Europas blutige Taufe
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<strong>Europas</strong> <strong>blutige</strong> <strong>Taufe</strong><br />
Karl der Große - ein Lebenspanorama in zwei Teilen. Erste Folge: Der Kriegsherr<br />
von Klaus Schulte-van Pol<br />
Die Münze ist schon da, auch die Sondermarke, eine dicke Biografie soeben erschienen,<br />
und der Ausstellungsreigen hat bereits im vergangenen Jahr begonnen. Kaiser Karl, Karl<br />
der Große, wird uns 2000 begleiten wie Goethe 1999, und dabei ist es bis zum<br />
eigentlichen Jubiläum noch ein bisschen hin: Am Weihnachtstag 800, vor 1200 Jahren<br />
also, war es, da Papst Leo III. den Frankenkönig in Rom zum Imperator Romanorum,<br />
zum Caesar der Römer, zum Kaiser, krönte und damit das neue Römische Reich<br />
begründete.<br />
Militärisch war dieses "europäische" Reich ein Riese, zivilisatorisch und kulturell im<br />
Vergleich zu seinen byzantinischen Nachbarn in Süditalien und den arabischen in Spanien<br />
ein Zwerg. Technik, Wissenschaft und Schriftkultur des alten römischen Imperiums<br />
waren selbst im Süden fast vergessen, im germanischen Norden und Osten hatte es sie<br />
nie gegeben, auch keine urbane Kultur, die sich in traurigen Resten nur noch in Italien<br />
und dem alten Gallien erhalten hatte. Selbst Rom, einmal Millionenstadt und glänzende<br />
Kapitale der westlichen Welt, war nur noch wenig mehr als ein Haufen heroischer Ruinen,<br />
in denen kaum 50 000 Menschen hausten. Für den Niedergang der rheinischen Städte<br />
hatten Karls Vorfahren selbst gesorgt, als sie im 4. Jahrhundert aus ihren<br />
rechtsrheinischen Stammesgebieten über den Fluss in die römischen Provinzen<br />
Niedergermanien und Belgica vordrangen, und mit dem Verfall des Netzes fester Heer-<br />
und Handelsstraßen war auch der Fernhandel fast zusammengebrochen.<br />
Karl wurde zum großen Erneuer, Charlemagne, Carlomagno ... ja, zum König<br />
schlechthin: Tschechen und Polen leiten ihre Wörter für "König" (král, król) aus seinem<br />
Namen ab, und spätere deutsche Kaiser rechtfertigten mit ihm ihren Anspruch auf<br />
Italien. Napoleon nannte ihn "notre prédécesseur", und noch vor einem halben<br />
Jahrhundert beflügelte er die Träume Adenauers, de Gasperis und Schumans vom neuen<br />
"christlichen Abendland".<br />
Im Kampf der germanischen Völker um den Nachlass des weströmischen Imperiums<br />
erschienen die Franken erst reichlich spät auf der Bühne. Dennoch blieben sie schließlich<br />
als Universalerben übrig. Den Schlüssel zum Erfolg hatte schon Chlodwig gefunden, der<br />
Gründer des Frankenreichs und erste König aus dem Haus der Merowinger. Um 500 trat<br />
er mit seinen Kriegern zum römischen Christentum über. Zwischen Somme und Loire<br />
wurden einheimische Galloromanen und fränkische Eroberer damit Brüder im "rechten"<br />
Glauben der Papstkirche. Andere germanische Reichsgründer waren zwar schon früher<br />
ins Taufbecken gestiegen, aber in das "falsche", das des Arius, dessen Christus nicht<br />
"wesensgleich" mit dem Vatergott war, sondern nur sein "Geschöpf". Ihre Staaten gingen<br />
unter, weil die neuen Herren den Unterworfenen als Fremde und als arianische Ketzer<br />
gleichermaßen verhasst waren.<br />
Lange hallten germanische Zauberformeln in den Gebeten der Franken noch nach, aber<br />
250 Jahre nach Chlodwig verknüpfte Karls Vater Pippin ihr Schicksal endgültig mit dem
des Heiligen Stuhls. Als Hausmeier des Königs war Pippin der wahre Machthaber im<br />
Frankenreich. Am Ende verlor Childerich III., der letzte Merowinger, auch noch das alte<br />
äußere Zeichen fränkischer Könige: seine schulterlangen Locken. Mit dem Segen des<br />
Papstes Zacharias ließ Pippin ihn 771 scheren und schickte ihn dahin, wo seine neue<br />
Frisur passte: in ein Kloster. Er selbst ließ sich zunächst nach fränkischer Tradition zum<br />
König wählen und die Wahl dann, gegen die Tradition, gleich zweimal kirchlich<br />
bestätigen. Erst salbte ihn Bonifatius, der "Apostel der Deutschen", dann, in St. Denis,<br />
Papst Stephan II., Zacharias' Nachfolger. Einmal im Schwung, salbte der Neue Pippins<br />
Söhne gleich mit. Der kleine Karl und sein jüngeres Brüderchen Karlmann waren nun<br />
patricii Romanorum, Schutzherren der Römer, das heißt des Heiligen Stuhls - und an<br />
dem sägten die Langobarden, ein Germanenstamm, der die ehemals byzantinischen<br />
Gebiete vor Rom besetzt hatte. In Zukunft, versprach Pippin, sollten diese Länder der<br />
Kirche gehören - Kern des späteren Kirchenstaats -, dafür "verbot" Stephan den Franken,<br />
jemals andere als Pippins Nachkommen zu Königen zu wählen. Der Bund zwischen der<br />
neuen Dynastie und dem Stuhl Petri war besiegelt. Zweimal schlug Pippin in den<br />
folgenden Jahren die Langobarden, endgültig besiegen konnte er sie nicht.<br />
Über Karls frühe Jahre schweigen die Quellen. Weil sein Biograf Einhard angibt, dass der<br />
Kaiser 72 Jahre alt war, als er 814 starb, galt bis vor kurzem 742 als sein Geburtsjahr.<br />
Neueste Forschungen aber kommen zu dem Schluss, dass er erst 748 geboren wurde,<br />
wahrscheinlich in Düren. Sein Handwerk als zukünftiger fränkischer Heerkönig lernt er<br />
auf den Kriegszügen seines Vaters südlich der Loire, im ständig rebellischen Aquitanien.<br />
Aus dem kleinen Gesalbten von St. Denis ist da schon ein veritabler Riese geworden, fast<br />
zwei Meter groß, gewandt als Reiter und im Umgang mit Speer und Schwert.<br />
Der Tod des Bruders sorgt rasch für Gerüchte<br />
Pippin stirbt 768. Beide Söhne erben nach fränkischem Recht gleiche Reichsteile, über<br />
das immer noch unruhige Aquitanien sollen Karl und Karlmann nach dem Willen des<br />
Vaters gemeinsam herrschen. Als dort kurz nach Pippins Tod wieder rebelliert wird, lässt<br />
Karlmann den Bruder auf dem Schlachtfeld im Stich. Der siegt dennoch. Geliebt haben<br />
sich die Brüder nie, jetzt sind sie Feinde.<br />
Von Krieg versteht Karl schon viel, von Politik noch nichts. Auf Drängen seiner Mutter<br />
heiratet er die Tochter des Langobardenkönigs Desiderius. Das soll Ruhe stiften, bewirkt<br />
aber das Gegenteil. Denn jetzt schäumt der Papst vor Wut, weil "euer ruhmvolles<br />
Frankenvolk ... mit einem Abkömmling des treulosen und stinkenden Langobardenvolks<br />
besudelt werden soll". Und auch Karlmann schäumt, weil er sich von der neuen Sippe<br />
bedroht fühlt. Zuletzt erfasst selbst Karl der Grimm - als er die Braut sieht. Häßlich war<br />
sie, heißt es, und Karl liebt schöne Frauen wie Himiltrud, die "Friedelfrau", die bereits<br />
seinen ersten Sohn geboren hat, und wie Hildegard, das alemannische Kind, das er jetzt<br />
begehrt. Nur Langobardenkönig Desiderius freut sich. Er glaubt, von seinem<br />
Schwiegersohn sei nun nichts Böses mehr zu erwarten, und denkt nicht daran, die<br />
Gebiete zu räumen, die er nach den Niederlagen gegen Pippin dem Papst überlassen<br />
sollte. Für Karl ist das Grund genug, seine ungeliebte Langobardin dem Vater in Schimpf<br />
und Schande zurückzuschicken.<br />
Unerwartet stirbt Karlmann 771. Sofort gibt es böse Gerüchte. Schon Chlodwig hatte sich<br />
durch fantasievolle Meuchelmorde zum Alleinherrscher gemacht, und auch seine<br />
Nachfolger erledigten Erbfragen mit Gift und Dolch. Einen Beweis für brüderliche
Sterbehilfe gibt es nicht, aber während Karlmanns Adel auf dem Krongut Corbeny an der<br />
Aisne noch über die Regentschaft für die unmündigen Söhne des Toten streitet, erscheint<br />
Karl mit seinen Reitern und präsentiert sich als König aller Franken. Karlmanns Witwe<br />
flieht mit ihren Kindern zu den Langobarden. Einhard berichtet lapidar, sie sei nach<br />
Italien "gereist, was der König ohne Aufregung hinnahm, wenn es ihm auch recht<br />
überflüssig erschien".<br />
Karl hat die Langobarden tödlich beleidigt, Witwe und Erben des Bruders aus dem Land<br />
gejagt, und die eben 14-jährige Hildegard erwartet ein Königskind. Der Schwertadel<br />
murrt. Damit er sich beruhigt, braucht er Arbeit, und die will Karl ihm im Nordosten<br />
verschaffen, bei den Sachsen. Zum kommenden Frühjahr ruft er den Adel nach Worms.<br />
Dem Heerbann des Königs müssen seine Vasallen mit allen ihren Männern folgen.<br />
Weltliche und geistliche Grundherren stellen eine nach der Größe ihres Besitzes<br />
berechnete Zahl von Kriegern, ausgerüstet mit Waffen, Verpflegung und allem Gerät für<br />
den Marsch zum Sammelpunkt und drei weitere Monate. Mehrere freie Kleinbauern<br />
stellen einen Mann. Kern des Heeres, das der König von Worms lahnaufwärts gegen die<br />
Sachsen führt, sind die schweren Reiter der Scara francisca. Gegen Pfeile sind sie durch<br />
Kettenhemden geschützt, für die übrigens ein strenges Exportverbot gilt. Auch mit Sattel<br />
und Steigbügel müssen die Franken geritten sein. Sie sind für den Nahkampf bewaffnet,<br />
der vom bloßen Pferderücken nicht zu führen ist.<br />
Die Sachsen haben ihren Attacken wenig entgegenzusetzen. Auf dem Weg zur Weser<br />
zerstört Karl das "Götzenbild" der Irminsul und nimmt Geiseln. Weihnachten ist er wieder<br />
auf einem Krongut im Maasland. Solche Sachsenzüge hatte schon sein Vater Pippin<br />
geführt. Doch Karl ahnt nicht, dass er eben zwischen Niederrhein und Elbe, Holstein und<br />
Siegerland einen richtigen Krieg entfesselt hat, der erst nach 33 Jahren und 17 weiteren<br />
<strong>blutige</strong>n Heerfahrten beendet sein wird.<br />
Noch im Winter 772/73 erreicht ihn ein Brief aus Rom, in dem der Papst "für den Dienst<br />
Gottes und die Rechte des heiligen Petrus" um Hilfe gegen die Langobarden bittet. Karl<br />
hat wenig Lust, dem Pontifex den ersehnten Kirchenstaat zu erobern, aber als er von<br />
eigenen Boten hört, dass Desiderius den Papst drängt, Karlmanns ältesten Sohn zum<br />
König der Franken zu salben, ändert sich die Sache. Im Frühjahr erkämpft er den<br />
Übergang über die Alpen. Während sein Heer Pavia belagert, bestätigt er in Rom die<br />
"Pippinische Schenkung", dennoch wird es vorerst nichts mit dem Kirchenstaat. Als Pavia<br />
fällt, verordnet Karl Klosterhaft für Karlmanns Witwe, ihre Söhne und König Desiderius.<br />
Dessen "Eiserne Krone" nimmt er selber und zieht als König der Franken und<br />
Langobarden zurück nach Norden, wo die Sachsen in die Grenzgebiete eingefallen sind.<br />
Karl ändert seine Strategie. In befestigte Plätze legt er ständige Besatzungen, die von<br />
den umliegenden Bauern versorgt und mit Vorräten für die nachfolgenden Truppen<br />
beschickt werden müssen. Mit den Soldaten ziehen immer mehr Missionare ein, auch<br />
Sachsen, aber sanfte, aus England. Vor allem beim Adel haben sie Erfolg. Dessen<br />
heidnisch-germanische Logik ist simpel. Die Diener des Christengotts erkämpfen Siege,<br />
also muss dessen "Heil" stärker sein als das von Wotan, Donar und Saxnot. Viele lassen<br />
sich taufen. Dennoch schlagen andere sofort wieder los, als Karl im nächsten Jahr an die<br />
Adria marschiert, um einen Aufstand der Langobarden zu ersticken. Jetzt, schreibt<br />
Einhard, ist er entschlossen, "den Kampf gegen das treulose und bundesbrüchige
Sachsenvolk nicht eher aufzugeben, als bis es besiegt dem Christenglauben unterworfen<br />
oder aufgerieben war".<br />
Karl will christianisieren, einmal, weil er wirklich fromm ist, zum anderen, weil er Sachsen<br />
nur durch den Klerus beherrschen kann. Schon sein Großvater Karl Martell, der gar nicht<br />
fromm war, hatte Bonifatius unterstützt, weil durch dessen Kirchenverwaltung die<br />
rechtsrheinischen Reichsteile erst regierbar gemacht worden waren.<br />
Der dritte Sachsenzug ist so erfolgreich, dass Karl 777 den Reichstag nach Paderborn<br />
einberuft. Den scheinbar Besiegten bietet er mitten im Herzen ihres Landes ein Spektakel<br />
von Pracht und Herrlichkeit. Sie bestaunen das Gefolge der Grafen und Bischöfe von allen<br />
Enden des Reichs, die glänzende Phalanx der Kriegsprofis von der Scara francisca, den<br />
hünenhaften König, der statt seiner schlichten fränkischen Reitertracht jetzt einen<br />
golddurchwirkten blauen Mantel und ein Diadem trägt. Spektakulärer Höhepunkt der<br />
Schau ist der Auftritt von Männern in Pluderhosen, wallenden Umhängen und seidenen<br />
Turbanen. Sie bitten um Hilfe gegen den Emir Abd ar-Rahman, der im Norden Spaniens<br />
sein Volk unterdrücke und auch die Christen gnadenlos verfolge. Der König sagt zu.<br />
Viele sächsische Edle schwören ihm auf dem Reichstag Treue. Massentaufen gibt es<br />
auch; Karl glaubt, seine Arbeit sei getan, aber er irrt. Die Sachsen leben in germanischen<br />
Sippenverbänden, die nur im Kriegsfall einen Herzog auf Zeit wählen. Es gibt keinen<br />
König, dessen Eid Untertanen binden könnte. Ein Sachse schwört nur für sich selbst, und<br />
der "Edeling" Widukind hat weder für sich noch für andere geschworen. Der<br />
Frankenherrscher ist kaum nach Spanien abgezogen, da plündert er mit einem<br />
Bauernheer das rechte Rheinufer vor Köln und liefert den Besatzern seiner Heimat einen<br />
erbarmungslosen Guerillakrieg.<br />
Karls Unternehmen jenseits der Pyrenäen scheitert. Der Ebro kann nicht überquert,<br />
Saragossa nicht genommen werden. Auch die angeblich verfolgten Christen wenden sich<br />
erbittert gegen ihn, den Barbaren aus dem Norden. Als "Ungläubige" müssen sie zwar<br />
Steuern zahlen, aber beten dürfen sie, zu wem sie wollen. Nicht "Sarazenen" vernichten<br />
die Nachhut der abziehenden Franken im Tal von Roncevalles, wie das Rolandslied<br />
behauptet, sondern christliche Basken.<br />
Nach diesem Debakel setzt Karl alle Kraft darein, den sächsischen Aufstand<br />
niederzuschlagen, wenig später muss er in der Lombardei unter korrupten fränkischen<br />
Grafen Ordnung schaffen. Der Papst bekommt nur eine kleine Anzahlung auf seinen<br />
Kirchenstaat, dankbar ist er dennoch: Die schöne Hildegard, die den König begleitet, wird<br />
rechtmäßig Karls Ehefrau.<br />
Die aufständischen Sachsen werden deportiert<br />
782, eben zurück von einem zweiten Reichstag im scheinbar befriedeten Sachsenland,<br />
erreicht den König in Lothringen die Nachricht, dass die Sachsen ein Heer, das er gegen<br />
die Sorben östlich der Elbe schickte, schon an der Weser vernichtet haben. Seine Antwort<br />
ist grausam. 4500 Sachsen habe der König bei Verden an der Aller enthaupten lassen,<br />
berichtet Einhard. Und wenn diese Zahl auch sicher übertrieben ist, so gehört Karl doch<br />
ganz gewiss zu jenen "Söhnen der Kirche", für deren Untaten "im Dienste der Wahrheit"<br />
Johannes Paul II. soeben um Vergebung bat. Wohl im selben Jahr wird die capitulatio de<br />
partibus Saxoniae erlassen, ein drakonischer Strafkatalog, der unter anderem dekretiert:
"Wer ... vom Stamme der Sachsen ... freiwillig Heide bleibt, der soll des Todes sterben."<br />
Dennoch muss Karl noch zwei große Schlachten schlagen, bevor Widukind, krank von der<br />
gnadenlosen Hetzjagd, 785 aufgibt und sich in Attigny bei Reims taufen lässt. Karl selbst<br />
gibt den Taufpaten.<br />
Drei Jahre später muss sich Bayernherzog Tassilo unterwerfen. Karl droht mit drei<br />
Heeren, sein römischer Alliierter mit dem Kirchenbann. Das letzte Stammesherzogtum<br />
auf deutschem Boden verschwindet im Frankenreich und Tassilo - wo sonst? - im Kloster.<br />
Dann zieht Karl gegen die slawischen Stämme an der Ostgrenze und führt den ersten<br />
Zug gegen die Awaren in Niederösterreich. Doch kaum hat er 793 für das folgende Jahr<br />
ein Konzil nach Frankfurt am Main einberufen, da vernichtet eine neue Generation<br />
sächsischer und friesischer Rebellen wieder ein Frankenheer an der Weser. Gnadenlos<br />
verfügt der König jetzt die Verheerung ganzer Landstriche und die Zwangsumsiedlung<br />
von Sachsen und Franken in die Stammesgebiete der jeweils anderen. 797/98<br />
überwintert er mit Luitgard, der vierten Frau, und seinem Hof im Heerlager bei Höxter.<br />
Auf den Rat des englischen Mönchs Alkuin, seines "Kulturministers", mildert er die<br />
"Blutgesetze" ab. Alte Rechtsbräuche der Sachsen bleiben gültig, ihre Herzöge werden<br />
fränkische Grafen, das Land wird gleichberechtigter Reichsteil.<br />
Dennoch, als der Klerus nördlich der Elbe den Zehnten gnadenlos eintreibt, erheben sich<br />
dort die Bauern noch einmal. Der König, der nun Kaiser ist, deportiert die Aufständischen<br />
nach Franken. Ihr entvölkertes Land überlässt er einem slawischen Stamm, den<br />
Abodriten, die nun die Nordgrenze des Reichs gegen die Dänen sichern sollen. Erst jetzt,<br />
804, ist Sachsen endgültig "befriedet".<br />
Etwa seit 795 überwintert Karl fast nur noch in Aachen, manchmal bleibt er ein ganzes<br />
Jahr. Er ist müde. Seit er reiten lernte, hat er die Monate zwischen März und Oktober zu<br />
Pferde verbracht, auch in den kurzen Pausen zwischen den Kriegen immer unterwegs von<br />
einem Krongut zum anderen. Oft war seine Familie in holpernden Wagen dabei, auf<br />
Straßen, die nichts anderes waren als Karrenspuren. Die "kleinen" Kriege zur Eroberung<br />
und Sicherung der "Marken" vor den eigentlichen Reichsgrenzen überlässt er nun den<br />
Söhnen. Als aber die Dänen 810 mit einem großen Krieg drohen, führt er selbst wieder<br />
sein Heer nach Norden. Bevor es zum Kampf kommt, wird König Göttrik ermordet.<br />
Am 28. Januar 814 stirbt Karl in Aachen. Zwei seiner drei legitimen Söhne sind schon tot.<br />
Ludwig, der jüngste, erbt ein Reich, das fast alle christlichen Völker des<br />
westeuropäischen Festlands vereinigt, dazu die Oberherrschaft über die Slawenstämme<br />
zwischen Odermündung, mittlerer Donau und Istrien. Das kurzlebige Reich, das Karl<br />
zusammenzwang, zeigt schon die Umrisse jenes Europa, das heute auf dem Weg zur<br />
freiwilligen Vereinigung ist. Zu hoffen bleibt, dass die nüchterne Einsicht in das<br />
Notwendige die Völker stärker bindet als das Schwert des Imperators vor 1200 Jahren.<br />
Hinweis<br />
Hierzulande feiert vor allem Aachen mit zahlreichen Veranstaltungen und einer großen<br />
Ausstellung "seinen" Kaiser. Informationen: 0241/432 13 13 (s. Artikel zu diesem Thema<br />
aus der ZEIT 25/2000)<br />
In der ZEIT 14/2000 folgt der 2. Teil: Der Schüler und Lehrer
Quelle: http://www.zeit.de/2000/13/200013_karl_i.html<br />
© Die Zeit 13/2000