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Carl Schuch und die zeitgenössische Stilllebenfotografie - Herforder ...

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<strong>Carl</strong> <strong>Schuch</strong> - Stillleben<br />

<strong>Carl</strong> <strong>Schuch</strong> (1846-1903) malt im Ringen um eine adäquate Wiedergabe der Natur in einer Zeit, in der das neue Medium<br />

der Fotografie eine scheinbar objektive Abbildung der dinglichen Welt verspricht. Das Interesse von <strong>Schuch</strong> <strong>und</strong> anderen<br />

Malern seiner Zeit verlagert sich gleichzeitig in eine Richtung, <strong>die</strong> eine bis heute nachwirkende Zäsur in der Malerei einleitet,<br />

indem sie auf das rein Abbildende verzichten. „Wollen <strong>die</strong> Leute blos den plausiblen Schein der Natur malen, so<br />

sehe ich den Zweck ihres Malens nicht ein“, schreibt <strong>Schuch</strong> an einen Fre<strong>und</strong>. „Ich begreife nicht, warum ich mir dann<br />

lieber nicht <strong>die</strong> Natur selbst ansehe (...). Nein, hier handelt es sich um etwas Anderes: um das Begreifen der Natur <strong>und</strong><br />

das Wiedergeben ihrer geistigen Wahrheiten, um das Warum der Erscheinung, das Hervorheben ihrer Gesetzlichkeit (...).“ 1<br />

<strong>Schuch</strong> will <strong>die</strong>sen „Wahrheiten“ auf den Gr<strong>und</strong> gehen. Als geeignetes Mittel scheint ihm <strong>die</strong> Stilllebenmalerei, erlaubt<br />

sie es doch, seine malerischen Untersuchungen in gesteuerten Lichtverhältnissen <strong>und</strong> an ausgewählten Objekten - quasi<br />

unter Laborbedingungen - durchzuführen. In Paris, wo er von 1882 bis 1894 vorwiegend lebt, wird es sein Hauptinteresse.<br />

Ganz in der Tradition der Gattung des Stilllebens arrangiert er Obst <strong>und</strong> Geflügel, Karaffen, erlegtes Wild <strong>und</strong> Geschirr. Er<br />

wählt etwa einen aufgeschnittenen Kürbis auf einem Zinnteller (Abb. S.5), wie ihn auch schon ein Maler des 17. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

ins Bild gesetzt haben könnte, 2 daneben grüne <strong>und</strong> blaue Trauben, einige weitere Früchte, ein weißes Tuch, das Ganze<br />

angerichtet auf einem Holztisch. <strong>Carl</strong> <strong>Schuch</strong> bietet uns ein klassisches Stillleben. Der Aufbau der Utensilien bot schon den<br />

alten Niederländern <strong>die</strong> Möglichkeit, Form- <strong>und</strong> Farbkompositionen zu erproben <strong>und</strong> ihre Kunst <strong>und</strong> Kennerschaft, nicht<br />

zuletzt dank symbolischer Bezüge, unter Beweis zu stellen. Ausgangspunkt für <strong>die</strong> Beschäftigung mit dem Stillleben war<br />

seit jeher das Naturstudium, <strong>die</strong> genaue Beobachtung der dinglichen Welt. Für <strong>Schuch</strong> war es darüber hinaus das Mittel,<br />

<strong>die</strong> Malerei selbst zu stu<strong>die</strong>ren. Davon zeugen nicht nur <strong>die</strong> unterschiedlichen Versionen an Ölgemälden, <strong>die</strong> er von ein <strong>und</strong><br />

demselben Motiv anfertigte. Wildenten variierte er vielfach oder eine Schale mit Äpfeln <strong>und</strong> Tuch - auch der Kürbis mit seiner<br />

Begleitung ist in einer weiteren Fassung erhalten. 3 <strong>Schuch</strong> bereitete darüber hinaus seine Gemälde in Skizzen vor, <strong>die</strong> er in<br />

sein Notizbuch eintrug. Aus seiner Pariser Zeit sind zwei solcher Notizbücher erhalten. Die Einträge des früheren stammen<br />

wohl zum größten Teil aus dem Jahr 1884. 4 Das Heft enthält eine ganze Sammlung von „Stilllebenmotiven“, basierend<br />

auf Gemälden, <strong>die</strong> <strong>Schuch</strong> auf seinen Reisen in Museen <strong>und</strong> Galerien stu<strong>die</strong>rte. 5 Bereits 1882 kündigte er seinem Fre<strong>und</strong><br />

Hagemeister an, ein Heft zu führen, in dem er seine Beobachtungen zu Werken von ihm geschätzter Maler notiert, <strong>die</strong> Bilder<br />

beschreibt <strong>und</strong> analysiert nach „Beleuchtung, Palettensatz <strong>und</strong> dergleichen.“ 6 In dem sog. „Pariser Notizbuch“ von 1884, das<br />

heute in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe verwahrt wird, finden sich neben der skizzenhaften Wiedergabe von Gemälden<br />

anderer Maler, auch Ideen für eigene Entwürfe. Ein Blatt (Abb. S. 7) zeigt unter zwei kleineren Skizzen mit Arrangements auf<br />

einer bildparallelen Tischplatte eine größere <strong>und</strong> stärker ausgearbeitete Bildnotiz, darunter <strong>die</strong> Worte „Kürbis aufgeschnitten,<br />

orange / auf Blau Teller/ (grünliche) Trauben & Pfirsiche“. Die Skizze selbst ist ebenfalls beschriftet. Die helle Fläche, <strong>die</strong><br />

das Innere der großen Frucht markiert, ist mit „orange“ bezeichnet, das äußere mit „grau / grün“, auf dem Tellerrand steht<br />

das Wort „blau“. Der Katalog der Mannheimer Ausstellung von 1986 stellt der Skizze das Gemälde aus Wien gegenüber,<br />

bemerkt allerdings, das es in einigen Punkten gegenüber dem Entwurf verändert ist. 7 Auch das Stillleben mit Kürbis aus<br />

der Sammlung des Morat-Instituts weist deutliche Unterschiede zu der Skizze auf. So sind <strong>die</strong> Pfirsiche auf dem Entwurf<br />

zahlreicher <strong>und</strong> das weiße Tuch des Gemäldes zunächst nicht vorgesehen. In einer weiteren Zeichnung fügt er <strong>die</strong>se Elemente<br />

ein. Der bildparallele Tisch ist aber bereits von der Skizze in das Gemälde übernommen worden, ebenso wie <strong>die</strong> Perspektive<br />

auf <strong>die</strong> Früchte <strong>und</strong> <strong>die</strong> angegebene Farbigkeit, Elemente, <strong>die</strong> wiederum im Wiener Stillleben deutlich abweichen. <strong>Schuch</strong><br />

hat den ersten, zeichnerisch <strong>und</strong> beschreibend festgehaltenen Gedanken malerisch erprobt <strong>und</strong> variiert, ein Verfahren, das<br />

er oft <strong>und</strong> ausgiebig anwandte <strong>und</strong> für das gerade <strong>die</strong> Stilllebenmalerei mit der Duldsamkeit ihrer „Modelle“ das geeignete<br />

Arbeitsfeld bot.<br />

Durch <strong>die</strong> Abweichungen <strong>und</strong> Modifikationen in seinen verschiedenen Ausführungen erhält der Betrachter einen Einblick<br />

in <strong>Schuch</strong>s jeweilige Problemstellung. Auf der Skizze zu dem Stillleben mit Kürbis gibt <strong>Schuch</strong> zwei Farben deutlich an.<br />

Entschieden schreibt er <strong>die</strong> Bezeichnungen „blau“ <strong>und</strong> „orange“ an <strong>die</strong> entsprechende Stelle der Zeichnung. Es sind <strong>die</strong><br />

komplementär kontrastierenden Farben, <strong>die</strong> er auf der rechten Bildseite gegeneinandersetzt. Der Farbkontrast ist ihm so<br />

wichtig, dass er ihn auch noch mal in der Schriftzeile unter der Skizze herausstellt. Für <strong>die</strong> linke Bildseite hingegen bleiben<br />

<strong>die</strong> Farbbezeichnungen wie <strong>die</strong> gewählten Töne zurückhaltender. Ein „grünlich“ für <strong>die</strong> Trauben, „grau grün“ <strong>die</strong> Schale<br />

des Kürbisses <strong>und</strong> ein „dunkelgelblicher“ Gr<strong>und</strong>. Die Bezeichnungen entsprechen der zurückhaltenden Palette des Gemäldes.<br />

Denn anders als <strong>die</strong> klare <strong>und</strong> knappe Bezeichnung der Farben in der<br />

Skizze suggeriert, interessiert <strong>Schuch</strong> in dem Gemälde wie in seinem<br />

gesamten Schaffen nicht das Gegeneinander plakativer Primärfarben,<br />

sondern <strong>die</strong> differenzierte Tonigkeit, das Mitschwingen von Farbwerten<br />

im Licht. Anders als <strong>die</strong> Impressionisten, mit denen er sich kritisch<br />

auseinandersetzt <strong>und</strong> bei denen er „<strong>die</strong> arge Helligkeit auch in den<br />

Schatten, da sie überall Licht sehen (...)“ 8 als ein gemeinsames Prinzip<br />

ausmacht, versucht er gerade in einer dunklen Palette <strong>die</strong> Farbwerte<br />

auszuloten. Neben den Lokalfarben der Gegenstände berücksichtigt er<br />

deren Brechung in der Atmosphäre. Die Wiedergabe der Gegenstände<br />

ordnet sich damit den Farbwerten unter. Im Dunkel des ohne erkennbare<br />

Lichtquelle dargestellten Arrangements mit dem Kürbis erreicht das<br />

abgetönte Orange des Fruchtfleischs seine Leuchtkraft durch <strong>die</strong> Blauwerte<br />

im Grau des Zinntellers <strong>und</strong> der Trauben, deren blaue Lokalfarbe<br />

wiederum durch Violett, Grau <strong>und</strong> Schwarz eine differenzierte Tonigkeit<br />

erhalten. Zu der Leuchtkraft der Farben, <strong>die</strong> aus den komplementär<br />

kontrastierenden Tonwerten erreicht wird, setzt <strong>Schuch</strong> einen deutlichen<br />

Hell/Dunkel-Kontrast, indem er den dunklen Gr<strong>und</strong> mit der Helligkeit des<br />

Tuchs konfrontiert <strong>und</strong> zwischen beide Bereiche <strong>die</strong> Früchte platziert.<br />

<strong>Schuch</strong> verschränkt den Farbkontrast mit dem Kontrast der Lichtwerte zur<br />

Steigerung der Wirkung der Farben, ohne <strong>die</strong>se im Ton zu intensivieren.<br />

Es ist das Resultat einer Versuchsreihe, <strong>die</strong> mit der Skizze im Notizbuch begann. Die Gattung des Stilllebens bietet ihm den<br />

Spielraum, seinen Bildern den Stellenwert „als Experimente innerhalb eines Erkenntnisprozesses“ 9 einzuräumen <strong>und</strong><br />

<strong>die</strong>se Auseinandersetzung ermöglicht es dem Maler <strong>Carl</strong> <strong>Schuch</strong>, den Weg in <strong>die</strong> Moderne zu beschreiten.<br />

Alexandra König<br />

1 <strong>Carl</strong> <strong>Schuch</strong>, <strong>und</strong>atierter Brief an Hagemeister, erstmals von <strong>die</strong>sem veröffentlicht in: Hagemeister, Karl, Karl<br />

<strong>Schuch</strong>. Kunst <strong>und</strong> Künstler 6 1908, S. 152-159, hier S. 155, zit. nach G. Boehm/R. Dorn/F. A. Morat (Hgg.), <strong>Schuch</strong><br />

1846-1903, Freiburg i. B. 1986, S. 100.<br />

2 Vgl. etwa das „ Stillleben mit Früchten <strong>und</strong> Kristallvase“, 1652 von Willem van Aelst (1627-1683).<br />

3 Das Gemälde „Kürbis, Pfirsiche <strong>und</strong> Weintrauben“, um 1884, in Wien, Österreichische Galerie Belvedere, Inv. Nr. 1348.<br />

4 Ein Faksimile des Notizhefts ist als Beigabe des Katalogs zur Ausstellung im Belvedere, Wien, <strong>Carl</strong> <strong>Schuch</strong>. Ein<br />

europäischer Maler. 26. Juni-14. Okt. 2012, Katalog hg. v. Agnes Husslein-Arco/Stephan Koja, Wien 2012 erschienen.<br />

5 Die Sommermonate 1884 <strong>und</strong> 1885 verbringt er in Holland, er besucht u.a. <strong>die</strong> Museen in Rotterdam <strong>und</strong> Den Haag.<br />

6 Brief an Hagemeister von Dezember 1882, zit. n. G. Boehm/R. Dorn/F. A. Morat (Hgg.), <strong>Schuch</strong> 1846-1903,<br />

Freiburg i. B. 1986, S. 122.<br />

7 <strong>Carl</strong> <strong>Schuch</strong> 1846-1903. Städtische Kunsthalle Mannheim, 8. März-19. Mai 1986. Katalog: G. Boehm/R. Dorn/<br />

F. A. Morat (Hgg.), <strong>Schuch</strong> 1846-1903, Freiburg i. B. 1986, S. 264f.<br />

8 <strong>Schuch</strong> in einem Brief an Hagemeister, Hintersee 31. Mai 1883, zit. n. G. Boehm/R. Dorn/F. A. Morat (Hgg.), <strong>Schuch</strong><br />

1846-1903, Freiburg i. B., 1986, S. 97.<br />

9 Gottfried Boehm, Der Fall <strong>Schuch</strong>. Einleitende Bemerkungen zu seinem Verständnis. In: G. Boehm/R. Dorn/F. A.<br />

Morat (Hgg.), <strong>Schuch</strong> 1846-1903, Freiburg i. B. 1986, S. 9-12, hier S. 11.<br />

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