen vertrauen <strong>und</strong> akzeptieren, dass je<strong>der</strong> seine<br />

Arbeit ohne Ausbildung versehen kann. Nach einigen St<strong>und</strong>en traf ich mich mit<br />

Personen zu einem kurzen Gespräch. Ihr erster Kommentar war, dass sie nicht <strong>für</strong> diese<br />

Aufgabe gekommen waren, son<strong>der</strong>n, um <strong>für</strong> die Menschen zu beten. Ich sagte ihnen,<br />

dass sie sich um Menschen wie ein Gebet kümmern sollen, <strong>den</strong>n ein Gebet ist nicht nur<br />

ein theoretisches Gespräch mit Gott, son<strong>der</strong>n die Praxis <strong>der</strong> Nächstenliebe. In dieser<br />

Bedeutung von Leben müssen diese Leben mittels Gebet „umgebetet“ wer<strong>den</strong>. Ich bat<br />

sie, <strong>den</strong> Leuten zuzuhören <strong>und</strong> sich Notizen zu machen. Sie sollten immer zu zweit<br />

gehen, <strong>den</strong>n wenn einem etwas passiert, kann <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e aushelfen. Ich habe alle<br />

gebeten, Stiefel zu tragen <strong>und</strong> Wasser mitzuführen, <strong>den</strong>n wenn man stürzt, muss man<br />

sich waschen. Wir hielten telefonisch Kontakt. Die Gruppe ist das ganze Gebiet<br />

abgegangen. Sowohl sie als auch ich waren ohne Auftrag vor Ort, obwohl dies mein<br />

Fachgebiet war. 605 Ich konnte nirgendwo mitre<strong>den</strong> <strong>und</strong> gehörte zu niemandem.<br />

Trotzdem war ich bemüht, meine Aufgabe zu erfüllen, die die eines Seelsorgers ohne<br />

offiziellen Auftrag war, aber auf Fachkenntnissen beruhte. Der Pfarrer vor Ort konnte<br />

nicht auf die Seelsorge achten, da ihm die Koordination <strong>der</strong> Spen<strong>den</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> Medien –<br />

was bestimmt auch eine wichtige Tätigkeit ist, aber <strong>der</strong> Mensch kommt in so einer<br />

Situation zuerst – wichtiger war. In diesen Tagen waren TierschützenInnen sehr aktiv<br />

<strong>und</strong> wollten noch lebende Tiere retten. Während die Medien in <strong>den</strong> Nachrichten bereits<br />

von <strong>der</strong> Rettung <strong>der</strong> Menschen gesprochen hatten, gab es noch Leute, die ihre<br />

Angehörigen im Schlamm gesucht haben.<br />

605<br />

Ich verfügte zwar über eine gewisse Fähigkeitskompetenz, erhielt aber keine Zuständigkeitskompetenz<br />

durch die Verantwortlichen. Diesen fehlte aber die Fähigkeitskompetenz.<br />

275


VI. Die Rotschlammkatastrophe von Devecser aus Sicht <strong>der</strong> Notfallseelsorge<br />

Wir sind in <strong>der</strong> Zwischenzeit die Häuser abgegangen <strong>und</strong> haben die Menschen<br />

aufgesucht. Wir haben geklopft – <strong>den</strong> Kontakt aufgenommen –, gesagt, wir wür<strong>den</strong><br />

Gummihandschuhe <strong>und</strong> Wasser in Flaschen mitbringen <strong>und</strong> haben gefragt, was sie<br />

benötigen wür<strong>den</strong>. Niemand hatte Zeit zu sprechen, aber ich habe selbst auch nicht<br />

gewusst, was ich sagen sollte. Ich habe die an <strong>der</strong> Rettung beteiligten Menschen<br />

gesehen, die Dämme gebaut, aufgeräumt <strong>und</strong> Pakete verteilt haben. Ich wollte sie nicht<br />

aufhalten, habe aber gewusst, dass sie über das Erlebte sprechen, sich Luft machen<br />

müssen, sonst können sie die Last nicht ertragen. Einige Gefragte schauten mich an, als<br />

sie gesehen hatten, dass ich Pfarrer bin, <strong>und</strong> sagten, dass sie vielleicht eine Bibel<br />

benötigen wür<strong>den</strong>. Überall wurde ich eingela<strong>den</strong> <strong>und</strong> alle haben erzählt, wie sie sich<br />

retten konnten. Auch Tage später waren die Erlebnisse noch da, es wurde lebhaft<br />

erzählt. Es war wichtig, dass sie sich aussprechen konnten. Ein pensioniertes Ehepaar,<br />

dessen Tochter Krankenschwester war <strong>und</strong> Nachtdienst hatte, ist im Schlafanzug auf<br />

<strong>den</strong> Dachbo<strong>den</strong> geflohen <strong>und</strong> hat seine Tochter hinaufgezerrt. Dann, als sie in<br />

Sicherheit waren, kletterte <strong>der</strong> alte Mann in <strong>den</strong> Schlamm, um Gummistiefel <strong>und</strong> das<br />

Notwendigste zu sammeln <strong>und</strong> hat sich im basischen Schlamm verbrannt. Den alten<br />

Mann haben wir später getroffen, er hat mit verbrannten Beinen in Gummistiefeln<br />

weitergearbeitet <strong>und</strong> gehofft, noch etwas retten zu können. Es gab eine alte Dame, die<br />

irgendwie auf einen zweieinhalb Meter hohen Pfeiler geklettert war <strong>und</strong> zusah, wie alle<br />

an<strong>der</strong>en Pfeiler umfielen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Zaun nachgab. Der eine Pfeiler aber, an dem sie sich<br />

festgeklammert hatte, blieb stehen, vielleicht weil er am Haus angemauert war. Danach<br />

konnte die Dame tagelang nicht schlafen. Wenn sie die Augen zumachte o<strong>der</strong> ein Auto<br />

an ihr vorbeifuhr, hörte sie das Rauschen des Schlamms. Wir haben mit ihr gesprochen<br />

<strong>und</strong> wollten sie nicht sofort zu einem/r PsychiaterIn schicken, haben aber gemerkt, dass<br />

sich bei ihr schon eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) bemerkbar machte.<br />

Eine an<strong>der</strong>e ältere Dame hatte alles weggeworfen, selbst noch brauchbare Sachen, <strong>und</strong><br />

sich dabei von jedem Objekt, angefangen von <strong>der</strong> Pflaumenkonfitüre vom Vorjahr, über<br />

Töpfe <strong>und</strong> Werkzeuge, verabschiedet. Dann ist ihr plötzlich eingefallen, dass ihr Sohn<br />

sich verbrannt hatte <strong>und</strong> im Krankenhaus war <strong>und</strong> sie hat gefragt, ob er noch nach<br />

Hause kommen würde. Während sie die Töpfe in <strong>den</strong> geflogen warf, sie nur: „Hierher?<br />

Und wenn nicht, wohin dann? Und wird er ges<strong>und</strong>, wenn ich ihm sage, dass er nicht<br />

mehr hierher kommen kann?“ Dann hat sie ihre Arbeit abgebrochen <strong>und</strong> angefangen zu<br />

276


VI. Die Rotschlammkatastrophe von Devecser aus Sicht <strong>der</strong> Notfallseelsorge<br />

erzählen, wie sie hier gelebt hatten <strong>und</strong> was alles renoviert wurde. Dann sagte sie voller<br />

Tränen: „Hierher können wir nicht zurückkehren, das weiß ich!”<br />

In <strong>den</strong> gesperrten Gebieten hat <strong>der</strong> ÁNTSZ (Staatsdienst <strong>für</strong> Wohlstand <strong>und</strong><br />

Offiziersärzte) <strong>den</strong> Verzehr von Lebensmitteln verboten, so haben Freiwillige <strong>den</strong><br />

MitarbeiterInnen vor Ort illegal Nahrung zukommen lassen. FamilienhelferInnen, die<br />

pflegebedürftige Menschen versorgt haben, wussten, bei welchen Polizisten man das<br />

Mittagessen „überbringen“ konnte. Mittwochabend gab es ein Forum in Devecser. Eine<br />

Dame von <strong>der</strong> ÁNTSZ schlug vor, verseuchte Kleidung in drei verschie<strong>den</strong>en Behältern<br />

durchzuspülen, bevor man sie in die Waschmaschine legt. Dieser Ratschlag wurde mit<br />

dem meisten Raunen empfangen. Woher nimmt man so viele Behälter, geschweige <strong>den</strong>n<br />

eine Waschmaschine. Bei dem Forum wur<strong>den</strong> mehrere Meinungen geäußert.<br />

Ortsansässige waren <strong>den</strong>jenigen, die sich an <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>herstellung beteiligt hatten,<br />

einerseits dankbar, an<strong>der</strong>erseits waren sie verzweifelt <strong>und</strong> unzufrie<strong>den</strong>. Sie wussten,<br />

dass die eigenen Probleme die größten waren, <strong>den</strong>noch waren sie bemüht, eine Liste<br />

aufzustellen, nach <strong>der</strong> auf die Scha<strong>den</strong>slin<strong>der</strong>ung geachtet wer<strong>den</strong> sollte. Ein weiteres<br />

Erlebnis war, dass viele ihre Papiere nicht gef<strong>und</strong>en hatten <strong>und</strong> neue nur <strong>für</strong> Geld zu<br />

beschaffen waren. Die Staatsverwaltung war darauf nicht vorbereitet <strong>und</strong> wusste nicht,<br />

wie sie Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> am besten helfen konnte.<br />

Mittwochabend bemerkte ich zum ersten Mal, dass die Freiwilligen ihren Abend in <strong>der</strong><br />

Kneipe verbrachten, tranken <strong>und</strong> lachten. Zuerst hatte ich gemischte Gefühle, dass<br />

Leute in Anbetracht <strong>der</strong> Katastrophe lachten <strong>und</strong> einan<strong>der</strong> Geschichten erzählten.<br />

Später erkannte ich, dass viele unter <strong>den</strong> Freiwilligen sehr unter dem<br />

katastrophengeplagten Umfeld litten <strong>und</strong> es daher <strong>den</strong> Helfern auch gut tat, das<br />

Geschehene aussprechen zu können. Gemeinsame Mittagsgebete waren hier<strong>für</strong> kaum<br />

geeignet. Aber nicht nur Freiwillige waren belastet, son<strong>der</strong>n auch die Polizei,<br />

Feuerwehr, Rettung <strong>und</strong> das Militär hatten keine Gelegenheit, sich auszure<strong>den</strong>.<br />

Hilfsorganisationen gaben ihnen Tee, Kaffee <strong>und</strong> Nahrung, aber niemand half ihnen,<br />

die Erlebnisse aufzuarbeiten.<br />

Donnerstag meldeten sich fast 200 Freiwillige <strong>für</strong> die Arbeit in <strong>der</strong> Pfarre. Mehrere<br />

Leute, die in die Häuser gegangen waren, baten mich, sie lieber Schlamm räumen zu<br />

lassen, <strong>den</strong>n es sei viel leichter zu schaufeln, als mit Menschen zu re<strong>den</strong>. Die<br />

Neuankömmlinge wollten wissen, wie gefährlich <strong>der</strong> Schlamm sei <strong>und</strong> wie lange die<br />

277


VI. Die Rotschlammkatastrophe von Devecser aus Sicht <strong>der</strong> Notfallseelsorge<br />

Arbeit dauern würde. Keine <strong>der</strong> Fragen konnte ich beantworten. In <strong>der</strong> Pfarre wur<strong>den</strong><br />

Anrufe über drei Leitungen entgegengenommen, es gab zahlreiche Spen<strong>den</strong>, viele haben<br />

aber angerufen, um ihr Beileid auszudrücken. Dutzende Male kam es vor, dass jemand<br />

am Telefon in Tränen ausgebrochen ist <strong>und</strong> die Mitarbeiter <strong>der</strong> Pfarre Devecser<br />

jeman<strong>den</strong> aus Budapest trösten mussten. Wir waren auf die logistische Arbeit nicht<br />

vorbereitet, alle fragten, wobei sie helfen könnten, wussten aber nicht, was die Hilfe<br />

selbst ist. Am Schlimmsten war, als Helfer um fertige Projekte gebeten hatten – Kontakt<br />

zu Kin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> älteren Menschen –, die sie dann auch finanziert hätten. Natürlich gab<br />

es keine vorbereiteten Projekte <strong>und</strong> diese „Chancen“ galten als „versäumte<br />

Möglichkeiten“ in <strong>den</strong> Augen <strong>der</strong> HelfernInnen. Man musste etwas fin<strong>den</strong>, wobei sie<br />

helfen konnten, aber was?<br />

An<strong>der</strong>e kamen mit 15jährigen Kin<strong>der</strong>n, die keine Arbeit alleine verrichten konnten. Ein<br />

psychisch gestörter Mann, <strong>der</strong> sich <strong>für</strong> einen Nobel-Preis-Träger <strong>und</strong> Forscher hielt,<br />

bat alle um Papier, Bleistift <strong>und</strong> Aufmerksamkeit. Er ging in <strong>den</strong> Straßen auf <strong>und</strong> ab <strong>und</strong><br />

schrieb Protokolle, wie man die Situation meistern könnte. Jemand brachte 10 Liter<br />

W<strong>und</strong>erwasser in Sprühkanistern <strong>und</strong> sagte, wenn die Kranken damit besprüht wür<strong>den</strong>,<br />

wür<strong>den</strong> sie sofort genesen. Ich habe mich bedankt, alles in eine Ecke gestellt <strong>und</strong> auf ein<br />

Blatt Papier hingeschrieben: „W<strong>und</strong>erwasser. Bei Bedarf mitnehmen.“<br />

Nach einigen Tagen haben Freiwillige begonnen, miteinan<strong>der</strong> zu streiten, wer was <strong>und</strong><br />

wie macht. Die Erlebnisse waren bedrückend <strong>und</strong> die Leute mussten Dampf ablassen.<br />

Wir haben wie<strong>der</strong> Häuser besucht, <strong>und</strong> am Donnerstag fan<strong>den</strong> unsere Freiwilligen eine<br />

alte Frau in einem Haus, mit <strong>der</strong> seit Montag niemand geredet hatte. Nach <strong>der</strong><br />

Katastrophe hat sie die Tür zugemacht <strong>und</strong> uns bis dahin auf kein Klopfen <strong>und</strong> Rufen<br />

geantwortet. Sie war noch Tage nach dem Geschehen verschreckt.<br />

Ebenfalls Donnerstag kam eine Gruppe Freiwilliger von <strong>der</strong> Firma MAL. Diese Firma<br />

hat die Katastrophe verursacht. Sie haben gesagt, dass sie nichts da<strong>für</strong> können, sie<br />

wür<strong>den</strong> nur arbeiten. Es war so, als ob sie aufgr<strong>und</strong> ihres Arbeitsplatzes eine<br />

Kollektivschuld hätten. Für mich war es aber ein großes Erlebnis, sie zu treffen.<br />

An diesem Tag habe ich zum ersten Mal sauberen Parkettbo<strong>den</strong> gesehen. Ich weiß<br />

nicht, wie oft er gewaschen wurde <strong>und</strong> ob er wie<strong>der</strong> rot wurde, es war aber ein<br />

merkwürdiger Anblick. Beson<strong>der</strong>s in Hinblick darauf, dass sich später heraustellte, dass<br />

kein Schaufeln <strong>und</strong> kein Saubermachen Sinn hatte, weil die Häuser nie<strong>der</strong>gewalzt <strong>und</strong><br />

278


VI. Die Rotschlammkatastrophe von Devecser aus Sicht <strong>der</strong> Notfallseelsorge<br />

<strong>der</strong> Bo<strong>den</strong> später umgegraben wurde. Wir haben zwei Frauen getroffen, <strong>der</strong>en Mutter<br />

wegen <strong>der</strong> Schlammlawine im Krankenhaus lag, sie aber nicht in ihr Haus konnten, weil<br />

ihre Wohnsitzkarte auf eine an<strong>der</strong>e Adresse lautete. Von 6.00 bis 10 Uhr bemühten sie<br />

sich vergeblich, ins Haus zu kommen. Ich habe sie gefragt, ob sie Lust hätten, zur<br />

Pfarre zu kommen, dort wür<strong>den</strong> sie Ausrüstung zum Saubermachen <strong>und</strong> Hilfe zum<br />

Nachhausekommen bekommen. Sie waren sehr dankbar. Donnerstagabend war geklärt,<br />

dass alle notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> Familien 100.000 HUF (360 €) bekommen wür<strong>den</strong>. Der<br />

Zivilschutz <strong>und</strong> <strong>der</strong> Bürgermeister in Kolontár waren bemüht, diese Summen zu<br />

verteilen. Ich war unter ihnen <strong>und</strong> hörte ihnen zu, wie sie sich berieten <strong>und</strong> fragten, ob<br />

sie dies gut machten <strong>und</strong> sie so gerecht vorgehen wür<strong>den</strong>.<br />

Donnerstag in <strong>der</strong> Früh hatten nicht alle eine Schutzausrüstung <strong>und</strong> die Ortsansässigen<br />

haben die Warnung nicht ernst genommen, sie hatten seit Tagen im Schlamm<br />

gearbeitet. Dann habe ich meine Fre<strong>und</strong>Innen in Graz angerufen <strong>und</strong> sie gebeten,<br />

Schutzausrüstungen zu besorgen. Noch in <strong>der</strong> Nacht hat die Grazer Feuerwehr 105<br />

Tausend Schutzmasken <strong>und</strong> Schutzkleidung nach Ajka gebracht.<br />

Freitag ging ich mit einer Frau vom Familienschutz herum. Sie war beschäftigt, zu<br />

ermessen, welche Wirkung <strong>der</strong> Rotschlamm auf Wände, Pflanzen <strong>und</strong> die äußere<br />

Umgebung hatte. Diesen Umstand bemerkte ich zu diesem Zeitpunkt zum ersten Mal,<br />

bis dahin hatten mich „lediglich“ die Menschen beschäftigt. Wir haben eine Familie<br />

getroffen, die gar nicht erst begonnen hatte, etwas wie<strong>der</strong>herzustellen, da sie sich sagte,<br />

es hätte keinen Sinn. Nachdem sie von uns gebrauchte Kleidung bekommen hatten,<br />

waren sie beschämt, dass an<strong>der</strong>e arbeiteten <strong>und</strong> so fingen sie, wenn auch ohne große<br />

Motivation, an, Schlamm zu schaufeln. Es gab einen Mann vor Ort, <strong>der</strong> <strong>den</strong> Golfkrieg<br />

überlebt hatte <strong>und</strong> die Situation überraschend hart <strong>und</strong> mit Fassung ertrug. Er hat<br />

sogar Witze erzählt. Ich konnte nicht verstehen, woher er die Kraft nahm. Er sagte, er<br />

habe keine Familie, sein Leben könne er noch neu beginnen <strong>und</strong> er wolle unsere Lust<br />

am Helfen nicht nehmen.<br />

Ein altes Ehepaar wollte sein Haus nicht verlassen, sie waren schon über 80 <strong>und</strong><br />

meinten, kein neues Leben mehr anfangen zu können. Damals kam mir zum ersten Mal<br />

<strong>der</strong> Gedanke, dass vielleicht nicht alle die Gegend verlassen wür<strong>den</strong>, weil nicht alle<br />

woan<strong>der</strong>s neu anfangen können. Am gleichen Tag kam die Nachricht, dass auch <strong>der</strong><br />

nächste Damm anfing, nachzugeben. Die EinwohnenInnen von Kolontár wur<strong>den</strong><br />

279


VI. Die Rotschlammkatastrophe von Devecser aus Sicht <strong>der</strong> Notfallseelsorge<br />

evakuiert, die aus Devecser wur<strong>den</strong> gebeten, maximal 20kg an persönlichen Sachen zu<br />

packen <strong>und</strong> mussten warten, wann das Fernsehen ihnen sagte, dass sie fliehen mussten.<br />

Es gab Leute, die nicht gewartet haben <strong>und</strong> bereits in <strong>der</strong> Nacht losgegangen sind. In<br />

<strong>den</strong> benachbarten Gemein<strong>den</strong> wollte man sie aber nicht annehmen, <strong>den</strong>n in <strong>den</strong> Medien<br />

wurde gesagt, dass alle in <strong>der</strong> Stadt Győr untergebracht wür<strong>den</strong> <strong>und</strong> die Gemeinde so<br />

zusammenbleiben könne. Später wur<strong>den</strong> sie in <strong>den</strong> umliegen<strong>den</strong> Gemein<strong>den</strong><br />

untergebracht. Wegen <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Mediennachricht, nach <strong>der</strong> <strong>der</strong> Schlamm sogar bis<br />

in die Donau gelangen könnte, was <strong>der</strong> Umweltschutz verhin<strong>der</strong>n wollte, hatten Leiter<br />

<strong>und</strong> EinwohnerInnen benachbarter Dörfer Angst, dass <strong>der</strong> Staat sie, um eine größere<br />

Katastrophe aufzuhalten, opfern würde. In <strong>den</strong> Dörfern, so auch in meiner Gemeinde,<br />

haben Menschen ihre Sachen gepackt <strong>und</strong> gewartet, wann sie fliehen müssten.<br />

Freitag ging ich nach Hause, weil ich das Gefühl hatte, nicht mehr weitermachen zu<br />

können. Ich war müde <strong>und</strong> musste Messen zelebrieren. Ich wollte das Geschehene<br />

nie<strong>der</strong>schreiben, aber ich merkte, dass die Ereignisse auch in mir nicht eindeutig waren<br />

<strong>und</strong> es gut wäre, mit einem Fachmann darüber zu sprechen. In meiner Umgebung<br />

kannte ich aber nieman<strong>den</strong>.<br />

Samstag waren schon mehrere Priester anwesend, aber die neuen waren bei bestem<br />

Willen nicht in <strong>der</strong> Lage, die Arbeit zu beginnen, sie wussten nicht, wie sie <strong>den</strong> Kontakt<br />

zu <strong>den</strong> Menschen herstellen, was sie ihnen sagen <strong>und</strong> was sie aufzeichnen sollten. Ich<br />

fühlte, dass sie auf mich angewiesen waren. So habe ich ihnen gesagt, mit welchen<br />

Metho<strong>den</strong> wir bisher gearbeitet hatten. Ich erklärte ihnen auch, dass dies keine perfekte<br />

Methode, son<strong>der</strong>n lediglich ein Leitfa<strong>den</strong> war. Sie sollten sich während <strong>der</strong> Gespräche<br />

überraschen lassen. MentalhygieneexpertInnen, die in <strong>der</strong> Seelsorge bewan<strong>der</strong>t waren,<br />

hatten versprochen, sich zu beteiligen, sind aber nicht gekommen. PsychologInnen<br />

waren vor Ort <strong>und</strong> haben mich gebeten, ihnen KlientInnen zu zeigen. Dies war nicht<br />

einfach, <strong>den</strong>n kaum jemand war länger als zwei Minuten an einem Ort, so musste ich<br />

unter <strong>den</strong> Freiwilligen, die in Tränen ausgebrochen waren, KlientInnen<br />

„improvisieren.“<br />

Samstag waren wir auch viele, es war Wochenende <strong>und</strong> Leute kamen aus ganz Ungarn,<br />

aber die Qualifikation <strong>der</strong> HelferInnen wurde nicht besser. Es kamen Obdachlose <strong>und</strong><br />

UniversitätsprofessorInnen, die einst in <strong>den</strong> betroffenen Gemein<strong>den</strong> gelebt hatten. Aber<br />

auch solche, die die Hilfe als eine Art Abenteuer aufgefasst haben. Mit dieser<br />

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VI. Die Rotschlammkatastrophe von Devecser aus Sicht <strong>der</strong> Notfallseelsorge<br />

heterogenen Gruppe mussten wir kooperieren. Wir waren ständig bemüht auszuwählen,<br />

wer wozu geeignet war. Hier<strong>für</strong> stan<strong>den</strong> uns Gespräche von jeweils drei Minuten zur<br />

Verfügung. In dieser Zeit mussten wir entschei<strong>den</strong>, wessen Kompetenzen bei einer<br />

Hilfeleistung wie weit reichte. Diese Aufgabe an sich wäre schon genug, aber wir waren<br />

nicht da<strong>für</strong> da. Hier gab es Extremfälle. Ein Mann wollte nicht im Rotschlamm<br />

herumgehen, weil er so Angst hatte. Ein reformierter Pfarrer hat nicht verstan<strong>den</strong>, dass<br />

wir keine Klei<strong>der</strong> sammeln, daher wollte er die Spen<strong>den</strong> nicht bei uns, son<strong>der</strong>n in einer<br />

Caritas-Zentrale abgeben.<br />

Der Pfarrer vor Ort benahm sich mit <strong>der</strong> Zeit auch sehr seltsam. Anfangs hatte er die<br />

Caritas empfangen <strong>und</strong> allen Platz geboten, ein paar Tage später aber meinte er, dass<br />

ihn alle bestehlen wür<strong>den</strong> <strong>und</strong> sich deshalb je<strong>der</strong> zum Teufel scheren sollte. Er hat<br />

wegen <strong>der</strong> Presse <strong>und</strong> <strong>den</strong> Caritas-MitarbeiterInnen ständig die Polizei gerufen <strong>und</strong> mit<br />

<strong>der</strong> Zeit hatte auch ich Angst, <strong>der</strong> Polizei erklären zu müssen, dass ich nichts<br />

mitnehmen wolle.<br />

An dem Tag ging ich nach Ajka, <strong>den</strong>n ein Teil <strong>der</strong> EinwohnerInnen von Kolontár war in<br />

<strong>der</strong> Turnhalle untergebracht <strong>und</strong> hatte darauf gewartet, nach Hause gehen zu können.<br />

Es gab keine Nachrichten, also waren auch diejenigen dort, die nicht in <strong>der</strong> Turnhalle<br />

übernachtet hatten. Es waren auch PsychologInnen anwesend, sie kannten aber<br />

nieman<strong>den</strong> <strong>und</strong> es war auch nicht einfach, das Vertrauen <strong>der</strong> jeweiligen an<strong>der</strong>en zu<br />

gewinnen.<br />

Die Medien waren überall präsent. Viele gaben Interviews, das war die beste Form,<br />

damals die Zeit zu verbringen. Einheimische haben z.B. erzählt, dass jemand, als <strong>der</strong><br />

Alarm losging, betrunken aus <strong>der</strong> Kneipe nach Hause ging. Er sagte, dass <strong>der</strong> Schlamm<br />

ihm egal sei, er wolle nur noch einen Schnaps. Wir haben gelacht. Am Samstag traf ich<br />

in Devecser auf Jugendliche, die die Werkzeuge aus ihren Heimen gerettet hatten. Einer<br />

<strong>der</strong> Jugendlichen hat erzählt, dass all die Werkzeuge seines Vaters hier wären <strong>und</strong><br />

wenn er <strong>den</strong> Verlust sehen würde, würde ihn das sehr belasten. Ein an<strong>der</strong>er Vater<br />

torkelte mit Tränen in <strong>den</strong> Augen auf die Straße. Er sagte, dass MitarbeiterInnen <strong>für</strong> ihn<br />

<strong>und</strong> seine Familie zum Neuanfang gesammelt hätten, er aber nie jemals auf Hilfe<br />

angewiesen war. Ich sollte im sagen, was jetzt passieren würde. Später traf ich auf<br />

einen Nachbarn. Sein Vater sagte ihm, dass er sein Haus als erster rot angestrichen <strong>und</strong><br />

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VI. Die Rotschlammkatastrophe von Devecser aus Sicht <strong>der</strong> Notfallseelsorge<br />

das dem Peppi gefallen hatte. Jetzt sollte er sehen, dass die MAL (Ungarische<br />

Aluminium AG) alle Häuser rot angestrichen hat.<br />

Eine alte Dame, <strong>der</strong>en Haus vom Rotschlamm verschont geblieben war, hat erzählt,<br />

dass es ihr gut täte, dass so viele Menschen ihr helfen. Dann brach sie in Tränen aus<br />

<strong>und</strong> erzählte, dass sie, als im Frühling in Nord-Ungarn ein Hochwasser gewütet hatte,<br />

lediglich zwei SMS (zur Übermittlung von Spen<strong>den</strong>) verschickt hatte. Sie hat zwar eine<br />

geringe Rente, aber sie hätte vielleicht drei SMS schicken können. Wird Gott ihr das<br />

vergeben?<br />

Ich traf auch auf eine Dame, die ständig mit allen stritt <strong>und</strong> Gehstützen benützte, um in<br />

jede Hilfszentrale zu gehen <strong>und</strong> zu erzählen, dass niemand sich um sie kümmern würde.<br />

Ich habe eine Familie getroffen, die nach <strong>der</strong> Katastrophe an Ort <strong>und</strong> Stelle geblieben<br />

ist. Fre<strong>und</strong>Innen kamen vom an<strong>der</strong>en Ende des Landes zu ihnen, um zu helfen, weshalb<br />

sie dachten, dass sie nicht aufgeben durften. Eine an<strong>der</strong>e Familie, die ebenfalls auf dem<br />

betroffenen Gebiet gelebt hatte, hat erzählt, dass sie bereits husteten <strong>und</strong> sich nicht<br />

trauten, hier zu bleiben.<br />

Als ich Samstagabend nach Hause kam, war ich sehr müde. Die Leute in meinem Dorf<br />

sagten mir, dass ich nicht zurückgehen sollte <strong>und</strong> auch an<strong>der</strong>e helfen sollten, <strong>den</strong>n dies<br />

könnte meine Ges<strong>und</strong>heit gefähr<strong>den</strong>. Ich sagte ihnen: „Wer hilft, wenn ich nicht helfe?“<br />

Sonntag nach <strong>den</strong> Messen fuhr ich zurück. Ich war wie<strong>der</strong> auf <strong>den</strong> Straßen unterwegs,<br />

Leute haben noch immer Sachen gepackt o<strong>der</strong> auf Gips <strong>und</strong> Container gewartet. Je<br />

später es wurde, desto weniger wur<strong>den</strong> wir. Ein Auto mit 500 Lebensmittelrationen traf<br />

ein. Die Selbstverwaltung hatte dies bestellt. Wir konnten das Essen aber niemandem<br />

geben, <strong>den</strong>n es waren nicht mehr so viele Freiwillige anwesend. Keine<br />

Hilfsorganisation wollte die Güter annehmen, sie wur<strong>den</strong> oft vehement zurückgewiesen.<br />

In <strong>der</strong> Zwischenzeit schaute ich mich in <strong>der</strong> Küche <strong>der</strong> Stadt um. Fünf Personen haben<br />

gearbeitet <strong>und</strong> sogar auf dem Schulhof wurde gekocht. Es gab keine Koordination, man<br />

hat sich nicht überlegt, wo<strong>für</strong> Gel<strong>der</strong> ausgegeben wer<strong>den</strong>.<br />

Abends wurde in <strong>der</strong> Pfarre diskutiert, wem die Küche überlassen wer<strong>den</strong> sollte <strong>und</strong><br />

wer die HelferInnen auf lange Sicht gesehen sind, da die Freiwilligen sich langsam auf<br />

<strong>den</strong> Nachhauseweg begeben haben. Unter <strong>den</strong> Einheimischen ist deshalb Panik<br />

ausgebrochen, weil sie in ihrer Not alleingelassen wur<strong>den</strong>. Der Bach hatte sich wie<strong>der</strong><br />

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VI. Die Rotschlammkatastrophe von Devecser aus Sicht <strong>der</strong> Notfallseelsorge<br />

rot verfärbt, weil <strong>der</strong> Inhalt eines neuen Auffangbehälters hineingelassen wurde, auch<br />

ich war sehr erschrocken.<br />

Am Montag gab es in Graz eine Pressekonferenz. Ich hatte Angst davor, was ich sagen<br />

sollte, bzw. ob meine nicht ausreichen<strong>den</strong> Sprachkenntnisse die Chancen <strong>der</strong><br />

Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> verschlechtern wür<strong>den</strong>. Ein Mitarbeiter des Konsulates hat mich beruhigt<br />

<strong>und</strong> gesagt, dass es kein Problem sei, wenn ich müde wäre o<strong>der</strong> etwas nicht gleich<br />

vermitteln könnte, sie seien da <strong>und</strong> wür<strong>den</strong> helfen. Das hat mir viel bedeutet <strong>und</strong> ich<br />

habe verstan<strong>den</strong>, dass ich genau das mache. Ich bin anwesend <strong>und</strong> helfe dort, wo es<br />

notwendig ist.<br />

Am darauffolgen<strong>den</strong> Dienstag war ich wie<strong>der</strong> in Devecser. Ich ging von Haus zu Haus,<br />

diesmal wollte ich aber nicht dort anfangen, wo die Flut die Häuser überschwemmt<br />

hatte, son<strong>der</strong>n weiter oben. Ich habe bei einer Frau geklingelt, die bei <strong>der</strong> Post arbeitet.<br />

Sie erzählte mir, dass sie am Arbeitsplatz die materiellen Güter sichergestellt hatten, als<br />

<strong>der</strong> Schlamm kam, <strong>den</strong>n sie waren da<strong>für</strong> verantwortlich. Erst später hatten sie gemerkt,<br />

dass auch sie in Gefahr waren. Sie brauchten keine finanzielle Unterstützung, aber<br />

auch sie trugen das Schlamm nach Hause <strong>und</strong> auch bei ihnen zu Hause war alles rot.<br />

Bei einer an<strong>der</strong>en Familie war das Problem, dass sie nicht entschei<strong>den</strong> konnten, ob sie<br />

gehen o<strong>der</strong> bleiben sollten. Sie hatten zwei Häuser nebeneinan<strong>der</strong>, jetzt haben sie nichts<br />

mehr.<br />

Ab <strong>der</strong> ersten Woche sind Spen<strong>der</strong>Innen eingetroffen, die das Geschehen auch<br />

fotografieren wollten. Der Pfarrer hat mich gebeten, <strong>den</strong> Deutschsprachigen das Gebiet<br />

zu zeigen <strong>und</strong> das Geschehene zu erläutern. Ich fühlte mich wie ein Katastrophen-<br />

Führer. Diese Aufgabe musste ich ab <strong>den</strong> ersten Tagen übernehmen. Anfangs ist mir<br />

das gar nicht aufgefallen, aber allmählich hatte ich eine „gewohnte Route“. Aufgr<strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Bekanntheit hatte ich keine Probleme, mit <strong>den</strong> Gruppen die mit Maschinengewehren<br />

postierten Polizeiposten zu passieren – einem Priester öffnet man alle Schranken. Außer<br />

<strong>den</strong> Gruppen haben mich viele Personen, die an <strong>der</strong> Logistikarbeit beteiligt waren,<br />

gebeten, sie an Ort <strong>und</strong> Stelle zu bringen, weil sie nicht nach Hause gehen wollten, ohne<br />

die konkreten Folgen <strong>der</strong> Katastrophe gesehen zu haben. Auch an diesem Tag traf ich<br />

auf Freiwillige, auf Frauen mittleren Alters, die <strong>der</strong> Meinung waren, dass die Hilfe hier<br />

ein spannendes Abenteuer sein kann. Sie hatten einige Kilogramm Kartoffeln bei sich,<br />

jedoch ohne Kochutensilien. So baten sie uns um einige Gasflaschen, Töpfe <strong>und</strong><br />

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VI. Die Rotschlammkatastrophe von Devecser aus Sicht <strong>der</strong> Notfallseelsorge<br />

Gewürze, weil sie <strong>für</strong> 15 Personen kochen wollten. Viele Freiwillige wollten sie nach<br />

Hause schicken, aber wir haben <strong>für</strong> sie trotzdem eine Aufgabe gef<strong>und</strong>en.<br />

Es kamen auch ständig Kin<strong>der</strong> aus katholischen Schulen. PädagogInnen waren <strong>der</strong><br />

Meinung, dass man Kin<strong>der</strong> durch dieses Erlebnis zur Solidarität <strong>und</strong> Hilfe erziehen<br />

könnte. Sie haben auch Geld gebracht <strong>und</strong> wollten Fotos machen. Wir haben aber sehr<br />

viele wichtige Dinge erledigen müssen. Selbstverständlich wollten wir die mehrere<br />

h<strong>und</strong>ert Kilometern angereisten Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Erwachsenen nicht nach Hause schicken,<br />

aber wir konnten die Situation nur mühsam meistern.<br />

An diesem Tag wur<strong>den</strong> auch die EinwohnerInnen von Kolontár nach Hause geschickt,<br />

die Selbstverwaltung hat Hilfsgüter an sie verteilt, <strong>den</strong>n man wollte keine Probleme im<br />

Dorf haben. Sie dachten – <strong>und</strong> das ist auch jetzt noch Praxis –, dass alle Betroffenen<br />

Hilfsgüter bekommen sollten, beson<strong>der</strong>s Ware, die schnell verdirbt. Die Verteilung<br />

wurde von Ortsansässigen koordiniert, weil sie die EinwohnerInnen am besten kannten<br />

<strong>und</strong> sie keine Fremdorganisation benötigten.<br />

Am Mittwoch sagten mir Freiwillige, dass auch die Wirte/innen desperat waren <strong>und</strong> ich<br />

mich auch um sie kümmern sollte. Der Besitzer einer Kneipe sagte mir, dass er keine<br />

K<strong>und</strong>schaft hatte, das Geschäft nicht liefe <strong>und</strong> er Bankrott gehen würde. Er sagte, dass<br />

auch an<strong>der</strong>e Geschäfte aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Straßensperre <strong>und</strong> <strong>der</strong> Spen<strong>den</strong> mit dem Ruin<br />

kämpfen wür<strong>den</strong>. In einer an<strong>der</strong>en Kneipe traf ich auf ein bekanntes Gesicht. Ich war<br />

bereits im Haus <strong>der</strong> Frau – <strong>der</strong> Schlamm hatte es auch beschädigt. Sie erzählte, dass sie<br />

sich an einem Tag sage, dass alles in Ordnung sei, dann aber verliere sie wie<strong>der</strong> alle<br />

Hoffnungen.<br />

Danach ging ich wie<strong>der</strong> auf die Straße, wo eine Frau mich gebeten hatte, hinzugehen.<br />

Sie führte mich herum <strong>und</strong> an <strong>der</strong> Wand konnte ich <strong>den</strong> Händeabdruck ihres Kindes<br />

sehen. Der kleine Bub rettete sich nach draußen <strong>und</strong> stützte sich mit <strong>der</strong> Hand an <strong>der</strong><br />

Wand ab, während er <strong>den</strong> H<strong>und</strong> in <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Hand hielt. Das Gesprächsthema war<br />

die Verletzung des H<strong>und</strong>es, <strong>den</strong> ÄrztInnen bemüht waren, zu retten. Darüber, was ihr<br />

Sohn miterlebt hatte, sprach sie kaum – sie lobte <strong>den</strong> Buben, dass er schlau genug<br />

gewesen war <strong>und</strong> es geschafft hatte. Dann ging er Wasser holen, um sich <strong>und</strong> <strong>den</strong> H<strong>und</strong><br />

abzuwaschen. Das war das Glück des Kindes <strong>und</strong> deshalb hatte es keine bleiben<strong>den</strong><br />

Schä<strong>den</strong> davongetragen. Dann hat die Frau sich gefragt, was <strong>für</strong> eine Mutter sie sei,<br />

<strong>den</strong>n sie war am Arbeitsplatz, als all das passierte. Sie habe erst am Abend eine<br />

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VI. Die Rotschlammkatastrophe von Devecser aus Sicht <strong>der</strong> Notfallseelsorge<br />

Nachricht über das Geschehene erhalten. Dann sprach sie wie<strong>der</strong> von dem H<strong>und</strong>, weil<br />

sie deshalb in <strong>den</strong> Nachrichten gezeigt wurde.<br />

Auf <strong>der</strong> Straße traf ich auf einen Mann, <strong>der</strong> Maschinen gewaschen hatte. Ich fragte ihn,<br />

was er brauchen würde. Er bat mich um eine Zigarette <strong>und</strong> fing an, zu diskutieren. Er<br />

erzählte, dass er alle Maschinen gehabt hätte, die er <strong>für</strong> das Haus benötigt hätte, <strong>und</strong><br />

jetzt kann er alles, was er seit seiner Kindheit gesammelt hat, wegwerfen. Er erzählte<br />

auch, dass er sehr früh verwaist war <strong>und</strong> deshalb alles alleine schaffen musste. Dann<br />

kam seine Frau <strong>und</strong> erzählte, dass sie, als die Lawine kam <strong>und</strong> alles weggeschwemmt<br />

hat, bemüht waren, sich festzuhalten. Die Flut hat die Nachbarstochter mitgerissen <strong>und</strong><br />

sie war am Ertrinken, schrie aber, dass jemand <strong>den</strong> Damm sperren sollte. Sie dachte,<br />

<strong>der</strong> Bach würde das Wasser des nahe gelegenen Teiches mitführen. Das wäre besser<br />

gewesen, <strong>den</strong>n dann wäre <strong>der</strong> Rotschlamm nicht geblieben.<br />

Gut ausgebildete ÄrztInnen sollen laut Fachliteratur hohen Stress überdurchschnittlich<br />

gut ertragen können. Meiner Erfahrung nach waren aber auch sie dankbar <strong>für</strong><br />

Gespräche mit Seelsorgern, gemeinsame Gebete <strong>und</strong> Segen.<br />

Am Donnerstag hatte ich das Gefühl, nicht mehr weitermachen zu können. Die<br />

Spannung in <strong>der</strong> Pfarre stieg immer mehr an. Die Caritas <strong>und</strong> <strong>der</strong> Pfarrer bekriegten<br />

sich <strong>und</strong> ich wollte keiner Partei <strong>den</strong> Rücken zukehren. Ich kam, um zu helfen, gehörte<br />

aber zu niemandem. Ich fühlte, dass ich gekommen war, um meine Arbeit zu tun. Ich<br />

war oft in <strong>der</strong> Pfarre <strong>und</strong> sprach mit Freiwilligen, die sich ebenfalls darum stritten, wer<br />

was beaufsichtigen sollte. Es waren richtige Machtkämpfe. Überall war die Spannung<br />

deutlich spürbar. Auch im Büro brach <strong>der</strong> Streit aus. Dabei wurde deutlich, dass<br />

Freiwillige in dieser Atmosphäre nicht länger arbeiten konnten. Die Caritas begann<br />

ihre Sachen zu packen <strong>und</strong> auch ich sagte, dass ich die nächsten Tage nicht kommen<br />

würde. Ich war müde <strong>und</strong> ging deshalb ohne Schutzausrüstung auf die Straße, ohne auf<br />

mich selbst zu achten. Bei einem Haus wollte man <strong>der</strong> Kirche ein Marienbild schenken,<br />

ich habe es nicht einmal registriert. Bei einem an<strong>der</strong>en Haus, wo es eine Gärtnerei gab,<br />

zeigte mir <strong>der</strong> Eigentümer, wie seine Pflanzen verkümmert waren. Ich fühlte, dass mich<br />

das Gesehene überlastete <strong>und</strong> ich nicht länger auf <strong>den</strong> Beinen bleiben konnte, ich ertrug<br />

diese Belastung innerlich nicht mehr.<br />

Seit damals bin ich immer wie<strong>der</strong> in <strong>den</strong> betroffenen Gemein<strong>den</strong>, <strong>den</strong>n meistens suchen<br />

mich österreichische Spen<strong>den</strong>organisationen auf. Wir waren bemüht zu helfen, aber<br />

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VI. Die Rotschlammkatastrophe von Devecser aus Sicht <strong>der</strong> Notfallseelsorge<br />

solch eine Hilfe ist schwierig, weil man nicht weiß, wer was genau braucht. Gebe ich<br />

Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> nicht das, was sie brauchen <strong>und</strong> was ihrem Leben hilft, setzt ich sie<br />

weiterem Stress aus.<br />

Die schnelle, zielgerichtete Zustellung <strong>der</strong> Hilfsgüter war mühsam. Es gab viele<br />

Versuche, aber diese waren jeweils nur temporäre Lösungen. Es gab Organisationen,<br />

wo man sich aus <strong>den</strong> Spen<strong>den</strong> das Nötigste aussuchen konnte. An<strong>der</strong>e haben alles<br />

Gespendete zusammengelegt, in die betroffenen Gemein<strong>den</strong> geliefert <strong>und</strong> dort konnte<br />

man wählen. Es ist auch vorgekommen, dass aufgeschrieben wurde, was notwendig war<br />

<strong>und</strong> geliefert wurde erst danach. Es gab auch Versuche, über das Internet Spen<strong>den</strong> ans<br />

Ziel zu bringen. Eine wirklich gute Lösung haben wir nicht gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> bei uns<br />

gedacht, es ist <strong>den</strong>noch unorganisiert. Oft gelangten Hilfen nicht dorthin, wo sie<br />

benötigt wur<strong>den</strong>, <strong>und</strong> Menschen bekamen nicht das, was sie im Moment wirklich<br />

notewendig brauchten. Die Tatsache, dass die Katastrophe sich in einer sozial ohnehin<br />

benachteiligten Region ereignete, hat die Hilfe erschwert. Die ansässige Bevölkerung<br />

ist noch tiefer gerutscht <strong>und</strong> kann nicht einmal mehr Hilfe annehmen.<br />

Die Folgen <strong>der</strong> Rotschlammkatastrophe – Verlust o<strong>der</strong> Möglichkeit?<br />

Die Auswirkungen <strong>der</strong> Rotschlammkatastrophe ziehen sich bereits seit mehreren<br />

Monaten hin <strong>und</strong> belasten die Bevölkerung enorm. Eine Schar an Personen, die ihre<br />

Häuser verloren haben, lebt in Mietwohnungen, während lokale Selbstverwaltungen,<br />

Staatsorgane <strong>und</strong> Hilfsorganisationen sich Gedanken machen, was getan wer<strong>den</strong> müsste<br />

<strong>und</strong> wie geholfen wer<strong>den</strong> könnte. Spen<strong>den</strong> kamen <strong>und</strong> kommen noch immer – <strong>und</strong> man<br />

muss ehrlich sein: Die ganze Welt hat sich aufgetan, jede/r wollte spen<strong>den</strong>. Was ist aber<br />

in so einer Situation wirklich notwendig?<br />

Der Staat hat <strong>den</strong> Wie<strong>der</strong>aufbau <strong>der</strong> Häuser auf sich genommen, also kann/soll man<br />

hierbei nicht helfen. Informationen, die besagen, dass Notlei<strong>den</strong>de diesen staatlichen<br />

Spen<strong>den</strong>beitrag zurückzahlen müssen, falls sie aus an<strong>der</strong>en Quellen Gel<strong>der</strong> zum Neubau<br />

<strong>der</strong> Häuser bekommen, sind aber störend. Privatpersonen, Betriebe o<strong>der</strong><br />

Hilfsorganisationen haben Gel<strong>der</strong> in einen nationalen Scha<strong>den</strong>fond überweisen können.<br />

Der Staat hat diese Lösung be<strong>für</strong>wortet. Dieser neue, nach <strong>der</strong> Katastrophe ausgedachte<br />

Fonds bietet vielen Spen<strong>der</strong>Innen keine richtig klare Lösung, <strong>den</strong>n das Schicksal <strong>der</strong><br />

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VI. Die Rotschlammkatastrophe von Devecser aus Sicht <strong>der</strong> Notfallseelsorge<br />

eingetroffenen Gel<strong>der</strong> ist nicht nachvollziehbar. Auf lange Sicht gesehen können<br />

Hilfsorganisationen bei einer weiteren Katastrophe einen Teil <strong>der</strong> Spen<strong>der</strong>Innen<br />

verlieren, <strong>den</strong>n die Gel<strong>der</strong> wur<strong>den</strong> nicht geschickt, damit sie in einem nationalen<br />

Scha<strong>den</strong>fonds lan<strong>den</strong>.<br />

Entsprechend <strong>der</strong> bisherigen Praxis haben Hilfsorganisationen ihre Arbeit begonnen,<br />

Gel<strong>der</strong> <strong>und</strong> Naturalien wur<strong>den</strong> zuerst gesammelt <strong>und</strong> dann verteilt. Diesmal sind aber<br />

weniger Spen<strong>den</strong> eingegangen. Deshalb wurde <strong>der</strong> Kreis <strong>der</strong> als notlei<strong>den</strong>d erachteten<br />

Personen ausgeweitet. So wurde zum Beispiel in Kolontár <strong>für</strong> alle EinwohnerInnen<br />

gekocht. Diejenigen aber, <strong>der</strong>en Haus <strong>und</strong> Küche intakt geblieben sind, wollten nicht<br />

gratis essen <strong>und</strong> hätten sich sogar noch geschämt, wenn sie sich zu <strong>den</strong> Personen hätten<br />

gesellen müssen, die regelmäßig von Spen<strong>den</strong> leben. Die Hilfsorganisationen waren<br />

bemüht, diese interne Schwierigkeit zu lösen, indem sie neben <strong>der</strong> zentralen<br />

„Gulaschkanone“ zahlreiche Kisten an Obst <strong>und</strong> Gemüse zur Verfügung stellten, an<br />

<strong>den</strong>en sich das ganze Dorf bedienen konnte. Später wur<strong>den</strong> Hilfspakete ein o<strong>der</strong><br />

mehrere Male am Tag ausgeliefert, auch an EinwohnerInnen, <strong>der</strong>en Häuser nicht<br />

beschädigt waren. Sie haben mehrmals pro Woche Lebensmittel bekommen, <strong>den</strong>n, wie<br />

die Einheimischen gesagt haben, „es würde sowieso nur verfaulen“. Die Frage, wer<br />

notlei<strong>den</strong>d ist <strong>und</strong> wer in welchem Maße unterstützt wer<strong>den</strong> sollte, wurde ständig<br />

gestellt.<br />

Es gab auch Personen, die nicht immer zu Hause waren. Damit Spen<strong>den</strong> auch in so<br />

einem Fall <strong>den</strong> richtigen Platz fan<strong>den</strong> – <strong>und</strong> diese Personen nicht benachteiligt wur<strong>den</strong>,<br />

weil sie arbeiteten –, wur<strong>den</strong> diese Güter in Kisten gepackt <strong>und</strong> an die Zäune gehängt.<br />

Die verschie<strong>den</strong>en Hilfsorganisationen haben erst einen Monat nach <strong>der</strong> Katastrophe<br />

begonnen, miteinan<strong>der</strong> zu kooperieren, aber die Kommunikation war selbst dann nicht<br />

allen Organisationen wichtig. Es gibt noch drei Monate nach <strong>der</strong> Katastrophe<br />

Organisationen, die nicht gewillt sind, mit an<strong>der</strong>en Organen vor Ort zu kooperieren. So<br />

kann es passieren, dass Notlei<strong>den</strong>de von mehreren Organisationen das Gleiche<br />

bekommen. Es kommt aber auch vor, dass manche sich um Güter anstellen, die gar<br />

nicht dort wohnen. Aus dieser Situation ist also gut ersichtlich, dass <strong>für</strong> bestimmte<br />

Personen selbst „alles Geld auf Er<strong>den</strong>“ nicht genug ist <strong>und</strong> man aus dem Elend An<strong>der</strong>er<br />

einen Nutzen ziehen möchte, an<strong>der</strong>e wie<strong>der</strong>um nehmen nicht einmal, was ihnen zusteht.<br />

Einmal, als wir Güter umgela<strong>den</strong> haben, haben Personen vor Ort zu schreien<br />

287


VI. Die Rotschlammkatastrophe von Devecser aus Sicht <strong>der</strong> Notfallseelsorge<br />

angefangen, dass wir ihnen sofort von <strong>den</strong> Gütern geben sollten, weil wir ohnehin alles<br />

auf <strong>den</strong> Müll werfen wür<strong>den</strong>. Wir haben gefragt, wo sie wohnen <strong>und</strong> sie sagten, sie<br />

wür<strong>den</strong> in Devecser leben. Wir haben dann gefragt, ob ihre Hauser beschädigt wären.<br />

Sie sagten nein, aber wir sollten ihnen trotzdem von dem „Zeugs“ geben.<br />

Es kamen auch BewohnerInnen an<strong>der</strong>er Dörfer an die Verteilerstellen, in <strong>der</strong> Hoffnung<br />

ein „Stück vom Kuchen“ zu bekommen. Aber selbst unter <strong>den</strong> Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> gab es<br />

Wucherer, die die Spen<strong>den</strong> als Chance erachtet haben <strong>und</strong> jetzt größere Häuser,<br />

wertvollere Gegenstände <strong>und</strong> generell mehr besitzen wollten als jemals vorher. In so<br />

einer gespannten Lage ist es schwierig, Notlei<strong>den</strong>de auf unethisches Verhalten<br />

aufmerksam zu machen. Ich traf aber auch auf Notlei<strong>den</strong>de, die tatsächlich Hilfe<br />

benötigt hätten, sich aber geschämt haben, auf die Hilfe an<strong>der</strong>er angewiesen zu sein.<br />

Die Frage <strong>der</strong> Klei<strong>der</strong>spen<strong>den</strong> bedarf beson<strong>der</strong>er Aufmerksamkeit. Hilfsorganisationen<br />

haben die Bevölkerung bereits in <strong>der</strong> ersten Woche gebeten, keine Kleidungsstücke<br />

mehr zu schicken, weil es keine Lagerkapazitäten mehr gab. Dessen ungeachtet sind<br />

Lieferungen eingetroffen. Die Klei<strong>der</strong>stücke zeigten aber ein gemischtes Bild: es gab<br />

schöne, neue Markenklei<strong>der</strong>, aber auch alte, kaputte, stinkende Stücke. Es gab<br />

Personen, die neue Sachen gekauft <strong>und</strong> diese geschenkt haben, an<strong>der</strong>e wie<strong>der</strong>um haben<br />

„ausgemistet“ <strong>und</strong> unnütze Dinge „großzügig“ weitergegeben. Der Extremfall war, dass<br />

jemand seinen Wäschekorb „ausgemistet“ hat. So musste die Person nicht waschen <strong>und</strong><br />

konnte sich als GönnerIn positionieren.<br />

Zusammengefasst war es eher typisch, dass Spen<strong>den</strong> sortiert wer<strong>den</strong> mussten <strong>und</strong> dies<br />

bedurfte extra Arbeitskräfte. Diese waren entwe<strong>der</strong> Freiwillige o<strong>der</strong> wur<strong>den</strong> aus<br />

Gel<strong>der</strong>n an<strong>der</strong>er Spen<strong>der</strong>Innen bezahlt. Die Spen<strong>den</strong> waren aber alles in allem natürlich<br />

nützlich. Sie waren vonnöten, obwohl Hilfsorganisationen nach <strong>den</strong> ersten Erfahrungen<br />

diese Aktionen gar nicht ankündigen wollten. Auch die Spen<strong>der</strong>Innen sind<br />

unterschiedlich. Es gibt solche, die sich überlegen, was nützlich wäre, an<strong>der</strong>e –<br />

manchmal auch Firmen – wollen ihren Überfluss an<strong>der</strong>en aufnötigen. Hier war <strong>der</strong><br />

Extremfall, dass alle Familien, die hingegangen sind, eine Barbie-Puppe mit einem<br />

Arm, eine leuchtende Schnalle sowie einen gelben Frosch aus Keramik, bekommen<br />

haben <strong>und</strong> sich <strong>für</strong> diesen Krempel auch bedanken mussten.<br />

Meistens kamen aber nützliche Spen<strong>den</strong> an, obwohl diese auch nicht immer sinnvoll<br />

verteilt wer<strong>den</strong> konnten. Keine Familie kann 30 kg Kartoffeln pro Woche essen <strong>und</strong><br />

288


VI. Die Rotschlammkatastrophe von Devecser aus Sicht <strong>der</strong> Notfallseelsorge<br />

Einheimische haben gesagt, dass sie genug Reinigungsmittel <strong>für</strong> ein Leben lang<br />

bekommen hatten, aber keiner hat ihnen Waschmittel gegeben. Die Betroffenen haben<br />

zahlreiche Fragen gestellt: worum können sie bitten, worüber können sie sprechen,<br />

welche Spende ist noch ethisch, ist es ein Problem, wenn sie Spen<strong>den</strong> bekommen, <strong>den</strong><br />

Überfluss verkaufen <strong>und</strong> das Geld <strong>für</strong> an<strong>der</strong>e Zwecke verwen<strong>den</strong>? Es gab Personen,<br />

<strong>der</strong>en Hilfspakete Dinge beinhalteten, die sie nicht benötigt haben, so wollten sie nur<br />

das, was sie benötigen, annehmen. Ihnen wurde aber gesagt, dass sie entwe<strong>der</strong> alles<br />

nehmen müssten, o<strong>der</strong> nichts bekommen wür<strong>den</strong>. Daher gab es Dinge die ihnen<br />

weiterhin fehlten, während an<strong>der</strong>e Dinge, sich in ihren Wohnungen stapelten.<br />

Neben Einzelpersonen fragten Spen<strong>der</strong>Innen auch Selbstverwaltungen nach <strong>den</strong><br />

benötigten Dingen. Da <strong>der</strong> Staat alles versprochen hatte, hatten die Einwohner des<br />

Katastrophengebiets Probleme, <strong>den</strong>n sie wussten nicht, worum sie Privatpersonen,<br />

Firmen o<strong>der</strong> sonstige Spen<strong>der</strong>Innen bitten sollten. Deshalb dachten sie oft daran,<br />

Spen<strong>den</strong>gel<strong>der</strong> <strong>für</strong> Investitionen aufzuwen<strong>den</strong>, <strong>für</strong> die es in <strong>der</strong> Vergangenheit keine<br />

Gel<strong>der</strong> gab. So zum Beispiel <strong>für</strong> Sporthallen <strong>und</strong> Schwimmbä<strong>der</strong>, viele Einrichtungen,<br />

die es früher in <strong>den</strong> Gemein<strong>den</strong> nicht gab, aber von <strong>den</strong>en die Selbstverwaltung glaubte,<br />

dass sie in <strong>der</strong> Zukunft das Leben lebhafter machen könnten. Behör<strong>den</strong> vor Ort dachten<br />

aber nicht daran, dass diese Einrichtungen nicht nur gebaut, son<strong>der</strong>n in Zukunft auch<br />

betrieben wer<strong>den</strong> mussten. Solche Pläne erzürnen einen beson<strong>der</strong>s dann, wenn man<br />

tagtäglich damit konfrontiert wird, dass we<strong>der</strong> Leben noch Häuser vieler Menschen in<br />

Ordnung sind. Die Pläne <strong>der</strong> Verwaltungen bewegen sich in völlig an<strong>der</strong>en<br />

Dimensionen. Dazu kommt noch die Frustration <strong>der</strong> Spen<strong>der</strong>Innen, die angesichts<br />

solcher monumentaler Pläne die Situation nur schwerer verstehen können, da sie ihre<br />

Gel<strong>der</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> Wie<strong>der</strong>aufbau <strong>und</strong> nicht <strong>für</strong> neue Entwicklungen gegeben haben.<br />

Viele können selbst in einem ges<strong>und</strong>en Seelenzustand kaum über Lebensfragen<br />

entschei<strong>den</strong>. Diese Menschen sind aber zusätzlich stark traumatisiert <strong>und</strong> können sich<br />

deshalb nicht richtig entschei<strong>den</strong>. Alles, was in ihrem früheren Leben stabil war, wurde<br />

von <strong>der</strong> Lawine weggeschwemmt. Zurzeit muss man diesen Personen daher beistehen<br />

<strong>und</strong> sie unterstützen. Wer steht ihnen aber bei, wenn die Seelsorge in keines <strong>der</strong> Profile<br />

<strong>der</strong> Hilfsorganisationen passt? Der Betrieb <strong>der</strong> Hilfsorganisationen ist nicht von<br />

Professionalität gekennzeichnet, sie haben kaum hauptangestellte MitarbeiterInnen <strong>und</strong><br />

heuern oft Freiwillige unterschiedlicher fachlicher <strong>und</strong> moralischer Ebenen bzw.<br />

289


VI. Die Rotschlammkatastrophe von Devecser aus Sicht <strong>der</strong> Notfallseelsorge<br />

Kompetenzen an. Die konkrete Aufgabe <strong>der</strong> Seelsorge behandelt keine Organisation,<br />

PsychologInnen wer<strong>den</strong> selten o<strong>der</strong> oft ad hoc engagiert. Mit ihnen wird versucht,<br />

Menschen vor Ort zu helfen. Bei solchen Lösungen zeigt sich aber deutlich, dass die<br />

sich ständig än<strong>der</strong>n<strong>den</strong> HelferInnen die Beteiligten noch labiler machen.<br />

Die Präsenz <strong>der</strong> Medien wirkt sich auch wi<strong>der</strong>sprüchlich in <strong>den</strong> katastrophengeplagten<br />

Gemeinschaften aus. ReporterInnen <strong>und</strong> JournalistInnen zeigen Teile des Ganzen, die<br />

subjektiv in <strong>den</strong> Medien aufscheinen. Deshalb haben solche Nachrichten mehrere<br />

Interpretationsebenen. Medien helfen <strong>den</strong> Katastrophenopfern nicht <strong>und</strong> die Last <strong>der</strong><br />

subjektiven Entscheidung bleibt bestehen: was kann ich tun <strong>und</strong> was nicht? Schweige<br />

ich o<strong>der</strong> soll ich meine Sorgen aussprechen? Was passiert, wenn Medien dies in einem<br />

negativen Licht erscheinen lassen <strong>und</strong> ich deshalb keine Hilfe bekomme? All diese<br />

Fragen müssen beantwortet wer<strong>den</strong> <strong>und</strong> ohne Hilfe <strong>und</strong> externe Unterstützung können<br />

diese Spannungsquellen bestehende Traumata noch verstärken. Ergo spielt die<br />

Seelsorge eine tragende Rolle bei <strong>der</strong> Lösung solcher Situationen.<br />

Mehr als ein Jahr ist nach <strong>der</strong> Schlammkatastrophe verstrichen. Einige Monate nach<br />

dem Unfall mit dem Schlamm wurde ich nach Devecser als Pfarrer versetzt. In <strong>der</strong><br />

Großwoche des Jahres 2011. hat mich Seine Hoheit Erzbischof <strong>der</strong>. Gyula Márfi rufen<br />

lassen <strong>und</strong> mir mitgeteilt, dass ich binnen zwei Wochen nach Devecser umsiedeln muss.<br />

Dies ist nicht die in so einem Fall übliche Methode, auch die Übergabe-Übernahme ist<br />

nicht üblich erfolgt, <strong>den</strong>n <strong>der</strong> Pfarrer, <strong>der</strong> mir alles übergeben sollte, hat kaum etwas<br />

vorbereitet.<br />

Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Schlammkatastrophe verzeichnete die Buchhaltung <strong>der</strong> Pfarre ein<br />

Mehrfaches <strong>der</strong> üblichen Geldbeträge. Aufgr<strong>und</strong> dieser riesigen Summen, welche die<br />

Pfarre übernommen hat – die Gaben waren materieller <strong>und</strong> finanzieller Natur – haben<br />

mehrere Organisationen begonnen dem Weg, die Dokumentierung, die Art <strong>und</strong> Weise<br />

<strong>der</strong> Verteilung <strong>der</strong> Spen<strong>den</strong>, sowie die Nutzung <strong>der</strong> Geldsummen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Transparenz<br />

<strong>der</strong> Prozesse nachzugehen.<br />

Der Betrieb einer Pfarre ist auf <strong>den</strong> „Normalbetrieb“ ausgerichtet, eine Korrektheit wird<br />

von allen Beteiligten ab ovo angenommen, daher – obwohl diese Untersuchungen<br />

wichtig waren – haben we<strong>der</strong> <strong>der</strong> Diözesanamt, noch die Polizei konkrete Fragen <strong>und</strong><br />

Antworten formuliert, es wurde lediglich erforscht, ob Dinge generell dem Reglement<br />

entsprechend gehandhabt wur<strong>den</strong>. Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Tatsache, dass Untersuchungen<br />

290


VI. Die Rotschlammkatastrophe von Devecser aus Sicht <strong>der</strong> Notfallseelsorge<br />

durchgeführt wur<strong>den</strong>, konnte <strong>der</strong> Diözesanamt we<strong>der</strong> die Bilanz 2010, noch das Budget<br />

2011 akzeptieren – nebenbei sei bemerkt, dass dies bis dato nicht erfolgt ist.<br />

Die Übergabe einer Pfarre erfolgt auch dann, wenn nichts am Platz ist, so wurde ich<br />

zum Pfarrer ab dem Sonntag nach <strong>der</strong> Übergabe <strong>und</strong> die Lösung <strong>der</strong> Aufgaben nahm<br />

ihren Lauf.<br />

Da mir keine Angestellten an <strong>der</strong> Pfarre zur Verfügung stan<strong>den</strong>, musste ich alle<br />

Angaben erforschen <strong>und</strong> eruieren. Da auch die Pfarre Scha<strong>den</strong>sansprüche hatte – <strong>den</strong>n<br />

die Schlammflut beschädigte auch Gebäude im Eigentum <strong>der</strong> Pfarre, bzw. haben die<br />

vielen Tausend Helfer im Laufe <strong>der</strong> Rettungsarbeiten vieles unabsichtlich beschädigt,<br />

<strong>den</strong>n verpflegt wurde in <strong>der</strong> Pfarre, bzw. ein Teil <strong>der</strong> Obdachlosen haben hier gelebt –<br />

musste dieser Scha<strong>den</strong>sanspruch mit <strong>den</strong> entsprechen<strong>den</strong> Dokumenten belegt erstellt<br />

wer<strong>den</strong>. Eine Hilfe von außen habe ich kaum erhalten, ich konnte mich lediglich auf<br />

meine Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> frühere Gemeinde verlassen.<br />

Die Anfangsschwierigkeiten – <strong>der</strong> Ersatz von Gebäu<strong>den</strong> <strong>und</strong> materiellen Gütern –<br />

wur<strong>den</strong> allmählich behoben, aber die Ereignisse, die sich in <strong>den</strong> Seelen <strong>der</strong> Menschen<br />

abgespielt hatten, wur<strong>den</strong> nicht geklärt.<br />

Hilfsorganisationen veranstalteten Konzerte <strong>und</strong> Programme, <strong>der</strong> hiesigen Bevölkerung<br />

wur<strong>den</strong> Ausflüge <strong>und</strong> Reisen zuteil. Diese Programme wur<strong>den</strong> aber nicht bewusst, unter<br />

Berücksichtigung <strong>der</strong> seelischen Genesung, veranstalten, son<strong>der</strong>n eher mit einem ad hoc<br />

Charakter, je nachdem, ob Ausschreibungen, o<strong>der</strong> freies Personal zur Verfügung<br />

stan<strong>den</strong>.<br />

Seitens mehrerer Organisationen kam eine externe Hilfe zur Unterstützung <strong>der</strong><br />

traumatisierten Personen, <strong>und</strong> diese waren oft wertvoll, auch wenn sie voneinan<strong>der</strong><br />

unabhängig <strong>und</strong> parallel fungierten. Das Erscheinen von Fachkompetenzen auf<br />

unterschiedlichem Niveau verursachte aber die größeren Probleme. Es kamen <strong>und</strong><br />

kommen Psychologen, Clown-Doktoren, Heiler (Lichttherapeuten, Masseure, Leute die<br />

mit <strong>der</strong> Handauflegung heilen), wodurch die heimische Bevölkerung sich wenig an <strong>den</strong><br />

Programmen beteiligt hatte.<br />

Eine weitere negative Erscheinung ist, dass jemand mit einer großartigen Idee kommt<br />

<strong>und</strong> helfen möchte, aber in vielen Fällen bedienen Ortsansässige diese Gruppen. Die<br />

hiesige Bevölkerung wurde aber auch damit konfrontiert, dass viele nur Impulse <strong>und</strong><br />

Geschichten bei solchen Programmen sammeln möchten <strong>und</strong> dann gehen sie. Helfer<br />

291


VI. Die Rotschlammkatastrophe von Devecser aus Sicht <strong>der</strong> Notfallseelsorge<br />

waren auch dadurch charakterisiert, dass sie kampagnenhaft erschienen sind <strong>und</strong> keine<br />

<strong>der</strong> Gruppen auf Kontinuität geachtet hat.<br />

Betrachtet man das Medienecho erachten die bei <strong>der</strong> Katastrophe erschienenen<br />

Hilfsorganisationen ihr Handeln als erfolgreich. Die Leiter <strong>der</strong> haben von Staat<br />

Anerkennungen <strong>für</strong> ihre außergewöhnlichen Verdienste erhalten. Seitens <strong>der</strong> Kirche hat<br />

die Bischofskonferenz ihre Aktivitäten als lobenswert anerkannt.<br />

Dem Beteiligten an dem Geschehen zeichnet sich jedoch ein an<strong>der</strong>es Bild ab. Der<br />

Mangel an Professionalität war in Verbindung mit <strong>der</strong> Arbeit vieler Organisationen<br />

spürbar. Die Konzeptlosigkeit <strong>und</strong> die Rivalität <strong>der</strong> Hilfsorganisationen untereinan<strong>der</strong><br />

hat die Öffentlichkeit erreicht. Das wahre Problem ist aber, dass Beteiligte auch<br />

weiterhin keine echten Lösungen <strong>für</strong> diese Erscheinungen suchen. Die beinahe einzige<br />

Aktivität <strong>der</strong> Hilfsorganisationen beschränkte sich in dem Ersatz <strong>der</strong> materiellen Güter.<br />

Kirchengruppen fühlten es als nicht ihre Aufgabe <strong>den</strong> Notlei<strong>den</strong><strong>den</strong> mentale, seelische<br />

Unterstützung zu geben. Obwohl die Aktivität <strong>der</strong> Kirchenorganisationen teilweise als<br />

Kirchenaktivität erscheint, ist es unverständlich, dass auch sie – ähnlich wie die<br />

Staatsorgane – bei ihrer Arbeit sich nicht auf <strong>den</strong> gesamten Menschen konzentrieren,<br />

bzw. Organisationen üben in diesem Bereich keine Selbstkritik.<br />

Als Pfarrer von Gemein<strong>den</strong> muss unbedingt das Phänomen <strong>der</strong> Spaltung unter <strong>den</strong><br />

Leuten angesprochen wer<strong>den</strong>. Diese Spaltung entstand entlang <strong>der</strong> Linie „wer ist<br />

betroffen <strong>und</strong> wer nicht, wem wurde o<strong>der</strong> wird was gegeben“. Die Zerspaltung, das<br />

Zeigen mit dem Finger aufeinan<strong>der</strong> <strong>und</strong> das Erlebnis <strong>der</strong> unverarbeiteten Katastrophe<br />

führten nur selten zu Konflikten, die örtliche Bevölkerung hat aber sehr wohl viele<br />

unausgesprochene o<strong>der</strong> ausgesprochene neue Stereotypen <strong>den</strong> an<strong>der</strong>en gegenüber<br />

gesammelt. Einsame, isolierte, depressive Menschen verbringen ihre Alltage ziellos,<br />

gelangweilt <strong>und</strong> verbittert. Ein Großteil <strong>der</strong> Bevölkerung ist von Apathie <strong>und</strong> völliger<br />

Passivität gekennzeichnet <strong>und</strong> wartet darauf, dass ihre Probleme jemand von außen her<br />

löst. 606<br />

Die Schlammkatastrophe ist kein Thema mehr in <strong>den</strong> Medien. Es gibt lediglich einige<br />

Berichte über Gerichtsverfahren gegen die Verursacher, bzw., dass etwas von <strong>den</strong><br />

Spen<strong>den</strong> erbaut wurde, aber Menschen wer<strong>den</strong> seit langem nicht angesprochen.<br />

606 Vgl. HAUPT-SCHERER / SCHERE, Einen Schritt voran folgen Psychotraumatologische Gr<strong>und</strong>lagen<br />

<strong>und</strong> konzeptionelle Überlegungen zu einer traumazentrierten Seelsorge, 561–571.<br />

292


VI. Die Rotschlammkatastrophe von Devecser aus Sicht <strong>der</strong> Notfallseelsorge<br />

In Verbindung mit dem Geschehen hat sich keine Organisation bewusst Gedanken<br />

gemacht, was getan wer<strong>den</strong> kann <strong>und</strong> wie man mit einem Konzeptwandel sich auf die<br />

mentale Hilfeleistung vorbereiten kann. Obwohl die ungarische katholische Caritas ein<br />

Zweitagestraining initiiert um Freiwillige anzuheuern, es gab aber keine Meldungen <strong>und</strong><br />

so wurde auch keine Fachgruppe gebildet. Die an<strong>der</strong>en Hilfsorganisationen haben auch<br />

seit dem nicht begonnen solch eine Gruppe zu gestalten <strong>und</strong> diese Spezialisierung<br />

wurde auch in <strong>den</strong> Diözesen nicht vorgenommen. Das Traurigste war aber, dass keine<br />

Organisationen einen Plan <strong>für</strong> solche o<strong>der</strong> ähnliche Notfälle erstellt hatten. We<strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />

staatliche, noch in <strong>der</strong> privaten Hand hat es einen Wechsel gegeben.<br />

Bedauerlicher Weise hat es <strong>den</strong> Anschein, dass beinahe an<strong>der</strong>thalb Jahre Erfahrungen<br />

aus <strong>der</strong> Schlammkatastrophe, <strong>den</strong> Hochwässern o<strong>der</strong> sonstigen Katastrophen (vgl.<br />

Kapitel 5.) die Beteiligten noch immer nicht veranlassen sich diesem Problem zu stellen<br />

<strong>und</strong> die mentale Not <strong>der</strong> Lei<strong>den</strong><strong>den</strong> auf professionelle Art <strong>und</strong> Weise zu lin<strong>der</strong>n.<br />

293


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Zur Zitation:<br />

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Die in <strong>den</strong> Fußnoten zitierten Texte aus dem Internet liegen dem Autor als Ausdruck<br />

vom jeweils angegebenen Datum vor.<br />

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