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Fußball: Nach den Türkenbelagerungen kämpfen Österreich und die Türkei <strong>um</strong><br />
WM-Ticket<br />
<strong>Die</strong> <strong>dritte</strong> "Schlacht" <strong>um</strong> <strong>Wien</strong><br />
Von Alexander Strecha<br />
1529 und 1683 belagerten die Türken <strong>Wien</strong>, in beiden Fällen, so schreibt's die<br />
Geschichte, konnten sie abgewehrt werden. Am Samstag stehen die Türken<br />
abermals vor den Toren <strong>Wien</strong>s, diesmal in einer anderen, weil spielerischen<br />
Weise. Österreichs Fußballteam kämpft mit den türkischen Zunft-Kollegen <strong>um</strong><br />
das WM-Ticket für die Endrunde in Japan 2002.<br />
Wenn man schon die Historie zur Hand nimmt, darf man freilich nicht vergessen, dass es<br />
beim Fußball immer noch <strong>um</strong> ein Spiel geht. Der Siegespreis ist ein Ticket für die WM-<br />
Endrunde, es gibt weder Gefangene noch Ansprüche auf Ländereien. Dennoch birgt<br />
dieses Duell Österreich gegen Türkei aufgrund der Geschichte einige Brisanz. Ein kleiner<br />
Rückblick.<br />
1351 über die Dardanellen<br />
Seit dem 13. Jahrhundert stießen die Türken unaufhaltsam nach Westen vor. Zunächst<br />
überschwemmten sie Kleinasien, 1351 übersetzten sie die Dardanellen, eroberten in der<br />
Folgezeit große Teile des byzantinischen Reiches und den Balkan.1396 besiegten sie auf<br />
dem Amselfeld die von inneren Streitigkeiten zerrütteten Serben, 1453 eroberten sie<br />
Konstantinopel, 1521 Belgrad. Fünf Jahre später vernichteten sie bei Mohacs das<br />
ungarische Aufgebot. Der bei Tokaj besiegte König Szapolyai versicherte den Türken<br />
Hilfe. 1529 standen sie erstmals vor den Toren <strong>Wien</strong>s.<br />
Erste Türkenbelagerung<br />
Im Spätsommer 1529 rückten Sultan Süleyman II. und Großwesir Ibrahim mit rund<br />
150.000 Mann gegen <strong>Wien</strong> vor. Der Stadt <strong>Wien</strong>, die von Graf Niklas Salm verteidigt<br />
wurde, standen nur 8.000 Knechte und 1.700 gepanzerte Reiter zur Verfügung.<br />
Erzherzog Ferdinand hielt sich während der Belagerungszeit in Innsbruck auf. Nach den<br />
ersten Gefechten in Schwechat und Simmering zogen sich die kaiserlichen Truppen in die<br />
Stadt zurück. Der Kriegsrat beschloss am 20. September die Zerstörung der Vorstädte.<br />
Viele <strong>Wien</strong>er flüchteten. <strong>Wien</strong>s Besatzung wuchs mit der Unterstützung aus den<br />
Erbländern (auch aus Spanien) auf rund 17.000 Mann. Sultan Süleyman schlug seine<br />
Zelte beim Neugebäude auf. Am 27. September brannten türkische Schiffe die<br />
Donaubrücke nieder. Ihr Angriffsziel war vor allem der Kärntner Turm (Kärntnertor).<br />
Außerdem konzentrierten sie sich auf die Beschießung der Stadt und auf die Sprengung<br />
von Minen aus vorgetriebenen unterirdischen Stollen. Doch mit mäßigem Erfolg. Am 9.,<br />
12. und 14. Oktober scheiterten Sturmangriffe der Türken, daraufhin begann der Abzug<br />
des Heeres. Der erste Angriff war überstanden. In weiterer Folge wurde die veraltete<br />
Ringmauer <strong>Wien</strong>s ab 1531 durch eine moderne Stadtbefestigung ersetzt. Das linke und<br />
rechte <strong>Wien</strong>ufer wurde z<strong>um</strong> "Glacis", z<strong>um</strong> Festungsvorfeld erklärt, welches der künftigen<br />
Verteidigung ein freies Schussfeld ermöglichte.<br />
Ein Frieden zwischendurch<br />
1556 führte der damals 72jährige Sultan Süleyman noch persönlich einen Feldzug gegen<br />
das habsburgische Westungarn. <strong>Die</strong> Türken, die das Ziel hatten, das Reich im Zentr<strong>um</strong><br />
zu treffen, wurden aber in Sziget aufgehalten. <strong>Die</strong> Osmanen zogen sich zurück,<br />
Süleyman starb. Sein Sohn und Nachfolger, Selim II., schloss bald darauf mit <strong>Wien</strong><br />
Frieden.<br />
Der neuerliche Friede von 1664 zwischen Leopold I. und den Türken galt für 20 Jahre.<br />
Spätestens 1682 wurde klar, dass die Türken eine Verlängerung ablehnen würden,<br />
weshalb der Kaiser Bündnisse mit Bayern und Sachsen schloss. Auch ein Kontingent des<br />
Heiligen Römischen Reiches wurde zugesichert. Mit der Führung der türkischen Armee
wurde Großwesir Kara Mustafa betraut.<br />
200.000 Mann<br />
Er erhielt Unterstützung durch die ungarische Opposition unter Imre Thököly. Im März<br />
1683 brach das Heer, rund 200.000 Mann, von Adrianopel in Richtung <strong>Wien</strong> über<br />
Belgrad, Ossijek, Stuhlweißenburg und Györ auf.<br />
Zweite Türkenbelagerung<br />
Am 7. Juli flüchtete der kaiserliche Hof aus <strong>Wien</strong>, zwei Tage später setzte Leopold I. ein<br />
Deputiertenkollegi<strong>um</strong> als oberste Instanz in <strong>Wien</strong> ein. Mitglieder waren unter anderen<br />
Ernst Rüdiger von Starhemberg als Militärkommandant, Graf Mollard als<br />
niederösterreichischer Landmarschall und Hermann von Hüttendorf als<br />
niederösterreichischer Regierungskanzler. Am 13. Juli erreichten die Türken Schwechat,<br />
Starhemberg gab den befehl z<strong>um</strong> Niederbrennen der Vorstädte. Am nächsten Tag schon<br />
schlossen die Türken <strong>Wien</strong> abermals ein. Kara Mustafa errichtete sein Zelt auf der<br />
Schmelz. Am 15. begann die Beschießung der Stadt, rä<strong>um</strong>ten die kaiserlichen Truppen<br />
die Donauinsel, brachen die Donaubrücke ab und zogen sich auf das linke Stromufer<br />
zurück.<br />
Minenkrieg<br />
Am 17. Juli begannen die Türken mit der Belagerung der oberen Stadt von<br />
Klosterneuburg und starteten danach den Minenkrieg. Hauptangriffsziel war der Abschnitt<br />
zwischen der Burgbastei und der Löwelbastei. Mitte August setzten sich die Angreifer<br />
mittels zweier Minensprengungen im Graben fest. In <strong>Wien</strong> brach eine Ruhrepidemie aus.<br />
In Razzien wurden alle wehrfähigen Männer rekrutiert. Nach nochmaligen<br />
Minensprengungen ließ Starhemberg die Gassen nächst der Löwelbastei<br />
verbarrikadieren.<br />
Das Entsatzheer<br />
Ende August schlug Karl von Lothringen bei Bisamberg Feldherr Thököly. <strong>Die</strong> Bayern<br />
erreichten Krems, die Polen unter König Jan Sobieski Hollabrunn, die Sachsen Maissau.<br />
Sammelpunkt aller Entsatztruppen war das Tullner Feld. Von dort aus rückte das Heer<br />
auf die <strong>Wien</strong>erwaldhöhen vor. Der linke Flügel zog über Klosterneuburg nach Nussdorf,<br />
das Zentr<strong>um</strong> gelangte auf das Kahlengebirge, die Polen am rechten Flügel auf den<br />
Tulbinger Kogel. Am 12. September fand die Schlacht am Kahlenberg statt. <strong>Die</strong> Front zog<br />
sich von Nussdorf bis Neuwaldegg in der Form eines Halbkreises. Das Herre rückte vor,<br />
die Türken zogen sich zurück.<br />
Mit dem Sieg in <strong>Wien</strong> wurde die Befreiung Ungarns von der türkischen Herrschaft<br />
eingeleitet (Friede von Karlowitz 1699). In <strong>Wien</strong> führte der Wegfall der türkischen<br />
Bedrohung zu einer gewaltigen Bautätigkeit, insbesondere in den Vorstädten.<br />
Der Wendepunkt<br />
<strong>Die</strong> Niederlage 1683 kann als der Wendepunkt der Ausbreitung des Osmanischen Reiches<br />
angesehen werden. <strong>Die</strong> Türken stießen somit an ihre Grenzen, das Reich wurde langsam<br />
kleiner.<br />
Feinde wurden Verbündete<br />
In den folgenden Jahrhunderten wurden aus den einstigen Feinden Verbündete. 1878<br />
marschierten K&K-Truppen in die türkische Provinz Bosnien-Herzegowina ein. Sogar mit<br />
dem Einverständnis des Sultans. 1908 erfolgte die formelle Einnahme. Und im Ersten<br />
Weltkrieg warf das Osmanische Reich Verbünderter der Mittelmächte. Unter Kaiser<br />
Franz-Josef war der Islam offiziell als Religion anerkannt. <strong>Die</strong> Türken selbst waren stets<br />
tolerante Eroberer. Gefangene durften ihren Glauben behalten.
"Dritte Belagerung"<br />
Zurück z<strong>um</strong> Sport, z<strong>um</strong> Spiel. Vergleiche mit den ersten zwei Belagerungen sind nur<br />
relativer Natur. Dennoch wird es am Samstag im <strong>Wien</strong>er Ernst Happel-Stadion eine<br />
Türken-Belagerung geben. Offiziell erhielten türkische Fans nur 8.000 der aufgelegten<br />
48.000 Karten. Doch die rund 45.000 in <strong>Wien</strong> lebenden Türken bzw. Eingebürgerten<br />
machen mobil und werden ihre Mannschaft rund <strong>um</strong> den Star Hakan Sükür anfeuern.<br />
Man darf davon ausgehen, dass sich die Fanlager in gleiche Hälften aufteilen.<br />
Quelle: <strong>Wien</strong>er Zeitung<br />
http://www.wienerzeitung.at/frameless/suche.htm?ID=139524<br />
Erschienen am: 08.11.2001