forum immobilie Kultur verändert - Evonik Wohnen GmbH
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Anspruch, den Jochen Gerz an 2-3 seinen Grünanlagen und Sportstrecken<br />
Straßen und die Teilnehmer gestellt hat. sprechen ebenfalls für das Quartier in der<br />
„Wir wollen kein Ein-Tages- oder Ein- Dortmunder Nordstadt. Schließlich be-<br />
Jahres-Event, sondern wir wollen die sticht der Borsigplatz mit zahlreichen gut<br />
mentale Einstellung der Menschen zu erhaltenen Gebäuden aus unterschiedli-<br />
ihrer Umgebung aktivieren und verbeschen Architekturstilen. „2-3 Straßen hat<br />
sern“, erklärt der Künstler. Jochen Gerz uns gezeigt, welche neuen, überraschen-<br />
will die Menschen in den sozial benachden Formate in der Quartiersentwicklung<br />
teiligten Quartieren aus ihrer Passivität möglich sind“, zieht auch Martin Püschel,<br />
holen, er will Selbstvertrauen fördern, KundenCenter-Leiter Dortmund, zufrie-<br />
insbesondere auch bei Einwohnern mit den Zwischenbilanz und sieht für weitere<br />
Migrationshintergrund: „Es gibt keinen sozial schwache Viertel Perspektiven,<br />
Grund dafür, dass ein Einwanderer immer „wenn man bedenkt, dass gerade die hohe<br />
am unteren Ende der sozialen Leiter stehen Leerstandsquote das Projekt am Borsig-<br />
bleibt. Auch er ist Vertreter einer Hochplatz erst möglich gemacht hat“. 24 Wohkultur<br />
und bereichert eine internationale nungen hat <strong>Evonik</strong> <strong>Wohnen</strong> für das Projekt<br />
Gesellschaft.“ Voraussetzungen dafür 2-3 Straßen bereitgestellt. Einige werden<br />
sind Engagement und Aktivität. „Meine nach Projektende wieder leer stehen, an-<br />
Kunst hat mit Handeln zu tun“, sagt Jodere dauerhaft vermietet bleiben. Volker<br />
chen Gerz über seine Arbeit. Und: „Mehr, Pohlüke zum Beispiel will den Borsigplatz<br />
als man selbst gibt, bekommt man nicht.“ nicht mehr verlassen und nicht in sein altes<br />
Leben als Manager im Bereich der Nano-<br />
Probleme werden als<br />
technologie zurückkehren. Vielmehr will<br />
Chancen erkannt<br />
er seine neue Tätigkeit als Social Entrepreneur<br />
ausbauen und plant unter ande-<br />
Am Dortmunder Borsigplatz wird deutrem die Eröffnung eines Bioladens, der<br />
lich, wie sich aus diesem Kunstverständnis auch Menschen mit geringem Einkommen<br />
neue, überraschende Chancen für ein den Einkauf gesunder Nahrungsmittel<br />
sozial benachteiligtes Quartier entwickeln ermöglicht. Das wäre ein weiterer Plus-<br />
lassen. Indem die Nachbarschaft wieder punkt für das Quartier, das sich derzeit Wenn die Luft raus ist: Die Fahrradwerkstatt bietet<br />
aktiv wird, wird das Viertel wieder attraktiv<br />
– im Idealfall weit über das Ende von<br />
2-3 Straßen hinaus. Insofern ist 2-3 Straßen<br />
ein kulturelles Experiment mit einem<br />
Ausgang, der für die Städte und ihre ärmsten<br />
Quartiere zu einem neuen Anfang<br />
werden kann. „Früher haben die Menschen<br />
am Borsigplatz nur die Probleme gesehen,<br />
etwa die soziale und ethnische Zersplitterung<br />
oder die hohe Fluktuation und die<br />
Leerstandsquote. Heute begreifen sie<br />
immer mehr auch die Chancen der kulturellen<br />
Vielfalt und der Erneuerung“, meint<br />
Jochen Gerz. Begreift man das Stadtviertel<br />
rund um den Borsigplatz als Schmelztiegel<br />
unterschiedlicher <strong>Kultur</strong>en, entdeckt man<br />
auch eine lebendige, quirlige Szene mit<br />
internationalem Flair: hier eine russische<br />
Konditorei, da ein türkischer Friseur, dort<br />
ein arabisches Feinkostgeschäft oder ein<br />
portugiesischer Lebensmittelladen. Die<br />
neu defi niert. <<br />
unkomplizierte und praktische Hilfe für die Kleinen.<br />
Innenstadtnähe sowie der Hoeschpark mit Beim 14-täglichen Boule-Turnier im Hinterhof kommen sich Jung und Alt näher.<br />
8 2-3 Straßen Interview<br />
Das Projekt kann weitergehen<br />
Im Gespräch mit Forum Immobilie beschreibt Konzeptkünstler Jochen Gerz seine Eindrücke vom Kunst- und<br />
<strong>Kultur</strong>geschehen in den Straßen des Ruhrgebiets.<br />
Was macht 2-3 Straßen so interessant und so attraktiv für die<br />
Menschen?<br />
Der Ansatz des Werks ist bescheiden. Es ist ein Unterschied, ob<br />
ich die Menschen bitte „Kommen Sie in meine Ausstellung“ oder<br />
ob ich eine Einladung ausspreche, in einer Ausstellung zu woh-<br />
nen, daran mitzuwirken und in die soziale Wirklichkeit einzu-<br />
tauchen. Es ist ein Unterschied, ob in Museumsräumen über<br />
Kunst diskutiert wird oder ob Kunst auf der Straße entdeckt<br />
und als Bereicherung des existenziellen Umfelds wahrgenom-<br />
men wird.<br />
Rund um den Dortmunder Borsigplatz haben sich im Rahmen<br />
von 2-3 Straßen eigene <strong>Kultur</strong>- und Nachbarschaftsprojekte<br />
entwickelt. Wie erleben Sie diesen neuen Borsigplatz?<br />
Ich habe mir die Straßen selbst nicht ausgesucht. Die Städte be-<br />
ziehungsweise die Wohnungsgesellschaften haben mir den frei<br />
stehenden Wohnraum zur Verfügung gestellt. Als ich den Borsig-<br />
platz sah, war ich anfangs etwas ängstlich. Eigentlich wollte ich<br />
eine kleine Straße mit einer spezifi schen Identität. Stattdessen<br />
bekam ich ein heterogenes, zersplittertes Quartier. Lediglich der<br />
Umstand, dass <strong>Evonik</strong> <strong>Wohnen</strong> hier nicht nur Wohnungen, son-<br />
dern auch ein Projektbüro zur Verfügung stellen konnte, sprach<br />
für das Viertel. Und dann entdeckten wir den Hinterhof und ich<br />
begriff, hier ist der Ort, wo das Quartier entsteht, hier ist die<br />
Schnittstelle, wo die Menschen zusammenkommen. Das funk-<br />
tioniert. Inzwischen sind wir alle immer mehr auf Du und Du<br />
mit dem Quartier. Die Projektteilnehmer sind als Nachbarn gut<br />
integriert. Und die alten Mieter fangen an, sich wieder mehr<br />
mit ihrem Viertel zu identifi zieren.<br />
Sie erhalten viel Unterstützung aus der Wohnungswirtschaft.<br />
Welche Möglichkeiten sehen Sie, dieses kulturelle Engagement<br />
für weitere Quartiersentwicklungen zu nutzen?<br />
Interview<br />
Interview mit Jochen Gerz,<br />
Initiator von 2-3 Straßen.<br />
Es ist möglich, dass wir mit denselben Kriterien, mit denen wir an<br />
die Kunst gehen, an die Wirklichkeit gehen und darüber nachdenken,<br />
wie man die Gesellschaft kreativer und aktiver machen<br />
kann. Das gilt für die Politik sehr viel mehr als für die Quartiersentwicklung,<br />
wie ich sie derzeit erlebe. Grundsätzlich gilt: Es<br />
kann nicht gut sein, wenn wir alle nur Zuschauer sind. Wir<br />
müssen die Grenzen zwischen passivem Konsum und aktivem<br />
Engagement überwinden. Gerade hier im Ruhrgebiet sprudelt<br />
es vor Kunst, Theater, Musik und multikultureller Kreativität.<br />
Das Angebot ist reichhaltig. Die museale Infrastruktur ist weltweit<br />
wahrscheinlich einmalig. Aber ich habe den Eindruck, dass<br />
dieses Angebot nicht immer aus den Museen herauskommt.<br />
Wenn es gelingt, das Kunst- und <strong>Kultur</strong>angebot in die Gesellschaft<br />
zu übersetzen, können tiefgreifende Veränderungen<br />
gelingen. Insofern freue ich mich darüber, wie komplex, kritikbereit<br />
und offen sich die <strong>Evonik</strong> <strong>Wohnen</strong> <strong>GmbH</strong> dieses Themas<br />
annimmt und sich damit die Chancen zu einer nachhaltigen Veränderung<br />
erschließt.<br />
Was passiert am 31. Dezember 2010, wenn das Jahr der <strong>Kultur</strong>hauptstadt<br />
offi ziell zu Ende ist?<br />
2-3 Straßen ist auch als kulturelles Experiment zu verstehen. Der<br />
Ausgang ist offen, aber über das offi zielle Projektende angelegt.<br />
Natürlich fragen sich viele Bestandsmieter, was passiert, wenn<br />
die neuen Nachbarn wieder wegziehen. Ist der Budenzauber<br />
dann vorbei? Ich aber frage: Wer fehlt euch? Wen braucht ihr?<br />
Mit Euch selbst kann das Projekt doch weitergehen! Die Anwohner<br />
haben gesehen und erlebt, dass die positiven Veränderungen<br />
in ihrer Straße, in ihrem Quartier letztendlich von ihrer<br />
Eigeninitiative abhängen. Mehr, als man selbst gibt, bekommt<br />
man nicht. Wenn die bisherigen Anwohner zu Teilnehmern des<br />
Kunstwerks werden und sich aktiv um sich und ihre Umwelt kümmern<br />
– wenn wir das bis Jahresende geschafft haben, haben wir<br />
viel erreicht. Dann kann ich gehen.<br />
Vielen Dank für das Gespräch. <<br />
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