30.12.2012 Aufrufe

165 Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Leserinnen und Leser,

165 Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Leserinnen und Leser,

165 Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Leserinnen und Leser,

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Liebe</strong> <strong>Kolleginnen</strong> <strong>und</strong> <strong>Kollegen</strong>,<br />

<strong>liebe</strong> <strong><strong>Leser</strong>innen</strong> <strong>und</strong> <strong>Leser</strong>,<br />

Wettbewerbshandlungen im zeitlichen Zusammenhang mit dem Ende von<br />

Arbeitsverhältnissen sind ein Versuch, den Arbeitgeber als Dank für die<br />

bisherige (hoffentlich stets pünktliche <strong>und</strong> angemessene) Vergütungszahlung<br />

zu schädigen, zum Glück ohne Rückendeckung durch die Rechtslage. Wie<br />

sich so etwas im anwaltlichen Bereich entwickelt <strong>und</strong> wie man es wenigstens<br />

rechtlich eindämmen kann, ist im Fall Nr. 162 plastisch beschrieben.<br />

Neben dem besonderen Interesse, das Anwälte an diesem anwaltsspezifischen<br />

Sachverhalt <strong>und</strong> seiner rechtlichen Regelung haben dürften, erfreut<br />

auch die Wiedergabe eines Gr<strong>und</strong>satzes, dessen selbstverständlicher Charakter<br />

offensichtlich völlig verloren gegangen ist: „Wer seine Existenz durch<br />

abhängige Arbeit sichert, darf nicht gleichzeitig die wirtschaftlichen Möglichkeiten<br />

seines Arbeitgebers gefährden, Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen.“<br />

Mit diesem Gr<strong>und</strong>satz kollidiert auch das nachfolgend beschriebene Problem.<br />

Vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit – wohl kein Ereignis des Arbeitsverhältnisses<br />

löst so viel Ärgernis aus. Das liegt an dem durch vielfache journalistische<br />

Untersuchungen, eigene Beobachtungen im Wartezimmer, Berichte der<br />

Arbeitnehmermandanten <strong>und</strong> Eingeständnisse von Ärzten im vertraulichen<br />

Gespräch belegten Verdacht massenweisen Missbrauchs einer sozialen Institution.<br />

Das Ärgernis wird umso größer, wenn derjenige, der eine Leistung<br />

ohne Gegenleistung erhält, auch noch maßgeblich zu seiner Leistungsunfähigkeit<br />

beigetragen hat. Bekannt sind hier gefährliche Sportarten, viel häufiger<br />

noch aber ein sattsam als ges<strong>und</strong>heitsgefährdend bekannter Lebenswandel,<br />

für den Alkohol- <strong>und</strong> Tabakmissbrauch die alltäglichsten Beispiele sind.<br />

Der Arbeitgeber haftet aber auch für das allgemeine Lebensschicksal seiner<br />

Arbeitnehmer <strong>und</strong> für die berechtigte Wahrnehmung eigener Rechte, wie der<br />

Fall Nr. 147 zeigt. Darin wird der Arbeitgeber zur Entgeltfortzahlung verurteilt,<br />

weil der Arbeitnehmer infolge eines Partnerverlustes <strong>und</strong> der Enttäuschung<br />

über die arbeitgeberseitige Kündigung in eine „depressive Episode“ verfiel<br />

<strong>und</strong> dadurch arbeitsunfähig wurde. Beispiele hinken immer, aber wer diese<br />

Rechtslage richtig findet, dem sei ein Taxifahrer gewünscht, der in unwirtlicher<br />

Gegend die Fortsetzung der Beförderung ablehnt, weil er über die<br />

soeben erklärte Ablehnung seines Fahrgastes, ein gehöriges Trinkgeld zu<br />

zahlen, so enttäuscht ist, dass er fahrunfähig wird.<br />

Erfassten die beiden vorgeschilderten Problemkreise nur Teile der Bevölkerung,<br />

nämlich einerseits Rechtsanwälte (wenn auch in ihrer Funktion als<br />

Arbeitgeber) <strong>und</strong> Arbeitgeber allgemein, so betrifft der nachfolgende Fall<br />

<strong>und</strong> seine Bescheidung alle. Im Fall Nr. 169 hatte die als Vorarbeiterin in<br />

einem Reinigungsunternehmen auf dem nicht allgemein zugänglichen Teil<br />

des Flughafens Frankfurt tätige Klägerin verschwiegen, dass sich ihr illegal in<br />

Deutschland aufhaltender Bruder unter Verwendung einer falschen Identität<br />

in das Unternehmen eingeschlichen hatte <strong>und</strong> auf diese Weise ebenfalls in<br />

dem sicherheitsgeschützten Bereich des Flughafens tätig war. Wegen der<br />

falschen Identität war eine ordnungsgemäße Zuverlässigkeitsprüfung nach<br />

dem Luftsicherheitsgesetz nicht erfolgt. Dieses Schweigen wertete das Hes-<br />

03/08<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 1 01.09.2008 13:16:51<br />

Herausgeber<br />

<strong>165</strong>


Herausgeber<br />

166 03/08<br />

sische LAG nicht als Kündigungsgr<strong>und</strong>, weil der Nachweis einer konkreten<br />

Gefährdungsabsicht des Bruders nicht geführt worden war <strong>und</strong> der familiären<br />

Rücksichtnahme der Vorrang vor der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht<br />

(§ 241 Abs. 2 BGB) gebühre. Diese Wertung ist mindestens aus der Sicht der<br />

Allgemeinheit nicht akzeptabel. Wer hier familiären Persönlichkeitsrechten<br />

den Vorrang gibt, auch wenn er sie im Gr<strong>und</strong>gesetz verortet, missachtet das<br />

Recht auf Leben H<strong>und</strong>erttausender, die alltäglich am Luftverkehr teilnehmen<br />

oder auch nur im Einzugsbereich des Luftverkehrs leben, <strong>und</strong> mindestens<br />

davon ist keiner ausgenommen. Auch wenn die Gefährdung nur abstrakt war,<br />

ist das Gefährdungspotential doch enorm. Es gibt kein durch das Gr<strong>und</strong>gesetz<br />

geschütztes Recht, das Leben anderer Menschen zu gefährden, nur um die<br />

Vertraulichkeit in der Familie zu schützen.<br />

Damit sind die Ärgernisse der Rechtslage, anwaltlicher Konkurrenzverhältnisse<br />

<strong>und</strong> der rechtlich unangefochtenen Gefährdung unseres Lebens abgearbeitet.<br />

Für die restlichen Entscheidungen hoffe ich wie immer:<br />

Mögen sie nützen!<br />

Berlin, im September 2008<br />

Ihr<br />

Dr. Hans-Georg Meier<br />

Fachanwalt für Arbeitsrecht<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 2 01.09.2008 13:16:52


Inhaltsverzeichnis<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Einsenderliste 168<br />

Aufsatz<br />

Thomas Zahn: Zweistufige Ausschlussfristen in Arbeitsverträgen 169<br />

Inhaltsverzeichnis der Entscheidungen<br />

Entscheidungen<br />

Allgemeines Vertragsrecht 173<br />

Bestandsschutz 195<br />

Betriebsverfassungsrecht/Personalvertretungsrecht 225<br />

Tarifrecht 235<br />

Sonstiges 238<br />

Streitwert <strong>und</strong> Gebühren 240<br />

Rezensionen<br />

Däubler/Hjort/Hummel/Wolmerath: Arbeitsrecht, Kommentar 242<br />

Henssler/Willemsen/Kalb: Arbeitsrecht Kommentar 243<br />

Däubler/Bertzbach: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz – Handkommentar 243<br />

Stichwortverzeichnis 245<br />

Impressum 247<br />

03/08<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 3 01.09.2008 13:16:52<br />

Seite<br />

167


Liste der AE-Einsender<br />

Liste der AE-Einsender<br />

AE kann ihr Informationsziel nur erreichen, wenn möglichst viele Entscheidungen aus der Mitgliedschaft der Arbeitsgemeinschaft<br />

Arbeitsrecht im DAV kommen. Wir nennen daher hier regelmäßig mit Dank <strong>und</strong> Lob diejenigen, die sich um die AE besonders<br />

verdient gemacht haben.<br />

Berrisch Hansjörg Gießen<br />

Mansholt Werner Darmstadt<br />

Graumann Ingo Iserlohn<br />

Kelber, Dr. Markus Berlin<br />

Lodzik Michael Darmstadt<br />

Neef, Dr. Klaus Hannover<br />

Bauer Dietmar Wiehl<br />

Bauer Bertram Ansbach<br />

Behrens Walter Hamburg<br />

Brötzmann, Dr. Ulrich Mainz<br />

Dribusch Bernhard Detmold<br />

Faecks Friedhelm Marburg<br />

Franzen Klaus-Dieter Bremen<br />

Geus Franz Schweinfurt<br />

Gosda Ralf Ahlen<br />

Gravenhorst, Dr. Wulf Düsseldorf<br />

Gussen Dr. Heinrich Rheda-Wiedenbrück<br />

Heinemann Bernd St. Augustin<br />

Hilligus Kurt-Jörg Neustadt i.Holst.<br />

Höser, Dr. Jürgen Frechen<br />

Jung Nikolaus Oberursel<br />

Böse Rainer Essen<br />

Clausen Dirk Nürnberg<br />

Crämer Eckart Dortm<strong>und</strong><br />

Daniels Wolfgang Berlin<br />

Eckert, Dr. Helmut Offenbach<br />

Fischer Ulrich Frankfurt/Main<br />

Gehrmann Dietrich Aachen<br />

Goergens Dorothea Hamburg<br />

Grimm, Dr. Detlev Köln<br />

Heimann Marco Cham<br />

Hennige, Dr. Susanne Gütersloh<br />

Herbert, Dr. Ulrich Coburg<br />

Hertwig, Dr. Volker Bremen<br />

Hesse Dr. Walter Berlin<br />

Hjort Jens Hamburg<br />

Keller Thomas München<br />

Kern Jan H. Hamburg<br />

Koch Dr. Friedemann Berlin<br />

Krafft Alexander Öhringen<br />

Krügermeyer-<br />

Kalthoff Rolf Köln<br />

Kühn Stefan Karlsruhe<br />

Kunzmann, Dr. Walter Euskirchen<br />

168 03/08<br />

Einsender mit mehr als 40 Entscheidungen<br />

Einsender mit mehr als 20 Entscheidungen<br />

Einsender mit mehr als 10 Entscheidungen<br />

Einsender mit 5 – 9 Entscheidungen<br />

Schrader, Dr. Peter Hannover<br />

Puhr-Westerheide Christian Duisburg<br />

Schmitt Jürgen Stuttgart<br />

Tschöpe, Dr. Ulrich Gütersloh<br />

Zeißig, Dr. Rolf Berlin<br />

Krutzki Gottfried Frankfurt a.M.<br />

Lampe, Dr. Christian Berlin<br />

Müller-Knapp Klaus Hamburg<br />

Müller-Wiechards Wolfram Lübeck<br />

Peter Michael Bad Honnef<br />

Rütte Klemens Hamm<br />

Schaefer Rolf Hannover<br />

Schmalenberg, Dr. Werner Bremen<br />

Schramm Joachim Lübbecke<br />

Schulz, Dr. Georg R. München<br />

Seidemann, Dr. Gisbert Berlin<br />

Sparla Franz Aachen<br />

Weber Axel Frankfurt/M.<br />

Weberling, Prof. Dr. Johannes Berlin<br />

Link Jochen Villingen<br />

Matissek Reinhard Kaiserslautern<br />

Matyssek Rüdiger Ratingen<br />

Pouyadou, Dr. Richard M. Augsburg<br />

Preßer Wolfgang Neunkirchen<br />

Pütter, Dr. Albrecht Flensburg<br />

Richter Klaus Bremen<br />

Richter, Dr. Hanns-Uwe Heidelberg<br />

Schäder Dr. Gerhard München<br />

Schäfer Dieter Essen<br />

Schipp, Dr. Johannes Gütersloh<br />

Schwirtzek Dr. Thomas Berlin<br />

Straub, Dr. Dieter München<br />

Striegel Bernhard Kassel<br />

Struckhoff Michael H. München<br />

Theissen-<br />

Graf Schweinitz Ingo Hagen<br />

Thiele Volker Düren<br />

Thieme Hans Frankfurt/M.<br />

Thon Horst Offenbach<br />

Zahn Thomas Berlin<br />

Zirnbauer Ulrich Nürnberg<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 4 01.09.2008 13:16:52


Zweistufige Ausschlussfristen in Arbeitsverträgen<br />

– präzise Formulierung der zweiten Stufe erforderlich<br />

Thomas Zahn, Rechtsanwalt, LL.M., Berlin<br />

Das BAG hat im Hinblick auf das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen<br />

seine Rechtsprechung zu zweistufigen<br />

Ausschlussfristen weiter geändert <strong>und</strong> die Position der Arbeitnehmerseite<br />

gestärkt.<br />

In vielen Arbeitsverträgen finden sich, gerade auch auf<br />

anwaltliches Anraten an die Arbeitgeberseite, langjährig<br />

erprobte Vertragsklauseln über zweistufige Ausschlussfristen.<br />

Das BAG (Urteil vom 19. März 2008, 5 AZR 432/07) hatte<br />

über eine solche einzelvertraglich vereinbarte zweistufige<br />

Ausschlussfrist mit folgendem Inhalt zu entscheiden:<br />

„Alle Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben,<br />

sind von den Vertragsschließenden binnen einer Frist von drei<br />

Monaten seit ihrer Fälligkeit schriftlich geltend zu machen <strong>und</strong><br />

im Falle ihrer Ablehnung durch die Gegenseite binnen einer<br />

Frist von drei Monaten einzuklagen. Eine weitere Geltendmachung<br />

ist ausgeschlossen.“<br />

Nach der bis 2002 geltenden Rechtsprechung war durch<br />

die Erhebung einer Kündigungsschutzklage nur die erste<br />

Stufe einer solchen zweistufigen Ausschlussfrist gewahrt.<br />

Der Arbeitnehmer musste also nicht jede einzelne Monatsvergütung<br />

schriftlich einfordern. Allerdings war er gehalten,<br />

die zweite Stufe der Ausschlussfrist zu beachten <strong>und</strong> z. B.<br />

etwaige Annahmeverzugsansprüche rechtzeitig gerichtlich<br />

geltend machen. Die Erhebung einer Kündigungsschutzklage<br />

wahrte die zweite Stufe einer Ausschlussklausel gerade nicht<br />

(jahrelange ständige Rechtsprechung, vgl. u. a. BAG, vom 22.<br />

Februar 1978, 5 AZR 805/76). Das erwies sich immer wieder als<br />

Haftungsfalle für Arbeitnehmervertreter; demzufolge existiert<br />

zivilrechtliche Rechtsprechung zu Haftungsfällen. Der BGH hat<br />

entschieden, dass ein Rechtsanwalt, der einen Arbeitnehmer<br />

in einem Kündigungsschutzprozess vertritt, zur Sicherung<br />

des seinem Mandanten entstehenden Lohnausfalls aufklären<br />

muss, ob <strong>und</strong> wie weit Ausschlussklauseln Anwendung finden<br />

(BGH, 29. März 1983, VI ZR 172/81).<br />

Die bisherige Rechtsprechung des BAG geriet allerdings schon<br />

durch die Entscheidung vom 12. Dezember 2006 (1 AZR<br />

96/06) ins Wanken, als das Gericht die analoge Anwendung<br />

zweistufiger tariflicher Ausschlussfristen in einer Betriebsvereinbarung<br />

für unwirksam erklärte. Mit der Entscheidung vom<br />

19. März 2008 hat das BAG die Lage für Arbeitnehmervertreter<br />

weiter entspannt, dabei jedoch auch verkompliziert. Die oben<br />

zitierte Ausschlussklausel war Bestandteil des Arbeitsvertrages<br />

eines Filialleiters einer Bank. Dieser war am 30. Juni 2004 zum<br />

31. Dezember 2004 gekündigt worden; der Arbeitnehmer<br />

wehrte sich mit einer erfolgreichen Kündigungsschutzklage.<br />

Aufsätze/Beiträge<br />

Allerdings erhob er erst im Oktober 2005 Zahlungsklage für<br />

den Zeitraum von Januar bis Juni 2005. Der Arbeitgeber berief<br />

sich auf die nicht rechtzeitige Geltendmachung im Sinne der<br />

zweiten Stufe der Ausschlussfrist. Das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />

folgte jedoch der Rechtsauffassung des Klägers, <strong>und</strong> vertrat<br />

die Auffassung, dass die einzelvertraglich vereinbarte Ausschlussfrist<br />

dem Anspruch auf Annahmeverzugsgehälter für<br />

die Monate Juli bis Oktober 2005 nicht entgegenstehe. Das<br />

Gericht stellte zunächst fest, dass es sich bei der verwendeten<br />

Klausel um AGB der Bank gehandelt habe. Es führte aus, dass<br />

diese so auszulegen wären, wie es von einem verständigen,<br />

allerdings rechtsunk<strong>und</strong>igen Arbeitnehmer zu erwarten wäre;<br />

anschließend legte es die Ansatzpunkte für die Auslegung<br />

dar (Wortlautauslegung, typische Verständnisweise der an<br />

Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise, verfolgter<br />

Regelungszweck <strong>und</strong> Interessenlagen der Beteiligten). Unter<br />

Berücksichtigung dessen bewertete das BAG die Rechtslage<br />

wie folgt:<br />

„ ... d) Die von der Beklagten als Verwenderin der Allgemeinen Geschäftsbedingungen<br />

in § 15 des Vertrags gewählte Formulierung, wonach<br />

Ansprüche einzuklagen sind, kann von einem nicht rechtsk<strong>und</strong>igen<br />

Durchschnittsarbeitnehmer nicht so verstanden werden, dass<br />

nur die Erhebung einer bezifferten Leistungsklage diesem Erfordernis<br />

genügt. Er darf sie vielmehr so verstehen, dass jede prozessuale Auseinandersetzung<br />

über den Anspruch seine Obliegenheit erfüllt.<br />

aa) Das in einer einzelvertraglichen Ausschlussfrist in der zweiten<br />

Stufe enthaltene Erfordernis des Einklagens von Annahmeverzugsansprüchen,<br />

die von einem Kündigungsschutzprozess abhängen,<br />

verlangt aus der Sicht des Durchschnittsarbeitnehmers nicht mehr<br />

als die Erhebung der Kündigungsschutzklage selbst, die bereits eine<br />

ausreichende schriftliche Geltendmachung der von dem Ausgang<br />

des Kündigungsschutzprozesses abhängigen Ansprüche darstellt. Die<br />

zweite Stufe verdeutlicht dem Arbeitnehmer nach allgemeinem Sprachgebrauch<br />

nur, dass ein Anspruch vor einem Gericht vorgebracht werden<br />

muss <strong>und</strong> eine außergerichtliche Geltendmachung nicht genügt. Wie<br />

bei der schriftlichen Geltendmachung kann er davon ausgehen, dass<br />

die Erhebung einer Kündigungsschutzklage eine Geltendmachung<br />

von hiervon abhängigen Ansprüchen auf Annahmeverzugsvergütung<br />

beinhaltet, denn die Kündigungsschutzklage ist in der Regel nicht auf<br />

den Erhalt des Arbeitsplatzes beschränkt, sondern zugleich <strong>und</strong> gerade<br />

auch auf die Sicherung der Ansprüche gerichtet, die durch den Verlust<br />

der Arbeitsstelle möglicherweise verlorengehen. Dem Erfordernis<br />

einer Klageerhebung bzw. gerichtlichen Geltendmachung hat der<br />

Arbeitnehmer aus seiner Sicht damit zugleich Genüge getan. Von einem<br />

nicht rechtsk<strong>und</strong>igen Arbeitnehmer kann insbesondere nicht erwartet<br />

werden, dass er den prozessualen Begriff des Streitgegenstands<br />

<strong>und</strong> dessen Bedeutung kennt. Will der Arbeitgeber als Verwender<br />

Allgemeiner Geschäftsbedingungen erreichen, dass der Arbeitnehmer<br />

bereits vor dem rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens,<br />

in Unkenntnis von dessen Ergebnis <strong>und</strong> unter Inkaufnahme<br />

eines unnötigen Kostenrisikos, eine bezifferte Leistungsklage binnen<br />

bestimmter Frist jeweils nach Fälligkeit der Annahmeverzugsansprüche<br />

<strong>und</strong> etwaiger anderer Ansprüche erhebt, so muss er dies klar <strong>und</strong><br />

deutlich zum Ausdruck bringen (vgl. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB). Eines<br />

weitergehenden Schutzes bedarf der Arbeitgeber nicht, denn durch<br />

die Kündigungsschutzklage ist er ausreichend über den Willen des<br />

Arbeitnehmers unterrichtet, die durch die Kündigung bedrohten<br />

03/08<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 5 01.09.2008 13:16:52<br />

169


Inhalt: Entscheidungen<br />

Einzelansprüche aus dem Arbeitsverhältnis aufrechtzuerhalten (vgl.<br />

auch Senat 26. April 2006 – 5 AZR 403/05 – BAGE 118, 60, 62 ) .<br />

bb) Diese Auslegung ist auch im Streitfall geboten. Auch wenn vom<br />

Kläger als Bankangestelltem gewisse Rechtskenntnisse erwartet werden<br />

dürfen, beziehen sich diese typischerweise nicht auf die Einhaltung<br />

arbeitsrechtlicher Ausschlussfristen.<br />

3. Etwaige, gegebenenfalls auf die Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts<br />

zu zweistufigen Ausschlussfristen in Tarifverträgen zurückgehende<br />

Auslegungszweifel (vgl. hierzu Senat 26. April 2006 – 5 AZR<br />

403/05 – BAGE 118, 60, 62 f.; Krause, RdA 2004, 106, 115 ff. mit umfangreichen<br />

Nachweisen) gingen nach der Unklarheitenregel (§ 305c Abs. 2<br />

BGB) zu Lasten der Beklagten. Führt nämlich die objektive Auslegung zu<br />

dem Ergebnis, dass die vom Arbeitgeber verwendete Klausel nach dem<br />

Wortlaut unter Berücksichtigung ihres nach verständiger Würdigung<br />

zu ermittelnden Sinns <strong>und</strong> Zwecks objektiv mehrdeutig ist <strong>und</strong> die<br />

Mehrdeutigkeit nicht beseitigt werden kann, greift die arbeitnehmerfre<strong>und</strong>lichste<br />

Auslegung ein (BAG 24. Oktober 2007 – 10 AZR 825/06 –<br />

Rn 14, AP BGB § 307 Nr. 32 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 26; 12. September<br />

2006 – 9 AZR 675/05 – BAGE 119, 248, 253 ). Die Ausschlussklausel gilt<br />

zwar für beide Vertragsparteien gleichermaßen. Die Fristwahrung durch<br />

Erhebung einer Kündigungsschutzklage kommt aber nur zugunsten des<br />

Arbeitnehmers in Betracht.<br />

4. Danach kann hier dahinstehen, ob zweistufige Ausschlussklauseln, die<br />

dem Arbeitnehmer die Pflicht auferlegen, vor rechtskräftigem Abschluss<br />

eines Kündigungsschutzprozesses die davon abhängigen Annahmeverzugsansprüche<br />

jeweils binnen einer mit Fälligkeit beginnenden Frist<br />

mittels einer bezifferten Leistungsklage geltend zu machen, zu einer<br />

unangemessenen Benachteiligung des Arbeitnehmers führen (§ 307<br />

Abs. 1 Satz 1 BGB).“<br />

Inhaltsverzeichnis der Entscheidungen<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

170 03/08<br />

Seite<br />

144. Geschlechtsdiskriminierung, Beförderung, Anknüpfungstatsachen<br />

173<br />

145a.Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Benachteiligung<br />

von Schwerbehinderten, Bewerbung,<br />

Nichtinformation des Betriebsrates, Bestreiten der<br />

Kenntnis des Betriebsrates mit Nichtwissen 173<br />

145b.Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Begriff der<br />

Behinderung, mittelbare Benachteiligung, unwirksame<br />

Tarifregelung 174<br />

146. Urlaubsabgeltungsanspruch, Verfall europarechtswidrig?,<br />

Nichtzulassungsbeschwerde 175<br />

147. Urlaubsabgeltung, Definition der Arbeits-/Urlaubsfähigkeit,<br />

Fortsetzungserkrankung, Darlegungs<strong>und</strong><br />

Beweislast 176<br />

148. Verfallklausel, zweistufige, Unwirksamkeit der 2.<br />

Stufe berührt 1. Stufe nicht 177<br />

Seite<br />

Was folgt nun aus dieser Entscheidung? Zunächst einmal bezieht<br />

sich die Änderung der Rechtsprechung des BAG nur<br />

auf einzelvertraglich vereinbarte Ausschlussfristen. Für tarifliche<br />

Ausschlussfristen gelten die §§ 305 ff. BGB nicht. Hier<br />

wird es weiterhin eine Frage der Auslegung der konkreten<br />

tariflichen Norm vorgenommen werden müssen. Offen geb<strong>liebe</strong>n<br />

ist die Frage, ob eine eindeutigere Verfallklausel Bestand<br />

gehabt hätte oder nicht. Eine konkretere Klausel würde<br />

vermutlich nicht vor dem Hintergr<strong>und</strong> des Transparenzgebotes<br />

für unwirksam bef<strong>und</strong>en werden. Allerdings hat es das<br />

BAG ausdrücklich offen gelassen, ob eine klar <strong>und</strong> eindeutig<br />

formulierte zweistufige Ausschlussfrist inhaltlich zulässig<br />

wäre oder ob darin eine unangemessene Benachteiligung des<br />

Arbeitnehmers im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB liegen<br />

würde. Das letzte Wort im Hinblick auf die zweite Stufe einzelvertraglich<br />

vereinbarter Ausschlussfristen ist daher noch nicht<br />

gesprochen. Für den Rechtsberater des Arbeitgebers sollte es<br />

jetzt aber selbstverständlich sein, einen ausdrücklichen Hinweis<br />

dahingehend in die Arbeitsverträge seines Mandanten<br />

aufzunehmen, dass die Erhebung einer Kündigungsschutzklage<br />

die zweite Stufe der Ausschlussfrist nicht wahrt.<br />

149. Arbeitnehmerstatus, gewillkürter, Bindung des Arbeitgebers<br />

an Erklärungen gegenüber einer Behörde,<br />

Streitwert der Rechtswegbeschwerde 178<br />

150. Abmahnung, Berechtigung, Betriebsbuße, Voraussetzungen,<br />

Mitwirkung des Betriebsrates bei der<br />

Verhängung im Einzelfall, Bekleidungsordnung 178<br />

151. Betriebliche Altersversorgung, Anpassung nach<br />

§ 16 Abs. 1 BetrAVG, zeitlicher Anwendungsbereich<br />

<strong>und</strong> Vorgaben des § 16 Abs. 3 Nr. 1<br />

(1%-Regelung), Bemessungszeit 179<br />

152. Arbeitszeitreduzierung, Kosten als berechtigtes<br />

betriebliches Interesse, Sowieso-Kosten 182<br />

153. Elternzeit, Sachzusammenhang zwischen Elternzeit<br />

<strong>und</strong> Teilzeitverlangen, Wegfall der Elternzeit<br />

bei berechtigter Ablehnung der Teilzeit 182<br />

154. Direktionsrecht, Darlegungs- <strong>und</strong> Beweislast für<br />

die Billigkeit; einstweilige Verfügung, wesentliche<br />

Nachteile; Streitwert einer einstweiligen<br />

Verfügung zur Sicherung eines Beschäftigungsanspruchs;<br />

ein Bruttomonatsgehalt abzüglich 20 % 183<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 6 01.09.2008 13:16:52


Seite<br />

155. Entgeltfortzahlung, Sonn- <strong>und</strong> Feiertagszuschläge 183<br />

156. Entgeltfortzahlung setzt Leistungsbereitschaft<br />

<strong>und</strong> -fähigkeit voraus für den Fall der Arbeitsfätigkeit<br />

185<br />

157. Freistellungsanspruch zur Durchführung von<br />

Nebentätigkeiten, einstweilige Verfügung, Verfügungsgr<strong>und</strong>,<br />

Leistungsverfügung nur ausnahmsweise<br />

zulässig, berechtigte betriebliche Interessen,<br />

selbstverursachte Zwänge sind unbeachtlich 186<br />

158. Insolvenz, Hinterlegung, ungerechtfertigte Bereicherung,<br />

abgesonderte Befriedigung 186<br />

159. Fahrtenschreiberblätter, Anspruch des Fahrers,<br />

Überst<strong>und</strong>envergütung, keine Pflicht des Arbeitgebers,<br />

dem Anspruchsteller sonstige Mittel zur<br />

Beweisführung zur Verfügung zu stellen 189<br />

160. Vergütung, geringfügige Beschäftigung, Sozialversicherung<br />

bei teilweiser Beschäftigung in<br />

einem Kalendermonat 190<br />

161. Wettbewerbsverbot, nachvertragliches, Unterlassungsantrag,<br />

einstweilige Verfügung, Wettbewerbssituation,<br />

Verfügungsgr<strong>und</strong>, Streitwert 190<br />

162. Wettbewerbshandlungen bei Rechtsanwälten,<br />

einstweilige Verfügung auf Unterlassung, Befriedigungsverfügung,<br />

Verhaltensbedingte Kündigung,<br />

außerordentlich durch den Arbeitnehmer 192<br />

Bestandsschutz<br />

163. Betriebsbedingte Kündigung, Verfassungsmäßigkeit<br />

<strong>und</strong> Anwendungsgrenzen von § 1 Abs. 5<br />

KSchG, freier Arbeitsplatz in anderem Betrieb 195<br />

164. Betriebsbedingte Kündigung, Betriebsstilllegung<br />

oder Betriebsübergang?, Identität, eigenständiger<br />

Teilbereich 196<br />

<strong>165</strong>. Betriebsbedingte Kündigung, unternehmerische<br />

Entscheidung, Umsatzrückgang, Wertungsspielraum<br />

bei der Sozialauswahl, Vergleichbarkeit 197<br />

166. Verhaltensbedingte Kündigung, sexuelle Belästigung<br />

versus ungewünschte Berührung 198<br />

167. Verhaltensbedingte außerordentliche Kündigung,<br />

Arbeitszeitbetrug, Bestreiten mit Nichtwissen, Frist<br />

des § 626 Abs. II BGB bei Ermittlungen wegen<br />

Verdachtskündigung 199<br />

168. Verhaltensbedingte Kündigung, Begehung von<br />

Steuerstraftaten, Auflösungsanträge des Arbeitnehmers<br />

<strong>und</strong> des Arbeitgebers, Bemessungsgr<strong>und</strong>lage<br />

der Abfindung 200<br />

Inhalt: Entscheidungen<br />

Seite<br />

169. Verhaltensbedingte Kündigung, Verletzung der<br />

vertraglichen Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241<br />

Abs. 2 BGB) im Widerstreit zu familiärer Rücksichtnahme<br />

201<br />

170. Verhaltensbedingte Kündigung, Abmahnungsvoraussetzung,<br />

Anforderungen an eine Abmahnung 202<br />

171. Verhaltensbedingte Kündigung, private Kontakte<br />

zwischen Therapeut <strong>und</strong> Patientin 203<br />

172. Verhaltensbedingte Kündigung, Vortäuschen einer<br />

Arbeitsunfähigkeit, Anfechtung einer Annahmeerklärung<br />

zur Vertragsänderung, Drohung mit<br />

einer außerordentlichen Kündigung 203<br />

173. Verhaltensbedingte außerordentliche Kündigung,<br />

Ankündigung einer Arbeitsunfähigkeit, Beweiswürdigung,<br />

Abmahnungserfordernis, Interessenabwägung<br />

204<br />

174. Verhaltensbedingte Kündigung, Abmahnungserfordernis,<br />

substantiiertes Vorbringen, Auflösungsantrag<br />

des Arbeitgebers, Gründe <strong>und</strong> Höhe der<br />

Abfindung 206<br />

175. Auflösungsantrag des Arbeitgebers, Personalbefugnis<br />

des Arbeitnehmers i.S.v. § 14 (2) KSchG, zur<br />

Höhe der Abfindung 208<br />

176. Auflösungsantrag des Arbeitnehmers, Unzumutbarkeit,<br />

Sondervergütung, Bindungsfrist, Kündigung<br />

durch Arbeitgeber, Allgemeine Geschäftsbedingung,<br />

Inhaltskontrolle, Stufenklage 209<br />

177. Krankheitsbedingte Kündigung, bei wiederholter<br />

gleichartiger Erkrankung bedarf es eines Behandlungskonzepts<br />

um eine ungünstige Prognose<br />

auszuschließen, ein förmliches Wiedereingliederungsverfahren<br />

ist nicht erforderlich, wenn sonstige<br />

geeignete Wiedereingliederungsmaßnahmen<br />

erfolgt sind, obiter dictum: verhaltensbedingte<br />

Kündigung wegen Lohnbetrugs, wenn<br />

Erstbescheinigungen bei Dauererkrankungen<br />

vorgelegt werden 212<br />

178. Änderungskündigung, Betriebsübergang 213<br />

179. Sonderkündigungsschutz, Wahlbewerber Schwerbehindertenvertretung,<br />

Namensliste, grob fehlerhafte<br />

Sozialauswahl, Altersstruktur, Wiederholungskündigung<br />

215<br />

180. Klagefrist, Beginn bei behördlichem Zustimmungsvorbehalt,<br />

Sonderkündigungsschutz für<br />

Schwerbehinderte, Beginn, Rechtsfolgen der<br />

Betreuung <strong>und</strong> Einwilligung des Betreuers 217<br />

03/08<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 7 01.09.2008 13:16:52<br />

171


Inhalt: Entscheidungen<br />

Seite<br />

181. Sonderkündigungsschutz, § 85 SGB IX, Beginn,<br />

rückwirkende Anerkennung einer Schwerbehinderung,<br />

unverschuldet verspäteter Antragseingang<br />

218<br />

182. Unkündbarkeit, Einbeziehung tariflicher Regelungen<br />

in einem Arbeitsvertrag, Unklarheitenregelung,<br />

Auslegung einer Vertragsklausel 218<br />

183. Sonderkündigungsschutz Schwerbehinderte, Austauschen<br />

des Zustimmungsbescheides unerheblich<br />

219<br />

184. Anhörungsfrist des Personalrats nach § 78 Abs. 2<br />

S. 3 HPVG; rückwirkende Zustimmung zur Kündigung<br />

durch das Integrationsamt, § 626 Abs. 2<br />

BGB, Zugang einer Kündigung um 23.00 Uhr 219<br />

185. Kleinbetrieb, zentral geführte Verkaufsstelle, Versetzungsklausel,<br />

Auskunftspflicht § 1 Abs. 3 S. 1<br />

KSchG 220<br />

186. Kündigungsfrist, Beschäftigungszeit, Vorbeschäftigung<br />

als GmbH-Geschäftsführer 221<br />

187. Kündigungsfrist, Probezeit, Vertragsklausel, Unklarheitenregelung<br />

222<br />

188. Kündigungsfrist, Probezeit, gesetzliche Höchstdauer<br />

unabhängig von der Tätigkeitsart zulässig 222<br />

189. Kündigungsschutzklage, nachträgliche Zulassung,<br />

subjektives Verschulden 223<br />

190. Befristung des Arbeitsverhältnisses, Sachgr<strong>und</strong>,<br />

Vertretungsbedarf, steigende Anforderungen bei<br />

mehreren Befristungen 224<br />

191. Befristung, Verlängerung, Änderung von Vertragsbedingungen<br />

224<br />

Betriebsverfassungs-/Personalvertretungsrecht<br />

192. Betriebsvereinbarung, ablösende, Nachwirkung 225<br />

193. Betriebsratsschulung über die Strafvorschriften<br />

des BetrVG 225<br />

194. Betriebsratswahl, Abbruch durch einstweilige Verfügung,<br />

Verfügungsgr<strong>und</strong>, Sanktion gegen Wahlvorstand<br />

226<br />

195. Einigungsstelle, Einsetzungsverfahren, offensichtliche<br />

Unzuständigkeit, tarifvertragliche Erweiterung<br />

des Mitbestimmungsrechts, Auslegung einer<br />

Tarifnorm, Betriebsratsbeschluss, Anforderungen<br />

an die Ladung 226<br />

196. Einigungsstelle, offensichtliche Unzuständigkeit,<br />

Beschwerdestelle nach § 13 AGG <strong>und</strong> Initiativrecht 230<br />

172 03/08<br />

Seite<br />

197. Personelle Einzelmaßnahme, Versetzung, allgemeiner<br />

Unterlassungsanspruch neben Aufhebungsanspruch,<br />

§ 101 BetrVG zulässig, Ordnungsgeldandrohung<br />

233<br />

198. Sozialplanabfindung, Gleichbehandlung, Monatsgehalt,<br />

Arbeitszeitreduzierung 235<br />

Tarifrecht<br />

199. Eingruppierung, Heimzulage, AVR Diakonie EKD,<br />

Wirkung eines Schiedsgutachtens, Anforderungen<br />

an die Verknüpfung von Heim <strong>und</strong> Werkstatt, organisatorische<br />

Selbständigkeit unerheblich 235<br />

200. Tarifbindung, einzelvertragliche Inbezugnahme,<br />

Gleichstellungsklausel, dynamische Verweisung,<br />

Gastmitgliedschaft, Teilrechtskraft eines Urteils,<br />

Willenserklärung, Auslegung 236<br />

201. Inbezugnahme eines Tarifvertrages, Inhaltskontrolle<br />

237<br />

202. TV arbeitnehmerähnliche Personen Deutschlandfunk,<br />

Fristberechnung, R<strong>und</strong>funkfreiheit 238<br />

203. Besitzstand nach § 71 BAT <strong>und</strong> nachfolgender Statuswechsel<br />

238<br />

204. Tarifpluralität, Gr<strong>und</strong>rechtskollision, Unterlassungsanspruch<br />

238<br />

Sonstiges<br />

205. Umschulungsverhältnis kein Arbeitsverhältnis,<br />

Klagefrist des KSchG nicht zwingend, Interessenabwägung<br />

bei eigentlich geeignetem Gr<strong>und</strong> zur<br />

außerordentlichen Kündigung 238<br />

206. Zwangsvollstreckung, Vollstreckungsabwehrklage,<br />

einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung,<br />

Geltendmachung von Nachteilen 239<br />

207. Zwangsvollstreckung, betriebsverfassungsrechtliches<br />

Beschlussverfahren, Ordnungsgeld, Bestimmtheitserfordernis<br />

240<br />

Streitwert <strong>und</strong> Gebühren<br />

208. Streitwert, Herausgabe von Unterlagen 240<br />

209. Streitwert, Beschlussverfahren, Schulung eines Betriebsratsmitgliedes,<br />

bezahlte Freistellung, einstweilige<br />

Verfügung, Leistungsverfügung 240<br />

210. Streitwert, Beschlussverfahren, Freistellung 241<br />

211. Streitwert, Beschlussverfahren, Umsetzung einer<br />

Gesamtbetriebsvereinbarung zur Einführung einheitlicher<br />

Dienstkleidung 241<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 8 01.09.2008 13:16:52


Allgemeines Vertragsrecht<br />

144. Geschlechtsdiskriminierung, Beförderung, Anknüpfungstatsachen<br />

Zu den vorgenannten Stichworten hatten wir unter Nr. 311 in<br />

AE 3/2007 die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin<br />

vom 19. Oktober 2006, 2 Sa 1776/06 mit folgenden gerichtlichen<br />

Leitsätze wiedergegeben:<br />

1. Bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen<br />

wegen geschlechtsbezogener Diskriminierung muss die Arbeitnehmerin<br />

gegebenenfalls Hilfstatsachen darlegen <strong>und</strong> unter<br />

Beweis stellen, die eine Benachteiligung wegen des Geschlechts<br />

vermuten lassen.<br />

2. Alleine das Vorliegen einer Schwangerschaft bei der gegenüber<br />

einem männlichen Mitbewerber nicht berücksichtigten<br />

Bewerberin um eine Beförderungsstelle reicht hierzu nicht<br />

aus.<br />

3. Unstreitige oder erwiesene Äußerungen des Arbeitgebers<br />

oder seines Repräsentanten mit geschlechtsspezifischem Gehalt<br />

im Zusammenhang mit dem Besetzungsverfahren können<br />

solche Hilfstatsachen darstellen; dies war im Streitfalle<br />

allerdings nicht gegeben, weil sich die Äußerungen über die<br />

„familiäre Situation“ der Bewerberin nicht auf die Beförderungsentscheidung<br />

selbst bezogen haben. (Leitsätze des Gerichts)<br />

Diese Entscheidung hat das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht aufgehoben<br />

<strong>und</strong> die Sache an das LAG Berlin-Brandenburg zurückverwiesen.<br />

Der 8. Senat hat angenommen, die Mitarbeiterin<br />

habe Tatsachen vorgetragen, die ihre geschlechtsspezifische<br />

Benachteilung nach § 611a Abs. 1 BGB (gültig bis 17.8.2006)<br />

vermuten lassen können. So habe die Klägerin gegenüber<br />

Repräsentanten der Arbeitgeberin ihre Schwangerschaft bekannt<br />

gemacht, vorgetragen, sie sei Vertreterin desjenigen<br />

aufsteigenden Mitarbeiters gewesen, um dessen Stelle sie sich<br />

wegen der damit verb<strong>und</strong>enen Beförderung beworben hatte<br />

<strong>und</strong> dieser habe ihr eine positive Bescheidung in Aussicht<br />

gestellt. Ferner hielt das BAG im Gegensatz zum LAG die Erklärung<br />

des Vorgesetzten, sie möge sich nicht über die erfolglose<br />

Bewerbung ärgern, sondern sich auf ihr Kind freuen, für einen<br />

Hinweis auf eine Diskriminierung.<br />

■ B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />

vom 24. April 2008, 8 AZR 257/07<br />

145a. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Benachteiligung<br />

von Schwerbehinderten, Bewerbung, Nichtinformation<br />

des Betriebsrates, Bestreiten der Kenntnis des Betriebsrates<br />

mit Nichtwissen<br />

Entscheidungsgründe:<br />

I. Die Klage ist hinsichtlich sämtlicher Klageanträge zulässig,<br />

aber unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte weder<br />

einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG noch<br />

einen Schadensersatzanspruch nach § 15 Abs. 1 AGG. Vom<br />

Kläger wurden keine ausreichenden Tatsachen vorgetragen,<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

die vermuten lassen, dass er bei der Einstellungsentscheidung<br />

der Beklagten für die zu besetzenden Stellen als Servicemitarbeiter<br />

im Automatenspiel wegen seiner Schwerbehinderung<br />

benachteiligt wurde.<br />

1. Die vom Kläger für eine Benachteiligung wegen seiner<br />

Behinderung vorgetragenen Tatsachen reichen nicht aus, um<br />

nach § 22 AGG die Beweislast der Beklagten dafür auszulösen,<br />

dass nicht auf die Behinderung bezogene sachliche Gründe<br />

für ihre Auswahlentscheidung vorliegen.<br />

Nach § 22 AGG trägt, wenn im Streitfall die eine Partei Indizien<br />

beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG<br />

genannten Gr<strong>und</strong>es vermuten lassen, die andere Partei die<br />

Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen<br />

des Gesetzes zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.<br />

Ein – wie hier – klagender Arbeitnehmer kann somit eine Beweislast<br />

des Arbeitgebers dadurch herbeiführen, dass er Hilfstatsachen<br />

darlegt <strong>und</strong> ordnungsgemäß unter Beweis stellt,<br />

die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten<br />

Gr<strong>und</strong>es, hier der Behinderung, vermuten lassen. Es ist hierzu<br />

allerdings notwendig, dass Vermutungstatsachen dargelegt<br />

<strong>und</strong> ggf. auch bewiesen werden, die zur Überzeugung des Gerichts<br />

eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Kausalität<br />

zwischen Behinderung <strong>und</strong> Benachteiligung begründen.<br />

Die – hier unstreitige – Tatsache, dass die Beklagte im Rahmen<br />

des Einstellungsverfahrens nach § 99 BetrVG den bei ihr gebildeten<br />

Betriebsrat nicht über die Behinderung des Klägers<br />

informierte, ist in diesem Zusammenhang nicht ausreichend.<br />

2. Zwar führt das BAG in der vom Kläger für die Begründung<br />

der Klageansprüche in Anspruch genommenen, zur Vorschrift<br />

des § 81 Abs. 1 SGB IX ergangenen Entscheidung v.<br />

15.2.2005 (9 AZR 635/03, AP Nr. 7 zu § 81 SGB IX) aus, die Vermutung<br />

einer Benachteiligung wegen einer Behinderung sei<br />

schon anzunehmen, wenn die Schwerbehindertenvertretung<br />

entgegen § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX über die Bewerbung eines<br />

schwerbehinderten Menschen nicht unmittelbar nach Eingang<br />

unterrichtet <strong>und</strong> bei der Prüfung, ob ein Arbeitsplatz mit<br />

schwerbehinderten Menschen besetzt werden könne, nicht<br />

beteiligt worden sei, eine Übertragung der Entscheidung auf<br />

den hier gegebenen Sachverhalt ist jedoch nicht ohne weiteres<br />

möglich.<br />

Anders als im Fall des Klägers handelte es sich bei dem<br />

Bewerber in dem vom BAG entschiedenen Fall nicht um einen<br />

internen, bereits langjährig im Betrieb tätigen Arbeitnehmer,<br />

sondern um einen externen Bewerber.<br />

Mag bei der Nichtberücksichtigung eines externen Bewerbers<br />

die fehlende Information des Betriebsrates – oder wie im<br />

Fall der BAG-Entscheidung der Schwerbehindertenvertretung<br />

– über die Tatsache des Eingangs von Bewerbungen Behinderter<br />

als Hilfstatsache für eine Benachteiligung aus den vom<br />

BAG angeführten Gründen ausreichen, so ist dies bei internen<br />

Bewerbern nicht der Fall. Zwar liegt auch im Falle einer internen<br />

Bewerbung bei fehlender Information über den Eingang<br />

der Bewerbung des behinderten Mitarbeiters ein Verstoß des<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 9 01.09.2008 13:16:52<br />

173


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

Arbeitgebers gegen die ihm aus dem SGB IX obliegenden<br />

Verpflichtungen vor; dieser Verstoß allein begründet indes<br />

keine ausreichende Vermutung der Benachteiligung wegen<br />

der Behinderung.<br />

Im Fall der internen Bewerbung bestehen im Gegensatz zur<br />

Bewerbung eines externen Bewerbers vielfältige Möglichkeiten,<br />

dass der Betriebsrat trotz der fehlenden ausdrücklichen<br />

Information von der Behinderung eines Bewerbers Kenntnis<br />

hat.<br />

3. Vorliegend wurde von der Beklagten bspw. angeführt <strong>und</strong><br />

durch die Vorlage der Urlaubsanspruchslisten für den derzeitigen<br />

Tätigkeitsbereich des Klägers „Kasse“ seit 1996 belegt,<br />

dass die Schwerbehinderung des Klägers beim Betriebsrat –<br />

unabhängig von einer weitergehenden ausdrücklichen Information<br />

– bereits auf Gr<strong>und</strong> der jährlichen Urlaubsplanlisten,<br />

die die Schwerbehinderung des Klägers <strong>und</strong> den ihm zustehenden<br />

Zusatzurlaub ausweisen, bekannt war.<br />

Substantiiert bestritten wurde das Vorhandensein der Urlaubsplanlisten<br />

<strong>und</strong> der Kenntnis des Betriebsrats hiervon<br />

vom Kläger nicht. Erk<strong>und</strong>igungen, ob der Vortrag der Beklagten<br />

den Tatsachen entspricht, wurden vom Kläger, anders<br />

als im Zusammenhang mit dem Einstellungsvorgang an sich,<br />

nicht eingeholt. Das reine Bestreiten mit Nichtwissen war in<br />

dieser Situation nicht ausreichend.<br />

■ Arbeitsgericht Berlin<br />

vom 16. April 2008, 48 Ca 1210/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Gisbert Seidemann,<br />

Budapester Straße 40, 10787 Berlin, Tel.: 030/254591-0,<br />

Fax: 030/254591-66<br />

p.osche@advocati.de; www.advocati.de<br />

145b. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Begriff der<br />

Behinderung, mittelbare Benachteiligung, unwirksame<br />

Tarifregelung<br />

Sachverhalt:<br />

Die Parteien streiten um eine Besitzstandszulage, die nach<br />

den Regeln des § 23 Abs. 11 <strong>und</strong> 12 des TV-Nahverkehrsgewerbe<br />

Bayern (TV-N) nach einer Arbeitsunfähigkeit von 26<br />

Wochen entfällt, was bei dem Kläger der Fall war.<br />

Aus den Gründen: ...<br />

II. Die Klage ist begründet, ihr war vollumfänglich stattzugeben.<br />

Zwar führt § 23 Abs. 11 <strong>und</strong> 12 TV-N nach seinem Wortlaut<br />

zu einem Ausfall der Forderung des Klägers. Die Vorschrift<br />

verstößt jedoch gegen § 2 Abs. 2 in Verbindung mit § 3 Abs. 2<br />

AGG. Sie ist daher unwirksam <strong>und</strong> kann nicht zur Anwendung<br />

gelangen. Im Einzelnen gilt folgendes:<br />

1. § 1 AGG schützt die Beschäftigten gegen Benachteiligungen<br />

aufgr<strong>und</strong> einer Behinderung.<br />

a. Der Kläger ist behindert im Sinne des § 1 AGG. Der Begriff<br />

der Behinderung kann ausgehend von § 2 Abs. 1 SGB IX<br />

bestimmt werden (Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 1<br />

AGG Rn 9). § 1 AGG schützt nicht nur schwer behinderte Men-<br />

174 03/08<br />

schen im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB IX, sondern ist für jegliche<br />

Behinderung maßgeblich. Behindert sind Menschen, wenn<br />

deren körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische<br />

Ges<strong>und</strong>heit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate<br />

von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen<br />

<strong>und</strong> daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft<br />

beeinträchtigt (Düwell, BB 2006, 1741).<br />

Die Feststellung der Behinderung gemäß § 69 SGB IX hat zwar<br />

lediglich deklaratorischen Charakter, bildet jedoch sowohl bei<br />

positivem als auch bei negativem Inhalt ein Beweismittel für<br />

die Behinderung des Arbeitnehmers (BAG, v. 25.5.1972, NJW<br />

1972, 1191). Durch die Feststellung ist damit zumindest ein<br />

Anscheinsbeweis dahingehend begründet, dass eine Behinderung<br />

des Klägers im nach § 23 TV-N maßgeblichen Zeitraum<br />

bis zum Zeitpunkt des Bescheids, dem 25.07.2005, vorlag. Die<br />

insoweit beweisbelastete Beklagte stellt in der Klageerwiderung<br />

lediglich die Behauptung auf, der Kläger sei nicht behindert.<br />

Ein Beweisangebot fehlt vollständig.<br />

Die erkennende Kammer war daher bei ihrer Entscheidung<br />

gehalten, von einer Behinderung des Klägers auszugehen,<br />

insbesondere nach dem Januar 2006; fehlende Arbeitsunfähigkeitszeiten<br />

führen nicht zu einer erneuten Beweislast des<br />

Klägers, da es nicht entscheidend darauf ankommt, dass der<br />

Kläger während des Gesamtzeitraums vom 1.6.2004 bis zum<br />

30.6.2007 behindert war. Allein maßgeblich ist, dass in diesem<br />

Zeitraum die Teilhabe am Berufsleben für mehr als sechs<br />

Monate erschwert war. Der entsprechende Nachweis ist vollständig<br />

durch den Bescheid vom 25.07.2005 erbracht.<br />

b. Eine Benachteiligung im Sinne des § 1 Abs. 1 AGG liegt<br />

vor.<br />

bb. Eine unmittelbare Benachteiligung wird durch die<br />

Vorschrift des § 23 TV-N jedoch nicht begründet. Zwar fehlt<br />

eine gesetzliche Definition der unmittelbaren Benachteiligung,<br />

jedoch ist anerkannt, dass die nachteilig wirkende<br />

Maßnahme ausdrücklich oder sinngemäß am verbotenen<br />

Differenzierungsmerkmal anknüpfen muss. Dies ist vorliegend<br />

zu verneinen. Zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass<br />

eine Ungleichbehandlung wegen Krankheit nicht von den<br />

Vorschriften des AGG erfasst ist. Die streitige Vorschrift setzt<br />

aber einen Erkrankungszeitraum, nicht eine Behinderung,<br />

voraus. Insoweit kann zunächst dahingestellt bleiben, ob<br />

behinderte Menschen überproportional von der Vorschrift<br />

betroffen sind, da der Anwendungsbereich offensichtlich<br />

nicht auf den Begriff der Behinderung zugeschnitten ist. Eine<br />

unmittelbare Benachteiligung scheidet damit aus.<br />

Jedoch bildet die Vorschrift des § 23 TV-N eine mittelbare<br />

Benachteiligung im Sinne des § 3 Abs. 2 AGG.<br />

Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein<br />

nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren<br />

Personen wegen eines in § 1 AGG genannten Gr<strong>und</strong>es<br />

gegenüber Anderen in besonderer Weise benachteiligen<br />

können. Eine Benachteiligung ist nur dann gerechtfertigt,<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 10 01.09.2008 13:16:52


wenn die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren<br />

durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt <strong>und</strong> die<br />

Mittel zur Erreichung des Ziels angemessen <strong>und</strong> erforderlich<br />

sind.<br />

Eine Benachteiligung ist dann mittelbar benachteiligend,<br />

wenn das Differenzierungskriterium, das die nachteiligen<br />

Folgen herbeiführt, zwar nicht unmittelbar die Zugehörigkeit<br />

zur geschützten Gruppe voraussetzt, wohl aber solche Merkmale,<br />

die von den Gruppenmitgliedern erheblich häufiger<br />

als von anderen Personen erfüllt werden. In diesem Fall ist zu<br />

vermuten, dass gerade die Gruppenzugehörigkeit maßgeblich<br />

Ursache der Benachteiligung ist (Erfurter Kommentar zum<br />

Arbeitsrecht, § 3 AGG Rn 6).<br />

Entgegen der Auffassung der Beklagten war im vorliegenden<br />

Fall eine Vergleichsgruppenbildung entbehrlich. Die Häufigkeit<br />

länger andauernder oder häufiger auftretende Erkrankungen<br />

sind bei behinderten Menschen erfahrungsgemäß signifikant<br />

höher als bei sonstigen Mitarbeitern. Es ist als allgemeiner<br />

Erfahrungswert vorauszusetzen, dass Behinderung<br />

<strong>und</strong> Arbeitsunfähigkeit in einem unmittelbaren ursächlichen<br />

Zusammenhang stehen. In der Vergleichsgruppe behinderter<br />

Menschen werden nach den Erfahrungen <strong>und</strong> der Überzeugung<br />

des Gerichts in erheblichem Umfang Arbeitsunfähigkeitszeiten<br />

auftreten, die über dem Schwellenwert des § 23<br />

TV-N liegen. Die Vorschrift wirkt sich ihrem Wesen nach besonders<br />

auf die geschützte Gruppe aus.<br />

Eine mittelbare Benachteiligung ist insbesondere aufgr<strong>und</strong><br />

der hohen Krankheitszeiten, die zu einem Wegfall des Anspruchs<br />

erforderlich sind, indiziert. Die Vorschrift vermag letztlich<br />

überwiegend chronisch kranke Menschen, bei denen die<br />

Gruppe der Behinderten im Sinne des SGB IX einen erheblichen<br />

Anteil bildet, <strong>und</strong> „Blaumacher“ zu erfassen. Gewöhnliche<br />

Krankheitsverläufe erreichen dagegen nur in Ausnahmefällen<br />

die von § 23 TV-N vorausgesetzte Erheblichkeit von 26<br />

Wochen innerhalb von 3 Jahren (also letztlich 1/6 der auf den<br />

Zeitraum von 3 Jahren entfallenden Arbeitszeit). Die starke<br />

Beeinträchtigung der Behinderten durch die Arbeitsunfähigkeitsgrenze<br />

von 26 Wochen liegt daher auf der Hand.<br />

Nach Überzeugung der Kammer bildet die Regelung damit<br />

eine mittelbare Benachteiligung. Rechtfertigungsgründe i.S.d.<br />

§ 3 Abs. 2 AGG sind nicht erkennbar.<br />

2. Gemäß § 7 Abs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen<br />

eines in § 1 AGG genannten Gr<strong>und</strong>es benachteiligt werden.<br />

Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot<br />

verstoßen, sind unwirksam, § 7 Abs. 2 AGG.<br />

Die Unwirksamkeitsfolge gilt für Vereinbarungen aller Art, also<br />

neben Arbeitsverträgen auch für Tarifverträge (Erfurter Kommentar<br />

zum Arbeitsrecht, § 7 AGG Rn 3). Die Unwirksamkeit<br />

kann letztlich nur zu einem Wegfall der beanstandeten Regelung<br />

führen.<br />

Die Beklagte ist aus vorgenannten Erwägungen gehindert, die<br />

Vorschriften des § 23 Abs. 11 <strong>und</strong> 12 TV-N Bayern zu Lasten<br />

des Klägers anzuwenden. Die Erkrankungszeiten des Klägers<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

führen mithin nicht zu einem Wegfall des Anspruchs, so dass<br />

auch über den 1.7.2007 hinaus die persönliche Besitzstandszulage<br />

<strong>und</strong> der Mindestsicherungsbetrag bezahlt werden müssen.<br />

Der Klage war somit stattzugeben.<br />

■ Arbeitsgericht Würzburg<br />

vom 6. Februar 2008, 9 Ca 1521/07 S<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Franz Geus, Manggasse 18a,<br />

97421 Schweinfurt, Tel.: 09721/716160, Fax: 09721/716171<br />

kanzlei@magers-partner.de; www.magers-partner.de<br />

146. Urlaubsabgeltungsanspruch, Verfall europarechtswidrig?,<br />

Nichtzulassungsbeschwerde<br />

Aus den Gründen: ...<br />

C. Hinsichtlich der verlangten Urlaubsabgeltung ist die Beschwerde<br />

begründet.<br />

I. Nach § 72a Abs. 1 i.V.m. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG kann eine<br />

Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision darauf<br />

gestützt werden, dass das Berufungsgericht die Revision nicht<br />

zugelassen hat, obwohl dessen Urteil eine entscheidungserhebliche<br />

Rechtsfrage von gr<strong>und</strong>sätzlicher Bedeutung aufwirft.<br />

Das setzt voraus, dass die Klärung der Rechtsfrage entweder<br />

von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder<br />

wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen zumindest<br />

eines größeren Teils der Allgemeinheit berührt (BAG,<br />

26. September 2000 – 3 AZN 181/00 – BAGE 95, 372, zu II2<br />

der Gründe). Eine Rechtsfrage ist eine Frage, die die Wirksamkeit,<br />

den Geltungsbereich, die Anwendbarkeit oder den Inhalt<br />

einer Norm zum Gegenstand hat (Senat, 23. Januar 2007 – 9<br />

AZN 792/06 – Rn 5, AP ArbGG 1979 § 72a Gr<strong>und</strong>satzNr. 66).<br />

Sie muss klärungsfähig <strong>und</strong> klärungsbedürftig sein.<br />

II. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.<br />

1. Die Beschwerde meint sinngemäß, von gr<strong>und</strong>sätzlicher<br />

Bedeutung sei die Frage, ob der Urlaubsabgeltungsanspruch<br />

auch dann fortbestehe, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende<br />

des Übertragungszeitraums am 31. März des dem Urlaubsjahr<br />

folgenden Jahres arbeitsunfähig sei.<br />

2. Diese Rechtsfrage ist klärungsbedürftig <strong>und</strong> entscheidungserheblich.<br />

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats erlischt der<br />

gesetzliche Urlaubsabgeltungsanspruch (§ 7 Abs. 4 BUrIG)<br />

zwar ebenso wie der Freistellungsanspruch auf Gr<strong>und</strong> seiner<br />

Befristung mit dem Ende des Übertragungszeitraums, wenn<br />

der Freistellungsanspruch auf Gr<strong>und</strong> fortdauernder Arbeitsunfähigkeit<br />

nicht hätte erfüllt werden können (vgl. nur 27.<br />

Mai 2003 – 9 AZR 366/02 – EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 9,<br />

zu 11 der Gründe). Hier besteht jedoch Veranlassung, den<br />

Zugang zum B<strong>und</strong>esarbeitsgericht erneut zu eröffnen. Gegen<br />

die Richtigkeit der Senatsrechtsprechung hat die Generalanwältin<br />

in den Schlussanträgen des vor dem Gerichtshof der<br />

Europäischen Gemeinschaften anhängigen Vorabentscheidungsverfahrens<br />

„Schultz-Hoff“ Gesichtspunkte von einigem<br />

Gewicht vorgebracht (vgl. die Schlussanträge der General-<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 11 01.09.2008 13:16:52<br />

175


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

anwältin Trstenjak vom 24. Januar 2008 in der Rechtssache<br />

C-350/06 [Schultz-Hoff] Rn 31 ff., insbesondere Rn 69 ff. <strong>und</strong><br />

85). Die Generalanwältin schlägt dem Gerichtshof als Antwort<br />

auf eine der Vorlagefragen vor, Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie<br />

2003/88/EG sei dahin zu verstehen, dass Arbeitnehmern<br />

bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf jeden Fall ein<br />

Anspruch auf finanzielle Vergütung als Ersatz für erworbenen<br />

<strong>und</strong> nicht genommenen Urlaub (Urlaubsabgeltung) zustehe.<br />

Art. 7 der Richtlinie sei ferner dahin zu verstehen, dass der<br />

Anspruch auf Jahresurlaub oder auf finanziellen Ersatz auch<br />

bei entschuldigtem Fehlen (wegen Krankheit) im gesamten<br />

Urlaubsjahr entstehe.<br />

b) Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt von der aufgeworfenen<br />

Rechtsfrage ab. Das Landesarbeitsgericht ist auf der<br />

Gr<strong>und</strong>lage der ständigen Senatsrechtsprechung von einem<br />

Verfall des Urlaubsabgeltungsanspruchs mit dem Ende des<br />

Übertragungszeitraums ausgegangen.<br />

■ B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />

vom 15. April 2008, 9 AZN 1413/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. jur. Jürgen Höser, Kölner<br />

Straße 2, 50226 Frechen, Tel.: 02234/1820-0,<br />

Fax: 02234/182010<br />

pohl@hdup.de; www.hdup.de<br />

147. Urlaubsabgeltung, Definition der Arbeits-/Urlaubsfähigkeit,<br />

Fortsetzungserkrankung, Darlegungs- <strong>und</strong> Beweislast<br />

Aus den Gründen: ...<br />

Dem Kläger steht der Urlaubsabgeltungsanspruch nicht zu.<br />

Hierfür sind folgende Erwägungen maßgeblich: Mit der Beendigung<br />

des Arbeitsverhältnisses wandelt sich der noch bestehende<br />

<strong>und</strong> nicht erfüllte Urlaubsanspruch, ohne dass es<br />

dafür weiterer Handlungen des Arbeitgebers oder Arbeitnehmers<br />

bedarf, von Gesetzes wegen in einen Abgeltungsanspruch<br />

um. Der Abgeltungsanspruch entsteht nach ständiger<br />

Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts (BAGE 81, 339 =<br />

AP Nr. 70 zu § 7 BUrIG Abgeltung, m.w.N.) als Ersatz für die<br />

wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr mögliche<br />

Befreiung von der Arbeitspflicht. Er entsteht nicht als<br />

Abfindungsanspruch, für den es als einfachen Geldanspruch<br />

auf die urlaubsrechtlichen Merkmale wie Bestand <strong>und</strong> Erfüllbarkeit<br />

nicht ankäme. Abgesehen von der Beendigung des<br />

Arbeitsverhältnisses ist der Abgeltungsanspruch daher als Ersatz<br />

für den Urlaubsanspruch an die gleichen Voraussetzungen<br />

geb<strong>und</strong>en wie der Urlaubsanspruch. Er setzt somit voraus,<br />

dass der Urlaubsanspruch noch erfüllt werden könnte,<br />

wenn das Arbeitsverhältnis weiter bestünde (BAG, Urteil vom<br />

05.12.1995 – 9 AZR 871/94 – BAGE 81, 339 = AP Nr. 70 zu § 7<br />

BUrlG Abgeltung). Die Erfüllbarkeit des den Urlaubsanspruch<br />

ersetzenden Abgeltungsanspruchs setzt die Arbeitsfähigkeit<br />

des Arbeitnehmers voraus. Wer arbeitsunfähig erkrankt ist,<br />

kann durch Urlaubserteilung von seiner Arbeitspflicht nicht<br />

mehr befreit werden (ständige Rechtsprechung des BAG, Ur-<br />

176 03/08<br />

teil vom 08.02.1994 – 9 AZR 332/92 – AP Nr. 17 zu § 47 BAT,<br />

m.w.N). Die Darlegungs- <strong>und</strong> Beweislast für die Arbeitsfähigkeit<br />

<strong>und</strong> damit für die Erfüllbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs<br />

trägt dabei der Arbeitnehmer (vgl. BAG, Urteil vom<br />

20.01.1998 – 9 AZR 812/96 – AP Nr. 45 zu § 13 BUrlG). Der<br />

Kläger ist im Streitfall beweisfällig dafür geb<strong>liebe</strong>n, dass er<br />

im Übertragungszeitraum nach § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG bis<br />

zum 31. März 2005 im Umfang der beanspruchten 27 Urlaubstage<br />

wieder arbeitsfähig war. Der behandelnde Arzt des<br />

Kläger hat nämlich im Rahmen seiner schriftlichen Zeugenaussage<br />

darauf verwiesen, dass die Arbeitsfähigkeit des Klägers<br />

unter den Einschränkungen bestand, die in einem Attest<br />

für das Arbeitsamt vom 09. Januar 2005 bescheinigt wurden.<br />

Danach sind dem Kläger keine Tätigkeiten mit Arbeitszeiten<br />

über 8 St<strong>und</strong>en täglich, keine Nacht- <strong>und</strong> Wechselschicht,<br />

kein schweres Heben <strong>und</strong> Tragen, kein Arbeiten in Zwangshaltungen<br />

des Achsenskeletts <strong>und</strong> Bewegungsapparats, keine<br />

Arbeiten in Nässe, Kälte <strong>und</strong> Zugluft sowie unter Zeitdruck<br />

aus ges<strong>und</strong>heitlichen Gründen möglich. Das Attest geht davon<br />

aus, dass der Kläger aus ges<strong>und</strong>heitlichen Gründen seine<br />

bisherige Tätigkeit nicht mehr ausüben kann. Nach diesem<br />

Attest des behandelnden Arztes des Klägers kann dieser also<br />

die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung eines Kraftfahrers<br />

nicht mehr erbringen. Die Versetzungsklausel in § 3<br />

des schriftlichen Arbeitsvertrages der Parteien führt zu keiner<br />

anderen Wertung. Richtig ist zwar, dass nach der Vertragslage<br />

der Beklagte dem Kläger einen „anderen Verantwortungsbereich<br />

innerhalb des Hauses oder eine andere zumutbare Tätigkeit“<br />

zuweisen könnte. Soweit es sich dabei um eine Bürotätigkeit<br />

handeln würde, wäre der Kläger auch nach dem Attest<br />

für diese Tätigkeit arbeitsfähig. Der Beklagte hat aber keine<br />

Büroarbeitsplätze. Auch andere Arbeitsplätze, die der Kläger<br />

mit den im Attest bescheinigten Einschränkungen ausüben<br />

könnte, gibt es beim Beklagten nicht. Da sich eine arbeitsvertragliche<br />

Versetzungsklausel nur auf die im Betrieb vorhandenen<br />

Arbeitsplätze beziehen kann, bleibt es dabei, dass der<br />

Kläger auch unter Berücksichtigung des erweiterten Direktionsrechts<br />

des Beklagten für die arbeitsvertraglich geschuldete<br />

Tätigkeit arbeitsunfähig krank ist.<br />

Dem Kläger steht demgegenüber jedoch der Entgeltfortzahlungsanspruch<br />

... gem. §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 EFZG zu. ...<br />

Eine wiederholte Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit<br />

<strong>und</strong> damit eine Fortsetzungserkrankung liegt vor, wenn<br />

die Krankheit, auf der die frühere Arbeitsunfähigkeit beruhte,<br />

in der zwischen dem Ende der vorausgegangenen<br />

<strong>und</strong> dem Beginn der neuen Arbeitsunfähigkeit medizinisch<br />

nicht vollständig ausgeheilt war, sondern als Gr<strong>und</strong>leiden<br />

latent weiter bestanden hat, so dass die neue Erkrankung<br />

nur eine Fortsetzung der früheren Erkrankung darstellt Die<br />

wiederholte Arbeitsunfähigkeit muss auf demselben nicht<br />

behobenen Gr<strong>und</strong>leiden beruhen. Dieses kann verschiedene<br />

Krankheitssymptome zur Folge haben (vgl. BAG, Urteil vom<br />

14.11.1984 – 5 AZR 394/82 – BAGE 47, 195 = AP Nr. 61 zu<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 12 01.09.2008 13:16:52


§ 1 LFZG). Für das Bestehen einer Fortsetzungserkrankung<br />

nach § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG trifft nach o.g. Rechtsprechung<br />

des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts den Arbeitgeber die Beweislast,<br />

weil es sich hierbei um eine Ausnahmeregelung von dem<br />

allgemeinen Gr<strong>und</strong>satz der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall<br />

handelt (vgl. BAG, Urteil vom 04.12.1985 – 5 AZR<br />

656/84 – AP Nr. 42 zu § 63 HGB). Allerdings greifen nach der<br />

Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts auch insoweit die<br />

Gr<strong>und</strong>sätze der abgestuften Darlegungs- <strong>und</strong> Beweislast (vgl.<br />

BAG, Urteil vom 13.07.2005 – 5 AZR 389/04 – AP Nr. 25 zu § 3<br />

EFZG). ...<br />

Der Beklagte hat nicht bewiesen, dass zwischen der Nierenerkrankung<br />

<strong>und</strong> der Folgeerkrankung ein Fortsetzungszusammenhang<br />

bestand. Der Sachverständige ist eindeutig zu dem<br />

Ergebnis gekommen, dass bei dem Kläger die diagnostizierte<br />

Neurasthenie nicht vorlag. Die Ursachen für die depressive<br />

Episode des Klägers, die nach der Beurteilung des Gutachters<br />

den Kläger auch arbeitsunfähig machte, führt der Gutachter<br />

auf reaktiv situativ gegebenen Belastungsfaktoren durch<br />

einen Partnerverlust <strong>und</strong> Enttäuschung zwischen dem Kläger<br />

<strong>und</strong> dem Beklagten infolge der seitens des Beklagten .. erklärten<br />

Kündigung zurück. ...<br />

■ Hessisches Landesarbeitsgericht<br />

vom 20. Februar 2008, 6 Sa 859/06<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Hansjörg Berrisch, Frankfurter<br />

Str. 15, 35390 Giessen, Tel.: 0641/ 94848-0, Fax: 0641/94848-20<br />

info@linder-berrisch.de; www.linder-berrisch.de<br />

148. Verfallklausel, zweistufige, Unwirksamkeit der<br />

2. Stufe berührt 1. Stufe nicht<br />

Sachverhalt:<br />

Die Parteien hatten arbeitsvertraglich eine zweistufige Verfallklausel<br />

vereinbart. Der Kläger missachtete die wirksame 1.<br />

Stufe <strong>und</strong> hielt die Klausel insgesamt für unwirksam, weil die<br />

2. Stufe nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts<br />

zu kurz <strong>und</strong> damit unwirksam war. Dem folgte das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />

nicht.<br />

Aus den Gründen: ...<br />

3. Obwohl die zweite Stufe der Verfallklausel unwirksam ist,<br />

bleibt die Regelung zur ersten Stufe wirksam.<br />

a) Die Verfallklausel in Ziff. 17 Satz 2 des Arbeitsvertrages<br />

ist rechtsunwirksam. Nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts<br />

können zweistufige Ausschlussklauseln in Formulararbeitsverträgen<br />

vereinbart werden. Die Mindestfrist für<br />

die gerichtliche Geltendmachung der Ansprüche beträgt aber<br />

gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 BGB drei Monate<br />

(BAG, 25. Mai 2005 – 5 AZR 572/04 – BAGE 115, 19). Nach<br />

Ziff. 17 Satz 2 des Arbeitsvertrages verfällt der Anspruch bereits,<br />

wenn er nicht innerhalb eines Monats nach Ablehnung<br />

oder Ablauf der Erklärungsfrist von zwei Wochen nach der<br />

Geltendmachung gerichtlich geltend gemacht wird. Eine solche<br />

Klagefrist ist mit wesentlichen Gr<strong>und</strong>gedanken des gesetzlichen<br />

Verjährungsrechts nicht vereinbar <strong>und</strong> benachtei-<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

ligt den Kläger entgegen den Geboten von Treu <strong>und</strong> Glauben<br />

unangemessen. Die Unwirksamkeit der zweiten Stufe der Ausschlussklausel<br />

führt nach § 306 Abs. 1 <strong>und</strong> 2 BGB zu ihrem ersatzlosen<br />

Wegfall bei Aufrechterhaltung des Arbeitsvertrages<br />

im Übrigen (BAG, 25. Mai 2005 -5 AZR 572/04 – a.a.O.).<br />

b) Damit wird aber nicht die gesamte Verfallklausel in<br />

Ziff. 17 des Arbeitsvertrages unwirksam. Diese ist teilbar.<br />

aa) Zweistufige Ausschlussfristen können geteilt werden<br />

(BAG, 25. Mai 2005 -5 AZR 572/04 – BAGE 115, 19; ErfK/Preis,<br />

8. Aufl., §§ 305-310 BGB, Rn 103; Dorndorf/Bonin, in: Däubler/Dorndorf/Bonin/Deinert,<br />

AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, 2.<br />

Aufl., § 306 Rn 12a; Preis/Roloff, RdA 2005, 144, 158).<br />

bb) § 306 Abs. 1 BGB enthält eine kodifizierte Abweichung<br />

von der Auslegungsregel des § 139 BGB <strong>und</strong> bestimmt, dass<br />

bei Teilnichtigkeit gr<strong>und</strong>sätzlich der Vertrag im Übrigen aufrechterhalten<br />

bleibt. Dieser Gr<strong>und</strong>satz gilt im Arbeitsrecht ohnehin<br />

allgemein (ErfK/Preis, § 611 BGB, Rn 342 m.w.N.). Soweit<br />

die Klausel nicht teilbar ist, tritt an ihre Stelle nach § 306 Abs. 2<br />

BGB das Gesetz.<br />

Die Teilbarkeit der Klausel ist mittels einer Streichung des<br />

unwirksamen Teils mit einem „blauen Stift“ zu ermitteln (bluepencil-test;<br />

BAG, 21. April 2005 – 8 AZR 425/04 – AP BGB § 307<br />

Nr. 3 – EzA BGB 2002 § 309 Nr. 3). Ist die verbleibende Regelung<br />

weiterhin verständlich, bleibt sie bestehen. Maßgeblich<br />

ist, ob sie mehrere sachliche Regelungen enthält (BAG,11.<br />

April 2006 – 9 AZR 610/05 – BAGE 118, 36) <strong>und</strong> der unzulässige<br />

Teil sprachlich eindeutig abtrennbar ist. Gegenstand der<br />

Inhaltskontrolle sind dann für sich jeweils verschiedene, nur<br />

formal verb<strong>und</strong>ene AGB-Bestimmungen.<br />

cc) Die erste <strong>und</strong> die zweite Stufe der Ausschlussklausel<br />

in Ziff. 17 des Arbeitsvertrages sind inhaltlich getrennt. Dies<br />

kommt sprachlich darin zum Ausdruck, dass beide Stufen in<br />

getrennten Sätzen geregelt sind. Ziff. 17 Satz 1 des Arbeitsvertrages<br />

enthält eine eigenständige sachliche Regelung. Er<br />

verlangt von den Arbeitsvertragsparteien, bestimmte Ansprüche<br />

innerhalb von drei Monaten gegenüber der anderen Vertragspartei<br />

schriftlich zu erheben, anderenfalls verfallen die<br />

Ansprüche. Dagegen enthält Ziff. 17 Satz 2 des Arbeitsvertrages<br />

eine andere abschließende sachliche Regelung. Er verlangt<br />

nach Abschluss der ersten Stufe innerhalb einer weiteren<br />

Frist die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs,<br />

anderenfalls verfallen die Ansprüche wiederum. Dieser Teil<br />

der Ziff. 17 kann problemlos vollständig gestrichen werden.<br />

Dabei bleibt Ziff. 17 Satz 1 des Arbeitsvertrages äußerlich <strong>und</strong><br />

inhaltlich unverändert <strong>und</strong> behält seine Selbständigkeit <strong>und</strong><br />

seinen spezifischen Zweck. Einstufige Ausschlussfristen sind<br />

in der Praxis des Arbeitslebens auch weit verbreitet <strong>und</strong> kommen<br />

häufig in Formulararbeitsverträgen vor.<br />

■ B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />

vom 12. März 2008, 10 AZR 152/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. jur. Jürgen Höser, Kölner<br />

Straße 2, 50226 Frechen, Tel.: 02234/1820-0,<br />

Fax: 02234/182010; pohl@hdup.de; www.hdup.de<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 13 01.09.2008 13:16:52<br />

177


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

149. Arbeitnehmerstatus, gewillkürter, Bindung des<br />

Arbeitgebers an Erklärungen gegenüber einer Behörde,<br />

Streitwert der Rechtswegbeschwerde<br />

Aus den Gründen: ...<br />

B. I. ... Die Gerichte für Arbeitssachen sind zuständig für<br />

bürgerliche Rechtstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern <strong>und</strong><br />

Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis (§§ 2 Abs. 1 Nr. 3<br />

Buchst. a, 5 ArbGG).<br />

Als Arbeitnehmer ist nicht nur der Tätige zu behandeln, der<br />

die objektiven Voraussetzungen des Arbeitnehmerbegriffs<br />

erfüllt. Den Parteien eines Rechtsverhältnisses, dessen Inhalt<br />

die Erbringung einer Dienstleistung ist, steht es vielmehr<br />

frei, dem Tätigen auch dann den Status eines Arbeitnehmers<br />

zuzuerkennen, wenn die objektiven Voraussetzungen eines<br />

Arbeitnehmers fehlen. Es gibt keinen Rechtsgr<strong>und</strong>satz, der es<br />

verbieten würde, einem Nicht-Arbeitnehmer den Status eines<br />

Arbeitnehmers zu gewähren. Soweit die Rechtsprechung<br />

Statusvereinbarungen verworfen hat, diente dies dem Schutz<br />

des Arbeitsnehmers vor Fluchtversuchen des Arbeitgebers<br />

aus dem Arbeitsrecht, das heißt, vor der Umgehung arbeitsrechtlicher<br />

Schutzvorschriften durch falsche Bezeichnungen.<br />

Es besteht aber kein Anlass für eine korrigierende Statuskontrolle,<br />

wenn das Arbeitsverhältnis in der Etikettierung<br />

gerade nicht gemieden, sondern gesucht wird. (LAG Köln<br />

AuR 96, 412 m.w.N.; BAG NZA 97,194, 196: „Haben die<br />

Parteien ... ein Arbeitsverhältnis vereinbart, so ist es auch<br />

als solches einzuordnen“; Stoffels, NZA 2000, 695).<br />

Ein Arbeitnehmer im Sinn des § 5 ArbGG ist auch dann anzunehmen,<br />

wenn ein Arbeitgeber erklärt, ein Mitarbeiter, der<br />

materiell-rechtlich kein Arbeitnehmer ist, sei bei ihm „angestellt“.<br />

Mit dieser Äußerung erklärt er, dass er den Mitarbeiter<br />

wie einen Arbeitnehmer behandeln will, ihm also den Arbeitnehmerstatus<br />

zuerkennen möchte <strong>und</strong> damit für Rechtstreitigkeiten<br />

die Gerichte für Arbeitssachen zuständig sein sollen.<br />

Der Gr<strong>und</strong>satz des Verbots widersprüchlicher Handlungen<br />

(§ 242 BGB) beherrscht auch das Prozessrecht. Der Anwendung<br />

dieses Gr<strong>und</strong>satzes für die Frage der Zulässigkeit des<br />

Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen stehen keine<br />

zwingenden gesetzlichen Regelungen entgegen, da eine Erweiterung<br />

der Zuständigkeit der Gericht für Arbeitssachen<br />

auch bei vertraglicher Zuerkennung des Status eines Arbeitnehmers<br />

an einen Nicht-Arbeitnehmer zulässig ist (siehe vorstehend<br />

unter 2).<br />

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte im Schreiben an die<br />

Regierung von Mittelfranken vom 10.08.2005 erklärt, der Kläger<br />

sei bei ihr „in hauptberuflicher Tätigkeit angestellt“. Damit<br />

hat sie bek<strong>und</strong>et, dass sie den Kläger als ihren Arbeitnehmer<br />

ansieht bzw. ihn jedenfalls wie einen solchen behandeln will.<br />

Auch wenn der Kläger materiell-rechtlich kein Arbeitnehmer<br />

ist – was offen bleiben kann –, muss sich die Beklagten ihre<br />

Erklärung vom 10.08.2005 entgegenhalten lassen, wie der Kläger<br />

zu Recht vorträgt. Auch in diesem Fall ist der Kläger als<br />

Arbeitnehmer im Sinn des § 5 ArbGG anzusehen.<br />

178 03/08<br />

Damit ist der Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg – jedenfalls<br />

im Ergebnis – nicht zu bestanden <strong>und</strong> die sofortige<br />

Beschwerde zurückzuweisen. ...<br />

D. Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß § 63 Abs. 2 GKG.<br />

Der Streitwert des Zwischenstreits über den zulässigen<br />

Rechtsweg entspricht – zumindest in der Rechtsmittelinstanz<br />

– nicht dem des Hauptsachewerts. Die Entscheidung<br />

über den richtigen Rechtsweg betrifft lediglich eine Prozessvoraussetzung.<br />

Über die Ansprüche des Klägers wird<br />

nicht entschieden, weshalb das Interesse des Klägers insoweit<br />

erheblich unterhalb des Hauptsacheinteresses liegt.<br />

Das Beschwerdegericht hält als Streitwert ein Drittel der<br />

Hauptsacheforderung für angemessen (Zöller-Herget, a.a.O.,<br />

Rn 16 zu § 3 „Rechtswegverweisung“).<br />

■ Landesarbeitsgericht Nürnberg<br />

vom 21. Dezember 2007, 7 Ta 208/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Volker Dahrmann, Adlerstraße<br />

23, 90403 Nürnberg; Tel.: 0911/23420-0, Fax: 0911/23420-10<br />

kontakt@recht-nbg.de; www.recht-nbg.de<br />

150. Abmahnung, Berechtigung, Betriebsbuße, Voraussetzungen,<br />

Mitwirkung des Betriebsrates bei der Verhängung<br />

im Einzelfall, Bekleidungsordnung<br />

Aus den Gründen:<br />

1. ... Soweit dem Arbeitnehmer eine Verletzung seiner<br />

arbeitsvertraglichen Pflichten vorgeworfen wird, kommt es<br />

nicht darauf an, ob dieser Pflichtenverstoß dem Arbeitnehmer<br />

subjektiv vorwerfbar ist; es reicht aus, wenn der Arbeitgeber<br />

einen objektiven Verstoß des Arbeitnehmers gegen die<br />

arbeitsvertraglichen Pflichten rügt. Eine solche Rüge ist nicht<br />

nur ungerechtfertigt, wenn sie unrichtige Tatsachenbehauptungen<br />

enthält, sondern auch dann, wenn sie auf einer<br />

unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des<br />

Arbeitnehmers beruht (vgl. zuletzt BAG, vom 11.12.2001 – 9<br />

AZR 964/00- Rn 21). ...<br />

a) Die Abmahnung enthält keine unrichtigen Tatsachen. Die<br />

Abmahnung enthält die Behauptung, der Geschäftsführer der<br />

Beklagten habe die Klägerin an ihrem Arbeitsplatz ohne einheitliche<br />

Arbeitskleidung gesehen. Dies ist zwischen den Parteien<br />

unstreitig. Streitig ist lediglich der Zeitraum, währenddessen<br />

die Klägerin keine Arbeitskleidung getragen hat.<br />

b) Die Beklagte ist auch befugt, dieses Verhalten der Klägerin<br />

als eine Verletzung der Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertrag<br />

abzumahnen. Die Beklagte hat mit dem in ihrem<br />

Betrieb gewählten Betriebsrat unter dem 16.08.2004 ihre<br />

Arbeitnehmer verpflichtet, eine einheitliche Arbeitskleidung<br />

zu tragen. Diese Betriebsvereinbarung gilt unmittelbar <strong>und</strong><br />

zwingend auch für das Arbeitsverhältnis der Parteien, § 77<br />

Abs. 3 BetrVG. Diese Betriebsvereinbarung verstößt auch nicht<br />

gegen höherrangiges Gesetzesrecht, beispielsweise das Persönlichkeitsrecht<br />

der Klägerin. Die Klägerin hat hierzu nichts<br />

vorgetragen. Durch das Gebot, während des Dienstes eine<br />

bestimmte Kleidung zu tragen, wird zwar in die allgemeine<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 14 01.09.2008 13:16:53


Handlungsfreiheit des Arbeitnehmers eingegriffen. Eine derartige<br />

Einschränkung kann jedoch zur Erreichung eines mit einer<br />

Betriebsvereinbarung verfolgten Zwecks geeignet sein (vgl.<br />

zuletzt BAG, vom 13.02.2007 – 1 ABR 18/06). Die Klägerin hat<br />

diesen Punkt nicht problematisiert; die Beklagte hat ebenso<br />

wenig hierzu etwas vorgetragen. Die Kammer geht davon aus,<br />

dass die Kleiderordnung den Zweck verfolgt, in den Entleiherbetrieben<br />

zwischen den „eigenen Arbeitnehmern“ <strong>und</strong> den<br />

Leiharbeitnehmern rasch differenzieren zu können.<br />

c) Die Klägerin hat eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung<br />

begangen, indem sie jedenfalls für einen kurzen Zeitraum die<br />

Arbeitskleidung nicht getragen hat.<br />

Die Gründe, aus denen die Klägerin die Arbeitskleidung nicht<br />

getragen hat, sind nach der eben zitierten Rechtssprechung<br />

des BAG unerheblich. Es kommt nicht darauf an, ob der Pflichtenverstoß<br />

dem Arbeitnehmer subjektiv vorwerfbar ist bzw.<br />

ob die Klägerin im vorliegenden Fall für das zeitweilige Nichtragen<br />

der Arbeitskleidung einen Entschuldigungsgr<strong>und</strong> hat<br />

(Verschmutzung waschen <strong>und</strong> anschließendes Trocknen). Es<br />

reicht aus, wenn der Arbeitgeber einen objektiven Verstoß des<br />

Arbeitnehmers gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten rügt.<br />

d) Die Abmahnung verstößt schließlich nicht gegen den<br />

Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismäßigkeit. Die Klägerin hat einen<br />

nicht völlig unbedeutenden Zeitraum lang am 20.12.2007 die<br />

Arbeitskleidung im Entleiherbetrieb nicht getragen. ...<br />

2. Dagegen hat die Klägerin einen Anspruch darauf, dass ihr<br />

die in der Lohnabrechnung 12.2007 einbehaltenen 100,00 €<br />

netto ausgezahlt werden.<br />

Auf Verstöße des Arbeitnehmers gegen seine arbeitsvertraglichen<br />

Pflichten kann der Arbeitgeber mit individualrechtlichen<br />

Mitteln, bspw. einer Abmahnung, einer Versetzung, einer<br />

Kündigung oder einer vereinbarten Vertragsstrafe reagieren.<br />

Hinsichtlich solcher Maßnahmen ist der Betriebsrat nur<br />

nach §§ 99 bzw. 102 BetrVG zu beteiligen, wobei es nach der<br />

Rechtssprechung des BAG unerheblich ist, ob die gerügten<br />

Verstöße solche gegen die kollektive betriebliche Ordnung<br />

oder solche gegen Anordnungen hinsichtlich des Arbeitsverhaltens<br />

sind.<br />

Sanktionen für Verstöße des Arbeitnehmers gegenüber seinen<br />

vertraglichen Verpflichtungen, die über die individualrechtlichen<br />

Möglichkeiten des Arbeitgebers hinausgehen, sind nur<br />

als Betriebsbußen möglich. Betriebsbußen können nur aufgr<strong>und</strong><br />

einer zwischen den Betriebspartnern vereinbarten Betriebsbußenordnung<br />

<strong>und</strong> nur für Verstöße gegen die Regeln<br />

über das Ordnungsverhalten verhängt werden. ...<br />

aa.) Im vorliegenden Fall haben die Betriebsparteien durch<br />

die ergänzende Betriebsvereinbarung vom 01.10.2007 beabsichtigt,<br />

die Betriebsvereinbarung aus dem Jahre 2004 zum<br />

Tragen von Arbeitskleidung innerbetrieblich durchzusetzen.<br />

Zu diesem Zweck haben sich die Betriebsparteien darauf geeignet,<br />

dass bei einem festgestellten Verstoß „für den gesamten<br />

betreffenden Monat, in dem die Arbeitskleidung nicht getragen<br />

wurde, keine übertarifliche Zulage gezahlt wird. Inso-<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

weit wird die übertarifliche Zulage widerrufen“. Darin ist eine<br />

zwischen den Betriebsparteien vereinbarte „Bußordnung“ zu<br />

erkennen.<br />

Die arbeitsvertragliche Pflichtverletzung <strong>und</strong> die in Rede stehende<br />

finanzielle Buße werden in dieser Betriebsvereinbarung<br />

deutlich benannt.<br />

Die Betriebsbußenordnung entspricht den formellen Anforderungen<br />

des § 77 Abs. 2 BetrVG.<br />

bb.) Weitere Voraussetzungen für die Verhängung der Betriebsbuße<br />

ist die Mitbestimmung des Betriebsrats nicht nur<br />

bei der Aufstellung der Bußordnung als solche, sondern auch<br />

bei der Verhängung der Buße im Einzelfall (so schon BAG, vom<br />

05.12.1975 unter Verweis auf die vorherige Rechtssprechung<br />

zu § 56 Abs. 1 f. BetrVG 1952 in den Entscheidungen vom<br />

14.12.1966 – 4 AZR 18/65 (AP Nr. 27 zu § 59 BetrVG) sowie<br />

vom 12.09.1967 – 1 AZR 34/66 - (AP Nr. 1 zu § 56 BetrVG<br />

Betriebsbuße) sowie zuletzt BAG, vom 17.10.1989 – 1 ABR<br />

100/88 – (dort unter Rn 29 m.w.N. der bisherigen Rechtssprechung);<br />

diesem folgend HaKo-BetrVG/ Kohte, § 87 Rn 39; ErfK-<br />

Kanja, § 87 Rn 82 sowie Fitting, § 87 Rn 81). Im vorliegenden<br />

Fall hat der im Betrieb der Beklagten gewählte Betriebsrat<br />

bei der Verhängung der Betriebsbuße im konkreten Einzelfall<br />

der Klägerin, dass heißt bei dem Widerruf der übertariflichen<br />

Zulage für den Monat Dezember 2007, nicht mitbestimmt.<br />

■ Arbeitsgericht Bielefeld<br />

vom 2. April 2008, 3 Ca 148/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. jur. Heinrich Gussen, Rietberger<br />

Straße 2, 33378 Rheda-Wiedenbrück,<br />

Tel.: 05242/9204-0, Fax: 05242/9204-48<br />

rechtsanwaelte@pgwc.de; www.pgwc.de<br />

151. Betriebliche Altersversorgung, Anpassung nach § 16<br />

Abs. 1 BetrAVG, zeitlicher Anwendungsbereich <strong>und</strong> Vorgaben<br />

des § 16 Abs. 3 Nr. 1 (1%-Regelung), Bemessungszeit<br />

Tatbestand:<br />

Die Parteien streiten um die Höhe der Anpassung einer betrieblichen<br />

Altersrente.<br />

Die Beklagte unterhält ein weltweit tätiges Ingenieurunternehmen,<br />

das Chemie-, Raffinerie- <strong>und</strong> anderen Industrieanlagen<br />

plant <strong>und</strong> baut. ...<br />

Der am 13.09.1938 geborene Kläger trat am 01.07.1966<br />

auf der Gr<strong>und</strong>lage eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom<br />

01.03.1966 als Ingenieur in die Dienste der Beklagten. ... Der<br />

Kläger schied zum 30.09.1998 aus dem Arbeitsverhältnis<br />

mit der Beklagten aus <strong>und</strong> bezog ab dem 01.10.1998 eine<br />

betriebliche Altersversorgung. ... Diese Altersrente wurde<br />

von der Beklagten am 01.01.2001 um 2,68%, ... am 01.10.2004<br />

um 3,57% ... <strong>und</strong> am 01.01.2007 um 3% ... erhöht.<br />

Gegen die Anpassungsentscheidung vom 01.01.2007 wehrt<br />

sich der Kläger mit der vorliegenden Klage. Der Kläger hält<br />

eine Anpassung seiner Betriebsrente um 3% nicht für aus-<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 15 01.09.2008 13:16:53<br />

179


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

reichend <strong>und</strong> verlangt die Zahlung einer höheren Rente seit<br />

Januar 2007. ...<br />

Entscheidungsgründe: ...<br />

Gemäß § 16 BetrAVG hat der Arbeitgeber alle drei Jahre eine<br />

Anpassung der laufenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung<br />

zu prüfen <strong>und</strong> hierüber nach billigem Ermessen<br />

zu entscheiden; dabei sind insbesondere die Belange des<br />

Versorgungsempfängers <strong>und</strong> die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers<br />

zu berücksichtigen. Die Entscheidung des Arbeitgebers<br />

kann in entsprechender Anwendung des § 315 Abs. 3<br />

BGB durch die Gerichte überprüft werden. Bei der Ausübung<br />

seines billigen Ermessens muss der Arbeitgeber nach § 16<br />

BetrAVG die Belange der Versorgungsberechtigten einerseits<br />

<strong>und</strong> seiner eigenen wirtschaftlichen Lage andererseits beachten<br />

(BAG, v. 17.10.1995 – 3 AZR 881/94).<br />

1.) Die Belange des Betriebsrentners werden durch den Anpassungsbedarf<br />

bestimmt. Er ergibt sich aus dem im Anpassungszeitraum<br />

eingetretenen Kaufkraftverlust. Hierbei ist der<br />

vom Rentenbeginn bis zum Anpassungsstichtag eingetretene<br />

Kaufkraftverlust entscheidend (BAG, vom 21.08.2007 –3AZR<br />

330/06; BAG, vom 30.08.2005, 3 AZR 395/04). Die Belange<br />

des Betriebsrentners sind erfüllt, wenn entweder der seit seinem<br />

Eintritt in den Ruhestand eingetretene Kaufkraftverlust<br />

ausgeglichen oder die Versorgungsleistung entsprechend der<br />

Nettolohnentwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer des Unternehmens<br />

angepasst wird.<br />

Den Belangen der Betriebsrentner kann der Arbeitgeber<br />

Gesichtspunkte entgegensetzen, die sich aus seiner eigenen<br />

wirtschaftlichen Lage ergeben. Die Beklagte verweist<br />

hier allerdings darauf, dass der Gesetzeswortlaut des § 16<br />

Abs. 1 BetrAVG auf einen nicht abschließenden Charakter<br />

der angegebenen Kriterien hindeutet, da die Belange des<br />

Versorgungsempfängers <strong>und</strong> die wirtschaftliche Lage des<br />

Arbeitsgebers im Rahmen der Ermessensentscheidung „insbesondere“<br />

zu berücksichtigen sind. Aus dem Normzweck,<br />

der einerseits primär auf den Teuerungsausgleich gerichtet<br />

ist <strong>und</strong> andererseits die weitere Ausbreitung der betrieblichen<br />

Altersversorgung nicht hindern soll, ist allerdings zu schließen,<br />

dass Drittinteressen nicht in die Abwägung einzubeziehen<br />

sind (so: Blomeyer/Rolfs/Otto, Betriebsrentengesetz, 4. Auflage,<br />

§ 16 Rn 128). Nach den gesetzlichen Vorschriften sind aber<br />

der sich aus der Teuerung ergebende Anpassungsbedarf<br />

des Betriebsrentners <strong>und</strong> die wirtschaftlichen Belange des<br />

Arbeitgebers die wesentlichen Parameter, an denen sich die<br />

Ermessensentscheidung des Arbeitgebers auszurichten hat.<br />

Soweit ferner gem. § 16 Abs. 2 Nr. 2 BetrAVG eine Anpassung<br />

die Nettolohnzuwächse vergleichbarer Arbeitnehmergruppen<br />

des Unternehmens im Prüfungszeitraum nicht zu übersteigen<br />

braucht, wird berücksichtigt, dass die Versorgungsberechtigten<br />

kein schützenswertes Vertrauen in eine über der<br />

Lohnentwicklung im Unternehmen liegende Steigerung der<br />

Versorgungsleistung haben (Blomeyer/Rolfs/Otto, a.a.O., § 16<br />

Rn 128).<br />

180 03/08<br />

2.) Die Beklagte hat im vorliegenden Fall bei ihrer Anpassungsprüfung<br />

weder die durch die konkrete Teuerungsrate im<br />

Prüfungszeitraum geprägten Belange der Versorgungsempfänger<br />

berücksichtigt, noch auf ihre eigene wirtschaftliche<br />

Lage Bezug genommen. Vielmehr macht sie geltend, durch<br />

ihre Zusage, auch bei den nächsten beiden Anpassungsterminen<br />

die Betriebsrenten jeweils um 3% zu erhöhen, die Interessen<br />

der Betriebsrentner hinreichend berücksichtigt zu haben.<br />

Dem kann die Kammer allerdings nicht folgen. Die Kammer ist<br />

nicht der Auffassung, dass die Anpassungsentscheidung der<br />

Beklagten billigem Ermessen entspricht.<br />

a.) Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass der Gesetzgeber<br />

nunmehr in § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG eine gesetzliche<br />

Regelung geschaffen hat, nach welcher die Verpflichtung,<br />

eine Anpassung der Betriebsrenten nach billigem Ermessen<br />

vorzunehmen entfällt, wenn der Arbeitgeber sich verpflichtet,<br />

die laufenden Leistungen jährlich um wenigstens 1% anzupassen.<br />

Zum einen gilt diese Regelung nach der Übergangsregelung<br />

des § 30c Abs. 1 BetrAVG nur für Versorgungszusagen,<br />

die nach dem 31.12.1998 erteilt wurden; die Versorgungszusage<br />

des Klägers wurde wesentlich früher erteilt. Dem Arbeitgeber<br />

ist hier für Versorgungszusagen ab 1999 in § 16 Abs. 3<br />

BetrAVG die Möglichkeit eröffnet worden, sich von der Anpassungsprüfungspflicht<br />

insgesamt zu befreien. Durch die Lockerung<br />

der Verpflichtungen der Arbeitgeber sollten weitere Anreize<br />

zur Beibehaltung oder zu Einrichtung betrieblicher Versorgungssysteme<br />

gegeben werden (vgl. Blomeyer/Rolfs/Otto,<br />

a.a.O., § 16 Rn 295).<br />

Damit hat der Gesetzgeber zugunsten der Arbeitgeber eine<br />

Ausnahme von der gr<strong>und</strong>sätzlich bestehenden Pflicht zu Ausübung<br />

des billigen Ermessens im Rahmen der wirtschaftlichen<br />

Möglichkeiten eines einzelnen Unternehmens gemäß § 16<br />

Abs. 1 BetrAVG geschaffen. Der Gesetzgeber hat aber nicht<br />

die Vermutung aufgestellt, dass ein Vorgehen gemäß § 16<br />

Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG jedenfalls billigem Ermessen entspreche.<br />

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass sich die Beklagte bei<br />

ihrer Zusage keineswegs im Rahmen des § 16 Abs. 3 Nr. 1<br />

BetrAVG gehalten hat. Nach dieser Vorschrift muss sich der<br />

Arbeitgeber auf Dauer verpflichten, jährlich eine 1%ige Anpassung<br />

vorzunehmen. Dies hat die Beklagte keineswegs zugesagt.<br />

Die Beklagte will vielmehr die Versorgungsleistungen<br />

ihrer Betriebsrentner nur alle 3 Jahre um 3% anheben, womit<br />

in den vorhergehenden 2 Jahren jeweils der Teuerungsausgleich<br />

unterbleibt. Die Beklagte hat auch keine entsprechende<br />

Anpassung auf Dauer garantiert, sondern nur für die nächsten<br />

2 Anpassungsprüfungstermine. Auch aus diesem Gr<strong>und</strong> kann<br />

eine Vermutung, dass die Entscheidung der Beklagten billigem<br />

Ermessen entspricht, nicht aus der Regelung des § 16<br />

Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG hergeleitet werden.<br />

Die vorgesehene Regelung berücksichtigt im Wesentlichen<br />

die Interessen der Beklagten, weil sie den Teuerungsausgleich<br />

auf einer niedrigen Inflationsrate festschreibt <strong>und</strong> das Risiko<br />

künftiger höherer Inflationsraten allein dem Arbeitnehmer<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 16 01.09.2008 13:16:53


auferlegt. Ein angemessener Interessenausgleich kann hierin<br />

nicht gesehen werden.<br />

b.) Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass<br />

die von ihr getroffenen Anpassungsentscheidung in Hinblick<br />

auf § 16 Abs. 2 Nr. 2 BetrAVG billigem Ermessen entspricht.<br />

Die Beklagte meint, dies könne angenommen werden, weil<br />

das verfügbare Nettoeinkommen vergleichbarer aktiver Arbeitnehmer<br />

des Unternehmens tatsächlich geringer sei, als die<br />

gesetzlichen Nettolöhne, weil jüngeren Arbeitnehmer zunehmend<br />

höhere Aufwendungen für ihre private Altersversorge<br />

zu treffen hätten.<br />

Die Kammer verkennt nicht, dass hier ein soziales Problem<br />

angesprochen ist, welchem sich der Gesetzgeber möglicherweise<br />

anzunehmen hätte. Die Tatsache, dass generell derzeit<br />

noch aktive, jüngere Arbeitnehmer höhere Aufwendungen<br />

machen müssten, um sich eine angemessene Altersversorgung<br />

zu sichern, kann jedoch nicht dazu führen, dass die Beklagte<br />

ohne Rücksicht auf die konkreten Nettolohnerhöhungen<br />

der bei ihr beschäftigten vergleichbaren Arbeitnehmer im<br />

Prüfungszeitraum die in dieser Zeit angefallene Teuerung bei<br />

ihren Rentnern nicht auszugleichen braucht.<br />

Die Kammer ist nicht der Auffassung, dass durch richterrechtliche<br />

Rechtsfortbildung auch die Aufwendungen einer privaten<br />

Altersvorsorge im Rahmen der Ermittlung der Nettolöhne<br />

vergleichbarer Arbeitnehmergruppen gemäß § 16 Abs. 2 Nr. 2<br />

BetrAVG zu berücksichtigen sind; aufgr<strong>und</strong> gesetzlicher Vorschriften<br />

ist eindeutig festgelegt, was „Nettolöhne“ sind. Hiervon<br />

ist der Gesetzgeber bei der Regelung des § 16 Abs. 2 Nr. 2<br />

BetrAVG ausgegangen <strong>und</strong> hiervon hat auch die Rechtsprechung<br />

auszugehen. Etwas anderes kann auch nicht deswegen<br />

angenommen werden, weil das BAG in einer Entscheidung<br />

vom 23.05.2000 (3 AZR 103/99) den Wegfall der Berlinzulage<br />

bei der Ermittlung der Reallohn bezogenen Obergrenze<br />

berücksichtigt hat. Bei dieser Berlinzulage handelte es sich<br />

um einen klar feststehenden Betrag, welcher die ausgezahlte<br />

Nettovergütung auch dann beeinflusste, wenn letztlich dieser<br />

Betrag nicht vom Arbeitgeber zu zahlen war.<br />

Der Betrag, der von jüngeren Arbeitnehmern für eine private<br />

Altersvorsorge anzulegen ist, kann dagegen nicht eindeutig<br />

festgelegt werden. Es bleibt letztlich auch jedem Einzelnen<br />

überlassen, ob er den entsprechenden Teil des verfügbaren<br />

Nettoeinkommens für eine Altersvorsorge einsetzt oder nicht.<br />

Angesichts dieser tatsächlichen Unsicherheiten kann derzeit<br />

der Gesichtspunkt der Notwendigkeit einer privaten Altersvorsorge<br />

bei der Ermittlung der vergleichbaren Nettolöhne<br />

gemäß § 16 Abs. 2 Nr. 2 BetrAVG keine Rolle spielen.<br />

Nach alledem ging das Gericht davon aus, dass von Seiten<br />

des Arbeitgebers keine der Billigkeit entsprechende Ermessensentscheidung<br />

getroffen worden war.<br />

3.) Das Gericht geht davon aus, dass eine der Billigkeit<br />

entsprechende Ermessungsentscheidung den vollen Kaufkraftverlust<br />

auszugleichen hatte. Denn die Beklagte hat<br />

nicht vorgetragen, dass ihre wirtschaftliche Lage den vollen<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

Teuerungsausgleich nicht zulässt oder dass die Nettolöhne<br />

vergleichbarer Arbeitnehmergruppen im Prüfungszeitraum<br />

nicht entsprechend der in dieser Zeit angefallenen Teuerungsrate<br />

gestiegen sind.<br />

Der Anpassungsbedarf richtete sich dabei nicht nur nach dem<br />

in den letzten 3 Jahren eingetretenen Kaufkraftverlust. Da die<br />

„Belange der Versorgungsberechtigten“ in der Wiederherstellung<br />

des ursprünglich vorausgesetzten Verhältnisses von Leistung<br />

<strong>und</strong> Gegenleistung bestehen, ist der volle Anpassungsbedarf<br />

zu ermitteln. Er besteht in der seit Rentenbeginn eingetretenen<br />

Teuerung, soweit sie nicht durch vorhergehende Anpassungen<br />

ausgeglichen wurde. Der für die Belange der Versorgungsempfänger<br />

maßgebliche Prüfungszeitraum beginnt<br />

mit dem Eintritt in den Ruhestand, hier mit dem 01.10.1998,<br />

<strong>und</strong> endet unmittelbar vor dem Anpassungsstichtag, im vorliegenden<br />

Falle am 31.12.2006 (vgl. BAG, vom 30.08.2005 – 3<br />

AZR 395/04, BAG, vom 21.08.2007 – 3 AZR 330/06).<br />

Die Beklagte kann sich für die Berechnung des Anpassungsbedarfs<br />

auch nicht darauf berufen, dass bei ihr die Anpassungsprüfungen<br />

jeweils im September vorgenommen werden.<br />

Denn der maßgebliche Prüfungszeitraum endet unmittelbar<br />

vor dem Anpassungsstichtag (BAG, vom 30.08.2005 –3AZR<br />

395/04). Das heißt, dass die Anpassung unmittelbar nach der<br />

Prüfung des Anpassungsbedarfs erfolgen muss. Die Beklagte<br />

hat hier unstreitig jedoch die Betriebsrenten jeweils erst zum<br />

01.01. des jeweils betreffenden Anpassungsjahres erhöht. Die<br />

Beklagte muss dann auch die gesamte Teuerung in dem<br />

Prüfungszeitraum jeweils bis zum 31.12. des vorhergehenden<br />

Jahres ihrer Anpassungsentscheidung zugr<strong>und</strong>e legen.<br />

Für den hier maßgeblichen Prüfungszeitraum vom 01.10.1998<br />

bis zum 31.12.2006 ergab sich für den Kläger folgender Anpassungsbedarf:<br />

Bei Zugr<strong>und</strong>elegung des Preisindexes für die Lebenshaltung<br />

von Vier-Personen-Haushalten von Arbeitern <strong>und</strong> Angestellten<br />

mit mittlerem Einkommen für die Zeit vom 01.10.1998<br />

bis zum 12.02.2002 ergab sich für diesen Zeitraum bei einer<br />

Indexzahl von 104,1 für September 1998 <strong>und</strong> 110,4 für Dezember<br />

2002 für den genannten Zeitraum eine Teuerungsrate<br />

von 6,05% (110,4 – 104,1 = 6,3; 6,3 x 100 : 104,1 = 6,05). Für<br />

den Zeitraum von Januar 2003 – Dezember 2006 ergab sich<br />

bei einem Teuerungsindex nach dem Verbraucherpreisindex<br />

für Deutschland bei einer Indexzahl von 104 für Januar 2003<br />

<strong>und</strong> einer Indexzahl von 111,1 für Dezember 2006 eine Teuerungsrate<br />

von 6,82% (111,1 – 104 = 7,1; 7,1 x 100 : 104= 6,82).<br />

Bei einer Addition beider Teuerungsraten ergibt sich für den<br />

gesamten Prüfungszeitraum eine Teuerungsrate von 12,87%.<br />

Dass für die Zeiträume vor <strong>und</strong> nach dem 01.01.2003 verschiedene<br />

Preisindizes maßgeblich sind, ergibt sich aus dem<br />

Wortlaut von § 30c Abs. 4 BetrAVG, da dort ausdrücklich auf<br />

„Zeiträume“ abgestellt ist (LAG München vom 28.02.2007 –<br />

5 Sa 879/06).<br />

Bei einer Erhöhung der ursprünglichen Rente von 3.021,77<br />

EUR um 12,87% (388,90 EUR) ergibt sich nunmehr ein Ren-<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 17 01.09.2008 13:16:53<br />

181


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

tenbetrag in Höhe von 3.410,67 EUR <strong>und</strong> für die vergangenen<br />

Zeiträume ab Januar 2007 ein Nachzahlungsbetrag in Höhe<br />

von 100,74 EUR monatlich.<br />

In diesem Umfang war der Klage stattzugeben.<br />

■ Arbeitsgericht Dortm<strong>und</strong><br />

vom 22. April 2008, 7 Ca 5877/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Peer Jenssen, Westwall 122,<br />

47798 Krefeld, Tel.: 02151/771006, Fax: 02151/771009<br />

Dr.Langels@t-online.de<br />

152. Arbeitszeitreduzierung, Kosten als berechtigtes betriebliches<br />

Interesse, Sowieso-Kosten<br />

Sachverhalt:<br />

Die Klägerin war langjährig in Elternzeit. Bei Wiederaufnahme<br />

der Tätigkeit waren Schulungskosten von EUR 14.000,00 erforderlich,<br />

die die Beklagte auch tragen wollte. Ab ihrer Rückkehr<br />

forderte die Klägerin eine Halbierung der Arbeitszeit. Die Beklagte<br />

hielt das in Anbetracht der Rückkehrkosten für nicht<br />

interessengerecht.<br />

Aus den Gründen:<br />

II. ... Jeder Arbeitnehmer hat, soweit die allgemeinen<br />

Voraussetzungen des § 8 TzBfG vorliegen <strong>und</strong> der Arbeitgeber<br />

seine Ablehnung nicht auf entgegenstehende betriebliche<br />

Gründe (§ 8 Abs. 4 Satz 1 <strong>und</strong> 2 TzBfG) stützt, nach § 8 Abs. 1<br />

TzBfG Anspruch auf Verringerung seiner Arbeitszeit.<br />

Der Arbeitgeber kann die Ablehnung nicht allein mit einer<br />

abweichenden unternehmerischen Vorstellung von der „richtigen“<br />

Arbeitszeitverteilung begründen. Er kann dem auf § 8<br />

TzBfG gestützten Anspruch jedoch betriebliche Gründe entgegenhalten,<br />

(§ 8 Abs. 4 Satz 1 TzBfG). Ein betrieblicher Gr<strong>und</strong><br />

liegt insbesondere vor, wenn die Verringerung der Arbeitszeit<br />

die Organisation, den Arbeitsablauf oder die Sicherheit<br />

im Betrieb wesentlich beeinträchtigt oder unverhältnismäßige<br />

Kosten verursacht (§ 8 Abs. 4 Satz 2 TzBfG). Es genügt, dass<br />

der Arbeitgeber rational nachvollziehbare Gründe hat. Dringende<br />

betriebliche Gründe sind nicht erforderlich. Die Gründe<br />

müssen jedoch hinreichend gewichtig sein (BAG, Urt. vom<br />

21.6.2005, 9 AZR 409/04, NZA 2006, 316 m.w.N.).<br />

Das Berufungsgericht ist in Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht<br />

zu der Auffassung gelangt, dass ein Ablehnungsgr<strong>und</strong><br />

der Beklagten wegen entgegenstehender betrieblicher<br />

Gründe nicht vorliegt. ... (Die Beklagte stellt) entscheidend<br />

darauf ab, dass die Verringerung der Arbeitszeit unverhältnismäßige<br />

Kosten verursache.<br />

Dieser Argumentation folgt das Berufungsgericht nicht. Wie<br />

das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, sind die von der<br />

Beklagten geltend gemachten Kosten nicht ursächlich auf die<br />

Teilung einer Vollzeitstelle in eine Teilzeitstelle zurückzuführen,<br />

sondern auf die längere Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses<br />

durch Elternzeit <strong>und</strong> Mutterschutz.<br />

Selbst wenn man – was aus Sicht der Kammer in Anbetracht<br />

der bisherigen Art der Personalplanung bei der Beklagten<br />

182 03/08<br />

(Einsatz von Auszubildenden, Abschluss von Anschlussarbeitsverhältnissen<br />

nach Beendigung der Ausbildungszeit)<br />

nicht zwingend erscheint – davon ausgeht, dass bei Wiederaufnahme<br />

der Tätigkeit durch die Klägerin die Einstellung<br />

einer Halbtagsersatzkraft erforderlich sein sollte, sind die von<br />

der Beklagten behaupteten – zusätzlichen – Schulungskosten<br />

in Höhe von ca. EUR 15.000 nicht unverhältnismäßig, da<br />

diese nicht jährlich, sondern nur einmalig anfallen. Insoweit<br />

unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem vom B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />

in der zitierten Entscheidung behandelten Fall,<br />

bei dem erhebliche zusätzliche laufende Fortbildungskosten<br />

eines Pharmareferenten im Außendienst anfielen, die zudem<br />

einem „Mini-Deputat“ von 7,5 St<strong>und</strong>en von 37,5 St<strong>und</strong>en<br />

pro Woche zuzuordnen <strong>und</strong> kalkulatorisch zuzuschreiben<br />

gewesen wären. Es kann dahin gestellt bleiben, ob bei einem<br />

Teilzeitwunsch der Klägerin, der eine Beschäftigungslücke<br />

in dieser Größenordnung gelassen hätte, von vom Teilzeitwunsch<br />

der Klägerin verursachten unverhältnismäßigen<br />

Kosten im Sinne von § 8 Abs. 4 Satz 2 TzBfG auszugehen wäre.<br />

Im Hinblick auf den beschäftigungspolitischen Zweck des<br />

Teilzeit- <strong>und</strong> Befristungsgesetzes (TzBfG) einerseits, zusätzliche<br />

(Teilzeit-)Arbeitsplätze zu schaffen, insbesondere auch<br />

im Hinblick auf das gesetzgeberische Motiv, Teilzeitarbeit<br />

aus familiären Gründen zu erleichtern (so die Gesetzesbegründung,<br />

BT-Drs. 14/4374, unter A. I.) sowie dem Ziel<br />

des B<strong>und</strong>erziehungsgeldgesetzes andererseits eine familiäre<br />

Arbeitspause bei Erhalt des Arbeitsplatzes zu ermöglichen<br />

(§ 18 BErzGG, ab 1.1.2007: § 18 BEEG), hat der Arbeitgeber<br />

aus Sicht der Kammer die mit der Teilzeitarbeit einhergehenden<br />

Belastungen jedenfalls dann hinzunehmen, wenn es<br />

sich – wie hier – um einmalige Aufwendungen in der hier<br />

behaupteten Größenordnung handelt, die zwar durch einen<br />

Teilzeitwunsch einer Mitarbeiterin ausgelöst sind, ihre primäre<br />

Ursache jedoch in einer elternzeitbedingten Unterbrechung<br />

der Beschäftigung der nunmehr in Teilzeit zu beschäftigenden<br />

Mitarbeiterin haben.<br />

■ Landesarbeitsgericht München<br />

vom 5. März 2008, 11 Sa 981/07, rkr.<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Richard Pouyadou,<br />

Grottenau 6, 86150 Augsburg, Tel.: 0821 / 34481-0,<br />

Fax: 0821/34481-99<br />

kanzlei@scheidle-partner.de; www.scheidle-partner.de<br />

153. Elternzeit, Sachzusammenhang zwischen Elternzeit<br />

<strong>und</strong> Teilzeitverlangen, Wegfall der Elternzeit bei berechtigter<br />

Ablehnung der Teilzeit<br />

Sachverhalt:<br />

Die Klägerin hatte Elternzeit beantragt <strong>und</strong> darin eine Teilzeittätigkeit.<br />

Ersterer stimmte der Arbeitgeber zu, letztere lehnte<br />

er ab <strong>und</strong> wähnte die Klägerin in Elternzeit. Die Klägerin wollte<br />

aber dann in ungekürzter Arbeitszeit tätig werden <strong>und</strong> behielt<br />

Recht.<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 18 01.09.2008 13:16:53


Aus den Gründen:<br />

I. ... 2. b) ... Berücksichtigt man zudem die Interessenlage,<br />

könnte auch bei einem weniger deutlich formulierten Schreiben<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich nicht angenommen werden, der „Antrag“<br />

auf Elternzeit <strong>und</strong> der Antrag auf Teilzeitarbeit während<br />

der Elternzeit seien getrennt voneinander zu behandeln.<br />

Eine solche Annahme würde außer Acht lassen, dass die<br />

Teilzeitarbeit während der Elternzeit dem wichtigen Ziel der<br />

besseren Vereinbarkeit von Familie <strong>und</strong> Beruf dient (vgl.<br />

Rancke, Mutterschutz/ Elterngeld/Elternzeit, 2007, § 15 BEEG<br />

Anm. 55; Reinecke, in: Däubler u.a., Arbeitsrecht, 2008, § 15<br />

BEEG Anm. 17). Die Möglichkeit der Elternteilzeit ist daher für<br />

die antragstellende Arbeitnehmerin oder den antragstellenden<br />

Arbeitnehmer in der Regel nicht von untergeordneter<br />

Bedeutung, die Entscheidung des Arbeitgebers hierüber<br />

für den Antrag auf Elternzeit nicht beliebig. Solange ein<br />

Schreiben, mit dem sowohl Elternzeit als auch Elternteilzeit<br />

geltend gemacht werden, keine entgegenstehenden Anhaltspunkte<br />

enthält, ist folglich davon auszugehen, dass die<br />

Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer die Elternzeit nur<br />

zusammen mit der Elternteilzeit in Anspruch nehmen will.<br />

■ Arbeitsgericht Karlsruhe<br />

vom 30. April 2008, 4 Ca 42/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Michael Zerfowski, Humboldtstraße<br />

29, 76131 Karlsruhe, Tel.: 0721/23314, Fax: 0721/26418<br />

info@rae-schaeufele.de, www.rae-schaeufele.de<br />

154. Direktionsrecht, Darlegungs- <strong>und</strong> Beweislast für die<br />

Billigkeit; einstweilige Verfügung, wesentliche Nachteile;<br />

Streitwert einer einstweiligen Verfügung zur Sicherung<br />

eines Beschäftigungsanspruchs; ein Bruttomonatsgehalt<br />

abzüglich 20 %<br />

Aus den Entscheidungsgründen: ...<br />

I. Dem Verfügungskläger steht gegenüber der Verfügungsbeklagten<br />

ein Verfügungsanspruch zu. Die Abordnung an das<br />

Kreiswehrersatzamt Mönchengladbach auf den Dienstposten<br />

eines Arzthelfers ist ermessensfehlerhaft gemäß § 106 GewO,<br />

§ 315 Abs. 1, 3 BGB. Die Verfügungsbeklagte hat nichts dazu<br />

vorgetragen, dass die Abordnung in der Zeit vom 01.04.2008<br />

bis zum 31.12.2010 gemäß § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB der Billigkeit<br />

entspricht.<br />

Der Verfügungskläger hat gegen die Verfügungsbeklagte<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich einen Anspruch nach dem Arbeitsvertrag<br />

vom 01.12.1982 i.V. mit der Verfügung vom 29.06.2007 auf<br />

Beschäftigung als Fachpfleger bei dem Kreiswehrersatzamt<br />

Arnsberg. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen<br />

der Entscheidung des angerufenen Gerichts in seinem Urteil<br />

vom 14.01.2008, 5 Ga 67/07, verwiesen (S. 8, 9 der Entscheidungsgründe).<br />

Zwar kann ein Angestellter gemäß § 4 Abs. 1 TVöD aus dienstlichen<br />

oder betrieblichen Gründen versetzt oder abgeordnet<br />

werden. Doch entspricht die Abordnungsentscheidung<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

der Verfügungsbeklagten nicht den Gr<strong>und</strong>sätzen der Billigkeit<br />

nach § 106 S. 1 GewO, § 315 Abs. 1,3 BGB.<br />

Die Verfügungsbeklagte hat zwar ihre Abordnungsentscheidung<br />

auf den Dienstposten „Arzthelfer“ begründet, jedoch<br />

mit keinem Wort dargelegt, dass sie eine Abwägungsentscheidung<br />

getroffen habe, die auch die Interessen des Verfügungsklägers<br />

berücksichtigt hat. Gemäß den gesetzlichen Vorgaben<br />

der Gewerbeordnung <strong>und</strong> des Bürgerlichen Gesetzbuches obliegt<br />

der Verfügungsbeklagten die Darlegungslast dahingehend,<br />

dass die Maßnahme nach billigem Ermessen erfolgt<br />

(ArbG Hamm, v. 14.01.2008, a.a.O.). Die Verfügungsbeklagte<br />

hat sich vielmehr jeglichen Vortrags enthalten <strong>und</strong> somit nicht<br />

darlegen können, dass die Abordnung des Verfügungsklägers<br />

für den streitigen Zeitraum an das Kreiswehrersatzamt Mönchengladbach<br />

der Billigkeit entspricht.<br />

II. Dem Verfügungskläger steht auch nach §§ 935, 940 ZPO,<br />

§ 62 Abs. 2 ArbGG ein Verfügungsgr<strong>und</strong> zur Seite, da die<br />

Unterlassungsverfügung zur Abwendung wesentlicher Nachteile<br />

notwendig ist. Der Beschäftigungsanspruch des Verfügungsklägers<br />

bei dem Kreiswehrersatzamt Arnsberg würde<br />

ohne den Erlass der Unterlassungsverfügung gänzlich vereitelt.<br />

Dem Verfügungskläger ist die Entfernung zu dem Dienstposten<br />

Kreiswehrersatzamt Mönchengladbach auch nicht zumutbar.<br />

Insoweit wird auf die ausführlichen <strong>und</strong> zutreffenden<br />

Erwägungen des erkennenden Gerichts in seinem Urteil vom<br />

14.01.2008, 5 Ga 67/0.7, verwiesen. Darüber hinaus hat der<br />

Verfügungskläger die Eilbedürftigkeit nicht selbst herbeigeführt.<br />

Auch im Übrigen wird auf die zutreffenden Ausführungen<br />

der Entscheidung des angerufenen Gerichts vom 14.01.2008<br />

hinsichtlich des Verfügungsgr<strong>und</strong>es verwiesen.<br />

Da die Verletzung des Beschäftigungsanspruchs des Verfügungsklägers<br />

durch die nicht betroffene bzw. nicht dargelegte<br />

Abwägungsentscheidung der Verfügungsbeklagten<br />

deutlich ist, war im Ergebnis dem Antrag auf Erlass einer<br />

einstweiligen Verfügung zu entsprechen.<br />

III. ... Der Streitwert ist mit 80 % eines Bruttomonatsentgelts<br />

angemessen berücksichtigt.<br />

■ Arbeitsgericht Hamm<br />

vom 1. April 2008, 1 Ga 11/08, rkr.<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Klemens Rütte, Marker Allee 48,<br />

59063 Hamm, Tel.: 02381/134 34, Fax: 02381/134 33<br />

info@rae-stallmeister.de; www.rae-stallmeister.de<br />

155. Entgeltfortzahlung, Sonn- <strong>und</strong> Feiertagszuschläge<br />

Sachverhalt:<br />

Die Parteien streiten darüber, ob die Entgeltfortzahlung im<br />

Krankheitsfall Sonn- <strong>und</strong> Feiertagszuschläge umfasst. ...<br />

Die Klägerin war im Jahr 2005 <strong>und</strong> im Jahr 2006 ... für<br />

Sonn- bzw. Feiertagsarbeit dienstplanmäßig eingeteilt. Die<br />

Klägerin erkrankte an diesen Tagen jedoch arbeitsunfähig. Die<br />

Beklagte zahlte ihr deshalb die Sonn- <strong>und</strong> Feiertagszuschläge<br />

... nicht aus. ...<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 19 01.09.2008 13:16:53<br />

183


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

Entscheidungsgründe: ...<br />

Der Anspruch der Klägerin folgt aus § 3 Abs. 1 i.V.m. § 4 Abs. 1<br />

EFZG. Richtig weist die Beklagte insoweit darauf hin, dass<br />

vorliegend nicht § 2 EFZG Anspruchsgr<strong>und</strong>lage ist. Da sowohl<br />

die Entgeltfortzahlung an Feiertagen als auch die Entgeltfortzahlung<br />

im Krankheitsfall gr<strong>und</strong>sätzlich voraussetzen,<br />

dass der gesetzliche Feiertag bzw. die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit<br />

die alleinige Ursache für den Arbeitsausfall<br />

darstellt, bedarf es einer Entscheidung darüber, welche Entgelt(fort)zahlungsregelungen<br />

Anwendung finden, wenn ein<br />

Arbeitnehmer an einem gesetzlichen Feiertag arbeitsunfähig<br />

erkrankt ist. § 4 Abs. 2 EFZG löst den Konflikt zugunsten des<br />

Feiertagrechts, in dem bestimmt wird, dass in Fällen, in denen<br />

der Arbeitgeber für Arbeitszeit die gleichzeitig infolge eines<br />

gesetzlichen Feiertags ausgefallen ist, zur Fortzahlung des Arbeitsentgelts<br />

nach § 3 EFZG verpflichtet ist, sich die Höhe des<br />

fortzuzahlenden Arbeitsentgelts für diesen Feiertag nach § 2<br />

EFZG bestimmt. Im Streitfall ist die Arbeitszeit der Klägerin<br />

jedoch nicht infolge des gesetzlichen Feiertags ausgefallen,<br />

sondern allein aufgr<strong>und</strong> der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin.<br />

Mithin bestimmt sich die Entgelthöhe nach § 4 EFZG.<br />

Nach § 4 EFZG ist dem Arbeitnehmer das ihm bei der für ihn<br />

maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehende Arbeitsentgelt<br />

fortzuzahlen: Der in § 4 Abs. 1 Satz 1 EFZG verwendete<br />

Begriff des Arbeitsentgelts wird im Entgeltfortzahlungsgesetz<br />

nicht definiert. Aus § 4 Abs. 1a Satz 1 EFZG ist lediglich zu<br />

entnehmen, dass Vergütungen für Überst<strong>und</strong>en <strong>und</strong> einige<br />

Leistungen mit Auf-wendungsersatzcharakter unter den dort<br />

genannten Voraussetzungen nicht als Arbeitsentgelt im<br />

Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes anzusehen sind. Unter<br />

Entgelt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 EFZG versteht man<br />

dementsprechend den Bruttoverdienst des Arbeitnehmers,<br />

soweit er ihn aufgr<strong>und</strong> des Arbeitsverhältnisses als Gegenleistung<br />

für seine Arbeit erhält (vgl. BAG, Urteil vom 11.01.1978 –<br />

5 AZR 829/76 -AP Nr. 7 zu § 2 LFZG <strong>und</strong> BAG, Urteil vom<br />

31.05.1978 – 5 AZR 116/77 – AP Nr. 9 zu § 2 LFZG). Dabei<br />

wird bereits aus der Entscheidung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts<br />

vom 31. Mai 1978 – 5 AZR 116/77 – deutlich, dass der Hinweis<br />

der Beklagten auf eine auch für die Entgeltfortzahlung im<br />

Krankheitsfall verbindliche Definition des Arbeitsentgelts in<br />

§§ 14, 17 Abs. 1 Ziffer 1 SGB IV i.V.m. § 1 Arbeitsentgeltverordnung<br />

nicht zutreffend ist Das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />

hat im Urteil vom 31. Mai 1978 nämlich entschieden, dass<br />

einerseits Nachtzuschläge zum im Krankheitsfall fortzuzahlenden<br />

Arbeitsentgelt zählen, <strong>und</strong> dass andererseits diese<br />

Nachtzuschläge als Bruttolohn zu zahlen sind, <strong>und</strong> zwar ungeachtet<br />

des Umstands, dass bei tatsächlich geleisteter Arbeit<br />

während der Nacht diese Zuschläge steuerfrei sind. Danach<br />

ist es ganz einhellige Meinung, dass unter Umständen der<br />

arbeitsrechtliche Entgeltbegriff sich nicht in allen Punkten mit<br />

den Entgeltbegriffen des Steuerrechts bzw. des Sozialversicherungsrechts<br />

deckt (vgl. Schmidt, EFZG, 5. Aufl., § 4 EFZG Rz<br />

63; so auch weiter BAG, Urteil vom 01. Dezember 2004 –5AZR<br />

184 03/08<br />

68/04 – AP Nr. 68 zu § 4 EFZG, unter II 4. a) d. Gr., mit weiteren<br />

Rechtsprechungs- <strong>und</strong> Literaturhinweisen). Auch hier hat das<br />

B<strong>und</strong>esarbeitsgericht entschieden, dass nach dem anzuwendenden<br />

Lohnausfallprinzip bei Entgeltfortzahlung die volle<br />

Vergütung einschließlich etwaiger Zuschläge umfasst, sodass<br />

die gesetzliche Entgeltfortzahlung für wegen krankheitsbedingter<br />

Arbeitsunfähigkeit ausgefallene Feiertagsarbeit die<br />

entsprechenden Zuschläge mit einschließt. Dem Feiertagszuschlag<br />

komme nicht generell eine besondere Rechtsnatur<br />

dahingehend zu, dass er nur bei tatsächlicher Arbeitsleistung<br />

nicht aber etwa im Krankheitsfall, bei Annahmeverzug oder<br />

in anderen Fällen eine Aufrechterhaltung des Lohnanspruchs<br />

gezahlt werden müsse; so das B<strong>und</strong>esarbeitsarbeitsgericht<br />

im Urteil vom 01. Dezember 2004 – 5 AZR 68/04 – a.a.O.<br />

Zwar führt das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht in dieser Entscheidung<br />

unter II 4. b) der Gründe auch aus, dass sich aus tariflichen<br />

Entgeltfortzahlungsbestimmungen ergeben könne, dass bei<br />

krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nur der Gr<strong>und</strong>lohn<br />

ohne (bestimmte) Zuschläge fortzuzahlen ist, <strong>und</strong> dass zudem<br />

schon die Auslegung der Zuschlagsregelung selbst zu dem<br />

Ergebnis führen kann, dass die tatsächliche Arbeitsleistung<br />

auch in Anlehnung der Entgeltfortzahlung Voraussetzung des<br />

Anspruchs sein soll. Vor dem Hintergr<strong>und</strong>, dass es sich in dem<br />

vom B<strong>und</strong>esarbeitsgericht im Urteil vom 01. Dezember 2004<br />

entschiedenen Streitfall <strong>und</strong> in den in dieser Entscheidung<br />

in Bezug genommenen weiteren Streitfällen (BAG, Urteil vom<br />

21.11.2001 – 5 AZR 296/00 – AP Nr. 56 zu § 4 EFZG <strong>und</strong><br />

BAG, Urteil vom 07.02.1996 – 10 AZR 203/94 – AP Nr. 9 zu<br />

§ 33a BAT) um tarifliche Zuschlagsregelungen handelte, ist<br />

dieser Ansatz auf den Streitfall nicht übertragbar, weil es sich<br />

vorliegend um reine arbeitsvertragliche auf der Gr<strong>und</strong>lage<br />

einer betrieblichen Übung eingeführte Zuschlagsregelungen<br />

handelt. Nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz, nämlich der<br />

Tariföffnungsklausel in § 4 Abs. 4 EFZG, steht es aber nur<br />

den Tarifvertragsparteien zu, einzelne Entgeltbestandteile,<br />

insbesondere zusätzliche Leistungen wie Prämien oder Mehrarbeitszuschläge,<br />

von der Entgeltfortzahlung auszunehmen<br />

(vgl. BAG, Urteil vom 13.03.2002 – 5 AZR 648/00 – AP Nr. 58 zu<br />

§ 4 EFZG, unter III 2. c) d. Gr.). Abgesehen von § 4 Abs. 4 EFZG<br />

kann von den Vorschriften des Entgeltfortzahlungsgesetzes<br />

aber nicht zu Ungunsten des Arbeitnehmers abgewichen<br />

werden (§ 12 EFZG). Die im Betrieb der Beklagten praktizierte<br />

Übung, nämlich Sonn- <strong>und</strong> Feiertagszuschläge nur für tatsächlich<br />

geleistete Sonn- <strong>und</strong> Feiertagsarbeit zu zahlen, ist daher<br />

für die Bestimmung des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts gem.<br />

§ 4 EFZG unbeachtlich.<br />

Anders als die Beklagte meint, sind die Sonn- <strong>und</strong> Feiertagszuschläge<br />

auch kein Aufwendungsersatz im Sinne von § 4<br />

Abs. 1a EFZG <strong>und</strong> deshalb auch nicht unter diesem Gesichtspunkt<br />

im Krankheitsfall nicht geschuldet. § 4 Abs. 1a Abs. 1<br />

EFZG ergänzt die Gr<strong>und</strong>regel des Abs. 1 hinsichtlich der Berücksichtigung<br />

von Leistungen mit Aufwendungscharakter.<br />

Sie sind dann von der Berechnung der Entgeltfortzahlung<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 20 01.09.2008 13:16:53


ausgenommen, wenn der Anspruch auf sie im Fall der Arbeitsfähigkeit<br />

davon abhängig ist, ob <strong>und</strong> in welchem Umfang<br />

dem Arbeitnehmer die Aufwendungen, die durch diese<br />

Leistungen abgegolten werden sollen, tatsächlich entstanden<br />

sind <strong>und</strong> dem Arbeitnehmer solche Aufwendungen während<br />

der Arbeitsunfähigkeit nicht entstehen. Gewisse Pauschalierungen<br />

stehen dem Aufwendungsersatzcharakter allerdings<br />

nicht entgegen, solange die Pauschalbeträge in etwa den typischerweise<br />

entstehenden Aufwendungen entsprechen (vgl.<br />

Schmidt, EFZG, 5. Aufl., Rn 131, m.w.N.). Der Regelung liegt<br />

von jeher der Gedanke zugr<strong>und</strong>e, dass der arbeitsunfähige Arbeitnehmer<br />

nicht besser stehen soll als derjenige, der tatsächlich<br />

seine Arbeit verrichtet. Demgemäß zählen solche Leistungen<br />

des Arbeitgebers nicht zum fortzuzahlenden Arbeitsentgelt,<br />

durch die Aufwendungen abgegolten werden sollen, die<br />

während der Arbeitsunfähigkeit nicht entstehen. Die hier in<br />

Rede stehenden Sonn- <strong>und</strong> Feiertagszuschläge haben aber<br />

ebenso wie Überst<strong>und</strong>en- <strong>und</strong> Nachtarbeitszuschläge keinen<br />

Aufwendungsersatzcharakter. Mit derartigen Leistungen sollen<br />

nicht besondere Aufwendungen des Arbeitnehmers abgegolten<br />

werden, vielmehr geht es bei diesen Zuschlägen<br />

darum, zusätzliche Erschwernisse <strong>und</strong> besondere Belastungen,<br />

die mit Sohn- <strong>und</strong> Feiertagsarbeit verb<strong>und</strong>en sind, zu<br />

vergüten. Diese Zulagen werden also als Gegenleistung für<br />

eine bestimmte Arbeit geleistet. Damit haben sie Entgeltcharakter<br />

<strong>und</strong> nicht Aufwendungsersatzcharakter.<br />

Schließlich lässt sich auch aus dem Umstand, dass die Beklagte<br />

die Sonn- <strong>und</strong> Feiertagszuschläge nur für tatsächlich<br />

geleistete Sonn- <strong>und</strong> Feiertagsarbeit gezahlt hat, nicht herleiten,<br />

dass damit im Sinn von § 4a EFZG eine Anwesenheitsprämie<br />

gezahlt werden sollte. § 4a EFZG regelt die Möglichkeit,<br />

Vereinbarungen über die Kürzung von Sondervergütungen<br />

(auch) für Zeiten krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit zu<br />

treffen. § 4a EFZG definiert den Begriff der Sondervergütung<br />

dahingehend, dass es sich um eine Leistung handelt, die der<br />

Arbeitgeber zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt erbringt.<br />

Unter den gesetzlichen Begriff der Sondervergütungen fallen<br />

auch Anwesenheitsprämien. Hierunter ist eine Geldleistung<br />

zu verstehen, mit deren Zusage dem Arbeitnehmer der Anreiz<br />

geboten wird, die Zahl seiner berechtigten oder unberechtigten<br />

Fehltage im Bezugszeitraum möglichst gering zu<br />

halten. Eine derartige Leistung ist nicht an bestimmte Zahlungsmodalitäten<br />

geb<strong>und</strong>en, sondern sie kann als Prämie für<br />

jeden einzelnen Tag, an dem der Arbeitnehmer seine Arbeit<br />

aufnimmt, gezahlt werden, als Einmalleistung zu einem bestimmten<br />

Zeitpunkt, z.B. am Jahresende oder viermal jährlich,<br />

bezogen auf den davor liegenden Dreimonatszeitraum (vgl.<br />

BAG, Urteil vom 25.07.2001 – 10 AZR 502/00 – AP Nr. 1 zu<br />

§ 4a EFZG). Es gibt aber im Streitfall keinen Anhaltspunkt dafür,<br />

dass die Beklagte mit den Sonn- <strong>und</strong> Feiertagszuschlägen<br />

einen Anreiz bieten wollte, die Zahl berechtigter oder unberechtigter<br />

Fehltage gerade an Sonn- <strong>und</strong> Feiertagen möglichst<br />

gering zu halten. Dagegen spricht auch, dass die Beklagte die<br />

Zuschläge steuer- <strong>und</strong> sozialversicherungsfrei zahlte. Diese<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

Privilegierung gibt es nämlich für Anwesenheitsprämien nicht.<br />

Der mit der Zahlung der Zuschläge verfolgte Leistungszweck<br />

ist deshalb nach Dafürhalten des Berufungsgerichts allein die<br />

Abgeltung der besonderen Belastung für Sonn- <strong>und</strong> Feiertagsarbeit.<br />

Dies entspricht dem allgemein mit derartigen Zahlungen<br />

verfolgten Zweck.<br />

Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Klägerin durch die St<strong>und</strong>engutschrift<br />

doppelt bezahlt wird. Im Gegenteil würde es<br />

ohne die Gutschrift der durch Krankheit ausgefallenen Arbeitszeit<br />

dazu führen, dass die Klägerin um die Entgeltfortzahlung<br />

im Krankheitsfall gebracht würde, weil sie die ausgefallene<br />

Arbeitszeit nacharbeiten müsste. Der gesetzliche wie<br />

vertragliche Anspruch der Klägerin auf Ersatzruhetage berührt<br />

ebenfalls nicht den Umfang der Entgeltfortzahlung nach § 4<br />

Abs. 1 EFZG.<br />

■ Hessisches Landesarbeitsgericht<br />

vom 24. Oktober 2007, 6 Sa 175/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Stefan Schneider, Auf dem Hohenstein<br />

5, 61231 Bad Nauheim, Tel.: 06032 / 92687-22,<br />

Fax: 06032 / 92687-24<br />

anwalt@arbeitsrecht-wetterau.de,<br />

www.arbeitsrecht-wetterau.de<br />

156. Entgeltfortzahlung setzt Leistungsbereitschaft <strong>und</strong><br />

-fähigkeit voraus für den Fall der Arbeitsfätigkeit<br />

Aus den Gründen: ...<br />

Der Anspruch nach § 615 BGB – wie auch der Anspruch nach<br />

§ 3 Abs. 1 EFZG – setzt voraus, dass die Klägerin für die geschuldete<br />

Ausbildung bereit <strong>und</strong> fähig war. Beides ist nicht<br />

der Fall. Die Klägerin hat in ihren Schreiben vom 13. <strong>und</strong> 19.<br />

April 2006 unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass<br />

ihr eine Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses nur mit einer<br />

Ausbildungsstelle in Bad Wildungen möglich sei. Nach<br />

den mit der Berufung nicht angegriffenen Feststellungen des<br />

Arbeitsgerichts schuldet der Beklagte nach dem schriftlichen<br />

Ausbildungsvertrag der Parteien am Wohnort der Klägerin<br />

in Bad Wildungen nicht die Zurverfügungstellung einer Ausbildungsstelle.<br />

Nur für Bad Wildungen hat die Klägerin jedoch<br />

erklärt zur Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses bereit<br />

zu sein. Damit fehlt es an der Leistungsbereitschaft <strong>und</strong><br />

dem Leistungsvermögen der Klägerin für die Erbringung der<br />

nach dem Ausbildungsvertrag der Parteien geschuldeten Leistung,<br />

nämlich der Fortsetzung der Ausbildung in Kassel. Leistungsfähigkeit<br />

<strong>und</strong> Bereitschaft im Hinblick auf die vertraglich<br />

geschuldete Leistung ist aber Voraussetzung für einen Anspruch<br />

nach § 615 BGB. Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung<br />

im Krankheitsfall besteht ebenfalls nicht, wenn der arbeitsunfähig<br />

erkrankte Arbeitnehmer zur Erfüllung des Vertrages aus<br />

anderen Gründen nicht fähig <strong>und</strong>/oder nicht bereit ist (vgl.<br />

BAG, AP Nr. 64 zu § 1 LFZG <strong>und</strong> Schmitt, Kommentar zum<br />

BFZG, 5. Aufl., § 3 Rn 101 m.w.N.).<br />

■ Hessisches Landesarbeitsgericht<br />

vom 27. Februar 2008, 6 Sa 805/07<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 21 01.09.2008 13:16:53<br />

185


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

eingereicht von Rechtsanwältin Jacqueline Greinert, Wilhelmshöher<br />

Allee 270, 34131 Kassel, Tel.: 0561/3166-124,<br />

Fax: 0561/3166-123<br />

j.greinert@dwaz.eu<br />

157. Freistellungsanspruch zur Durchführung von Nebentätigkeiten,<br />

einstweilige Verfügung, Verfügungsgr<strong>und</strong>,<br />

Leistungsverfügung nur ausnahmsweise zulässig, berechtigte<br />

betriebliche Interessen, selbstverursachte Zwänge<br />

sind unbeachtlich<br />

Entscheidungsgründe: ...<br />

Der Erlass einer einstweiligen Verfügung ist nur dann gemäß<br />

den §§ 935, 940 ZPO gerechtfertigt, wenn hinreichend<br />

dargelegt worden ist, dass ein Zuwarten des Arbeitnehmers<br />

bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu schwerwiegenden<br />

Nachteilen führt. Ein schwerwiegender Nachteil liegt<br />

nicht bereits darin, dass eine zeitweilige möglicherweise vertragswidrige<br />

Beschäftigung nicht mehr rückgängig zu machen<br />

wäre. Angesichts des Ausnahmecharakters kommt sie<br />

vielmehr nur in Betracht, wenn für den Arbeitnehmer durch<br />

die Änderung schwerwiegende Beeinträchtigungen entstehen,<br />

deren Hinnahme ihm nach Abwägung der beiderseitigen<br />

Interessen auch für einen nur vorübergehenden Zeitraum bis<br />

zur Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar ist. Ein solcher<br />

schwerwiegender Nachteil liegt vorliegend für den Verfügungskläger<br />

nicht vor. Nachdem der Kläger die Änderungskündigung<br />

unter Vorbehalt angenommen hat, ist er nach<br />

Ablauf der Kündigungsfrist verpflichtet, vorläufig die Küsterdienste<br />

in der Pfarrei der Beklagten auszuüben. Hierzu zählt<br />

auch das Läuten <strong>und</strong> Schließen am Sonntagabend. Die Einteilung<br />

des Klägers zu diesen Diensten ist daher nicht von vornherein<br />

ausgeschlossen. Das Interesse des Klägers an der Freistellung<br />

von diesen Diensten rührt ausschließlich aus dessen<br />

nebenberuflicher Tätigkeit her. Die zeitweilige Unmöglichkeit,<br />

nebenberufliche Tätigkeiten auszuüben, stellt jedoch keinen<br />

so schwerwiegenden Nachteil dar, dass eine zeitliche Festlegung<br />

im Dienstplan dem Kläger nicht bis zum Abschluss des<br />

Hauptsacheverfahrens zumutbar wäre. Dies gilt umso mehr,<br />

als der Kläger ja auch bei der Beklagten als Kirchenmusiker<br />

eingesetzt wird, seine Fähigkeiten also nicht gänzlich verloren<br />

gehen. Die vorübergehend verlorene Möglichkeit, an Sonntagnachmittagen<br />

nebenberuflich als Kirchenmusiker tätig zu<br />

werden, stellt keinen Verfügungsgr<strong>und</strong> für die begehrte einstweilige<br />

Verfügung dar.<br />

Ob die Dienstplaneinteilung billigem Ermessen entspricht,<br />

kann nur im Hauptsacheverfahren geklärt werden. Bis dahin<br />

muss der Kläger sich der Einteilung durch den Arbeitgeber,<br />

der gem. § 106 GewO insoweit das Weisungsrecht hat,<br />

unterwerfen. Der Sonntag ist dabei regelmäßiger Arbeitstag<br />

für den Kläger, dies ist zwischen den Parteien unstrittig. ...<br />

Auch der Antrag zu 2), Gewährung von Freizeitausgleich für<br />

den 30.5. <strong>und</strong> 1.6.2008, ist abzuweisen. Auch insoweit ist der<br />

Antrag gem. §§ 935, 940 ZPO unbegründet. Ein Antrag auf<br />

186 03/08<br />

Freistellung ist im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens<br />

begründet, wenn ansonsten durch Zeitablauf die<br />

Freistellung für den gewünschten Zeitraum vereitelt würde<br />

(LAG Hamm vom 9.6.2004 – 18 Sa 981/04 m.w.N.). Der Kläger<br />

hat jedoch keinen Anspruch auf Freistellung für die begehrte<br />

Zeit, da insoweit betriebliche Gründe einer Freistellung<br />

entgegen stehen. Die Beklagte hat dargelegt <strong>und</strong> glaubhaft<br />

gemacht, dass am 1.6.2008 ihr Pfarrfest stattfindet <strong>und</strong> an<br />

diesem Tag eine Urlaubssperre für alle hauptamtlichen Mitarbeiter<br />

besteht. Diese Anweisung ist nicht sachwidrig. Ein<br />

Freistellungsanspruch für die begehrte Zeit kann dem Kläger<br />

daher nicht gewährt werden. Die Beklagte hat sich auch nicht<br />

zuvor anderslautend gegenüber dem Kläger geäußert, so dass<br />

dieser auf eine Freistellung für diesen Tag hoffen konnte. Er<br />

konnte daher ein Konzertangebot für dieses Wochenende in<br />

Hamburg erst fest annehmen, wenn ihm eine Freistellung<br />

zugesagt worden wäre. An einer derartigen Zusage fehlt es<br />

jedoch. Der Kläger hat auch erstmals am 10.3.2008 gegenüber<br />

der Beklagten einen Antrag auf Freistellung für das Wochenende<br />

30.5./1.6.2008 gestellt. Aus dem Umstand, dass über die<br />

Freistellung bis zur Antragstellung nicht entschieden worden<br />

ist, konnte der Kläger nicht auf eine Freistellung schließen. Die<br />

versagte Freistellung war nicht zu ersetzen, da die betrieblichen<br />

Gründe tatsächlich gegeben sind. Zu welchen Diensten<br />

der Kläger bei diesem Fest eingesetzt werden soll, ist dabei<br />

vorliegend nicht zu klären gewesen. Eine generelle Urlaubssperre<br />

für einen solchen Tag ist nicht sachwidrig.<br />

■ Arbeitsgericht Köln<br />

vom 22. April 2008, 13 Ga 57/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Stephan Pauly, Kurt-<br />

Schumacher-Straße 16, 53113 Bonn, Tel.: 0228/6 20 90 00,<br />

Fax: 0228/6 20 90 90,<br />

pauly@pauly-rechtsanwaelte.de;<br />

www.pauly-rechtsanwaelte.de<br />

158. Insolvenz, Hinterlegung, ungerechtfertigte Bereicherung,<br />

abgesonderte Befriedigung<br />

Sachverhalt:<br />

Der Großkonzern Unilever verkaufte ein Werk an einen sogenannten<br />

Investor, der später in die Insolvenz fiel. Dem Kläger<br />

wurde nach anderen Zusagen letztlich eine Abfindung zum<br />

Ausgleich aller Ansprüche versprochen, das Geld zur Erfüllung<br />

u.a. dieser Verpflichtung ging an Unilever zur Verwaltung. Von<br />

dort wurde es zur Herausgabe an den Kläger oder den Insolvenzverwalter<br />

hinterlegt. Abweichend zu den Vorinstanzen<br />

verurteilte das BAG den Insolvenzverwalter, der Freigabe an<br />

den Kläger zuzustimmen.<br />

Entscheidungsgründe:<br />

Die Revision des Klägers ist begründet.<br />

A. Der Beklagte zu 1.) ist gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. BGB<br />

verpflichtet, in eine Auszahlung des hinterlegten Betrages an<br />

den Kläger einzuwilligen.<br />

I. Sind bei einer Hinterlegung mehrere Forderungspräten-<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 22 01.09.2008 13:16:53


denten vom Hinterlegenden bezeichnet worden, steht dem<br />

materiell Berechtigten ein Anspruch auf Einwilligung zur Auszahlung<br />

an sich gegen den oder die übrigen Prätendenten<br />

aus Eingriffskondiktion zu (§ 812 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. BGB).<br />

Der oder die übrigen Forderungsprätendenten haben mit der<br />

vermeintlichen Gläubigerstellung im Verhältnis zur Hinterlegungsstelle<br />

eine vermögenswerte Rechtsposition in sonstiger<br />

Weise auf Kosten des Berechtigten ohne rechtlichen Gr<strong>und</strong><br />

erlangt (BAG, 22. Mai 2007 – 3 AZR 334/06 (A) – Rn 13, AP<br />

BetrAVG § 1b Nr. 8 = EzA BetrAVG § 1b Nr. 4; BGH, 26. April<br />

1994 – XI ZR 97/93 – NJW-RR 1994, 847). Vorliegend hat die<br />

Beklagte zu 2.) gegenüber der Hinterlegungsstelle den Beklagten<br />

zu 1.) neben dem Kläger als möglichen Empfangsberechtigten<br />

bezeichnet.<br />

II. Dem Anspruch des Klägers gegenüber dem Beklagten zu<br />

1.) auf Einwilligung in die Auszahlung des hinterlegten Betrages<br />

steht nicht entgegen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen<br />

des § 372 BGB für die von der Beklagten zu 2.)<br />

vorgenommene Hinterlegung nicht erfüllt war.<br />

Es bestand keine Ungewissheit der Beklagten zu 2.) über die<br />

Person des Gläubigers (§ 372 Satz 2 2. Alt. BGB), sondern<br />

über den Rechtsgr<strong>und</strong> (vgl. BGH, 15. Dezember 1954 –<br />

VI ZR 192/53 – WM 1955, 227; 30. Oktober 1984 – IX ZR<br />

92/83 – BGHZ 92, 374; 14. Februar 1985 – IX ZR 76/84 –<br />

WM 1985, 475). Der Kläger <strong>und</strong> der Beklagte zu 1.) haben<br />

aus unterschiedlichen Rechtsgründen Ansprüche gegen die<br />

Beklagte zu 2.) geltend gemacht. Ein Hinterlegungsgr<strong>und</strong><br />

i.S.d. § 372 Satz 2 BGB lag damit nicht vor.<br />

Gleichwohl kann der wirkliche Rechtsinhaber gegenüber dem<br />

anderen Prätendenten die Einwilligung in die Auszahlung<br />

verlangen (BGH, 15. Oktober 1999 –VZR141/98 – NJW 2000,<br />

291; 22. Oktober 1980 – VIII ZR 334/79 – WM 1980, 1383). Auf<br />

die Rechtsbeziehung zwischen den Forderungsprätendenten<br />

kommt es für den Bereicherungsanspruch gr<strong>und</strong>sätzlich nicht<br />

an (BAG, 22. Mai 2007 – 3 AZR 334/06 (A) – AP BetrAVG § 1b<br />

Nr. 8 = EzA BetrAVG § 1b Nr. 4; BGH, 7. Dezember 2006 – IX<br />

ZR 161/04 – ZIP 2007, 194).<br />

III. Der Beklagte zu 1.) hat einen Bereicherungsgegenstand<br />

i.S.d. § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB, nämlich die Rechtsstellung als<br />

möglicher Empfangsberechtigter, in sonstiger Weise erlangt.<br />

Die Hinterlegung eines Geldbetrages verschafft jedem, der<br />

vom Hinterlegenden als möglicher Empfangsberechtigter benannt<br />

ist, eine günstige Rechtsstellung <strong>und</strong> kann damit Gegenstand<br />

eines Bereicherungsanspruches sein (Palandt/Sprau,<br />

BGB, 67. Aufl., § 812 Rn 17, 21). Wäre der Kläger der einzige<br />

von der Beklagten zu 2.) benannte Empfangsberechtigte,<br />

könnte er die Auszahlung des hinterlegten Geldbetrages<br />

von der Hinterlegungsstelle verlangen. Damit führt die<br />

Benennung des Beklagten zu 1.) als möglicher Berechtigter<br />

des hinterlegten Geldes gleichzeitig für diesen zum Erwerb<br />

einer vorteilhaften Rechtsposition in anderer Weise als durch<br />

Leistung <strong>und</strong> für den Kläger zu einer spiegelbildlichen Beeinträchtigung.<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

IV. Der Beklagte zu 1.) hat die Rechtsstellung als möglicher<br />

Berechtigter ohne rechtlichen Gr<strong>und</strong> erlangt, denn er hat auf<br />

den hinterlegten Betrag keinen Anspruch. Das für ihn <strong>und</strong><br />

den Kläger hinterlegte Geld gehört nicht zur Insolvenzmasse<br />

(§ 35 InsO). Es befand sich weder tatsächlich im Verwaltungsbesitz<br />

des Beklagten zu 1.) noch darf dieser es auf Gr<strong>und</strong> von<br />

Rückgewähr- oder insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückforderungsansprüchen<br />

gegenüber der Beklagten zu 2.) zur Insolvenzmasse<br />

ziehen.<br />

1. Das Insolvenzverfahren erfasst gem. § 35 Abs. 1 InsO das<br />

gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung<br />

des Insolvenzverfahrens gehört <strong>und</strong> das er während des<br />

Verfahrens erlangt. Die Insolvenzmasse im Sinne dieser Legaldefinition<br />

wird allgemein als „Soll“-Masse bezeichnet. Damit<br />

wird verdeutlicht, dass zur näheren Bestimmung der Massezugehörigkeit<br />

i.S.d. § 35 Abs. 1 InsO alle Gegenstände oder<br />

subjektiven Rechte, welche die Masse ausmachen sollen, erst<br />

gesammelt, gesichtet <strong>und</strong> festgestellt werden müssen (vgl.<br />

MünchKommInsO-Lwowski/Peters, 2. Aufl., § 35 Rn 19; Henckel,<br />

in: Jaeger, InsO § 35 Rn 7).<br />

2. Der Geldbetrag, um den Kläger <strong>und</strong> Beklagter zu 1.) streiten,<br />

befand sich zum allein maßgeblichen Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung<br />

weder in Form von Bargeld im Besitz der<br />

Insolvenzschuldnerin, noch wurde er als Buchgeldguthaben<br />

auf einem für die Insolvenzschuldnerin eingerichteten Konto<br />

eines Kreditinstituts geführt. Am 1. September 2005 befand<br />

sich der Gesamtbetrag von 387.243,43 Euro vielmehr als Guthaben<br />

der Beklagten zu 2.) auf deren bei der Deutschen Bank<br />

geführtem Konto.<br />

3. Der Insolvenzschuldnerin stand zum Zeitpunkt der Eröffnung<br />

des Insolvenzverfahrens auch kein Herausgabe- bzw.<br />

Rückübertragungsanspruch aus einem Auftrags- bzw. Treuhandverhältnis<br />

gegen die Beklagte zu 2.) zu.<br />

a) Durch die Vereinbarung wurde zwischen den Parteien<br />

ein Auftragsverhältnis i.S.d. § 662 BGB begründet. Die Insolvenzschuldnerin<br />

hat mit der Beklagten zu 2.) in der „Zweckbestimmungserklärung“<br />

vom 27. Mai 2005 vereinbart, die<br />

Überweisung von 387.243,43 Euro erfolge ausschließlich zu<br />

dem Zweck, damit Abfindungsansprüche von Arbeitnehmern<br />

der Insolvenzschuldnerin zu befriedigen. Die Beklagte zu<br />

2.) hat sich verpflichtet, diese Gelder personenbezogen <strong>und</strong><br />

ausschließlich zur Erfüllung der Abfindungsansprüche der<br />

im Anhang genannten Mitarbeiter zu verwenden. Für die<br />

Verwaltung des Geldes <strong>und</strong> dessen ratenweise Auszahlung ist<br />

in der „Zweckbestimmungserklärung“ keine Vergütung der<br />

Beklagten zu 2.) vorgesehen.<br />

b) Das Auftragsverhältnis ist durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />

nicht erloschen. Gem. § 115 Abs. 1 InsO erlischt<br />

mit der Insolvenzeröffnung ein vom Schuldner erteilter<br />

Auftrag, wenn er sich auf das zur Insolvenzmasse gehörende<br />

Vermögen bezieht. Bezieht sich der Auftrag auf Vermögen,<br />

das nicht zur Soll-Masse gehört, ist § 115 Abs. 1 InsO tatbestandlich<br />

nicht erfüllt. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 23 01.09.2008 13:16:53<br />

187


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

führt dann nicht zum Erlöschen des Auftrages. Dieser ist vielmehr<br />

vom Beauftragten vollständig durchzuführen.<br />

c) Zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung hatte die Insolvenzschuldnerin<br />

den Geldbetrag, mit dem die Beklagte zu<br />

2.) die Abfindungsansprüche der Arbeitnehmer befriedigen<br />

sollte, bereits an diese überwiesen. Der erteilte Auftrag bezöge<br />

sich nur dann auf ein zur Insolvenzmasse gehörendes<br />

Vermögen, wenn entweder die Beklagte zu 2.) das Geld bei Insolvenzeröffnung<br />

treuhänderisch für die Insolvenzschuldnerin<br />

verwaltet <strong>und</strong> der Insolvenzschuldnerin aus diesem Treuhandverhältnis<br />

ein Rückübertragungsanspruch zugestanden hätte,<br />

oder wenn die Insolvenzschuldnerin gem. § 667 BGB einen<br />

Herausgabeanspruch geltend machen könnte. Beides ist nicht<br />

der Fall.<br />

aa) Die Beklagte zu 2.) hat den Geldbetrag, mit dem sie die<br />

Abfindungsansprüche der Arbeitnehmer befriedigen sollte,<br />

nicht treuhänderisch für die Insolvenzschuldnerin verwaltet.<br />

(1) Im Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Treugebers<br />

gehört das Treugut zur Insolvenzmasse i.S.d. § 35 InsO,<br />

denn dieser ist materiell-rechtlich <strong>und</strong> wirtschaftlich Eigentümer<br />

des Treuguts geb<strong>liebe</strong>n. Der Insolvenzverwalter kann<br />

somit Herausgabe des dem Treuhänder übertragenen Vermögens<br />

verlangen (RG 6. November 1934 – VII 105/34 – RGZ 145,<br />

253; Uhlenbruck, in: Uhlenbruck InsO 12. Aufl., § 47 Rn 32, 34).<br />

(2) Die Insolvenzschuldnerin hat der Beklagten zu 2.) den<br />

Geldbetrag von 387.243,43 Euro mit der ausdrücklichen<br />

Zweckbestimmung zur Verfügung gestellt, ihn zur Tilgung<br />

von Verbindlichkeiten der Insolvenzschuldnerin zu verwenden.<br />

Das begründet jedoch noch nicht die Annahme eines<br />

Treuhandverhältnisses. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass<br />

die Beklagte zu 2.) der Insolvenzschuldnerin im Jahre 2002<br />

in Erfüllung von Ziff. 2.2.5 des SP 2002 einen Betrag von<br />

7,72 Mio. Euro auf deren bei der Sparkasse geführtes Konto<br />

überwiesen hat. Aus eben diesem Kontoguthaben hat die Insolvenzschuldnerin<br />

die Zahlung des Betrages von 387.243,43<br />

Euro letztlich – wenn auch über den Umweg ihres bei der<br />

Volksbank eG geführten Kontos – bestritten. Zwar bestand,<br />

wie der Senat in einem Verfahren mit einem teilweise identischen<br />

Sachverhalt bereits entschieden hat (19. Juli 2007 –<br />

6 AZR 1087/06 – AP InsO § 55 Nr. 14 = EzA InsO § 55 Nr. 14),<br />

bezüglich des Guthabens der Insolvenzschuldnerin bei der<br />

Sparkasse kein Treuhandverhältnis mit der Beklagten zu 2.) als<br />

Treugeberin <strong>und</strong> der Insolvenzschuldnerin als Treuhänderin.<br />

Das der Beklagten zu 2.) von der Insolvenzschuldnerin zur<br />

Verfügung gestellte Geld stammte also bei formaler Betrachtung<br />

aus dem Vermögen der Insolvenzschuldnerin. Da jedoch<br />

bei Treuhandverhältnissen die von der formal-juristischen Inhaberschaft<br />

abweichende Zuordnung im Insolvenzfall gerade<br />

damit gerechtfertigt wird, dass eine wirtschaftliche Betrachtungsweise<br />

angezeigt ist, sind bei der hier vorzunehmenden<br />

Prüfung, ob die Voraussetzungen eines Treuhandverhältnisses<br />

nunmehr mit der Insolvenzschuldnerin als Treugeberin <strong>und</strong><br />

der Beklagten zu 2.) als Treuhänderin erfüllt sind, ebenfalls<br />

188 03/08<br />

keine formal-juristischen Maßstäbe anzulegen, sondern es<br />

ist eine wirtschaftliche Betrachtung vorzunehmen. Insoweit<br />

spricht der Umstand, dass die Geldmittel ursprünglich von<br />

der Beklagten zu 2.) stammten, gegen die Annahme eines<br />

Treuhandverhältnisses zu Gunsten der Insolvenzschuldnerin.<br />

(3) Weiter ist zu berücksichtigen, dass in Ziff. 2.2.5 Abs. 7<br />

des SP 2002 Regelungen für den Fall getroffen waren, dass<br />

die Insolvenzschuldnerin mit der Auszahlung des individuellen<br />

Mindestanspruches auf Verdienstschutz mit mindestens<br />

drei Monaten in Verzug geriet. Dann wäre der mittels Inanspruchnahme<br />

der Bankgarantie gezogene Betrag unter die<br />

Verwaltung eines Treuhänders gestellt worden, der ihn für<br />

die Arbeitnehmer gehalten hätte. Der Insolvenzschuldnerin<br />

hätten keinerlei Rechte an diesem Geld zugestanden. Durch<br />

den Abschluss des SP 2005, die Vereinbarung der Insolvenzschuldnerin<br />

mit der Beklagten zu 2.) in der „Zweckbestimmungserklärung“,<br />

wonach 387.243,43 Euro gezahlt werden,<br />

damit die Beklagte zu 2.) hieraus die nach den Bestimmungen<br />

des SP 2005 in Abfindungsansprüche umgewandelten<br />

individuellen Mindestansprüche der Arbeitnehmer befriedigt,<br />

<strong>und</strong> den gleichzeitigen Teilverzicht auf die Bankgarantie in<br />

entsprechender Höhe seitens der Beklagten zu 2.) wurde die<br />

von Ziff. 2.2.5 Abs. 7 des SP 2002 festgelegte Verfahrensweise<br />

ersetzt. Es ist kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass die Vertragschließenden<br />

in Abweichung von den sich aus Ziff. 2.2.5<br />

Abs. 7 des SP 2002 ergebenden Rechtsfolgen der Insolvenzschuldnerin<br />

nunmehr hinsichtlich des überwiesenen Geldes<br />

die Stellung einer Treugeberin einräumen wollten.<br />

(4) Die „Zweckbestimmungserklärung“ verpflichtet die Beklagte<br />

zu 2.) nicht, das erhaltene Geld auf einem gesonderten<br />

Konto zu führen. Soweit aus den vorgelegten Unterlagen<br />

ersichtlich, haben die Insolvenzschuldnerin <strong>und</strong> die Beklagte<br />

zu 2.) in der „Zweckbestimmungserklärung“ die Überweisung<br />

auf ein allgemeines Geschäftskonto der Beklagten zu 2.) vereinbart.<br />

Hätte die Beklagte zu 2.) die erhaltenen Gelder treuhänderisch<br />

für die Insolvenzschuldnerin halten sollen, wäre<br />

eine Vereinbarung dahingehend zu erwarten gewesen, dass<br />

die Beklagte zu 2.) verpflichtet ist, das Geld auf einem offen<br />

ausgewiesenen Treuhandkonto, zumindest aber auf einem<br />

gesondert für diese Zwecke eingerichteten Konto zu führen.<br />

(5) Schließlich spricht gegen die Annahme eines Treuhandverhältnisses,<br />

dass die Insolvenzschuldnerin gegenüber der<br />

Beklagten zu 2.) gem. Ziff. 2.2.4 Abs. 3 Satz 1, Ziff. 2.2.5 Abs. 9<br />

Satz 1 <strong>und</strong> Ziff. 2.2.5 Abs. 12 Satz 2 SP 2002 in bestimmten Fällen<br />

zur Rückerstattung von Teilen des erhaltenen Geldes verpflichtet<br />

war. Dies betraf diejenigen Arbeitnehmer, die infolge<br />

Ausscheidens vor Ablauf des Ausgleichszeitraumes nicht den<br />

vollen individuellen Mindestanspruch auf Verdienstschutz erhielten.<br />

Als Fall eines Ausscheidens, der den individuellen<br />

Mindestanspruch teilweise entfallen lässt, haben die Betriebsparteien<br />

die Eigenkündigung eines Mitarbeiters nebst Aufnahme<br />

eines neuen Arbeitsverhältnisses außerhalb des Konzerns<br />

erwähnt. Auch der Tod eines Arbeitnehmers kann dazu<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 24 01.09.2008 13:16:53


führen, dass das Arbeitsverhältnis vor Ablauf des Ausgleichszeitraumes<br />

endet. Die auf den restlichen, nicht zur Auszahlung<br />

gelangenden Teil bezogene Rückerstattungspflicht ist durch<br />

den Abschluss des SP 2005, an dem die Beklagte zu 2.) nicht<br />

mitgewirkt hat, nicht beseitigt worden. Wäre also der Kläger<br />

oder ein anderer Arbeitnehmer vor einem der Auszahlungszeitpunkte<br />

der Abfindung verstorben, hätten seine Erben die<br />

Abfindung mangels Vererblichkeit nicht erhalten (vgl. Ziff. 1<br />

der Abfindungszusage aE) <strong>und</strong> die Beklagte zu 2.) hätte den<br />

zurücküberwiesenen Betrag insoweit für sich behalten dürfen.<br />

Die Insolvenzschuldnerin selbst hat die Regelungen in der<br />

„Zweckbestimmungserklärung“ in eben diesem Sinne verstanden,<br />

wie sich aus ihrer dortigen Erklärung ersehen lässt, mit<br />

der Zahlung „in voller Höhe ihrer Rückzahlungsverpflichtung<br />

dieser nicht verwendeten Beträge für die im Anhang genannten<br />

Mitarbeiter“ nachzukommen.<br />

bb) Der Insolvenzschuldnerin stand zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung<br />

kein in die Insolvenzmasse fallender Herausgabeanspruch<br />

nach § 667 BGB zu. Der Inhalt der Vertragsbeziehungen<br />

zwischen ihr <strong>und</strong> der Beklagten zu 2.), der auch<br />

in der „Zweckbestimmungserklärung“ seinen Ausdruck gef<strong>und</strong>en<br />

hat, schließt ein Recht der Insolvenzschuldnerin, den Auftrag<br />

zu widerrufen, ebenso wie nachfolgende Herausgabeansprüche<br />

aus.<br />

(1) Dient ein Auftrag ebenso dem Interesse des Beauftragten<br />

wie dem des Auftraggebers oder dient er auch den Interessen<br />

Dritter, ist der Verzicht auf das Widerrufsrecht nach § 671 BGB<br />

zulässig (BGH 13. Mai 1971 – VII ZR 310/69 – WM 1971, 956;<br />

Staudinger/Martinek, BGB (2006), § 671 Rn 10; Palandt/Sprau,<br />

BGB, 67. Aufl., § 671 Rn 2). Ebenso kann § 667 BGB von den<br />

Vertragsparteien abbedungen oder modifiziert, etwa an die<br />

Besonderheiten der Auftragsausführung angepasst werden<br />

(BGH, 28. November 1996 – III ZR 45/96 – NJW-RR 1997, 778).<br />

(2) Die Insolvenzschuldnerin war bereits im SP 2002 eigene<br />

Verpflichtungen zur Zahlung von monatlichen Aufstockungsleistungen<br />

eingegangen, die durch den Abschluss des SP 2005<br />

für eine Gruppe von 23 Arbeitnehmern in Ansprüche auf Abfindungsleistungen<br />

umgewandelt wurden. Sie besaß ein Interesse<br />

daran, dass die Beklagte zu 2.) die erhaltenen Mittel<br />

zweckgeb<strong>und</strong>en verwendete, damit sie auf diese Weise von<br />

ihren Verbindlichkeiten befreit wurde. Diese Umstände waren<br />

für das zwischen der Insolvenzschuldnerin <strong>und</strong> der Beklagten<br />

zu 2.) bestehende Auftragsverhältnis von wesentlicher<br />

Bedeutung. Des Weiteren besaß aber auch die Beklagte zu<br />

2.) ein eigenes Interesse an der Überlassung der Geldmittel,<br />

weil diese für den Fall, dass die Anspruchsvoraussetzungen<br />

in der Person einzelner Arbeitnehmer entfielen, ihr <strong>und</strong> nicht<br />

der Insolvenzschuldnerin zustehen sollten. Um den Transfer<br />

der Mittel an sich zu ermöglichen, gab die Beklagte zu 2.) die<br />

ihr in Gestalt einer Bankgarantie von der Insolvenzschuldnerin<br />

zur Verfügung gestellte Sicherheit durch Teilverzicht auf.<br />

Das durch die „Zweckbestimmungserklärung“ zwischen der<br />

Insolvenzschuldnerin <strong>und</strong> der Beklagten zu 2.) begründete<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

Auftragsverhältnis ist daher bei Würdigung sämtlicher Umstände<br />

als durch die Interessen beider Parteien gleichermaßen<br />

geprägt anzusehen. Es entsprach auch dem Willen beider<br />

Beteiligter, dass die spätere Insolvenzschuldnerin CSL nicht<br />

das Recht haben sollte, den Auftrag im Anschluss an seine<br />

Erteilung zu widerrufen <strong>und</strong> die zur Auftragsausführung überlassenen<br />

Mittel zurückzufordern. Vielmehr sollte der Abfluss<br />

des Geldes aus dem Vermögen von CSL endgültig erfolgen.<br />

4. Der Beklagte zu 1.) kann von der Beklagten zu 2.) nicht<br />

gemäß § 143 Abs. 1 InsO die Rückgewähr der geleisteten Zahlung<br />

verlangen. Die Zahlung von 387.243,43 Euro an die Beklagte<br />

zu 2.) hat die Gläubiger der Insolvenzschuldnerin nicht<br />

unmittelbar benachteiligt, weil es sich um ein Bargeschäft<br />

i.S.d. § 142 InsO handelte. Die Voraussetzungen für eine Anfechtung<br />

gem. § 133 InsO liegen ersichtlich nicht vor.<br />

■ B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />

vom 21. Februar 2008, 6 AZR 273/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Christian Puhr-Westerheide,<br />

Beethovenstraße 21, 47226 Duisburg, Tel.: 02065/3000-0,<br />

Fax: 02065/3000-50<br />

info@ra-npp.de; www.ra-npp.de<br />

159. Fahrtenschreiberblätter, Anspruch des Fahrers,<br />

Überst<strong>und</strong>envergütung, keine Pflicht des Arbeitgebers,<br />

dem Anspruchsteller sonstige Mittel zur Beweisführung<br />

zur Verfügung zu stellen<br />

Aus den Gründen: ...<br />

Dem Kläger steht nach Art. 14 II VO (EWG) Nr. 3821/85 der<br />

geltend gemachte Anspruch auf Herausgabe von Kopien der<br />

Tachoscheiben für die Zeit vom 01. Dezember 2005 bis 15. Oktober<br />

2006 zu. Das Berufungsgericht schließt sich insoweit der<br />

Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen mit<br />

Urteil vom 10. Mai 2005 (- 13 Sa 842/04 – NZA-RR 2005, 461,<br />

462) an. Nach Art. 14 Abs. 2 VO (EWG) 3821/85 hat das Unternehmen<br />

die Fahrtenschreiberdiagramme ein Jahr lang aufzubewahren<br />

<strong>und</strong> dem Fahrer auf Verlangen Kopien auszuhändigen.<br />

Diese Verordnung ist gem. Art. 249 EG-Vertrag unmittelbar<br />

zwingend geltendes Recht <strong>und</strong> gewährt damit dem Kläger<br />

den entsprechenden Anspruch. Fahrtenschreiberdiagramme<br />

dienen zwar in erster Linie der Aufzeichnung der Lenkzeit <strong>und</strong><br />

der Kontrolle der Einhaltung der Lenkzeitvorschriften im Interesse<br />

der Harmonisierung der Bedingungen des Wettbewerbs<br />

zwischen Land- <strong>und</strong> Verkehrsunternehmen, insbesondere im<br />

Straßenverkehrssektor, sowie der Verbesserung der Arbeitsbedingungen<br />

<strong>und</strong> der Sicherheit im Straßenverkehr (vgl. Verordnung<br />

(EWG) des Rates über die Harmonisierung bestimmter<br />

Sozialvorschriften im Straßenverkehr Nr. 3820/85). Es geht<br />

dabei aber auch um die Arbeitsbedingungen der betroffenen<br />

Arbeitnehmer. Damit ergibt sich ein hinreichender Sachzusammenhang<br />

zum vorliegend geltend gemachten Anspruch<br />

auf Überst<strong>und</strong>envergütung. Fahrtenschreiberdiagramme sind<br />

jedenfalls teilweise geeignet, Überst<strong>und</strong>enansprüche zu substantiieren.<br />

Aus Beginn <strong>und</strong> Ende der Lenkzeit kann auf Be-<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 25 01.09.2008 13:16:53<br />

189


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

ginn <strong>und</strong> Ende der Arbeitszeit geschlossen werden, aus Lenkzeitunterbrechungen<br />

kann auf Pausen geschlossen werden.<br />

Es bedarf gr<strong>und</strong>sätzlich für die gerichtliche Geltendmachung<br />

auch keines besonderen Rechtsschutzbedürfnisses. ...<br />

Auch die zum 01.09.2006 eingetretene Gesetzesänderung des<br />

Arbeitszeitgesetzes in § 21a Abs. 7 steht der hier vertretenen<br />

Ansicht nicht entgegen. Der Arbeitgeber wird in dieser Vorschrift<br />

ganz allgemein verpflichtet, die Arbeitszeit der Arbeitnehmer<br />

aufzuzeichnen <strong>und</strong> die Aufzeichnungen mindestens<br />

2 Jahre aufzubewahren, sowie dem Arbeitnehmer auf Verlangen<br />

eine Kopie der Aufzeichnungen seiner Arbeitszeit auszuhändigen.<br />

Dass gemäß den von der Beklagten zitierten Gesetzesmaterialien<br />

zu entnehmen ist, dass unter diesen Arbeitszeitaufzeichnungen<br />

gem. § 21a ArbZG auch Tachoscheiben<br />

zu verstehen sind, rechtfertigt nicht die Annahme, dass der<br />

Gesetzgeber damit dokumentieren wollte, dass Art. 14 Abs. 2<br />

VO (EWG) Nr. 3821/85 nicht auch diesen Anspruch bereits begründet<br />

hat. Auch wenn es einer Transformation von europarechtlichen<br />

Verordnungen gem. Art. 249 Abs. 2 EG-Vertrag<br />

nicht bedarf, ist es doch sinnvoll, Rechtsansprüche einheitlich<br />

in einem nationalen Gesetz zusammenzufügen.<br />

Der Kläger hat hingegen keinen Anspruch auf den weiter<br />

geltend gemachten Auskunftsanspruch auf Benennung der<br />

belieferten Firmen <strong>und</strong> Personen mit genauer Anschrift <strong>und</strong><br />

Adresse, hilfsweise auf Aushändigung von Kopien der Lieferscheine.<br />

Nach der auch vom Kläger zitierten Rechtsprechung<br />

(BAG, Urteil vom 21 11.2000 – 9AZR 665/99 – BAGE 96, 274 =<br />

AP Nr. 35 zu § 242 BGB Auskunftspflicht <strong>und</strong> BGH, Urteil vom<br />

06.02.2007 –XZR117/04 – NJW 2007, 1806 – 1809) setzt ein<br />

Auskunftsanspruch voraus, dass der Anspruchsberechtigte in<br />

entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang<br />

seines Rechts im Ungewissen ist, <strong>und</strong> der Verpflichtete in<br />

der Lage ist, unschwer zur Beseitigung dieser Ungewissheit<br />

erforderliche Auskünfte zu erteilen. Der Kläger ist aber über<br />

das Bestehen <strong>und</strong> den Umfang seines Anspruchs aus Überst<strong>und</strong>envergütung<br />

nicht im Ungewissen. Der Kläger meint<br />

vielmehr, dass ein Überst<strong>und</strong>enanspruch im Umfang seiner zu<br />

den Akten gereichten Aufstellungen (vgl. beispielsweise den<br />

Schriftsatz vom 02. Mai 2007, S. 1 – 55, Bl. 372 – 425 d.A.)<br />

besteht. Ausweislich des Berufungsbegründungsschriftsatzes<br />

des Klägers geht es diesem vielmehr darum, mit der Auskunft<br />

an Name <strong>und</strong> ladungsfähige Anschrift geeigneter Zeugen<br />

für seinen Sachvortrag zu kommen. Die Rechtsprechung,<br />

die dem Anspruchsberechtigten nach Treu <strong>und</strong> Glauben einen<br />

Auskunftsanspruch zubilligt, wenn die zwischen den Parteien<br />

bestehende Rechtsbeziehung es mit sich bringt, dass der Anspruchsberechtigte<br />

in entschuldbarer Weise über das Bestehen<br />

oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, <strong>und</strong><br />

der Verpflichtete in der Lage ist, unschwer zur Beseitigung<br />

dieser Ungewissheit eine erforderliche Auskunft zu erteilen,<br />

erstreckt sich nicht darauf, dem Anspruchsberechtigten auch<br />

die Mittel einer Beweisführung zugänglich zu machen. Auch<br />

sonst ist nicht ersichtlich, dass sich aus anderen Anspruchs-<br />

190 03/08<br />

gr<strong>und</strong>lagen, etwa § 809, § 810 BGB, ein Anspruch des Klägers<br />

ergibt. Der Kläger hat gegen die Beklagte in Ansehung der<br />

Namen <strong>und</strong> Anschriften der belieferten Firmen <strong>und</strong> Personen<br />

sowie der Lieferscheine keinen Rechtsanspruch (§ 809 BGB).<br />

Auch ein Einsichtsrecht nach § 810 BGB kommt nicht in Betracht,<br />

weil die Lieferscheine nicht dazu bestimmt sind, für<br />

den Kläger als Beweismittel zu dienen oder seine, rechtlichen<br />

Beziehungen zur Beklagten zu fördern. Maßgebend ist nämlich<br />

nicht der Inhalt der Urk<strong>und</strong>e, sondern der Zweck ihrer<br />

Errichtung. In den Lieferscheinen ist auch kein zwischen dem<br />

Kläger <strong>und</strong> der Beklagten bestehendes Rechtsverhältnis beurk<strong>und</strong>et.<br />

■ Hessisches Landesarbeitsgericht<br />

vom 19. März 2008, 6 Sa 1256/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Carsten Conrad, Barbarossastraße<br />

14, 83571 Gelnhausen, Tel.: 06051/9221-0,<br />

Fax: 06051/159 99<br />

info@ra-muench.de; www.ra-muench.de<br />

160. Vergütung, geringfügige Beschäftigung, Sozialversicherung<br />

bei teilweiser Beschäftigung in einem Kalendermonat<br />

Leitsatz der Redaktion:<br />

Ist ein geringfügig Beschäftigter nur in Teilen eines Monats<br />

beschäftigt, sind Sozialversicherungsanteile nach Maßgabe<br />

des tatsächlichen Verdienstes abzuführen; eine Hochrechnung<br />

auf mögliches weiteres Einkommen bei Fortsetzung der<br />

Tätigkeit verbietet sich.<br />

■ Arbeitsgericht Marburg<br />

vom 25. April 2008, 2 Ca 9/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Jörg Thomas Weigel, Schwanallee<br />

33, 35037 Marburg, Tel.: 06421/1715-0,<br />

Fax: 06421/1715-21,<br />

rechtsanwaelte@weigel-arand.de; www.weigel-arand.de<br />

Anmerkung:<br />

Der streitige Abzug höherer Beiträge, die ja auch den Arbeitgeber<br />

belasten, erfolgte auf entsprechende Weisung des<br />

Krankenversicherers. Die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts ist<br />

fraglich, wird in dem Urteil aber mit keinem Wort geprüft. (me)<br />

161. Wettbewerbsverbot, nachvertragliches, Unterlassungsantrag,<br />

einstweilige Verfügung, Wettbewerbssituation,<br />

Verfügungsgr<strong>und</strong>, Streitwert<br />

Tatbestand:<br />

Die Verfügungsklägerin begehrt mit ihrem Antrag auf Erlass<br />

einer einstweiligen Verfügung aufgr<strong>und</strong> eines nachvertraglichen<br />

Wettbewerbsverbots die Unterlassung einer Konkurrenztätigkeit<br />

ihres ehemaligen Arbeitnehmers bei der Fa. X.<br />

Der Verfügungsbeklagte war bei der Verfügungsklägerin bzw.<br />

deren Rechtsvorgängerin vom 1. Mai 1994 bis zu seiner Eigenkündigung<br />

zum 31. März 2008, zunächst in der Niederlassung<br />

Aachen <strong>und</strong> zuletzt als Teamleiter im Innendienst der<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 26 01.09.2008 13:16:54


Niederlassung Düsseldorf gegen eine durchschnittliche Bruttomonatsvergütung<br />

in Höhe von 4.331,57 € beschäftigt.<br />

Nach Abschluss des Arbeitsvertrages vom 3. Mai 1994 ... vereinbarten<br />

die Arbeitsvertragsparteien am 4. Januar 1996 eine<br />

Wettbewerbsvereinbarung. ...<br />

Seit dem 1. April 2008 arbeitet der Verfügungsbeklagte als<br />

Teamleiter Befestigungstechnik bei der Y.<br />

Mit ihrem am 29. Mai 2008 bei Gericht eingegangenen Antrag<br />

auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, dem Verfügungsbeklagten<br />

zugestellt am 3. Juni 2008, begehrt die Verfügungsklägerin<br />

die Untersagung dieser Tätigkeit. ...<br />

Entscheidungsgründe:<br />

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist erfolgreich.<br />

A. Er ist gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i.V. mit §§ 935, 940<br />

ZPO zulässig.<br />

B. Der Antrag ist auch begründet, denn die Verfügungsklägerin<br />

hat durch die eidesstattlichen Versicherungen sowohl<br />

einen Verfügungsanspruch als auch einen Verfügungsgr<strong>und</strong><br />

glaubhaft gemacht. ...<br />

Das nachvertragliche Wettbewerbsverbot ist weder unwirksam<br />

noch unverbindlich, vielmehr genügt es den gesetzlichen<br />

Anforderungen. ...<br />

3. Zudem dient die Konkurrenzvereinbarung dem Schutz<br />

der berechtigten geschäftlichen Interessen der Verfügungsklägerin<br />

<strong>und</strong> führt auch der Erlass einer einstweiligen Verfügung<br />

unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen<br />

nicht zu einer unbilligen Beschwerung des beruflichen Fortkommens<br />

des Verfügungsbeklagten.<br />

a) Mit dem Abschluss der Wettbewerbsvereinbarung verfolgte<br />

die Arbeitgeberin zu Recht das Ziel, die Gefahr des<br />

Verrats von Geschäftsgeheimnissen durch den Verfügungsbeklagten<br />

an die Konkurrenz bzw. des Einbruchs des Wettbewerbers<br />

in ihren K<strong>und</strong>enstamm zu bannen. Diese Gefahr<br />

besteht entgegen der Auffassung des Verfügungsbeklagten<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich nicht nur bei Arbeitnehmern, die der Geschäftsleitung<br />

angehören oder dieser nahe stehen. Vielmehr entsprach<br />

es einem berechtigten Interesse der Verfügungsklägerin,<br />

mit dem bei ihr als Teamleiter <strong>und</strong> damit in einer nicht nur<br />

untergeordneten <strong>und</strong> eher unbedeutenden Position beschäftigten<br />

Verfügungsbeklagten das Betreiben von Konkurrenz für<br />

die Dauer eines Jahres auszuschließen. Denn der Verfügungsbeklagte<br />

bekleidete eine Stellung, die ihm Kenntnisse nicht<br />

nur über die Produkteigenschaften der vertriebenen Artikel,<br />

sondern auch über Preisabsprachen <strong>und</strong> Wettbewerbsvorteile<br />

vermittelte. Daneben nahm er an Schulungen zur Vertiefung<br />

dieser Kenntnisse teil. Die Tätigkeit bei einem Wettbewerber<br />

birgt deshalb die Gefahr, dass der Verfügungsbeklagte das<br />

bei der Verfügungsklägerin erworbene Know-how zum Vorteil<br />

des Konkurrenten ausnutzt <strong>und</strong> damit die Marktposition der<br />

Verfügungsklägerin schwächt.<br />

b) Bei der Fa. Y handelt es sich entgegen der Auffassung des<br />

Verfügungsbeklagten auch um eine potentielle Mitbewerbe-<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

rin, die unter den Geltungsbereich der Wettbewerbsvereinbarung<br />

vom 4. Januar 1996 fällt. Denn zwischen den von der<br />

Verfügungsklägerin <strong>und</strong> der Fa. Y vertriebenen Produkten existieren<br />

durchaus Überschneidungen. Auch die neue Arbeitgeberin<br />

des Verfügungsbeklagten vertreibt Artikel aus dem Produktsegment<br />

der Verfügungsklägerin, die ausdrücklich in der<br />

Wettbewerbsvereinbarung genannt werden, wie Schrauben,<br />

Schraubenzubehör <strong>und</strong> insbesondere den Bereich der Befestigungstechnik,<br />

in dem der Verfügungsbeklagte nunmehr als<br />

Teamleiter beschäftigt ist. Diese Produkte befanden sich im<br />

Sinne der Vereinbarung der Parteien bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />

im Verkaufsprogramm der Verfügungsklägerin.<br />

Der Verfügungsbeklagte kann nicht mit Erfolg einwenden,<br />

das Konkurrenzverbot erfasse nur die Artikel aus dem S-<br />

Programm, die die Fa. Y gar nicht vertreibe. Es kann insoweit<br />

nicht auf denselben Hersteller oder dieselbe Markenbezeichnung<br />

ankommen, d. h. es muss sich nicht um S-Schrauben<br />

handeln. Derartig eng ist der Geltungsbereich der Ziffer 1 des<br />

Wettbewerbsverbots nicht zu fassen. Denn unabhängig von<br />

dem Hersteller der Werkzeuge <strong>und</strong> Artikel besteht die Wettbewerbssituation,<br />

sobald derselbe Produktzweig betroffen ist, d.<br />

h. Schrauben, Werkzeuge <strong>und</strong> Befestigungstechnik schlechthin.<br />

Die Gefahr des Abwerbens von K<strong>und</strong>en besteht nicht<br />

nur dann, wenn der Wettbewerber einen besseren Preis für<br />

ein identisches Produkt macht, sondern auch dann, wenn er<br />

dem K<strong>und</strong>en ein anderes Ersatzprodukt schmackhaft macht.<br />

In beiden Fällen ist die Marktposition der Verfügungsklägerin<br />

in negativer Hinsicht betroffen.<br />

Es ist auch nicht erforderlich, dass eine Schnittmenge zwischen<br />

den bisherigen K<strong>und</strong>en der Verfügungsklägerin <strong>und</strong><br />

den K<strong>und</strong>en der Fa. Y existiert.<br />

Es mag sein, dass die neue Arbeitgeberin des Verfügungsbeklagten<br />

andere Vertriebswege nutzt. Zumindest stehen hinter<br />

den Großhändlern, die bei der Fa. Y einkaufen, wiederum Endk<strong>und</strong>en,<br />

die als potentielle K<strong>und</strong>en der Verfügungsklägerin<br />

in Betracht kommen. Das Wettbewerbsverbot der Parteien ist<br />

nicht k<strong>und</strong>enbezogen formuliert, sondern produktspezifisch.<br />

4. Das berufliche Fortkommen des Verfügungsbeklagten<br />

wird durch die Konkurrenzvereinbarung auch nicht in unbilliger<br />

Weise beschwert, § 74a Abs. 1 S. 2 HGB. Der Verfügungsbeklagte<br />

besitzt eine Ausbildung, die jeglichen Einsatz<br />

als kaufmännischen Angestellten ermöglicht. Er muss nicht<br />

zwangsläufig im Eisenhandel tätig sein, sondern ist universell<br />

einsetzbar. Damit kommt die Wettbewerbsvereinbarung<br />

gerade nicht einem einjährigen Berufsverbot gleich. ...<br />

II. ... 2. Der Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung<br />

führt zwar insoweit zur Vorwegnahme der Hauptsache, als der<br />

Verfügungsbeklagte dazu verpflichtet wird, seine Tätigkeit bei<br />

der neuen Arbeitgeberin einzustellen, um dem Wettbewerbsverbot<br />

zu genügen. Sollte in einem Hauptsacheverfahren eine<br />

abweichende Entscheidung ergehen, wäre für die Zeit bis<br />

zur Hauptsacheentscheidung ein irreparabler Zustand einge-<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 27 01.09.2008 13:16:54<br />

191


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

treten. Diese Gefahr ist jedoch im Interesse eines effektiven<br />

Rechtsschutzes hinzunehmen. Nur durch die Untersagung des<br />

Wettbewerbs ist es möglich, die geschäftlichen Interessen der<br />

Verfügungsklägerin angemessen zu schützen. Andererseits ist<br />

eine besondere Schutzbedürftigkeit des Verfügungsbeklagten,<br />

der sehenden Auges im Bewusstsein <strong>und</strong> in Kenntnis<br />

der vereinbarten Regelung vom 4. Januar 1996 die Situation<br />

heraufbeschworen hat, nicht zu erkennen.<br />

3. Letztlich kann der Verfügungsklägerin auch nicht eine<br />

Selbstwiderlegung der Dringlichkeit vorgeworfen werden.<br />

Zwar hat der Verfügungsbeklagte behauptet, es sei der<br />

ehemaligen Arbeitgeberin bereits seit dem 7. Mai 2008<br />

bekannt, dass er bei der Fa.Y arbeite. Allein eine Mitteilung des<br />

neuen Arbeitgebers gegenüber einer Mitarbeiterin der Verfügungsklägerin<br />

lässt jedoch zum einen nicht ohne weiteres<br />

den Schluss zu, der Geschäftsleitung der Verfügungsklägerin<br />

sei bei Eingang des Antrags auf Erlass einer einstweiligen<br />

Verfügung bereits fast 4 Wochen die Konkurrenztätigkeit<br />

bekannt gewesen. Die von der Verfügungsklägerin behauptete<br />

Kenntnisnahme erst am Ende des Monats Mai 2008 im<br />

Rahmen der monatlichen Abrechnung der Karenzentschädigung<br />

ist durchaus nachvollziehbar. Zum anderen wäre auch<br />

dann nicht zwangsläufig von einem unangemessen langen<br />

Zuwarten der Verfügungsklägerin auszugehen. Denn auch in<br />

vier Wochen ist regelmäßig nicht der rechtskräftige Abschluss<br />

eines Hauptsacheverfahrens zu erwarten.<br />

III. ... Den gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzenden<br />

Wert des Streitgegenstandes hat das Gericht auf den<br />

einjährigen Wert der Karenzentschädigung (4.331,57 € :2x<br />

12 Monate = 25.989,42 €) festgesetzt. Ein Abschlag für die<br />

Vorläufigkeit der Regelung kommt in Anbetracht der Vorwegnahme<br />

der Hauptsache nicht in Betracht. ...<br />

■ Arbeitsgericht Mönchengladbach<br />

vom 5. Juni 2008, 4 Ga 24/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Alexander Krafft, Schillerstraße<br />

47, 74613 Öhringen, Tel.: 07941/6075-0, Fax: 07941/6075-99<br />

info@adavoca.de, www.advoca.de<br />

162. Wettbewerbshandlungen bei Rechtsanwälten, einstweilige<br />

Verfügung auf Unterlassung, Befriedigungsverfügung,<br />

Verhaltensbedingte Kündigung, außerordentlich<br />

durch den Arbeitnehmer<br />

Aus dem Tatbestand:<br />

Die Verfügungsklägerin betreibt ... eine Anwaltskanzlei. Einer<br />

der Schwerpunkte der Kanzlei ist die Übernahme von Betreuungsmandaten<br />

<strong>und</strong> Verfahrenspflegschaften. Die Verfügungsbeklagten<br />

traten zum 01.01.2003 als Assessoren <strong>und</strong> nachfolgend<br />

Rechtsanwälte im Anstellungsverhältnis in die Kanzlei<br />

ein. Seit 2004 verhandeln die Parteien über die Aufnahme<br />

der Verfügungsbeklagten als Partner in die Kanzlei; zu einem<br />

Partnerschaftsvertrag kam es nicht.<br />

Am 20.08.2007 kam es zwischen den Parteien zu einem<br />

Gespräch betreffend die Aufnahme der Verfügungsbeklagten<br />

192 03/08<br />

in ein Partnerschaftsverhältnis, bei dem die Verfügungsbeklagten<br />

mitteilten, dass eine solche Partnerschaft für sie nicht<br />

mehr in Frage komme <strong>und</strong> eine Trennung geplant sei. Man<br />

habe insoweit kein Vertrauen mehr zur Verfügungsklägerin.<br />

Am 24.08.2007 gaben die Verfügungsbeklagten die ihnen<br />

überlassenen Dienstgegenstände, wie z.B. Dienstwagen <strong>und</strong><br />

Diensthandys, an die Verfügungsklägerin zurück.<br />

Mit Kündigungsschreiben vom 27.08.2007 erklärten die Verfügungsbeklagten<br />

jeweils die fristgemäße Kündigung des Arbeitsverhältnisses<br />

zum 31.10.2007.<br />

Am 28.08.2007 fiel der Verfügungsklägerin ein Nachsendeantrag<br />

der Verfügungsbeklagten in die Hände (bezogen auf eine<br />

andere Rechtsanwaltskanzlei) mit Beginn des Nachsendeauftrags<br />

für den 01. September 2007 ... .<br />

Am 28. oder 29.08.2007 fand zwischen den Parteien in der<br />

Kanzlei der Verfügungsklägerin ein Gespräch statt. Während<br />

dieses Gespräches teilte die Verfügungsklägerin den Verfügungsbeklagten<br />

mit, dass am 04.09.2007 ein Besprechungstermin<br />

mit (einem) Mediator stattfinden solle. Ein solcher<br />

Besprechungstermin wurde jedoch von den Verfügungsbeklagten<br />

abgelehnt. Zudem wies die Verfügungsklägerin die<br />

Verfügungsbeklagten in diesem Gespräch an, die von den<br />

Verfügungsbeklagten im Jahre 2007 bearbeiteten <strong>und</strong> fälligen<br />

Betreuungsakten abzurechnen. Die Verfügungsbeklagten<br />

weigerten sich, diese Akten abzurechnen, da dies „auf die<br />

Schnelle“ nicht möglich sei.<br />

Am Morgen des 30.08.2007 ließ die Verfügungsklägerin die<br />

Schlösser zum Gerichtsfach <strong>und</strong> zur Anwaltskanzlei auswechseln.<br />

Zudem sichtete die Verfügungsklägerin die Betreuungs<strong>und</strong><br />

Verfahrenspflegschaftsakten <strong>und</strong> nahm diese aus den im<br />

Büro befindlichen Regalen hinaus, um sie in einem separaten<br />

Raum im Büro zu lagern. Schließlich stellte sie die Auszubildende<br />

sowie eine weitere Mitarbeiterin frei, die in der Vergangenheit<br />

zumeist den Verfügungsbeklagten zugearbeitet<br />

haben. Die in der Kanzlei auch für die Verfügungsbeklagten<br />

eingehende Post wurde von einer Mitarbeiterin der Kanzlei<br />

geöffnet <strong>und</strong> entsprechend gesichtet.<br />

Mit Schreiben vom 30.08.2007 kündigten die Verfügungsbeklagten<br />

das bestehende Arbeitsverhältnis außerordentlich.<br />

Am 30.08.2007 teilten die Verfügungsbeklagten dem Vorm<strong>und</strong>schaftsgericht<br />

mit, dass sie aus der bislang gemeinsam<br />

geführten Anwaltskanzlei mit der Verfügungsklägerin ausgeschieden<br />

seien. Sie legten Visitenkarten mit neuer Kanzleianschrift,<br />

E-mail-Adresse etc. vor. Das Vorm<strong>und</strong>schaftsgericht<br />

nahm aufgr<strong>und</strong> dieser Vorstellung die Verfügungsbeklagten<br />

mit neuer Anschrift in der bei Gericht geführten Liste auf.<br />

Zumindest auch seit dem 29./30.08.2007 existiert im Internet<br />

eine Homepage der von den Verfügungsbeklagten gegründeten<br />

Kanzlei, die sich zwar noch im Aufbau befindet, jedoch<br />

schon jetzt auf den Kanzleisitz hinweist unter Angabe von<br />

weiteren Kommunikationsdaten.<br />

Am 31.08.2007 gab die Verfügungsklägerin an die Verfügungsbeklagten<br />

Sparbücher, Kontokarten, Schlüssel etc., her-<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 28 01.09.2008 13:16:54


aus, nachdem diese die Herausgabe am 30.08.2007 verlangt<br />

hatten. Am 04.09.2007 gab die Verfügungsklägerin darüber<br />

hinaus alle Betreuungsakten <strong>und</strong> Akten über Verfahrenspflegschaften<br />

an die Verfügungsbeklagten heraus. Dies geschah,<br />

nachdem sich die Verfügungsklägerin durch Einblicknahme<br />

in jede einzelne Akte über den Stand des Verfahrens <strong>und</strong><br />

die bis dato angefallenen Gebühren einen groben Überblick<br />

verschafft hatte. Insgesamt handelte es sich um 280 Verfahrenspflegschaftsakten<br />

sowie 130 Betreuungsakten.<br />

Die Verfügungsklägerin ist der Ansicht, dass die fristlose Kündigung<br />

der Verfügungsbeklagten unwirksam sei <strong>und</strong> insoweit<br />

das Arbeitsverhältnis bis zum 31.10.2007 fortbestehe.<br />

Während des bestehenden Arbeitsverhältnisses dürften die<br />

Verfügungsbeklagten keine Wettbewerbshandlungen zu ihrem<br />

Nachteil aufnehmen, sprich nicht als Rechtsanwältin bzw.<br />

Rechtsanwalt werbend am Markt auftreten <strong>und</strong> keine Beratung<br />

<strong>und</strong> Vertretung außerhalb ihrer Kanzlei vornehmen. Insoweit<br />

gelte der allgemeine Rechtsgedanke des § 60 Abs. 1<br />

HGB in allen Arbeitsverhältnissen. Hinsichtlich dieses Wettbewerbsverbotes<br />

sei auch eine einstweilige Verfügung notwendig,<br />

da in dem Hauptsacheverfahren mit einer Entscheidung<br />

vor Ablauf der Kündigungsfrist nicht zu rechnen sei.<br />

Aus den Entscheidungsgründen:<br />

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist gem.<br />

den §§ 935, 940 ZPO begründet.<br />

I. Der Verfügungsanspruch ergibt sich aus dem Rechtsgedanken<br />

des § 60 Abs. 1 HGB. Insoweit ist es den Verfügungsbeklagten<br />

verwehrt, im bestehenden Arbeitsverhältnis zu der<br />

Verfügungsklägerin in Wettbewerb zu treten.<br />

1. Zwischen den Parteien besteht noch ein Arbeitsverhältnis<br />

bis zum 31.10.2007. Nach Auffassung der Kammer ist die<br />

seitens der Verfügungsbeklagten erklärte fristlose Kündigung<br />

vom 30.08.2007 unwirksam gemäß § 626 Abs. 1 BGB.<br />

Für die außerordentliche Kündigung durch den Arbeitnehmer<br />

gelten gr<strong>und</strong>sätzlich die gleichen Maßstäbe <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>sätze<br />

wie für die außerordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber<br />

(vgl. BAG, Urteil v. 19.06.1967, EzA § 124 GewO Nr. 1; LAG<br />

Berlin, Urteil v. 22.03.1989, BB 1989, S. 1121). Im Streitfall trägt<br />

der Arbeitnehmer die Darlegungs- <strong>und</strong> Beweislast für die Tatsachen,<br />

aus denen er die für ihn bestehende Unzumutbarkeit<br />

der Weiterbeschäftigung herleitet. Sinn <strong>und</strong> Zweck des § 626<br />

BGB ist es, den Vertragspartner vor sofortigen Beendigungen<br />

zu schützen, indem solche nur unter der Voraussetzung des<br />

Vorliegens eines wichtigen Gr<strong>und</strong>es zugelassen werden. Nach<br />

Auffassung der Kammer liegen keine Tatsachen vor, aufgr<strong>und</strong><br />

derer den Verfügungsbeklagten unter Berücksichtigung aller<br />

Umstände des Einzelfalles <strong>und</strong> unter Abwägung der Interessen<br />

beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses<br />

bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet<br />

werden kann, § 626 Abs. 1 BGB.<br />

Zwar hat die Verfügungsklägerin den Verfügungsbeklagten<br />

die Weiterführung ihrer Tätigkeit als Rechtsanwälte insoweit<br />

erschwert, als sie die Schlösser zum Gerichtsfach <strong>und</strong> zur<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

Anwaltskanzlei am 30.08.2007 auswechseln ließ, die Betreuungsakten<br />

<strong>und</strong> Verfahrenspflegschaftsakten aus den Regalen<br />

in ein separates Zimmer räumen ließ <strong>und</strong> die Auszubildende<br />

sowie eine weitere Mitarbeiterin freistellte. Dieses Verhalten<br />

der Verfügungsklägerin reicht nach Auffassung der Kammer<br />

jedoch nicht aus, einen fristlosen Kündigungsgr<strong>und</strong><br />

darzustellen, auch wenn es sich um ein Verhalten handelt,<br />

was im Rahmen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses<br />

zu Unstimmigkeiten führt. Zu berücksichtigen ist insoweit,<br />

dass auch die Verfügungsbeklagten durch ihr Verhalten die<br />

Situation zwischen den Parteien verschärft haben. So haben<br />

die Verfügungsbeklagten gegenüber der Verfügungsklägerin<br />

erklärt, dass sie kein Vertrauen mehr in diese hätten. Zudem<br />

haben die Verfügungsbeklagten bereits am 24.08.2007, somit<br />

zwei Monate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses, ihre<br />

Dienst-Pkw <strong>und</strong> Diensthandys an die Verfügungsklägerin<br />

zurückgegeben. Zudem haben die Verfügungsbeklagten vor<br />

Ausspruch der fristlosen Kündigung einen Nachsendeauftrag<br />

für (eine Anwaltskanzlei) mit Beginn des 01.09.2007 gestellt,<br />

obwohl das Arbeitsverhältnis noch bis zum 31.10.2007 andauerte.<br />

Auch in dem Gespräch am 28. bzw. 29.08.2007 haben die<br />

Verfügungsbeklagten durch die Ablehnung der Abrechnung<br />

der von ihnen bearbeiteten Verfahrenspflegschaftsakten <strong>und</strong><br />

die Ablehnung der Teilnahme an einer Mediation gegenüber<br />

der Verfügungsklägerin klargemacht, dass ein Zusammenarbeiten,<br />

wie in der Vergangenheit, nicht mehr möglich ist.<br />

Insoweit hatten die Verfügungsbeklagten am 30.08.2007 auch<br />

das fristlose Kündigungsschreiben bereits vorgefertigt in ihrer<br />

Tasche, bevor sie das Ausräumen der Akten aus den Regalen<br />

im Büro überhaupt zur Kenntnis hätten nehmen können.<br />

Vor dem Hintergr<strong>und</strong> der für die Kammer nachvollziehbaren<br />

Schwierigkeiten <strong>und</strong> Unstimmigkeiten, die im Rahmen<br />

eines Ausscheidens von Anwälten aus einer Kanzlei auftreten<br />

können, hat die Verfügungsklägerin die Schlösser zum Gerichtsfach<br />

<strong>und</strong> zur Anwaltskanzlei auswechseln lassen <strong>und</strong> die<br />

Betreuungsakten zur Sichtung wegräumen lassen. Dies stellt<br />

jedoch keinen fristlosen Kündigungsgr<strong>und</strong> dar; zumal das Innehaben<br />

eines Schlüssels zum Gerichtsfach oder den Büroräumen<br />

keine Voraussetzung ist für das Erbringen einer Tätigkeit<br />

als Rechtsanwalt. Im Übrigen haben die Verfügungsbeklagten<br />

durch ihr oben beschriebenes Verhalten deutlich gemacht,<br />

dass ein vertrauensvolles Weiterarbeiten bis zum Ende<br />

des Arbeitsverhältnisses nicht mehr möglich ist. Lediglich die<br />

Freistellung der Auszubildenden sowie einer weiteren Mitarbeiterin,<br />

die in der Vergangenheit den Verfügungsbeklagten<br />

zugearbeitet haben, kann von der Kammer nicht nachvollzogen<br />

werden. Dies alleine reicht jedoch nicht aus, einen<br />

Gr<strong>und</strong> zur fristlosen Kündigung darzustellen. Insoweit hätten<br />

die Verfügungsbeklagten bis zum Ablauf der Kündigungsfrist<br />

ihre Tätigkeiten als Rechtsanwalt bzw. Rechtsanwältin für die<br />

Verfügungsklägerin weiter erbringen müssen, wobei es dann<br />

in den Verantwortungsbereich der Verfügungsklägerin fällt,<br />

inwieweit entsprechende Diktate <strong>und</strong> ähnliche Verfügungen<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 29 01.09.2008 13:16:54<br />

193


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

der beiden Verfügungsbeklagten von nur noch einer Mitarbeiterin<br />

im Büro ausgeführt werden können.<br />

Auch wenn die Verfügungsklägerin vor Ausspruch der fristlosen<br />

Kündigung den Verfügungsbeklagten gegenüber erklärt<br />

haben sollte, dass sie die Betreuungs- <strong>und</strong> Verfahrenspflegschaftsakten<br />

nicht ohne Weiteres an diese herausgebe, rechtfertigt<br />

dies nach Auffassung der Kammer nicht die fristlose<br />

Kündigung. Insoweit hat die Verfügungsklägerin nachvollziehbar<br />

vorgetragen, dass sie ein berechtigtes Interesse an der<br />

Sichtung der immerhin über 130 Betreuungsakten sowie über<br />

280 Verfahrenspflegschaftsakten hat, um sich einen Überblick<br />

über den Verfahrensstand <strong>und</strong> die bis dato angefallenen Gebühren<br />

zu machen. Auch wenn es sich bei den Betreuungsverfahren<br />

um höchstpersönliche Tätigkeiten der Verfügungsbeklagten<br />

handelt, sind diese letzten Endes doch über die<br />

Kanzlei der Verfügungsklägerin abzurechnen. Unabhängig davon<br />

ist es auch nachvollziehbar, dass nicht ohne weiteres eine<br />

derart hohe Zahl an Akten „auf Abruf“ herausgegeben werden<br />

kann. Die Herausgabe der Akten ist dann auch recht zeitnah<br />

am 04.09.2007 erfolgt. Hinsichtlich der Schlüssel, Sparbücher<br />

<strong>und</strong> ähnlichen Dinge, die für die Betreuungsmandate erforderlich<br />

sind, ist eine Übergabe bereits am 31.08.2007 erfolgt.<br />

2. Besteht somit das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien<br />

bis zum 31.10.2007 fort, so ist es den Verfügungsbeklagten<br />

untersagt, während des bestehenden Arbeitsverhältnisses<br />

Wettbewerbstätigkeiten als Rechtsanwalt bzw. Rechtsanwältin<br />

zum Nachteil der Verfügungsklägerin zu erbringen.<br />

Gem. § 60 HGB darf der Handlungsgehilfe ohne Einwilligung<br />

des Prinzipals weder ein Handelsgewerbe betreiben, noch in<br />

dem Handelszweig des Prinzipals für eigene oder fremde<br />

Rechnung Geschäfte machen. Wer seine Existenz durch<br />

abhängige Arbeit sichert, darf nicht gleichzeitig die wirtschaftlichen<br />

Möglichkeiten seines Arbeitgebers gefährden,<br />

Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen. Das Wettbewerbsverbot<br />

für Handlungsgehilfen gilt deshalb als Ausprägung eines<br />

allgemeinen Rechtsgedankens für alle Arbeitnehmer (vgl.<br />

BAG, vom 16.08.1990, DB 91, S. 1682). Auch ohne besondere<br />

Vereinbarung darf daher der Arbeitnehmer im bestehenden<br />

Arbeitsverhältnis keinen Wettbewerb treiben. Adressaten des<br />

Verbotes sind auch Rechtsanwälte. Inhalt <strong>und</strong> Umfang des<br />

Wettbewerbsverbotes bestimmen sich nach dem Geschäftsbereich<br />

des Arbeitgebers. Soweit nach dem Wortlaut des<br />

§ 60 Abs. 2 HGB das Betreiben jeglichen Handelsgewerbes<br />

untersagt wird, ist das richtigerweise verfassungskonform auf<br />

die Branche des Arbeitgebers zu beschränken (vgl. BAG, vom<br />

25.05.1970, DB 970, S. 1788).<br />

Untersagt sind dabei alle Betätigungen, die die Interessen des<br />

Arbeitgebers gefährden können. Dem Arbeitgeber soll sein<br />

Marktbereich voll <strong>und</strong> ohne Gefahr der nachteiligen, zweifelhaften<br />

oder zwielichtigen Beeinflussung durch den Arbeitnehmer<br />

offen stehen. Es kommt mithin nicht darauf an, ob<br />

der Arbeitgeber den vom Arbeitnehmer für einen Wettbewerber<br />

betreuten Sektor oder K<strong>und</strong>en erreicht (vgl. BAG, vom<br />

194 03/08<br />

16.06.1976, DB 1977, S. 308). Für die Annahme einer Wettbewerbssituation<br />

reicht die durch Tatsachen gesicherte abstrakte<br />

Gefahr. Vorbereitungshandlungen für künftige konkurrierende<br />

Betätigungen als Selbständiger sind gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

gestattet, es sei denn, der Arbeitnehmer ist durch ein nachvertragliches<br />

Wettbewerbsverbot geb<strong>und</strong>en. Die für die Aufnahme<br />

einer selbständigen Tätigkeit erforderlichen formalen<br />

<strong>und</strong> organisatorischen Maßnahmen dürfen getroffen werden.<br />

Nicht erlaubt sind das aktive Eindringen in den K<strong>und</strong>en- oder<br />

Lieferantenkreis des Arbeitgebers, das Abwerben von Arbeitnehmern<br />

sowie allgemeine Vorbereitungshandlungen, die der<br />

Aufnahme einer nach Wettbewerbsrecht unzulässigen Betätigung<br />

dienen (vgl. Küttner, Personalhandbuch 2003, Wettbewerb,<br />

Rn 7 m.w.N.).<br />

Nach dem Vorgenannten ergibt sich, dass es den Verfügungsbeklagten<br />

untersagt ist, während der Dauer des Arbeitsverhältnisses<br />

bis zum 31.10.2007 eine Tätigkeit als Rechtsanwalt<br />

oder Rechtsanwältin auszuüben. Insoweit sind genügend Anhaltspunkte<br />

vorhanden, die für eine solche Wettbewerbstätigkeit<br />

sprechen. So haben die Verfügungsbeklagten bereits<br />

eine Homepage im Internet errichtet, auf der bereits auf den<br />

Kanzleisitz ... , unter Angabe von weiteren Kommunikationsdaten<br />

hingewiesen wird. Zudem sind die Verfügungsbeklagten<br />

bereits im Außenverhältnis mit Visitenkarten als selbständige<br />

Rechtsanwälte aufgetreten. Hinzu kommt, dass die Verfügungsbeklagten<br />

bereits insoweit eine unzulässige Wettbewerbstätigkeit<br />

entfaltet haben, als sie Arbeitnehmer der Verfügungsklägerin<br />

abgeworben haben. Die Verfügungsklägerin<br />

hat daher einen Anspruch, vor entsprechenden Wettbewerbshandlungen<br />

der Verfügungsbeklagten während des Laufes<br />

der ordentlichen Kündigungsfrist geschützt zu werden.<br />

II. Der erforderliche Verfügungsgr<strong>und</strong>, das heißt die Eilbedürftigkeit,<br />

liegt vor. Die einstweilige Verfügung dient zur Abwendung<br />

wesentlicher Nachteile für die Verfügungsklägerin.<br />

Der Verfügungsgr<strong>und</strong> liegt in der aufgr<strong>und</strong> der Dauer eines<br />

ordentlichen Verfahrens andauernden Vereitelung eines entsprechenden<br />

Wettbewerbsverbots bis zum 31.10.2007.<br />

Wenn auch Entscheidungen im einstweiligen Verfügungsverfahren<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich nur vorläufigen Charakter haben, kann in<br />

Einzelfällen eine Befriedigung des Gläubigers eintreten. Dies<br />

gilt z.B., wenn einem Arbeitnehmer durch einstweilige Verfügung<br />

aufgegeben wird, Wettbewerb zu unterlassen. In all<br />

den Fällen, in denen durch die einstweilige Verfügung praktisch<br />

eine endgültige Regelung herbeigeführt wird, bleibt lediglich<br />

die Schadensersatzpflicht des § 945 ZPO; mit dieser<br />

kann jedoch der ursprüngliche Zustand nicht wieder hergestellt<br />

werden. In den Fällen, in denen die Durchführung einer<br />

einstweiligen Verfügungsentscheidung zur endgültigen<br />

Befriedigung des Gläubigers führt, müssen daher besondere<br />

Umstände vorliegen, die einen derartigen Ausspruch rechtfertigen.<br />

Eine Anordnung ist nur dann zulässig, wenn andere<br />

Maßnahmen nicht möglich sind (vgl. LAG Düsseldorf, Urteil<br />

vom 24.10.1977, DB 1978, S. 211).<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 30 01.09.2008 13:16:54


Auch unter Berücksichtigung des Erfordernisses dieser besonderen<br />

Umstände, liegt hier eine Eilbedürftigkeit <strong>und</strong> somit<br />

ein Verfügungsgr<strong>und</strong> vor. Angesichts des bereits nach<br />

außen hin erfolgten Auftretens der Verfügungsbeklagten als<br />

selbständige Rechtsanwälte ist zu befürchten, dass die Verfügungsbeklagten<br />

während der Dauer des Arbeitsverhältnisses<br />

bis zum 31.10.2007 Wettbewerbstätigkeiten als Rechtsanwalt<br />

bzw. Rechtsanwältin erbringen. Zu berücksichtigen ist im Rahmen<br />

des Verfügungsgr<strong>und</strong>es zudem, dass die Verfügungsklägerin<br />

ohne Zweifel einen Anspruch gegen die Verfügungsbeklagten<br />

auf Unterlassung von Wettbewerbstätigkeiten während<br />

der Dauer des Arbeitsverhältnisses hat. Für die Verfügungsklägerin<br />

besteht auch im Rahmen eines ordentlichen<br />

Verfahrens, welches in der Regel zumindest zwei Monate in<br />

Anspruch nimmt, keine Möglichkeit, ihren Anspruch anders<br />

durchzusetzen, da ein Wettbewerbsverbot nur bis zum Ablauf<br />

des Arbeitsverhältnisses am 31.10.2007 gilt.<br />

■ Arbeitsgericht Duisburg<br />

vom 11. September 2007, 4 Ga 19/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Christian Puhr-Westerheide,<br />

Beethovenstraße 21, 47226 Duisburg, Tel.: 02065/3000-0,<br />

Fax: 02065/3000-50<br />

info@ra-npp.de; www.ra-npp.de<br />

Bestandsschutz<br />

163. Betriebsbedingte Kündigung, Verfassungsmäßigkeit<br />

<strong>und</strong> Anwendungsgrenzen von § 1 Abs. 5 KSchG, freier<br />

Arbeitsplatz in anderem Betrieb<br />

Tatbestand:<br />

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen<br />

betriebsbedingten Kündigung. ...<br />

Wegen einer geplanten betrieblichen Umstrukturierung vereinbarte<br />

die Beklagte mit dem Betriebsrat Rheinbreitbach unter<br />

dem 27. Oktober 2004 einen Interessenausgleich mit einer<br />

Liste der Namen von 35 zu entlassenen Arbeitnehmern. Der<br />

Name des Klägers befindet sich auf der Liste.<br />

Mit Schreiben vom 27. Oktober 2004 kündigte die Beklagte<br />

das Arbeitsverhältnis des Klägers ordentlich zum 30. November<br />

2004. Der Kläger hat Kündigungsschutzklage erhoben <strong>und</strong><br />

Weiterbeschäftigung begehrt. Er hat das Vorliegen dringender<br />

betrieblicher Gründe bestritten. Die Beklagte könne sich nicht<br />

auf die Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 KSchG berufen.<br />

Diese Regelung sei wegen Verstoßes gegen Art. 12 <strong>und</strong> Art. 20<br />

Abs. 3 GG verfassungswidrig. Außerdem sei eine Weiterbeschäftigung<br />

in einem anderen Werk (Betrieb) der Beklagten<br />

möglich gewesen. Die Beklagte hätte ihm einen dort vorhandenen<br />

freien Arbeitsplatz im Wege der Änderungskündigung<br />

anbieten müssen. Die Vermutungswirkung des § 1<br />

Abs. 5 KSchG erstrecke sich nicht auf das Fehlen freier Arbeitsplätze<br />

in einem anderen Betrieb des Unternehmens.<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

Entscheidungsgründe:<br />

Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung<br />

des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht. ...<br />

B.II. ... 1. Soweit die Revision geltend macht, der Kläger habe<br />

detailliert vorgetragen, dass die von der Beklagten behaupteten<br />

<strong>und</strong> dem Interessenausgleich zugr<strong>und</strong>e gelegten Produktionszahlen<br />

die Kündigung von 35 Arbeitnehmern im Werk<br />

Rheinbreitbach rechnerisch nicht rechtfertigen könnten <strong>und</strong><br />

darüber hinaus auch Produktionszuwächse von der Beklagten<br />

prognostiziert seien, ist dieser Einwand unbehilflich. Der Interessenausgleich<br />

wurde wegen geringerer Auslastungszahlen<br />

geschlossen. Die Beklagte hat deshalb insgesamt 35 Arbeitsplätze<br />

im Werk Rheinbreitbach abgebaut, wie in § 2 des<br />

Interessenausgleichs ausdrücklich festgehalten. Das ist ausreichend.<br />

Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn sich das<br />

Landesarbeitsgericht auf eine letztlich am Gesichtspunkt der<br />

Unvernunft <strong>und</strong> Willkür orientierte Überprüfung beschränkt<br />

hat. Ob der Arbeitsplatzabbau mathematisch exakt zum Wegfall<br />

von 35 Arbeitsplätzen führt, hat keine Auswirkung auf die<br />

Wirksamkeit der Kündigung. Es ist gr<strong>und</strong>sätzlich Sache des<br />

Unternehmers zu entscheiden, welche Anzahl von Arbeitsplätzen<br />

er in seinem Unternehmen künftig dauerhaft einrichten<br />

bzw. vorhalten will.<br />

Ob die durch § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG ausgelöste Vermutung<br />

auch das Fehlen einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit in<br />

anderen Betrieben (hier: Werk Schönebeck) erfasst, steht noch<br />

nicht fest.<br />

Die Reichweite der durch § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG ausgelösten<br />

Vermutung im Hinblick auf die fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit<br />

für den betroffenen Arbeitnehmer ist seit<br />

seiner erstmaligen Einführung durch das Arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz<br />

vom 25. September 1996 (BGBl<br />

I S. 1476) umstritten. Teilweise wurde hierzu vertreten, dass<br />

neben dem Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse,<br />

die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem<br />

Betrieb entgegenstehen, die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2<br />

KSchG für eine betriebsbedingte Kündigung insgesamt vermutet<br />

werden <strong>und</strong> damit auch das Fehlen einer anderweitigen<br />

Beschäftigungsmöglichkeit in einem anderen Betrieb des<br />

Unternehmens (Bader, NZA 1996, 1125, 1133; Gaul, AuA 1998,<br />

168, 169; Löwisch, HZA 1996, 1009, 1011; ders. RdA 1997,<br />

80, 81; Preis, NZA 1997, 1073, 1086; Bernd Preis, DB 1998,<br />

1614, 1616; Schiefer, DB 1998, 925, 927). Andererseits wurde<br />

auch vertreten, dass das Fehlen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit<br />

in einem anderen Betrieb des Unternehmens<br />

von der Vermutung nicht erfasst wurde (Fischermeier,<br />

NZA 1997, 1089, 1096 f.; Giesen, ZfA 1997, 145, 173; Kothe, BB<br />

1998, 946, 950).<br />

Der Senat hat die Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 Satz 1<br />

aF KSchG bisher nur auf die fehlenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten<br />

auf freien Arbeitsplätzen im Beschäftigungsbetrieb<br />

bezogen angewandt (vgl. Senat, 7. Mai 1998 – 2 AZR<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 31 01.09.2008 13:16:54<br />

195


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

536/97 – BAGE 88, 363; 22. Januar 2004 – 2 AZR 111/02 – AP<br />

BetrVG 1972 § 112 Namensliste Nr. 1 EzA KSchG § 11 Interessenausgleich<br />

Nr. 11).<br />

Auch zu der durch das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt<br />

vom 24. Dezember 2003 (BGBl I S. 3002) mit Wirkung zum 1.<br />

Januar 2004 wortgleich wieder eingeführten <strong>und</strong> nunmehr<br />

geltenden Vorschrift des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG wird neuerlich<br />

diese Diskussion geführt. Überwiegend wird vertreten,<br />

auch das Fehlen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit<br />

in einem anderen Betrieb des Unternehmens sei<br />

von der Vermutung erfasst (vgl. BT-Drucks. 15/1204 S. 11;<br />

APS-Kiel 2. Aufl. § 1 KSchG Rn 785g; HWK-Quecke, 2. Aufl., § 1<br />

KSchG Rn 428; Löwisch/ Spinner, KSchG, 9. Aufl., § 1 Rn 416;<br />

Stahlhacke/Preis/Vossen-Preis, Kündigung <strong>und</strong> Kündigungsschutz<br />

im Arbeitsverhältnis, 9. Aufl., Rn 1166m jeweils m.w.N.;<br />

Eylert/Schinz, AE 2004, 219, 227; Thüsing/Stelljes, BB 2003, 1673,<br />

1677). Andere nehmen an, das Fehlen einer anderweitigen<br />

Beschäftigungsmöglichkeit in einem anderen Betrieb des<br />

Unternehmens werde nicht in jedem Fall von § 1 Abs. 5 Satz 1<br />

KSchG erfasst (Däubler, NZA 2004, 177, 183; HaKo-Gallner, 2.<br />

Aufl., § 1 KSchG Rn 652, 648; KR-Griebeling, 8. Aufl., § 1 KSchG<br />

Rn 703 f.).<br />

d) Der Senat schließt sich im Gr<strong>und</strong>satz der überwiegend<br />

vertretenen Auffassung an. Sowohl der Gesetzeswortlaut<br />

als auch die Gesetzesbegründung <strong>und</strong> das erkennbare Ziel<br />

des Gesetzgebers sowie praktische Gesichtspunkte sprechen<br />

dafür, die Reichweite der Vermutung auf den gesamten<br />

Komplex der dringenden betrieblichen Erfordernisse zu<br />

erstrecken, § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG soll helfen, Kündigungen,<br />

die auf Gr<strong>und</strong> von Betriebsänderungen notwendig werden,<br />

einfach, rechtssicher <strong>und</strong> zugleich sozial ausgewogen zu<br />

gestalten. Dem würde es widersprechen, den zentralen<br />

Gesichtspunkt, nämlich die Frage der Betriebsbedingtheit<br />

aufzuspalten <strong>und</strong> verschiedenen Beurteilungsmaßstäben zu<br />

unterwerfen. Allerdings ist die damit verb<strong>und</strong>ene Beschneidung<br />

der prozessualen Rechte des gekündigten Arbeitnehmers<br />

nur so lange gerechtfertigt, als das vom Gesetzgeber<br />

vorausgesetzte kollektive Gegengewicht, nämlich die Mitprüfung<br />

der zugr<strong>und</strong>e liegenden Gegebenheiten durch den<br />

Betriebsrat auch stattgef<strong>und</strong>en hat. Davon ist regelmäßig<br />

auch dann auszugehen, wenn es im Interessenausgleich nicht<br />

ausdrücklich erwähnt ist. Bestreitet aber der Arbeitnehmer in<br />

erheblicher Weise, dass sich der Betriebsrat im Rahmen der<br />

Verhandlungen mit Beschäftigungsmöglichkeiten in anderen<br />

Betrieben überhaupt befasst hat <strong>und</strong> trägt darüber hinaus<br />

konkrete Anhaltspunkte für solche Beschäftigungsmöglichkeiten<br />

vor, so ist es am Arbeitgeber, wenn er die weitgehende<br />

Vermutungswirkung erhalten will, die Befassung der Betriebsparteien<br />

mit der Frage der Beschäftigungsmöglichkeiten in<br />

anderen Betrieben darzulegen <strong>und</strong> zu beweisen.<br />

aa) Diese Einschränkung der Vermutungswirkung für den<br />

hier in Rede stehenden Bereich ist nach Auffassung des Senats<br />

geboten, um die durch § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG eintretende<br />

196 03/08<br />

Beschränkung der prozessualen Rechte des Arbeitnehmers in<br />

Zweifelsfällen auf den nach dem Konzept des Gesetzes bestehenden<br />

Rahmen zu begrenzen. Die faktisch eintretende<br />

Einschränkung des individuellen Kündigungsschutzes ist nur<br />

so lange <strong>und</strong> nur deshalb gerechtfertigt, als bzw. weil ein betrieblichkollektiver<br />

Schutz an seine Stelle tritt. Ist es jedoch –<br />

wegen der Kompetenzgrenzen des Betriebsrats – zweifelhaft,<br />

ob die betrieblich-kollektive Prüfung der Beschäftigungsmöglichkeit<br />

den gesamten Bereich des individuellen Kündigungsschutzes<br />

erfasst hat, so muss dem Arbeitnehmer eine Möglichkeit<br />

verbleiben, seine etwaigen Zweifel klären zu lassen.<br />

bb) Der Arbeitgeber <strong>und</strong> der Betriebsrat haben es ihrerseits<br />

in der Hand, durch die inhaltliche Gestaltung von Verhandlungen<br />

<strong>und</strong> Interessenausgleich etwaige Zweifel an der Reichweite<br />

ihrer Überprüfungen von vornherein nicht aufkommen<br />

zu lassen.<br />

e) Die danach notwendige differenzierte Betrachtungsweise<br />

hat das Landesarbeitsgericht – von seinem Standpunkt aus<br />

konsequent – außer Acht gelassen. Es wird nunmehr den<br />

Parteien Gelegenheit geben müssen, unter Beachtung der<br />

vorstehend beschriebenen Rechtslage Stellung zu nehmen.<br />

Demgemäß wird das zu erwartende Vorbringen dann zu würdigen<br />

sein. Der Kläger hat bisher schon verschiedentlich auf<br />

die seiner Meinung nach vorhandene Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten<br />

in Schönebeck hingewiesen.<br />

III. Im Zuge des neuerlichen Berufungsverfahrens hat das<br />

Landesarbeitsgericht sich allerdings nicht nochmals mit der<br />

Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 1 Abs. 5 KSchG, der<br />

Sozialauswahl nach § 1 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 KSchG <strong>und</strong><br />

der Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG zu befassen. Die<br />

Ausführungen des Landesarbeitsgerichts sind insoweit zutreffend<br />

<strong>und</strong> eine hiervon abweichende Beurteilung ist auch unter<br />

Berücksichtigung des klägerischen Vorbringens in der Revisionsinstanz<br />

nicht angezeigt.<br />

1. § 1 Abs. 5 KSchG begegnet entgegen der Auffassung des<br />

Klägers keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.<br />

Weder verletzt die Norm den Kläger in seinem Gr<strong>und</strong>recht<br />

aus Art. 12 Abs. 1 GG noch liegt ein Verstoß gegen das<br />

aus Art. 20 Abs. 3 GG abzuleitende Gebot des fairen Verfahrens<br />

vor. (wird näher ausgeführt).<br />

■ B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />

vom 6. September 2007, 2 AZR 715/06<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Michael Peter, Bismarckstraße<br />

10, 53604 Bad Honnef, Tel.: 02224/2638, Fax: 02224/785 44<br />

mail@anders-peter.de; www.anders-peter.de<br />

164. Betriebsbedingte Kündigung, Betriebsstilllegung<br />

oder Betriebsübergang?, Identität, eigenständiger Teilbereich<br />

Aus den Gründen: ...<br />

3 ... b. Gemessen an (den) höchstrichterlich geklärten Rechtsgr<strong>und</strong>sätzen<br />

liegt bereits unter Zugr<strong>und</strong>elegung des klägerischen<br />

Vortrags kein Betriebsübergang vor. Unstreitig ist zu-<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 32 01.09.2008 13:16:54


nächst, dass der Betrieb, den der Beklagte betrieben hat, nicht<br />

als ganzes auf einen neuen Rechtsträger übergegangen ist.<br />

Denn es ist unstreitig, dass die Tätigkeit des Beklagten zu 2.,<br />

die einerseits den Bereich Jungendsozialarbeit betraf, andererseits<br />

den Bereich Integration/Migration, nicht von einem<br />

neuen Träger einheitlich fortgeführt worden ist. Vielmehr ist<br />

die zuvor bestehende Struktur zerschlagen worden. Teilbereiche<br />

sind von verschiedenen Projektträgern fortgeführt worden.<br />

Die bisherige Leitungsstruktur, die dadurch gekennzeichnet<br />

war, dass ein einheitlicher Geschäftsstellenleiter fungierte, der<br />

als Personalleiter für beide Bereiche zuständig war, ist nicht<br />

übernommen worden. Daraus kann nur der Schluss gezogen<br />

werden, dass die bisherige Organisationsstruktur <strong>und</strong> damit<br />

auch die bisherige betriebliche Identität aufgelöst worden ist<br />

<strong>und</strong> eine Aufgliederung <strong>und</strong> Verteilung an verschiedene Stellen<br />

stattgef<strong>und</strong>en hat. Dem entspricht es auch, dass sich die<br />

räumliche Ansiedlung der einzelnen Aufgaben geändert hat.<br />

Während beispielsweise der Bereich „Integration/Migration“<br />

bei der Streitverkündeten zu 2. bearbeitet wird, soll der Bereich<br />

„Jugendsozialarbeit“ an die Streitverkündete zu 4. verlagert<br />

worden sein. Damit ist unstreitig nicht nur eine erhebliche<br />

räumliche Verlagerung sondern auch eine andere<br />

organisatorische Anbindung, nämlich nunmehr bei der Streitverkündeten<br />

zu 4. verb<strong>und</strong>en. Schon daraus ergibt sich, dass<br />

nicht eine vorhandene Organisationsstruktur übernommen,<br />

sondern die alte aufgelöst <strong>und</strong> verschieden neue Organisationsstrukturen<br />

an unterschiedlichen Stellen begründet worden<br />

sind.<br />

c. Auch der Übergang eines Betriebsteils liegt nicht vor. Um<br />

einen selbständigen übertragungsfähigen Betriebsteil annehmen<br />

zu können, bedarf die Teilorganisation bereits beim früheren<br />

Betriebsinhaber einer organisatorischen Selbstständigkeit.<br />

Voraussetzung ist weiter, dass diese organisatorische Einheit<br />

nach dem Übergang ihre Identität bewahrt (siehe BAG,<br />

Urteil vom 17.04.2003 – 8 AZR 253/02 – AP Nr. 253 zu § 613a<br />

BGB; BAG, Urteil vom 08.08.2002 – 8 AZR 583/01 –).<br />

Im vorliegenden Fall kann bereits nicht angenommen werden,<br />

dass der Bereich Jugendsozialarbeit oder der Bereich<br />

Migration jeweils ein eigenständiger Betriebsteil bei der<br />

Beklagten war. Es mangelt an einer eigenständigen unabhängigen<br />

Organisations- <strong>und</strong> Leitungsstruktur, denn unstreitig<br />

hatten beide Bereiche des Beklagten einen gemeinsamen<br />

Geschäftsstellen- <strong>und</strong> Personalleiter. Diese Funktion hat<br />

zuletzt seit Anfang 2007 der Kläger wahrgenommen. Keiner<br />

der beiden Bereiche verfügte über eine eigenständige<br />

Organisationsstruktur.<br />

Es handelte sich nicht um selbständige Abteilungen mit<br />

eigenständigen Organisations- <strong>und</strong> Leitungsstrukturen. Vielmehr<br />

bildeten die Bereiche ursprünglich einen einheitlichen<br />

Betrieb mit einheitlicher Leitungsstruktur <strong>und</strong> standen unter<br />

einheitlicher Personalleitung. Zudem sind nach dem Vortrag<br />

der Klägerseite die Bereiche nicht im Ganzen auf neue Träger<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

übergegangen, sondern sind auch in Serviceteilen, z.B. das<br />

Projekt Jugendmigrationsdienste an die Streitverkündeten zu<br />

3., verteilt worden.<br />

Organisatorisch sind die Projekte, auf deren Fortführung sich<br />

der Kläger beruft, bei den einzelnen Streitverkündeten in deren<br />

jeweilige Organisations- <strong>und</strong> Personalleitungsstruktur integriert<br />

<strong>und</strong> damit gerade nicht mit im Wesentlichen unveränderter<br />

Organisations- <strong>und</strong> Leitungsstruktur fortgeführt<br />

worden. Das wird auch daran deutlich, dass die, vom Kläger<br />

angeführte neu gegründete Stabsstelle, anders als vorher die<br />

bei der Beklagten bestehende Leitungsebene, nicht mehr die<br />

Personalleitungsbefugnisse für die Arbeitnehmer haben kann,<br />

die nunmehr bei anderen Arbeitgebern, nämlich z.B. bei der<br />

Streitverkündeten zu 2. beschäftigt sind.<br />

Die Bereiche können daher nicht als Betriebsteile im Sinne des<br />

§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB angesehen werden.<br />

Ausschlaggebend ist schließlich dass sich die vom Kläger zuletzt<br />

vertragsgemäß ausgeübte Tätigkeit keinem der Arbeitsbereiche<br />

eindeutig zuordnen lässt. Der Kläger war vielmehr<br />

aufgr<strong>und</strong> seiner Leitungs- <strong>und</strong> Lenkungsfunktion als stellvertretender<br />

Geschäftsleiter <strong>und</strong> zuletzt als kommissarischer Leiter<br />

für alle Bereiche verantwortlich. Dem entspricht es auch,<br />

dass der Kläger selbst vorgetragen hat, er sei sowohl für den<br />

Bereich „Jugendsozialarbeit“ als auch für den Bereich „Migration“<br />

zuständig gewesen <strong>und</strong> könne in beiden Bereichen<br />

Referententätigkeit ausüben. Damit aber steht fest, dass der<br />

Kläger aus möglichen Betriebsteilübergängen ohnehin keine<br />

Rechte herleiten kann, weil er nicht Arbeitnehmer nur eines<br />

Betriebsteils gewesen ist.<br />

Daher kann eine Rechtsunwirksamkeit der Kündigung nach<br />

§ 613a BGB nicht angenommen werden.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 14. April 2008, 5 Sa 444/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Stephan Pauly, Kurt-<br />

Schumacher-Straße 16, 53113 Bonn, Tel.: 0228 – 6 20 90 00,<br />

Fax: 0228 – 6 20 90 90,<br />

pauly@pauly-rechtsanwaelte.de;<br />

www.pauly-rechtsanwaelte.de<br />

<strong>165</strong>. Betriebsbedingte Kündigung, unternehmerische Entscheidung,<br />

Umsatzrückgang, Wertungsspielraum bei der<br />

Sozialauswahl, Vergleichbarkeit<br />

Aus den Gründen: ...<br />

I. 1. ... Aus dem von der Beklagten behaupteten Umsatzrückgang<br />

folgt noch kein betriebsbedingter Kündigungsgr<strong>und</strong>. Ein<br />

Umsatzrückgang kann ohne nähere Darlegungen nicht die<br />

Annahme rechtfertigen, dass auch proportional der Beschäftigungsbedarf<br />

zurückgeht. Gerade der Rückgang der Umsatzzahlen<br />

kann für einen Außendienstmitarbeiter eher die Annahme<br />

rechtfertigen, er muss umso mehr Arbeitskraft investieren,<br />

um andere oder weitere K<strong>und</strong>en zu akquirieren. Dann<br />

ginge der Beschäftigungsbedarf nicht zurück, sondern nähme<br />

zu.<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 33 01.09.2008 13:16:54<br />

197


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

Der Vortrag der Beklagten erschöpft sich hierin aber nicht.<br />

Die Beklagte behauptet vielmehr, der Umstand, dass sich<br />

Großk<strong>und</strong>en zum Einkaufsverb<strong>und</strong> zusammengeschlossen<br />

hätten, um anderweitig die Produkte, die auch die Beklagte<br />

anbietet, kostengünstiger zu erwerben, sei Anlass gewesen,<br />

den Außendienst neu zu strukturieren. Kleink<strong>und</strong>en, mit<br />

einem Umsatz von weniger als 5.000,00 Euro im Jahr, würden<br />

nicht mehr persönlich betreut, sondern ausschließlich fernmündlich.<br />

Damit entfielen – neben den Großk<strong>und</strong>en – 150 der<br />

260 vom Kläger zu betreuenden K<strong>und</strong>en, die verbleibenden<br />

K<strong>und</strong>en würden, wie bereits vor der Einstellung des Klägers,<br />

von einem der Geschäftsführer der Beklagten, Herrn H.,<br />

betreut, dafür benötige dieser fünf bis sieben Tage im Monat.<br />

Damit hat die Beklagte plausibel einen betriebsbedingten<br />

Kündigungsgr<strong>und</strong> dargelegt. Die Entscheidung, Kleink<strong>und</strong>en<br />

nicht mehr persönlich durch einen Außendienstmitarbeiter zu<br />

betreuen, ist nachvollziehbar <strong>und</strong> als freie unternehmerische<br />

Entscheidung der arbeitsgerichtlichen Kontrolle entzogen.<br />

Bereits dadurch ist der Beschäftigungsbedarf für den Kläger<br />

entfallen, ... Hinzu kommt, dass der Beschäftigungsbedarf<br />

auch insoweit für den Kläger weggefallen ist, als der Geschäftsführer<br />

H. diese K<strong>und</strong>en betreut, wie er dies auch bereits<br />

vor der Einstellung des Klägers getan hat. Auch insoweit ist<br />

die unternehmerische Entscheidung, keinen weiteren Arbeitnehmer<br />

für diese K<strong>und</strong>en zu beschäftigten, plausibel <strong>und</strong><br />

nachvollziehbar. Die Beklagte hatte sich offenbar zunächst<br />

dazu entschlossen, den Geschäftsführer zu entlasten <strong>und</strong><br />

für den Bereich Norddeutschland einen Arbeitnehmer als<br />

K<strong>und</strong>enbetreuer einzustellen <strong>und</strong> später – nach Änderung<br />

der Marktverhältnisse (durch den Wegfall der Großk<strong>und</strong>en) –<br />

entschlossen, die K<strong>und</strong>enbetreuung für die Kleink<strong>und</strong>en<br />

umzustellen <strong>und</strong> die verbleibenden K<strong>und</strong>en wieder durch<br />

den Geschäftsführer betreuen zu lassen. Gerade in einem<br />

kleinen Unternehmen wie dem der Beklagten ist das ein<br />

durchaus plausibles Konzept zur Bündelung der Kräfte. Der<br />

arbeitsgerichtlichen Kontrolle unterliegt auch eine solche freie<br />

unternehmerische Entscheidung nicht, weil kein Anhaltspunkt<br />

dafür besteht, dass diese willkürlich erfolgt oder offensichtlich<br />

unsinnig ist.<br />

2. Die Sozialauswahl ist nicht zu beanstanden. Da der Kläger<br />

arbeitsvertraglich als Verkäufer „für den Außendienst“ angestellt<br />

ist, ist er aufgr<strong>und</strong> dieser vertraglichen Vorgaben nur<br />

vergleichbar mit anderen Außendienstmitarbeitern, nicht aber<br />

mit Innendienstmitarbeitern. An einer Vergleichbarkeit fehlt<br />

es, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht einseitig<br />

im Rahmen des Weisungsrechts auf den anderen Arbeitsplatz,<br />

hier der Innendienstmitarbeiter, umsetzen oder versetzen<br />

kann (vgl. BAG, 02.02.2006 – 2AZR 38/05 – AP KSchG<br />

1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 142). Maßgebend<br />

ist demnach, ob der Arbeitsvertrag des Arbeitnehmers, dessen<br />

Arbeitsplatz weggefallen ist, einen Einsatz ohne Änderung des<br />

Arbeitsvertrags rechtlich zulässt. In den „Innendienst’ könnte<br />

198 03/08<br />

der Kläger jedoch nur bei einer Änderung des Arbeitsvertrages<br />

umgesetzt werden.<br />

Ist der Kläger folglich nur mit dem anderen Außendienstmitarbeiter<br />

S. vergleichbar, ist auch insoweit die Sozialauswahl<br />

zumindest vertretbar. § 1 Abs. 3 KSchG fordert kein irgendwie<br />

geartetes Tätigwerden des Arbeitgebers, sondern nur ein dem<br />

Gesetz genügendes Ergebnis. Nach dem Gesetzeswortlaut hat<br />

der Arbeitgeber die sozialen Gesichtspunkte „ausreichend“ zu<br />

berücksichtigen. Dem Arbeitgeber steht bei der Gewichtung<br />

der Sozialkriterien deshalb ein Wertungsspielraum zu (vgl.<br />

BAG, 05.12.2002 – 2 AZR 549/01 – AP KSchG 1969 § 1 Soziale<br />

Auswahl Nr. 59). Die Auswahlentscheidung muss nur vertretbar<br />

sein <strong>und</strong> nicht unbedingt der Entscheidung entsprechen,<br />

die das Gericht getroffen hätte, wenn es eigenverantwortlich<br />

soziale Erwägungen hätte anstellen müssen. Der dem Arbeitgeber<br />

vom Gesetz eingeräumte Wertungsspielraum führt<br />

dazu, dass nur deutlich schutzwürdigere Arbeitnehmer mit Erfolg<br />

die Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl rügen können.<br />

Der Kläger ist gegenüber dem Arbeitnehmer S. nicht deutlich<br />

schutzwürdiger. Zwar ist der Kläger älter (51 Jahre alt) als<br />

Herr S. (geboren 06.03.1967), Herr S. ist aber länger beschäftigt<br />

(seit 01.04.2006). Beide Arbeitnehmer haben zwei Unterhaltspflichten.<br />

■ Arbeitsgericht Berlin<br />

vom 22. April 2008, 38 Ca 13.731/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Friedemann Koch, Marburger<br />

Straße 16, 10789 Berlin, Tel.: 030/212 48 99-0,<br />

030/212 48 99-20<br />

kanzlei@friedemann-koch.de; www.friedemann-koch.de<br />

166. Verhaltensbedingte Kündigung, sexuelle Belästigung<br />

versus ungewünschte Berührung<br />

Aus den Entscheidungsgründen:<br />

Die zulässige Klage ist begründet. ... Die unerwünschte Berührung<br />

einer weiblichen Person unterhalb der Kleidung stellt,<br />

egal ob man dies im Einzelfall als sexuelle Belästigung wertet<br />

oder nicht, jedenfalls einen Arbeitsvertragsverstoß dar. Bei der<br />

Frage, welche Sanktionen dieser Arbeitsvertragsverstoß nach<br />

sich zieht, sind die Umstände des Einzelfalls jeweils sorgfältig<br />

gegeneinander abzuwägen.<br />

Vorliegend ist zu beachten, dass es sich auch nach den Darstellungen<br />

der Beklagten um ein Berühren gehandelt hat, dass<br />

aus einer Gesprächssituation entstanden ist, die den Bauchumfang<br />

zum Gegenstand hatte. Daher ergeben sich keine<br />

Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die Betroffene in einer<br />

sexuell motivierten Weise berühren wollte.<br />

Zu beachten ist weiter, dass weder vorher noch nachher auch<br />

nur der geringste Vorwurf gegen den Kläger laut geworden<br />

wäre, mit Ausnahme der völlig unsubstantiierten Behauptung<br />

der Beklagten, der Kläger habe sich „in der Vergangenheit<br />

mehrfach über angeblich aufreizende Bekleidung der Kassenkräfte<br />

geäußert.“<br />

Weiter ist zu beachten, dass nach dem Vorfall Wochen vergan-<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 34 01.09.2008 13:16:54


gen sind, in denen der Kläger ebenso wie die angeblich betroffene<br />

Mitarbeiterin vollkommen konfliktfrei in demselben<br />

Gebäude gearbeitet habe. Offenbar sah auch die Vorgesetzte<br />

des Cafés keine Veranlassung zu arbeitsrechtlichen Maßnahmen.<br />

Diese Situation hat sich nicht gravierend dadurch geändert,<br />

dass die betroffene Person nunmehr Arbeitnehmerin der Beklagten<br />

ist <strong>und</strong> an der Kasse arbeitet. Die Beklagte hat kein höheres<br />

„Gefährdungspotential“ dargetan oder die begründete<br />

Besorgnis verstärkter Konflikte. Vielmehr hat es sich, wenn<br />

man den Behauptungen der Beklagten folgt, um einen einmaligen,<br />

nicht zu rechtfertigenden <strong>und</strong> nicht zu entschuldigenden,<br />

aber auch nicht für eine Kündigung ausreichenden<br />

Sachverhalt gehandelt. Auch angesichts der 11-jährigen Betriebszugehörigkeit<br />

stellt die Kündigung der Beklagten eine<br />

völlige Überreaktion auf die behauptete Pflichtverletzung des<br />

Klägers dar.<br />

■ Arbeitsgericht Berlin<br />

vom 29. Januar 2008, 84 Ca 16.525/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Friedemann Koch, Marburger<br />

Straße 16, 10789 Berlin, Tel.: 030/212 48 99-0,<br />

030/212 48 99-20<br />

kanzlei@friedemann-koch.de; www.friedemann-koch.de<br />

167. Verhaltensbedingte außerordentliche Kündigung,<br />

Arbeitszeitbetrug, Bestreiten mit Nichtwissen, Frist des<br />

§ 626 Abs. II BGB bei Ermittlungen wegen Verdachtskündigung<br />

Aus den Entscheidungsgründen: ...<br />

II. ... Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung<br />

des beklagten Landes vom 13.12.2006, die dem Kläger<br />

unstreitig am selben Tage zugegangen ist, mit sofortiger Wirkung<br />

aufgelöst worden.<br />

a) Das beklagte Land hatte einen wichtigen Gr<strong>und</strong> zur<br />

Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB. Danach kann<br />

das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem<br />

Gr<strong>und</strong> ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt<br />

werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgr<strong>und</strong> derer dem<br />

Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des<br />

Einzelfalles <strong>und</strong> unter Abwägung der Interessen beider<br />

Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis<br />

zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten<br />

Beendigung nicht zugemutet werden kann. Solche Tatsachen<br />

sind vorliegend gegeben.<br />

aa) Der Kläger hat eingeräumt, sich des Öfteren morgens bei<br />

Dienstbeginn um 6.30 Uhr im Bildungszentrum des beklagten<br />

Landes ... eingebucht zu haben <strong>und</strong> anschließend, ohne auszubuchen,<br />

nochmals nach Hause gefahren zu sein, um dort<br />

Kaffee zu trinken. Während er zunächst erklärt hat, er sei an<br />

diesen Tagen zwischen 7.50 Uhr <strong>und</strong> 8.30 Uhr wieder auf<br />

dem Gelände des Bildungszentrums erschienen, hat er später<br />

erklärt, jedenfalls zwischen 7.15 Uhr <strong>und</strong> 7.30 Uhr wieder dort<br />

erschienen zu sein. Dieses vom Kläger zugestandene Verhal-<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

ten ist „an sich“ geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen.<br />

Denn der Kläger hat hierdurch dem beklagten Land<br />

gegenüber vorgetäuscht, auf dem Gelände des Bildungszentrums<br />

zur Ausübung der ihm obliegenden Tätigkeiten anwesend<br />

gewesen zu sein, während er tatsächlich das Gelände<br />

wieder verlassen <strong>und</strong> sich zu seiner Wohnung begeben hatte,<br />

um dort privaten Tätigkeiten nachzugehen. Zwischen den Parteien<br />

ist nicht streitig, dass der Kläger in diesem Falle verpflichtet<br />

gewesen wäre, den Zeitraum, in dem er sich aus privaten<br />

Gründen vom Gelände des Bildungszentrums entfernt<br />

hatte, durch Ein- <strong>und</strong> Ausbuchen kenntlich zu machen. Dies<br />

hat der Kläger unterlassen <strong>und</strong> damit seine durchgehende<br />

Anwesenheit im Bildungszentrum vorgetäuscht. Das heimliche<br />

Verlassen des Betriebes nach Betätigung einer Kontrolleinrichtung<br />

zur Feststellung der Anwesenheit des Arbeitnehmers<br />

berechtigt gr<strong>und</strong>sätzlich zur fristlosen Entlassung (vgl.<br />

KR/Fischermeier, 8. Auflage, § 626 BGB Rn 444 m.w.N.).<br />

bb) Auch im Rahmen dieses Rechtsstreits hat der Kläger<br />

nicht in Abrede gestellt, sich an einigen Tagen des Jahres<br />

2006 tatsächlich in dieser Weise verhalten zu haben. Er hat<br />

lediglich mit Nichtwissen bestritten, dass er an den vom beklagten<br />

Land mitgeteilten Tagen nach dem Einbuchen nochmals<br />

zu Hause gewesen sei, um Kaffee zu trinken, <strong>und</strong> hierzu<br />

erklärt, er besitze hierüber keine Aufzeichnungen <strong>und</strong> könne<br />

aus der Erinnerung nach einem so langen Zeitraum die vom<br />

beklagten Land behaupteten Termine nicht mehr nachvollziehen.<br />

Dieses Bestreiten mit Nichtwissen ist gemäß § 138 Abs. 4<br />

ZPO unzulässig <strong>und</strong> damit unbeachtlich. Ein Bestreiten mit<br />

Nichtwissen ist nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene<br />

Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung<br />

gewesen sind. Hiervon kann bei dem Verhalten, das<br />

dem Kläger vorgeworfen wird, keine Rede sein. Damit hat<br />

der Kläger unstreitig an den im Kündigungsschreiben vom<br />

13.12.2006 genannten Tagen im Bildungszentrum ... gegen<br />

6.30 Uhr Einbuchungen vorgenommen <strong>und</strong> anschließend die<br />

Liegenschaft wieder verlassen, um in seiner Privatwohnung<br />

Kaffee zu trinken, ohne sich unter Nutzung des Terminals<br />

wieder auszubuchen.<br />

b) Entgegen der Auffassung des Klägers war die Frist des<br />

§ 626 Abs. 2 BGB im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung<br />

am 13.12.006 noch nicht abgelaufen. Denn die für die Kündigung<br />

maßgebende Tatsache, dass der Kläger die genannten<br />

Verfehlungen tatsächlich begangen hat, ist dem beklagten<br />

Land erst mit Schreiben des Prozessbevollmächtigten des<br />

Klägers vom 04.12.2006, das am selben Tage beim Institut<br />

für Aus- <strong>und</strong> Fortbildung ... eingegangen ist, zur Kenntnis<br />

gelangt. Bis zu diesem Zeitpunkt bestand lediglich der durch<br />

bestimmte Tatsachen begründete Verdacht, der Kläger habe<br />

derartige Verfehlungen begangen.<br />

aa) Zutreffend weist das beklagte Land darauf hin, dass<br />

die streitgegenständliche Kündigung nicht darauf gestützt<br />

wird, der Verdacht eines nicht erwiesenen strafbaren bzw.<br />

vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 35 01.09.2008 13:16:54<br />

199


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört. Vielmehr<br />

macht das beklagte Land geltend, der Kläger habe die ihm<br />

vorgeworfenen Verfehlungen tatsächlich begangen. ...<br />

Diese Ausführungen des beklagten Landes belegen, dass<br />

das beklagte Land die streitgegenständliche Kündigung<br />

darauf stützen wollte, dass der Kläger das ihm vorgeworfene<br />

Verhalten tatsächlich begangen hatte, <strong>und</strong> sich hierzu auf die<br />

Ausführungen des Prozessbevollmächtigten des Klägers im<br />

Schreiben vom 04.12.2006 stützen wollte. Von diesen für die<br />

Kündigung maßgeblichen Tatsachen – das Eingeständnis<br />

des Klägers, sich des Öfteren morgens eingebucht <strong>und</strong><br />

anschließend das Gelände des Bildungszentrums wieder<br />

verlassen zu haben, um zu Hause Kaffee zu trinken – hat<br />

das beklagte Land erst mit Eingang des Schriftsatzes des<br />

Prozessbevollmächtigten des Klägers am 04.12.2006 Kenntnis<br />

erlangt. Bis zu diesem Zeitpunkt bestand nur ein dahingehender<br />

Verdacht, wobei das beklagte Land den Nachweis jedoch<br />

nicht führen konnte, dass der Kläger sich in oben genannter<br />

Weise verhalten hatte.<br />

Ob die Frist des § 626 Abs. 2 BGB im Hinblick auf eine<br />

möglicherweise auszusprechende Verdachtskündigung am<br />

13.12.2006 bereits abgelaufen war, kann dahinstehen. Denn<br />

das beklagte Land hat die Kündigung nicht auf einen dahingehenden<br />

Verdacht, sondern darauf gestützt, dass der Kläger<br />

die ihm vorgeworfenen Verfehlungen tatsächlich begangen<br />

hat.<br />

c) Die Interessenabwägung muss zu Lasten des Klägers ausgehen.<br />

Zwar ist zugunsten des Klägers zu berücksichtigen,<br />

dass er am 27.01.1965 geboren <strong>und</strong> damit im Zeitpunkt der<br />

Kündigung fast 42 Jahre alt war. Außerdem ist er verheiratet<br />

<strong>und</strong> hat zwei Kinder im Alter von 8 <strong>und</strong> 13 Jahren, wobei seine<br />

Ehefrau lediglich aushilfsweise gegen eine monatliche Vergütung<br />

von r<strong>und</strong> 200,– € tätig ist. Zu berücksichtigen ist weiter,<br />

dass beim Kläger im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung<br />

ein Grad der Behinderung von 30 festgestellt <strong>und</strong> eine ordentliche<br />

Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen war.<br />

Andererseits ist zu berücksichtigen, dass das vom Kläger eingeräumte<br />

Fehlverhalten eine schwerwiegende Vertragsverletzung<br />

darstellt, die den strafrechtlich relevanten Bereich berührt.<br />

Nach dem nicht bestrittenen Sachvortrag des beklagten<br />

Landes war der Kläger im Wesentlichen selbständig <strong>und</strong> eigenverantwortlich<br />

tätig <strong>und</strong> wurde bei der Einhaltung seiner<br />

Arbeitszeit, mit Ausnahme des Ein- <strong>und</strong> Ausstempelns, nicht<br />

kontrolliert. Durch die von ihm vorgenommenen Täuschungshandlungen<br />

hat der Kläger die für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses<br />

erforderliche Vertrauensgr<strong>und</strong>lage zerstört.<br />

■ Landesarbeitsgericht Hamm<br />

vom 6. Dezember 2007, 15 Sa 1254/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Klemens Rütte, Marker Allee 48,<br />

59063 Hamm, Tel.: 02381/134 34, Fax: 02381/134 33<br />

info@rae-stallmeister.de; www.rae-stallmeister.de<br />

200 03/08<br />

168. Verhaltensbedingte Kündigung, Begehung von Steuerstraftaten,<br />

Auflösungsanträge des Arbeitnehmers <strong>und</strong><br />

des Arbeitgebers, Bemessungsgr<strong>und</strong>lage der Abfindung<br />

Tatbestand (redaktionelle (Teil-)Zusammenfassung):<br />

Ein Arbeitnehmerüberlassungsunternehmen kündigte wegen<br />

angeblicher Steuerstraftaten durch Falschangaben über<br />

Dienstreisen. Sie fürchtete, dadurch wäre wegen Unzuverlässigkeit<br />

ihre Überlassergenehmigung gefährdet. Das<br />

Arbeitsgericht prüft die gr<strong>und</strong>sätzliche Eignung eines solchen<br />

Kündigungsvorwurfs nicht, sondern setzt das wohl voraus,<br />

denn es prüft die tatsächliche Richtigkeit der Vorwürfe.<br />

Es findet den Kläger „kreativ“ aber in seiner Verteidigung<br />

nicht widerlegt, zumal die Beklagte wegen Tat <strong>und</strong> nicht<br />

wegen Verdacht gekündigt hat. Der Auflösungsantrag des<br />

Arbeitnehmers war nicht erfolgreich, wohl aber der des<br />

Arbeitgebers.<br />

Aus dem Tatbestand: ...<br />

Mit E-mail vom 17.10.2007 informierte der Geschäftsführer der<br />

Beklagten diverse Niederlassungsleiter über das Ausscheiden<br />

des Klägers. In dieser E-mail heißt es auszugsweise:<br />

„Herr ... minderte mit Unterstützung durch ehemalige Mitarbeiter<br />

unserer Firma seine steuerliche Belastung durch falsche<br />

Angabe seines Arbeitsortes. Da er nicht bereit war, dies nach<br />

der Aufdeckung des Sachverhaltes zu korrigieren, mussten wir<br />

uns voneinander trennen.“<br />

Mit Schriftsatz vom 17.12.2007 setzten sich die Prozessbevollmächtigten<br />

der Beklagten mit den Prozessbevollmächtigen<br />

des Klägers in Verbindung ... In diesem Schreiben heißt es:<br />

„ ... Wir wiederholen noch einmal unser Vergleichsangebot<br />

an Herrn ... Nunmehr allerdings befristet bis spätestens zum<br />

31.12.2007. Wir betonen noch einmal, dass der ... nicht daran<br />

gelegen ist, Herrn ... in steuerlicher <strong>und</strong> strafrechtlicher Hinsicht<br />

zu belangen. Wir fürchten indes, dass das Prozessverhalten<br />

von Herrn ... der ... keine andere Wahl lässt, zumal er<br />

nach unserem Eindruck auf einen handfesten Prozessbetrug<br />

zusteuert. ...<br />

Aus den Entscheidungsgründen: ...<br />

II. Der Antrag des Klägers auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses<br />

war abzuweisen. Auf den Antrag der Beklagten endet<br />

das Arbeitsverhältnis jedoch zum 31.12.2007.<br />

1.) Nach § 9 Abs. 1 KSchG ist, wenn das Gericht – wie hier –<br />

festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis durch eine Kündigung<br />

nicht aufgelöst ist, das Arbeitsverhältnis auf Antrag des<br />

Arbeitnehmers zu beenden, wenn diesem die Fortsetzung des<br />

Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten ist.<br />

a) Eine solche Unzumutbarkeit sieht das Gericht vorliegend<br />

nicht. Diese ergibt sich zunächst nicht aus dem Schreiben<br />

der Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 17.12.2007.<br />

Soweit dort ein Zusammenhang zwischen Abschluss eines<br />

Vergleiches <strong>und</strong> (steuer)strafrechtlichen Folgen hergestellt ist,<br />

führt dies nicht bereits zu einer Unzumutbarkeit der Fortsetzung<br />

des Arbeitsverhältnisses, wenn die Formulierung selbst<br />

auch nicht ganz unbedenklich ist. Zunächst einmal ist nicht<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 36 01.09.2008 13:16:54


zwingend, dass die Beklagte selbst eine Anzeige bei den Strafbehörden<br />

bzw. bei dem zuständigen Finanzamt vorzunehmen<br />

gedachte. Ausweislich der Klageerwiderung geht die Beklagte<br />

vielmehr davon aus, dass das Gericht – wenn auch auf ihre<br />

„Aufforderung“ – die Akte an das Finanzamt ... weiterleitet.<br />

Zum anderen hat der Kläger auch nicht vorgetragen, dass<br />

eine solche Anzeige gegenüber dem Finanzamt oder einer<br />

sonstigen Behörde nach Scheitern des Vergleiches tatsächlich<br />

erstattet worden ist. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Regelung<br />

der §§ 9, 10 KSchG nicht dazu dient, ein Arbeitsverhältnis<br />

unter vereinfachten Bedingungen Zug um Zug gegen Zahlung<br />

einer Abfindung beenden zu können (vgl. ErfK-Ascheid, 8.<br />

Aufl. 2008, § 9 KSchG Rz 13 m.w.N.). Eine Unzumutbarkeit der<br />

Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses resultiert für die Kammer<br />

daraus zumindest nicht.<br />

b) Gleiches gilt hinsichtlich der E-mail vom 17.10.2007, in<br />

welcher andere Mitarbeiter der Leitungsebene darüber informiert<br />

werden, der Kläger habe seinen Arbeitsort falsch angegeben.<br />

Die Kammer sieht durch die E-mail das Arbeitsverhältnis<br />

nicht für derart belastet an, dass dem Kläger in<br />

seiner Position eine Fortsetzung unzumutbar wäre. Der Geschäftsführer<br />

der Beklagten muss über die Gründe, die eine<br />

Kündigung bedingen <strong>und</strong> aus seiner Sicht rechtfertigen, kein<br />

Stillschweigen bewahren. Der (recht kleine) Adressatenkreis<br />

der E-mail hätte ohnehin früher oder später Information über<br />

den Verbleib des Klägers <strong>und</strong> dessen plötzliches Ausscheiden<br />

begehrt. Dass dies sehr schnell <strong>und</strong> via E-mail erfolgte, führt zu<br />

keiner gegenteiligen Einschätzung. Es ist insoweit auch nicht<br />

erforderlich, den Inhalt dieser Information diplomatischer zu<br />

fassen <strong>und</strong> durch Formulierungen wie „aus meiner Sicht“ oder<br />

„nach unserer Auffassung“ abzumildern. Spätestens durch dieses<br />

Urteil wäre der Kläger dahingehend rehabilitiert, dass das<br />

Arbeitsverhältnis jedenfalls nicht wegen einer von ihm begangenen<br />

Steuerhinterziehung wirksam gekündigt worden ist.<br />

2.) Das Arbeitsverhältnis ist jedoch auf den Antrag der Beklagten<br />

gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen.<br />

a) Die Beklagte hat dazu in der Kammerverhandlung klar<br />

gestellt, dass sie ihren Auflösungsantrag für den Fall stellt,<br />

dass das Gericht die in eine ordentliche Kündigung umgedeutete<br />

außerordentliche Kündigung für unwirksam hält. Nur für<br />

diesen Fall konnte der Auflösungsantrag der Beklagten Erfolg<br />

haben, da § 13 Abs. 1 Satz 3 KSchG bei der außerordentlichen<br />

Kündigung allein dem Arbeitnehmer das Recht zur Stellung<br />

des Antrages auf Auflösung gewährt. Da die Kündigung vom<br />

17.10.2007 als außerordentliche unwirksam ist, war diese zunächst<br />

in eine ordentliche Kündigung umzudeuten. Allerdings<br />

rechtfertigt der von der Beklagten geltend gemachte Gr<strong>und</strong><br />

auch eine ordentliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />

durch einseitige Willenserklärung nicht (vgl. oben). Auf eine<br />

Begründung des Antrages der Beklagten kommt es wegen<br />

§ 14 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG nicht an, da<br />

der Kläger unstreitig leitender Angestellter i.S.d.KSchG war.<br />

b) Das Gericht hat die Abfindung mit einem halben Brut-<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

tomonatsgehalt pro Beschäftigungsjahr festgesetzt. Insofern<br />

waren 12,5 Gr<strong>und</strong>gehälter, der Bonus des Jahres 2006 sowie<br />

der Dienstwagen einerseits <strong>und</strong> eine Betriebszugehörigkeit<br />

von r<strong>und</strong> 7,5 Jahren zu berücksichtigen. Gründe, von dem auf<br />

diese Weise gef<strong>und</strong>enen Wert nach oben oder unten abzuweichen,<br />

sind nicht gegeben.<br />

■ Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven<br />

vom 12. März 2008, 8 Ca 8275/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Klemens Rütte, Marker Allee 48,<br />

59063 Hamm, Tel.: 02381/134 34, Fax: 02381/134 33<br />

info@rae-stallmeister.de; www.rae-stallmeister.de<br />

169. Verhaltensbedingte Kündigung, Verletzung der vertraglichen<br />

Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB)<br />

im Widerstreit zu familiärer Rücksichtnahme<br />

Sachverhalt:<br />

Die gekündigte Arbeitnehmerin war Vorarbeiterin eines Reinigungsunternehmens,<br />

das auf dem nicht allgemein zugänglichen<br />

Teil des Frankfurter Flughafens tätig ist. Das Unternehmen<br />

stellte den sich unter falschem Namen bewerbenden<br />

Bruder der Klägerin ein, was eine ordnungsgemäße Überprüfung<br />

nach dem Luftsicherheitsgesetz verhinderte. Die Klägerin<br />

wusste von der Täuschung durch den Bruder, meldete sie<br />

jedoch nicht. Im Gegensatz zum Arbeitsgericht stellt das Landesarbeitsgericht<br />

zwar fest, in der Regel liege bei der Kenntnis<br />

von einer Täuschung <strong>und</strong> Verletzung des Luftsicherheitsgesetzes<br />

zwar eine Pflichtverletzung nach § 241 (2) BGB, die<br />

verwandtschaftlichen Beziehungen würden die unterlassene<br />

Meldung aber rechtfertigen.<br />

Aus den Gründen:<br />

I. ... 3. ... b) (Es) bestand keine Pflicht der Klägerin zur Unterrichtung<br />

ihres Arbeitgebers über die falsche Identität ihres<br />

Bruders <strong>und</strong> die deshalb nicht vollständig durchgeführte Zuverlässigkeitsüberprüfung.<br />

Die vertragliche Rücksichtnahmepflicht<br />

wird durch die Gr<strong>und</strong>rechte näher ausgestaltet (BAG,<br />

Urteil vom 03.07.2003 – 2 AZR 235/02 – NZA 2004, 427; BAG,<br />

Urteil vom 10.10.2002 – 2 AZR 472/01 – NZA 2003, 483).<br />

Die Klägerin hätte der Beklagten nicht eine Information über<br />

einen beliebigen <strong>Kollegen</strong>, sondern über ihren Bruder gegeben.<br />

Es kann unterstellt werden, dass der Bruder bei Kenntnis<br />

der Beklagten über die angenommene Identität zumindest<br />

seinen Arbeitsplatz verloren hätte. ... .<br />

Die hier angenommene Offenbarungspflicht betraf die Klägerin<br />

in ihrem Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 GG <strong>und</strong><br />

führt zu einer abweichenden Interessengewichtung.<br />

Zum Persönlichkeitsrecht gehört auch, die verwandtschaftliche<br />

Beziehung zu einem Geschwisterteil als vorrangig<br />

bindend <strong>und</strong> verpflichtend zu leben. Dem wird in der<br />

Rechtsordnung durch Zeugnisverweigerungsrechte (§§ 52<br />

Abs. 1 Nr. 3 StPO, 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO), der Regelung<br />

über den Aussagenotstand (§ 157 StGB) <strong>und</strong> zuletzt durch<br />

Vorschriften wie §§ 138, 139 Abs. 3 StGB Rechnung getragen.<br />

Überwiegend wird die besondere Beziehung erwachsener<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 37 01.09.2008 13:16:54<br />

201


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

enger Verwandter, welche nicht in häuslicher Gemeinschaft<br />

leben, nicht dem Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG, sondern<br />

dem des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zugeordnet<br />

(BVerwG, Urteil vom 29.07.1993 – 1 C 25/93 – BVerwGE 94, 35;<br />

BVerfG, Beschluss vom 05.02.1981 – 2 BvR 646/80 – BVerfGE<br />

57,170; Jarass/Pieroth, GG, 9. Aufl., Art. 6 Rz 4, Art. 2 Rz 49;<br />

Mangoldt/Klein/Starck, GG, 5. Aufl., Art. 6 Rz 86 ff.).<br />

Das von der Klägerin angeführte „Aussageverweigerungsrecht“<br />

im Arbeitsverhältnis ist daher nicht unbeachtlich.<br />

Die angenommene <strong>und</strong> auf § 241 Abs. 2 BGB gründende<br />

Offenbarungspflicht kollidierte mit dem Willen der Klägerin,<br />

auf die Belange ihres Bruders Rücksicht zu nehmen.<br />

Es bestand keine Mitteilungspflicht der Klägerin gegenüber<br />

der Beklagten, ungefragt die angenommene falsche Identität<br />

ihres Bruders zu offenbaren. Die Interessen der Beklagten<br />

hatten zurückzustehen, so dass eine Vertragsverletzung nicht<br />

angenommen werden kann. Die oben erörterte abstrakte Gefährdung,<br />

welche von der Beschäftigung des Bruders der Klägerin<br />

ausging, war nicht so schwerwiegend.<br />

1. Anhaltspunkte dafür, dass von dem Bruder der Klägerin<br />

tatsächlich eine Gefährdung im Sinne des § 1 LuftSiG ausging,<br />

lagen nach dem Vortrag beider Parteien nicht vor. Es kann<br />

nicht festgestellt werden, dass die Klägerin Kenntnisse von<br />

Handlungen ihres Bruders hatte, welche – ungeachtet der<br />

angenommenen Identität – dazu geführt hätten, dass ihm der<br />

Vorfeldausweis hätte entzogen werden müssen.<br />

Ob die Verhaftung des Bruders am 10. Juni 2005 auf nachweisbaren<br />

Straftaten beruhte, ist offen geb<strong>liebe</strong>n. Die Beklagte ist<br />

dem Vortrag der Klägerin nicht mehr entgegengetreten, bei<br />

ihrem Bruder seien – anders als gegenüber dem Betriebsrat<br />

angegeben – keine Diamantringe gef<strong>und</strong>en worden, sondern<br />

nur ein Video-Walkman <strong>und</strong> eine Schachtel mit 16 Streichholzschachteln<br />

einer Airline, (vgl. Kopie des Durchsuchungs-<br />

/Sicherstellungs-Protokolls vom 10. Juni 2005 als Anlage zum<br />

Schriftsatz der Klägerin vom 30.11.2005, Bl. 99 f. d.A.). Soweit<br />

die Beklagte im Allgemeinen geltend gemacht hat, der Bruder<br />

habe Straftaten begangen, liegen dazu keine substantiierten<br />

Angaben vor. Entgegen der Ansicht der Beklagten hat der<br />

Bruder der Klägerin durch die Angabe einer falschen Identität<br />

kein Sozialversicherungsbetrug begangen. Für seine Tätigkeit<br />

sind bezogen auf die angenommene Identität Steuern<br />

<strong>und</strong> Sozialversicherungsbeiträge entrichtet worden. Klarzustellen<br />

ist auch, dass Vermögensdelikte, insbesondere an auf<br />

dem Flughafen umgeschlagenen Waren, zwar eine fristlose<br />

Kündigung eines Arbeitsverhältnisses rechtfertigen, aber nicht<br />

zwingend zu einer Gefährdung der Luftsicherheit führen.<br />

(2) Nach der Stellung der Klägerin als Vorarbeiterin im Reinigungsunternehmen<br />

kann nicht angenommen werden, dass<br />

ihr Verhalten der Beklagten wie das einer Führungskraft als<br />

eigenes zugerechnet wird.<br />

Geht man davon aus, dass der Klägerin bewusst gewesen<br />

sein muss, dass die Tätigkeit ihres Bruders unter einer angenommenen<br />

Identität auf dem Flughafen auch den Auftrag<br />

202 03/08<br />

ihres gemeinsamen Arbeitgebers insgesamt gefährdete, so ist<br />

doch festzuhalten, dass die Beklagte ihrerseits nicht gegen § 7<br />

Abs. 9 LuftSiG verstoßen hat, da sie von der angenommene<br />

Identität ihres Arbeitnehmers nichts wusste. Das die Klägerin<br />

ihren Bruder zu einer Bewerbung unter der angenommenen<br />

Identität veranlasste, steht nicht fest.<br />

Es ist daher nicht gerechtfertigt, die Interessen der Klägerin,<br />

dem Bruder nicht zu schaden, wegen der möglichen Gefährdung<br />

des Auftrags gegenüber den Interessen der Beklagten<br />

zurückstehen zu lassen.<br />

■ Hessisches Landesarbeitsgericht<br />

vom 21. November 2007, 18 Sa 367/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Christian Puhr-Westerheide,<br />

Beethovenstraße 21, 47226 Duisburg, Tel.: 02065/3000-0,<br />

Fax: 02065/3000-50<br />

info@ra-npp.de; www.ra-npp.de<br />

Anmerkung:<br />

Das hohe Lied, das das Landesarbeitsgericht auf die Familienbande<br />

singt, steht im Widerspruch zu der sonstigen rechtlichen<br />

Einbindung der Familie durch die Angleichung ähnlicher<br />

Tatbestände wie Partnerschaften, Lebensgemeinschaften<br />

etc. Noch bedenklicher ist allerdings die zum Ausdruck kommende<br />

Missachtung des Wohls der Allgemeinheit. (me)<br />

170. Verhaltensbedingte Kündigung, Abmahnungsvoraussetzung,<br />

Anforderungen an eine Abmahnung<br />

Leitsatz der Redaktion:<br />

Eine verhaltensbedingte Kündigung setzt in der Regel eine<br />

„einschlägige“ Abmahnung voraus, d.h. auch eine Kündigungsandrohung.<br />

Diese ist in dem Hinweis: „es geht um<br />

Ihren Kopf“ enthalten. Beschrieben sein muss eine konkrete<br />

Pflichtwidrigkeit, sonst liegt keine Einschlägigkeit vor.<br />

Der Vortrag zu einer Abmahnung des Klägers in 2004 („es<br />

geht um Ihren Kopf“) genügt diesen Abmahnungserfordernissen<br />

nicht. Es ist nicht ersichtlich, welche Pflichtwidrigkeit<br />

des Beklagten der Abmahnung in 2004 überhaupt zugr<strong>und</strong>e<br />

gelegen haben sollte <strong>und</strong> ob der Kläger auf diese Pflichtwidrigkeit<br />

unter der zitierten Kündigungsandrohung „es geht um<br />

Ihren Kopf“ hinreichend deutlich hingewiesen wurde. Demgemäß<br />

lässt sich auch nicht ermitteln, ob der Kläger „einschlägig“<br />

abgemahnt wurde.<br />

■ Hessisches Landesarbeitsgericht<br />

vom 5. März 2008, 6 Sa 1039/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Hansjörg Berrisch, Frankfurter<br />

Straße 15, 35390 Gießen, Tel.: 0641/94848-0,<br />

Fax: 0641/94848-20<br />

info@linder-berrisch.de; www.linder-berrisch.de<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 38 01.09.2008 13:16:54


171. Verhaltensbedingte Kündigung, private Kontakte<br />

zwischen Therapeut <strong>und</strong> Patientin<br />

Tatbestand:<br />

Der Kläger ist bei der Beklagten seit 15 Jahren als Therapeut<br />

... beschäftigt.<br />

Der Kläger hatte zu einer minderjährigen Patientin zu der Zeit,<br />

als sich diese noch in der stationären Behandlung der Klinik<br />

befand, einen guten Kontakt. Nach Entlassung der Patientin<br />

hatte diese immer wieder E-mails an die dienstliche Adresse<br />

des Klägers geschickt. Die Patientin teilte dem Kläger über<br />

diese E-mails mit, dass bei ihr Gesprächsbedarf bestehe. Den<br />

Vorschlag des Klägers, aus diesen Gründen in der Klinik vorzusprechen,<br />

lehnte die Patientin kategorisch ab. Schließlich<br />

ließ sich der Kläger von ihr überreden, seine private Adresse<br />

herauszugeben.<br />

Am Abend des 02.07.2007 wurde die Patientin bei ihm zu<br />

Hause vorstellig <strong>und</strong> berichtete von ihren Problemen. Der<br />

Kläger sprach mit der Patientin <strong>und</strong> riet ihr, ihre Probleme<br />

auch mit dem zuständigen Therapeuten <strong>und</strong> der Mutter zu<br />

besprechen. Mit Schreiben vom 27.07.2007 beschwerte sich<br />

das Jugendamt der Stadt Alsdorf bei der Beklagten über das<br />

geschilderte Verhalten des Klägers.<br />

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger<br />

mit Schreiben vom 18.08.2007, dem Kläger zugegangen am<br />

14.08.2007, fristlos.<br />

Die Beklagte stützt die Kündigung auf verhaltensbedingte<br />

Gründe. Sie stützt die Kündigung auf den privaten Kontakt<br />

des Klägers mit der Patientin sowie darauf, dass der Beklagte<br />

eine Vorgesetzte über diesen Vorfall nicht informiert hat.<br />

Aus den Entscheidungsgründen:<br />

Die Klage ist zulässig <strong>und</strong> begründet.<br />

Die dem Kläger mit Schreiben vom 10.08.2007 ausgesprochene<br />

fristlose Kündigung ist unwirksam. Ein wichtiger Gr<strong>und</strong><br />

für die Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB liegt nicht<br />

vor.<br />

Der Kläger hat durch das Gespräch mit der Patientin am<br />

02.07.2007 <strong>und</strong> durch das Unterlassen, seinen Vorgesetzten<br />

zu informieren, keine vertragliche Hauptleistungspflicht<br />

verletzt. Die Hauptleistungspflicht des Klägers bestand in<br />

der Erbringung seiner vertraglich geschuldeten Tätigkeit,<br />

also im Universitätsklinikum als Ergotherapeut tätig zu<br />

werden. Die von der Beklagten eingeforderte Pflicht stellt eine<br />

Unterlassung des Klägers dar. Diese Unterlassungspflichten<br />

können lediglich eine Nebenleistungspflicht aus dem Arbeitsverhältnis<br />

darstellen. Ob der Kläger seine Pflichten aus dem<br />

Arbeitsvertrag verletzt hat, kann dahinstehen, da jedenfalls<br />

keine negative Zukunftsprognose besteht. Die Beklagte hat<br />

nicht bestritten, dass eine Wiederholungsgefahr nicht besteht.<br />

Die Wiederholungsgefahr kann im vorliegenden Fall auch<br />

nicht aus dem einmaligen Verhalten des Klägers geschlossen<br />

werden. In dem Vorfall am 02.07.2007 ist ein Sonderfall zu<br />

sehen. Mit gleichartigen Gelegenheiten für den Kläger ist<br />

nicht zu rechnen. Die Initiative ging in diesem Fall nicht vom<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

Kläger aus. Die Patientin hat ihrerseits über die dienstliche<br />

E-mail-Adresse des Klägers Kontakt zu ihm gesucht. Aus der<br />

Stellungnahme des Betriebsrates ergibt sich auch, dass der<br />

Kläger sein Fehlverhalten erkennt <strong>und</strong> bereut. Auch dies<br />

wurde seitens der Beklagten nicht bestritten. Der Kläger war<br />

zuvor 15 Jahre lang beanstandungsfrei tätig. Eine Abmahnung<br />

hat er von der Beklagten nicht erhalten.<br />

Auch in der Zukunft kann sich das Verhalten des Klägers<br />

bei objektiver Betrachtung nicht weiter belastend auswirken.<br />

Es ist schon fraglich, ob überhaupt ein Verstoß des Klägers<br />

gegen arbeitsvertragliche Pflichten vorliegt. Der Kläger hat<br />

keine Verabredung getroffen. Er hat die Patientin auch nicht<br />

aufgefordert, in seine Wohnung zu kommen. Der Kläger hat<br />

sich lediglich überreden lassen, seine Privatadresse herauszugeben.<br />

Es kam dann zu einem Gespräch in seiner Wohnung.<br />

Dieses Verhalten stellt ein außerdienstliches Verhalten dar.<br />

Der Kläger hatte ferner die Absicht, der Patientin zu helfen.<br />

Das Gesamtgeschehen kann daher nicht zu einem schweren<br />

Vertrauensbruch zwischen Kläger <strong>und</strong> Beklagter führen.<br />

■ Arbeitsgericht Aachen<br />

vom 2. April 2008, 9 Ca 3132/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Franz Sparla, Kackertstraße 11,<br />

52072 Aachen-Laurensburg, Tel.: 0241/932 95 96,<br />

Fax: 0241/932 95 97<br />

kontakt@sparla-rechtsanwaelte.de;<br />

www.sparla-rechtsanwaelte.de<br />

172. Verhaltensbedingte Kündigung, Vortäuschen einer<br />

Arbeitsunfähigkeit, Anfechtung einer Annahmeerklärung<br />

zur Vertragsänderung, Drohung mit einer außerordentlichen<br />

Kündigung<br />

Aus den Entscheidungsgründen: ...<br />

II. ... 2. ... a) Die Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung<br />

ist nur dann widerrechtlich, wenn ein verständiger Arbeitgeber<br />

eine solche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung<br />

ziehen durfte. Nicht erforderlich ist, dass sich die angedrohte<br />

Kündigung, wenn sie ausgesprochen worden wäre, in einem<br />

Kündigungsschutzprozess als rechtsbeständig erwiesen hätte.<br />

Vom Arbeitgeber kann nicht verlangt werden, dass er bei seiner<br />

Abwägung generell die Beurteilung des Tatsachengerichts<br />

„trifft“. Nur wenn der Arbeitgeber unter Abwägung aller Umstände<br />

des Einzelfalls davon ausgehen muss, die angedrohte<br />

Kündigung werde im Falle ihres Ausspruchs einer arbeitsgerichtlichen<br />

Überprüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht<br />

standhalten, darf er die außerordentliche Kündigungserklärung<br />

nicht in Aussicht stellen, um den Arbeitnehmer zum<br />

Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung zu veranlassen<br />

(BAG, vom 15.12.2005 – 6 AZR 197/05, Rn 23, AP BGB § 123<br />

Nr. 66 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 6 m.w.N.; sowie BAG, vom<br />

28.11.2007 – 6 AZR 1108/06 – zit. n. juris, Rn 48).<br />

b) Nach dem von der Beklagten bis zum 18.12.2006 ermittelten<br />

Sachverhalt durfte diese davon ausgehen, dass die Klägerin<br />

eine Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht hat. Die Arbeits-<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 39 01.09.2008 13:16:55<br />

203


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

unfähigkeit ist vorgetäuscht, wenn sie nicht besteht. Das ist<br />

wiederum der Fall, wenn die Vermutungswirkung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung<br />

erschüttert ist <strong>und</strong> die Arbeitsunfähigkeit<br />

nicht anderweitig nachgewiesen wird. Regelmäßig<br />

ist die Vermutungswirkung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung<br />

durch das Ausüben einer Nebentätigkeit während einer<br />

ärztlich attestierten Arbeitsunfähigkeit erschüttert (BAG, vom<br />

26.08.1993 – 2 AZR 154/93 – AP Nr. 112 zu § 626 BGB = EzA<br />

626 n. F. BGB Nr. 148 Rn 36 bis 39). Da die Klägerin während<br />

der andauernden Arbeitsunfähigkeit, nämlich vor der<br />

bei der Beklagten zu erbringenden Schicht ab 11.30 Uhr, die<br />

Nebentätigkeit ausübte, durfte die Beklagte davon ausgehen,<br />

dass die Vermutungswirkung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung<br />

erschüttert war, dies unabhängig davon, wie schwer<br />

<strong>und</strong> körperlich belastend die Nebentätigkeit im Einzelnen war.<br />

Jedenfalls ist es auch nach den Schilderungen der Klägerin<br />

nicht so, dass ihre Nebentätigkeit in einer Ruheposition ohne<br />

jegliche körperliche Belastung, also auch bei einer bestehenden<br />

Arbeitsunfähigkeit ausgeübt werden könnte. Dass die<br />

Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren selbst nicht von vorgetäuschter<br />

Arbeitsunfähigkeit oder Betrug gesprochen hat,<br />

steht dieser Würdigung nicht entgegen. Maßgeblich ist der<br />

vorgetragene Sachverhalt, der diese Einschätzung zulässt. Im<br />

Übrigen war der Gr<strong>und</strong> für das Personalgespräch in der Einladung<br />

vom 15.12.2006 mit „Arbeiten während Arbeitsunfähigkeit“<br />

angegeben ... <strong>und</strong> lässt daher durchaus Raum für<br />

eine solche Würdigung. Dass der Arbeitgeber keine juristische<br />

abschließende Bewertung vorgenommen hat, ist für die Beurteilung<br />

des Kündigungsgr<strong>und</strong>es unbeachtlich. Trotz der bestehenden<br />

Notsituation der Klägerin durfte die Beklagte eine<br />

fristlose Beendigungskündigung in Erwägung ziehen. Hierzu<br />

wird zunächst auf die Erwägungen des arbeitsgerichtlichen<br />

Urteils verwiesen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO), im Übrigen<br />

kommt es nicht darauf an, ob nach Ausübung der Interessenabwägung<br />

die fristlose Kündigung in einem Rechtsstreit<br />

Bestand gehabt hätte, weil hierfür jedenfalls nicht eine hohe<br />

Wahrscheinlichkeit im Sinne oben angegebener Rechtsprechung<br />

besteht.<br />

3. Die Annahmeerklärung vom 18.12.2006 ist auch nicht<br />

nach § 307 Abs. 1 Satz 1 oder 2 BGB unwirksam.<br />

a) Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich<br />

bei der Vereinbarung vom 18.12.2006 nicht um eine kontrollfreie<br />

Individualabrede. Nach § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB findet eine<br />

Inhalts- <strong>und</strong> Transparenzkontrolle auf vorformulierte Vertragsbedingungen<br />

auch dann Anwendung, wenn diese nur zur<br />

einmaligen Verwendung bestimmt sind <strong>und</strong> der Verbraucher<br />

aufgr<strong>und</strong> der Vorformulierung auf ihren Inhalt keinen Einfluss<br />

nehmen konnte. Das ist der Fall, da die Klägerin auf den Inhalt<br />

der Änderungsbedingungen <strong>und</strong> auch den Ausspruch der<br />

Änderungskündigung keinen Einfluss hatte.<br />

b) ... Die Klägerin richtet sich mit ihren Ausführungen gegen<br />

die Wirksamkeit ihrer Annahmeerklärung zunächst gegen<br />

die Änderung der Hauptleistungspflichten in ihrem Arbeits-<br />

204 03/08<br />

verhältnis, nämlich gegen die fristlose Beendigung <strong>und</strong> Fortsetzung<br />

unter geänderten Arbeitsbedingungen. Damit sind<br />

die Hauptleistungspflichten betroffen mit der Folge, dass eine<br />

Inhaltskontrolle nicht vorzunehmen ist.<br />

c) ... Die in § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB enthaltene Formulierung<br />

zeigt, dass die bei der Angemessenheitskontrolle zu berücksichtigenden,<br />

den Vertragsschluss begleitenden Umstände<br />

nicht dazu führen können, den Vertragsabschluss insgesamt<br />

als rechtsunwirksam zu qualifizieren (BAG, vom 27.11.2003 –<br />

2 AZR 135/03 – AP Nr. 1 zu § 312 BGB = EzA § 312 BGB 2002<br />

Nr. 1 jeweils Rn 59).<br />

d) Aus demselben Gr<strong>und</strong> ist eine Transparenzkontrolle nach<br />

§ 307 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 2 BGB nicht vorzunehmen.<br />

Die Annahmeerklärung der Klägerin selbst ist klar <strong>und</strong> verständlich.<br />

Es kann offen bleiben, ob die Reaktionsmöglichkeit<br />

„Annahme unter Vorbehalt“ für die Klägerin unklar <strong>und</strong> nicht<br />

verständlich war. Dieser Passus ist nicht Vertragsbestandteil<br />

geworden. Er erreicht auch nicht den Grad einer anfechtungsrelevanten<br />

Täuschung, was von der Klägerin auch nicht vorgetragen<br />

wird. Es verbleibt dabei, dass es sich um die vertragsabschlussbegleitenden<br />

Umstände handelt, die selbst nicht Inhalt<br />

einer AGB-Kontrolle sind.<br />

■ Landesarbeitsgericht Niedersachsen<br />

vom 10. März 2008, 9 Sa 982/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Peter Schrader, Podbielskistraße<br />

33, 30163 Hannover, Tel.: 0511/215 55 63 -33,<br />

Fax: 0511/215 55 63-43<br />

kanzlei@neef-schrader-straube.de;<br />

www.neef-schrader-straube.de<br />

173. Verhaltensbedingte außerordentliche Kündigung,<br />

Ankündigung einer Arbeitsunfähigkeit, Beweiswürdigung,<br />

Abmahnungserfordernis, Interessenabwägung<br />

Aus den Entscheidungsgründen: ...<br />

2. Das Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung vom<br />

2.4.2007 fristlos beendet worden.<br />

a) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus<br />

wichtigem Gr<strong>und</strong> ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt<br />

werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Gr<strong>und</strong> derer<br />

dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des<br />

Einzelfalls <strong>und</strong> unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile<br />

die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum<br />

Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Im<br />

Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB ist zunächst zu prüfen, ob ein<br />

bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des<br />

Einzelfalls als wichtiger Kündigungsgr<strong>und</strong> an sich geeignet<br />

ist. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren<br />

Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter<br />

Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls <strong>und</strong><br />

unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar<br />

ist oder nicht.<br />

Für eine verhaltensbedingte Kündigung gilt das sog. Prognoseprinzip.<br />

Der Zweck der Kündigung ist nicht Sanktion für die<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 40 01.09.2008 13:16:55


Vertragspflichtverletzung, sondern dient der Vermeidung des<br />

Risikos weiterer Pflichtverletzungen. Die vergangene Pflichtverletzung<br />

muss sich deshalb noch in der Zukunft belastend<br />

auswirken (BAG, 12. Januar 2006 – 2 AZR 179/05 – AP KSchG<br />

1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG<br />

§ 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Eine negative<br />

Prognose liegt vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung<br />

<strong>und</strong> der daraus resultierenden Vertragsstörung<br />

geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde den<br />

Arbeitsvertrag auch nach einer Kündigungsandrohung erneut<br />

in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen. Deshalb setzt eine<br />

Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig<br />

eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen<br />

Prognose. Liegt eine ordnungsgemäße Abmahnung<br />

vor <strong>und</strong> verletzt der Arbeitnehmer erneut seine vertraglichen<br />

Pflichten, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es<br />

werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen.<br />

Die Abmahnung ist insoweit notwendiger Bestandteil<br />

bei der Anwendung des Prognoseprinzips (BAG, 2.3.2006 –<br />

2 AZR 46/05 –). Sie ist zugleich aber auch Ausdruck des<br />

Verhältnismäßigkeitsgr<strong>und</strong>satzes. Eine Kündigung ist nicht<br />

gerechtfertigt, wenn es andere geeignete mildere Mittel<br />

gibt, um die Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser<br />

Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB eine<br />

gesetzgeberische Bestätigung erfahren (BAG, 2.3.2006, – 2<br />

AZR 46/05). Nach dieser Norm ist eine Kündigung erst nach<br />

erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten Frist oder<br />

nach einer erfolglosen Abmahnung zulässig. Eine vorherige<br />

Abmahnung ist unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgr<strong>und</strong>satzes<br />

aber ausnahmsweise entbehrlich, wenn<br />

eine Verhaltensänderung in Zukunft trotz Abmahnung nicht<br />

erwartet werden kann (BAG, 18. Mai 1994 – 2 AZR 626/93 –<br />

AP BPersVG § 108 Nr. 3 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 31)<br />

oder es sich um eine schwere Pflichtverletzung handelt,<br />

deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne weiteres<br />

erkennbar ist <strong>und</strong> bei der die Hinnahme des Verhaltens<br />

durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist<br />

(BAG, 10. Februar 1999 – 2 ABR 31/98 – BAGE 91, 30, zu<br />

B II 5 der Gründe; 1. Juli 1999 – 2 AZR 676/98 – AP BBiG<br />

§ 15 Nr. 11 = EzA BBiG § 15 Nr. 13, zu lit. 2a der Gründe).<br />

Ähnliches ergibt sich aus § 314 Abs. 2 Satz 2 BGB, nach<br />

dem § 323 Abs. 2 BGB entsprechende Anwendung findet.<br />

Nach § 323 Abs. 2 BGB ist eine Fristsetzung bzw. damit<br />

auch eine Abmahnung entbehrlich, wenn der Schuldner die<br />

Leistung ernsthaft <strong>und</strong> endgültig verweigert oder besondere<br />

Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen<br />

Interessen den sofortigen Rücktritt bzw. eine Kündigung<br />

rechtfertigen (BAG, 12. Januar 2006 – 2 AZR 179/05 – AP<br />

KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA<br />

KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68, zu B III 2b<br />

aa der Gründe).<br />

b) Nach der uneidlichen Vernehmung der von beiden Parteien<br />

benannten Zeuginnen K. <strong>und</strong> G. stand zur Überzeugung<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

der Kammer fest, dass die Klägerin in einem Gespräch am<br />

29.3.2007 gegenüber der ihr vorgesetzten Zeugin K. die<br />

Übernahme eines Dienstes für den 1.4.2007 abgelehnt hat<br />

<strong>und</strong> trotz des Hinweises, dass sie gegen eine Arbeitsanweisung<br />

verstößt <strong>und</strong> hiermit ihr Arbeitsverhältnis gefährdet, mit<br />

einer Krankschreibung gedroht hat. Erklärt der Arbeitnehmer,<br />

er werde krank, wenn der Arbeitgeber ihn nicht freistelle,<br />

obwohl er im Zeitpunkt dieser Ankündigung nicht krank<br />

war <strong>und</strong> sich aufgr<strong>und</strong> bestimmter Beschwerden auch noch<br />

nicht krank fühlen durfte, so ist ein solches Verhalten ohne<br />

Rücksicht darauf, ob der Arbeitnehmer später tatsächlich<br />

erkrankt, an sich geeignet, einen wichtigen Gr<strong>und</strong> zur<br />

außerordentlichen Kündigung abzugeben (BAG, 5.11.1992 –<br />

2 AZR 147/92 – AP Nr. 4 zu § 626 BGB Krankheit: im vom BAG<br />

entschiedenen Fall, den im bisherigen Umfang bewilligten<br />

Urlaub nicht verlängere). Die Beklagte hat den danach erforderlichen<br />

Tatbestand bewiesen. Die beiden Zeuginnen haben<br />

übereinstimmend erklärt, dass die Klägerin sehr aufgeregt<br />

über die Dienstplaneinteilung war, eine Fahrt nach Bayern<br />

unternehmen wollte <strong>und</strong> mit einer Erkrankung für den Fall der<br />

Diensteinteilung gedroht hatte. Dabei haben beide Zeuginnen<br />

überzeugend dargelegt, dass die letzten Krankheitszeichen<br />

der Klägerin im Zusammenhang mit einer in der ersten<br />

Februarhälfte erfolgten Zahnerkrankung bekannt waren bzw.<br />

gezeigt wurden <strong>und</strong> die Klägerin seither, insbesondere am<br />

29.3.2007 selbst, keine Krankheitsanzeichen gezeigt, über<br />

Beschwerden geklagt oder sonst wie gewirkt habe, dass eine<br />

Krankschreibung ab 30.3.2007 nicht überraschend gewesen<br />

wäre. Vielmehr hat die Klägerin noch am 29.3.2007 im Beisein<br />

der Zeugin G. ihren Dienst beschwerdefrei versehen. Zweifel<br />

an der Glaubwürdigkeit der beiden Zeuginnen bestanden<br />

nicht. Beide Zeuginnen sind zwar bei der Beklagten angestellt<br />

<strong>und</strong> von dieser wirtschaftlich abhängig, sie machten aber in<br />

sich logische <strong>und</strong> glaubhafte Aussagen, die auch bei diversen<br />

Nachfragen klar <strong>und</strong> deutlich die von der Beklagten geschilderte<br />

Gesprächssituation bestätigten. Widersprüchlichkeiten<br />

waren weder in den einzelnen Aussagen noch bei Abgleich<br />

beider Aussagen zu erkennen.<br />

Das Beweisergebnis wird auch nicht infrage gestellt durch die<br />

von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Bestätigungen über<br />

Arztbesuche <strong>und</strong> Beschwerden. Zum einen handelt es sich<br />

bei der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 30.3.2007 um<br />

eine Erstbescheinigung der Dres. R. ... , während die von der<br />

Klägerin angeführten Beschwerden durch den Zahnarzt J. am<br />

18.5.2007 für den Zeitraum bis zum 12.2.2007 attestiert wurden<br />

<strong>und</strong> lediglich darauf hinweisen, dass eine Überweisung zu<br />

einem HNO-Spezialisten erfolgte. Die Bestätigung vom HNO<br />

Arzt, Dr. B., erfolgte dann über einen Arztbesuch am 26.3.2007<br />

<strong>und</strong> steht damit jedenfalls in keinem zeitlichen Zusammenhang<br />

mit der in der Bestätigung des Zahnarztes angeklungenen<br />

Überweisung der Klägerin. Wenn auch die Diagnosen<br />

des Dr. B. <strong>und</strong> die des ab 30.3.2007 krankschreibenden Dres.<br />

R. pp. relativ übereinstimmend sind, so liegen zwischen ihnen<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 41 01.09.2008 13:16:55<br />

205


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

immerhin vier Tage, in denen die Klägerin u.a. ohne Krankschreibung<br />

gearbeitet hat. Dass ihr Zustand daher – trotz<br />

entgegenstehender Aussagen der Zeuginnen – am 29.3.2007<br />

bereits so schlecht gewesen sein soll, dass sie trotz fehlender<br />

Krankschreibung bei der Visite des Facharztes am 26.3.2007<br />

von einer Krankschreibung durch ihren Hausarzt spätestens<br />

für den 1.4.2007 ausgehen durfte, liegt nicht auf der Hand.<br />

Vielmehr wird das Beweisergebnis bestätigt durch die weitere<br />

Reaktion der Klägerin im Gespräch vom 29.3.2007, die anstelle<br />

auf ihren ges<strong>und</strong>heitlichen Zustand hinzuweisen, nur auf ihr<br />

rechtliche Absicherung durch die Gewerkschaft verwiesen hat.<br />

Die Kündigung scheitert nicht am Fehlen einer Abmahnung.<br />

Zwar wäre eine Abmahnung in einem Fall wie dem vorliegenden,<br />

der den Vertrauensbereich massiv berührt, entbehrlich.<br />

Eine Abmahnung als Teil des Kündigungsgr<strong>und</strong>es ist in<br />

einem solchen Fall nur erforderlich, wenn der Arbeitnehmer<br />

mit vertretbaren Gründen annehmen durfte, sein Verhalten<br />

sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber zumindest<br />

nicht als erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses<br />

gefährdendes Verhalten angesehen (BAG, 30.6.1983 –<br />

2 AZR 424/81 – AP Nr. 15 zu Art. 140 GG). Die Zeuginnen<br />

haben aber nicht nur glaubhaft versichert, dass die Klägerin<br />

am 29.3.2007 mündlich abgemahnt wurde, indem ihr nämlich<br />

für den Fall der weiteren Verweigerung der Dienstübernahme<br />

mitgeteilt wurde, sie setze ihr Arbeitsverhältnis aufs Spiel. Mit<br />

oder ohne eine solche Warnung hätte es der Klägerin klar sein<br />

müssen, dass sie nicht mit einer Krankschreibung für den Fall<br />

der Dienstplaneinteilung hätte drohen dürfen.<br />

Auch die Interessenabwägung führt zu keinem anderen Ergebnis.<br />

Zugunsten der Klägerin wurde berücksichtigt, dass<br />

es sich um einen erstmaligen Verstoß handelte. Gleichwohl<br />

sind die Interessen der Beklagten höher zu bewerten, die auf<br />

konkrete Betriebsablaufstörungen – die Zeugin G. musste den<br />

dritten Wochenenddienst hintereinander ableisten <strong>und</strong> zwar<br />

an beiden Wochenendtagen – hinwiesen. Eine mildere Sanktion<br />

gegenüber der Klägerin hätte die Gefahr heraufbeschworen,<br />

dass sich künftig auch andere Arbeitnehmer bei ungenehmen<br />

kurzfristigen Dienstplaneinteilungen ähnlich verhalten<br />

<strong>und</strong> sich so zu Lasten anderer Mitarbeiter ungerechtfertigte<br />

Arbeitseinteilungen verschaffen.<br />

■ Arbeitsgericht Köln<br />

vom 11. März 2008, 11 Ca 3182/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. jur. Jürgen Höser, Kölner<br />

Straße 2, 50226 Frechen, Tel.: 02234-1820-0,<br />

Fax: 02234/1820-10<br />

office@hdup.de; www.hdup.de<br />

174. Verhaltensbedingte Kündigung, Abmahnungserfordernis,<br />

substantiiertes Vorbringen, Auflösungsantrag des<br />

Arbeitgebers, Gründe <strong>und</strong> Höhe der Abfindung.<br />

Entscheidungsgründe:<br />

Die Klage war zur Endentscheidung reif, so dass das Gericht<br />

sie durch Teilurteil zu erlassen hatte, vgl. § 301 Abs. 1 ZPO.<br />

206 03/08<br />

I. Es war festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den<br />

Parteien durch die fristlose Kündigung vom 06.03.2006 weder<br />

fristlos noch fristgemäß beendet worden ist. ...<br />

Was den angeblichen Vorfall vom 28.02.2006 angeht, ist der<br />

Kläger unstreitig nach der Verspätung des Mitarbeiters L. laut<br />

geworden <strong>und</strong> hat die Formen verletzt. Soweit er darüber<br />

hinaus nach dem Vortrag der Beklagten angeblich Pullover<br />

<strong>und</strong> Hemd ausgezogen <strong>und</strong> diese durch den Konferenzraum<br />

geworfen hat, sowie von „Scheißgeräten“ gesprochen haben<br />

soll, wäre dies sicherlich kein hinnehmbarer Führungsstil. Andererseits<br />

ist das Fehlverhalten des Klägers am 28.02.2006 –<br />

zugunsten der Beklagten unterstellt, dass der Vorfall sich so<br />

zugetragen hat, wie von ihr beschrieben – nicht so gravierend,<br />

als dass der Beklagten eine Weiterbeschäftigung unzumutbar<br />

wäre. Vielmehr ist dies genau die Situation in einem Arbeitsverhältnis,<br />

das 15 Jahre ohne Beanstandungen bestanden hat,<br />

in der von dem Arbeitgeber verlangt werden kann, dass er<br />

den Arbeitnehmer zunächst abmahnt, ihm also sein Fehlverhalten<br />

vor Augen führt <strong>und</strong> ihm die Möglichkeit gibt, sein Verhalten<br />

zu ändern. Diese Chance hat die Beklagte dem Kläger<br />

nicht gegeben, so dass auf Gr<strong>und</strong> dieses Verhaltens weder<br />

eine fristlose noch eine fristgemäße Kündigung in Betracht<br />

kommt.<br />

2. Auch das weiter von der Beklagten behauptete Fehlverhalten<br />

des Klägers gegenüber Mitarbeitern rechtfertigt weder<br />

eine fristlose noch eine fristgemäße Kündigung. Größtenteils<br />

ist das Vorbringen der Beklagten insoweit unsubstantiiert. Allein<br />

aus pauschalen Angaben, wie der Kläger habe Mitarbeiter<br />

in Angst <strong>und</strong> Schrecken versetzt, er habe arbeitsunfähige<br />

Arbeitnehmer durch Anrufe etc. an den Arbeitsplatz gezwungen,<br />

er habe die Auszubildenden 50 bis 60 St<strong>und</strong>en pro Woche<br />

arbeiten lassen, allein 2005 habe es eine Personalfluktuation<br />

von 44,4 % gegeben, u.s.w. lässt sich nicht entnehmen,<br />

welches konkrete Fehlverhalten wann dem Kläger zur Last gelegt<br />

wird. Soweit die Beklagte dem Kläger weiter darin einen<br />

Vorwurf macht, dass er es zugelassen hat, dass ein sogenanntes<br />

„Internet-Logbuch“ geführt wird, was sich angeblich als<br />

hotelinterner Pranger darstellt <strong>und</strong> zur Stätte entwürdigender<br />

Selbstbezichtigungen <strong>und</strong> Selbstbenachteiligungen <strong>und</strong><br />

Denunziation des Personals geführt haben soll, so mag dies<br />

nicht dem von der Beklagten gewünschten Führungsstil entsprechen.<br />

Insoweit wäre es aber im Interesse der Beklagten<br />

<strong>und</strong> von ihr zu fordern gewesen, dass sie dem Kläger ihre Art<br />

der Hotelführung verdeutlicht, indem sie ihm entsprechende<br />

konkrete Vorgaben gemacht hätte <strong>und</strong> bei Nichtbeachtung<br />

ggf. auch Abmahnungen erteilt hätte. Ohne solche Vorgaben<br />

<strong>und</strong> entsprechende Abmahnungen jedenfalls ist weder eine<br />

fristlose noch eine fristgemäße Kündigung gerechtfertigt.<br />

3. Auch die Führung eines Beratungsunternehmens ...<br />

durch den Kläger rechtfertigt eine außerordentliche Kündigung<br />

nicht.<br />

Die Ausübung einer Nebentätigkeit ohne die vorgeschriebene<br />

Einholung einer Genehmigung ist eine Vertragsverlet-<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 42 01.09.2008 13:16:55


zung <strong>und</strong> kann abgemahnt werden. Eine außerordentliche<br />

Kündigung kann sie in der Regel nur dann rechtfertigen,<br />

wenn die vertraglich geschuldete Leistung durch die Nebentätigkeit<br />

beeinträchtigt wird (vgl. Fischermeyer, in: Gemeinschaftskommentar<br />

zum Kündigungsschutzgesetz <strong>und</strong> zu<br />

sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften, 7. Aufl.,<br />

§ 626 BGB, Rn 434).<br />

Verletzt ein Arbeitnehmer das für die Dauer des Arbeitsverhältnisses<br />

bestehende Wettbewerbsverbot, dann ist eine<br />

außerordentliche Kündigung gerechtfertigt, sofern nicht besondere<br />

Umstände eine andere Beurteilung zugunsten des<br />

Arbeitnehmers rechtfertigen. Schwarzarbeit ist nicht ohne<br />

Weiteres ein wichtiger Gr<strong>und</strong> zur Kündigung, sondern nur<br />

dann, wenn sie im Geschäftszweig des Arbeitgebers oder<br />

während der vertraglichen Arbeitszeit erfolgt (vgl. Fischermeyer,<br />

a.a.O., § 626 BGB, Rn 460). Ein Wettbewerbsverstoß seitens<br />

des Klägers ist hier schon deshalb nicht gegeben, weil<br />

der Kläger auch nicht nach dem Vortrag der Beklagten in<br />

Konkurrenz zu dieser getreten ist.<br />

Allerdings hat der Kläger mit seiner Beratungstätigkeit eine<br />

nicht genehmigte Nebentätigkeit ausgeübt. Damit hat er<br />

eindeutig gegen seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen<br />

verstoßen. Zwar war ihm ursprünglich einmal eine Nebentätigkeitsgenehmigung<br />

erteilt worden, die auch im Jahr 1997<br />

verlängert worden ist. Eine unbefristete Verlängerung hat<br />

der Kläger zwar behauptet. Sein Vorbringen ist insoweit aber<br />

unsubstantiiert. Der Kläger hat jedoch mit seinem Verhalten<br />

in nicht so schwerem Maße gegen seine arbeitsvertraglichen<br />

Verpflichtungen verstoßen, als dass der Beklagten die Fortsetzung<br />

des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist<br />

nicht zugemutet werden könnte. Durch die nicht<br />

genehmigte Nebentätigkeit ist im konkreten Fall die der<br />

Beklagten gegenüber vertraglich geschuldete Arbeitsleistung<br />

nicht beeinträchtigt worden. Trotz der ungenehmigten Nebentätigkeit<br />

konnte der Kläger nämlich seinen Verpflichtungen<br />

bei der Beklagten voll nachkommen. Wenn aber eine<br />

Beeinträchtigung der Leistung des Klägers für die Beklagte<br />

nicht gegeben ist, ist eine fristlose Kündigung, die immer nur<br />

als letzte Möglichkeit in Betracht kommt, nicht gerechtfertigt.<br />

Eine Umdeutung der fristlosen Kündigung in eine ordentliche<br />

Kündigung führt zu keinem anderen Ergebnis.<br />

Voraussetzung für eine fristgemäße Kündigung wäre auf<br />

jeden Fall – wie bereits oben ausgeführt – die Erteilung einer<br />

vorherigen Abmahnung, um dem Kläger sein Fehlverhalten<br />

vor Augen zu führen, <strong>und</strong> ihm die Möglichkeit zu geben,<br />

sein Verhalten zu ändern. Diese Chance hat die Beklagte<br />

dem Kläger nicht gegeben, so dass auch eine fristgemäße<br />

Kündigung insoweit nicht in Betracht kommt.<br />

4. Soweit die Beklagte dem Kläger schließlich Fehlverhalten<br />

gegenüber Hotelgästen vorwirft, ist ihr Vorbringen insoweit<br />

ebenfalls größtenteils unsubstantiiert.<br />

Was den angeblichen Vorfall mit dem Gast B. angeht, wäre<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

es Sache der Beklagten gewesen, im Einzelnen darzulegen,<br />

wann genau der Kläger in welcher Form mit welchen Worten<br />

ausfallend <strong>und</strong> beleidigend geworden ist. Dies ist nicht<br />

geschehen. Allein der pauschale Vorwurf, der Kläger sei im<br />

Jahr 2003 ausfallend <strong>und</strong> beleidigend gegenüber Frau B. geworden,<br />

genügt den Anforderungen an einen substantiierten<br />

Vortrag nicht <strong>und</strong> ist damit unerheblich.<br />

Dies gilt auch, soweit die Beklagte dem Kläger vorwirft, einen<br />

schwerbehinderten Gast nicht korrekt behandelt zu haben. Es<br />

fehlt schon an jeglichen Zeitangaben, so dass das Vorbringen<br />

der Beklagten nicht einlassungsfähig ist.<br />

Soweit die Beklagte dem Kläger schließlich vorwirft, ihm Jahre<br />

2005 einmal das Zimmer des amerikanischen Gastes S. <strong>und</strong><br />

ein Zimmer eines Vermögensberaters wegen Unklarheiten<br />

mit der Kreditkarte bzw. wegen vermeintlicher Zechprellerei<br />

durchsucht zu haben, ist dieses Verhalten des Klägers,<br />

wenn auch angeblich in der Branche üblich, nicht akzeptabel.<br />

Unstreitig gab es aber in beiden Fällen wegen der<br />

Bezahlung der Rechnung Unklarheiten, die der Kläger durch<br />

seine Maßnahme ausräumen wollte. Er hat damit aus seiner<br />

Sicht vermeintlich im Interesse der Beklagten gehandelt<br />

<strong>und</strong> meinte deshalb nach dem Motto „der Zweck heiligt<br />

die Mittel“ gehandelt zu haben. Dies gilt umso mehr, als<br />

dass eine solche Vorgehensweise anscheinend unbestritten<br />

branchenüblich ist. Natürlich muss die Beklagte eine solche<br />

Vorgehensweise in ihrem Haus nicht dulden <strong>und</strong> kann dem<br />

Hotelleiter entsprechende Vorgaben machen.<br />

Eine fristgemäße oder gar fristlose Kündigung ist deshalb<br />

aber im Streitfall nicht gerechtfertigt. Vielmehr ist die Abmahnung<br />

das geeignete Mittel, um dem Kläger vor Augen zu<br />

führen, wie die Beklagte sich eine Hotelführung einschließlich<br />

der Behandlung der Gäste vorstellt.<br />

Insgesamt vermögen also die von der Beklagten vorgetragenen<br />

Gründe weder eine fristlose noch eine fristgemäße<br />

Kündigung zu rechtfertigen.<br />

II. Der Auflösungsantrag der Beklagten ist begründet, vgl. § 9<br />

KSchG.<br />

Auf Antrag der Beklagten war das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt<br />

der fristgemäßen Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />

zum 31.12.2006 gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von<br />

104.528,00 € aufzulösen. ...<br />

Das Arbeitsverhältnis war aber ... nach § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG<br />

aufzulösen, da Gründe vorliegen, die eine dem Betriebszwecken<br />

dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber<br />

<strong>und</strong> Arbeitnehmer nicht erwarten lassen.<br />

Als Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere<br />

Zusammenarbeit zwischen den Parteien nicht erwarten lassen<br />

<strong>und</strong> damit einen Auflösungsantrag rechtfertigen können,<br />

kommen solche Umstände in Betracht, die das persönliche<br />

Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit,<br />

seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten<br />

Aufgaben <strong>und</strong> sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern<br />

betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 43 01.09.2008 13:16:55<br />

207


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern<br />

nicht erwarten lassen, müssen allerdings nicht im<br />

Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des<br />

Arbeitnehmers liegen. Vielmehr kommt es darauf an, ob die<br />

objektive Lage beim Schluss der mündlichen Verhandlung<br />

in der Tatsacheninstanz beim Arbeitgeber die Besorgnis aufkommen<br />

lassen kann, dass die weitere Zusammenarbeit mit<br />

dem Arbeitnehmer gefährdet ist.<br />

Als Auflösungsgr<strong>und</strong> geeignet sind danach etwa Beleidigung,<br />

sonstige ehrverletzende Äußerungen oder persönliche Angriffe<br />

des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte<br />

oder <strong>Kollegen</strong>. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass gerade<br />

Erklärungen im laufenden Kündigungsschutzverfahren durch<br />

ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers gedeckt sein<br />

können.<br />

Liegt ein Gr<strong>und</strong> vor, der an sich zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses<br />

geeignet erscheint, so muss in einen zweiten<br />

Schritt geprüft werden, ob in Anbetracht der konkreten<br />

betrieblichen Umstände noch eine den Betriebszwecken<br />

dienliche Zusammenarbeit möglich ist (vgl. BAG, Urteil vom<br />

23.06.2005, NJW 2006, S. 1307 ff.)<br />

Im vorliegenden Fall hat sich nach Ausspruch der Kündigung<br />

nahezu die gesamte Belegschaft des Burghotels D. gegen den<br />

Kläger ausgesprochen <strong>und</strong> Freude <strong>und</strong> Dankbarkeit darüber<br />

zum Ausdruck gebracht, dass ein freies Arbeiten ohne den<br />

Kläger wieder möglich ist, indem sie ein entsprechendes<br />

Schreiben mit Unterschriften an die Familie P. gerichtet hat.<br />

Weiter hat der Kläger K<strong>und</strong>en, Gäste sowie sonstige Besucher<br />

des Burghotels ohne Aufforderung angesprochen.<br />

Schließlich hat der Kläger bei der Polizeiinspektion Cloppenburg<br />

/ Vechta eine Strafanzeige gegen Frau A. mit der<br />

Verdächtigung, sie habe Privatdaten ausgespäht, erstattet.<br />

Aufgr<strong>und</strong> dieser Tatsachen steht – unabhängig von der Verschuldensfrage<br />

– zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der<br />

Kläger ein so gestörtes Verhältnis zum Betrieb, den Mitarbeitern<br />

<strong>und</strong> seinen Vorgesetzten hat, das eine gedeihliche<br />

Zusammenarbeit nicht mehr möglich ist. Deshalb war das<br />

Arbeitsverhältnis aufzulösen, <strong>und</strong> zwar zum Zeitpunkt der<br />

fristgemäßen Beendigung, also zum 31.12.2006.<br />

Bei einer Beschäftigungsdauer von ziemlich genau 16<br />

Jahren hat die Kammer die Regelabfindung in Höhe von<br />

104.528,00 € für angemessen gehalten. Dabei hat sie pro<br />

Beschäftigungsjahr ein halbes Bruttomonatsentgelt zugr<strong>und</strong>egelegt.<br />

Das durchschnittliche Bruttomonatsentgelt hat sie<br />

aus der Jahresabrechnung für 2005 errechnet, wonach der<br />

Jahresverdienst 156.792,20 € betrug, also der Monatsverdienst<br />

13.066,00 € (156.792,20 €:12).<br />

■ Arbeitsgericht Oldenburg<br />

vom 6. Februar 2007, 1 Ca 130/06,<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Fridhelm Faecks, Wilhelmstraße<br />

27, 35037 Marburg, Tel.: 06421/1711-0, Fax: 06421-21985<br />

anwalt@kanzlei-geilhof.de; www.kanzlei-geilhof.de<br />

208 03/08<br />

Anmerkung:<br />

Mit dem nachfolgend dargestellten Urteil hat das LAG Niedersachsen<br />

(v. 12.02.2008, 13 Sa 626/07) die Entscheidung<br />

bestätigt. (me)<br />

175. Auflösungsantrag des Arbeitgebers, Personalbefugnis<br />

des Arbeitnehmers i.S.v. § 14 (2) KSchG, zur Höhe der<br />

Abfindung<br />

Aus den Entscheidungsgründen: ...<br />

2. Der hilfsweise von der Beklagten gestellte Auflösungsantrag<br />

ist begründet. Das Arbeitsgericht hat korrekt das Arbeitsverhältnis<br />

zum 31.12.2006 (Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist)<br />

aufgelöst. Auch die vom Arbeitsgericht festgesetzte<br />

Abfindungshöhe ist nicht zu beanstanden.<br />

Ein Auflösungsantrag des Arbeitgebers ist nach § 9 Abs. 1<br />

KSchG gr<strong>und</strong>sätzlich nur begründet, wenn besondere Auflösungsgründe<br />

vorliegen. Ist der gekündigte Arbeitnehmer dagegen<br />

leitender Angestellter im Sinne des § 14 Abs. 2 KSchG,<br />

bedarf die Auflösung des Arbeitsverhältnisses keiner Begründung.<br />

§ 14 Abs. 2 KSchG erfasst z.B. Betriebsleiter u.a. leitende<br />

Angestellte, wenn sie zur selbständigen Einstellung oder Entlassung<br />

von Arbeitnehmern berechtigt sind. Der Kläger war als<br />

Hoteldirektor, Leiter des Hotelbetriebes, also Betriebsleiter. Er<br />

war auch zur selbständigen Einstellung <strong>und</strong> zur selbständigen<br />

Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt.<br />

Nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts muss<br />

die Befugnis zur selbständigen Einstellung oder Entlassung<br />

sowohl im Innenverhältnis gegenüber dem Arbeitgeber also<br />

auch im Außenverhältnis gegenüber den betroffenen Arbeitnehmern<br />

bestehen. Es ist z.B. nicht ausreichend, wenn der<br />

Arbeitnehmer im Rahmen von Personaleinstellungen fachlich<br />

verbindliche Auswahlentscheidungen trifft. Andererseits steht<br />

der Annahme der selbständigen Personalbefugnis nicht entgegen,<br />

dass für Einstellungen <strong>und</strong> Entlassungen Unternehmensvorgaben<br />

wie z.B. Stellenplan oder Budget zu beachten<br />

sind. Die Personalbefugnisse dürfen nicht einen nur untergeordneten<br />

Aufgabenbereich betreffen, sie müssen vielmehr<br />

wesentlicher Teil der Tätigkeit des leitenden Angestellten sein.<br />

Verwiesen wird auf BAG, vom 18.11.1999, 2 AZR 903/98, AP<br />

Nr. 5 zu § 14 KSchG 1969; BAG, vom 27.09.2001, 2 AZR 176/00,<br />

AP Nr. 6 zu § 14 KSchG 1969; BAG, vom 17.01.2002, 2 AZR<br />

719/00, AP Nr. 8 zu § 14 KSchG 1969.<br />

Personalbefugnisse sowohl zur Einstellung als auch zur Entlassung<br />

im Außenverhältnis sind dokumentiert durch die vorgelegten<br />

Arbeitsverträge, die Kündigung, den Aufhebungsvertrag<br />

<strong>und</strong> zwei Beförderungsschreiben. Im Außenverhältnis ist<br />

der Kläger jeweils als alleinvertretungsberechtigt (ohne zweite<br />

Unterschrift) aufgetreten. Die entsprechende Personalbefugnis<br />

bestand auch im Innenverhältnis, also im Verhältnis zur<br />

Unternehmenszentrale in Marburg. Dies zeigt z.B. die Darstellung<br />

des Klägers zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses <strong>und</strong><br />

auch die Darstellung zum Abschluss des Aufhebungsvertrages.<br />

Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist hausintern im<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 44 01.09.2008 13:16:55


Hotel vom Team getroffen worden, dass an der Ausbildung<br />

beteiligt war. Das heißt, die Kündigungsentscheidung ist –<br />

wie übrigens vielfach üblich – nicht vom Betriebsleiter allein,<br />

sondern unter Einbeziehung nachgeordneter Arbeitnehmer in<br />

Leitungsfunktion getroffen worden. Zum Aufhebungsvertrag<br />

behauptet der Kläger, dieser sei auf Wunsch der Mitarbeiterin<br />

geschlossen worden. Hier zeigt sich, der Kläger war befugt<br />

ohne Rücksprache mit der Unternehmenszentrale diesem<br />

Wunsch zur Aufhebung des Arbeitsverhältnisses nachzukommen<br />

<strong>und</strong> den Aufhebungsvertrag zu schließen. Soweit<br />

intern mit Hilfe eines Genehmigungsformulars beabsichtigte<br />

Einstellungen bei der Unternehmenszentrale anzuzeigen waren,<br />

steht dies der internen Befugnis zur selbständigen Einstellung<br />

nicht entgegen. Wie bereits ausgeführt, bedeutet Selbständigkeit<br />

nicht vollständige Freiheit von Vorgaben wie Stellenplan<br />

oder Budget. Durch eine Anzeigepflicht beabsichtigter<br />

Einstellungen ist damit die Personalbefugnis nicht erheblich<br />

eingeschränkt. Die interne Personalbefugnis beinhaltet<br />

vielmehr bei Einstellungen die endgültige Auswahlentscheidung<br />

<strong>und</strong> bei Kündigungsentscheidungen die endgültige Entscheidung<br />

über Kündigung oder Nichtkündigung. Dass diese<br />

interne Entscheidungsbefugnis insbesondere bei der Bewerberauswahl<br />

von der Unternehmenszentrale nicht nur im Einzelfall,<br />

sondern generell eingeschränkt war, hat der Kläger<br />

nicht schlüssig dargelegt. Im Übrigen ist für die Kammer auch<br />

nicht nachvollziehbar, dass die vor Ort zu treffende Entscheidung<br />

zur Bewerberauswahl etwa bei Einstellungen für den<br />

Servicebereich oder den Küchenbereich durch die Unternehmenszentrale<br />

beeinflusst worden ist <strong>und</strong> beeinflusst werden<br />

konnte. Der Kläger hatte damit Einstellungs- <strong>und</strong> Entlassungsbefugnis<br />

im Innen- <strong>und</strong> Außenverhältnis.<br />

Die Personalbefugnisse waren im Gesamttätigkeitsbereich des<br />

Klägers auch nicht von untergeordneter Bedeutung. In einem<br />

Dienstleistungsbetrieb, in dem die Mitarbeiterkomponente<br />

eine wesentliche Rolle spielt, gehört die Personalführung<br />

zur Hauptaufgabe des Betriebsleiters. Die Wahrnehmung<br />

der Einstellungs- <strong>und</strong> Entlassungsbefugnis ist wesentlich für<br />

eine erfolgreiche Tätigkeit im Hotelbereich.<br />

Durch das Schreiben der Beklagten vom 09.12.2005 sind die<br />

Kompetenzen des Klägers nicht eingeschränkt worden. Stattgef<strong>und</strong>en<br />

hat – wie aus dem Betreff ersichtlich – eine Qualitätsüberprüfung.<br />

Der Bericht vom 09.12.2005 enthält zu Einzelpunkten<br />

Ergebnisse der Überprüfung <strong>und</strong> u.a. auch Vorgaben<br />

für den Personalbereich. Zu nennen ist z.B. die Aufforderung,<br />

freie Stellen schnellstmöglich wiederzubesetzen bzw.<br />

Weiterbeschäftigung nach Kündigung. Derartige Überprüfungen<br />

von Betrieben durch die Unternehmensleitung sind normal.<br />

Auch leitende Angestellte sind Angestellte <strong>und</strong> unterliegen<br />

der Kontrolle durch die Unternehmensleitung. Aus einer<br />

Qualitätsüberprüfung <strong>und</strong> dem dazu gefertigten Überprüfungsbericht<br />

folgt deshalb kein gr<strong>und</strong>sätzlicher Eingriff in<br />

die Personalbefugnisse. Im Übrigen zeigen die vorgelegten<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

Verträge, dass der Kläger weiterhin nach dem 09.12.2005 selbständig<br />

Einstellungen vorgenommen hat.<br />

Der Kläger war damit auf Gr<strong>und</strong> Einstellungs- <strong>und</strong> Entlassungsbefugnis<br />

leitender Angestellter im Sinne des § 14 Abs. 2<br />

KSchG.<br />

Zur Abfindungshöhe ergibt sich aus § 10 Abs. 2 KSchG ein<br />

Höchstbetrag von 15 Monatsverdiensten. Als Bemessungskriterien<br />

für eine angemessene Abfindung sind dabei zu berücksichtigen<br />

Lebensalter, Dauer der Betriebszugehörigkeit,<br />

Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers <strong>und</strong> Unterhaltspflichten<br />

des Arbeitnehmers. Darüber hinaus kommt eine besondere<br />

Bedeutung auch dem Maß der Sozialwidrigkeit der Kündigung<br />

zu. Der Abfindung kommt auch Sanktionsfunktion zu,<br />

um ungerechtfertigten Kündigungen vorzubeugen (Schaub,<br />

Arbeitsrechtshandbuch, 12. Aufl., S. 1506).<br />

Das Arbeitsverhältnis hat etwa 16 Jahre bestanden. Im Kündigungszeitpunkt<br />

war der Kläger 51 Jahre alt. Es bestehen drei<br />

Unterhaltspflichten. Hervorzuheben ist dabei, dass der Kläger<br />

einen wesentlichen Teil seines bisherigen Arbeitslebens<br />

in dem gekündigten Arbeitsverhältnis verbracht hat. Andererseits<br />

ist die Kündigungsentscheidung nicht willkürlich getroffen<br />

worden. Wie die Bewertung der Kündigungsgründe ergeben<br />

hat, sind Vertragspflichtverletzungen des Klägers insbesondere<br />

im Personalführungsbereich festzustellen. Die Wirksamkeit<br />

der Kündigung scheitert nur daran, dass entsprechendes<br />

Fehlverhalten bisher nicht abgemahnt worden ist. Unter<br />

Berücksichtigung der Kündigungsgründe ist es damit angemessen,<br />

eine Abfindung erheblich unterhalb des Höchstbetrages<br />

festzusetzen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Niedersachsen<br />

vom 12. Februar 2008, 13 Sa 626/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Fridhelm Faecks, Wilhelmstraße<br />

27, 35037 Marburg, Tel.: 06421/1711-0, Fax: 06421-21985<br />

anwalt@kanzlei-geilhof.de; www.kanzlei-geilhof.de<br />

176. Auflösungsantrag des Arbeitnehmers, Unzumutbarkeit,<br />

Sondervergütung, Bindungsfrist, Kündigung durch<br />

Arbeitgeber, Allgemeine Geschäftsbedingung, Inhaltskontrolle,<br />

Stufenklage<br />

Aus den Entscheidungsgründen: ...<br />

I. 1. a) Der Auflösungsantrag des Klägers nach § 9 KSchG ist<br />

nicht begründet. Das Kündigungsschutzgesetz ist auf einen<br />

Bestandserhalt des Arbeitsverhältnisses gerichtet. Deshalb<br />

bleibt die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach unwirksamer<br />

oder – wie hier – zurückgenommener Kündigung durch<br />

den beklagten Arbeitgeber die Ausnahme <strong>und</strong> beschränkt<br />

sich auf Fälle eines zerrütteten Arbeitsverhältnisses (vgl. dazu<br />

BVerfG, Beschluss 2. Kammer, vom 22. Oktober 2004 –1BVR<br />

1944/01 = EzA § 9 nF KSchG Nr. 49). Eine gerichtliche Prüfung<br />

der Auflösungsgründe ist schließlich nicht dadurch entbehrlich,<br />

dass die Beklagte in einem frühen Verfahrensstadium<br />

einen Auflösungsantrag nach § 14 Abs. 2 KSchG gestellt hat.<br />

Diesen hat der beklagte Arbeitgeber nicht mehr aufrecht<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 45 01.09.2008 13:16:55<br />

209


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

erhalten, sodass es allein darauf ankommt, ob der Kläger<br />

gewichtige Auflösungsgründe vortragen kann.<br />

b) Dabei ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der<br />

Frage, ob dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses<br />

zuzumuten ist, der Zeitpunkt der Entscheidung<br />

über den Auflösungsantrag (BAG, vom 7. März 2002 – 2 AZR<br />

158/01 = § 9 nF KSchG Nr. 45). Nur zu diesem Zeitpunkt kann<br />

eine vom Gericht anzustellende Prognose sachgerecht durchgeführt<br />

werden. Es geht nämlich allein darum, ob zu diesem<br />

Zeitpunkt nach einer Vorausschau in Zukunft noch mit einer<br />

gedeihlichen Zusammenarbeit der Arbeitsvertragsparteien zu<br />

rechnen ist. Die Umstände, die dabei zur Prüfung der Sozialwidrigkeit<br />

der Kündigung vom 6. November 2006 heranzuziehen<br />

sind, können deshalb einen Auflösungsantrag nicht<br />

allein begründen. Die Unzumutbarkeit muss sich vielmehr aus<br />

weiteren Umständen ergeben, die in einem inneren Zusammenhang<br />

zu der vom Arbeitgeber erklärten sozialwidrigen<br />

Kündigung stehen oder die im Laufe des Kündigungsrechtsstreits<br />

neu entstanden sind (vgl. KR-Spilger, 8. Aufl., § 9 KSchG<br />

Rn 41 m.w.N.). Entscheidend ist mithin die objektive Lage am<br />

Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz,<br />

die beim Arbeitnehmer z. B. bei Wiederaufnahme der Arbeit<br />

im Betrieb des Arbeitgebers die Besorgnis aufkommen lassen<br />

kann, unsachlich behandelt zu werden oder mit einer Wiederholungskündigung<br />

rechnen zu müssen (vgl. HaKo/Fiebig,<br />

3. Aufl., § 9 Rn 48 f. m.w.N). Die Unzumutbarkeit für den Arbeitnehmer,<br />

das Arbeitsverhältnis nach hier rechtskräftig festgestellter<br />

sozialwidriger Kündigung nicht fortzusetzen, ist mit<br />

einem wichtigen Gr<strong>und</strong> im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB nicht<br />

gleich zu setzen. Es genügt, wenn dem Arbeitnehmer die<br />

Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auf unbestimmte Zeit im<br />

Sinne von § 9 KSchG unzumutbar ist (BAG, vom 26. November<br />

1981 – 2 AZR 509/79 = EzA § 9 KSchG nF Nr. 11).<br />

c) Die für den Auflösungsantrag des Arbeitnehmers von diesem<br />

vorzutragenden Auflösungsgründe müssen konkret <strong>und</strong><br />

in Bezug auf die festgestellte sozialwidrige Kündigung mehr<br />

zukunfts- als vergangenheitsbezogen sein, um dem Ausnahmecharakter<br />

der gerichtlichen Auflösungsmöglichkeit des § 9<br />

KSchG gerecht zu werden (vgl. LAG Köln, vom 2. Februar<br />

1987 – 2 Sa 1265/86 = RzK I 11b Nr. 4; LAG Köln, vom 26.<br />

Januar 1995 – 10 Sa 1134/94 = LAGE § 9 KSchG Nr. 25). Danach<br />

kann die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar<br />

sein, wenn feststeht, dass der Arbeitgeber ungeachtet der<br />

Rechtsauffassung des Gerichts sich auf jeden Fall von dem Arbeitnehmer<br />

trennen will <strong>und</strong> offensichtlich beabsichtigt, mit<br />

derselben <strong>und</strong> einer beliebig anderen Begründung solange<br />

Kündigungen auszusprechen bis er sein Ziel der Beendigung<br />

des Arbeitsverhältnisses erreicht hat. Unzumutbarkeit ist jedoch<br />

in diesem Fall nicht allein deshalb gegeben, weil der<br />

Arbeitgeber – nach dem klagestattgebenden Urteil erster Instanz<br />

im Kündigungsschutzprozess – nunmehr unter Beachtung<br />

der Rechtsauffassung des Gerichts erneut kündigt. Auch<br />

die Ankündigung des Arbeitgebers, er wolle alle rechtlichen<br />

210 03/08<br />

Mittel einsetzen, seine unternehmerische Entscheidung weiter<br />

zu verfolgen, hält sich noch im Rahmen der Wahrnehmung<br />

berechtigter Interessen. Die Drohung etwa mit einer erneuten,<br />

nunmehr aus Sicht des Arbeitgebers nach § 1 KSchG sozial<br />

gerechtfertigten Kündigung ist daher ohne das Vorliegen weiterer<br />

Umstände nicht als rechtswidrig anzusehen (BAG, vom<br />

27. März 2003 – 2 AZR 9/02 zu II. 2. b) der Gründe).<br />

2. Unter den dargestellten rechtlichen Voraussetzungen<br />

kann der Kläger mit seinem Auflösungsantrag nicht durchdringen.<br />

Es fehlt am konkreten Tatsachenvortrag, der einen<br />

wichtigen Gr<strong>und</strong> aufzeigt, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses<br />

mit der Beklagten in Zukunft für unzumutbar<br />

erscheinen zu lassen.<br />

a) Soweit der Kläger anführt, man habe ihn quasi bei gleich<br />

hohem Gehalt zum „leitenden Angestellten“ gemacht, um sich<br />

von ihm später leichter trennen zu können, so ist dieser Einwand<br />

mit der gerichtlichen Feststellung der Sozialwidrigkeit<br />

der Kündigung vom 6. November 2006 verbraucht. Es ist auch<br />

nicht ersichtlich, inwieweit in der früher vertretenen fehlerhaften<br />

Rechtsauffassung der Beklagten ein rechtsmissbräuchliches<br />

Verhalten zu erkennen ist, das dauerhaft fortwirkt <strong>und</strong><br />

dem Kläger die Wiederaufnahme seiner Arbeit unzumutbar<br />

machen könnte. Der Beklagten ist hierbei zu Gute zu halten,<br />

dass immerhin die unstreitig vorhandene Befugnis des Klägers<br />

als Abteilungsleiter, Leiharbeitnehmer selbstständig einzustellen<br />

<strong>und</strong> zu entlassen, ansatzweise für die Stellung eines leitenden<br />

Angestellten sprechen konnte. Nachdem die Beklagte<br />

ihren Rechtsirrtum erkannt hat, nahm sie den Auflösungsantrag<br />

nach § 14 Abs. 2 KSchG zurück. Darüber hinaus hat sie<br />

die Kündigung vom 6. November 2006 nicht mehr aufrechterhalten<br />

<strong>und</strong> den Kläger zur Weiterbeschäftigung aufgefordert.<br />

Das darin ein rein taktisches Verhalten der Beklagten liegen<br />

könnte, ist eine Mutmaßung des Klägers, die auf keinerlei<br />

konkreten Tatsachen gegründet werden kann.<br />

Ähnlich verhält es sich mit den vom Kläger erwarteten Schikanen<br />

für den Fall seiner Weiterbeschäftigung. Hier ist mit<br />

im Auge zu behalten, dass der Kläger direkt im Anschluss<br />

an den Ablauf der Kündigungsfrist eine neue Tätigkeit aufgenommen<br />

hat, die er ersichtlich nicht aufgeben möchte. Es ist<br />

widersprüchlich, wenn der Kläger zum einen eine Rückkehr in<br />

den Betrieb der Beklagten ablehnt <strong>und</strong> zum anderen beklagt,<br />

sich einen neuen sozialen Besitzstand an anderer Arbeitsstelle<br />

erarbeiten zu müssen. Der Antritt einer neuen Arbeitsstelle<br />

reicht als Auflösungsgr<strong>und</strong> nicht aus. Es müssen weitere Umstände<br />

vorliegen, die eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses<br />

unzumutbar erscheinen lassen. ...<br />

II. Dem Kläger steht im Wege der Stufenklage ein Auskunftsanspruch<br />

gegenüber der Beklagten zu, soweit es um die Berechnungsgr<strong>und</strong>lagen<br />

für die nach § 7 des Arbeitsvertrages ihm<br />

möglicherweise zustehende „individuelle Sonderzahlung“ für<br />

das Jahr 2006 geht.<br />

1. Die individuelle Sonderzahlungsvereinbarung vom 21. Februar<br />

2006 ... tritt an die Stelle der im Arbeitsvertrag vom 13.<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 46 01.09.2008 13:16:55


Mai 2005 unter § 1 Ziff. 8 <strong>und</strong> § 7 ausgewiesenen Regelungen<br />

zu Sonderzahlungen. Da die Höhe der Sonderzahlung, die<br />

als „befristete, freiwillige Leistung“ bezeichnet wird, 5% der<br />

Bemessungsgr<strong>und</strong>lage beträgt <strong>und</strong> diese sich aus Positionen<br />

wie Gesamtrohertrag, abzüglich direkter Kosten <strong>und</strong> 16% Abzugspauschale<br />

für variable Kosten zusammensetzt, ist der Kläger<br />

als Arbeitnehmer darauf angewiesen, Auskunft über diese<br />

Positionen zu erhalten, um seinen Sonderzahlungsanspruch<br />

dem Gr<strong>und</strong> <strong>und</strong> der Höhe nach verfolgen zu können.<br />

Der Anspruch auf Auskunft ergibt sich als arbeitsvertragliche<br />

Nebenpflicht der Beklagten. Außerhalb der gesetzlichen oder<br />

vertraglich geregelten Auskunftsansprüche besteht ein Auskunftsrecht<br />

immer dann, wenn die Rechtsbeziehungen zwischen<br />

den Parteien es mit sich bringen, dass der Berechtigte<br />

in entschuldbarer Weise über Bestehen <strong>und</strong> Umfang eines<br />

Rechts im Ungewissen ist <strong>und</strong> der Verpflichtete die zur Beseitigung<br />

der Ungewissheit erforderlichen tatsächlichen Angaben<br />

unschwer machen kann (st.Rspr. zuletzt BAG, vom 19. April<br />

2005 – 9 AZR 188/04 = EzA § 242 BGB 2002 Auskunftspflicht<br />

Nr. 1 zu lI. 2. der Gründe). Mit Hilfe der Auskunft wird der Auskunftsberechtigte<br />

in die Lage versetzt, einen regelmäßig auf<br />

Geld gerichteten Anspruch zu beziffern. Der Umfang der Rechenschaftspflicht<br />

ergibt sich dann aus § 259 Abs. 1 BGB, der<br />

Anspruch auf eidesstattliche Versicherung aus § 259 Abs. 2<br />

BGB.<br />

2. Der Kläger hat seinen Auskunftsantrag <strong>und</strong> seinen Antrag<br />

auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung im Wege<br />

der zulässigen Stufenklage nach § 254 ZPO geltend gemacht.<br />

Einen unbestimmten Zahlungsantrag hat er bisher nicht gestellt.<br />

Eine Beschränkung auf die beiden ersten Stufen ist<br />

indessen zulässig (vgl. Kammergericht, vom 12. Juli 1996 –<br />

18 UF 2577/96 FamRZ 1997, 503; Thomas Putzo/Reichold, 25.<br />

Aufl., § 254 ZPO Rn 1 f.). Gr<strong>und</strong>sätzlich lässt die herrschende<br />

Meinung ein gleichzeitiges Verhandeln von Auskunfts- <strong>und</strong><br />

Zahlungsantrag nicht zu. Vielmehr ist über die auf den einzelnen<br />

Stufen erhobenen Ansprüche gr<strong>und</strong>sätzlich getrennt<br />

voneinander <strong>und</strong> nacheinander zu verhandeln <strong>und</strong> auch zu<br />

entscheiden. Dogmatisch lässt sich diese Trennung mit dem<br />

vorbereitenden Charakter des Auskunftsanspruch nur schwerlich<br />

begründen, ist aber aufgr<strong>und</strong> der praktischen Vorteile<br />

jedenfalls im Verhältnis von Auskunfts- <strong>und</strong> Zahlungsantrag<br />

zu unterstützen (vgl. im Einzelnen mit Kritik MünchKomm-<br />

ZPO/Becker-Eberhard, 3.Aufl. 2008, § 254 ZPO Rn 20). Während<br />

die Trennung von Auskunfts- <strong>und</strong> Zahlungsantrag für die<br />

Handhabung der Stufenklage überzeugt, vermag die Kammer<br />

nicht einzusehen, worum der Antrag auf Auskunftserteilung<br />

<strong>und</strong> Rechnungslegung nicht verb<strong>und</strong>en werden kann. Das<br />

gilt hier vor allem deshalb, weil bereits unterschiedliche Summen<br />

von den Parteien genannt werden. (Beklagte: 7.186,51 €<br />

brutto unter Verrechnung der Garantiesonderzahlung in Höhe<br />

von 4.320,00 € brutto; Kläger 12.877,00€ unter Verrechnung<br />

der Garantiesonderzahlung von 4.320,00 € brutto)<br />

3. Der – nunmehr fällige – Auskunftsanspruch des Klägers<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

scheitert nicht daran, dass sein Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt<br />

des Entstehens des Sonderzahlungsanspruchs – mit<br />

Fälligkeit der Abrechnung der Vergütungsansprüche für den<br />

Monat August 2007 – auf Gr<strong>und</strong> der Kündigung vom 3. August<br />

2007 nicht mehr ungekündigt war.<br />

a) Der Beklagten ist zwar in ihrer rechtlichen Beurteilung<br />

zu folgen, dass es dem Arbeitgeber frei steht die Bedingungen<br />

für Sonderzahlungen hinsichtlich ihrer Entstehung <strong>und</strong><br />

ihrer Fälligkeit festzulegen, insbesondere zu bestimmen, ob<br />

er den Arbeitnehmer für vergangene Betriebstreue belohnen<br />

will <strong>und</strong>/oder ihn in einem bestimmten Rahmen für die Zukunft<br />

im Betrieb halten möchte. Die dazu von der Beklagten<br />

angeführte Entscheidung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts vom 22.<br />

Juni 1983 – 5 AZR 252/81 – (nv) kann ihren Rechtsstandpunkt,<br />

eine Bindung des Arbeitnehmers zum Erhalt der Sonderzahlung<br />

bis zum 30. September des Folgejahrs zu erlauben, aber<br />

nicht mehr begründen. Schon vom entschiedenen Sachverhalt<br />

her handelt es sich um einen anderen Ausgangsfall, da die<br />

Abschlussvergütung des Klägers dort von der Feststellung des<br />

Jahresabschlusses in der Hauptversammlung des Folgejahres<br />

abhängig war <strong>und</strong> der Kläger als Arbeitnehmer – anders als<br />

im vorliegenden Sachverhalt – das Arbeitsverhältnis von sich<br />

aus bereits im März des Folgejahres gekündigt hatte.<br />

Nach dem Inkrafttreten der AGB-Regeln zum 1. Januar 2002<br />

sind derartige Bindungsklauseln im Wege der Unangemessenheitskontrolle<br />

am Maßstab des § 307 BGB richterlich überprüfbar<br />

(BAG, vom 24. Oktober 2007 – 10 AZR 825/06 = NJW<br />

2008, 680; so bereits ähnlich BAG, vom 25. April 1991 –6AZR<br />

183/90 – AP Nr. 138 zu § 611 BGB Gratifikation). ...<br />

b) Der erkennbare Leistungszweck der streitgegenständlichen<br />

freiwilligen Sonderzahlung liegt zum einen darin, den<br />

Arbeitnehmer aufgr<strong>und</strong> der Bindungsfrist im Betrieb zu halten<br />

<strong>und</strong> zum zweiten ihn zu besonderen Leistungen im Interesse<br />

des Arbeitgebers anzuspornen, da die Höhe der Sonderzahlung<br />

im Wesentlichen vom Gesamtrohertrag der Geschäftsstelle<br />

Fallingbostel der Beklagten abhängig ist. Es handelt sich<br />

also um eine Sonderzahlung mit Mischcharakter, die der Höhe<br />

nach vom Betriebsergebnis <strong>und</strong> dem dazu beitragenden Arbeitsleistungsverhalten<br />

des Klägers in 2006 beeinflusst wird.<br />

Erweist sich eine derartige individuelle Sonderzahlungsvereinbarung<br />

im Verhältnis zur Bindungsfrist, die sich aufgr<strong>und</strong> der<br />

vom Kläger einzuhaltenden Kündigungsfrist von 6 Wochen<br />

zum Ende eines Kalendervierteljahres (§ 2 Nr. 3 des Arbeitsvertrages<br />

vom 13. Mai 2005 Bl. 97 d. A.) über den 30. September<br />

des Folgejahres hinaus erstrecken würde, als überzogen,<br />

so gerät die Bestimmung zu Ziff. 5 in der individuellen Sonderzahlungsvereinbarung<br />

in Wegfall <strong>und</strong> die Vereinbarung<br />

besteht im Übrigen fort (§ 306 Abs. 1 BGB; vgl. BAG, vom 25.<br />

April 2007 – 5 AZR 627/06 = EzA § 307 BGB 2002 Nr. 20).<br />

c) (aa) Nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist eine ungemessene<br />

Benachteiligung im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung<br />

mit wesentlichen Gr<strong>und</strong>gedanken der gesetzlichen Regelung,<br />

von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist.<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 47 01.09.2008 13:16:56<br />

211


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

Die Interessenabwägung unter den Vertragspartnern hat sich<br />

im Zusammenhang mit der Gewährung von Sonderzahlungen<br />

daran auszurichten, dass damit verb<strong>und</strong>ene einzelvertragliche<br />

Stichtags- <strong>und</strong> Bindungsklauseln die Arbeitnehmer nicht unzulässigerweise<br />

in ihrer durch Art. 12 GG garantierte Berufsfreiheit<br />

behindern dürfen. Insoweit unterliegen sie einer Inhaltskontrolle<br />

durch das Arbeitsgericht nach § 307 BGB (BAG,<br />

vom 28. März 2007 – 10 AZR 261/06 = EzA § 611 BGB 2002<br />

Gratifikation Prämie Nr. 21; vgl. auch BAG, vom 19. November<br />

1992 – 10 AZR 264/91 – EzA § 611 BGB Gratifikation, Prämie<br />

Nr. 93; Kasseler Handbuch/Lipke, 2. Auflage 2000; 2.3 Rn 198;<br />

ErfK/Preis, 8. Aufl., § 611 BGB Rn 534,540). Dabei ist die Höhe<br />

der Sonderzahlung im Verhältnis zur Dauer der Bindung von<br />

Bedeutung. In der angezogenen Entscheidung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts<br />

vom 24. Oktober 2007 (10 AZR 825/06, a.a.O.)<br />

ist ausgeführt, dass eine Stichtagsregelung, die unabhängig<br />

von der Höhe der Bonuszahlung den Arbeitnehmer bis zum<br />

30. September des Folgejahres bindet, zu weit gefasst ist <strong>und</strong><br />

den Arbeitnehmer entgegen den Geboten von Treu <strong>und</strong> Glauben<br />

unangemessen im Sinne von § 307 BGB benachteiligt<br />

<strong>und</strong> somit rechtsunwirksam ist (Leitsatz 3; Rn 29, II 3b, bb der<br />

Gründe). Dem folgt die Kammer.<br />

(bb) Eine Sonderzahlung, die – wie hier die dem Kläger in Aussicht<br />

gestellte individuale Sonderzahlungsvereinbarung vom<br />

21. Februar 2006 – in Erwartung weiterer engagierter Tätigkeit<br />

bei Betriebstreue gezahlt werden soll, kann ihren Zweck,<br />

künftige Betriebstreue zu belohnen <strong>und</strong> den Arbeitnehmer<br />

zu reger <strong>und</strong> engagierter Mitarbeit zu motivieren, bei bereits<br />

ausgeschiedenen oder alsbald ausscheidenden Arbeitnehmern<br />

nicht erfüllen. Doch lag es hier nicht am Kläger,<br />

sondern an der Beklagten, dass die erwartete Betriebstreue<br />

nicht eingehalten wurde. Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis<br />

gekündigt. Gründe der Kündigung hat sie nicht verlauten<br />

lassen, sodass weder eine Verhaltens- noch eine personenbedingte<br />

Kündigung angenommen werden kann, für die von<br />

den Gründen her der Kläger ursächlich sein könnte. Im Gegenteil.<br />

Da die Beklagte später die Kündigung zurückgenommen<br />

<strong>und</strong> den Kläger aufgefordert hat seine Arbeit wieder aufzunehmen,<br />

können Verhaltens- oder personenbedingte Kündigungsgründe,<br />

die sich der Kläger zurechnen lassen müsste,<br />

für die Kündigung nicht vorgelegen haben. Damit stellt sich<br />

sogar die Frage, ob die „gr<strong>und</strong>lose“ Kündigung der Beklagten<br />

nicht als treuwidrige Vereitelung des klägerischen Anspruchs<br />

auf die „individuelle Sonderzahlung“ i. S. v. § 162 BGB zu bewerten<br />

ist (vgl. Schaub/Link, Arbeitsrechtshandbuch, 12. Aufl.<br />

2008, § 78 Rn 54 m.w.N).<br />

(cc) Steht zu der Bindungsklausel in Ziff. 5 nicht fest, ob der<br />

von sich aus „betriebstreue“ Arbeitnehmer die Voraussetzung<br />

einer Sonderzahlung nach dem Bonussystem der Beklagten<br />

erfüllt <strong>und</strong> die Beklagte dem Arbeitnehmer einen Bonus zahlt,<br />

bleibt darüberhinaus die Bonuszahlung der Höhe nach völlig<br />

ungewiss <strong>und</strong> wird der Anspruch des Arbeitnehmers durch<br />

eine Stichtagsreglung an eine Bindung über den 30. Sep-<br />

212 03/08<br />

tember des Folgejahres hinaus geknüpft, so ist eine solche<br />

Regelung als übermäßige Behinderung des Arbeitnehmers in<br />

seiner nach Art. 12 Abs. 1 GG garantierten Berufsfreiheit zu bewerten<br />

<strong>und</strong> widerspricht als unangemessene Benachteiligung<br />

den Geboten von Treu <strong>und</strong> Glauben im Sinne von § 307 BGB<br />

(vgl. BAG, vom 24. Oktober 2007 – 10 AZR 825/06 a.a.O.).<br />

■ Landesarbeitsgericht Niedersachsen<br />

vom 1. April 2008, 1 Sa 1023/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Peter Schrader, Podbielskistraße<br />

33, 30163 Hannover, Tel.: 0511/215 55 63 -33,<br />

Fax: 0511/215 55 63-43<br />

kanzlei@neef-schrader-straube.de;<br />

www.neef-schrader-straube.de<br />

177. Krankheitsbedingte Kündigung, bei wiederholter<br />

gleichartiger Erkrankung bedarf es eines Behandlungskonzepts<br />

um eine ungünstige Prognose auszuschließen,<br />

ein förmliches Wiedereingliederungsverfahren ist nicht<br />

erforderlich, wenn sonstige geeignete Wiedereingliederungsmaßnahmen<br />

erfolgt sind, obiter dictum: verhaltensbedingte<br />

Kündigung wegen Lohnbetrugs, wenn<br />

Erstbescheinigungen bei Dauererkrankungen vorgelegt<br />

werden.<br />

Aus den Entscheidungsgründen: ...<br />

Für die Beurteilung der Frage, ob eine negative Prognose<br />

hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit<br />

vorliegt, ist auf den Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs<br />

abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger nach seinem<br />

eigenen Sachvorbringen bereits über längere Zeit wegen eines<br />

Rückenleidens arbeitsunfähig erkrankt. Es war auch damals<br />

nicht absehbar, dass sich innerhalb der nächsten vier<strong>und</strong>zwanzig<br />

Monate insoweit eine Besserung ergeben würde.<br />

Hierfür gibt es auch bei Zugr<strong>und</strong>elegen des Sachvortrages<br />

des Klägers keine konkreten Anhaltspunkte. Vielmehr litt der<br />

Kläger seit Jahren an einem Bandscheibenleiden, das ihm die<br />

Erbringung der Arbeitsleistung dauerhaft unmöglich machte.<br />

Insoweit führt der Kläger lediglich pauschal an, es habe von<br />

Anfang an schon aus der Natur der Sache festgestanden, dass<br />

im Falle der Wirkungslosigkeit konservativer Behandlungsmethoden<br />

eine Operation stattfinden müsse, insoweit fehlt aber<br />

schon jeder konkrete Hinweis auf ein irgendwie geartetes Behandlungskonzept.<br />

Ein solches Konzept kann auch im Fall des<br />

Klägers kaum bestanden haben, zumal dieser damals von Arzt<br />

zu Arzt gelaufen ist. Insoweit hat der Kläger sein Vorbringen<br />

auch nicht mit seiner Einspruchsbegründung konkretisiert.<br />

Der Kläger macht in diesem Schriftsatz nur geltend, dass sich<br />

„nach einiger Zeit“ trotz intensiver Behandlung eine konservative<br />

Therapieresistenz abgezeichnet habe. Der Kläger gibt<br />

jedoch nicht an, wann dies durch welchen Arzt festgestellt<br />

wurde, ob dies bereits zum Zeitpunkt der Kündigung der Fall<br />

war <strong>und</strong> ob bereits zu diesem Zeitpunkt die später durchgeführte<br />

Operation konkret geplant war <strong>und</strong> ob er auch schon<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 48 01.09.2008 13:16:56


damals mit einer solchen Operation tatsächlich einverstanden<br />

gewesen wäre.<br />

Die zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs zu erwartenden<br />

langfristigen Krankheitszeiten führen auch zu erheblichen<br />

betrieblichen Belastungen bei der Beklagten. Für den Fall,<br />

dass (bei Kündigungsausspruch) eine dauernde Leistungsunfähigkeit<br />

festgestellt werden kann, liegt die erhebliche Beeinträchtigung<br />

betrieblicher Interessen auf der Hand. Der Arbeitgeber<br />

nimmt Einstellungen vor, um hierdurch einen bestimmten<br />

Arbeitsbedarf abzudecken. Bei dauernder Leistungsunfähigkeit<br />

steht fest, dass dieses unternehmerische Ziel nicht<br />

mehr erreicht werden kann. Etwaige Vertretungsmöglichkeiten<br />

ändern hieran nichts. Die wirtschaftliche Erwartung, aus<br />

der heraus das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Inhalt<br />

eingegangen wird, ist endgültig gescheitert (vgl. BAG, Urteil<br />

vom 19.04.2007 – 2 AZR 239/06 – AP 45 zu § 1 KSchG 1969<br />

Krankheit = NZA 2007, 1041 m.w.N.).<br />

Auch die Interessenabwägung führt nicht zur Unwirksamkeit<br />

der angegriffenen Kündigung. Bei einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit<br />

ist nämlich in aller Rege! davon auszugehen, dass<br />

der Arbeitgeber eine weitere unabsehbare Zeit billigerweise<br />

nicht hinzunehmen braucht (BAG, Urteil vom 18.01.2007 – 2<br />

AZR 759/05; BAG, Urteil vom 19.04.2007 – 2 AZR 239/06 – AP<br />

45 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit = NZA 2007, 1041 m.w.N.).<br />

Allerdings ist im Rahmen der Interessenabwägung auch die<br />

Bestimmung des § 84 Abs. 1 SGB IX (Präventionsverfahren)<br />

zu berücksichtigen. § 84 Abs. 1 SGB IX stellt eine Konkretisierung<br />

des den gesamten Kündigungsschutzrecht beherrschenden<br />

Verhältnismäßigkeitsgr<strong>und</strong>satzes dar (BAG, Urteil<br />

vom 07.12.2006 – 2 AZR 182/06 – AP 56 zu § 1 KSchG 1969<br />

Verhaltensbedingte Kündigung = NZA 2007, 617). Eine Kündigung<br />

ist danach nur erforderlich, wenn sie nicht durch mildere<br />

Maßnahmen zu vermeiden ist. Im vorliegenden Fall waren<br />

jedoch keine derartigen Maßnahmen erkennbar. Die Beklagte<br />

hat in diesem Zusammenhang unwidersprochen vorgetragen,<br />

dass der Kläger mehrfach durch den Betriebsarzt untersucht<br />

wurde <strong>und</strong> im Jahre 2005 auf Gr<strong>und</strong> eines Wiedereingliederungsplans<br />

seines Orthopäden stufenweise wieder eingegliedert<br />

worden ist. Diese Maßnahme hat jedoch nicht zu<br />

einem dauerhaften Erfolg geführt. Ferner macht die Beklagte<br />

unwidersprochen geltend, dass eine einfachere <strong>und</strong> leichtere<br />

Tätigkeit für den Kläger in ihrem Betrieb nicht vorhanden sei.<br />

Sofern bei dem Kläger in den Krankheitszeiträumen dagegen<br />

tatsächlich verschiedene unterschiedliche Erkrankungen bestanden<br />

haben sollten, wie die Beklagte geltend macht, wäre<br />

die Kündigung als eine Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen<br />

gerechtfertigt. Es liegen ganz erhebliche Fehlzeiten<br />

vor. Die Beeinträchtigung betrieblicher Belange ergäbe<br />

sich aus den außergewöhnlich hohen Entgeltfortzahlungskosten.<br />

Die Interessenabwägung könnte auf Gr<strong>und</strong> der kurzen<br />

Beschäftigungszeit des Klägers <strong>und</strong> seines geringen Lebensalters<br />

sowie der fehlenden Unterhaltspflichten auch nicht zu<br />

seinen Gunsten ausfallen.<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

Im Übrigen weist die Kammer in diesem Zusammenhang<br />

vorsorglich auf Folgendes hin: Es erscheint wenig glaubhaft,<br />

wenn der Kläger geltend macht, ihm sei damals nicht bewusst<br />

gewesen, dass im Falle einer einheitlichen Erkrankung nur<br />

ein sechswöchiger Entgeltfortzahlungszeitraum bestehe. Die<br />

Begrenzung des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung ist im<br />

Allgemeinen bei Arbeitnehmern bekannt. Es spricht vielmehr<br />

einiges dafür, dass es dem Kläger durch das Aufsuchen<br />

unterschiedlicher Ärzte gerade darum ging, weitere Entgeltfortzahlungen<br />

zu erreichen <strong>und</strong> nicht lediglich auf den<br />

Bezug von Krankengeld angewiesen zu sein. Diese Frage<br />

kann jedoch im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, weil<br />

die Kündigung sowohl im Falle einer lang andauernden<br />

Erkrankung als auch im Falle häufiger Kurzerkrankungen<br />

sozial gerechtfertigt wäre <strong>und</strong> die Parteien nicht über eine<br />

verhaltensbedingte Kündigung wegen eines Lohnbetrugs<br />

oder über Rückzahlungsansprüchen der Beklagten gegenüber<br />

dem Kläger streiten.<br />

Der Kläger kann ferner nicht mit Erfolg Wiedereinstellung<br />

bei der Beklagten verlangen. Ein Wiedereinstellungsanspruch<br />

kommt bei einer krankheitsbedingten Kündigung nur in Betracht,<br />

wenn sich noch vor Ablauf der Kündigungsfrist herausstellt,<br />

dass die ges<strong>und</strong>heitliche Zukunftsprognose entgegen<br />

der ursprünglichen Annahme positiv ist (BAG, Urteil vom<br />

27.06.2001 – 7 AZR 662/99 – AP 10 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung<br />

= NZA 2001, 1135). Im vorliegenden Fall war die<br />

Kündigungsfrist bereits am 28.02.2006 abgelaufen. Zu diesem<br />

Zeitpunkt hatte sich auch nach der Einlassung des Klägers<br />

noch nichts Konkretes ergeben, was die Zukunftsprognose<br />

günstig beeinflusst haben könnte. Die Operation, die nach der<br />

Behauptung des Klägers zu einer Besserung des Bandscheibenleidens<br />

geführt haben soll, wurde erst etwa drei Monate<br />

nach diesem Zeitpunkt durchgeführt.<br />

Wegen des Nichtbestehens eines Arbeitsverhältnisses der Parteien<br />

konnte darüber hinaus auch dem Weiterbeschäftigungsbegehren<br />

des Klägers nicht entsprochen werden.<br />

■ Landesarbeitsgericht Niedersachsen<br />

vom 11. April 2008, 3 Sa 91/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Peter Schrader, Podbielskistraße<br />

33, 30163 Hannover, Tel.: 0511/215 55 63 -33,<br />

Fax: 0511/215 55 63-43<br />

kanzlei@neef-schrader-straube.de;<br />

www.neef-schrader-straube.de<br />

178. Änderungskündigung, Betriebsübergang<br />

Aus den Entscheidungsgründen:<br />

Die zulässige Berufung des Klägers ist in der Sache nicht<br />

begründet. Zu Recht <strong>und</strong> mit zutreffenden Gründen hat das<br />

Arbeitsgericht sowohl einen Betriebsübergang verneint als<br />

auch den erzielbaren Zwischenverdienst aus der Tätigkeit<br />

als Krankenpfleger auf die Vergütungsansprüche des Klägers<br />

angerechnet.<br />

Die Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere fristgerecht ein-<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 49 01.09.2008 13:16:56<br />

213


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

gelegt <strong>und</strong> nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist<br />

auch fristgerecht begründet worden.<br />

In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg. ...<br />

1. Ein Betriebsübergang gemäß § 613a BGB hinsichtlich der<br />

von der Beklagten zu 2. betriebenen Krankenpflegeschule<br />

liegt nicht vor.<br />

a. Die Vorschrift des § 613a Abs. 1 BGB regelt den rechtsgeschäftlichen<br />

Übergang eines Betriebes oder Betriebsteils auf<br />

einen anderen Inhaber.<br />

Erforderlich ist die Wahrung der Identität der betreffenden<br />

wirtschaftlichen Einheit. Der Begriff wirtschaftliche Einheit bezieht<br />

sich auf eine organisatorische Gesamtheit von Personen<br />

<strong>und</strong> Sachen zu auf Dauer angelegten Ausübung einer wirtschaftlichen<br />

Tätigkeit mit eigener Zielsetzung. Bei der Prüfung,<br />

ob eine solche Einheit übergegangen ist, müssen sämtliche<br />

den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen<br />

berücksichtigt werden. Dazu gehören als Teilaspekte die Gesamtwürdigung<br />

namentlich die Art des betreffenden Unternehmens<br />

oder Betriebs, der etwaige Übergang der materiellen<br />

Betriebsmittel wie Gebäude, Räumlichkeiten oder bewegliche<br />

Güter, der Wert immaterieller Aktiva im Zeitpunkt des<br />

Übergangs, die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft,<br />

der etwaige Übergang der K<strong>und</strong>schaft sowie der Grad der<br />

Ähnlichkeit zwischen der vor <strong>und</strong> nach dem Übergang verrichteten<br />

Tätigkeiten <strong>und</strong> die Dauer einer eventuellen Unterbrechung<br />

dieser Tätigkeiten (siehe BAG, Urteil vom 06.04.2006<br />

– 8 AZR 222/04 – NZA 2006, S. 723 ff.). Eine auf Dauer angelegte<br />

wirtschaftliche Einheit setzt eine bestimmte Organisationsstruktur<br />

voraus. Hieran fehlt es, wenn lediglich eine<br />

bestimmt Tätigkeit fortgeführt wird. Es liegt dann eine bloße<br />

Funktionsnachfolge vor, die keinen Betriebs- bzw. Betriebsteilübergang<br />

darstellt (siehe BAG, Urteil vom 03.09.1998 –8AZR<br />

306/97 – NZA 1999, S. 147 ff.).<br />

Wird die vorhandene Organisationsstruktur <strong>und</strong> die vorhandene<br />

Arbeitsorganisation aufgelöst <strong>und</strong> in eine andere Organisationsstruktur<br />

eingegliedert, liegt kein Betriebsübergang<br />

vor (siehe BAG, Urteil vom 25.09.2003 – 8 AZR 421/02 – NZA<br />

2004, S. 316).<br />

b. Gemessen an diesen höchstrichterlich geklärten Rechtsgr<strong>und</strong>sätzen<br />

liegt bereits unter Zugr<strong>und</strong>elegung des klägerischen<br />

Vortrags kein Betriebsübergang auf die Beklagte zu<br />

2. vor. Denn es muss davon ausgegangen werden, dass die<br />

früher vorhandene Organisationseinheit der Krankenpflegeschule<br />

bei der Beklagten zu 1. nicht übernommen worden ist,<br />

sondern im Gegenteil aufgelöst worden ist. Es hat eine Eingliederung<br />

stattgef<strong>und</strong>en, so dass nicht eine vorhandene Organisationsstruktur<br />

weitergeführt worden ist, sondern eine Auflösung<br />

der alten Struktur stattgef<strong>und</strong>en hat <strong>und</strong> die Aufgabe<br />

der Krankenpflegeausbildung auf eine neu geschaffene <strong>und</strong><br />

anders aufgebaute Organisationsstruktur übertragen worden<br />

ist. Dem entspricht es auch, dass die Beklagte zu 2. selbst mit<br />

Schreiben vom 17.01.2005 (Bl. 101 d. A.) geschrieben hat, dass<br />

beabsichtigt sei, in die Beklagte zu 2. die bisherigen Kranken-<br />

214 03/08<br />

pflegeschulen der Kreiskrankenhäuser G. <strong>und</strong> W. zu integrieren.<br />

Damit ist hinreichend deutlich, dass es nicht darum ging,<br />

vorhandene Organisationseinheiten zu übernehmen, sondern<br />

diese aufzulösen <strong>und</strong> in einer neu geschaffenen Organisationseinheit<br />

aufgehen zu lassen. Dementsprechend kommt es<br />

auch nicht darauf an, ob es zutrifft, wie der Klägervertreter in<br />

der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht<br />

am 08.10.2007 ausgeführt hat, dass das zuständige Ministerium<br />

einen Betriebsübergang für notwendig gehalten habe.<br />

Entscheidend ist die tatsächliche Vorgehensweise. Diese bestand<br />

aber eben gerade nicht darin, eine vorhandene Organisationseinheit<br />

zu übernehmen <strong>und</strong> fortzuführen, sondern eine<br />

neue zu konstituieren, in der Schüler verschiedener Krankenhäuser<br />

zusammengefasst wurden.<br />

Gegen einen Betriebsübergang spricht ferner entscheidend,<br />

dass die neu bei der Beklagten zu 2. geschaffene<br />

Organisationseinheit ein weitergehendes <strong>und</strong> damit anders<br />

geartetes Aufgabenspektrum abdeckt. Denn es ist in der<br />

mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am<br />

15.10.2007 unstreitig geworden, dass die Beklagte zu 2.<br />

nicht nur Krankenpfleger sondern auch Kinderkrankenpfleger<br />

ausbildet, während dies bei der ursprünglich betriebenen<br />

Krankenpflegeschule bei der Beklagten zu 1. nicht der Fall<br />

war.<br />

Dem entsprach es auch, dass, wie ebenfalls in der mündlichen<br />

Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht unstreitig<br />

geworden ist, die Krankenpflegeschule W. nach dem Krankenpflegegesetz<br />

keine Erlaubnis hatte, Kinderkrankenpfleger<br />

auszubilden, während dies bei der Beklagten zu 2. der Fall ist.<br />

Entscheidend spricht schließlich gegen den Betriebsübergang,<br />

dass jedenfalls nicht in relevantem Umfang Betriebsmittel<br />

übernommen worden sind <strong>und</strong> auch die Räumlichkeiten<br />

der ursprünglich betriebenen Krankenpflegeschule nicht für<br />

die neue Tätigkeit übernommen worden sind. So ist unstreitig,<br />

dass die von der Beklagten zu 2. betriebene Krankenpflegeschule<br />

an anderer Stelle, nämlich in G. betrieben wird.<br />

Unstreitig ist in der mündlichen Verhandlung vom 15.10.2007<br />

ferner geworden, dass die Beklagte zu 2. dabei sämtliches<br />

Mobiliar <strong>und</strong> Lehr- <strong>und</strong> Lernmittel, die in G. vorhanden waren,<br />

übernommen hat, während das Mobiliar der ursprünglich in<br />

W. betriebenen Krankenpflegeschule, an der der Kläger tätig<br />

war, in W. verb<strong>liebe</strong>n ist <strong>und</strong> dort in den nicht genutzten<br />

Räumen noch ungenutzt vorhanden ist.<br />

Angesichts dessen kann von einer Übernahme zumindest<br />

eines wesentlichen Teils der Betriebsmittel nicht gesprochen<br />

werden.<br />

Aus den dargestellten Gründen liegen die Voraussetzungen<br />

für einen Betriebsübergang gemäß § 613a BGB nicht vor.<br />

2. Auch der geltend gemachte Anspruch auf restliche Vergütung<br />

steht dem Kläger nicht zu.<br />

Gemäß § 615 S. 1 BGB steht dem Kläger Vergütung für den<br />

Zeitraum von Januar 2005 bis Februar 2006 zu, weil die Be-<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 50 01.09.2008 13:16:56


klagte zu 1. aufgr<strong>und</strong> des für sie verloren gegangenen Kündigungsschutzprozesses<br />

in Annahmeverzug geraten ist.<br />

Der Kläger muss sich jedoch dasjenige anrechnen lassen, was<br />

er durch den Zwischenverdienst durch eine Tätigkeit als Krankenpfleger<br />

für die Beklagte zu 1. als Vergütung hätte erzielen<br />

können. Denn gemäß § 615 S. 2 BGB in Verbindung mit § 11<br />

S. 1 Nr. 2 KSchG war es dem Kläger zumutbar, während des<br />

Laufs des Kündigungsschutzprozesses für die Beklagte zu 1.<br />

als Krankenpfleger zu arbeiten.<br />

Die Beklagte zu 1. hatte dem Kläger mit Schreiben vom<br />

13.12.2004 eine solche Zwischenbeschäftigung angeboten.<br />

Der Kläger hatte dieses Angebot mit Schreiben vom<br />

17.12.2004 jedoch abgelehnt.<br />

Eine Anrechnung des hypothetischen Verdienstes nach § 11<br />

S. 1 Nr. 2 KSchG kommt auch in Betracht, wenn der Arbeitgeber,<br />

der sich mit der Annahme der Dienste in Verzug befindet,<br />

Arbeit anbietet. Die Zumutbarkeit für den Arbeitnehmer<br />

hängt insoweit von der Art der Kündigung <strong>und</strong> ihrer<br />

Begründung sowie dem Verhalten des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess<br />

ab. Dem Arbeitnehmer ist es je nach den<br />

Umständen des Einzelfalls auch bei verhaltensbedingter Kündigung<br />

regelmäßig nicht unzumutbar, der Aufforderung des<br />

Arbeitgebers zu entsprechenden Arbeitsleistungen zu folgen.<br />

Die fehlende Vertragsgr<strong>und</strong>lage der Beschäftigung steht dem<br />

nicht entgegen. Eine Unzumutbarkeit kann sich nur aus besonderen,<br />

insbesondere nachträglich eingetretenen Umständen<br />

ergeben, die der Arbeitnehmer darlegen muss (s. BAG,<br />

Urteil vom 24.09.2003 – 5 AZR 500/02 – NZA 2004, S. 90 ff.).<br />

Im vorliegenden Fall sind solche Umstände, die für die Unzumutbarkeit<br />

dieser Zwischenbeschäftigung sprechen könnten,<br />

nicht ersichtlich. Entscheidend ist, dass der Kläger selbst<br />

die fraglichen Änderungskündigungen unter Vorbehalt der<br />

Nachprüfung der sozialen Rechtfertigung angenommen hat.<br />

Bereits damit hatte der Kläger hinreichend klar zum Ausdruck<br />

gebracht, dass eine zwischenzeitliche Beschäftigung entsprechend<br />

den Änderungsangeboten, die die Beklagtenseite in<br />

den Änderungskündigungen gemacht hat, nicht unzumutbar<br />

waren <strong>und</strong> insbesondere keine vom Kläger jetzt ins Feld geführte<br />

Degradierung darstellten. Aus der Annahme dieser Angebote<br />

unter Vorbehalt kann nur geschlossen werden, dass es<br />

der Kläger für zumutbar hielt, bis zur endgültigen rechtlichen<br />

Klärung vorübergehend auch als Krankenpfleger zu arbeiten.<br />

Die Zumutbarkeit folgt des Weiteren auch daraus, dass der<br />

Kläger letztlich ab dem 23.01.2006 eine Tätigkeit als Krankenpfleger<br />

in der Anästhesie auch tatsächlich ausgeübt hat. Es<br />

ist kein Gr<strong>und</strong> dafür ersichtlich, weshalb eine solche Tätigkeit<br />

vor dem 23.01.2006 unzumutbar gewesen sein sollte <strong>und</strong> erst<br />

nach dem 23.01.2006 zumutbar geworden wäre. Der Kläger<br />

hat diese Tätigkeit auch für mehrere Monate bis zu seiner Erkrankung<br />

im Mai 2006 ausgeübt. Dass sich während der Ausübung<br />

dieser Zwischentätigkeit ab dem 23.01.2006 andere<br />

oder zusätzliche Unwirksamkeitsgründe ergeben hätten, ist<br />

weder vom Kläger vorgetragen, noch ersichtlich. Zutreffend<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

hat das Arbeitsgericht darauf hingewiesen, dass jedenfalls<br />

allein das Berufen darauf, dass die Beklagtenseite zunächst<br />

eine außerordentliche verhaltensbedingte Kündigung ausgesprochen<br />

hatte, für die Annahme einer Unzumutbarkeit nicht<br />

erreicht. Vielmehr bedarf es auch bei einer verhaltensbedingten<br />

Kündigung zusätzlicher konkreter Anhaltspunkte, die eine<br />

Unzumutbarkeit begründen könnten (siehe BAG, Urteil vom<br />

24.09.2003 – 5 AZR 500/02 – NZA 2004, S. 90 ff.).<br />

Das Arbeitsangebot einer Zwischenbeschäftigung war auch<br />

nicht deshalb unzumutbar, weil zwischen dem Angebot <strong>und</strong><br />

dem Zeitpunkt der gewünschten Arbeitsaufnahme ein langer<br />

Zeitraum gelegen hätte. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung<br />

ist anerkannt, dass ein Arbeitnehmer gegebenenfalls<br />

dann eine deutliche vorübergehende Verschlechterung seiner<br />

Arbeitsbedingungen nicht akzeptieren muss, solange er<br />

berechtigte Aussichten hat, rechtzeitig eine günstigere Arbeit<br />

zu finden. Je länger Arbeitsangebot <strong>und</strong> vorgesehene Arbeitsaufnahme<br />

auseinander liegen, desto weniger wird es dem<br />

Arbeitnehmer im Regelfall vorzuwerfen sein, wenn er das Angebot<br />

ablehnt <strong>und</strong> sich stattdessen um eine für ihn günstigere<br />

Arbeit bemüht (siehe BAG, Urteil vom 11.10.2006 – 5 AZR<br />

757/05 – NJW 2007, S. 2060 ff.). Im vorliegenden Fall hatte<br />

die Beklagte zu 1. dem Kläger zeitnah mit Schreiben vom<br />

13.12.2004 eine Zwischenbeschäftigung ab dem 03.01.2005<br />

angeboten. Da der Kläger nicht vorgetragen hat, Aussicht auf<br />

eine besser bezahlte Zwischenbeschäftigung zu haben, war<br />

es ihm zumutbar, mit dieser Beschäftigung Zwischenverdienst<br />

zu erzielen. Der Kläger hat dadurch, dass er diese Zwischentätigkeit<br />

zunächst nicht ausgeübt hat, es böswillig unterlassen,<br />

eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen. Der hierdurch<br />

erzielbare Zwischenverdienst ist auf den Gesamtvergütungsanspruch<br />

des Klägers anzurechnen.<br />

Zutreffend hat das Arbeitsgericht daher von dem Gesamtvergütungsanspruch<br />

des Klägers den erzielbaren Zwischenverdienst<br />

abgezogen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 15. Oktober 2007, 14 Sa 150/07<br />

eingereicht von Rechtsanwältin Dr. Nathalie Oberthür,<br />

Im Mediapark 6, 50670 Köln, Tel.: 0221 – 35 50 51 – 0,<br />

Fax: 0221 – 35 50 51 – 35<br />

info@rpo-rechtsanwaelte.de; www.rpo-rechtsanwaelte.de<br />

179. Sonderkündigungsschutz, Wahlbewerber Schwerbehindertenvertretung,<br />

Namensliste, grob fehlerhafte Sozialauswahl,<br />

Altersstruktur, Wiederholungskündigung<br />

Aus den Gründen:<br />

I. A. 1. ... c) Der Arbeitgeber kann eine Kündigung wiederholen,<br />

wenn sich eine zuvor bereits ausgesprochene Kündigung<br />

aufgr<strong>und</strong> eines Formmangels als unwirksam erweist. Dem Arbeitgeber<br />

ist es auch nicht verwehrt, eine Kündigung nach<br />

Ablauf von Sonderkündigungsschutz auszusprechen, selbst<br />

wenn der Kündigungsgr<strong>und</strong> noch in der Zeit des Sonderkündigungsschutzes<br />

fällt (BAG, v. 13.06.1996, 2 AZR 431/95,<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 51 01.09.2008 13:16:56<br />

215


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

NZA 36, 1032). Die Klägerin verweist deshalb ohne Erfolg<br />

darauf, dass der hiesige Kündigungsanlass durch die rechtskräftige<br />

Entscheidung des Arbeitsgerichts im Verfahren 17 Ca<br />

10895/06 bereits verbraucht sei. Dies wäre nur der Fall gewesen,<br />

wenn exakt die gleichen Kündigungsgründe bereits<br />

im dortigen Verfahren materiell geprüft <strong>und</strong> für nicht ausreichend<br />

gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bef<strong>und</strong>en worden<br />

wären (z.B. BAG, v. 12.02.2004, AP Nr. 75 § 1 KSchG 1969). Das<br />

Arbeitsgericht hat die ordentliche Kündigung vom 13.12.2006<br />

jedoch offensichtlich nicht materiellrechtlich geprüft, sondern<br />

für unzulässig erklärt, weil die Klägerin aufgr<strong>und</strong> bestehenden<br />

Sonderkündigungsschutzes nur aus wichtigem Gr<strong>und</strong> im<br />

Sinne von § 626 Abs. 1 BGB kündbar gewesen wäre (§ 15<br />

Abs. 3 Satz 2 KSchG).<br />

2. Die Kündigungsschutzklage hat Erfolg, weil die Klägerin<br />

eine begründete Sozialaus- wahlrüge erhebt.<br />

a) Gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG ist eine Kündigung trotz<br />

Vorliegens dringender betrieblicher Umstände im Sinne von<br />

§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial ungerechtfertigt, wenn der<br />

Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der<br />

Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten<br />

<strong>und</strong> die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht<br />

oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. Ob der Arbeitgeber<br />

bei seinem Kündigungsentschluss diese Vorgaben beachtet<br />

hat, wird im Kündigungsschutzprozess nicht von Amts<br />

wegen überprüft. Es bedarf einer konkreten Auswahlrüge<br />

des gekündigten Arbeitnehmers. Eine solche Rüge hat die<br />

Klägerin erhoben.<br />

b) Eine einfache Sozialauswahlrüge des Arbeitnehmers<br />

reicht nicht aus, wenn der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat<br />

im Rahmen einer Betriebsänderung eine Namensfiste mit den<br />

Namen der von der Kündigung betroffenen Arbeitnehmern<br />

erstellt hat, § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG. In diesem Fall kann die<br />

soziale Auswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft<br />

werden. Es ist dann im Kündigungsschutzprozess Sache des<br />

Arbeitnehmers, die gesetzliche Vermutung der Richtigkeit der<br />

Sozialauswahl beweiskräftig zu widerlegen. ...<br />

c) Im vorliegenden Fall entfaltet die Namensliste gegenüber<br />

der Klägerin jedoch nicht die Rechtswirkung des § 1 Abs. 5<br />

Satz 2 KSchG, denn die Namensliste erweist sich in Bezug auf<br />

die Klägerin als grob fehlerhaft.<br />

aa) Die Klägerin war zum Zeitpunkt des Abschlusses des<br />

Interessensausgleichs am 01.12.2006 (erfolglose) Wahlbewerberin<br />

für die am 30.112006 im Betrieb durchgeführte<br />

Wahl zur Schwerbehindertenvertretung. Sie genoss daher zu<br />

diesem Zeitpunkt <strong>und</strong> für die Dauer von weiteren 6 Monaten<br />

den besonderen Kündigungsschutz eines Wahlbewerbers<br />

gemäß § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG. Die Kammer vermag sich<br />

nicht der Auffassung der Beklagten anzuschließen, § 15<br />

Abs. 3 Satz 2 KSchG gelte nicht für die Wahlbewerber zur<br />

Schwerbehindertenvertretung. Vielmehr folgt die Kammer<br />

in dieser Frage dem LAG Baden-Württemberg in seiner<br />

Entscheidung vom 12.03.2003 (4 Sa 45/02) <strong>und</strong> der in der<br />

216 03/08<br />

Literatur wohl überwiegend vertretenen Meinung, vgl. z. B.<br />

KR-Etzel, 8. Auflage, Rn 14 zu § 103 BetrVG; Sieg, NZA 2002,<br />

1064 – 1069 –; zur Geltung des Schwerbehindertengesetzes<br />

bereits LAG Hamm, v. 11.01.1984, 3 Sa 488/83, zitiert nach<br />

www.juris.testa-de. Nach § 94 Abs. 6 Satz 2 SGB VIIII gelten<br />

bei der Wahl der Schwerbehindertenvertretung auch die<br />

Vorschriften über die Wahlanfechtung <strong>und</strong> den Wahlschutz<br />

bei der Wahl des Betriebs-, Personal-, Richter-, Staatsanwaltsoder<br />

Präsidialrats sinngemäß. Damit ist nach Auffassung<br />

der Kammer hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht<br />

worden, dass § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG auch auf den Wahlbewerber<br />

zur Schwerbehindertenvertretung anzuwenden<br />

ist (vgl. auch von Hoyningen-Huene, KSchG, 13. Aufl., Rn 27<br />

zu § 15 KSchG). Dieses Ergebnis wird durch § 15 Abs. 3<br />

Satz 1 KSchG unterstrichen. Diese Norm spricht allgemein<br />

den Wahlvorstand oder einen Wahlbewerber an. Sie enthält<br />

keine Beschränkung etwa auf die Mandatsträger oder Wahlbewerber<br />

für die im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehenen<br />

Mitbestimmungsorgane. ...<br />

bb) Die Klägerin konnte damit am 01.12.2006 von Rechts<br />

wegen nicht in die Namensliste aufgenommen werden. Arbeitnehmer,<br />

deren Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung<br />

nicht beendet werden kann, sind nach der Rechtsprechung<br />

des BAG gr<strong>und</strong>sätzlich nicht in die Sozialauswahl<br />

einzubeziehen (BAG, v. 24.05.2005, 2 AZR 241/04, NZA 2005,<br />

1307; v. 17.11.2005, 6 AZR 118/05, NZA 2006, 370). Die Beklagte<br />

vertritt deshalb zu Unrecht den Standpunkt, es hätte<br />

den Betriebspartnern ohne weiteres freigestanden, auch Mitarbeiter<br />

mit Sonderkündigungsschutzgesetz in die Namensliste<br />

aufzunehmen. § 1 Abs. 5 KSchG ist auf außerordentliche<br />

Kündigungen nicht anwendbar (LAG, Köln v. 01.08.2007, 3 Sa<br />

906/06, zitiert nach www.juris.testa-de.).<br />

Daraus folgt ohne weiteres die grobe Fehlerhaftigkeit der Namensliste.<br />

Wäre dem Sonderkündigungsschutz der Klägerin<br />

Rechnung getragen worden, wäre sie nicht in die Liste der zu<br />

kündigenden Personen aufgenommen worden. Der Beklagten<br />

war dies nach der vorerwähnten Rechtsprechung schlechterdings<br />

verwehrt. Es ist deshalb auch unerheblich, ob die<br />

Betriebspartner Wahlbewerber zur Schwerbehindertenvertretung<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich in den Kreis der Kündigungsempfänger<br />

aufnehmen wollten oder nicht.<br />

cc) Es ist ebenso rechtlich ohne Belang, ob die Betriebspartner<br />

oder die Beklagte bei Abschluss des Interessenausgleichs<br />

<strong>und</strong> der Namensliste vom Sonderkündigungsschutz<br />

oder der Wahlbewerbung der Klägerin wussten. Der Sonderkündigungsschutz<br />

besteht kraft Gesetzes, §§ 94 Abs. 6 Satz 2<br />

SGB VIII, 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG. Er ist nicht davon abhängig,<br />

ob der Arbeitgeber oder der Betriebsrat von der Wahlbewerbung<br />

Kenntnis haben oder unzutreffende rechtliche Schlüsse<br />

ziehen. Es kommt hinzu, dass das Wahlverfahren zur Schwerbehindertenvertretung<br />

öffentlich ist. Gemäß § 8 der Wahlordnung<br />

für Schwerbehindertenvertretungen (SchwbVWO) werden<br />

die Namen der Bewerber <strong>und</strong> Bewerberinnen spätestens<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 52 01.09.2008 13:16:56


eine Woche vor Beginn der Stimmabgabe im Betrieb bekanntgemacht<br />

(vgl. hierzu auch § 5 Abs. 2 SchwbVWO). Bei dieser<br />

Sachlage kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg auf Nichtkenntnis<br />

berufen.<br />

dd) Die Vermutungswirkung der Namensliste in Bezug auf<br />

die Sozialauswahl kommt auch nicht deshalb zur Geltung, weil<br />

6 Monate später der Sonderkündigungsschutz der Klägerin<br />

abgelaufen war. Die Namensliste wird dadurch nicht nachträglich<br />

„richtig“ oder die Nichtberücksichtigung des Sonderkündigungsschutzes<br />

der Klägerin geheilt. Denn die Klägerin<br />

wäre bei Berücksichtigung ihres Sonderkündigungsschutzes<br />

nicht auf der Namensliste erschienen. Es war den Betriebsparteien<br />

wie bereits dargelegt von Rechts wegen verwehrt,<br />

die Klägerin in die Namensliste aufzunehmen. Folglich hätte<br />

die Namensliste auch 6 Monate später einen anderen Inhalt<br />

gehabt, wenn der Sonderkündigungsschutz der Klägerin beachtet<br />

worden wäre.<br />

Die Namensliste war damit in Bezug auf die Klägerin grob<br />

fehlerhaft. Es wird nicht ernsthaft in Abrede gestellt werden<br />

können, dass die Aufnahme eines Mitarbeiters mit Sonderkündigungsschutz<br />

in die Namensliste als grob fehlerhaft im Sinne<br />

von § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG zu qualifizieren ist. Dieser Fehler<br />

hat sich jedenfalls in Bezug auf die formellen Rechtswirkungen<br />

des § 1 Abs. 5 KSchG bis zum Ausspruch der erneuten<br />

Kündigung fortgesetzt.<br />

ee) Unterläuft dem Arbeitgeber bei der Sozialauswahl ein<br />

Fehler, ist die Kündigung gleichwohl nicht sozialwidrig, wenn<br />

auch bei zutreffender Sozialauswahl kein anderes Ergebnis<br />

entstanden wäre. Allerdings muss der Arbeitgeber im Prozess<br />

näher darlegen, weshalb die Nichtberücksichtigung des<br />

Sonderkündigungsschutzgesetzes im Ergebnis nicht zu einer<br />

unrichtigen sozialen Auswahl führt (vgl. BAG, v„ 20.10.1983, 2<br />

AZR 211/82, AP-Nr. 13 § 1 KSchG 1969 betriebsbedingte Kündigung).<br />

Es war deshalb zu prüfen, ob auch unter Anwendung<br />

der allgemeinen Auswahlregeln des § 1 Abs. 3 KSchG die Klägerin<br />

am 15.06.2007 zur Kündigung angestanden hätte. ...<br />

Zwar muss der Arbeitgeber im Rahmen von § 1 Abs. 3 Satz 1<br />

KSchG die maßgeblichen Sozialdaten nur ausreichend berücksichtigen.<br />

Hieraus folgt nach der Rechtsprechung des BAG,<br />

dass nur erheblich schutzwürdigere Arbeitnehmer eine Sozialauswahlrüge<br />

mit Erfolg erheben können (BAG, v. 25.04.1985,<br />

AP Nr. 7 § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl). Nur marginale, unbedeutende<br />

Unterschiede bei den Sozialdaten spielen keine<br />

Rolle. Insoweit hat der Arbeitgeber ein Auswahlermessen.<br />

Im vorliegenden Fall erweist sich die Klägerin jedoch als erheblich<br />

schutzwürdiger. Sie ist als verheiratete Mutter zwei<br />

Personen unterhaltspflichtig. Bei dem ledigen Mitarbeiter N.<br />

bestehen keine Unterhaltspflichten, bei Frau G. besteht lediglich<br />

die Unterhaltspflicht gegenüber dem Ehegatten. Zwischen<br />

dem Mitarbeiter N. <strong>und</strong> der Klägerin besteht ein Altersunterschied<br />

von 15 Jahren. Darüber hinaus weist die Klägerin<br />

eine um 8 Jahre längere Betriebszugehörigkeitsdauer auf. Gegenüber<br />

der Mitarbeiterin G. besteht zwar fast kein Altersun-<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

terschied, dafür ist diese Mitarbeiterin erst seit 2000 im Betrieb<br />

beschäftigt, die Klägerin hat insoweit also 14 Jahre mehr Betriebszugehörigkeit<br />

aufzuweisen. Nach Auffassung der Kammer<br />

ist daher in beiden Fällen von einer erheblich stärkeren<br />

Schutzwürdigkeit der Klägerin zu sprechen.<br />

ff) Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte auf die mit dem Betriebsrat<br />

vereinbarten Altersstaffeln. Diese waren Gr<strong>und</strong>lage<br />

der Namensliste. Weil diese im Verhältnis zur Klägerin als grob<br />

fehlerhaft anzusehen ist (siehe oben), kann sich die Beklagte<br />

auch nicht auf die zugr<strong>und</strong>e liegende Altersstaffel berufen.<br />

Auch insoweit war die Überprüfung nach den allgemeinen<br />

Sozialauswahlregeln vorzunehmen. Danach beruft sich die Beklagte<br />

erfolglos auf die Notwendigkeit der Einhaltung einer<br />

ausgewogenen Altersstruktur im hiesigen Kündigungsschutzprozess.<br />

Sie hat den Ablauf des Sonderkündigungsschutzes<br />

der Klägerin abgewartet. Sie hat damit nach fast vollständiger<br />

Durchführung des geplanten Personalabbaus 6 Monate später<br />

eine singulare Kündigung erklärt. Der geplante Personalabbau<br />

war im Übrigen vollzogen. Die Beklagte hat selbst vorgetragen,<br />

dass nur noch die Kündigung der Klägerin ausstand. Bei<br />

dieser Sachlage war durch die Einzelkündigung eine ausgewogene<br />

Altersstruktur nicht mehr gefährdet. ...<br />

■ Arbeitsgericht Stuttgart – Kammern Ludwigsburg –<br />

vom 24. April 2008, 10 Ca <strong>165</strong>8/08, rkr.<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Frank Fabian, Lindenstraße 25,<br />

71229 Leonberg, Tel.: 07152/93938-0, Fax: 07152/93938-30<br />

kanzlei@rae-glaser.de; www.anwaltskanzlei-glaser.de<br />

180. Klagefrist, Beginn bei behördlichem Zustimmungsvorbehalt,<br />

Sonderkündigungsschutz für Schwerbehinderte,<br />

Beginn, Rechtsfolgen der Betreuung <strong>und</strong> Einwilligung<br />

des Betreuers<br />

Leitsatz des Einreichers:<br />

1. Der Feststellungsbescheid des Versorgungsamtes hat gemäß<br />

§§ 2 Abs. 2, 69 SGB IX keine rechtsbegründende (konstitutive),<br />

sondern lediglich eine erklärende (deklaratorische)<br />

Wirkung.<br />

2. Nachgewiesen im Sinne des § 90 Abs. 2a SGB IX ist die<br />

Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch im Zeitpunkt der<br />

Kündigung auch dadurch, dass die Behinderung offenk<strong>und</strong>ig<br />

ist.<br />

3. Die Vorschrift des § 113 BGB gilt für den mit Einwilligungsvorbehalt<br />

betreuten Arbeitnehmer entsprechend, d.h. der Betreute<br />

wird für diese Rechtsgeschäfte unbeschränkt geschäftsfähig<br />

<strong>und</strong> unterliegt damit insoweit nicht dem Einwilligungsvorbehalt.<br />

Offen bleibt, ob der Schutz des Betreuten bei einer<br />

entsprechenden Anwendung des § 113 BGB etwa hinsichtlich<br />

der Annahme einer stillschweigenden Ermächtigung weitere<br />

Einschränkungen erfordert.<br />

4. Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde<br />

bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts gemäß<br />

§ 4 KSchG erst von der Bekanntgabe der Entscheidung<br />

an den Arbeitnehmer ab. An den Erfordernissen des § 4 S. 4<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 53 01.09.2008 13:16:56<br />

217


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

KSchG hat sich auch nach Neufassung des § 4 S. 1, der §§ 6<br />

<strong>und</strong> 7 KSchG <strong>und</strong> der Einfügung von § 5 Abs. 1 S. 2 KSchG<br />

nichts geändert.<br />

■ B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />

vom 13. Februar 2008, 2 AZR 864/06<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Friedemann Koch, Marburger<br />

Straße 16, 10789 Berlin, Tel.:030/212 48 99-0,<br />

Fax: 030/212 48 99-20<br />

kanzlei@friedemann-koch.de; www.friedemann-koch.de<br />

181. Sonderkündigungsschutz, § 85 SGB IX, Beginn, rückwirkende<br />

Anerkennung einer Schwerbehinderung, unverschuldet<br />

verspäteter Antragseingang<br />

Aus den Gründen: ...<br />

III. Die Klägerin kann sich auch nicht auf den besonderen<br />

Kündigungsschutz des § 85 SGB IX berufen.<br />

Die Anwendbarkeit dieser Vorschrift <strong>und</strong> damit des besonderen<br />

Kündigungsschutzes der schwerbehinderten Menschen ist<br />

nur dann möglich, wenn zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung<br />

der entsprechende Anerkennungsantrag beim Versorgungsamt<br />

zumindest schon gestellt war.<br />

Nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichtes treten<br />

die rechtlichen Wirkungen der Eigenschaft der schwerbehinderte<br />

Mensch im Falle des Sonderkündigungsschutzes nach<br />

§ 85 SGB IX in der Fassung des Gesetzes vom 19.06.2001<br />

nicht ohne weiteres ein. Es reicht nicht aus, dass objektiv eine<br />

solche Schwerbehinderung besteht.<br />

Voraussetzung ist vielmehr, dass vor dem Zugang der Kündigung<br />

ein Bescheid über die Eigenschaft als schwerbehinderter<br />

Mensch ergangen ist oder jedenfalls ein entsprechender Antrag<br />

gestellt wurde (BAG, vom 20.01.2005, AP Nr. 1 zu § 85<br />

SGB IX).<br />

Die Klägerin hatte zum Kündigungszeitpunkt am 30.03.2006<br />

den entsprechenden Antrag beim Versorgungsamt noch nicht<br />

gestellt. Dieser Antrag ist erst am 31.03.2006 dort eingegangen.<br />

Die Klägerin beruft sich zwar darauf, dass sie alles in ihrer<br />

Macht stehende getan habe, um den Antrag entsprechend<br />

frühzeitig beim Versorgungsamt zu stellen. Die von ihr beauftragte<br />

Sozialarbeiterin habe den Antrag auch rechtzeitig<br />

weggeschickt.<br />

Unabhängig von der Frage, wann die Klägerin den Antrag<br />

vorbereitet <strong>und</strong> gegebenenfalls zur Post gegeben hat oder<br />

geben ließ, kommt es nach ständiger Rechtsprechung für<br />

die Geltung des besonderen Kündigungsschutzes der schwer<br />

behinderten Menschen alleine darauf an, wann der Antrag<br />

beim Versorgungsamt zugegangen ist.<br />

Nur der Vollständigkeit halber muss darauf hingewiesen werden,<br />

dass im Übrigen nach § 90 Abs. 2a SGB IX selbst im Falle<br />

des rechtzeitigen Zugangs des Antrags der Kündigungsschutz<br />

nicht ohne weiteres vorgelegen hätte, da zum Zeitpunkt der<br />

Kündigung die Eigenschaft als schwer behinderter Mensch bei<br />

der Klägerin noch nicht nachgewiesen war.<br />

218 03/08<br />

Entgegen der Ansicht der Klägerin wird nach ständiger Rechtsprechung<br />

<strong>und</strong> nach herrschender Meinung der besondere<br />

Kündigungsschutz auch nicht dadurch hergestellt, dass das<br />

Versorgungsamt die Schwerbehinderteneigenschaft der Klägerin<br />

rückwirkend für einen Zeitpunkt vor Ausspruch der Kündigung<br />

festgestellt hat (vgl. KR-Etzel, Gemeinschaftskommentar<br />

zum Kündigungsschutz, 7. Aufl., §§ 85 bis 90 Rn 16 m.w.N.).<br />

■ Arbeitsgericht Marburg<br />

vom 27. Oktober 2006, 2 Ca 183/06, rkr.<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Fridhelm Faecks, Wilhelmstraße<br />

27, 35037 Marburg, Tel.: 06421/1711-0, Fax: 06421-21985<br />

anwalt@kanzlei-geilhof.de; www.kanzlei-geilhof.de<br />

182. Unkündbarkeit, Einbeziehung tariflicher Regelungen<br />

in einem Arbeitsvertrag, Unklarheitenregelung, Auslegung<br />

einer Vertragsklausel<br />

Aus dem Tatbestand: ...<br />

Der Beklagte war in den Bereichen Jugendsozialarbeit <strong>und</strong><br />

Integration/Migration tätig. Insgesamt waren bei dem Beklagten<br />

12 Vollzeitstellen angesiedelt. ... Vertragliche Gr<strong>und</strong>lage<br />

der Tätigkeit der Klägerin war zuletzt der Arbeitsvertrag vom<br />

28.04.1995 ... , in dem es u. a. hieß:<br />

§ 2 „Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich in Anlehnung nach<br />

dem B<strong>und</strong>es-Ange- stelltentarifvertrag (BAT) vom 23. Februar<br />

1961 <strong>und</strong> den ergänzenden oder ändernden Tarifverträgen.<br />

§ 3 Die Probezeit beträgt ./. Monate.<br />

Die Kündigung bedarf der schriftlichen Form. Der Kündigungsschutz<br />

richtet sich nach dem Kündigungsschutzgesetz.“<br />

...<br />

Aus den Entscheidungsgründen: ...<br />

1. Auf die tarifvertragliche Unkündbarkeitsregelung nach<br />

§ 53 Abs. 3 BAT wegen mehr als 15-jähriger Beschäftigung<br />

<strong>und</strong> Überschreitens des 40. Lebensjahres kann sich die Klägerin<br />

nicht berufen. Denn bezüglich des Kündigungsschutzes<br />

haben die Parteien im Arbeitsvertrag die tarifvertragliche<br />

Regelung nicht einbezogen, sondern stattdessen auf die<br />

gesetzliche Regelung des Kündigungsschutzes Bezug genommen.<br />

Der Wortlaut des Vertrages lässt nur die eindeutige Schlussfolgerung<br />

zu, dass die Geltung des tarifvertraglichen Kündigungsschutzes<br />

gerade nicht gewollt war. Bereits aus § 2<br />

des Arbeitsvertrages ergibt sich, dass die Parteien ihrem<br />

Arbeitsverhältnis nicht uneingeschränkt die Geltung des BAT<br />

zugr<strong>und</strong>e legen wollten. Denn sie haben nicht die Formulierung<br />

gebraucht: „Das Arbeitsverhältnis richtet sich nach<br />

dem BAT“, sondern die Formulierung, das Arbeitsverhältnis<br />

richtet sich „in Anlehnung nach dem BAT.“ Durch den Zusatz<br />

„in Anlehnung“ ist deutlich gemacht, dass der BAT nicht<br />

uneingeschränkt, sondern nur eingeschränkt Anwendung<br />

finden sollte. Der Umfang der Einschränkung ergibt sich<br />

unmissverständlich aus § 3 des Arbeitsvertrages. Denn dort<br />

heißt es, dass sich der Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz<br />

richten soll. Damit ist deutlich gemacht,<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 54 01.09.2008 13:16:56


dass sich die Einschränkung der Geltung des BAT auf den<br />

Kündigungsschutz bezog, <strong>und</strong> dieser nur das gesetzliche<br />

Schutzniveau, nicht aber das darüber hinausgehende tarifliche<br />

Schutzniveau umfassen sollte. Diese unmittelbar aus dem<br />

Wortlautzusammenhang von § 2 <strong>und</strong> § 3 des Arbeitsvertrages<br />

folgende Auslegung wird durch Sinn <strong>und</strong> Zweck der Regelung<br />

unterstrichen. Denn der Parteiwille konnte angesichts der<br />

Ausgangssituation nicht darauf gerichtet sein, die tarifvertraglich<br />

vorgesehene Unkündbarkeit nach einer Beschäftigungszeit<br />

von 15 Jahren <strong>und</strong> Vollendung des 40. Lebensjahres zu<br />

garantieren. Denn eine solche tarifvertragliche Arbeitsplatzgarantie,<br />

die ihre Basis darin hat, dass der tarifvertraglich<br />

geb<strong>und</strong>ene Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes aufgr<strong>und</strong><br />

der Vielzahl der Arbeitsplätze, über die er verfügt, in der Lage<br />

ist, anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten zu verschaffen<br />

<strong>und</strong> auf diese Weise die Unkündbarkeit zu garantieren, konnte<br />

nicht auf einen Verein wie den der Beklagten übertragen<br />

werden, der insgesamt nur über 12 Vollzeitarbeitsstellen<br />

verfügte, keine relevanten eigenen Finanzmittel hatte <strong>und</strong> zu<br />

100 % von der Finanzierung durch die Streitverkündete zu 1.<br />

abhing.<br />

Diese Regelung hält auch der Inhaltskontrolle gemäß §§ 305 ff.<br />

BGB stand. Sie ist nicht unklar oder intransparent, sondern<br />

angesichts des klaren Wortlauts eindeutig <strong>und</strong> unmissverständlich.<br />

Sie enthält auch keine unangemessene Benachteiligung<br />

gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB, denn sie weicht nicht<br />

von der gesetzlichen Ausgangslage ab, sondern enthält im<br />

Gegenteil die Regelung, dass die gesetzliche Regelung des<br />

Kündigungsschutzes im Kündigungsschutzgesetz gelten soll.<br />

In diesem ist aber eine Unkündbarkeit nach langjähriger<br />

Beschäftigung nicht vorgesehen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 14. April 2008, 5 Sa 414/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Stephan Pauly, Kurt-<br />

Schumacher-Straße 16, 53113 Bonn, Tel.: 0228/620 90 10,<br />

Fax: 0228/620 90 91<br />

pauly@pauly-rechtsanwaelte.de;<br />

www.pauly-rechtsanwaelte.de<br />

183. Sonderkündigungsschutz Schwerbehinderte, Austauschen<br />

des Zustimmungsbescheides unerheblich<br />

Aus dem Tatbestand: ...<br />

Mit Schreiben vom 8. März 2006 beantragte die Beigeladene<br />

die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung der Klägerin<br />

zum 30. April 2006. ...<br />

Mit Bescheid vom 19. Dezember 2006 nahm der Beklagte<br />

seinen Bescheid vom 6. November 2006 zurück, da als Antragstellerin<br />

nicht die Beigeladene sondern irrtümlicherweise<br />

(ein anderes) Hotel benannt worden sei. Die Entscheidung<br />

habe sich somit an den falschen Adressaten gerichtet. Dem<br />

Bescheid war der erneute Zustimmungsbescheid vom 18. Dezember<br />

2006 beigefügt, der inhaltlich dem Bescheid vom 6.<br />

November 2006 entsprach.<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

Aus den Entscheidungsgründen: ...<br />

Der hiergegen vorgebrachte Einwand, der Antrag auf Zustimmung<br />

zur ordentlichen Kündigung der Klägerin vom 8. März<br />

2006 sei durch die Entscheidung des Beklagten vom 6. November<br />

2006 „verbraucht“ gewesen, so dass es nach Aufhebung<br />

dieser Entscheidung durch den Beklagten eines erneuten<br />

Antrages der Beigeladenen bedurft hätte, um – wie<br />

durch den Bescheid vom 18. Dezember 2006 geschehen – die<br />

Zustimmung zur Kündigung der Klägerin erteilen zu können,<br />

geht fehl.<br />

Die Rücknahme des Zustimmungsbescheides vom 6. November<br />

2006 durch den Rücknahmebescheid vom 19. Dezember<br />

2006 auf der Gr<strong>und</strong>lage von § 45 SGB X hat lediglich zur Folge,<br />

dass der Zustimmungsbescheid vom 6. November 2006 als<br />

Gr<strong>und</strong>lage für eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit<br />

der Klägerin durch die Beigeladene ausscheidet <strong>und</strong> damit<br />

der Antrag der Beigeladenen vom 8. März 2006 zunächst unbeschieden<br />

geb<strong>liebe</strong>n ist. Durch die Aufhebung des Zustimmungsbescheides<br />

vom 6. November 2006 hat somit das durch<br />

den Antrag der Beigeladenen vom 8. März 2006 eingeleitete<br />

Verwaltungsverfahren nicht seinen Abschluss gef<strong>und</strong>en, so<br />

dass über den Antrag – wie durch Bescheid vom 18. Dezember<br />

2006 geschehen – noch durch den Beklagten zu befinden war.<br />

■ Verwaltungsgericht Köln<br />

vom 3. April 2008, 26 K 1877/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Bernd M. Heinemann, Bonner<br />

Straße 158-160, 53757 St. Augustin, Tel.: 02241/210 12, Fax:<br />

02241/215 68<br />

kontakt@heinemann-<strong>und</strong>-coll.de, www.heinmann-<strong>und</strong>-coll.de<br />

184. Anhörungsfrist des Personalrats nach § 78 Abs. 2 S. 3<br />

HPVG; rückwirkende Zustimmung zur Kündigung durch<br />

das Integrationsamt, § 626 Abs. 2 BGB, Zugang einer Kündigung<br />

um 23.00 Uhr<br />

Aus den Gründen: ...<br />

II. Die Klage ist begründet. Das Arbeitsverhältnis wurde durch<br />

die beiden außerordentlichen Kündigungen vom 29. Dezember<br />

2006 bzw. vom 05. Januar 2007 nicht beendet.<br />

Beide Kündigungen sind bereits aus formellen Gründen<br />

rechtsunwirksam.<br />

1. Beide Kündigungen sind bereits nach § 85 SGB IX in<br />

Verbindung mit § 91 Abs. 1 SGB IX rechtsunwirksam.<br />

Danach bedürfen sowohl die ordentliche sowie die außerordentliche<br />

Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten<br />

Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen<br />

Zustimmung des Integrationsamtes.<br />

Durch den Ergänzungsbescheid des Versorgungsamtes<br />

Gießen vom 24.08.2007 ist der Kläger als schwerbehinderter<br />

Mensch mit einem Grad der Behinderung von 50 ab dem<br />

22.12.2006 anerkannt worden.<br />

Unstreitig lag bei Ausspruch der Kündigungen nicht die Zustimmung<br />

des Integrationsamtes vor.<br />

Damit ist das in § 85 SGB IX vom Gesetzgeber aufgestellte Er-<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 55 01.09.2008 13:16:56<br />

219


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

fordernis der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes<br />

zur Kündigung nicht gegeben. Die nachträgliche Zustimmung<br />

des Integrationsamtes mit Bescheid vom 18.07.2007 konnte<br />

die Unwirksamkeit der Kündigung nicht heilen.<br />

Der Klage war schon aus diesem Gr<strong>und</strong>e stattzugeben.<br />

2. Nur der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen,<br />

dass die Kündigung vom 29.12.2006 auch wegen einer<br />

fehlerhaften Anhörung des Personalrats rechtsunwirksam<br />

ist.<br />

Der Personalrat wurde von der Beklagtenseite zwar am<br />

22.12.2007 zur geplanten Kündigung angehört. Dabei handelte<br />

es sich allerdings um den letzten Arbeitstag des Jahres<br />

an der Philipps-Universität.<br />

Wegen der Dienstvereinbarung Weihnachtszeitregelung war<br />

die Universität vom 27.12. bis zum 29.12.2006 geschlossen.<br />

Der 30. <strong>und</strong> 31.12.2006 betrafen das Wochenende.<br />

Nach § 78 Abs. 2 Satz 3 HPVG beträgt die Anhörungsfrist des<br />

Personalrats drei Arbeitstage. Dieser hat unverzüglich, spätestens<br />

innerhalb von drei Arbeitstagen seine Stellungnahme<br />

zur geplanten Kündigung mitzuteilen.<br />

Der erste Arbeitstag nach der Anhörung vom 22.12.2006 wäre<br />

der 02.01.2007 gewesen. Die Anhörungsfrist wäre somit bis<br />

zum 03.01.2007 gelaufen. Zu diesem Zeitpunkt war die erste<br />

außerordentliche Kündigung bereits ausgesprochen.<br />

Die Formulierung „unverzüglich“ beinhaltet zwar, dass der<br />

Personalrat die Anhörungsfrist von drei Tagen nicht stets in<br />

vollem Umfange ausschöpfen darf, wenn eine unverzügliche<br />

Stellungnahme schon früher möglich ist. Das Gesetz der vertrauensvollen<br />

Zusammenarbeit gebietet es jedoch, dass der<br />

Arbeitgeber dem Personalrat vorher mitteilt, falls er vorzeitig<br />

kündigen will. Dieser Gr<strong>und</strong>satz gebietet es außerdem,<br />

dass die Anhörungsfrist nach den Umständen trotz der Abkürzung<br />

immer noch angemessen ist. Dies setzt voraus, dass<br />

der Personalrat noch die Möglichkeit zur Beratung hat. Alle<br />

nicht verhinderten Mitglieder müssen die Möglichkeit besitzen,<br />

an der Sitzung <strong>und</strong> der entsprechenden Beratung mit den<br />

notwendigen Erk<strong>und</strong>igungen teilnehmen zu können (KR-Etzel,<br />

8. Auflage, § 102 Rz 91).<br />

Diese Voraussetzungen waren vorliegend aufgr<strong>und</strong> der knappen<br />

Anhörung am letzten Arbeitstag nicht gegeben. Die erste<br />

außerordentliche Kündigung ist deshalb auch wegen Verstoßes<br />

gegen § 78 Abs. 2 HPVG rechtsunwirksam.<br />

3. Für die 2. Kündigung ist offenbar keine neue Personalratsanhörung<br />

erfolgt. Da nach der Rechtsprechung des BAG die<br />

erste Anhörung mit der ersten Kündigung bereits verbraucht<br />

war, hätte zur Wirksamkeit der Kündigung der Personalrat<br />

erneut angehört werden müssen. Da dies nicht erfolgte, ist<br />

auch deshalb die 2. Kündigung unwirksam.<br />

4. Ein weiterer Unwirksamkeitsgr<strong>und</strong> der Kündigung mit<br />

Schreiben vom 04.01.2007 ergibt sich daraus, dass die<br />

Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt wurde.<br />

Die Philipps-Universität hat ihre Ermittlungen zu den Kündigungen<br />

am 21.12.2007 abgeschlossen. Die weitere außer-<br />

220 03/08<br />

ordentliche Kündigung hätte deshalb spätestens bis zum<br />

04.01.2007 erfolgen müssen.<br />

Die Beklagte hat zwar die zweite außerordentliche Kündigung<br />

mit Schreiben vom 04.01.2007 am selben Tag gegen 23.00<br />

Uhr in den Briefkasten des Klägers geworfen. Gleichwohl kann<br />

das Gericht nicht von einem Zugang am 04.01.2007 ausgehen.<br />

Der Einwurf des Kündigungsschreibens um 23.00 Uhr in den<br />

Briefkasten des Klägers stellt einen Zugang der Kündigungserklärung<br />

zur „Unzeit“ dar. Der Kläger brauchte am Abend des<br />

04.01.2007 nicht mehr davon ausgehen, dass zu dieser Zeit<br />

noch eine Kündigungserklärung in seinen Briefkasten eingeworfen<br />

wird. Er hatte keine Pflicht mehr um 23.00 Uhr oder<br />

später seinen Briefkasten zu kontrollieren.<br />

Das Gericht geht deshalb mit der ständigen Rechtsprechung<br />

des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts davon aus, dass diese zweite<br />

außerordentliche Kündigung dem Kläger erst am 05.01.2007<br />

zugegangen ist.<br />

Mit dem Zugang am 05.01.2007 ist aber die Ausschlussfrist<br />

des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Die Kündigung ist auch<br />

aus diesem Gr<strong>und</strong>e rechtsunwirksam.<br />

Im Ergebnis ist somit festzuhalten, dass das Arbeitsverhältnis<br />

der Parteien weder durch die Kündigung vom 29.12.2006,<br />

noch durch die Kündigung vom 05.01.2007 beendet worden<br />

ist. Der Klage war deshalb insgesamt stattzugeben.<br />

■ Arbeitsgericht Marburg<br />

vom 19. Oktober 2007, 2 Ca 9/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Fridhelm Faecks, Wilhelmstraße<br />

27, 35037 Marburg, Tel.: 06421/1711-0,<br />

Fax: 06421-21985<br />

anwalt@kanzlei-geilhof.de; www.kanzlei-geilhof.de<br />

185. Kleinbetrieb, zentral geführte Verkaufsstelle, Versetzungsklausel,<br />

Auskunftspflicht § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG<br />

Entscheidungsgründe:<br />

Die Klage ist begründet.<br />

Die von der Beklagten unter dem 14.01.2008 erklärte Kündigung<br />

ist sozial ungerechtfertigt im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes,<br />

das auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung<br />

findet.<br />

Zu Recht weist die Klägerin darauf hin, dass bei einem Einzelhandelsunternehmen<br />

mit zentral gelenkten Verkaufsstellen<br />

nicht die einzelne Verkaufsstelle ein Betrieb im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes<br />

ist, sondern die Verkaufsstellen in ihrer<br />

Gesamtheit einen Betrieb darstellen. Die Beklagte hat trotz<br />

der an sie durch Beschluss vom 20.02.2008 ergangenen Auflage<br />

nichts zu ihrer Organisationsstruktur vorgetragen. Es war<br />

demgemäß entsprechend dem Vortrag der Klägerin davon<br />

auszugehen, dass die Verkaufsstellen zentral geleitet werden.<br />

Dies entspricht im Übrigen auch der Regelung im Arbeitsvertrag<br />

der Klägerin, nach der diese ja verpflichtet ist, auch in<br />

anderen Niederlassungen der Beklagten zu arbeiten. Dementsprechend<br />

sind die Beschäftigten sämtlicher Verkaufsstellen<br />

zusammen zu zählen. Das bei einer Zusammenrechnung die<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 56 01.09.2008 13:16:56


nach § 23 KSchG maßgebliche Anzahl von Beschäftigten nicht<br />

erreicht wird, hat die Beklagte nicht vorgetragen.<br />

Die Beklagte hat auch – trotz der an sie ergangenen Auflage –<br />

nichts dazu vorgetragen, dass betriebliche Gründe die Kündigung<br />

rechtfertigten. Die Entscheidung, eine bestimmte Verkaufsstelle<br />

eines Einzelhandelsunternehmens zu schließen,<br />

verringert nämlich die Arbeitsplätze nur dann, wenn auch<br />

feststeht, dass nicht anstelle der zu schließenden Filiale eine<br />

andere Filiale eröffnet wird. Dafür, dass die Beklagte nicht<br />

nur den Entschluss gefasst hatte, das gekündigte Ladenlokal<br />

zu schließen sondern auch den Entschluss, nicht ersatzweise<br />

ein anderes Ladenlokal aufzumachen, hat die Beklagte nichts<br />

vorgetragen. Der tatsächliche Verlauf der Ereignisse nach Ausspruch<br />

der Kündigung spricht im Übrigen dagegen, dass ein<br />

solcher Entschluss vorlag. Schließlich hat die Beklagte ein<br />

neues Ladenlokal eröffnet. Sie dürfte also trotz der Schließung<br />

des alten Ladenlokals weiterhin auf der Suche nach einem<br />

neuen Ladenlokal gewesen sein. Die Beklagte sei darauf hingewiesen,<br />

dass die Kündigung auch wegen mangelnder sozialer<br />

Auswahl fehlerhaft ist. Zu Recht weist die Klägerin darauf<br />

hin, dass die soziale Auswahl sich auf den gesamten Betrieb zu<br />

erstrecken hat. Da die Klägerin von ihrem Auskunftsanspruch<br />

nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG Gebrauch gemacht hat, hätte die<br />

Beklagte die entsprechende Auskunft erteilen müssen. Wird<br />

die verlangte Auskunft nicht erteilt, so hat dies zur Folge, dass<br />

im Kündigungsschutzprozess davon auszugehen ist, dass die<br />

soziale Auswahl fehlerhaft ist.<br />

Über die Frage, ob die Klägerin das Recht hat, einen Einsatz<br />

in Bergisch Gladbach zu verweigern, war im vorliegenden<br />

Verfahren nicht zu entscheiden. Es war nur festzustellen, dass<br />

die Kündigung aus den dargelegten Gründen unwirksam ist.<br />

■ Arbeitsgericht Solingen<br />

vom 28. Mai 2008, 3 Ca 154/08 lev<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. jur. Jürgen Höser, Kölner<br />

Straße 2, 50226 Frechen, Tel.: 02234/1820-0,<br />

Fax: 02234/1820-10<br />

office@hdup.de; www.hdup.de<br />

186. Kündigungsfrist, Beschäftigungszeit, Vorbeschäftigung<br />

als GmbH-Geschäftsführer<br />

Aus den Gründen: ...<br />

II. ... 2. ... Zutreffend ist zwar, dass Geschäftsführer einer<br />

GmbH gr<strong>und</strong>sätzlich nicht in einem Arbeitsverhältnis zur<br />

GmbH stehen (vgl. etwa BAG, vom 24.11.2005 -2 AZR 614/04-<br />

EZA § 1 KSchG Nr. 59). Daraus folgt in dessen nicht, dass die<br />

Zeiten einer Beschäftigung als Geschäftsführer <strong>und</strong> Zeiten<br />

einer sich nahtlos anschließenden Weiterbeschäftigung als<br />

Arbeitnehmer nicht insgesamt zur Bestimmung der maßgeblichen<br />

Kündigungsfrist nach § 622 BGB zu berücksichtigen<br />

sind. Gegenteiliges folgt vielmehr aus einer gebotenen<br />

entsprechenden Anwendung des § 622 BGB.<br />

Nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs (BGH,<br />

26.03.1984 -II ZR 120/83-, NJW 1984, 2528) ist anerkannt, dass<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

die Vorschrift des § 622 Abs. 1 BGB auf die Kündigung des<br />

Anstellungsverhältnisses des Geschäftsführers einer GmbH<br />

entsprechend anzuwenden ist, <strong>und</strong> zwar unabhängig davon,<br />

ob der Geschäftsführer am Kapital der Gesellschaft beteiligt<br />

ist. Eine entsprechende Anwendung ist geboten, da der<br />

Geschäftsführer – wie ein Arbeitnehmer – der Gesellschaft<br />

seine Arbeitskraft hauptberuflich zur Verfügung stellt <strong>und</strong><br />

von ihr je nach der Höhe seines Gehaltes mehr oder weniger<br />

wirtschaftlich abhängig ist. Ebenso bedarf auch der<br />

Geschäftsführer hinreichender Zeit, sich nach einer anderen<br />

hauptberuflichen Beschäftigung umzusehen. Da mit zunehmender<br />

Dauer einer solchen Beschäftigung typischerweise<br />

auch die hierfür erforderliche Zeitspanne zunehmen wird, ist<br />

auch eine entsprechende Anwendung des § 622 Abs. 2 BGB<br />

jedenfalls dann geboten, wenn der GmbH-Geschäftsführer<br />

seine ganze Arbeitskraft in den Dienst der Gesellschaft<br />

stellen muss <strong>und</strong> keinen beherrschenden Einfluss auf die<br />

GmbH hat (LAG Köln, 18.11.1998 -2 Sa 1063/98- NZA-RR<br />

1999, 300s.; KR-KSchG/Spilger, 8. Aufl., § 622, Rz 66; Erfurter<br />

Kommentar/Preis, 8. Aufl. § 622 Rz 14).<br />

Nach der Erklärung des Geschäftsführers der Berufungsbeklagten<br />

in der öffentlichen Sitzung vom 17.04.2008 war die<br />

Berufungsklägerin wirtschaftlich nicht selbst an der GmbH beteiligt.<br />

Dass die Berufungsklägerin neben ihrer seinerzeitigen<br />

Geschäftsführertätigkeit anderweitigen Verdienst erzielt hätte,<br />

ist nicht ersichtlich.<br />

Nach Auffassung der Berufungskammer sind ausgehend hiervon<br />

die nahtlos einem nachfolgenden Arbeitsverhältnis vorgelagerten<br />

Zeiten der Beschäftigung als Geschäftsführer bei<br />

der Bestimmung der maßgeblichen Kündigungsfrist ebenfalls<br />

<strong>und</strong> erst recht zu berücksichtigen. Ein sachlich einleuchtender<br />

Gr<strong>und</strong> hierfür, bei einer durchgehenden Beschäftigung<br />

als Geschäftsführer unter den genannten Voraussetzungen<br />

von den verlängerten Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 BGB<br />

auszugehen, nicht aber dann, wenn sich an die Beschäftigung<br />

als Geschäftsführer nahtlos ein Arbeitsverhältnis anschließt, ist<br />

nicht ersichtlich. Wird der Betreffende ohne Unterbrechung<br />

weitestgehend in seiner bisherigen Tätigkeit weiter beschäftigt,<br />

allerdings nunmehr in einem Arbeitsverhältnis, muss er<br />

nach Treu <strong>und</strong> Glauben nicht damit rechnen, dass nunmehr<br />

wiederum die kürzeste gesetzliche Kündigungsfrist von 4 Wochen<br />

zum 15. oder zum Ende eines Kalendermonats gilt. Von<br />

einem Arbeitgeber, der unter derartigen Umständen die Vereinbarung<br />

der kurzen Kündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB<br />

beabsichtigt, ist zu verlangen, dass er einen derartigen Willen<br />

deutlich zum Ausdruck bringt. Unklarheiten müssen insoweit<br />

zu seinen Lasten gehen (BAG, 24. November 2005 -2 AZR<br />

614/04-, EZA § 1 KSchG Nr. 59). Anhaltspunkte für derartige<br />

ausdrückliche Vereinbarungen anlässlich der Abberufung der<br />

Klägerin als Geschäftsführerin sind nicht ersichtlich.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 17. April 2008, 9 Sa 684/07<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 57 01.09.2008 13:16:56<br />

221


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

187. Kündigungsfrist, Probezeit, Vertragsklausel, Unklarheitenregelung<br />

Aus den Gründen:<br />

Die Parteien streiten über die Dauer der Kündigungsfrist für<br />

eine während der Probezeit von der Beklagten erklärte ordentliche<br />

Kündigung.<br />

Der Kläger war auf der Gr<strong>und</strong>lage des Arbeitsvertrages vom<br />

15.11.2006 seitdem 01.01.2007 als Technischer Projektmanager<br />

beschäftigt, in diesem Arbeitsvertrag heißt es unter Nr. 11<br />

„Vertragsdauer <strong>und</strong> Kündigung“:<br />

„11.2 Die Parteien vereinbaren eine Probezeit von sechs Monaten.<br />

Bis zum Ablauf der Probezeit kann der Vertrag beiderseitig<br />

unter Einhaltung einer Frist von vier Wochen zum<br />

Monatsende gekündigt werden. Danach kann der Vertrag unter<br />

Einhaltung einer Frist von drei Monaten zum Monatsende<br />

beiderseits schriftlich gekündigt werden. ... )“<br />

Mit dem Schreiben vom 20.06.2007, das dem Kläger am Folgetag<br />

zugegangen ist, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis<br />

ordentlich zum 31.07.2007.<br />

Mit seiner Klage hat sich der Kläger gegen eine Beendigung<br />

zum angegebenen Zeitpunkt gewandt <strong>und</strong> die Auffassung<br />

vertreten, es gelte die dreimonatige Kündigungsfrist.<br />

Aus den Gründen: ...<br />

2.1 Bereits der Wortlaut der Klausel lässt klar erkennen, dass<br />

„bis zum Ablauf der Probezeit“ eine Kündigung mit der vereinbarten<br />

abgekürzten Frist von vier Wochen zum Monatsende<br />

ausgesprochen werden kann. Durch die Formulierung „unter<br />

Einhaltung einer Frist ... “ wird diese zeitliche Befristung einer<br />

kürzeren Kündigungsfrist nicht ihrerseits verkürzt. Der Begriff<br />

„Einhaltung“ bedeutet eben nicht „Errechnung“. Vielmehr ist<br />

eine bestimmte Kündigungsfrist vereinbart, sie „gilt“ bzw. ist<br />

„einzuhalten“.<br />

Die Parteien haben damit zulässigerweise die nach § 622<br />

Abs. 3 BGB geltende Kündigungsfrist von zwei Wochen<br />

„während“ der vereinbarten Probezeit verlängert. Auch im<br />

Zusammenhang mit dieser gesetzlichen Regelung werden<br />

weder in Rechtsprechung noch in der Literatur Zweifel daran<br />

geäußert, dass bis zum letzten Tag der Probezeit eine Kündigung<br />

mit der kurzen Kündigungsfrist erklärt werden kann;<br />

maßgeblich ist nur, dass sie vor Ablauf der Probezeit dem<br />

Erklärungsempfänger zugegangen ist. Durch die Verwendung<br />

des Begriffs „während“ oder auch „innerhalb“ könnte eher<br />

der Gedanke aufkommen, dass auch das Ende des Arbeitsverhältnisses<br />

noch innerhalb der Probezeit liegen müsste,<br />

während nach der hier vorliegenden Vertragsklausel klar<br />

auf die Kündigungserklärung bis zum Ablauf der Probezeit<br />

abgestellt wird.<br />

2.2 Selbst wenn der Wortlaut des zweiten Satzes auch die<br />

vom Kläger vorgenommene Auslegung zuließe, würde die<br />

Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB nicht eingreifen.<br />

Der Kläger verkennt hier, dass eine Vertragsauslegung nicht<br />

mit der Interpretation des Wortlauts endet. Vielmehr ist der<br />

systematische Zusammenhang <strong>und</strong> Sinn <strong>und</strong> Zweck der Rege-<br />

222 03/08<br />

lung einzubeziehen. Erst wenn nach Ausschöpfung der Auslegungsmethoden<br />

ein nicht behebbarer Zweifel verbleibt, geht<br />

dies gemäß § 305c Abs. 2 BGB zulasten des Verwenders. Voraussetzung<br />

hierfür ist jedoch, dass die Auslegung einer einzelnen<br />

Vertragsklausel mindestens zwei Ergebnisse als vertretbar<br />

erscheinen lässt, d.h. es müssen erhebliche Zweifel an der<br />

richtigen Auslegung bestehen. Die entfernte Möglichkeit, zu<br />

einem anderen Ergebnis zu kommen, genügt für die Anwendung<br />

der Bestimmung nicht (BAG, Urt. v. 24.10.2007 – 10 AZR<br />

825/06 – II.1b) der Gründe, m.w.N.).<br />

■ Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg<br />

vom 28. März 2008, 22 Sa 2491/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Peter Schrader, Podbielskistraße<br />

33, 30163 Hannover, Tel.: 0511/215 55 63 -33,<br />

Fax: 0511/215 55 63-43<br />

kanzlei@neef-schrader-straube.de;<br />

www.neef-schrader-straube.de<br />

188. Kündigungsfrist, Probezeit, gesetzliche Höchstdauer<br />

unabhängig von der Tätigkeitsart zulässig<br />

Aus den Gründen: ...<br />

II. Die Beklagte konnte das Arbeitsverhältnis gemäß § 622<br />

Abs. 3 BGB durch die Kündigung vom 27. Juni 2006 mit einer<br />

Kündigungsfrist von zwei Wochen, gerechnet ab dem Zugang<br />

der Kündigung, zum 14. Juli 2006 beenden.<br />

1. Die Parteien haben im Arbeitsvertrag eine rechtswirksame<br />

Probezeitvereinbarung getroffen. Auch in befristeten Arbeitsverhältnissen<br />

ist die Vereinbarung einer Probezeit rechtlich<br />

möglich <strong>und</strong> zulässig (BAG, 4. Juli 2001 – 2 AZR 88/00 – EzA<br />

BGB§ 620 Kündigung Nr. 4).<br />

2. Die vereinbarte Probezeit von sechs Monaten hält sich<br />

innerhalb der von § 622 Abs. 3 BGB vorgegebenen Höchstgrenze.<br />

Von weiteren Voraussetzungen hängt die Wirksamkeit<br />

einer Probezeitvereinbarung i.S.v. § 622 Abs. 3 BGB nicht ab.<br />

Soweit im Schrifttum die Auffassung vertreten wird, die Probezeit<br />

dürfe nur so lang sein, wie dies zur Erprobung für die<br />

betreffende Tätigkeit erforderlich sei (vgl. KR-Spilger, 8. Aufl.,<br />

§ 622 BGB Rn 155b m.w.N), folgt dem der Senat nicht.<br />

a) Nach § 622 Abs. 3 BGB gilt während einer vereinbarten<br />

Probezeit, längstens für die Dauer von sechs Monaten, eine<br />

Kündigungsfrist von zwei Wochen. Nach dem Wortlaut des<br />

Gesetzes ist damit gr<strong>und</strong>sätzlich die vertraglich vereinbarte<br />

Dauer der Probezeit maßgeblich. Der Zusatz, „längstens<br />

für die Dauer von sechs Monaten“, bezieht sich auf die<br />

vereinbarte Dauer <strong>und</strong> schränkt die arbeitsvertraglichen<br />

Gestaltungsmöglichkeiten nur dahingehend ein, dass die<br />

Probezeitdauer sechs Monate nicht überschreiten darf. Nach<br />

Ablauf von sechs Monaten gilt – von der in § 622 Abs. 4 BGB<br />

geregelten Ausnahme abgesehen – zwingend die gesetzliche<br />

Gr<strong>und</strong>kündigungsfrist des Absatzes 1. Weitere Voraussetzungen<br />

für die Wirksamkeit einer Probezeitvereinbarung enthält<br />

§ 622 Abs. 3 BGB nicht.<br />

b) Der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 12/4902 S. 9) zu der<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 58 01.09.2008 13:16:56


am 15. Oktober 1993 in Kraft getretenen Neufassung des<br />

§ 622 BGB sind keine Anhaltspunkte für die Notwendigkeit<br />

einer einschränkenden Auslegung des § 622 Abs. 3 BGB zu<br />

entnehmen. ...<br />

Der erklärten Absicht des Gesetzgebers, mit der Regelung einer<br />

zweiwöchigen Kündigungsfrist während einer vereinbarten<br />

Probezeit einen gewissen Ausgleich für die Verlängerung<br />

der Gr<strong>und</strong>kündigungsfrist für Arbeiter zu schaffen, liefe es<br />

zuwider, wenn bei einfacheren Tätigkeiten, wie sie gerade<br />

von gewerblichen Arbeitnehmern oftmals zu leisten sind, der<br />

gesetzliche Rahmen für Probezeitvereinbarungen von sechs<br />

Monaten eingeschränkt würde.<br />

c) Gegen eine einzelfallbezogene Bestimmung der angemessenen<br />

Probezeitdauer spricht auch der Zweck der<br />

Probezeit.<br />

aa) Der Arbeitgeber soll während der Probezeit die Leistungsfähigkeit<br />

des Arbeitnehmers prüfen können. Diese<br />

Prüfung ist nicht lediglich auf die in Aussicht genommene<br />

Tätigkeit bezogen (so aber Erman/Belling, BGB, 11. Aufl., § 622<br />

Rn 8), sondern umfassend zu verstehen. Zweck der Probezeit<br />

ist auch, dem Arbeitgeber Gelegenheit zur Prüfung der<br />

Zuverlässigkeit <strong>und</strong> Pünktlichkeit des Arbeitnehmers sowie<br />

zur Beobachtung der Zusammenarbeit mit <strong>Kollegen</strong> zu geben.<br />

Diese Sachverhalte können regelmäßig erst nach einem<br />

etwas längeren Zeitraum einigermaßen zuverlässig beurteilt<br />

werden. Es gibt keinen Erfahrungssatz, dass die Eingliederung<br />

in die Belegschaft <strong>und</strong> das Einfügen in Arbeitsabläufe<br />

bei gewerblichen Arbeitnehmern, die einfache Tätigkeiten<br />

verrichten, schneller als bei Angestellten festgestellt werden<br />

können.<br />

bb) Des Weiteren darf nicht außer Betracht gelassen werden,<br />

dass die Vereinbarung einer Probezeit für beide Seiten<br />

Wirksamkeit entfaltet. Auch der Arbeitnehmer hat während<br />

der Probezeit die Möglichkeit, sich mit kurzer Frist vom Arbeitgeber<br />

zu trennen. Dem kann nicht entgegengehalten werden,<br />

dass die Verurteilung zur Leistung von Diensten aus einem<br />

Dienstvertrag nicht vollstreckbar (§ 888 Abs. 3 ZPO) <strong>und</strong> damit<br />

als solche nicht erzwingbar ist, weshalb die Länge der einzuhaltenden<br />

Kündigungsfrist für den Arbeitnehmer von geringerer<br />

Bedeutung sei. Eine solche Betrachtung verbietet sich,<br />

weil sie in unzulässiger Weise den vertragsuntreu Handelnden<br />

zum Normalfall erhebt. Auf die Möglichkeit des Arbeitnehmers,<br />

die Arbeitsbedingungen erproben zu können, wird<br />

zudem auch in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 12/4902<br />

S. 9) ausdrücklich abgestellt. ...<br />

■ B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />

vom 24. Januar 2008, 6 AZR 519/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. jur. Heinrich Gussen,<br />

Rietberger Straße 2, 33378 Rheda-Wiedenbrück,<br />

Tel.: 05242/9204-0, Fax: 05242/9204-48<br />

rechtsanwaelte@pgwc.de; www.pgwc.de<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

189. Kündigungsschutzklage, nachträgliche Zulassung,<br />

subjektives Verschulden<br />

II. 1. ... Gem. § 5 Abs. 3 KSchG darf ein Arbeitnehmer den<br />

Antrag auf eine nachträgliche Klage Zulassung <strong>und</strong> die Einreichung<br />

der verspäteten Kündigungsschutzklage nicht schuldhaft<br />

verzögern. Hierbei ist – wie bezüglich § 5 Abs. 1 KSchG –<br />

von einem subjektiven Verschuldensbegriff auszugehen (vgl.<br />

Ascheid/Hesse, KSchG, 3. Aufl., § 5 KSchG-, Rn 79). Das Hindernis<br />

ist behoben, wenn der Arbeitnehmer erkennt, dass die<br />

Klage verspätet ist, dass eine nachträgliche Zulassung beantragt<br />

werden kann <strong>und</strong> dass dabei die Frist des § 5 Abs. 3<br />

S. 1 KSchG einzuhalten ist, <strong>und</strong> er weiter in der Lage ist, die<br />

Klage zu erheben, oder wenn er bei Anwendung der hierzu<br />

erforderlichen Sorgfalt in der Lage wäre (vgl. Ascheid/Hesse,<br />

a.a.O., m.w.N.). Letzteres setzt voraus, dass der Arbeitnehmer<br />

auf Gr<strong>und</strong> konkreter Anhaltspunkte bei gehöriger Sorgfalt erkennen<br />

muss, dass die Frist möglicherweise versäumt ist (vgl.<br />

KR-Friedrich, 8. Auflage, § 5 KSchG, Rn 110 f.). Solche Umstände<br />

sind vorliegend aber erst nach Kenntnisnahme der<br />

Kündigung am Samstag, den 18.08.2007, ersichtlich.<br />

Der Kläger hat glaubhaft gemacht, dass er auf Gr<strong>und</strong> der<br />

erlittenen Fehlgeburt seiner Ehefrau in der Türkei, diese unmittelbar<br />

nach Rückkehr in die B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland<br />

am 17.08.2007 um 03:00 Uhr in das Krankenhaus gefahren<br />

hat, ... dass er seine Ehefrau im Krankenhaus bis in die<br />

Abendst<strong>und</strong>en betreut <strong>und</strong> erst am Morgen des 18.08.2007 –<br />

den Briefkasten geleert habe.<br />

Es kann unterstellt werden, dass es dem Kläger gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

objektiv möglich gewesen wäre, von der Kündigung bereits<br />

am 17.08.2007 Kenntnis zu nehmen. Die urlaubsbedingte<br />

Abwesenheit war am frühen Morgen des 17.08.2008 beendet.<br />

Das Gericht vermag jedoch unter den konkreten Umständen<br />

keinen subjektiven Sorgfaltspflichtverstoß darin zu erkennen,<br />

dass der Kläger sich zunächst mit seiner Ehefrau in das<br />

ortsansässige Krankenhaus begeben hat <strong>und</strong> dort bis in die<br />

Abendst<strong>und</strong>en bei ihr geb<strong>liebe</strong>n ist. Dass er anschließend<br />

nicht noch am Abend des 17.08.2007 sein Post durchgesehen<br />

hat, sondern erst am darauffolgenden Morgen, erscheint dem<br />

Gericht in Anbetracht der Gesamtumstände, insbesondere im<br />

Hinblick auf die erlittene Fehlgeburt seiner Ehefrau während<br />

des Urlaubs <strong>und</strong> dem sich anschließenden Krankenhausaufenthalt,<br />

nicht als eine Verletzung von Sorgfaltspflichten. Der<br />

Kläger hat- daher die Einreichung des Antrages auf nachträgliche<br />

Klagezulassung nicht schuldhaft verzögert. ...<br />

2. ... Gr<strong>und</strong>sätzlich ist einem Arbeitnehmer die nachträgliche<br />

Zulassung der Kündigungsschutzklage zu gewähren,<br />

wenn ihm die Kündigung während einer ’urlaubsbedingten<br />

Abwesenheit’ zugeht <strong>und</strong> er erst nach Ablauf der dreiwöchigen<br />

Klagefrist aus dem Urlaub zurückkehrt (vgl. LAG Hamm,<br />

Beschl. v. 08.02.2007, Az: 1 Ta 769/06). Nichts anderes kann<br />

gelten, wenn die Rückkehr aus dem Urlaub so kurz vor Ablauf<br />

der dreiwöchigen Klagefrist erfolgt, dass zwischen dem<br />

Urlaubsende <strong>und</strong> dem Ablauf der Klagefrist nicht genügend<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 59 01.09.2008 13:16:56<br />

223


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

Zeit zur Verfügung steht, um rechtzeitig Klage gegen die<br />

Kündigung einzureichen (vgl. LAG Hamm, a.a.O.). Vorliegend<br />

kehrte der Kläger am 17.08.2007 um 03:00 Uhr aus dem<br />

Urlaub zurück. Die verbleibenden 21 St<strong>und</strong>en stellen nach<br />

Ansicht des Gerichts jedoch offensichtlich keinen ausreichenden<br />

Zeitraum dar, in welchem eine rechtzeitige Einreichung<br />

der Kündigungsschutzklage erwartet werden kann.<br />

■ Arbeitsgericht Nürnberg – Gerichtstag Ansbach –<br />

vom 8. November 2007, 8 Ca 6004/07 A<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Bertram Bauer, Reitbahn 3,<br />

91522 Ansbach, Tel.: 0981/971270-0, Fax: 0981/971270-30<br />

info@rae-pbw.de; www.rae-pbw.de<br />

190. Befristung des Arbeitsverhältnisses, Sachgr<strong>und</strong>, Vertretungsbedarf,<br />

steigende Anforderungen bei mehreren<br />

Befristungen<br />

Aus dem Tatbestand:<br />

Die Parteien streiten um die Entfristung ihres Arbeitsverhältnisses.<br />

Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 14. 5. 2001 infolge<br />

von 24 befristeten Verträgen als Zusteller beschäftigt. Mit dem<br />

zuletzt am 26.6.2007 geschlossenen Arbeitsvertrag, ... wurde<br />

der Kläger befristet für die Zeit vom 1. 7. 2007 bis zum 31.<br />

8. 2007 mit einer wöchentlichen Arbeitszeit (WAZ) von 30<br />

St<strong>und</strong>en eingestellt. Als Befristungsgr<strong>und</strong> enthält der Arbeitsvertrag<br />

die Angabe „TzBfG § 14 Abs. 1 Nr. 3“.<br />

Aus den Entscheidungsgründen:<br />

Die Klage hat Erfolg. ...<br />

Der sachliche Rechtfertigungsgr<strong>und</strong> einer Befristungsabrede<br />

zur Vertretung (§ 14 Abs. 1 Nr. 3 TzBfG) liegt nicht vor.<br />

Der Arbeitgeber ist zwar gr<strong>und</strong>sätzlich frei zu entscheiden,<br />

ob <strong>und</strong> wie er den Vertretungsbedarf befriedigt. Er kann deshalb<br />

auf eine Vertretung ganz verzichten oder die Aufgaben<br />

der abwesenden Kraft auf andere Arbeitnehmer ganz oder<br />

teilweise übertragen. Entschließt sich ein Arbeitgeber jedoch<br />

dazu, den Vertretungsbedarf durch eine befristete Neueinstellung<br />

abzudecken, erfordert dies eine Darlegung des Zusammenhangs<br />

zwischen dem zeitweisen Arbeitskräfteausfall <strong>und</strong><br />

der Einstellung einer Vertretungskraft. Dabei ist die Prognose<br />

des Arbeitgebers über den voraussichtlichen Wegfall des Vertretungsbedarfs<br />

Teil des Sachgr<strong>und</strong>s.<br />

Einen dahingehenden Vortrag hat die Beklagte zur Überzeugung<br />

der Kammer nicht unterbreitet. Soweit die Beklagte<br />

im Einzelnen geltend macht, der Kläger habe zur ÜZA-<br />

Abwicklung/Freizeitansprüchen die Zusteller Wu., Wi., Ro.,<br />

Nä. <strong>und</strong> Sohl. vertreten, fehlt es im Einzelnen bereits an<br />

einem Vorbringen der von diesen Mitarbeitern geleisteten<br />

Mehrarbeit/Überst<strong>und</strong>en. Mit Recht verweist der Kläger<br />

darüber hinaus darauf hin, dass mit zunehmender Dauer<br />

der Beschäftigung beim selben Arbeitgeber auch die Anforderungen<br />

an den Sachgr<strong>und</strong> der Befristung steigen. Dies<br />

bedeutet, dass die Prognose des Arbeitgebers, nach Ablauf<br />

der Befristung werde an der Arbeitsleistung des befristet<br />

224 03/08<br />

eingestellten Arbeitnehmers kein Bedarf mehr bestehen,<br />

mit erhöhter Sorgfalt zu stellen ist. Dass bei Abschluss des<br />

befristeten Vertrages vom 26. 6. 2007 hinreichend sichere<br />

Anhaltspunkte für einen endgültigen Wegfall des Vertretungsbedarfs<br />

vorgelegen haben, hat die Beklagte nicht dargelegt.<br />

Der – lapidare – Hinweis darauf, dass der Betriebsleitung vor<br />

Vertragsabschluss der Bedarf an Freizeitabwicklung bekannt<br />

gewesen sei, genügt insoweit nicht.<br />

■ Arbeitsgericht Berlin<br />

vom 4. März 2008, 41 Ca 12442/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Friedemann Koch, Marburger<br />

Straße 16, 10789 Berlin, Tel.: 030/212 48 99-0,<br />

Fax: 030/212 48 99-20<br />

kanzlei@friedemann-koch.de; www.friedemann-koch.de<br />

191. Befristung, Verlängerung, Änderung von Vertragsbedingungen<br />

Entscheidungsgründe:<br />

Die zulässige Klage ist begründet. Zwischen den Parteien<br />

besteht über den 14.10.2007 hinaus ein unbefristetes <strong>und</strong><br />

ungekündigtes Arbeitsverhältnis.<br />

Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 1. Halbs. TzBfG ist die kalendermäßige<br />

Befristung eines Arbeitsvertrags ohne Vorliegen eines sachlichen<br />

Gr<strong>und</strong>es bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig. Bis zu<br />

dieser Gesamtdauer ist nach § 14 Abs. 2 Satz 1 2. Halbs. TzBfG<br />

auch die höchstens dreimalige Verlängerung eines befristeten<br />

Arbeitsvertrags zulässig. Das Tatbestandsmerkmal der Verlängerung<br />

i.S.d. § 14 Abs. 2 Satz I 2. Halbs. TzBfG eines nach § 14<br />

Abs. 2 Satz 1 1. Halbs. TzBfG sachgr<strong>und</strong>los befristeten Arbeitsvertrags<br />

setzt voraus, dass die Vereinbarung über das Hinausschieben<br />

des Beendigungszeitpunkts noch vor Abschluss<br />

der Laufzeit des bisherigen Vertrags in schriftlicher Form vereinbart<br />

war <strong>und</strong> der Vertragsinhalt ansonsten unverändert<br />

bleibt. Andernfalls liegt der Neuabschluss eines befristeten<br />

Arbeitsvertrags vor, der nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG ohne<br />

Sachgr<strong>und</strong> unzulässig ist, da zwischen den Parteien bereits<br />

ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Hingegen ist die einvernehmliche<br />

Änderung der Arbeitsbedingungen während der<br />

Laufzeit eines sachgr<strong>und</strong>los befristeten Arbeitsvertrags befristungsrechtlich<br />

nicht von Bedeutung. Eine derartige Vereinbarung<br />

unterliegt nicht der Befristungskontrolle. Sie enthält<br />

keine erneute, die bereits bestehende Befristungsabrede ablösende<br />

Befristung, die ihrerseits auf ihre Wirksamkeit überprüft<br />

werden könnte. Einer Verlängerung i.S.d, § 14 Abs. 2<br />

Satz 1 2. Halbs. TzBfG steht nicht entgegen, dass bereits zuvor<br />

erfolgte Änderungen der Vertragsbedingungen in den Text<br />

der Verlängerungsvereinbarung aufgenommen werden. Diese<br />

können etwa auf der Änderung einer für das Arbeitsverhältnis<br />

anzuwendenden Kollektivvereinbarung oder zwischenzeitlich,<br />

getroffenen Abreden über die für das Vertragsverhältnis geltenden<br />

Arbeitsbedingungen beruhen. In beiden Fällen wird<br />

nur der zum Zeitpunkt der Verlängerung geltende Vertragsinhalt<br />

in der Urk<strong>und</strong>e dokumentiert. Der Arbeitnehmer soll bei<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 60 01.09.2008 13:16:57


der Entscheidung über die Verlängerung des nach § 14 Abs. 2<br />

Satz 1 1. Halbs. TzBfG befristeten Arbeitsverhältnisses davor<br />

geschützt werden, dass der Arbeitgeber dessen Fortsetzung<br />

davon abhängig macht, dass der Arbeitnehmer geänderte Arbeitsbedingungen<br />

akzeptiert oder dass er durch das Angebot<br />

anderer Arbeitsbedingungen zum Abschluss eines weiteren<br />

sachgr<strong>und</strong>los befristeten Arbeitsvertrags veranlasst wird<br />

(ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. Urteil vom 23.8.2006,<br />

7 AZR 12/06).<br />

Nach diesen Kriterien haben die Parteien am 1.3.2006 einen<br />

neuen befristeten Vertrag geschlossen <strong>und</strong> nicht etwa den 1.<br />

Vertrag lediglich verlängert. Der 2. Vertrag enthält erstmals<br />

in § 3 Abs. 2 eine Verpflichtung des Klägers, bei Bedarf Bereitschaftsdienst<br />

zu leisten. Diese Klausel dient entgegen der<br />

Auffassung der Beklagten nicht der Anpassung an die bereits<br />

geltende Rechtslage, da der Kläger zuvor nicht verpflichtet<br />

war, Bereitschaftsdienst zu leisten.<br />

1) Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger sich im Rahmen<br />

des Einstellungsgesprächs damit einverstanden erklärt<br />

hat, Bereitschaftsdienst zu leisten. Eine solche Verpflichtung<br />

wäre unwirksam, da sie nicht schriftlich vereinbart worden<br />

ist. Die Parteien haben auch nicht etwa die Schriftformklausel<br />

wirksam mündlich aufgehoben. Eine Schriftformklausel, die –<br />

wie hier in § 11 Abs. 2 des 1. Vertrags bzw. in § 12 Abs. 2 des 2.<br />

Vertrags – nicht nur Vertragsänderungen von der Schriftform<br />

abhängig macht, sondern auch die Änderung der Schriftformklausel<br />

ihrerseits von der Einhaltung der Schriftform abhängig<br />

macht („doppelte Schriftformklausel“), kann nicht durch eine<br />

die Schriftform nicht wahrende Vereinbarung abbedungen<br />

werden (BAG, Urteil vom 24.6.2003 – 9 AZR 302/02).<br />

2. Der Vortrag der Beklagten, die Verpflichtung Bereitschaftsdienst<br />

zu leisten, entspreche den üblichen Gepflogenheiten<br />

bei ihr, ist unerheblich, da sich daraus keine<br />

Verpflichtung zur Ableistung von Bereitschaftsdienst ergibt.<br />

3. Die GBV begründet keine Verpflichtung für die Arbeitnehmer<br />

der Beklagten, Bereitschaftsdienst zu leisten.<br />

Auf die anderen von den Parteien angeschnittenen Rechtsfragen<br />

war somit nicht weiter einzugehen.<br />

■ Arbeitsgericht München<br />

vom 24. Juni 2008, 21 Ca 14.55907<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Thomas Keller, Rindermarkt 3 +<br />

4, 80331 München, Tel.: 089/242230-0, Fax: 089/24223030<br />

sekretariat2@keller-menz.de; www.keller-menz.de<br />

Betriebsverfassungs-/<br />

Personalvertretungsrecht<br />

192. Betriebsvereinbarung, ablösende, Nachwirkung<br />

Aus den Gründen: ...<br />

1. ... Der Kläger hat ... jedenfalls durch konkludentes Handeln<br />

einen entsprechenden arbeitsvertraglichen Anspruch erworben.<br />

...<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Personalvertretungsrecht<br />

3. Dem Anspruch steht nicht § 3 der Betriebsvereinbarung<br />

vom 28.06.2004 entgegen. Die Betriebsvereinbarung galt, sofern<br />

sie überhaupt dem Anspruch entgegenstehen könnte,<br />

nur bis 31.12.2004. Sie wirkte nicht nach.<br />

Fraglich ist schon, ob durch die Betriebsvereinbarung ein<br />

günstiger arbeitsvertraglicher Anspruch aufgehoben werden<br />

könnte. Das wäre nur der Fall, wenn die – konkludente –<br />

einzelvertragliche Vereinbarung betriebsver- einbarungsoffen<br />

ausgestaltet gewesen wäre (vgl. BAG, 03.11.1981, 8 AZR<br />

316/81, NZA 1988, 509), dafür fehlt hier aber jeder Anhaltspunkt.<br />

Davon abgesehen wirkt die Betriebsvereinbarung nicht nach.<br />

Gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG gelten nach Ablauf einer Betriebsvereinbarung<br />

ihre Regelungen weiter, bis sie durch eine andere<br />

Abmachung ersetzt werden, allerdings nur „in Angelegenheiten,<br />

in denen ein Spruch der Einigungsstelle die Einigung<br />

zwischen Arbeitgeber <strong>und</strong> Betriebsrat ersetzen kann“,<br />

also in Fällen der zwingenden Mitbestimmung. Das ist hier<br />

bereits zweifelhaft, weil hinsichtlich des zusätzlichen Freizeitausgleichs<br />

für Spielverbotstage ein Mitbestimmungsrecht des<br />

Betriebsrats, insbesondere nach § 87 BetrVG, nicht ersichtlich<br />

ist. Handelt es sich damit bei der Betriebsvereinbarung vom<br />

28.06.2004 um eine freiwillige Betriebsvereinbarung, gilt auch<br />

keine Nachwirkung.<br />

Davon, abgesehen lässt die Vorschrift des § 77 Abs. 6 BetrVG<br />

abweichende Vereinbarungen zu. Die Betriebsparteien<br />

können die dort angeordnete Nachwirkung von mitbestimmungspflichtigen<br />

Regelungen sowohl von vornherein als<br />

auch erst für die Zeit nach Ablauf einer vereinbarten Frist<br />

ausschließen (vgl. Fitting u.a., BetrVG, 23. Aufl. 2006, § 77<br />

Rn 180 m.w.N.). So ist es hier. Die Betriebsvereinbarung sollte<br />

von vornherein nur gelten bis 31.12.2004. Die Nachwirkung<br />

war damit zumindest konkludent ausgeschlossen, denn in<br />

sämtlichen Regelungen der Betriebsvereinbarung wird ausdrücklich<br />

immer wieder auf dieses Datum abgestellt <strong>und</strong> eine<br />

Neuregelung sollte es nur aufgr<strong>und</strong> neuer Verhandlungen<br />

unter Beachtung der wirtschaftlichen Entwicklung geben,<br />

wie der letzte Satz in § 8 der Betriebsvereinbarung deutlich<br />

macht. ...<br />

■ Arbeitsgericht Berlin<br />

vom 5. Februar 2008, 38 Ca 2003/07, rkr.<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Thomas Schwirtzek, Einemstraße<br />

11, 10787 Berlin, Tel.: 030/2308190, Fax: 030/23881919<br />

kanzlei@advo-l-s.de; www.advo-l-s.de<br />

193. Betriebsratsschulung über die Strafvorschriften des<br />

BetrVG<br />

1. Die Strafrechtsvorschriften der § 119, 120 BetrVG gehören<br />

als Teil des BetrVG zum Gr<strong>und</strong>lagenwissen für Betriebsräte.<br />

2. Eine darauf bezogene Betriebsratsschulung kann als erforderlich<br />

für die Arbeit des Betriebsrates im Sinne des § 37<br />

Abs. 6 BetrVG angesehen werden.<br />

3. Eine solche Schulung ist nicht erst dann als erforderlich<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 61 01.09.2008 13:16:57<br />

225


Rechtsprechung<br />

Betriebsverfassungsrecht<br />

anzusehen, wenn der Arbeitgeber in strafrechtlich relevanter<br />

Weise versucht hat, Betriebsräte unter Verstoß gegen § 119<br />

BetrVG zu beeinflussen; vielmehr gehört es zum Gr<strong>und</strong>lagenwissen,<br />

solche Beeinflussungsversuche im Vorhinein erkennen<br />

<strong>und</strong> abwehren zu können.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 21. Januar 2008, 14 TaBV 44/07, Rechtsbeschwerde eingelegt<br />

zum AZ: 7 ABR 34/08<br />

194. Betriebsratswahl, Abbruch durch einstweilige Verfügung,<br />

Verfügungsgr<strong>und</strong>, Sanktion gegen Wahlvorstand<br />

Aus den Gründen:<br />

II. Die Anträge sind zulässig, aber unbegründet.<br />

1. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung ist auch im Beschlussverfahren<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich gemäß § 85 Abs. 2 ArbGG zulässig.<br />

2. Die Antragstellerin (Arbeitgeberin) ist im vorliegenden Verfahren<br />

auch antragsbefugt. Dies ergibt sich aus einer analogen<br />

Anwendung des § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG, weil die<br />

Zielsetzung in einem vorgeschalteten Kontrollverfahren vergleichbar<br />

ist mit der Situation im Anfechtungsverfahren (vgl.<br />

Kreutz, GK-BetrVG, 8. Aufl., § 18 Rn 68).<br />

3. Es fehlt aber schon am Verfügungsgr<strong>und</strong>, d.h. der besonderen<br />

Eilbedürftigkeit.<br />

Diese ist für Anträge im einstweiligen Verfügungsverfahren<br />

in einem laufenden Wahlverfahren zwar in aller Regel bereits<br />

deshalb gegeben, weil eine Entscheidung im arbeitsgerichtlichen<br />

Beschlussverfahren nicht mehr rechtzeitig bis zur<br />

Durchführung der Wahl herbeigeführt werden kann. Im vorliegenden<br />

Fall ist die Wahl aber nicht vor Mitte August 2008<br />

geplant. Ein Zeitraum von annähernd drei Monaten reicht<br />

nach Auffassung der Kammer aus, um eine Entscheidung im<br />

Hauptsacheverfahren zu erreichen.<br />

Entgegen der Ansicht der Antragstellerin können allein die<br />

durch die weiteren Wahlvorbereitungen verursachten zukünftigen<br />

Kosten nicht ausreichen, um eine besondere Eilbedürftigkeit<br />

zu begründen. Schließlich ist dem Gesetzgeber das<br />

Problem einer möglicherweise anfechtbar durchgeführten Betriebsratswahl<br />

bekannt. Trotzdem hat er für die Entscheidung<br />

über die Wirksamkeit der Wahl – im Gegensatz etwa zur Bestellung<br />

eines Einigungsstellenvorsitzenden – kein besonderes,<br />

abgekürztes Verfahren ins Arbeitsgerichtsgesetz aufgenommen.<br />

Es bleibt daher bei den allgemeinen zivilprozessualen Voraussetzungen<br />

für den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Erforderlich<br />

ist mithin, dass die einstweilige Verfügung zur Abwehr<br />

wesentlicher Nachteile erforderlich ist. Verglichen mit der Aufrechterhaltung<br />

eines betriebsratslosen Zustandes handelt es<br />

sich bei den Kosten, die im Übrigen nicht weiter beziffert oder<br />

aufgeschlüsselt worden sind, nicht um wesentliche Nachteile.<br />

4. Offenbleiben kann daher, ob ein Verfügungsanspruch besteht.<br />

5. Hinsichtlich des Antrags auf Androhung von Zwangsgeld,<br />

226 03/08<br />

hilfsweise Zwangshaft gegenüber den Antragsgegner geht<br />

die Kammer zudem davon aus, dass dieser ohnehin nicht<br />

gerechtfertigt ist.<br />

Es ist nicht gerechtfertigt, die Wahrnehmung eines Ehrenamtes<br />

mit Sanktionen zu belegen (so auch das Sächsisches Landesarbeitsgericht,<br />

Beschluss vom 19.04.2006 – 8 TaBV 10/06<br />

zitiert nach juris).<br />

■ Arbeitsgericht Wesel<br />

vom 20. Mai 2008, 5 BVGa 2/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Christian Puhr-Westerheide,<br />

Beethovenstraße 21, 47226 Duisburg, Tel.: 02065/3000-0,<br />

Fax: 02065/3000-50<br />

info@ra-npp.de; www.ra-npp.de<br />

195. Einigungsstelle, Einsetzungsverfahren, offensichtliche<br />

Unzuständigkeit, tarifvertragliche Erweiterung des<br />

Mitbestimmungsrechts, Auslegung einer Tarifnorm, Betriebsratsbeschluss,<br />

Anforderungen an die Ladung<br />

Aus den Gründen:<br />

Die Beteiligten streiten um die Einrichtung einer Einigungsstelle.<br />

...<br />

Die Arbeitgeberin ist Mitglied des Verbandes des Deutschen<br />

Kraftfahrzeuggewerbes Nordrhein-Westfalen e.V. <strong>und</strong> wendet<br />

die Tarifverträge für das Kraftfahrzeuggewerbe im Land<br />

Nordrhein-Westfalen an. Im Mai 2006 verlangte der Betriebsrat<br />

die Umgruppierung (von) Mitarbeiterinnen. ... Es kam in<br />

der Folgezeit auch nach Hinzuziehung der Tarifvertragsparteien<br />

zu keiner Einigung zwischen den Betriebsparteien.<br />

Der Betriebsrat beantragte anschließend, die Angelegenheit<br />

der Einigungsstelle vorzulegen. Er berief sich auf § 6 des<br />

Entgeltrahmenabkommens <strong>und</strong> auf § 10 Abs. 2 Unterabs. 2<br />

des Manteltarifvertrages für das Kfz-Gewerbe NRW (MTV).<br />

§ 6 des Entgeltrahmenabkommens lautet:<br />

„Bei Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung dieses<br />

Vertrages ist entsprechend § 10 Ziffer 2 des Manteltarifvertrages<br />

zu verfahren.“<br />

In § 10 Ziffer 2 des Manteltarifvertrages heißt es wie folgt:<br />

„2. Kommt bei Meinungsverschiedenheiten über die Anwendung,<br />

Durchführung <strong>und</strong> Auslegung des Tarifvertrages zwischen<br />

dem Arbeitgeber <strong>und</strong> dem Betriebsrat ein Einvernehmen<br />

nicht zustande, sind die Tarifvertragsparteien hinzuzuziehen.<br />

Erfolgt auch dann keine Einigung, ist der Rechtsweg<br />

offen.<br />

Wenn sich die Tarifvertragsparteien auf keinen gemeinsamen<br />

Spruch zu der vorgelegten Meinungsverschiedenheit der Betriebsparteien<br />

einigen können, ist die Angelegenheit der Einigungsstelle<br />

gemäß Betriebsverfassungsgesetz vorzulegen.“<br />

Die Arbeitgeberin lehnte die Einrichtung einer Einigungsstelle<br />

ab. ...<br />

B. Die Beschwerde der Arbeitgeberin, gegen deren Zulässigkeit<br />

keine Bedenken bestehen, ist begründet. Denn die<br />

Anträge des Betriebsrates sind zwar zulässig, entgegen der<br />

Auffassung der Vorinstanz aber unbegründet.<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 62 01.09.2008 13:16:57


I. Die Anträge des Betriebsrats sind zulässig.<br />

1. Soweit die Arbeitgeberin erstmals in der Beschwerdeinstanz<br />

bestritten hat, dass der Einleitung des Beschlussverfahrens<br />

<strong>und</strong> der Vollmachterteilung des Verfahrensvertreters ein<br />

wirksamer Beschluss des Betriebsrates zugr<strong>und</strong>e gelegen<br />

habe, konnte das Vorbringen entgegen der Auffassung<br />

des Betriebsrates nicht schon als verspätet zurückgewiesen<br />

werden. Eine Zurückweisung nach § 87 Abs. 3 Satz 2 ArbGG<br />

scheidet aus, weil das Arbeitsgericht keine Fristen nach § 83<br />

Abs. 1a ArbGG gesetzt hat. Auch bei einem Verstoß der<br />

Arbeitgeberin gegen die allgemeine Prozessförderungspflicht<br />

des § 282 Abs. 1, Abs. 2 ZPO, die wegen § 67 Abs. 3 ArbGG<br />

jedenfalls im Urteilsverfahren gilt, kann neues Vorbringen<br />

nur dann nicht mehr zugelassen werden, wenn dies die<br />

Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde. Unabhängig<br />

davon, ob § 67 Abs. 3 ArbGG i.V.m. § 282 Abs. 1, Abs. 2 ZPO<br />

auch im Beschlussverfahren Anwendung finden kann, führt<br />

die Zulassung des neuen Vorbringens jedenfalls nicht zu einer<br />

Verzögerung des Verfahrens.<br />

2. Die Anträge sind auch unter Berücksichtigung des neuen<br />

Vorbringens nicht wegen Fehlens eines ordnungsgemäßen<br />

Beschlusses über die Einleitung des vorliegenden Verfahrens<br />

unzulässig.<br />

a. Ein von einem Verfahrensbevollmächtigten namens<br />

des Betriebsrats gestellter Antrag in einem arbeitsgerichtlichen<br />

Beschlussverfahren bedarf einer ordnungsgemäßen<br />

Beschlussfassung des Kollegialorgans über die Einleitung<br />

des Verfahrens. Fehlt es hieran, ist der Antrag als unzulässig<br />

zurückzuweisen (vgl. BAG, 1.10.1991 – 1 ABR 81/90 – n.v., zu<br />

B II der Gründe; 18.2.2003 – 1 ABR 17/02 – AP BetrVG 1972<br />

§ 77 Betriebsvereinbarung Nr. 11; 29.4.2004 – 1 ABR 30/02 –<br />

AP BetrVG 1972 § 77 Durchführung Nr. 3, zu B II 1aa der<br />

Gründe). Die Wirksamkeit eines Betriebsratsbeschlusses setzt<br />

voraus, dass er in einer Betriebsratssitzung gefasst worden<br />

ist, zu der die Mitglieder des Betriebsrats gemäß § 29 Abs. 2<br />

Satz 3 BetrVG rechtzeitig unter Mitteilung der Tagesordnung<br />

geladen worden sind (BAG, 28. 4. 1988 – 6 AZR 405/86 – AP<br />

BetrVG 1972 § 29 Nr. 2, zu II 3a der Gründe; 1.10.1991 – 1<br />

ABR 81/90 – n.v. zu B l 2. der Gründe). Der Betriebsrat muss<br />

sich auf Gr<strong>und</strong> einer ordnungsgemäßen Ladung als Gremium<br />

mit dem entsprechenden Sachverhalt befasst <strong>und</strong> durch<br />

Abstimmung eine einheitliche Willensbildung herbeigeführt<br />

haben (BAG, 14. 2.1996 – 7 ABR 25/95 – AP BetrVG 1972<br />

§ 76a Nr. 5, zu B II 4d. Gründe m.w.N.). Dabei müssen die in<br />

dem Beschlussverfahren zu stellenden Anträge nicht bereits<br />

im Einzelnen formuliert sein. Vielmehr ist es ausreichend,<br />

wenn der Gegenstand, über den in dem Beschlussverfahren<br />

eine Klärung herbeigeführt werden soll, <strong>und</strong> das angestrebte<br />

Ergebnis bezeichnet sind (BAG, 29.4.2004 – 1 ABR 30/02 – AP<br />

BetrVG.1972 § 77 Durchführung Nr. 3, zu B II 1aa der Gründe).<br />

...<br />

d. Angesichts des vorausgegangenen Beschlusses des Betriebsrates<br />

vom 19.10.2007 bestehen entgegen der Auffas-<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Personalvertretungsrecht<br />

sung der Arbeitgeberin auch keine Bedenken im Hinblick auf<br />

eine hinreichend deutliche Mitteilung der Tagesordnung in<br />

der Ladung zur Betriebsratssitzung. Die Aufstellung der Tagesordnung<br />

<strong>und</strong> ihre Mitteilung an die Betriebsratsmitglieder<br />

dienen dem Zweck, dass sich alle Betriebsratsmitglieder<br />

auf die Beratung der einzelnen Tagesordnungspunkte ordnungsgemäß<br />

vorbereiten können. In Hinblick darauf muss<br />

die Tagesordnung die zu behandelnden Punkte möglichst<br />

konkret angeben. Ihren Zweck erfüllt sie aber bereits dann,<br />

wenn den Betriebsratsmitgliedern aufgr<strong>und</strong> der Themenbezeichnung<br />

hinreichend klar ist, um welche Angelegenheit es<br />

sich handelt. Es dürfen deshalb keine zu hohen Anforderungen<br />

an die Tagesordnung gestellt werden. Angesichts der vorausgegangenen<br />

Gespräche mit der Arbeitgeberin <strong>und</strong> des zuvor<br />

gefassten Beschlusses zum Thema „Eingruppierung“ muss<br />

den Betriebsratsmitgliedern, da es weitere vergleichbare Streitigkeiten<br />

zwischen den Betriebspartnern nicht gab, jedenfalls<br />

die Arbeitgeberin selbst dies nicht behauptet hat, klar gewesen<br />

sein, dass es dabei um die Eingruppierung der Mitarbeiterinnen<br />

... <strong>und</strong> die Einrichtung einer Einigungsstelle ging.<br />

...<br />

II. Die Anträge des Betriebsrats sind jedoch unbegründet.<br />

Die Einsetzung einer Einigungsstelle mit dem vom Betriebsrat<br />

begehrten Regelungsgegenstand kommt nicht in Betracht.<br />

1. Gemäß § 98 Abs. 1 Satz 1 ArbGG kann ein Antrag<br />

auf Bestellung eines Einigungsstellenvorsitzenden <strong>und</strong> auf<br />

Festsetzung der Zahl der Beisitzer wegen fehlender Zuständigkeit<br />

der Einigungsstelle nur dann zurückgewiesen<br />

werden, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig<br />

ist. Offensichtlich unzuständig ist die Einigungsstelle, wenn<br />

bei fachk<strong>und</strong>iger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar<br />

ist, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates<br />

in der. fraglichen Angelegenheit, unter keinem rechtlichen<br />

Gesichtspunkt infrage kommt <strong>und</strong> sich die beizulegende<br />

Streitigkeit zwischen Arbeitgeber <strong>und</strong> Betriebsrat erkennbar<br />

nicht unter einen mitbestimmungspflichtigen Tatbestand des<br />

Betriebsverfassungsgesetzes subsumieren lässt (vgl. z.B. LAG<br />

Niedersachsen, 2.11.2006 – 1 TaBV 83/06 – NZA-RR 2007,<br />

134; LAG Hamm, 9.10.2006 – 10 TaBV 84/06 –; LAG Hamm,<br />

9.8.2004 – 10 TaBV 81/04 – AP ArbGG 1979 § 98 Nr. 14 m.w.N.).<br />

2. Eine offensichtliche Unzuständigkeit der begehrten Einigungsstelle<br />

in diesem Sinne liegt nach Auffassung des Beschwerdegerichts<br />

vor. Hinsichtlich der begehrten neuen – korrigierenden<br />

– Eingruppierung der Mitarbeiterinnen ... steht<br />

dem Betriebsrat kein Initiativrecht zu, das er über die Einigungsstelle<br />

durchsetzen könnte.<br />

a. Die Zuständigkeit der Einigungsstelle ergibt sich nicht<br />

aus §§ 99 ff. BetrVG. Nach der ständigen Rechtsprechung<br />

des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts kann der Betriebsrat bei Bestehen<br />

einer betriebsverfassungsrechtlichen Pflicht zur Ein- oder<br />

Umgruppierung, der der Arbeitgeber nicht nachkommt,<br />

gemäß § 101 BetrVG verlangen, dem Arbeitgeber zunächst<br />

die Ein- oder Umgruppierung in die maßgebliche Vergü-<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 63 01.09.2008 13:16:57<br />

227


AE200803_v_2008_09_01.PDF 64 01.09.2008 13:16:57


tungsordnung aufzugeben <strong>und</strong> ihn sodann zur Einholung<br />

seiner – des Betriebsrats – Zustimmung sowie bei deren<br />

Verweigerung zur Durchführung des Zustimmungsersetzungsverfahrens<br />

zu verpflichten (vgl., näher BAG, 26.10.2004 –<br />

1 ABR 37/03 – AP BetrVG 1972 § 99 Eingruppierung Nr. 29<br />

m.w.N.). Zur Entscheidung des Streits berufen sind die<br />

Arbeitsgerichte. Die Bildung einer betriebsverfassungsrechtlichen<br />

Einigungsstelle ist bei streitigen Ein- <strong>und</strong> Umgruppierungen<br />

gesetzlich nicht vorgesehen. Ob es sich bei<br />

der vom Betriebsrat begehrten neuen Eingruppierung der<br />

Mitarbeiterinnen nicht tatsächlich um eine Umgruppierung<br />

handelt, bei der dem Betriebsrat ein Initiativrecht<br />

auf Durchführung eines neuen Verfahrens nach §§ 99 ff.<br />

BetrVG zustehen könnte, konnte danach dahingestellt bleiben.<br />

b. Die Zuständigkeit der Einigungssteile folgt auch nicht aus<br />

§ 10 Ziffer 2 MTV. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die<br />

dort geregelte Vorlagepflicht an die Einigungsstelle, wenn die<br />

Tarifvertragsparteien sich auf keinen gemeinsamen Spruch<br />

der Meinungsverschiedenheit der Betriebsparteien haben einigen<br />

können, für alle dort geregelten Meinungsverschiedenheiten<br />

gilt oder nur dann, wenn die Einigungsstelle auch nach<br />

dem Betriebsverfassungsgesetz zuständig ist <strong>und</strong> damit ein<br />

echtes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates besteht. Die<br />

Tarifnorm regelt nur die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten<br />

über die Anwendung, Durchführung <strong>und</strong> Auslegung<br />

„des Tarifvertrages“, d.h. des Manteltarifvertrages. Vorliegend<br />

streiten die Betriebspartner aber über die Eingruppierung<br />

von Mitarbeitern in die Entgeltgruppen des Entgeltrahmenabkommens.<br />

Dieser regelt unter § 6, dass bei Meinungsverschiedenheiten<br />

über die Auslegung „dieses Vertrages“<br />

§ 10 Ziffer 2 MTV entsprechend gilt. Die Tarifvertragsparteien<br />

sind damit selbst davon ausgegangen, dass Meinungsverschiedenheiten<br />

betreffend das Entgeltrahmenabkommen<br />

jedenfalls nicht unmittelbar von § 10 Ziffer 2 MTV erfasst werden.<br />

Maßgebend ist insoweit § 6 Entgeltrahmenabkommen.<br />

c. Aber auch § 6 Entgeltrahmenabkommen begründet nicht<br />

die Zuständigkeit der Einigungsstelle. Das ergibt die Auslegung<br />

des Tarifvertrages.<br />

aa. Tarifverträge sind gr<strong>und</strong>sätzlich wie Gesetze auszulegen.<br />

Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Es ist jedoch über<br />

den reinen Wortlaut hinaus der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien<br />

<strong>und</strong> der damit von ihnen beabsichtigte Sinn<br />

<strong>und</strong> Zweck der Tarifnormen zu berücksichtigen, sofern <strong>und</strong><br />

soweit dies in den Tarifnormen seinen Niederschlag gef<strong>und</strong>en<br />

hat. Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang<br />

abzustellen, weil häufig nur aus ihm <strong>und</strong> nicht aus<br />

der einzelnen Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien<br />

geschlossen <strong>und</strong> nur bei Berücksichtigung<br />

des Gesamtzusammenhangs der Sinn <strong>und</strong> Zweck zutreffend<br />

ermittelt werden kann (vgl. BAG, 22.10.2002 – 3 AZR 664/01 –<br />

AP TVG § 1 Auslegung Nr. 185; BAG, 12.09.1984 – 4 AZR<br />

336/82 – BAGE 46, 308). Noch verbleibende Zweifel können<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Personalvertretungsrecht<br />

ohne Bindung an eine Reihenfolge mittels weiterer Kriterien<br />

wie der Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, gegebenenfalls<br />

auch der praktischen Tarifübung geklärt werden. Im<br />

Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die<br />

zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten <strong>und</strong><br />

praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG, 22.10.2002 –<br />

3 AZR 664/01 – a.a.O.; BAG, 05.10.1999 – 4 AZR 578/98 – AP<br />

TVG § 4 Verdienstsicherung Nr. 15).<br />

bb. Der Tarifwortlaut ist eindeutig. Die Tarifnorm regelt ausdrücklich<br />

nur Meinungsverschiedenheiten über die „Auslegung“<br />

des Vertrages. Nur wenn es darum geht festzustellen,<br />

welchen Inhalt die Tarifnormen haben bzw. wie sie zu<br />

verstehen sind, wird der in § 10 Abs. 2 MTV vorgegebene<br />

Schlichtungsweg, in den die Tarifvertragsparteien <strong>und</strong> die<br />

Einigungsstelle eingeb<strong>und</strong>en sind, für verbindlich erklärt. Hinsichtlich<br />

der „Anwendung“ <strong>und</strong> „Durchführung“ des Entgeltrahmenabkommens<br />

enthält der Tarifvertrag keine Vorgaben,<br />

mit der Folge, dass es insoweit bei den gesetzlichen<br />

Regelungen verbleibt. Der Vergleich der Regelungen in § 6<br />

Entgeltrahmenabkommen <strong>und</strong> in § 10 MTV zeigt auch, dass<br />

die Tarifvertragsparteien hinsichtlich etwaiger Meinungsverschiedenheiten<br />

bewusst differenziert haben. Während § 10<br />

MTV die „Anwendung, Durchführung <strong>und</strong> Auslegung des<br />

Tarifvertrages“ erfasst, regelt das Entgeltrahmenabkommen<br />

ausdrücklich nur, wie bei Streitigkeiten hinsichtlich der Auslegung<br />

der Normen zu verfahren ist.<br />

cc. Dieses tarifliche Verständnis ist auch sachgerecht. Bei<br />

der Auslegung des Entgeltrahmenabkommens haben die Tarifvertragsparteien,<br />

die im Streitfall nach § 10 Abs. 2 MTV<br />

hinzuzuziehen sind, als Normgeber besondere Sachk<strong>und</strong>e. Sie<br />

wissen, warum <strong>und</strong> mit welchen Absichten die tarifvertraglichen<br />

Regelungen vereinbart worden sind. Es handelt sich<br />

insoweit um Regelungsfragen, die den Tarifvertragsparteien<br />

obliegen <strong>und</strong> bei denen es deshalb sinnvoll erscheint, wenn<br />

diese in den Entscheidungsprozess einbezogen werden. Bei<br />

der Anwendung <strong>und</strong> Durchführung des Tarifvertrages handelt<br />

es sich dagegen um Rechtsfragen, deren Entscheidung<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich den Gerichten vorbehalten ist.<br />

dd. Die Eingruppierung der Mitarbeiterinnen ... in die Entgeltgruppe<br />

5 oder 6 des Entgeltrahmenabkommens ist eine<br />

Frage nicht der Auslegung der Tarifnorm, sondern eine Frage<br />

der Anwendung des Tarifvertrages. Zu prüfen ist, ob die<br />

im Tarifvertrag genannten Qualifikations- <strong>und</strong> Tätigkeitsmerkmale<br />

erfüllt sind. Die Arbeitgeberin hat zu Recht darauf hingewiesen,<br />

dass allein die Subsumtionsebene betroffen ist. Diese<br />

wird von § 6 Entgeltrahmenabkommen nicht geregelt.<br />

d) Die Tarifvertragsparteien haben dem Betriebsrat im Entgeltrahmenabkommen<br />

auch keine über die gesetzlichen Regelungen<br />

hinausgehenden Mitbestimmungsrechte hinsichtlich<br />

der Eingruppierung von Mitarbeitern ein- geräumt. Angesichts<br />

der klaren gesetzlichen Vorgaben in §§ 99 ff. BetrVG<br />

wird eine Erweiterung der Beteiligungsrechte nur angenommen<br />

werden können, wenn dies hinreichend deutlich<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 65 01.09.2008 13:16:57<br />

229


Rechtsprechung<br />

Betriebsverfassungsrecht<br />

im Tarifvertrag zum Ausdruck kommt. Derartige Regelungen<br />

sind im Entgeltrahmenabkommen aber nicht vorhanden. Im<br />

Gegenteil bestimmt § 2 Ziffer 1 nur, dass die Einstufung durch<br />

den Arbeitgeber unter Beachtung der gesetzlichen <strong>und</strong> tariflichen<br />

Bestimmung erfolgt. § 2 Ziffer 7 regelt weiter, dass der<br />

Arbeitnehmer das Recht hat, gegen die erfolgte Eingruppierung<br />

innerhalb von 14 Tagen Einspruch einzulegen, <strong>und</strong> in<br />

diesem Fall Geschäftsführung <strong>und</strong> Betriebsrat unverzüglich<br />

zusammentreten. Für ein über die gesetzlichen Regelungen<br />

hinausgehendes Mitbestimmungsrecht finden sich im Tarifvertrag<br />

keine Anhaltspunkte.<br />

Angesichts dieses klaren Bef<strong>und</strong>es kommt die Zuständigkeit<br />

der Einigungsstelle unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt<br />

infrage.<br />

■ Landesarbeitsgericht Düsseldorf<br />

vom 29. Februar 2008, 2 TaBV 7/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Ulrich Tschöpe, Münsterstraße<br />

21, 33330 Gütersloh, Tel.: 05241/9033-0,<br />

Fax: 05241/148 59<br />

info@t-s-c.org; www.t-s-c.org<br />

196. Einigungsstelle, offensichtliche Unzuständigkeit, Beschwerdestelle<br />

nach § 13 AGG <strong>und</strong> Initiativrecht<br />

Aus den Gründen: ...<br />

II. 2. ... aa) Die Frage, ob überhaupt eine Beschwerdestelle<br />

für Beschwerden nach § 13 Abs. 1 AGG errichtet wird, unterliegt<br />

nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats. Ein Mitbestimmungsrecht<br />

nach § 87 Abs. 1 BetrVG scheidet bereits<br />

nach dem Eingangssatz der genannten Norm aus. Der Arbeitgeber<br />

ist nach §§ 13 Abs. 1 Satz 1, 12 Abs. 5 AGG zur Errichtung<br />

einer solchen Beschwerdestelle <strong>und</strong> deren Bekanntmachung<br />

verpflichtet, so dass insoweit die Sperrwirkung des § 87<br />

Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG greift. Dies entspricht – soweit<br />

ersichtlich – allgemeiner Auffassung (vgl. etwa: LAG Hamburg,<br />

17.4.2007 – 3 TaBV 6/07- BB 2007, 2070 ff.; ArbG Hamburg,<br />

20.2.2007, BB 2007, 779 ff.; Westhauser/Sediq, NZA 2008 78<br />

(79); Ehrich/Frieters, DB 2007, 1026; Nägele/Frahm, ArbRB 2007,<br />

140 (142); Müller-Bonanni/Sagan, ArbRB 2007, 50 (53); Mohr,<br />

DB 2007, 2074 (2075)).<br />

bb) Aber auch hinsichtlich der organisatorischen Ansiedlung<br />

<strong>und</strong> personellen Besetzung besteht nach Auffassung der<br />

Beschwerdekammer kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats.<br />

(1) Ob hinsichtlich der genannten Fragen ein Mitbestimmungsrecht<br />

des Betriebsrats besteht, wird kontrovers diskutiert:<br />

Zum Teil wird ein derartiges Mitbestimmungsrecht unter<br />

Hinweis auf § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG bejaht oder im<br />

Rahmen der Prüfung der offensichtlichen Unzuständigkeit<br />

einer Einigungsstelle im Verfahren nach § 98 ArbGG in<br />

Erwägung gezogen. Zur Begründung wird geltend gemacht,<br />

ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1<br />

Nr. 1 BetrVG bestehe nicht nur dann, wenn der Arbeitgeber<br />

230 03/08<br />

das betriebliche Zusammenwirken <strong>und</strong> Zusammenleben der<br />

Arbeitnehmer im Betrieb durch verbindliche Verhaltensregeln<br />

beeinflusse oder koordiniere, sondern auch dann, wenn dies<br />

durch sonstige Maßnahmen geschehe. Dies aber sei bei<br />

Festlegung der zuständigen Stelle der Fall, weil die Frage<br />

betroffen sei, bei welcher Person oder Personengruppe sich<br />

Arbeitnehmer bei Inanspruchnahme des Beschwerderechts<br />

nach § 13 Abs. 1 AGG beschweren müssten (so LAG Hamburg,<br />

17.4.2007, a.a.O., S. 2072) oder könnten (so Ehrich/Frieters,<br />

a.a.O., S. 1027; so auch ErfK/Schlachter, 8. Aufl., § 13 AGG<br />

Rz 2; Kamanabrou, RdA 2006, 312 (325)). Zudem würde<br />

ein etwaiges Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei<br />

der Regelung des Beschwerdeverfahrens möglicherweise<br />

leer laufen, wenn der Arbeitgeber die Beschwerdestelle<br />

mitbestimmungsfrei besetzen könne. Es sei nicht zwingend<br />

von einer abschließenden gesetzlichen Regelung im Sinne des<br />

§ 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG auszugehen. § 13 Abs. 2 BetrVG<br />

bilde einen vertretbaren rechtlichen Ansatz dafür, nicht<br />

von einer abschließenden gesetzlichen Regelung auszugehen.<br />

Für die verhaltenssteuernde Aufgabe der zuständigen Stelle<br />

sei es von wesentlicher Bedeutung, wo diese organisatorisch<br />

angeb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> personell besetzt sei (LAG Hamburg a.a.O.).<br />

Nach anderer Auffassung (etwa Nägele/Frahm, a.a.O., S. 142<br />

m.w.N.) hängt das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts<br />

davon ab, ob der Arbeitgeber verbindliche Regeln für die<br />

Behandlung von Beschwerden <strong>und</strong> die Durchführung des<br />

Verfahrens aufstellen will. Dies könne auch dadurch geschehen,<br />

dass die Handlungsobliegenheiten nach § 13 Abs. 1<br />

Satz 2 AGG (Prüfung der Beschwerde/Ergebnismitteilung an<br />

Beschwerdeführer) delegiert würden.<br />

Schließlich wird die Auffassung vertreten, ein Mitbestimmungsrecht<br />

scheide generell aus (zuletzt Westhauser/Sediq,<br />

a.a.O., 79 ff. m.w.N.; so etwa auch Oetker, NZA 2008, 264, 270;<br />

Müller-Bonanni/Sagan, a.a.O., S. 52; Grobys, NJW-Spezial, Heft<br />

9, 2007, S. 417; Mohr, a.a.O., S. 2074 f. ; Gach/Julis, BB 2007,<br />

773, 774 f.).<br />

(2) Nach Auffassung der Beschwerdekammer besteht ein<br />

Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Frage der<br />

personellen Besetzung der zuständigen Stelle im Sinne der<br />

§§ 13 Abs. 1, 12 Abs. 5 AGG nicht.<br />

Im Ausgangspunkt zutreffend stimmen alle genannten Auffassungen<br />

darin überein, dass ein eventuelles Mitbestimmungsrecht<br />

des Betriebsrats hinsichtlich der personellen Besetzung<br />

<strong>und</strong> organisatorischen Ansiedlung der zuständigen Stelle im<br />

Sinne des § 13 Abs. 1 AGG nur nach § 87 Abs. 1 BetrVG in<br />

Betracht kommt.<br />

Nach dieser Vorschrift hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei<br />

Fragen der Ordnung des Betriebes <strong>und</strong> des Verhaltens der<br />

Arbeitnehmer im Betrieb. Gegenstand des Mitbestimmungsrechts<br />

ist das betriebliche Zusammenleben <strong>und</strong> Zusammenwirken<br />

der Arbeitnehmer. Dieses kann der Arbeitgeber kraft<br />

seiner Leitungsmacht durch das Aufstellen von Verhaltensregeln<br />

oder durch sonstige Maßnahmen beeinflussen <strong>und</strong> ko-<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 66 01.09.2008 13:16:57


ordinieren. Zur Gestaltung der Ordnung des Betriebes zählen<br />

dabei sowohl verbindliche Verhaltensregeln als auch Maßnahmen,<br />

die das Verhalten der Arbeitnehmer in Bezug auf die betriebliche<br />

Ordnung betreffen <strong>und</strong> berühren, ohne Normen für<br />

das Verhalten zum Inhalt zu haben. Ausreichend ist es, wenn<br />

eine solche Maßnahme darauf gerichtet ist, die vorgegebene<br />

Ordnung des Betriebes zu gewährleisten <strong>und</strong> aufrechtzuerhalten<br />

(BAG, 27.01.2004 – 1 ABR 7/03 – EzA § 87 BetrVG 2001<br />

Kontrolleinrichtung Nr 1; 11.6.2002 – 1 ABR 46/01 – EzA § 87<br />

BetrVG 1972 Betriebliche Ordnung Nr. 28; 28.05.2002 –1ABR<br />

32/01 – EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Ordnung Nr 29).<br />

Die Bekanntmachung <strong>und</strong> Bestimmung einer zuständigen<br />

Stelle im Sinne des § 13 Abs. 1 AGG betrifft bereits nicht das<br />

Zusammenleben <strong>und</strong> Zusammenwirken der Arbeitnehmer<br />

im Betrieb. Ausgangspunkt einer Beschwerde nach § 13 AGG<br />

wird zwar ein Verhalten/Unterlassen in diesem Bereich des<br />

Zusammenlebens oder Zusammenwirkens der Arbeitnehmer<br />

sein. Indessen ist die Verlautbarung einer zur Entgegennahme<br />

der Beschwerde zuständigen Stelle nicht darauf gerichtet, das<br />

Verhalten der Arbeitnehmer untereinander zu regeln oder zu<br />

berühren, da keine inhaltlichen Vorgaben zur Erreichung der<br />

Ziele des AGG gemacht werden. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit<br />

durch die Errichtung einer bestimmten Beschwerdestelle<br />

oder deren konkrete Besetzung die Beschäftigten in ihrem<br />

Verhalten zueinander unmittelbar oder mittelbar beeinflusst<br />

werden könnten.<br />

Jedenfalls aber fehlt es im vorliegenden Fall an einer<br />

Maßnahme, die darauf gerichtet ist, durch Ausübung der<br />

Leitungsmacht das Zusammenleben <strong>und</strong> Zusammenwirken<br />

der Arbeitnehmer im Betrieb zu koordinieren oder zu beeinflussen.<br />

An einer verbindlichen Weisung, sich im Falle von<br />

Beschwerden wegen einer Benachteiligung im Sinne des § 13<br />

AGG nur oder jedenfalls auch an die von der Arbeitgeberin<br />

benannte Stelle, zuletzt also das Vertriebsbüro in A-Stadt,<br />

zu wenden, lässt sich nicht feststellen. Das R<strong>und</strong>schreiben<br />

der Arbeitgeberin aus Dezember 2006 (Bl. 145 d.A.) enthält<br />

keine Weisung. Anhaltspunkte dafür, dass nach Ansiedlung<br />

der Beschwerdestelle in A-Stadt eine entsprechende Weisung<br />

ergangen ist, bestehen nicht.<br />

Das Schreiben formuliert eine Bitte, nicht aber eine Handlungsanweisung<br />

oder -erwartung. Hierbei ist auch zu berücksichtigen,<br />

dass der Arbeitgeber nach § 12 Abs. 5 AGG verpflichtet<br />

ist, die zuständigen Stellen im Sinne des § 13 Abs. 1<br />

AGG im Betrieb bekannt zu machen. Der Arbeitgeber ist gerade<br />

nicht im Rahmen seiner Leitungsmacht frei, eine Beschwerdestelle<br />

zu benennen, sondern ist hierzu gesetzlich<br />

verpflichtet. Auch dies spricht dafür, dass die Arbeitgeberin<br />

im vorliegenden Fall lediglich ihrer Pflicht nach § 12 Abs. 5<br />

AGG nachkommen wollte, ohne aber gleichzeitig eine verhaltenssteuernde<br />

Regelung mit dem Ziel oder Anspruch einer<br />

gewissen Mindestverbindlichkeit zu schaffen. Es handelt sich<br />

vielmehr um den Hinweis auf eine ggfs. neue Zuständigkeit<br />

im Betrieb (vgl. Westhauser/Sediq, a.a.O., S. 81). Die Entschei-<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Personalvertretungsrecht<br />

dung des Arbeitgebers, welche Stelle für die Entgegennahme<br />

einer Beschwerde nach § 13 Abs. 1 AGG zuständig ist, betrifft<br />

die interne Betriebsorganisation, ohne unmittelbar das<br />

sonstige Verhalten der Arbeitnehmer zu koordinieren (Oetker,<br />

NZA 2008, 264, 270). Entscheidungen des Arbeitgebers zur Organisation<br />

des Betriebs betreffen zwar auch in einem weiteren<br />

Sinne die „Ordnung des Betriebs“, unterfallen aber nicht § 87<br />

Abs. 1 Nr. 1 BetrVG (Oetker, a.a.O.; GK-BetrVG/Wiese, 8. Aufl.,<br />

§ 87 Rz 173).<br />

Desweiteren spricht gegen ein Mitbestimmungsrecht des<br />

Betriebsrates auch, dass durch § 13 AGG nach der Gesetzesbegründung<br />

keine von den bestehenden Regelungen<br />

abweichendes Beschwerdeverfahren geschaffen werden<br />

sollte. In der Gesetzesbegründung im Regierungsentwurf<br />

zu § 13 Abs. 1 AGG (BT-Dr. 16/1780, S. 37) wird insoweit<br />

ausgeführt:<br />

„ ... Die Vorschrift enthält keine Neuerung; entsprechende<br />

Beschwerdemöglichkeiten bestehen auch nach geltendem<br />

Recht. Da die Beschwerde aber sowohl Gr<strong>und</strong>lage für<br />

Maßnahmen des Arbeitgebers als auch für weitere Ansprüche<br />

der Beschäftigten sein kann, ist die Vorschrift entsprechend<br />

§ 3 des Beschäftigtenschutzgesetzes aufgenommen worden.<br />

Der Begriff der zuständigen Stelle ist umfassend zu verstehen.<br />

Dies kann beispielsweise ein Vorgesetzter, eine Gleichstellungsbeauftragte<br />

oder eine betriebliche Beschwerdestelle<br />

sein.“<br />

Zur Begründung des § 13 Abs. 2 AGG wird ausgeführt:<br />

„Die Vorschrift stellt klar, dass Rechte der Arbeitnehmervertretungen,<br />

wie z.B. nach § 85 BetrVG, unberührt bleiben.“<br />

Hieraus wird deutlich, dass an das bestehende System des Beschwerderechts<br />

angeknüpft werden sollte <strong>und</strong> im Hinblick auf<br />

die Rechte des Betriebsrats keine Erweiterung erfolgen sollte,<br />

sondern die Beschwerde nach § 13 Abs. 1 AGG sich in das System<br />

der bestehenden Rechte des Betriebsrats im Beschwerdeverfahren<br />

des BetrVG eingliedert. Diesbezüglich ist aber<br />

anerkannt, dass die Festlegung wer oder welche Stelle zuständige<br />

Stelle im Sinne des § 84 Abs. 1 BetrVG ist, sich nach der<br />

Betriebsorganisation richtet, über die der Arbeitgeber (mitbestimmungsfrei)<br />

entscheidet (vgl. etwa GK-BetrVG/Wiese, § 84,<br />

Rz 16; Buschmann, in: Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, 9. Aufl.,<br />

§84Rz12;Thüsing, in: Richardi/Thüsing, BetrVG, 9. Aufl., § 84,<br />

Rz 12; zu § 3 BeschSchG vgl. etwa ErfK/Schlachter, 7. Aufl.,<br />

§ 3 BeschSchG, Rz 1) <strong>und</strong> eine mitbestimmte Regelung nur in<br />

Form einer freiwilligen kollektiven Vereinbarung in Betracht<br />

kommt, § 86 BetrVG.<br />

Auch der von der Beschwerde herangezogene Gesichtspunkt<br />

richtlinienkonformer Auslegung rechtfertigt keine andere<br />

rechtliche Beurteilung. In den dem AGG zugr<strong>und</strong>e liegenden<br />

Richtlinien (RL 2000/43/EG; RL 2000/78/EG; RL 2002/73/EG;<br />

RL2004/113/EG) finden sich keine Anhaltspunkte dafür,<br />

dass der Arbeitnehmervertretung Mitbestimmungsrechte<br />

einzuräumen sind (Westhauser/Sediq, a.a.O., S. 80).<br />

Die von der Beschwerde angesprochene Regelung in Art. 9<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 67 01.09.2008 13:16:57<br />

231


Rechtsprechung<br />

Betriebsverfassungsrecht<br />

Abs. 2 RL 2000/78/EG hat ihren Niederschlag in § 23 AGG<br />

gef<strong>und</strong>en. Der Verpflichtung aus Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie<br />

dienen § 17, § 13 Abs. 2 AGG i.V.m. etwa mit §§ 75, 80 Abs. 1,<br />

85 Abs. 1 BetrVG. Soweit die Beschwerde geltend macht, der<br />

Betriebsrat müsse von einer Beschwerde Kenntnis haben, um<br />

abklären zu können, ob der betroffene Arbeitnehmer im Beschwerdeverfahren<br />

unterstützt werden möchte, ist darauf hinzuweisen,<br />

dass auch nach Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie eine Unterstützung<br />

nur mit Einwilligung des Beschäftigten erfolgt. Es<br />

steht dem Betriebsrat frei, die von ihm vertretenen Arbeitnehmer<br />

auf die bestehenden Rechte im Rahmen des Beschwerdeverfahrens<br />

hinzuweisen, insbesondere auch auf die Möglichkeit<br />

der Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds nach § 84<br />

Abs. 2 BetrVG. Ebenso bleibt es ihm unbenommen, auf das<br />

Beschwerdeverfahren im Sinne des § 85 Abs. 1, Abs. 2 BetrVG<br />

hinzuweisen, welches alternativ <strong>und</strong> kumulativ zur Beschwerdemöglichkeit<br />

im Sinne des § 13 Abs. 1 AGG besteht (vgl.<br />

nur Westhauser/Sediq, a.a.O., S. 80). Schließlich ist auch auf die<br />

bestehenden Informationsrechte nach § 80 Abs. 2 i.V.m. § 80<br />

Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hinzuweisen.<br />

cc) Im vorliegenden Fall besteht auch kein Mitbestimmungsrecht<br />

des Betriebsrats bezüglich der Ausgestaltung<br />

des Beschwerdeverfahrens. Es ist nicht ersichtlich, dass die<br />

Arbeitgeberin vorliegend die Einführung von Regeln über<br />

die Durchführung des Beschwerdeverfahrens beabsichtigt.<br />

Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats käme daher nur<br />

in Betracht, wenn dem Betriebsrat ein sog. Initiativrecht<br />

zustünde, kraft dessen er ggfs. über die Einigungsstelle<br />

auch gegen den Willen des Arbeitgebers die Aufstellung<br />

von Verfahrensregeln für das Beschwerdeverfahren verlangen<br />

könnte. Als Gr<strong>und</strong>lage eines derartigen Initiativrechts kommt<br />

wiederum nur § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG in Betracht.<br />

Zum Teil wird im Hinblick darauf, dass die Regelung des<br />

Beschwerdeverfahrens dem Regelungsbereich des § 87 Abs. 1<br />

Nr. 1 BetrVG unterfallen solle, auch ein dementsprechendes<br />

Initiativrecht des Betriebsrats bejaht (so insbes. Ehrich/Frieters,<br />

a.a.O., S. 1027; LAG Hamburg, 17.4.2007, a.a.O., S. 2072 f.). Zum<br />

Teil wird ein Mitbestimmungsrecht nur für den Fall bejaht,<br />

dass der Arbeitgeber entsprechende Verfahrensregelungen<br />

treffen wolle; ein Initiativrecht bestehe aber nicht (so etwa<br />

Nägele/Frahm, a.a.O., S. 142; Gach/Julis, BB 2007, 773, 775 f.;<br />

wohl auch Westhauser/Sediq, a.a.O., S. 81 f.). Zum Teil wird<br />

ein Mitbestimmungsrecht generell abgelehnt (so etwa Mohr,<br />

a.a.O., 2075).<br />

Nach Auffassung der Beschwerdekammer ist unter bestimmten<br />

Voraussetzungen ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats<br />

nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG in Betracht zu ziehen,<br />

besteht aber nur dann, wenn der Arbeitgeber bestimmte<br />

Regelungen zur Vereinheitlichung des Beschwerdeverfahrens<br />

überhaupt einführen will.<br />

Nicht sämtliche denkbaren Regelungen im Rahmen einer Regelung<br />

des Beschwerdeverfahrens berühren das sog. Ordnungsverhalten<br />

im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Insofern<br />

232 03/08<br />

sollen Richtlinien zu den Modalitäten des Beschwerdeverfahrens<br />

von allen Arbeitnehmern zwar unabhängig von der Arbeitsleistung<br />

zu beachten sein, allerdings bleibt der Bezug zur<br />

betrieblichen Ordnung problematisch, da von dem Mitbestimmungsrecht<br />

auch solche Regelungen ausgeklammert sind, die<br />

lediglich das Verhalten des Arbeitgebers zum Arbeitnehmer<br />

bzw. umgekehrt betreffen. Erst wenn das sonstige Verhalten<br />

der Arbeitnehmer koordiniert werden soll, betrifft dies die<br />

Ordnung des Betriebes. Gerade diese Koordinierungsfunktion<br />

ist bei Verfahrensregeln bezüglich des Beschwerdeverfahrens<br />

nach § 13 AGG nicht erkennbar. Die Schwelle zum mitbestimmungspflichtigen<br />

Ordnungsverhalten ist jedoch etwa dann<br />

überschritten, wenn sich die einheitliche Regelung des Beschwerdeverfahrens<br />

auch auf die von dem Arbeitnehmer bei<br />

einer Beschwerde zu wahrenden Förmlichkeiten durch Form-,<br />

Frist- bzw. Begründungserfordernisse beziehen soll (Oetker,<br />

NZA 2008, 264 , 269 f.).<br />

Gleichwohl scheidet ein Initiativrecht des Betriebsrats aus, da<br />

dies in Widerspruch zu den spezielleren Regelungen des BetrVG<br />

zur Regelung des Beschwerdeverfahrens treten würde.<br />

Bezüglich der durch § 86 BetrVG möglichen Betriebsvereinbarungen<br />

zur näheren Regelung des Beschwerdeverfahrens<br />

entspricht es allgemeiner Auffassung, dass es sich um freiwillige<br />

Betriebsvereinbarungen handelt, deren Zustandekommen<br />

nicht durch einen Spruch der Einigungsstelle herbeigeführt<br />

werden kann (vgl. Oetker, a.a.O., S. 269 m.w.N. in NF 78).<br />

Diese gesetzgeberische Wertung würde konterkariert, wenn<br />

dem Betriebsrat ein Initiativrecht zugebilligt wird <strong>und</strong> dieser<br />

unter Hinweis darauf, dass Gegenstand einer von ihm erstrebten<br />

Regelung etwa auch die Wahrung bestimmter Förmlichkeiten<br />

oder Fristen sein soll, ggf. über ein Einigungsstellenverfahren<br />

die Einführung einer Verfahrensregelung erzwingen<br />

könnte. Wie aber bereits ausgeführt, verdeutlicht insbesondere<br />

die Gesetzesbegründung zu § 13 AGG, dass an das bestehende<br />

System des Beschwerderechts angeknüpft werden<br />

sollte <strong>und</strong> im Hinblick auf die Rechte des Betriebsrats keine<br />

Erweiterung erfolgen sollte, sondern die Beschwerde nach<br />

§ 13 Abs. 1 AGG sich in das System der bestehenden Rechte<br />

des Betriebsrats im Beschwerdeverfahren des BetrVG eingliedert.<br />

Ein Initiativrecht scheidet daher aus (ebenso Westhauser/Sediq,<br />

a.a.O., S. 81 f.).<br />

III. Die Beschwerde des Betriebsrats war daher zurückzuweisen.<br />

Im Hinblick auf den dargestellten kontroversen Diskussionsstand,<br />

das Fehlen einschlägiger höchstrichterlicher Rechtsprechung<br />

<strong>und</strong> die Bedeutung der Rechtsfragen auch für andere<br />

Fälle war nach §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG die<br />

Rechtsbeschwerde zuzulassen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 17. April 2008, 9 TaBV 9/08, Rechtsbeschwerde eingelegt<br />

zum AZ: 1 ABR 42/08<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 68 01.09.2008 13:16:58


197. Personelle Einzelmaßnahme, Versetzung, allgemeiner<br />

Unterlassungsanspruch neben Aufhebungsanspruch,<br />

§ 101 BetrVG zulässig, Ordnungsgeldandrohung<br />

Aus den Gründen: ...<br />

II.1. ... 2. Der Hauptantrag ist begründet, soweit der Betriebsrat<br />

begehrt, dass die Arbeitgeberin es unterlässt, „Professional<br />

Operations 1“ als „Allro<strong>und</strong>er Operations 2“ bis zur Dauer von<br />

einem Monat einzusetzen, sofern er nicht seine Zustimmung<br />

zur personellen Maßnahme erteilt hat, sie als erteilt gilt oder<br />

durch das Arbeitsgericht ersetzt ist oder die Maßnahme unter<br />

Beachtung des Verfahrens nach § 100 Abs. 2 BetrVG vorläufig<br />

durchgeführt wird.<br />

a) Zwar kann der Betriebsrat die Unterlassung nicht nach<br />

§ 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG verlangen. Ein grober Verstoß der<br />

Arbeitgeberin gegen ihre Verpflichtungen aus dem Betriebsverfassungsgesetz<br />

im Sinne dieser Bestimmung liegt nicht vor.<br />

§ 23 Abs. 3 BetrVG setzt eine objektiv schwerwiegende <strong>und</strong><br />

offensichtliche Pflichtverletzung voraus. Daran fehlt es, wenn,<br />

wie im vorliegenden Streitfall, der Arbeitgeber seinen Rechtsstandpunkt<br />

in einer schwierigen <strong>und</strong> ungeklärten Rechtslage<br />

verteidigt (BAG, vom 28.05.2002, AP Nr. 39 zu § 87 BetrVG<br />

1972 Ordnung des Betriebes).<br />

b) Dem Betriebsrat steht jedoch ein allgemeiner Unterlassungsanspruch<br />

zu. § 23 Abs. 3 BetrVG schließt für den Bereich<br />

der Mitbestimmung des Betriebsrats bei Versetzungen<br />

nach §§ 99, 100 BetrVG einen, nicht an die strengen Voraussetzungen<br />

des § 23 Abs. 3 BetrVG geb<strong>und</strong>enen Unterlassungsanspruch<br />

nicht aus. Denn Unterlassungsansprüche können<br />

als selbstständige, einklagbare Nebenleistungsansprüche<br />

auch ohne gesetzliche Normierung bestehen. Dies gilt etwa<br />

bei Verletzung eines absoluten Rechts (§ 823 Abs. 1 BGB) oder<br />

eines Schutzgesetzes (§ 823 Abs. 2 BGB) oder bei vertragsrechtlichen<br />

Beziehungen (BAG vom 03.05.1994, AP Nr. 23 zu<br />

§ 23 BetrVG 1972). Für den Bereich der Mitbestimmung in sozialen<br />

Angelegenheiten nach § 87 BetrVG nimmt das BAG seit<br />

seiner Entscheidung vom 03.05.1994 (a.a.O.) an, dass sich aus<br />

der Verpflichtung zur vertrauensvollen Zusammenarbeit gemäß<br />

§ 2 Abs. 1 BetrVG das Gebot ergibt, alles zu unterlassen,<br />

was der Wahrnehmung des Mitbestimmungsrechts entgegensteht.<br />

Für den Bereich der Mitbestimmung in personellen Angelegenheiten,<br />

für den eine höchstrichterliche Entscheidung<br />

noch nicht vorliegt, muss nach Auffassung der Beschwerdekammer<br />

dasselbe jedenfalls dann gelten, wenn Arbeitgeber<br />

<strong>und</strong> Betriebsrat darüber streiten, ob der Betriebsrat bei einer<br />

kurzfristigen Versetzungsmaßnahme zu beteiligen ist.<br />

Ebenso wenig wie nach § 23 Abs. 3 BetrVG ist ein solcher<br />

allgemeiner Unterlassungsanspruch nach § 101 BetrVG ausgeschlossen.<br />

§ 101 BetrVG gibt dem Betriebsrat das Recht,<br />

die Aufhebung derjenigen personellen Einzelmaßnahme zu<br />

verlangen, die der Arbeitgeber ohne Zustimmung des Betriebsrats,<br />

<strong>und</strong> ohne dass die Zustimmung durch das Arbeitsgericht<br />

ersetzt worden ist, tatsächlich durchgeführt hat. § 101<br />

BetrVG enthält damit eine Regelung, durch die ein mitbestim-<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Personalvertretungsrecht<br />

mungswidriger Zustand beseitigt werden soll. Ein Unterlassungsanspruch<br />

des Betriebsrats hat demgegenüber das Ziel,<br />

die künftige Beachtung von Mitbestimmungsrechten zu gewährleisten.<br />

Deshalb wird ein Anspruch des Betriebsrats nach<br />

§ 23 Abs. 3 BetrVG nicht durch § 101 BetrVG ausgeschlossen<br />

(BAG, vom 17.03.1987, AP Nr. 7 zu § 23 BetrVG 1972). Damit<br />

kann auch ein allgemeiner Unterlassungsanspruch durch<br />

§ 101 BetrVG nicht ausgeschlossen sein (Hessisches LAG, vom<br />

01.11.2005 – 4/18/5 TaBV 47/05 – juris).<br />

Für die Anerkennung eines allgemeinen Unterlassungsanspruchs<br />

im Bereich der Mitbestimmung bei personellen<br />

Einzelmaßnahmen kommt es nach der Entscheidung des BAG<br />

vom 06.12.1994 (AP Nr. 24 zu § 23 BetrVG 1972) darauf an, ob<br />

die gesetzlich geregelten Verfahren zur Sicherung des Mitbestimmungsrechts<br />

so weitreichend <strong>und</strong> wirksam sind, dass<br />

sie als abschließende Regelung angesehen werden müssen.<br />

Die Reichweite der Ansprüche des Betriebsrats nach §§ 100<br />

<strong>und</strong> 101 BetrVG ist jedoch begrenzt. Bei vorübergehenden<br />

Maßnahmen, etwa bei wiederholten kurzzeitigen Versetzungen,<br />

gehen sie ins Leere, da sich diese Angelegenheiten<br />

regelmäßig durch Zeitablauf erledigen, bevor eine rechtskräftige<br />

gerichtliche Entscheidung vorliegt. Ein allgemeiner<br />

Unterlassungsanspruch sichert dem Betriebsrat dagegen<br />

die weitergehende Möglichkeit, mitbestimmungswidrige<br />

Personalmaßnahmen des Arbeitgebers von vornherein zu<br />

verhindern (BAG, vom 06.12.1994, a.a.O.). Deshalb ist zur<br />

Schließung der bei kurzfristigen personellen Einzelmaßnahmen,<br />

jedenfalls soweit es sich um Versetzungen handelt,<br />

bestehenden Schutzlücke <strong>und</strong> zur Gewährleistung eines effektiven<br />

Rechtsschutzes die Anerkennung eines allgemeinen<br />

Unterlassungsanspruchs des Betriebsrats geboten.<br />

Das gilt gerade auch für den vorliegenden Streitfall. Denn<br />

nach der vom Betriebsrat vorgelegten Übersicht kam es in<br />

den Bereichen Operations <strong>und</strong> Service von September 2006<br />

bis Anfang Januar 2007 zu insgesamt 48 kurzzeitigen Vertretungsfällen,<br />

zum Teil nur an einem Tag. Da die Rechtslage<br />

schwierig <strong>und</strong> ungeklärt ist, sind die Voraussetzungen<br />

des Unterlassungsanspruchs nach § 23 Abs. 3 BetrVG nicht<br />

erfüllt. Die Beantragung eines Zwangsgelds nach § 101 BetrVG<br />

kommt aus zeitlichen Gründen nicht in Betracht. Durch<br />

die damit – ohne Anerkennung eines allgemeinen Unterlassungsanspruchs<br />

– allein verbleibende Möglichkeit eines Feststellungsantrags<br />

wird das Mitbestimmungsrecht nach §§ 99,<br />

100 BetrVG nicht hinreichend gesichert, denn der Betriebsrat<br />

würde hierdurch keinen vollstreckungsfähigen Titel erlangen.<br />

Eine Sanktion für die Verletzung des Mitbestimmungsrechts<br />

würde davon abhängen, ob der Arbeitgeber nach einer<br />

zu Gunsten des Betriebsrats ergangenen rechtskräftigen Entscheidung<br />

„grob“ gegen seine betriebsverfassungsrechtlichen<br />

Verpflichtungen verstößt. Ein hinreichend effektiver Rechtsschutz<br />

wird dadurch nicht gewährleistet (ebenso Hessisches<br />

LAG, vom 01.11.2005, a.a.O., mit umfangreichen Nachweisen<br />

zum Streitstand in der Literatur).<br />

c) Im Bereich Flugzeugabfertigung kann der Betriebsrat die<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 69 01.09.2008 13:16:58<br />

233


Rechtsprechung<br />

Betriebsverfassungsrecht<br />

Unterlassung der streitgegenständlichen Vertretungsanordnungen<br />

verlangen, wenn er nicht nach §§ 99, 100 BetrVG<br />

beteiligt wird, weil die Arbeitgeberin mit der Einteilung eines<br />

„Professional Operations 1“ als Vertreter des „Allro<strong>und</strong>er<br />

Operations 2“ eine Versetzung des Professional anordnet,<br />

die der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt. ...<br />

e) Mit der Anordnung der Vertretung eines „Allro<strong>und</strong>er Operations<br />

2“ wird dem „Professional Operations 1“ ein anderer<br />

Arbeitsbereich im Sinne von § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG zugewiesen.<br />

Nach der Rechtsprechung des BAG liegt eine Zuweisung<br />

eines anderen Arbeitsbereichs dann vor, wenn dem<br />

Arbeitnehmer ein neuer Tätigkeitsbereich zugewiesen wird,<br />

so dass sich der Gegenstand der nunmehr geforderten Arbeitsleistung<br />

<strong>und</strong> das Gesamtbild der Tätigkeit ändern. Es<br />

kommt darauf an, ob sich die Tätigkeiten des Arbeitnehmers<br />

vor <strong>und</strong> nach der personellen Maßnahme so voneinander<br />

unterscheiden, dass ein mit den betrieblichen Verhältnissen<br />

vertrauter Beobachter die neue Tätigkeit als eine andere betrachten<br />

kann. Die Veränderung muss so erheblich sein, dass<br />

sich das Gesamtbild der Tätigkeit des Arbeitnehmers dadurch<br />

ändert. Eine solche Veränderung kann sich auch dadurch ergeben,<br />

dass eine neue Teilfunktion übertragen oder ein Teil<br />

der bisher wahrgenommenen Funktionen entzogen wird. Dabei<br />

muss die neu übertragene oder die entzogene Tätigkeit<br />

nicht unbedingt überwiegen. Maßgeblich ist vielmehr, ob sie<br />

der Gesamttätigkeit ein solches Gepräge gibt, dass nach ihrem<br />

Wegfall bzw. ihrem Hinzutreten insgesamt von einer anderen<br />

Tätigkeit ausgegangen werden kann (BAG, vom 02.04.1996,<br />

AP Nr. 34 zu § 95 BetrVG 1972).<br />

Danach ist die Vertretung eines Allro<strong>und</strong>ers durch einen Professional<br />

im Bereich Flugzeugabfertigung für diesen eine andere<br />

Tätigkeit. Denn Aufgabe eines „Professional Operations<br />

1“ ist die Abfertigung von Flugzeugen in eigener Regie oder<br />

die Überwachung der Abfertigung durch Erfüllungsgehilfen.<br />

Demgegenüber überwacht der Professional als Vertreter des<br />

„Allro<strong>und</strong>er Operations 2“ die Leistungen aller Abfertigungsgesellschaften,<br />

ist für Problemfälle verantwortlich <strong>und</strong> nimmt<br />

Vorgesetztenfunktionen wahr. Diese Aufgaben unterscheiden<br />

sich von der Tätigkeit eines Professional erheblich. Das Gesamtbild<br />

seiner Tätigkeit ändert sich auch dann, wenn er während<br />

seines Vertretungseinsatzes bei Bedarf auch Aufgaben<br />

eines Professional ausführt. Denn geprägt wird die Vertretungstätigkeit<br />

durch die Aufgaben des Allro<strong>und</strong>ers. Das ergibt<br />

sich schon daraus, dass im Bereich Flugzeugabfertigung pro<br />

Schicht nur ein Allro<strong>und</strong>er eingesetzt wird. Ohne Relevanz ist<br />

andererseits, dass der Professional als Vertreter des Allro<strong>und</strong>ers<br />

nicht dessen sämtliche Aufgaben erledigt. Denn auch<br />

die Wahrnehmung allein der nicht aufschiebbaren Allro<strong>und</strong>er-<br />

Tätigkeiten ist die Erledigung einer anderen Tätigkeit.<br />

f) Die Vertretung des Allro<strong>und</strong>ers ist auch mit einer erheblichen<br />

Änderung der Umstände verb<strong>und</strong>en, unter denen die<br />

Arbeit zu leisten ist. Nach der Rechtsprechung des BAG sind<br />

Arbeitsumstände im Sinne von § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG die<br />

äußeren Umstände, unter denen die – ohnehin schon andere<br />

234 03/08<br />

– Arbeit zu verrichten ist. Sie müssen sich zusätzlich zum Arbeitsbereich<br />

ändern. Dabei muss die Veränderung auch „erheblich“<br />

sein (BAG, vom 13.03.2007, AP Nr. 52 zu § 95 BetrVG<br />

1972; BAG, vom 28.08.2007, DB 2008, S. 70). Unerheblich ist,<br />

ob sich die äußeren Umstände für den Arbeitnehmer verbessern<br />

oder verschlechtern.<br />

Nach diesen Gr<strong>und</strong>sätzen ist aufgr<strong>und</strong> des von der Beschwerdekammer<br />

durchgeführten Augenscheins festzustellen, dass<br />

die Zuweisung des anderen Arbeitsbereiches mit einer erheblichen<br />

Änderung der Umstände verb<strong>und</strong>en ist, unter denen<br />

die Arbeit zu leisten ist. Auch bei der Beurteilung, ob sich die<br />

äußeren Umstände erheblich ändern, ist darauf abzustellen,<br />

welche äußeren Umstände für die Tätigkeit prägend sind. Das<br />

sind bei den „Professional Operations 1“ die Verhältnisse auf<br />

dem Vorfeld. Denn die Professionals werden zwar im Allgemeinen<br />

im Wechsel auf zwei Computerarbeitsplätzen im Innendienst<br />

eingesetzt. Mindestens vier Professionals sind jedoch<br />

– abgesehen von kurzen Aufenthalten an den Datenendgeräten<br />

im Flughafengebäude – auf dem Vorfeld tätig. Damit<br />

verbringen Professionals im Durchschnitt mindestens 2/3 ihrer<br />

Arbeitszeit auf dem Vorfeld. Dieser Zeitanteil überwiegt.<br />

Demgegenüber wird der „Allro<strong>und</strong>er Operations 2“ zeitlich<br />

überwiegend im Flughafengebäude tätig. ...<br />

Die Änderung ist auch erheblich. Denn auf dem Vorfeld ist der<br />

Professional neben der wechselnden Witterung auch großem<br />

Lärm durch die abzufertigenden Flugzeuge <strong>und</strong> Kerosingeruch<br />

ausgesetzt. Er muss sich bücken, wenn er das Mobilfahrzeug<br />

besteigt, mit dem er zu dem jeweils abzufertigenden<br />

Flugzeug fährt. Am Flugzeug selbst muss er aus dem Mobilfahrzeug<br />

aussteigen <strong>und</strong> dort an unterschiedlichen Standorten<br />

tätig werden. Er muss sich körperlich bewegen, auf<br />

Hindernisse achten. Die körperliche Bewegung <strong>und</strong> die Einflüsse<br />

durch Witterung, Lärm <strong>und</strong> Kerosingeruch entfallen dagegen<br />

in erheblichem Umfang, wenn Innendienst am Bildschirm<br />

<strong>und</strong> Telefon zu leisten ist. Auch wenn Professionals<br />

nicht ausschließlich auf dem Vorfeld <strong>und</strong> Allro<strong>und</strong>er nicht<br />

ausschließlich im Flughafengebäude eingesetzt werden, unterscheiden<br />

sich ihre äußeren Arbeitsbedingungen insgesamt<br />

doch so wesentlich, dass die Vertretung eines „Allro<strong>und</strong>er<br />

Operations 2“ durch einen „Professional Operations 1“ als Versetzung<br />

im Sinne von § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG zu werten ist.<br />

Auch bei Vertretungsanordnungen, die sich auf einen kurzen<br />

Zeitraum von bis zu einem Monat erstrecken, hat die Arbeitgeberin<br />

daher das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats<br />

nach §§ 99, 100 BetrVG zu beachten.<br />

3. Der Antrag, der Arbeitgeberin ein Ordnungsgeld anzudrohen,<br />

ist ebenfalls begründet. Das Prozessgericht kann dem<br />

Schuldner für den Fall, dass er der Verpflichtung zuwider handelt,<br />

eine bestimmte Handlung zu unterlassen, gemäß § 890<br />

Abs. 1 <strong>und</strong> 2 ZPO auf Antrag wegen einer jeden Zuwiderhandlung<br />

die Festsetzung von Ordnungsgeld androhen. Der<br />

Antrag kann mit dem Sachantrag im Erkenntnisverfahren<br />

verb<strong>und</strong>en werden. Auch im Fall des allgemeinen Unterlassungsanspruchs<br />

ist die Höchstgrenze des § 23 Abs. 3 Satz 5<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 70 01.09.2008 13:16:58


BetrVG von 10.000,00 € zu beachten (BAG, vom 24.04.2007,<br />

AP Nr. 124 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit).<br />

■ Landesarbeitsgericht Düsseldorf<br />

vom 29. Februar 2008, 9 TaBV 91/07<br />

eingereicht von Rechtsanwältin Dr. Nathalie Oberthür,<br />

Im Mediapark 6, 50670 Köln, Tel.: 0221/35 50 51 – 0,<br />

Fax: 0221/35 50 51 – 35<br />

info@rpo-rechtsanwaelte.de; www.rpo-rechtsanwaelte.de<br />

198. Sozialplanabfindung, Gleichbehandlung, Monatsgehalt,<br />

Arbeitszeitreduzierung<br />

Eine Sozialplanregelung, wonach gr<strong>und</strong>sätzlich auf das zuletzt<br />

erzielte Monatsgehalt bei der Bemessung der Abfindung abzustellen<br />

ist, <strong>und</strong> nur bei Arbeitnehmern, bei denen sich erst<br />

in den letzten drei Jahren vor Abschluss des Sozialplans die<br />

Arbeitszeit verändert hat, ein nach dem durchschnittlichen<br />

Beschäftigungsgrad während der gesamten Betriebszugehörigkeit<br />

ermitteltes Monatsgehalt zugr<strong>und</strong>e zu legen ist, verstößt<br />

nicht gegen das Gebot zur Beachtung der Gr<strong>und</strong>sätze<br />

von Recht <strong>und</strong> Billigkeit.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 22. Januar 2008, 9 Sa 1116/07, Revision eingelegt zum<br />

AZ: 1 AZR 316/08<br />

Tarifrecht<br />

199. Eingruppierung, Heimzulage, AVR Diakonie EKD, Wirkung<br />

eines Schiedsgutachtens, Anforderungen an die Verknüpfung<br />

von Heim <strong>und</strong> Werkstatt, organisatorische Selbständigkeit<br />

unerheblich<br />

Aus den Gründen: ...<br />

II. ... Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht es abgelehnt,<br />

dass durch das ratsame Gutachten der Schlichtungsstelle für<br />

kirchliche Mitarbeiter aus dem Jahr 1993 für diesen Rechtsstreit<br />

verbindlich entschieden worden sei, die Werkstatt befinde<br />

sich nicht „in einem Heim“. Das „ratsame Gutachten“ aus<br />

dem Jahr 1993 betraf nicht nur einen anderen Antragsteller<br />

<strong>und</strong> erging unter einer anderen, nicht mehr aktuellen kirchenrechtlichen<br />

Regelung, es wäre auch aus Rechtsgründen<br />

unverbindlich. Ein Schiedsgutachten, das nur einzelne Elemente<br />

eines Rechtsverhältnisses bestimmt, ist jedenfalls dann<br />

nicht bindend für ein arbeitsgerichtliches Verfahren, wenn<br />

das Schiedsgutachten letztlich dazu führt, den Rechtsstreit<br />

materiell bereits vorab zu entscheiden (vgl. Germelmann, in:<br />

Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 6. Aufl.,<br />

§ 4 Fn 7-9 m.w.N.). Im Streitfall würde durch eine verbindliche<br />

Festlegung, ob die Tätigkeit des Klägers „in einem Heim“<br />

erfolgt, der Rechtsstreit bereits vorab materiell entschieden.<br />

Es kann daher auch dahinstehen, ob eine Veränderung des<br />

Sachverhalts eingetreten ist. ...<br />

3. Den Mitarbeitern in einer Werkstatt für Behinderte steht<br />

die Zulage nur dann zu, wenn die Werkstatt für Behinderte<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Tarifrecht<br />

in einem Heim liegt (Scheffer/Mayer, Kommentar zu den Arbeitsvertragsrichtlinien<br />

des Diakonischen Werkes der Evangelischen<br />

Kirche in Deutschland, 3. Aufl. 1975, 18. Ergänzungslieferung<br />

Januar 1993, EGP 27 Anm. 3 S. 41e). Dass dies der Fall<br />

ist, ergibt die Auslegung der Vorschrift.<br />

Zwar können die Arbeitsvertragsrichtlinien nach der ständigen<br />

Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts (14. Januar<br />

2004 – 10 AZR 188/03 – AP AVR Caritasverband Anl. 1 Nr. 3)<br />

keine normative Wirkung entfalten, sondern nur kraft einzelvertraglicher<br />

Bezugnahme, die hier vorliegt, auf ein Arbeitsverhältnis<br />

Anwendung finden. Die Auslegung der AVR erfolgt<br />

aber nach den gleichen Gr<strong>und</strong>sätzen, die für die Tarifauslegung<br />

gelten (BAG, 14. Januar 2004 – 10 AZR 188/03 – a.a.O.).<br />

...<br />

b) Das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht hat entschieden, dass sich eine<br />

Werkstatt in dem Heim befinden kann, auch wenn sie nicht<br />

im gleichen Gebäude wie das Heim untergebracht ist (22.<br />

Dezember 1994 – 6 AZR 524/94 –). Das Merkmal wird auch<br />

durch eine räumlich-organisatorische Verknüpfung zwischen<br />

Werkstatt <strong>und</strong> Heim erfüllt, weil nach dem Sinn <strong>und</strong> Zweck<br />

der Regelung die besonderen Erschwernisse der Mitarbeiter<br />

im Umgang mit den Behinderten des Heimes in der Werkstatt<br />

durch die Zulage ausgeglichen werden sollen. Die Unterbringung<br />

von Werkstatt <strong>und</strong> Heim in verschiedenen Gebäuden<br />

kann nicht entscheidend sein, wenn neben der räumlichen<br />

Verbindung beider Einrichtungen durch die Lage auf demselben<br />

Gelände auch eine organisatorische Einheit zwischen<br />

Werkstatt <strong>und</strong> Heim besteht. Die besonderen Erschwernisse<br />

des Mitarbeiters der Werkstatt durch den Umgang mit den<br />

Behinderten des Heimes sind in diesem Fall ebenso gegeben,<br />

wie dies der Fall wäre, wenn Heim <strong>und</strong> Werkstatt sich in demselben<br />

Gebäude befänden. An dieser Entscheidung hat der<br />

nunmehr zuständige Zehnte Senat ausdrücklich festgehalten<br />

(20. Juni 2007 – 10 AZR 285/06 – ZTR 2007, 679).<br />

Werkstatt <strong>und</strong> Heim sind räumlich verknüpft. Das Wohnheim,<br />

die Werkstatt sowie weitere Einrichtungen der Behindertenhilfe<br />

der Beklagten in ... sind auf demselben Gr<strong>und</strong>stück<br />

errichtet.<br />

Werkstatt <strong>und</strong> Heimbereich sind auch organisatorisch verknüpft.<br />

Ob dies der Fall ist, ist nach den gesamten vorliegenden<br />

Umständen zu beurteilen (BAG, 23. Oktober 2002 –<br />

10 AZR 60/02 – Rn 24, AP BAT §§ 22, 23 Zulagen Nr. 35). Ob<br />

eine einheitliche Leitung zwischen Heim <strong>und</strong> Werkstatt besteht<br />

oder ob die beiden getrennten Leitungen gemeinsam<br />

die Rehabilitation <strong>und</strong> Teilhabe behinderter Menschen i.S.d.<br />

SGB IX fördern, ist nicht entscheidend.<br />

aa) Für eine organisatorische Verknüpfung sprechen äußere<br />

Umstände wie die Abstimmung <strong>und</strong> Koordination der<br />

beiden Einrichtungen hinsichtlich des Tagesablaufs. Nach<br />

den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, die von der<br />

Revision nicht angegriffen sind, sind die Öffnungszeiten der<br />

Wohnheime der Beklagten in ... auf die Öffnungszeiten der<br />

Werkstatt abgestimmt. Auf diese Weise wird der Betreuungs<strong>und</strong><br />

Aufsichtsbedarf vor <strong>und</strong> nach dem Werkstattaufenthalt<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 71 01.09.2008 13:16:58<br />

235


Rechtsprechung<br />

Tarifrecht<br />

sichergestellt. Die Heimbewohner, sofern sie in der Werkstatt<br />

beschäftigt werden, werden während der fest vereinbarten<br />

Beschäftigungszeit ausschließlich von den Mitarbeitern der<br />

Werkstatt beaufsichtigt. Für die Mitarbeiter des Wohnheimes<br />

bestehen während dieser Zeit keine Aufsichtspflichten. Die<br />

in der Werkstatt arbeitenden Heimbewohner nehmen auch<br />

in der Werkstatt das Mittagessen ein <strong>und</strong> werden in dieser<br />

Zeit von den Beschäftigten der Werkstatt betreut. Insgesamt<br />

ergibt sich aus der Koordination der beiden Einrichtungen der<br />

Beklagten in ... eine Ganztagesbetreuung der Heimbewohner.<br />

bb) Hinzu kommen innere Umstände, wie eine Abstimmung<br />

in fachlicher <strong>und</strong> pädagogischer Hinsicht zur Erreichung der<br />

in § 136 SGB IX gesetzlich definierten Aufgaben. Es findet ein<br />

Austausch über Förderinhalte der unterschiedlichen Förderplansysteme<br />

zwischen Werkstatt <strong>und</strong> Heim statt. Zur organisatorischen<br />

Abstimmung werden Förderplangespräche zwischen<br />

der Werkstatt <strong>und</strong> dem Wohnheim geführt, wobei sich<br />

die Häufigkeit der Durchführung nach dem Abstimmungsbedarf<br />

richtet <strong>und</strong> von der Gruppenleitung festgelegt wird.<br />

e) Das Landesarbeitsgericht hat auch zutreffend darauf hingewiesen,<br />

dass es für den Anspruch auf Heimzulage nur auf<br />

die Voraussetzungen der Anm. 3 zu EGP 27 ankommt. ... Die<br />

Beklagte verkennt ... , dass auch eine Werkstatt, die ein organisatorisch<br />

selbständiger Teil einer stationären Einrichtung<br />

i.S.v. § 16 WVO ist, gleichzeitig eine Werkstatt in einem Heim<br />

i.S.d. Anm. 3 zu EGP 27 sein kann. ...<br />

■ B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />

vom 20. Februar 2008, 10 AZR 263/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Bertram Bauer, Reitbahn 3,<br />

91522 Ansbach, Tel.: 0981/971270-0, Fax: 0981/971207-30<br />

info@rae-pbw.de; www.rae-pbw.de<br />

200. Tarifbindung, einzelvertragliche Inbezugnahme,<br />

Gleichstellungsklausel, dynamische Verweisung, Gastmitgliedschaft,<br />

Teilrechtskraft eines Urteils, Willenserklärung,<br />

Auslegung<br />

Die Parteien streiten in der Berufung noch über die Frage,<br />

inwieweit für die Eingruppierung <strong>und</strong> die Vergütung der Klägerin<br />

die Regelungen des TVöD maßgebend sind.<br />

Der Beklagte ist ... seit dem 01.01.2000 Gastmitglied im<br />

kommunalen Arbeitgeberverband.<br />

Die Klägerin ist bei dem Beklagten seit August 1973 ... beschäftigt.<br />

Im Arbeitsvertrag haben die Parteien unter anderem<br />

folgende Vereinbarungen getroffen:<br />

„§ 2 Das Arbeitsverhältnis richtet sich nach den Bestimmungen<br />

des B<strong>und</strong>esangestelltentarifvertrages (BAT) vorn<br />

23.02.1961 <strong>und</strong> der zusätzlich abgeschlossenen Tarifverträge<br />

in ihrer jeweils geltenden Fassung. Das gleiche gilt für die an<br />

deren Stelle tretenden Tarifverträge oder Richtlinien.<br />

§ 3 Die Eingruppierung richtet sich nach BAT (VKA) bzw.<br />

R<strong>und</strong>schreiben 20/Nr. 11b/1974 vom 18.06.1974 des Landeswohlfahrtsverbandes<br />

Hessen. Der Arbeitnehmer wird eingestuft<br />

in die Vergütungsgruppe Vl/Stufe 1.“ ...<br />

236 03/08<br />

Die Klägerin hat die Rechtsansicht vertreten, dass es sich bei<br />

§ 2 des Arbeitsvertrages um eine dynamische Verweisungsklausel<br />

handele, die die Anwendung auch neuer Tarifverträge<br />

in der jeweils gültigen Fassung regele.<br />

Aus den Entscheidungsgründen:<br />

Das Urteil des Arbeitsgerichtes Kassel ist teilweise abzuändern<br />

<strong>und</strong> die Klage insgesamt abzuweisen. Die Berufung des Beklagten<br />

ist zulässig <strong>und</strong> begründet. Die Eingruppierung <strong>und</strong><br />

die Vergütung der Klägerin richten sich nicht nach den Regelungen<br />

des TVöD. ...<br />

B. ... . II. In der Sache ist die Feststellungsklage unbegründet.<br />

Die Regelungen des TVöD über die Eingruppierung <strong>und</strong><br />

Vergütung finden auf das Arbeitsverhältnis der Parteien keine<br />

Anwendung.<br />

1. Eine unmittelbare Anwendung des Tarifvertrages scheidet<br />

aus. Der TVöD gilt nicht im Arbeitsverhältnis der Parteien, da<br />

die Beklagte an ihn nicht gemäß §§ 3 Abs. 1, 4, Abs. 1 TVG geb<strong>und</strong>en<br />

ist. § 3 der Satzung des Hess. kommunalen Arbeitgeberverbandes<br />

vom 26.06.1980 in der Fassung vom 25.11.2003<br />

unterscheidet zwischen „Verbandsmitgliedern“ (Abs. 1) <strong>und</strong><br />

„Gastmitglieder“ (Abs. 2) <strong>und</strong> verpflichtet in § 6 der Satzung<br />

nur die Verbandsmitglieder, „die geltenden tariflichen Vereinbarungen<br />

zu erfüllen“. Die bloße Gastmitgliedschaft erzeugt<br />

nach § 3 Abs. 2 der Satzung keine Tarifbindung im Sinne des<br />

§ 3 Abs. 1 TVG.<br />

Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts ergibt sich die<br />

Anwendung des Tarifvertrages auch nicht aus § 2 Abs. 1 TVÜ-<br />

VKA, wonach der TVöD den BAT (VKA) ab dem 01. Oktober<br />

2005 ersetzt. Die Anwendung des Überleitungstarifvertrages<br />

setzt ebenfalls die Verbandsmitgliedschaft der Beklagten voraus.<br />

Im Übrigen wäre der Geltungsbereich des Überleitungstarifvertrages<br />

nur dann einschlägig, wenn der TVöD seinerseits<br />

im Arbeitsverhältnis der Parteien Geltung beanspruchen<br />

könnte (vgl. § 1 TVÜ-VKA).<br />

2.) Die Bestimmungen des TVöD werden ferner nicht durch<br />

die arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklauseln in das Arbeitsverhältnis<br />

der Parteien transformiert. Dies ergibt eine Auslegung<br />

des Arbeitsvertrages.<br />

a) Der Inhalt von Willenserklärungen ist nach §§ 133, 157<br />

BGB objektiv unter Berücksichtigung der Umstände des<br />

Einzelfalles aus der Sicht des Empfängers zu bestimmen. Ausgehend<br />

vom Wortlaut der Klauseln ist der objektive Bedeutungsgehalt<br />

der Erklärung zu ermitteln, wobei der allgemeine<br />

Sprachgebrauch unter Berücksichtigung des vertraglichen<br />

Regelungszusammenhangs maßgebend ist. Dabei ist der<br />

wirkliche Wille zu erforschen <strong>und</strong> nicht am buchstäblichen<br />

Sinn des Ausdrucks zu haften. In die Auslegung einzubeziehen<br />

sind auch die den Parteien erkennbaren Begleitumstände<br />

der Erklärung, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt<br />

der Erklärung zulassen. Die tatsächliche Handhabung des<br />

Arbeitsverhältnisses ermöglicht ebenfalls Rückschlüsse auf<br />

dessen Inhalt. Von Bedeutung für das Auslegungsergebnis<br />

sind schließlich auch die Entstehungsgeschichte, der von<br />

den Vertragsparteien verfolgte Regelungszweck sowie die<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 72 01.09.2008 13:16:58


Interessenlage der Beteiligten (vgl. BAG, 24.09.2003 – 10<br />

AZR 34/03 – Rn 38 zit. nach juris; BAG, 20.04.2005 – 4 AZR<br />

292/04 – Rn 18 zit. nach juris). Motive des Erklärenden, soweit<br />

sie nicht in dem Wortlaut der Erklärung oder in sonstiger,<br />

für die Gegenseite hinreichend deutlich erkennbaren Weise<br />

ihren Niederschlag finden, haben außer Betracht zu bleiben.<br />

Kommt der Wille, des Erklärenden nicht oder nicht vollständig<br />

zum Ausdruck, gehört dies zu dessen Risikobereich (vgl.<br />

BAG, 18.04.2007 – 4 AZR 652/05 – Rn 30 zit. nach juris). Dies<br />

bedeutet für die Auslegung von Bezugnahmeklauseln, dass<br />

ihr Bedeutungsgehalt in erster Linie anhand des Wortlauts zu<br />

ermitteln ist (vgl. BAG, 18.04.2007 – 4 AZR 652/05 – Rn 31 zit.<br />

nach juris).<br />

b) Nach diesen Maßstäben führen Wortlaut <strong>und</strong> Regelungszusammenhang<br />

der Bezugnahmeklauseln des Arbeitsvertrages<br />

nicht zur Anwendung der Regelungen des TVöD.<br />

Der Wortlaut des § 3 des Arbeitsvertrages ist eindeutig.<br />

Danach richtet sich die Eingruppierung nach dem BAT (VKA)<br />

<strong>und</strong> den in Anlage 1a zum BAT im Bereich der Vereinigung<br />

der kommunalen Arbeitgeberverbände geltenden Vergütungsgruppen.<br />

Eine Bestätigung findet dies im Regelungszusammenhang mit<br />

§ 2 Satz 1 des Arbeitsvertrages, wonach sich das Arbeitsverhältnis<br />

nach den Bestimmungen des B<strong>und</strong>esangestelltentarifvertrages<br />

(BAT) <strong>und</strong> der zusätzlich abgeschlossenen Tarifverträge<br />

in ihrer jeweils geltenden Fassung richtet. Durch den<br />

umfassenden Bezugnahmewortlaut ergibt sich bereits aus § 2<br />

Satz 1 des Arbeitsvertrages die Anwendung der Anlage 1a mit<br />

den Vergütungsgruppen (vgl. § 22 Abs. 1 BAT). Sie ist Bestandteil<br />

des BAT (vgl. BAG, 21.10.1992 – 4 AZR 28/92 – Rn 40 zit.<br />

nach juris). Da es die Anlage 1a für B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Länder einerseits<br />

<strong>und</strong> für die Gemeinde andererseits in unterschiedlichen Fassungen<br />

gibt, soll durch § 3 des Arbeitsvertrages lediglich die<br />

maßgebliche Fassung im Bereich der Vereinigung der kommunalen<br />

Arbeitgeberverbände vereinbart werden. Im Wortlaut<br />

des Arbeitsvertrages hat dies einen Niederschlag gef<strong>und</strong>en,<br />

weil im Gegensatz zu § 2 in § 3 des Arbeitsvertrages der<br />

Klammerzusatz „VKA“ aufgenommen wurde.<br />

Inwieweit aus § 2 Satz 2 des Arbeitsvertrages eine Anwendung<br />

des TVöD hergeleitet werden könnte, ist einer gerichtlichen<br />

Prüfung nicht mehr zugänglich. Aufgr<strong>und</strong> der rechtskräftigen<br />

Feststellungen (vgl. § 322 Abs. 1 ZPO) des Arbeitsgerichts<br />

ist davon auszugehen, dass der TVöD im Arbeitsverhältnis<br />

der Parteien keine Anwendung findet. Wird eine positive<br />

Feststellungsklage abgewiesen, ist dem Tenor <strong>und</strong> den Gründen<br />

des Urteils zu entnehmen, welches Recht oder Rechtsverhältnis<br />

rechtskräftig verneint wurde (vgl. BGH, 01.12.1993 –<br />

VIII ZR 41/93 – Rn 27 zitiert nach juris; Zöller-Vollkommer, ZPO,<br />

§ 322 Rn 12). Danach sind für das Arbeitsverhältnis der Parteien<br />

nicht die Regelungen des TVöD maßgebend (vgl. S. 4, 5<br />

des Urteils des Arbeitsgerichts).<br />

Ferner spricht die Interessenlage der Parteien für die Annahme<br />

dass gr<strong>und</strong>sätzlich der B<strong>und</strong>esangestelltentarifvertrag<br />

als „Ganzes“ in Bezug genommen werden soll. Für<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Tarifrecht<br />

einen Tarifvertrag ist sein Kompromisscharakter kennzeichnend,<br />

so dass Begünstigungen bei einzelnen Regelungen<br />

häufig um den Preis von Benachteiligungen bei anderen<br />

Vorschriften vereinbart werden. Gr<strong>und</strong>sätzlich begründet<br />

erst die Gesamtheit der Regelungen eines Tarifvertrages<br />

die Vermutung, dass dieser die gegensätzlichen Interessen<br />

angemessen ausgleicht. Die Bezugnahme nur von einzelnen<br />

Teilen kann den von den Tarifvertragsparteien hergestellten<br />

gerechten Sachzusammenhang gefährden oder gar auflösen<br />

(Löwisch/Rieble, Tarifvertragsgesetz, § 3 Rn 264). Damit ist es<br />

den Arbeitsvertragsparteien zwar nicht verwehrt, tarifvertragliche<br />

Regelungskomplexe für abgrenzbare Sachbereiche zu<br />

übernehmen (vgl. BAG, 19.01.1999 – 1 AZR 606/98 – Rn 51<br />

zitiert nach juris). Für eine derartige Annahme müssen aber<br />

deutlich erkennbare Anhaltspunkte vorliegen, an denen es im<br />

Streitfall gerade fehlt.<br />

Gleichstellungserwägungen, wie sie von der Klägerin angestellt<br />

werden, vermögen im Streitfall ein anderes Auslegungsergebnis<br />

nicht zu begründen. Da es sich im Streitfall um<br />

einen vor dem 01. Januar 2002 geschlossenen Arbeitsvertrag<br />

handelt (sog. Altfall), können die Auslegungsgr<strong>und</strong>sätze zur<br />

Gleichstellungsabrede herangezogen werden (vgl. dazu BAG,<br />

14.12.2005 – 4 AZR 652/05 – Rn 24 zit. nach juris; BAG,<br />

18.04.2007 – AZR 652/05 –). Bei fehlender Tarifgeb<strong>und</strong>enheit<br />

des Arbeitgebers ist jedoch seit jeher nicht von einem<br />

Gleichstellungszweck der Bezugnahme auszugehen (vgl. BAG,<br />

25.09.2002 – 4 AZR 294/01 – NZA 2003 807 (809)), sodass die<br />

ausdrückliche Benennung eines Tarifvertrages – hier: des<br />

BAT – einer Auslegung als Tarifwechselklausel regelmäßig<br />

entgegensteht (vgl. nur BAG, 25.10.2002 – 4 AZR 506/99 –<br />

NZA 2002, 100 (103)).<br />

Entgegen der Auffassung des Klägerin verstößt die Bezugnahmeklausel<br />

auch nicht gegen die Unklarheitsregel des § 305c<br />

Abs. 2 BGB. Dieser hat die Funktion, bei objektiv mehrdeutigen<br />

Klauseln eine Auslegungshilfe zu geben <strong>und</strong> führt zu einer<br />

Auslegung zu Lasten des Verwenders. Unklar ist jede Verweisungsklausel,<br />

bei der nach Ausschöpfung der anerkannten<br />

Auslegungsmethoden nicht behebbare Zweifel bleiben<br />

(vgl. BAG, 09.11.2005 – 5 AZR 145/05 – Rn 25 zit. nach juris;<br />

BAG, 17.01.2006 – 9 AZR 417/05 – Rn 37 zit. nach juris).<br />

An einem derartigen Mangel leidet die Bezugnahmeklausel<br />

indessen nicht.<br />

■ Hessisches Landesarbeitsgericht<br />

vom 2. November 2007, 3 Sa 1797/08<br />

eingereicht von Rechtsanwältin Jacqueline Greinert, Wilhelmshöher<br />

Allee 270, 34131 Kassel, Tel.: 0561/3166-124,<br />

Fax: 0561/3166-123<br />

j.greinert@dwaz.eu<br />

201. Inbezugnahme eines Tarifvertrages, Inhaltskontrolle<br />

1. Die Inbezugnahme eines Tarifvertrages oder eines Tarifwerkes<br />

ist in der Regel als zeitlich dynamische Inbezugnahme<br />

zu verstehen (im Anschluss an BAG, Urteil vom 11.10.2006 – 4<br />

AZR 522/05, NZA 2007, 634 ff.).<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 73 01.09.2008 13:16:58<br />

237


Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

2. Eine solche dynamische Inbezugnahme hält der Inhaltskontrolle<br />

nach § 305c Abs. 1 <strong>und</strong> Abs. 2 BGB stand. Sie ist<br />

weder überraschend, noch unklar.<br />

3. Konsequenz einer dynamischen Inbezugnahme ist, dass<br />

auf das Arbeitsverhältnis ein Sanierungstarifvertrag, mit dem<br />

eine tarifliche Leistung (hier: Urlaubsgeld) aufgehoben wird,<br />

Anwendung findet.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 14. Januar 2008, 14 Sa 606/07<br />

202. TV arbeitnehmerähnliche Personen Deutschlandfunk,<br />

Fristberechnung, R<strong>und</strong>funkfreiheit<br />

Eine zehnjährige ununterbrochene Beschäftigung i. S. des Tarifvertrages<br />

für arbeitnehmerähnliche Personen im Deutschlandfunk<br />

(DLF) vom 9.6.1978 i.d.F. vom 18.6.1982 (Rn 25) setzt<br />

voraus, dass bei Zugang der Beendigungsmitteilung bereits<br />

10 Kalenderjahre mit Urlaubsanspruch abgelaufen sind. Ein<br />

für das nächste Jahr beantragter Urlaub führt nicht dazu, dass<br />

dieses nach Zugang der Beendigungsmitteilung liegende Jahr<br />

mitzuzählen wäre. (Rn 26)<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 10. Dezember 2007, 2 Sa 1069/07<br />

203. Besitzstand nach § 71 BAT <strong>und</strong> nachfolgender Statuswechsel<br />

Erfüllt der Angestellte zwar zu den Stichtagen des Eingangssatzes<br />

des § 71 BAT dessen Voraussetzungen, wechselt er aber<br />

auf der Gr<strong>und</strong>lage eines neuen Arbeitsvertrages in den Geltungsbereich<br />

eines anderen Tarifvertrages – hier des BMT-<br />

G-O –, weil er als Arbeiter weiterbeschäftigt wird, so entfällt<br />

nach dem Sinn <strong>und</strong> Zweck der Übergangsregelung des<br />

§ 71 BAT der Besitzstandsschutz. Ansprüche auf Entgeltfortzahlung<br />

im Krankheitsfall bestehen seit dem Wechsel allein<br />

nach Maßgabe des anderen Tarifvertrages, ohne dass der<br />

Schutz des § 71 BAT bei einem erneuten Wechsel zum Angestellten<br />

in der Folgezeit wieder aufleben kann.<br />

■ Landesarbeitsgericht Berlin<br />

vom 29. April 2008, 3 Sa 2334/07, Revision eingelegt zum AZ<br />

5 AZR 547/08<br />

204. Tarifpluralität, Gr<strong>und</strong>rechtskollision, Unterlassungsanspruch<br />

Mit Rücksicht auf den durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleisteten<br />

Koalitionspluralismus kann nicht jede Maßnahme,<br />

die sich faktisch als Behinderung der Tätigkeit einer konkurrierenden<br />

Koalition darstellt (hier: Umsetzung einer Sondervereinbarung<br />

zugunsten der Mitglieder einer Gewerkschaft),<br />

durch einen Unterlassungsanspruch verhindert werden. Das<br />

Abwehrrecht der einen Gewerkschaft geht dem Betätigungsrecht<br />

der anderen Gewerkschaft nicht zwingend vor.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 17. Januar 2008, 6 Sa 1354/07, Rev. zugel.<br />

238 03/08<br />

Sonstiges<br />

205. Umschulungsverhältnis kein Arbeitsverhältnis, Klagefrist<br />

des KSchG nicht zwingend, Interessenabwägung<br />

bei eigentlich geeignetem Gr<strong>und</strong> zur außerordentlichen<br />

Kündigung<br />

Die Kammer konnte nach dem vorgetragenen Sachverhalt<br />

nicht mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit davon ausgehen,<br />

dass der Umschulungsvertrag wirksam gekündigt worden<br />

ist.<br />

Hierbei war davon auszugehen, dass die Kündigung nicht<br />

bereits entsprechend §§ 13, 4, 7 KSchG wirksam ist, weil sie<br />

nicht explizit von der Klägerin angegriffen worden ist. Das<br />

Gericht geht davon aus, dass diese Vorschriften nicht auf ein<br />

Umschulungsverhältnis der vorliegenden Art anwendbar sind,<br />

da es sich nicht um ein Arbeitsverhältnis handelt (vgl. BAG,<br />

Urteil vom 19.01.2006 – 6 AZR 638/04 –).<br />

Die Kammer geht ferner davon aus, dass zwar ein Gr<strong>und</strong> vorliegt,<br />

der an sich geeignet ist als wichtiger Gr<strong>und</strong> im Sinne des<br />

§ 626 Abs. 1 BGB. Die Klägerin ist einschlägig abgemahnt worden.<br />

Ihr Vortrag zur Straßensperrung am 15.02.2008 ist – trotz<br />

der Ergänzungen im Kammertermin hierzu – als unsubstantiiert<br />

<strong>und</strong> nicht erwiderungsfähig zu bezeichnen. Das gleiche<br />

gilt für ihren Vortrag hinsichtlich des vorzeitigen Verlassens<br />

des Unterrichts am 15.02.2008. Zumindest hätte die Klägerin<br />

sich vergewissern müssen, dass der Unterricht tatsächlich beendet<br />

war, als sie diesen – wie sie behauptet: zusammen mit<br />

einem Mitschüler – am Vormittag des 15.02.2008 verließ <strong>und</strong><br />

die anderen Schüler im Unterrichtsraum verb<strong>liebe</strong>n.<br />

Gleichwohl fällt die hier abzustellende Interessenabwägung<br />

zu ihren Gunsten aus. Zwar ist das generelle Interesse der<br />

Beklagten an einem störungsfreien <strong>und</strong> in der Ordnung nicht<br />

beeinträchtigten Unterrichtsbetrieb durchaus schützenswert.<br />

Nachhaltige Störungen durch die Klägerin werden allerdings<br />

nicht vorgetragen. Demgegenüber ist zu berücksichtigen,<br />

dass die Teilnahme der Klägerin an dem Unterricht <strong>und</strong><br />

die Meldung zur Prüfung für sie für ein selbstbestimmtes<br />

Leben von sehr großer Bedeutung sind. Das Interesse an<br />

der weiteren Teilnahme an der – schon fortgeschrittenen<br />

– Umschulung ist daher als überwiegend im Rahmen der<br />

Interessenabwägung anzusehen. Es ist daher vom Vorliegen<br />

eines Verfügungsanspruchs hinsichtlich des Antrags zu a)<br />

auszugehen.<br />

Aus einem fortbestehenden Umschulungsvertrag folgt als Nebenpflicht<br />

auch die Verpflichtung zur Prüfungsanmeldung als<br />

solche. ...<br />

■ Arbeitsgericht Berlin<br />

vom 9. April 2004, 35 Ga 5402/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Friedemann Koch, Marburger<br />

Straße 16, 10789 Berlin, Tel.: 030/212 48 99-0,<br />

Fax: 030/212 48 99-20<br />

kanzlei@friedemann-koch.de; www.friedemann-koch.de<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 74 01.09.2008 13:16:58


206. Zwangsvollstreckung, Vollstreckungsabwehrklage,<br />

einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung, Geltendmachung<br />

von Nachteilen<br />

Durch die Zwangsvollstreckung droht der Klägerin kein nicht<br />

zu ersetzender Nachteil.<br />

Auch in den Fällen des § 769 ZPO ist für die Einstellung der<br />

Zwangsvollstreckung maßgeblich, dass dem Vollstreckungsschuldner<br />

das Vorliegen eines „nicht zu ersetzenden Nachteils“<br />

droht; dies gilt trotz fehlender Erwähnung des § 769 ZPO<br />

in § 62 Abs. 1 S. 3 ArbGG (zuletzt: LAG Nürnberg, Beschluss<br />

vom 05.01.2006 –6Ta255/05 –; LAG Hamburg, 14.07.1981 –<br />

1 Ta 8/81 –; LAG Hamm, 10.06.1988, LAGE § 62 ArbGG 1979<br />

Nr. 17; LAG Bremen, 24.06.1996 – 2 Ta 28/96 – LAGE § 62<br />

ArbGG 1979, Nr. 22; LAG Köln, 12.06.2002 – 4 Sa 480/02-<br />

LAGE § 62 ArbGG 1979 Nr. 28; a.A. LAG Köln, 16.06.1983 –<br />

3 Ta 86/83 –; LAG Baden-Württemberg, 22.12.1986 – 5<br />

Ta 33/86 –; LAG Hessen, 03.10.1988 – 1 Ta 336/88 –; LAG<br />

Hessen, 10.09.1997 – 16 Ta 371/97 –; LAG Sachsen-Anhalt,<br />

25.09.2002 – 8 Sa 344/02 –; LAG Hamburg, 19.01.2003 – 5<br />

Ta 21/02 –). Der Gesetzgeber hat die inhaltlichen Voraussetzungen<br />

der Zwangsvollstreckung im Verfahren vor den<br />

Arbeitsgerichten bewusst anders geregelt als in denjenigen<br />

vor den Zivilgerichten. Er hat sich dafür entschieden, Entscheidungen<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich für vorläufig vollstreckbar zu erklären.<br />

Nur unter der strengen Ausnahme des nicht zu ersetzenden<br />

Nachteils darf das Arbeitsgericht die Zwangsvollstreckung<br />

vorläufig einstellen. Dies gilt nicht nur dann, wenn das<br />

Arbeitsgericht über die Einstellung im laufenden Hauptsacheverfahren<br />

zu befinden hat (§ 62 Abs. 1 S. 2 ArbGG), sondern<br />

auch, wenn es nachträglich im Fall der Wiedereinsetzung<br />

oder Wiederaufnahme, des Einspruches oder der Berufung<br />

über die Einstellung befindet (§ 62 Abs. 1 S. 3 ArbGG in<br />

Verbindung mit §§ 707 Abs. 1, 719 Abs. 1 ZPO). Gerade in<br />

den beiden letzteren Fällen hat der Gesetzgeber anders<br />

als im Verfahren vor den Zivilgerichten darauf verzichtet,<br />

geringere Anforderungen zu stellen. Er hat die Entscheidung<br />

über den Einstellungsantrag insbesondere nicht in erster<br />

Linie von der Prüfung der Erfolgsaussichten der Einwendung<br />

abhängig gemacht. Er hat zudem davon abgesehen, die<br />

Einstellung zu erleichterten Bedingungen gegen Zahlung<br />

einer Sicherheitsleistung zu ermöglichen. Es ist nicht erkennbar,<br />

aus welchem Sachgr<strong>und</strong> diese Wertentscheidung des<br />

Gesetzgebers bei der Vollstreckungsgegenklage nach §§ 767,<br />

769 ZPO durchbrochen werden sollte. Die Auffassung, der<br />

Regelungsbereich des § 767 ZPO erfasse im Verhältnis zu<br />

§§ 707 <strong>und</strong> 719 ZPO wesentlich unterschiedliche Tatbestände<br />

(so etwa LAG Nürnberg, vom 07.05.1999, a.a.O.), überzeugt<br />

nicht. Sämtliche dieser Tatbestände haben gemeinsam, dass<br />

ein ordnungsgemäßer Vollstreckungstitel zustande gekommen<br />

<strong>und</strong> vorhanden ist. Auch nach Erhebung einer Vollstreckungsgegenklage<br />

nach § 767 ZPO ist die Vollstreckung<br />

formell zulässig. Die im Rahmen der §§ 707 <strong>und</strong> 719 ZPO<br />

vom Vollstreckungsschuldner erhobenen Einwendungen<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

betreffen in aller Regel den durch das Urteil festgestellten<br />

Anspruch selbst, ähnlich wie bei Einwendungen, die mit<br />

der Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO geltend<br />

gemacht werden. Diese beziehen sich sämtlich darauf, dass<br />

ein entsprechender Anspruch nicht oder nicht mehr besteht.<br />

Die im arbeitsgerichtlichen Verfahren normierten strengen<br />

Voraussetzungen für die Einstellung der Vollstreckung gelten<br />

sogar dann, wenn das Urteil rechtskräftig ist <strong>und</strong> wegen eines<br />

nachträglich erkannten Umstandes Wiederaufnahme begehrt<br />

wird (LAG Köln,, vom 12.06.2002, a.a.O.). Auch für den Vollstreckungsgläubiger<br />

stellt sich die Situation als vergleichbar<br />

dar: Er besitzt einen gültigen, formell ordnungsgemäßen<br />

Vollstreckungstitel. Diesen will der Vollstreckungsschuldner<br />

aus Gründen, die dem Gericht bei Erlass des Titels nicht<br />

erkennbar waren, die dem Gericht als nicht ausreichend<br />

erschienen oder die im damaligen Zeitpunkt noch nicht<br />

vorhanden waren, nicht erfüllen. Diesen Interessenwiderstreit<br />

hat der Gesetzgeber dergestalt gelöst, dass er den Interessen<br />

des Gläubigers im arbeitsgerichtlichen Verfahren – anders als<br />

im Verfahren vor den ordentlichen Gerichten – den Vorzug<br />

gegeben hat dadurch, dass er die Vollstreckung unabhängig<br />

von der Erfolgsaussicht des Wiedereinsetzungsantrages, des<br />

Einspruches oder des Rechtsmittels gewähren lässt, wenn<br />

nicht dem Schuldner ein nicht zu ersetzender Nachteil droht.<br />

Der Gesetzgeber wollte im arbeitsgerichtlichen Verfahren<br />

gerade nicht die Abwendung der Vollstreckung durch Sicherheitsleistung<br />

ermöglichen. Diese Wertentscheidung kommt<br />

auch in der gr<strong>und</strong>sätzlichen vorläufigen Vollstreckbarkeit von<br />

Urteilen ohne Sicherheitsleistung zum Ausdruck (§ 62 Abs. 1<br />

S. 1 ArbGG). Es ist kein Anlass ersichtlich, der es rechtfertigen<br />

könnte, von diesen Gr<strong>und</strong>sätzen gerade für den Fall der<br />

Vollstreckungsgegenklage abzuweichen. Gerade die oben<br />

dargestellte analoge Anwendung der Gr<strong>und</strong>sätze des § 707<br />

Abs. 2 ZPO auf das Verfahren nach § 769 ZPO spricht zudem<br />

dafür, diese Gleichstellung für das arbeitsgerichtliche Verfahren<br />

<strong>und</strong> insbesondere für § 62 Abs. 1 S. 3 ArbGG ebenfalls<br />

zuzulassen. Dabei erscheint die Erstreckung der in § 62 Abs. 1<br />

S. 2 <strong>und</strong> 3 ArbGG zum Ausdruck kommenden Gr<strong>und</strong>sätze<br />

auf den Fall des § 62 Abs. 2 S. 1 ArbGG in Verbindung mit<br />

§ 769 ZPO vorzugswürdig. Die allgemeine Verweisung auf<br />

die Vorschriften des Achten Buches der Zivilprozessordnung<br />

steht der von den Gerichten zu beachtenden, in § 62 Abs. 1<br />

S. 2 <strong>und</strong> 3 ArbGG zum Ausdruck gekommenen Wertentscheidung<br />

des Gesetzgebers nicht entgegen. Wenn schon,<br />

wie die zitierte Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofes<br />

zeigt, eine Anpassung des § 769 ZPO an die Bestimmung<br />

des § 707 ZPO im allgemeinen Verfahrensrecht veranlasst<br />

ist, so gelten diese Gr<strong>und</strong>sätze in gleicher Weise für das<br />

arbeitsgerichtliche Verfahren. Ein Anhaltspunkt für den Willen<br />

des Gesetzgebers, gerade bei der Vollstreckungsgegenklage<br />

eine Abweichung von den das arbeitsgerichtliche Verfahren<br />

kennzeichnenden Gr<strong>und</strong>sätze – Ausschluss der Möglichkeit,<br />

die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung abzuwenden,<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 75 01.09.2008 13:16:58<br />

239


Rechtsprechung<br />

Streitwert <strong>und</strong> Gebühren<br />

Einstellung der Zwangsvollstreckung nur bei Drohen eines<br />

nicht zu ersetzenden Nachteils – liegt gerade nicht vor.<br />

Das Vorgesagte gilt in entsprechender Anwendung auch für<br />

die Vollstreckungsabwehrklage gegen die Vollstreckung aus<br />

einem Vergleich (LAG Köln – 4 Sa 480/02).<br />

Der Kläger hat nicht einmal behauptet, durch die Zwangsvollstreckung<br />

drohe bei ihm der Eintritt eines nicht zu ersetzenden<br />

Nachteils. Der Antrag war daher zurückzuweisen.<br />

■ Arbeitsgericht Köln<br />

vom 16. Mai 2008, 17 Ca 4073/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. jur. Jürgen Höser, Kölner<br />

Straße 2, 50226 Frechen, Tel.: 02234/1820-0,<br />

Fax: 02234/1820-10<br />

office@hdup.de; www.hdup.de<br />

Anmerkung:<br />

Die Entscheidungsgründe fassen die Rechtslage allgemein zusammen<br />

<strong>und</strong> sind deshalb auch allgemein verwertbar. Im<br />

Übrigen fragt man sich aber, warum ein so offensichtlich unbegründeter<br />

Antrag gestellt wird. Deshalb hier der Sachverhalt:<br />

Die Arbeitgeberin hatte sich zu einer Abfindungszahlung<br />

verpflichtet. Die zahlte sie auch, allerdings wie früher das Gehalt<br />

auf das Konto der Lebensgefährtin des Arbeitnehmers.<br />

Das akzeptierte der aber nicht als Erfüllung, weil er sich inzwischen<br />

von dieser getrennt <strong>und</strong> auch schon über seinen Anwalt<br />

eine andere Kontoverbindung genannt hatte, eine Mitteilung,<br />

die wohl irgendwo untergegangen war. Nun berief sich der<br />

Arbeitgeber gegen die Vollstreckung auf Erfüllung <strong>und</strong> stellte<br />

den Antrag auf einstweilige Einstellung, vergeblich. Ob die<br />

Empfängerin das Geld wohl mit dem neuen Fre<strong>und</strong> verpulvert<br />

hat <strong>und</strong> jetzt entreichert ist? (me)<br />

207. Zwangsvollstreckung, betriebsverfassungsrechtliches<br />

Beschlussverfahren, Ordnungsgeld, Bestimmtheitserfordernis<br />

Ein Unterlassungs-/Verpflichtungstitel ist immer nur dann hinreichend<br />

bestimmt, wenn der in Anspruch genommene Beteiligte<br />

eindeutig erkennen kann, was von ihm verlangt wird.<br />

Die Prüfung, welche Maßnahme der Schuldner zu unterlassen<br />

hat bzw. zu welcher Maßnahme er verpflichtet sein soll, darf<br />

nicht in das Vollstreckungsverfahren verlagert werden (BAG,<br />

Beschluss vom 0.306.2003 –1AR19/02; LAG Köln, Beschluss<br />

vom 16.01.1999 – 6 Ta 168/96).<br />

Insbesondere wenn es um die Untersagung einer Maßnahme<br />

ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrats geht, bedarf es<br />

der genauen Bezeichnung derjenigen betrieblichen Fallgestaltungen,<br />

für die das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats<br />

gelten soll (BAG, Beschluss vom 03.05.1994 – 1 ABR 24/93;<br />

BAG, Beschluss vom 13.03.2001 – 1 ABR 34/00 – AP Nr. 34<br />

zu § 99 BetrVG 1972 Einstellung; LAG Hamm, Beschluss vom<br />

23.01.2004 – 10 TaBV 43/03 m.w.N. aus der Rechtsprechung,<br />

LAG Köln, Beschluss vom 15.06.2007 – 3 Ta 147/07).<br />

Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, fehlt es an dem<br />

notwendigen Bestimmtheitserfordernis des § 253 Abs. 2 Nr. 2<br />

240 03/08<br />

ZPO für die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, so dass die<br />

Festsetzung eines Ordnungsgeldes nach § 890 ZPO ausscheidet.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 9. April 2008, 8 Ta 207/07<br />

Streitwert <strong>und</strong> Gebühren<br />

208. Streitwert, Herausgabe von Unterlagen<br />

Wird die Herausgabe einer Urk<strong>und</strong>e verlangt, deren Besitz<br />

nicht unmittelbar das in ihr verbriefte Recht verkörpert, so<br />

bestimmt das Gericht den Wert des Herausgabeverlangens<br />

gem. § 3 ZPO nach freiem Ermessen. Dabei ist in der Regel<br />

ein Abschlag vorzunehmen von dem Wert dessen, was mittels<br />

der Urk<strong>und</strong>e voraussichtlich realisiert werden kann. Im<br />

entschiedenen Fall wurde von Leistungsnachweisen, die zur<br />

Durchsetzung einer Forderung benötigt wurden, ein Abzug<br />

von 50 % vorgenommen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 5. Juni 2008, 1 Ta 94/08<br />

209. Streitwert, Beschlussverfahren, Schulung eines Betriebsratsmitgliedes,<br />

bezahlte Freistellung, einstweilige<br />

Verfügung, Leistungsverfügung<br />

Aus den Gründen: ...<br />

2. Ob es sich bei dem Antrag des Betriebsrats, eines seiner<br />

Mitglieder für die Teilnahme an einer Schulung nach § 37<br />

Abs. 6 BetrVG bezahlt freizustellen, um eine vermögensrechtliche<br />

oder nichtvermögensrechtliche Angelegenheit i.S.d. § 23<br />

Abs. 3 Satz 2 RVG handelt, wurde in der Rechtsprechung der<br />

Landesarbeitsgerichte nicht einheitlich entschieden. Nach<br />

einer Auffassung hat der geltend gemachte Freistellungsanspruch<br />

vermögensrechtliche Natur. Wenn der Arbeitgeber<br />

verpflichtet werden solle, das Betriebsratsmitglied für die<br />

Dauer der Schulung ohne Arbeitsleistung zu vergüten,<br />

handele es sich um einen Eingriff in das vertragliche Austauschverhältnis<br />

von Leistung <strong>und</strong> Gegenleistung; dieser<br />

wirtschaftliche Gesichtspunkt stehe im Vordergr<strong>und</strong> <strong>und</strong><br />

müsse für die Wertfestsetzung maßgebend sein (LAG Hamm,<br />

Beschluss vom 26. November 2007 – 10 Ta 693/07; LAG Köln,<br />

Beschluss vom 26. Juni 2006 –7Ta75/07). Die Gegenmeinung<br />

stellt hingegen darauf ab, dass es bei einer Freistellung für<br />

eine Schulung nach § 37 Abs. 6 BetrVG nicht vordringlich<br />

um die Zahlung der Vergütung an das Betriebsratsmitglied,<br />

sondern um den Schulungsbedarf des Betriebsratsgremiums<br />

geht; dieser Gegenstand sei nichtvermögensrechtlicher Art<br />

(LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. Juni 2007 –<br />

17 Ta (Kost) 6163/07; LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom<br />

14. Juni 2007, 17 Ta (Kost) 6056/08 – 1 Ta 150/07; LAG<br />

Schleswig-Holstein, Beschluss vom 21. August 2002 – 4 Ta<br />

112/02; Hessisches LAG, Beschluss vom 8. März 2001 – 5 Ta<br />

68/01).<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 76 01.09.2008 13:16:58


Die Beschwerdekammer folgt weiterhin der zuletzt genannten<br />

Auffassung. Will der Betriebsrat die Freistellung eines seiner<br />

Mitglieder für eine Schulungsveranstaltung nach § 37 Abs. 6<br />

BetrVG erreichen, geht es ihm nicht vordringlich um die Zahlung<br />

der Vergütung für die Dauer der Freistellung. Dieser Vergütungsanspruch<br />

steht vielmehr dem jeweiligen Betriebsratsmitglied<br />

zu <strong>und</strong> müsste ggf. ohnehin in einem gesonderten<br />

arbeitsgerichtlichen Verfahren geltend gemacht werden. Das<br />

Verfahren betrifft auch nicht den Schulungsanspruch des einzelnen<br />

Betriebsratsmitgliedes. Es kommt vielmehr darauf an,<br />

ob die Schulung Kenntnisse vermittelt, die für die Tätigkeit<br />

des Betriebsrats erforderlich sind. Mit dem Freistellungsbegehren<br />

soll vor allem die ordnungsgemäße Durchführung der<br />

Aufgaben des Betriebsrats gesichert werden; dieser Verfahrensgegenstand<br />

ist nichtvermögensrechtlicher Natur.<br />

Bei der Bewertung der nichtvermögensrechtlichen Angelegenheit<br />

kommt es vor allem auf die Bedeutung der Angelegenheit<br />

für die Beteiligten an, wobei auch eine finanzielle<br />

Belastung des Arbeitgebers berücksichtigt werden kann. Die<br />

Art des nachgesuchten Rechtsschutzes rechtfertigt dabei eine<br />

Herabsetzung des Wertes nur, wenn es um die Sicherung eines<br />

Anspruchs oder die vorläufige Regelung eines Rechtsverhältnisses<br />

geht. Begehrt der Betriebsrat hingegen den Erlass<br />

einer so genannten Leistungsverfügung <strong>und</strong> kam die Durchführung<br />

eines Hauptsacheverfahrens nach Lage der Dinge<br />

nicht in Betracht, ist eine Herabsetzung des Verfahrenswertes<br />

nicht gerechtfertigt (LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom<br />

18. Juni 2007 – 17 Ta (Kost) 6163/07; LAG Berlin, Beschluss<br />

vom 21. Mai 2001 – 17 Ta (Kost) 6088/01).<br />

Im vorliegenden Fall sollte der stellvertretende Vorsitzende<br />

des Betriebsrats für die Teilnahme an einer einwöchigen Schulungsveranstaltung<br />

<strong>und</strong> damit für einen nicht nur kurzfristigen<br />

Zeitraum freigestellt werden. Die Teilnahme wäre zudem<br />

mit nicht unerheblichen Kosten für die Arbeitgeberin verb<strong>und</strong>en<br />

gewesen. So betrugen allein die Seminargebühren 985,00<br />

EUR; ferner hätte die Arbeitgeberin die Kosten für eine Reise<br />

von Berlin nach Niedernhausen <strong>und</strong> zurück <strong>und</strong> die Vergütung<br />

des stellvertretenden Betriebsratssitzung für die Dauer<br />

des Seminars tragen müssen. Bei dieser Sachlage entspricht<br />

es billigem Ermessen, den Verfahrenswert nach dem Hilfswert<br />

von 4.000,00 EUR zu bemessen. Dass der Betriebsrat sein Begehren<br />

im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verfolgt<br />

hat, rechtfertigt aus den oben genannten Gründen keine Herabsetzung<br />

des Verfahrenswertes.<br />

■ Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg<br />

vom 28. Mai 2008, 17 Ta (Kost) 6056/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Gisbert Seidemann, Budapester<br />

Straße 40, 10787 Berlin, Tel.: 030/254591-0,<br />

Fax: 030/254591-66,<br />

p.osche@advocati.de; www.advocati.de<br />

03/08<br />

Rechtsprechung<br />

Streitwert <strong>und</strong> Gebühren<br />

210. Streitwert, Beschlussverfahren, Freistellung<br />

Streiten die Parteien nur um die entgeltliche oder unentgeltliche<br />

Freistellung eines Arbeitnehmers von seiner Arbeitspflicht<br />

für die Teilnahme an einer gewerkschaftlichen Veranstaltung,<br />

<strong>und</strong> lehnt der Arbeitgeber zudem die Freistellung unter Berufung<br />

auf eine ansonsten drohende Störung des Betriebsablaufs<br />

ab, so handelt es sich um eine „vermögensrechtliche“<br />

Streitigkeit, deren Wert das Gericht gem. § 3 ZPO nach freiem<br />

Ermessen festsetzt <strong>und</strong> der sich grob am Verdienst des Arbeitnehmers<br />

für die Zeit der Freistellung orientiert.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 2. Juni 2008, 1 Ta 80/08<br />

211. Streitwert, Beschlussverfahren, Umsetzung einer Gesamtbetriebsvereinbarung<br />

zur Einführung einheitlicher<br />

Dienstkleidung<br />

1. Beantragt der (Gesamt-)Betriebsrat, dem Arbeitgeber<br />

die Umsetzung einer geschlossenen (Gesamt-)Betriebsvereinbarung<br />

aufzugeben, so bestimmt sich der Wert der<br />

anwaltlichen Tätigkeit nach § 23 Abs. 3 S. 2 RVG. Dabei stellt<br />

der dort genannte Wert nach ständiger Rechtsprechung des<br />

Beschwerdegerichts keinen Regelwert dar, von dem nur unter<br />

bestimmten Umständen abgewichen werden kann, sondern<br />

vielmehr einen Hilfswert, auf den nur dann zurückzugreifen<br />

ist, wenn alle Möglichkeiten für eine individuelle Bewertung<br />

ausgeschöpft sind. Solche Anhaltspunkte ergeben sich aus<br />

der wirtschaftlichen Interessenlage der Beteiligten, inwieweit<br />

durch das Beschlussverfahren finanzielle Ansprüche einzelner<br />

Arbeitnehmer berührt werden, aus der Bedeutung, dem<br />

Umfang <strong>und</strong> der Schwierigkeit einer Sache sowie dem<br />

objektiven Arbeitsaufwand des Rechtsanwalts im Einzelfall<br />

(vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 04.03.2008 – 1 Ta<br />

26/08; Beschluss vom 17.07.2007 – 1 Ta 173/07; Beschluss<br />

vom 14.06.2007 –1Ta147/07).<br />

Der Ansatz des fünffachen Ausgangswertes erscheint im Hinblick<br />

auf den Umfang des Streitstoffs in tatsächlicher Hinsicht<br />

wie auch hinsichtlich der wirtschaftlichen Bedeutung der Sache<br />

für die Arbeitgeberin gerechtfertigt, wenn der Gesamtbetriebsrat<br />

unwidersprochen vorträgt, dass die streitgegenständlichen<br />

Gesamtbetriebsvereinbarungen ca. 2.300 Arbeitnehmer<br />

der Arbeitgeberin in 40 namentlich benannten Betriebsstätten<br />

betreffen <strong>und</strong> für die Arbeitgeberin, ausgehend<br />

von einem finanziellen Zuschuss zur Dienstkleidung in Höhe<br />

von 15,00 EUR pro Arbeitnehmer, pro Monat ein jährliches<br />

Kostenvolumen in Höhe von mehr als 400.000,00 Euro bedeuten.<br />

2. Bei der Wertfestsetzung kommt es gr<strong>und</strong>sätzlich nicht<br />

darauf an, ob der geltend gemachte Anspruch materiellrechtlich<br />

begründet ist.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 20. Juni 2008, 1 Ta 105/08<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 77 01.09.2008 13:16:58<br />

241


Rezensionen<br />

Rezensionen<br />

Däubler/Hjort/Hummel/Wolmerath<br />

Arbeitsrecht, Kommentar<br />

Individualarbeitsrecht mit kollektivrechtlichen Bezügen<br />

Nomos Verlag, 1. Auflage 2008, 3.258 Seiten, geb<strong>und</strong>en,<br />

118,00 €<br />

ISBN: 978-3-8329-2588-8<br />

Mit dem Handkommentar zum Arbeitsrecht – kurz HK-<br />

ArbR –hat der Nomos Verlag ein neues, umfassendes, kompaktes<br />

Nachschlagewerk auf den Markt gebracht. Die Zeiten,<br />

in denen der Arbeitsrechtler lediglich zum „Schaub“ greifen<br />

konnte, um ein aktuelles Problem zu lösen, sind vorbei. In<br />

den letzten Jahren haben sich mehrere Werke am Markt<br />

etabliert <strong>und</strong> unter den Fachanwälten einen treuen Kreis von<br />

Käufern gef<strong>und</strong>en, so dass es „Newcomer“ nicht leicht haben.<br />

Gr<strong>und</strong> genug, der Frage nachzugehen, was kann der neue<br />

Handkommentar bieten, das die anderen nicht haben?<br />

Die Herausgeber stellen zutreffend fest, dass in der arbeitsrechtlichen<br />

Beratungspraxis die Arbeitnehmer-Mandate überwiegen.<br />

Sie sind der Auffassung, die vorhandene Kommentarliteratur<br />

trage dieser besonderen Sichtweise nicht ausreichend<br />

Rechnung. Deshalb<br />

solle das neue Werk insbesondere der Arbeitnehmerberatung<br />

dienen. Anliegen des HK-ArbR sei es, dementsprechend insbesondere<br />

diejenigen Probleme anzusprechen, die bei der Bestimmung<br />

<strong>und</strong> Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten, auch<br />

denen von leitenden Angestellten, zu beachten sind.<br />

Zunächst kann festgestellt werden, dass die Namen der Herausgeber<br />

– Däubler, Hjort, Hummel, Wolmerath – <strong>und</strong> die der<br />

von ihnen verpflichteten weiteren renommierten Autoren Gewähr<br />

dafür bieten, dass Arbeitnehmer <strong>und</strong> ihre Anwälte – <strong>und</strong><br />

natürlich auch die Personalabteilungen – mit dem Kommentar<br />

im wahrsten Sinne des Wortes gut beraten sind. Der neue<br />

Handkommentar will – wie der Verlag weiter mitteilt – für die<br />

Arbeitnehmerberatung ausloten, was vor Gericht Bestand hat.<br />

Der Begriff „ausloten“ weckt zunächst Erstaunen. Er darf nicht<br />

etwa dahingehend missverstanden werden, dass die Kommentatoren<br />

unrealistische, einseitige Arbeitnehmerpositionen<br />

verträten, um deren Durchsetzungschancen vor Gericht – wo<br />

möglich auf dem Rücken der Mandanten – zu testen. Dass<br />

dem nicht so ist, stellt das weitere von den Herausgebern<br />

vorgegebene Gr<strong>und</strong>prinzip des Kommentars sicher: Er steht<br />

auf der Gr<strong>und</strong>lage einer umfassenden Auswertung der BAG-<br />

Rechtsprechung. Dieses Prinzip wird weitgehend konsequent<br />

beachtet. Die Autoren verfallen nicht der verbreiteten Unsitte,<br />

der eigenen Meinung nur dadurch zusätzliches Gewicht zu<br />

verleihen, dass sie befre<strong>und</strong>ete Kommentatoren zitieren, die<br />

ihrerseits entsprechend verfahren. Im Vordergr<strong>und</strong> der Kommentierung<br />

steht in der Tat die BAG Rechtsprechung. Durch<br />

242 03/08<br />

die klare Orientierung an der BAG-Rechtsprechung zeigt der<br />

Kommentar die Spielräume für die Durchsetzung von Arbeitnehmerpositionen<br />

auf, schreibt der Verlag in seiner Werbung<br />

für den Handkommentar.<br />

Der Kommentar vereint in einem Band alle relevanten Gesetze<br />

des Individualarbeitsrechts. In die Kommentierung werden<br />

die maßgeblichen Regelungen des kollektiven Arbeitsrechts<br />

einbezogen. Die maßgeblichen Normen der InsO, des SGB,<br />

des HGB <strong>und</strong> der GewO werden ebenfalls erläutert. Die Kommentierung<br />

berücksichtigt darüber hinaus alle neuen Gesetze<br />

(z.B das AGG) sowie Gesetzesänderungen (z.B. im TzBfG) <strong>und</strong><br />

befindet sich im Wesentlichen auf dem Stand der Rechtsprechung<br />

<strong>und</strong> Literatur von Ende 2007.<br />

Das kollektive Arbeitsrecht wird überall dort in die Kommentierung<br />

einbezogen, wo es für die Rechtsanwendung nötig ist.<br />

So werden im Rahmen der Kommentierung von § 611 BGB die<br />

Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei der Einstellung eines<br />

Arbeitnehmers erörtert. Eine eigene Kommentierung des BetrVG<br />

wird deshalb nicht vermisst.<br />

Weit über eine bloße Einbeziehung des kollektiven Arbeitsrechts<br />

hinaus geht die Kommentierung von Art. 9 Abs. 3 GG.<br />

Es ist den Herausgebern gelungen, für diese zentrale Vorschrift<br />

des Arbeitsrechts einen Bearbeiter zu gewinnen, der<br />

sowohl als Gewerkschaftsführer wie auch als Wissenschaftler<br />

Respekt <strong>und</strong> Anerkennung gef<strong>und</strong>en hat. In keiner Weise verbirgt<br />

er seine Sympathie für die Arbeitnehmerseite. Darunter<br />

leidet die Kommentierung nicht. Der Bearbeiter akzeptiert<br />

die Vorgaben der Herausgeber, auch sein Beitrag steht<br />

auf der Gr<strong>und</strong>lage einer umfassenden Auswertung der BAG-<br />

Rechtsprechung. Von der insgesamt ausgezeichneten Bearbeitung<br />

soll kurz auf das Arbeitskampfrecht eingegangen werden.<br />

Arbeitskampfrecht ist Richterrecht. Und so finden wir in<br />

dem HK-ArbR eine umfassende, exakte <strong>und</strong> sehr sachk<strong>und</strong>ige<br />

Darstellung der wesentlichen Entscheidungen des Großen Senats<br />

des BAG <strong>und</strong> des 1. Senats <strong>und</strong> last but not least des<br />

B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts. Die deutlich spürbare besondere<br />

Sachk<strong>und</strong>e des Autors hat ihren Gr<strong>und</strong> u.a. darin, dass er<br />

einige der wesentlichen Entscheidungen als Partei herbeigeführt<br />

hat. Seine Parteilichkeit gefährdet nie die Wissenschaftlichkeit<br />

seiner Kommentierung, so dass jedem, der der sich<br />

ein Bild über das geltende Arbeitskampfrecht machen will,<br />

das Studium des Kommentars nur empfohlen werden kann.<br />

Ein Wehrmutstropfen aber bleibt: Die Vorgabe, bei der Kommentierung<br />

die BAG Rechtsprechung auszuwerten, schränkt<br />

den Blick in die Zukunft ein. So sucht der <strong>Leser</strong> vergeblich<br />

nach Hinweisen, wie die Rechtsordnung auf das Erstarken der<br />

sogenannten Spartengewerkschaften, wie Vereinigung Cockpit,<br />

Marburger B<strong>und</strong> <strong>und</strong> zuletzt der GDL reagieren soll. Soll<br />

das Streikrecht Gruppierungen, die mehr oder weniger zufäl-<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 78 01.09.2008 13:16:58


lig über besonders schmerzhafte Druckmittel verfügen, zur<br />

Verwirklichung ihrer egoistischen Ziele verhelfen oder hatte<br />

das Arbeitsgericht Chemnitz recht, als es mit Rücksicht auf das<br />

Gemeinwohl die Streikbefugnisse der Lokführer beschränkte?<br />

Es ist ohnedies die Frage, ob es im Zeitalter der Globalisierung<br />

noch richtig ist, mit Streiks Arbeitsentgelte zu erzwingen,<br />

die die Produktionskosten so weit erhöhen, dass es aus<br />

wirtschaftlicher Sicht notwendig wird, die Produktion ins Ausland<br />

zu verlegen. Sozialpartnervereinbarungen zu Stärkung<br />

des Standorts B<strong>und</strong>esrepublik nach dem Vorbild der Chemischen<br />

Industrie statt Arbeitskämpfe haben sehr viel für sich.<br />

Den Hinweis hierauf sucht der <strong>Leser</strong> vergeblich. Aber für derart<br />

rechtspolitische Erörterungen ist der Kommentar nicht bestimmt.<br />

Er soll die Rechtslage wiedergeben, wie sie aktuell<br />

durch das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht vorgegeben ist. Und diese<br />

Vorgabe wird nicht nur im Bereich des Art. 9 Abs. 3 GG in<br />

vollem Umfang erfüllt. Sie gilt für den gesamten Kommentar<br />

<strong>und</strong> gibt deshalb dem Anwalt, der sich an ihm orientiert<br />

Sicherheit, seinen Mandanten „richtig“ zu beraten. Vielfältige<br />

Beratungshinweise bis hin zu Formulierungsvorschlägen bieten<br />

dem Anwalt zusätzlichen praktischen Nutzen. Der Kauf<br />

des HK-ArbR kann ohne Einschränkung empfohlen werden.<br />

Dr. Walter Hesse<br />

Fachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin<br />

Henssler/Willemsen/Kalb<br />

Arbeitsrecht Kommentar<br />

Verlag Otto Schmidt, Köln, 3. Auflage, Stand 1. April 2008,<br />

3355 Seiten, 149,00 EUR<br />

EAN 9783504426590<br />

Zwei Jahre nach der 1. ist nunmehr die 3. Auflage des Werkes<br />

erschienen, das als Konkurrenz <strong>und</strong> als Alternative zum Erfurter<br />

Kommentar zu bezeichnen ist. Und tatsächlich hat sich der<br />

Henssler/Willemsen/Kalb aus der Sicht des arbeitsrechtlichen<br />

Praktikers als ein Werk erwiesen, das den Vergleich zum Erfurter<br />

Kommentar in keiner Weise zu scheuen braucht. Auch<br />

die 3. Auflage, die auf dem Stand vom 1. April 2008 steht <strong>und</strong><br />

damit außerordentlich aktuell ist, erweist sich als praxistaugliches<br />

Werk, das in keiner arbeitsrechtlichen Bibliothek fehlen<br />

sollte.<br />

Ob man <strong>liebe</strong>r mit dem „HWK“ oder mit dem Erfurter<br />

Kommentar arbeitet, ist nicht die Frage eines Qualitätsunterschiedes,<br />

sondern des Geschmacks. Wie in den Vorauflagen<br />

liegt der Unterschied eher im Detail denn in der<br />

inhaltlichen Qualität: So hat der „HWK“ daran festgehalten,<br />

die Rechtsprechungs- <strong>und</strong> Literaturnachweise in Form von<br />

Fußnoten darzustellen. Das wird sicher von vielen <strong>Leser</strong>n als<br />

besonders benutzerfre<strong>und</strong>lich empf<strong>und</strong>en werden.<br />

Die Neuauflage enthält verschiedene Ergänzungen. Für die<br />

tägliche Arbeit wird insbesondere die neu aufgenommene<br />

03/08<br />

Rezensionen<br />

knappe aber auf den Punkt gebrachte Kommentierung zum<br />

AGG oder zum BDSG interessant sein. Den hohen wissenschaftlichen<br />

Anspruch des Werkes stellen systematische Darstellungen<br />

des neuen Gesetzes zur Mitbestimmung der Arbeitnehmer<br />

bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung<br />

(MGVG) <strong>und</strong> des Gesetzes über die Beteiligung der Arbeitnehmer<br />

in einer europäischen Gesellschaft (SEBG) sicher. Die<br />

nunmehr erweiterte Kommentierung zur Besteuerung des Arbeitsentgeltes<br />

nach dem EStG dürfte in vielen Fällen auf Interesse<br />

stoßen.<br />

An Aktualität <strong>und</strong> kenntnisreicher Einschätzung arbeitsrechtlicher<br />

Fragestellungen lässt der „HWK“ wie gewohnt nichts<br />

zu wünschen übrig. So finden sich viele Prognosen zur Entscheidung<br />

ungeklärter Rechtsfragen durch die sich ständig<br />

entwickelte Rechtsprechung bestätigt. Als Beispiel mag die<br />

neue <strong>und</strong> in diesem Heft besprochene Entscheidung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts<br />

zu zweistufigen Ausschlussfristen vom 18.<br />

März 2008 dienen: Hier sah Gotthardt die Entscheidung des<br />

BAG voraus.<br />

Der „HWK“ kann dem arbeitsrechtlichen Praktiker uneingeschränkt<br />

empfohlen werden.<br />

Dr. Hans-Georg Meier<br />

Fachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin<br />

Däubler/Bertzbach<br />

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz – Handkommentar<br />

Nomos Verlag, 2. Auflage 2008, 911 S., geb., 89,00 €<br />

ISBN 978-3-8329-3445-3<br />

2008 legen Däubler/Bertzbach die zweite Auflage ihrer Kommentierung<br />

zum AGG vor, die das AGG auf neustem Stand bietet.<br />

Die umfangreiche <strong>und</strong> sehr detailreiche Kommentierung<br />

befasst sich im Wesentlichen mit dem arbeitsrechtlichen Teil<br />

des AGG, bezieht aber auch dessen zivilrechtliche Vorschriften<br />

mit ein. Die Neuauflage stellt sowohl die Rechtsprechung<br />

als auch den Stand der Forschung umfassend dar. Darüber<br />

hinaus bringen die Autoren <strong>und</strong> Autorinnen des Werkes ihre<br />

eigenen Überlegungen <strong>und</strong> praktischen Erfahrungen mit ein.<br />

Wissenschaftlichkeit <strong>und</strong> Praxisbezogenheit werden in dieser<br />

Kommentierung gekonnt vereint. Der Kommentar will nach<br />

eigener Aussage eine Anleitung zum Handeln bieten, indem<br />

Hilfestellungen hinsichtlich einer Diskriminierungsprävention<br />

gegeben werden. Im Schwerpunkt handelt es sich um ein<br />

arbeitsrechtliches Werk. Dementsprechend richtet es sich an<br />

in der Arbeitsrechtspraxis tätige Personen, also an Rechtsanwälte,<br />

Arbeitsrichter, Betriebsräte, Arbeitgeber, Personaler,<br />

Gewerkschaften etc.<br />

Bereits die Einleitung ist äußerst instruktiv. Sie gibt zunächst<br />

einen Überblick über die Entstehungsgeschichte des AGG <strong>und</strong><br />

dessen Aufbau. Zudem wird das Verhältnis zum bisher gelten-<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 79 01.09.2008 13:16:58<br />

243


Rezensionen<br />

den Recht dargestellt. Die darauf folgenden Abschnitte befassen<br />

sich mit der Bedeutung des europäischen Gemeinschaftsrechts,<br />

der Wirksamkeit <strong>und</strong> Auslegung der EG-Richtlinien sowie<br />

mit völkerrechtlichen Diskriminierungsverboten.<br />

Der Einleitung folgt eine sehr umfassende Kommentierung zu<br />

den einzelnen Vorschriften des AGG, die wegen ihrer Breite,<br />

Aktualität <strong>und</strong> Genauigkeit nichts zu wünschen übrig lässt.<br />

Angereichert werden die Ausführungen der Autoren zu den<br />

Einzelvorschriften des AGG mit aktuellen Literatur- <strong>und</strong> Rechtsprechungsnachweisen.<br />

Besonders erfreulich ist die Kommentierung<br />

zu den positiven Maßnahmen in § 5 AGG, die in anderen<br />

Kommentaren zum AGG meist stiefmütterlich behandelt<br />

werden.<br />

Einer der Schwerpunkte des Werkes liegt auf Fragen, die sich<br />

in der täglichen Praxis stellen oder aber noch stellen könnten.<br />

Dazu gehören die Anwendung der Diskriminierungsverbote<br />

auf Kündigungen <strong>und</strong> die betriebliche Altersvorsorge,<br />

244 03/08<br />

die Zulässigkeit von Altersgrenzen nach der neusten Rechtsprechung<br />

des EuGH, Ansprüche auf Schadensersatz wegen<br />

eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot, Bildung<br />

von Altersgruppen beim Personalabbau sowie Außerachtlassung<br />

von Zeiten der Betriebszugehörigkeit vor dem vollendeten<br />

25. Lebensjahr, um nur einige zu nennen.<br />

Eingegangen wird auch auf die Anfang Februar 2008 geäußerte<br />

Kritik der EG-Kommission am AGG, der bereits jetzt<br />

durch richtlinienkonforme Auslegung Rechnung getragen<br />

wird.<br />

Fazit: Die Kommentierung von Däubler/Bertzbach ist uneingeschränkt<br />

empfehlenswert <strong>und</strong> sollte in der Bibliothek des arbeitsrechtlichen<br />

Praktikers nicht fehlen. Es handelt sich um ein<br />

Werk, das alle wesentlichen Aspekte anspricht <strong>und</strong> Maßstäbe<br />

setzt.<br />

Maren Roscher<br />

Rechtsanwältin, LL.M., Berlin<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 80 01.09.2008 13:16:59


Stichwortverzeichnis<br />

(Zahlenangaben sind lfd. Nummern der Entscheidungen)<br />

Abmahnung<br />

Androhungseinforderung – 170<br />

einschlägige – 170, 205<br />

fehlerhafte Bewertung – 150<br />

objektiver Verstoß – 150<br />

Verschulden – 150<br />

Konkretisierungsanforderung – 150<br />

Allgemeine Geschäftsbedingung<br />

Inhaltskontrolle – 176, 201<br />

Unklarheit – 182, 187<br />

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz<br />

Anknüpfungstatsachen – 144<br />

Beschwerdestelle – 196<br />

Geschlechtsdiskriminierung – 144<br />

Schwerbehinderter – 145a, 145b<br />

Tarifvertrag – 145b<br />

Annahmeverzug<br />

Zwischenverdienst – 178<br />

Arbeitnehmerähnliche Person<br />

Tarifvertrag Deutschlandfunk – 202<br />

Arbeitnehmerstatus<br />

gewillkürter – durch Vertragsart – 149<br />

Umschüler – 205<br />

Arbeitszeit<br />

Arbeitszeitverkürzung – 152<br />

Arbeitszeitreduzierung<br />

berechtigte betriebliche Interessen – 152<br />

Elternzeit – 153<br />

Teilzeitverlangen – 152<br />

Aufhebungsvertrag<br />

Anfechtung – 172<br />

Auflösungsantrag<br />

des Arbeitgebers – 168, 174, 175<br />

des Arbeitnehmers – 168, 176<br />

Auflösungsurteil<br />

Abfindungshöhe – 168, 174, 175<br />

Auslegung<br />

des Arbeitsvertrages – 182, 187<br />

Teilzeitverlangen – 152<br />

Willenserklärung – 200<br />

Ausschlussfrist<br />

Teilunwirksamkeit – 148<br />

zweistufige – 148<br />

Außerordentliche Kündigung<br />

Arbeitsunfähigkeit Ankündigung – 173<br />

Arbeitszeitbetrug – 167<br />

Frist des § 626 Abs. 2 BGB – 167<br />

Interessenabwägung – 205<br />

substantiierter Vortrag – 205<br />

unentschuldigtes Fehlen – 205<br />

Verdacht – 167<br />

Verspätungen – 205<br />

Vortäuschung von Arbeitsunfähigkeit – 172<br />

Befristung<br />

des Arbeitsverhältnisses – siehe dort<br />

Befristung des Arbeitsverhältnisses<br />

Änderung von Vertragsbedingungen – 191<br />

mehrere Befristungen – 190<br />

Veränderungsverbot – 191<br />

Vertretungsbedarf – 190<br />

Beschlussverfahren<br />

einstweilige Verfügung – 194<br />

Zwangsvollstreckung – 197, 207<br />

Besitzstand<br />

BAT – 203<br />

Bestreiten<br />

Betriebsratsanhörung – 145a<br />

Nichtwissen – 145a, 167<br />

Betreuung<br />

Rechtsfolgen – 180<br />

Betriebliche Altersversorgung<br />

Anpassung von Betriebsrenten – 151<br />

Betriebsbedingte Kündigung<br />

Betriebsstilllegung – 164<br />

freier Arbeitsplatz – 163<br />

Rationalisierung – <strong>165</strong><br />

Namensliste – 163<br />

Sozialauswahl – 163, <strong>165</strong><br />

unternehmerische Entscheidung – <strong>165</strong>, 178<br />

Betriebsbuße – 150<br />

Betriebsrat<br />

Schulung – siehe Betriebsratsschulung<br />

Ordnungsgeld – 197, 207<br />

Unterlassungsanspruch – 197, 207<br />

Versetzung – 197<br />

Betriebsratsbeschluss<br />

Einladung – 195<br />

Betriebsratsschulung<br />

Strafvorschriften – 193<br />

Betriebsratswahl<br />

Anfechtung – 194<br />

einstweilige Verfügung – 194<br />

Wahlvorstand – 194<br />

Betriebsübergang<br />

Betriebsteilübergang – 164<br />

Identität – 164, 178<br />

Betriebsvereinbarung<br />

ablösende – 192<br />

Nachwirkung – 192<br />

Beweismittel<br />

Gegnerbesitz – 159<br />

Darlegungs- <strong>und</strong> Beweislast<br />

Direktionsrecht – 154<br />

Fortsetzungserkrankung – 147<br />

Überst<strong>und</strong>envergütung – 159<br />

Direktionsrecht<br />

billiges Ermessen – 154<br />

einstweilige Verfügung – 154<br />

Eigenkündigung<br />

wichtiger Gr<strong>und</strong> – 162<br />

Stichwortverzeichnis<br />

03/08<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 81 01.09.2008 13:16:59<br />

245


Stichwortverzeichnis<br />

Eingruppierung<br />

Heimzulage – 199<br />

Einigungsstelle<br />

Einsetzungsverfahren – 195<br />

offensichtliche Unzuständigkeit – 195, 196<br />

Einstweilige Verfügung<br />

Befristungswirkung – 157, 162<br />

Leistungsverfügung – 157<br />

Verfügungsgr<strong>und</strong> – 154, 157, 161, 162<br />

wesentliche Nachteile – 154, 157<br />

Wettbewerbsverbot – 161, 162<br />

Elternzeit – 153<br />

Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall<br />

Leistungsbereitschaftsfähigkeit – 156<br />

Fortsetzungserkrankung – 147<br />

Sonn- <strong>und</strong> Feiertagszuschläge – 155<br />

Europarecht<br />

Urlaubsverfall – 146<br />

Fahrtenschreiberblätter<br />

Herausgabe – 159<br />

Freistellung<br />

Anspruch auf – 157<br />

Geringfügig Beschäftigte<br />

Sozialversicherungsbeiträge – 160<br />

Gleichbehandlung<br />

Sozialplan – 198<br />

Teilzeitarbeitskräfte – 198<br />

Hinterlegung – 158<br />

Insolvenz<br />

abgesonderte Befriedigung – 158<br />

Integrationsamt<br />

nachträgliche Zustimmung – 184<br />

Krankheitsbedingte Kündigung<br />

negative Prognose – 177<br />

Wiedereingliederungsmanagement – 177<br />

Kündigung<br />

siehe u.a. auch unter betriebsbedingte-, krankheitsbedingte-,<br />

verhaltensbedingte, außerordentliche- u. personenbedingte<br />

Kündigungserklärung<br />

Zugang – 184<br />

Kündigungsfrist<br />

Zugang – 184<br />

Kündigungsschutzgesetz<br />

Kleinbetriebsklausel – 185<br />

Kündigungsschutzklage<br />

behördlicher Zustimmungsvorbehalt – 180<br />

Klagefrist – 180, 205<br />

nachträgliche Zulassung – 189<br />

Mitbestimmung des Betriebsrates<br />

betriebliche Ordnung – 150<br />

Bekleidungsordnung – 150<br />

Beschwerdestelle nach AGG – 196<br />

Betriebsbuße – 150<br />

Erweiterung durch Tarifvertrag – 195<br />

Mitbestimmung des BR in personellen Angelegenheiten<br />

Unterlassungsanspruch – 197<br />

Nebentätigkeit<br />

Freistellungsanspruch – 157<br />

Nichtzulassungsbeschwerde<br />

gr<strong>und</strong>sätzliche Bedeutung – 146<br />

246 03/08<br />

Personalrat<br />

Anhörung vor Kündigung – 184<br />

Probezeit – 187, 188<br />

Rechtskraftwirkung<br />

Teilrechtskraft – 200<br />

Rechtswegverweisung<br />

Streitwert – 149<br />

Rückzahlungsanspruch<br />

Bindungsfrist – 176<br />

Schiedsgutachten<br />

Wirkung – 199<br />

Schwerbehinderte<br />

Antragseingang – 181<br />

Sexuelle Belästigung – 166<br />

Sonderkündigungsschutz<br />

Antragseingang – 181<br />

Schwerbehinderter – 180, 181<br />

Schwerbehindertenvertretung – 179<br />

Zustimmungsbescheid – 183, 184<br />

Sozialauswahl<br />

Altersstruktur – 179<br />

Auskunftspflicht – 185<br />

Gr<strong>und</strong>sätze – <strong>165</strong><br />

Namensliste – 163, 179<br />

vergleichbare Arbeitnehmer – <strong>165</strong>, 185<br />

Wertungsspielraum – <strong>165</strong>, 179<br />

Sozialplan<br />

Gleichbehandlung – 198<br />

Sozialversicherungsbeiträge<br />

geringfügig Beschäftigte – 160<br />

Streitwert<br />

Beschäftigungsanspruch – 154<br />

Beschlussverfahren – siehe dort<br />

Herausgabe – 208<br />

Kündigungsschutzverfahren – siehe dort<br />

Rechtswegbeschwerde – 149<br />

Wettbewerbsverbot – 161<br />

Streitwerte im Beschlussverfahren<br />

Freistellung eines Betriebsratsmitgliedes – 209, 210<br />

Schulung – 209<br />

Umsetzung einer Betriebsvereinbarung – 211<br />

Stufenklage<br />

Zulässigkeit – 176<br />

Tarifbindung<br />

Bezugnahme auf Tarifvertrag – 182, 200, 201<br />

Gastmitgliedschaft – 200<br />

Tarifkonkurrenz <strong>und</strong> Tarifpluralität<br />

Unterlassungsanspruch Konkurrenzgewerkschaft – 204<br />

Tarifvertrag<br />

AGG – 145b<br />

Erweiterung von Mitbestimmungsrechten – 195<br />

Überst<strong>und</strong>en<br />

Beweismittel – 159<br />

Ungerechtfertigte Bereicherung<br />

Insolvenz – 158<br />

Urlaubsabgeltung<br />

Anspruchsverfall – 146, 147<br />

Verhaltensbedingte Kündigung<br />

Abmahnungserfordernis – 171, 173<br />

Androhung der Arbeitsunfähigkeit – 173<br />

Arbeitnehmerkündigung – 162<br />

Arbeitszeitbetrug – 167<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 82 01.09.2008 13:16:59


Aufklärungspflicht – 169<br />

Beleidigung – 174<br />

Erstbescheinigung, erschlichene – 177<br />

gefährliche Handlung – 169<br />

Interessenabwägung – 169, 173, 174, 205<br />

Interessenkollision – 169, 171<br />

Nebentätigkeit – 174<br />

Rücksichtsnahmepflicht – 169<br />

sexuelle Belästigung – 166<br />

substantiiertes Vorbringen – 174, 205<br />

Steuerstraftaten – 168<br />

Therapeut – 171<br />

Vertrauensverlust – 167<br />

Vortäuschung von Arbeitsunfähigkeit – 172, 177<br />

Impressum<br />

AE-Arbeitsrechtliche Entscheidungen<br />

Herausgeber, Chefredaktion- <strong>und</strong> Anschrift:<br />

Rechtsanwalt Dr. Hans-Georg Meier<br />

Budapester Straße 40<br />

10787 Berlin<br />

Telefon (030) 25 45 91 55<br />

Telefax (030) 25 45 91 66<br />

E–Mail: m.bendel@advocati.de<br />

Redakteur:<br />

Rechtsanwalt Roland Gross<br />

Petersstr. 15<br />

04105 Leipzig<br />

Telefon (0341) 984 62-0<br />

Fax (0341) 984 62-24<br />

E–Mail: leipzig@advo-gross.de;<br />

www.advo-gross.de<br />

<strong>und</strong> die Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DeutschenAnwaltverein<br />

(Adresse s. unten)<br />

Geschäftsführender Ausschuss:<br />

Dr. Jobst-Hubertus Bauer (Vors.)<br />

Geschäftsstelle:<br />

c/o Dr. Johannes Schipp<br />

Münsterstraße 21<br />

33330 Gütersloh<br />

Telefon (0 52 41) 90 33-0<br />

Telefax (0 52 41) 1 48 59<br />

Deutscher AnwaltVerein<br />

Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht<br />

Geschäftsstelle<br />

Dr. Katharina Freytag<br />

Littenstraße 11<br />

10179 Berlin<br />

Telefon (030) 72 61 52-0, Sekr. 134<br />

Telefax (030) 72 61 52-195<br />

Vollstreckungsgegenklage<br />

Nachteil, nicht zu ersetzender – 206<br />

Wahlvorstand<br />

Sanktionen – 194<br />

Wettbewerbsverbot<br />

einstweilige Verfügung – 161, 162<br />

Rechtsanwälte – 162<br />

Wiederholungskündigung<br />

Formmangel – 179<br />

Willenserklärung<br />

Auslegung – 200<br />

Zwangsvollstreckung<br />

Einstellung – 206<br />

Verlag:<br />

Deutscher AnwaltVerlag<br />

Wachsbleiche 7<br />

53111 Bonn<br />

Telefon: (0228) 9 19 11-0<br />

Telefax: (0228) 9 19 11-23<br />

E–Mail: kontakt@anwaltverlag.de<br />

Anzeigen<br />

sales friendly Verlagsdienstleistungen<br />

Bettina Roos<br />

Siegburger Str. 123<br />

53229 Bonn<br />

Telefon: (0228) 9 78 98-0<br />

Telefax: (0228) 9 78 98-20<br />

E–Mail: roos@sales-friendly.de<br />

Gültig ist die Preisliste Nr. 4 vom 1.1.2007<br />

Lektorat<br />

Anne Krauss<br />

Satz<br />

Cicero Computer GmbH, 53225 Bonn<br />

Druck<br />

Hans Soldan Druck GmbH, 45356 Essen<br />

Erscheinungsweise<br />

Die AE erscheint vierteljährlich<br />

Bezugspreise 2008<br />

Inland € 92,– (zzgl. Versand)<br />

Einzelheft € 24,50 (zzgl. Versand)<br />

Alle Preise verstehen sich inkl. Mehrwertsteuer. Der Abonnementpreis<br />

wird im Voraus in Rechnung gestellt.<br />

Das Abonnement verlängert sich zu den jeweils gültigen Bedingungen<br />

um ein Jahr, wenn es nicht 8 Wochen vor Ablauf des Bezugsjahres<br />

gekündigt wird.<br />

Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitsrecht erhalten die<br />

AE im Rahmen ihrer Mitgliedschaft.<br />

Urheber- <strong>und</strong> Verlagsrecht<br />

Die in dieser Zeitschrift veröffentlichten Beiträge – auch die bearbeiteten<br />

Gerichtsentscheidungen <strong>und</strong> Leitsätze – sind urheberrechtlich<br />

geschützt. Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken <strong>und</strong><br />

ähnlichen Einrichtungen. Kein Teil dieser Zeitschrift darf außerhalb<br />

der Grenzen des Urhebergesetzes ohne schriftliche Genehmigung<br />

des Verlages in irgendeiner Form – durch Fotokopie, Mikrofilm oder<br />

andere Verfahren – reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere<br />

von Datenverarbeitungsanlagen verwendbare Sprache,<br />

übertragen werden. Namentlich gezeichnete Artikel müssen nicht die<br />

Meinung der Redaktion wiedergeben. Manuskripte <strong>und</strong> Einsendungen<br />

sind bitte an die Redaktionsanschrift zu senden.<br />

Manuskripte<br />

Die AE beinhaltet aktuelle arbeitsrechtliche Entscheidungen sowie<br />

Beiträge für die Anwaltspraxis. Manuskripte sind an die Redaktionsanschrift<br />

zu richten. Unverlangt eingesandte Manuskripte – für die<br />

keine Haftung übernommen wird – gelten als Veröffentlichungsvorschlag<br />

zu den Bedingungen des Verlages. Es werden nur unveröffentlichte<br />

Originalarbeiten übernommen. Die Verfasser erklären sich<br />

mit einer nicht sinnentstellenden redaktionellen Bearbeitung durch<br />

den Herausgeber einverstanden. Mit der Annahme eines Manuskriptes<br />

erwirbt der Verlag vom Verfasser das ausschließliche Recht zur<br />

Veröffentlichung <strong>und</strong> Verwertung. Eingeschlossen ist insbesondere<br />

auch das Recht zur Einspeicherung in Datenbanken sowie das Recht<br />

zur weiteren Vervielfältigung zu gewerblichen Zwecken im Wege eines<br />

fotomechanischen oder eines anderen Verfahrens.<br />

03/08<br />

AE200803_v_2008_09_01.PDF 83 01.09.2008 13:16:59<br />

Impressum<br />

247


AE200803_v_2008_09_01.PDF 84 01.09.2008 13:16:59

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!