karriere - STADTSTUDENTEN Berlin
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us<br />
— 1<br />
— 2008<br />
8<br />
titelthema<br />
Sei vernetzt!<br />
Auf der Suche nach sich selbst, erkennt man den Wert der Netzwerke, in denen man sich bewegt.<br />
// Sage mir, mit wem du gehst, und ich sage<br />
dir, wer du bist. Unser Umfeld verrät viel über<br />
uns, aber nicht alles. Wenn ich aber wissen will,<br />
wer ich wirklich bin – wen frage ich dann?<br />
Zu viele verschiedene Identitäten habe ich<br />
mir im Laufe meines Lebens zugelegt. Wenn ich<br />
vergesse, wer ich bin, schaue ich auf ein Dokument,<br />
das mich als Personal der Bundesrepublik<br />
Deutschland ausweist. Doch wer ich wirklich<br />
bin, verrät mir dieses Stück Plastik nicht – das<br />
Foto sieht mir gar nicht ähnlich. Selbst wenn ich<br />
alle Informationen, die irgendwo in Behördenschränken<br />
über mich aufbewahrt werden, zusammentrage<br />
– bin das schon Ich?<br />
In der realen Welt<br />
Meine Freunde und Verwandten wissen es vielleicht.<br />
Oder meine Kommilitonen. Vielleicht auch<br />
meine Kollegen. Jeder von ihnen sollte ein Stückchen<br />
Wahrheit über mich wissen. Das Selbstbild<br />
entsteht ja in der Abgrenzung zu anderen. Es<br />
wird unterschieden nach Geschlecht, Haarfarbe,<br />
Intelligenz, Interessen, Klasse, Toleranzfähigkeit. Je<br />
nach meinen Präferenzen gehöre ich zu einigen<br />
Gruppen, ignoriere andere und wieder anderen<br />
gehöre ich ganz bewusst nicht an.<br />
Jede Gruppe und Interessensgemeinschaft<br />
hat inzwischen ihre eigene „social community“<br />
im Internet gegründet, wo ich Gleichgesinnte<br />
treff e. Jedes Community-Mitglied gibt sich<br />
durch die Teilnahme an ebendieser Community<br />
zu erkennen – und auf den Profi lseiten noch viel<br />
mehr über sich preis. Inzwischen heißt es, dass<br />
die freiwillig bei Communitys hinterlassenen<br />
Angaben die Stasi weit in den Schatten stellen.<br />
In der virtuellen Welt<br />
Wie auf einem großen Spielplatz hat jeder im<br />
Internet natürlich die tollsten Buddelförmchen,<br />
sprich die tollste Identität. Da wird viel gespielt,<br />
das gehört dazu wie seinerzeit das Cowboyund-Indianer-Spielen.<br />
Online ist die Anzahl der<br />
Personen, über deren Akzeptanz, Toleranz oder<br />
Ablehnung ich mich identifi ziere, gleich noch<br />
viel größer. Dazu kommen all die spielerischen<br />
Identitäten, die ich mir im Laufe meiner Online-<br />
Karriere selbst zugelegt habe. Einige waren<br />
bewusst nicht „Ich“, bei anderen musste ich<br />
auf die Diskrepanz hingewiesen werden. Das<br />
Internet ist kein guter Ort, um zu sich selbst zu<br />
fi nden. Man ist durch die digitalen Ichs förmlich<br />
von sich entfremdet.<br />
eMailcheck: ein- bis zweimal täglich, je nachdem ob ich eine eMail erwarte<br />
Community-Frequenz: wenn MSN mitzählt, bin ich 50 Prozent eingeloggt, wenn ich am PC bin<br />
Startseite: Google<br />
Lieblingszeitvertreib: in meiner Freizeit ist der PC eigentlich aus<br />
Internetlos leben: wenn die Uni nicht wäre, käme ich ohne gut klar … etwa ein halbes Jahr<br />
Nervfaktor: Werbung und Spam; dass man nicht gleich das Passende findet,<br />
sondern erst alle Sackgassen ablaufen muss<br />
UMGEHöRT Das virtuelle Leben I: Nina, 20, Uni Potsdam, Geowissenschaften<br />
Foto: Albrecht Noack<br />
Natürlich will jeder wahrgenommen, anerkannt,<br />
respektiert und geliebt werden, darüber<br />
sind sich die Forscher einig und erklären so die<br />
Begeisterung für die Online-Communitys. Jeder<br />
will kommunizieren, lieben, einer Gruppe angehören<br />
und sei es nur der Eremitenverband.<br />
Bei mir selbst<br />
Ergo zeigt jeder nur seine Schokoladenseiten,<br />
ganz wie im wahren Leben. Das fällt auf,<br />
wenn man beim Telefonat mit der Mutter in<br />
den heimatlichen Dialekt zurückfällt, mit dem<br />
Chef dienstliches Hochdeutsch spricht, den<br />
Professor mit klug klingenden Floskeln beeindruckt<br />
und nur mit den Kumpels beim Bier die<br />
Zunge mal lockert. Eine lockere Zunge kann<br />
doch aber nicht das wahre Ich sein. Alle meine<br />
Identitäten – Sohn, Angestellter, Student, Kumpel<br />
– bilden erst die Gesamtidentität.<br />
Über meine Verbindungen zu anderen Menschen<br />
in der realen und virtuellen Welt habe ich<br />
viel über mich erfahren, in gewisser Weise haben<br />
sie mich geprägt und erst zu mir gemacht. Vielleicht<br />
denken die anderen auch nur, ich sei Ich.<br />
Ich weiß es nicht, aber ich habe mich gefunden:<br />
Ich stehe gerade neben mir. Peter Schoh //