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Der Bürgerkrieg in Frankreich

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ihren Stadtverordneten, ihren Zeitungsmännern gaben sie sofort das Stichwort. Diese Mittelklasse,<br />

welche <strong>in</strong> ihren Kämpfen für die bürgerliche Freiheit von 1846–1870 e<strong>in</strong> nie dagewesenes Schauspiel<br />

von Unschlüssigkeit, Unfähigkeit und Feigheit gegeben hat, war natürlich höchlichst entzückt,<br />

die europäische Bühne als brüllender Löwe des deutschen Patriotismus zu beschreiten. Sie nahm<br />

den falschen Sche<strong>in</strong> staatsbürgerlicher Unabhängigkeit an, um sich zu stellen, als zw<strong>in</strong>ge sie der<br />

preußischen Regierung auf – was? die geheimen Pläne eben dieser Regierung. Sie tat Buße für ihren<br />

jahrelangen und fast religiösen Glauben an die Unfehlbarkeit Louis Bonapartes, <strong>in</strong>dem sie laut die<br />

Zerstückelung der französischen Republik forderte. Hören wir nur e<strong>in</strong>en Augenblick den plausiblen<br />

Vorwänden dieser kernhaften Patrioten zu!<br />

Sie wagen nicht zu behaupten, dass sich das Volk von Elsass-Lothr<strong>in</strong>gen nach deutscher Umarmung<br />

sehne: gerade das Gegenteil. Um se<strong>in</strong>en französischen Patriotismus zu züchtigen, wurde Straßburg,<br />

e<strong>in</strong>e Festung, beherrscht von e<strong>in</strong>er selbständigen Zitadelle, sechs Tage lang zwecklos und barbarisch<br />

mit „deutschen“ Explosivgeschossen bombardiert, <strong>in</strong> Brand gesetzt und e<strong>in</strong>e große Anzahl<br />

verteidigungsloser E<strong>in</strong>wohner getötet. Jawohl! der Boden dieser Prov<strong>in</strong>zen hatte vor langer Zeit<br />

dem längst verstorbnen deutschen Reich angehört. Es sche<strong>in</strong>t daher, dass das Erdreich und die Menschen,<br />

die darauf erwachsen s<strong>in</strong>d, als unverjährbares deutsches Eigentum konfisziert werden müssen.<br />

Soll die alte Karte von Europa e<strong>in</strong>mal umgearbeitet werden nach dem historischen Recht, dann<br />

dürfen wir auf ke<strong>in</strong>en Fall vergessen, dass der Kurfürst von Brandenburg se<strong>in</strong>erzeit für se<strong>in</strong>e preußischen<br />

Besitzungen der Vasall der polnischen Republik war.<br />

Die schlauen Patrioten jedoch verlangen Elsass und Deutsch-Lothr<strong>in</strong>gen als e<strong>in</strong>e „materielle Garantie“<br />

gegen französische Überfälle. Da dieser verächtliche Vorwand viele schwachs<strong>in</strong>nige Leute<br />

verwirrt gemacht hat, fühlen wir uns verpflichtet, näher darauf e<strong>in</strong>zugehn.<br />

Es ist unzweifelhaft, dass die allgeme<strong>in</strong>e Gestaltung des Elsass, zusammen mit der des gegenüberliegenden<br />

Rhe<strong>in</strong>ufers, und die Gegenwart e<strong>in</strong>er großen Festung wie Straßburg, ungefähr halbweg<br />

zwischen Basel und Germersheim, e<strong>in</strong>en französischen E<strong>in</strong>fall nach Süddeutschland sehr begünstigt,<br />

während sie e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>fall von Süddeutschland nach <strong>Frankreich</strong> eigentümliche Schwierigkeiten<br />

entgegenstellt. Es ist ferner unzweifelhaft, dass die Annexion von Elsass und Deutsch-Lothr<strong>in</strong>gen<br />

Süddeutschland e<strong>in</strong>e weit stärkere Grenze geben würde; es würde dann Herr se<strong>in</strong> über den Kamm<br />

der Vogesen <strong>in</strong> ihrer vollen Länge und über die Festungen, welche deren nördliche Pässe decken.<br />

Wäre Metz auch annexiert, so würde <strong>Frankreich</strong> gewiss für den Augenblick zweier hauptsächlicher<br />

Operationsbasen gegen Deutschland beraubt se<strong>in</strong>, aber das würde es nicht verh<strong>in</strong>dern, neue bei<br />

Nancy oder Verdun zu errichten. Deutschland besitzt Koblenz, Ma<strong>in</strong>z, Germersheim, Rastatt und<br />

Ulm, lauter Operationsbasen gegen <strong>Frankreich</strong>, und hat sich ihrer <strong>in</strong> diesem Kriege reichlich bedient;<br />

mit welchem Sche<strong>in</strong> von Berechtigung könnte es den Franzosen Metz und Straßburg missgönnen,<br />

die e<strong>in</strong>zigen beiden bedeutenden Festungen, die sie <strong>in</strong> jener Gegend besitzen?<br />

Überdies gefährdet Straßburg Süddeutschland nur, solange dieses e<strong>in</strong>e von Norddeutschland getrennte<br />

Macht ist. Von 1792–1795 wurde Süddeutschland nie von dieser Seite angegriffen, weil<br />

Preußen am Kriege gegen die französische Revolution teilnahm; aber sobald als Preußen 1795 se<strong>in</strong>en<br />

Separatfrieden machte und den Süden sich selbst überließ, begannen die Angriffe auf Süddeutschland,<br />

von Straßburg als Basis, und dauerten fort bis 1809. In Wirklichkeit kann e<strong>in</strong> vere<strong>in</strong>igtes<br />

Deutschland Straßburg und jede französische Armee im Elsass unschädlich machen, wenn es alle<br />

se<strong>in</strong>e Truppen zwischen Saarlouis und Landau konzentriert, wie <strong>in</strong> diesem Krieg geschehn, und<br />

vorrückt oder e<strong>in</strong>e Schlacht annimmt auf dem Wege von Ma<strong>in</strong>z nach Metz. Solange die Hauptmasse<br />

der deutschen Truppen dort steht, ist jede von Straßburg nach Süddeutschland e<strong>in</strong>rückende Armee<br />

umgangen und <strong>in</strong> ihren Verb<strong>in</strong>dungen bedroht. Wenn der jetzige Feldzug irgend etwas gezeigt<br />

hat, so die Leichtigkeit, <strong>Frankreich</strong> von Deutschland aus anzugreifen.<br />

Aber ehrlich gesprochen, ist es nicht überhaupt e<strong>in</strong>e Ungereimtheit und e<strong>in</strong> Anachronismus, wenn<br />

man militärische Rücksichten zu dem Pr<strong>in</strong>zipe erhebt, wonach die nationalen Grenzen bestimmt<br />

werden sollen? Wollten wir dieser Regel folgen, so hätte Österreich noch e<strong>in</strong>en Anspruch auf Venetien<br />

und die M<strong>in</strong>ciol<strong>in</strong>ie und <strong>Frankreich</strong> auf die Rhe<strong>in</strong>l<strong>in</strong>ie, zum Schutz von Paris, welches sicher-<br />

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