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Der Wahrheit nicht ganz verpflichtet Esperanto in ... - Plansprachen.ch

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Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit:<br />

„Wir stehen voll uns <strong>ganz</strong> h<strong>in</strong>ter unserer Republik, die unter Führung ihrer<br />

marxistis<strong>ch</strong>-len<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>en Partei den Sozialismus umfassend aufbaut. Die<br />

Ziele der Deuts<strong>ch</strong>en Demokratis<strong>ch</strong>en Republik und ihre sozialistis<strong>ch</strong>e<br />

Verfassung stimmen völlig mit den Wüns<strong>ch</strong>en und Bestrebungen der<br />

<strong>Esperanto</strong>freunde <strong>in</strong> der DDR übere<strong>in</strong>.“ (1969)<br />

„Die Esperantisten im Kulturbund der DDR erklären, dass sie die von der<br />

SED gefassten Bes<strong>ch</strong>lüsse voll unterstützen und willens s<strong>in</strong>d, mit ihren<br />

spezifis<strong>ch</strong>en Mitteln an deren Verwirkli<strong>ch</strong>ung mitzuwirken.“ (1976)<br />

„Wir erklären als wi<strong>ch</strong>tigste Zielsetzung und Bed<strong>in</strong>gung unserer Tätigkeit<br />

die weitere allseitige Stärkung der sozialistis<strong>ch</strong>en DDR.“ (1978)<br />

„Wir Delegierten der II. Zentralen Konferenz der Esperantisten im<br />

Kulturbund der DDR begrüssen e<strong>in</strong>hellig die historis<strong>ch</strong>en Bes<strong>ch</strong>lüsse des<br />

X. Parteitages der SED.“ (1981)<br />

Zentraler Arbeitskreis <strong>Esperanto</strong> im Kulturbund der DDR (ZAKE/GDREA)<br />

<strong>Der</strong> <strong>Wahrheit</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> <strong>ganz</strong> <strong>verpfli<strong>ch</strong>tet</strong><br />

<strong>Esperanto</strong> <strong>in</strong> der DDR: E<strong>in</strong> Hau<strong>ch</strong> von Stal<strong>in</strong>ismus und e<strong>in</strong><br />

skandalöses Spiel<strong>ch</strong>en mit dem Feuer des Kalten Krieges<br />

Wie die <strong>Esperanto</strong>-Bewegung im Osten Deuts<strong>ch</strong>lands politisiert wurde –<br />

oder: Esperantisten im Dienst e<strong>in</strong>es totalitären kommunistis<strong>ch</strong>en Regimes<br />

von S<strong>ch</strong>urken und Verbre<strong>ch</strong>ern<br />

Zur ideologis<strong>ch</strong>-politis<strong>ch</strong>en Redaktionspolitik am Beispiel der DDR-Zeits<strong>ch</strong>rift der esperantist 1965-1989<br />

E<strong>in</strong>e unabhängige Darstellung mit Zitaten und Fussnoten<br />

von Andreas Künzli, lic. phil., S<strong>ch</strong>weiz<br />

Aus Anlass der Vere<strong>in</strong>igung von DEB und GDREA vor 20 Jahren<br />

und des 125-jährigen Jubiläums der Spra<strong>ch</strong>e <strong>Esperanto</strong><br />

Den Andersdenkenden <strong>in</strong> der ehemaligen DDR und im Ostblock gewidmet<br />

1


Diese wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Studie entstand sozusagen als Nebenprodukt im Rahmen me<strong>in</strong>er<br />

ausgedehnten Fors<strong>ch</strong>ungsarbeit über die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Interl<strong>in</strong>guistik und <strong>Esperanto</strong>-Bewegung <strong>in</strong><br />

der Sowjetunion, <strong>in</strong> Polen und Bulgarien. Es handelt si<strong>ch</strong> um e<strong>in</strong>e unabhängige, ehrenamtli<strong>ch</strong> erstellte<br />

Studie, die von ke<strong>in</strong>er offiziellen Stelle und au<strong>ch</strong> sonst von niemandem <strong>in</strong> Auftrag gegeben worden ist.<br />

Es geht bei dieser Darstellung <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> darum, e<strong>in</strong>zelne Personen zu diskreditieren, mit ihnen<br />

abzure<strong>ch</strong>nen oder Nestbes<strong>ch</strong>mutzung zu betreiben, sondern die na<strong>ch</strong> 1990 weitgehend vers<strong>ch</strong>wiegene<br />

historis<strong>ch</strong>e Faktenlage darzustellen und objektive historiographis<strong>ch</strong>e Aufklärungsarbeit zu leisten, die<br />

bisher von der <strong>Esperanto</strong>-Bewegung verna<strong>ch</strong>lässigt wurde.<br />

Ers<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>t au<strong>ch</strong> als Drucksa<strong>ch</strong>e.<br />

© Interslavica/Andreas Künzli. Bern. Unabhängige S<strong>ch</strong>weizer Interl<strong>in</strong>guistis<strong>ch</strong>e Studien, Nr. 1/2012<br />

ISBN 3-9521379-8-7<br />

2


E<strong>in</strong>führung<br />

In e<strong>in</strong>er Skizze der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des <strong>Esperanto</strong>-Verbands der DDR (GDREA), die e<strong>in</strong>ige Monate na<strong>ch</strong><br />

dem Sturz Eri<strong>ch</strong> Honeckers <strong>in</strong> der esperantist (6/1990), dem offiziellen Organ dieses Verbands,<br />

veröffentli<strong>ch</strong>t wurde, waren <strong>in</strong> dem entspre<strong>ch</strong>enden Kapitel<strong>ch</strong>en zur Periode zwis<strong>ch</strong>en 1949 und 1965<br />

die folgenden lakonis<strong>ch</strong>en Sätze notiert: „In der DDR war <strong>Esperanto</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> erwüns<strong>ch</strong>t. Die Spra<strong>ch</strong>e<br />

wurde verleumdet, und e<strong>in</strong>e organisierte Aktivität war strikt verboten. Denno<strong>ch</strong> gab es sehr grosse<br />

Bemühungen, den Widerstand zu besiegen. Diese Bemühungen, denen das Ende des kruden<br />

Stal<strong>in</strong>ismus verhalf (Periode Chruščevs), und die Reorganisation der Bewegung <strong>in</strong> den europäis<strong>ch</strong>en<br />

Volksdemokratien hatten im Jahr 1965 endli<strong>ch</strong> Erfolg. (…)“ Wie bekannt, hatte die <strong>Esperanto</strong>-Presse<br />

der DDR wie die übrigen Medien des Sowjetblocks au<strong>ch</strong> die Stal<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>en Repressionen systematis<strong>ch</strong><br />

zu vers<strong>ch</strong>weigen (od. bes<strong>ch</strong>weigen). Erstmals <strong>in</strong> La Gazeto 133/2007, S. 133, äusserte Detlev Blanke,<br />

ehemaliger Abteilungsleiter im Kulturbund der DDR und zuständig für <strong>Esperanto</strong> und GDREA, si<strong>ch</strong><br />

öffentli<strong>ch</strong> konsterniert über die „wahllose Mordmas<strong>ch</strong><strong>in</strong>e Stal<strong>in</strong>s“, ohne aber irgendwel<strong>ch</strong>e Details<br />

dazu aufzugreifen. In der esperantist s<strong>ch</strong>rieb er, er habe <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> gewusst, dass die DDR von e<strong>in</strong>er<br />

„Privilegien-gierigen Clique von Krim<strong>in</strong>ellen“ regiert worden war, die <strong>in</strong> Bezug auf das, was Marx,<br />

Engels und Len<strong>in</strong> gewollt heben, <strong>in</strong>kompetent waren und die das Volk, au<strong>ch</strong> ihn selbst, betrogen<br />

hätten. Die Parteiführung habe <strong>in</strong> unermessli<strong>ch</strong>em Grad die Ideale des Sozialismus mit Füssen<br />

getreten, ihre Ma<strong>ch</strong>t und das Vertrauen vieler Wohlges<strong>in</strong>nter missbrau<strong>ch</strong>t und das Land bis an den<br />

Rand der Katastrophe geführt, Er, Blanke, habe si<strong>ch</strong> <strong>in</strong> Bezug auf die Regierung und die Parteiführung<br />

geirrt. E<strong>in</strong> Neuanfang sei vonnöten. <strong>Der</strong> Sozialismus sei aber <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> ges<strong>ch</strong>eitert. Er habe <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> s<strong>ch</strong>eitern<br />

können, weil er gar <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> existiert habe. Man sei nun daran, den Stal<strong>in</strong>ismus <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er DDR-Variante<br />

zu zers<strong>ch</strong>lagen, um zu Marx, Engels und Len<strong>in</strong> zurückzukehren. Dies wäre gut so. Usw. 1<br />

Na<strong>ch</strong>dem es na<strong>ch</strong> 1945 au<strong>ch</strong> <strong>in</strong> der deuts<strong>ch</strong>en Ostzone für die <strong>Esperanto</strong>-Bewegung e<strong>in</strong>en<br />

Neubeg<strong>in</strong>n gegeben hatte, traten die ersten Probleme um 1948 auf. In e<strong>in</strong>er Anordnung zur Auflösung<br />

e<strong>in</strong>er <strong>Esperanto</strong>-Gruppe <strong>in</strong> Rei<strong>ch</strong>enba<strong>ch</strong>/SBZ zum Jahresende 1948 hiess es, dass die „Bildung von<br />

<strong>Esperanto</strong>gruppen, da es si<strong>ch</strong> um e<strong>in</strong>e Kunstgruppe (sic) handelt, die ke<strong>in</strong>erlei Verb<strong>in</strong>dung zu e<strong>in</strong>em<br />

lebenden Volk herstellt, dafür aber dur<strong>ch</strong> westli<strong>ch</strong>e E<strong>in</strong>flussnahme auf ihre Publikationsorgane<br />

reaktionäre Tendenzen verbreitet, zu untersagen“ ist. Am 12. Januar 1949 erliess die Deuts<strong>ch</strong>e<br />

Verwaltung des Inneren der SBZ, also auf dem Territorium der am 7. Oktober 1949 gegründeten<br />

DDR, e<strong>in</strong> ausdrückli<strong>ch</strong>es Verbot für <strong>Esperanto</strong>-Aktivitäten: Gemäss der „Verordnung zur<br />

Überführung von Volkskunstgruppen und volksbildenden Vere<strong>in</strong>en <strong>in</strong> die bestehenden<br />

demokratis<strong>ch</strong>en Massenorganisationen“ (veröffentli<strong>ch</strong>t im Zentralverordnungsblatt vom 12.1.1949,<br />

1 D. Blanke: GDREA en alia lando. In: der esperantist 1/1990, Diese Aussage s<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>t mir ziemli<strong>ch</strong> unglaubwürdig. Detlev<br />

Blanke konnte als offizieller Vertreter der DDR (d.h. als sog. „Reisekader“) während Jahrzehnten regelmässig au<strong>ch</strong> <strong>in</strong>s<br />

westli<strong>ch</strong>e Ausland gelangen und si<strong>ch</strong> dort mit entspre<strong>ch</strong>enden Informationen (persönli<strong>ch</strong>e Kontakte, Literatur usw.)<br />

versorgen lassen. Freili<strong>ch</strong> wurden viele E<strong>in</strong>zelheiten zur Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te und zu den Ma<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>aften der DDR erst na<strong>ch</strong> der<br />

Wende aufgedeckt. Die wenigen selbst- und systemkritis<strong>ch</strong>en Bemerkungen, die Blanke <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er im Oktober 1990 hastig zu<br />

Ende redigierten ‚Skizze der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des <strong>Esperanto</strong>-Verbandes <strong>in</strong> der Deuts<strong>ch</strong>en Demokratis<strong>ch</strong>en Republik’, Berl<strong>in</strong> 1991,<br />

punktuell und zaghaft meist nur <strong>in</strong> oberflä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Anspielungen vorgenommen hatte, kamen zu spät und dürften dem Autor<br />

wohl vor allem dazu gedient haben, <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> nur (se<strong>in</strong>e persönli<strong>ch</strong>en) Erfolge herauszustrei<strong>ch</strong>en, sondern si<strong>ch</strong> im neuen Staat<br />

und vor dem deuts<strong>ch</strong>en Publikum zu re<strong>ch</strong>tfertigen. Dort wird auf S. 34 etwa zugegeben, dass die DDR gegenüber<br />

<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>sozialistis<strong>ch</strong>en Ländern „wahrs<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>li<strong>ch</strong> am unduldsamsten und abweisendsten“ gewesen war, „was die Bewegung<br />

dur<strong>ch</strong>aus negativ bee<strong>in</strong>flusste“. Die ideologis<strong>ch</strong>-politis<strong>ch</strong> verharmlosende Darstellung ist aber unübersehbar. E<strong>in</strong>e qualitative<br />

kritis<strong>ch</strong>e Analyse des DDR-Systems und des Kommunismus fehlt komplett, trotz e<strong>in</strong>iger Anspielungen, die unzurei<strong>ch</strong>end<br />

s<strong>in</strong>d. Das Hauptproblem sol<strong>ch</strong>er Darstellungen ist, dass sie jeweils auss<strong>ch</strong>liesssli<strong>ch</strong> aus der persönli<strong>ch</strong>en (d.h. subjektiven)<br />

Si<strong>ch</strong>t des Autors (D. Blanke) vorgenommen werden, trotz e<strong>in</strong>er Anreihung von Fakten, die Objektivität vorgaukeln sollen.<br />

Unliebsame und heikle Themen bleiben bei der so praktizierten Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>reibung meist ausgeklammert. Die Bemerkung<br />

auf S. 50, die als letzter Mangel genannt wird, dass man „gewisse ideologis<strong>ch</strong>e Komponenten <strong>in</strong> vers<strong>ch</strong>iedenen GDREA-<br />

Veröffentli<strong>ch</strong>ungen heute natürli<strong>ch</strong> distanziert e<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>ätzen und beurteilen“ müsse, rei<strong>ch</strong>t als kritis<strong>ch</strong>e Analyse <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> aus, da <strong>in</strong><br />

diesen ‚Studien’ und „Skizzen“ e<strong>in</strong> Verständnis für den Kollaps der DDR und des Ostblocks völlig fehlt. Au<strong>ch</strong> <strong>in</strong> späteren<br />

Beiträgen folgten ledigli<strong>ch</strong> Lippenbekenntnisse. So beklagte si<strong>ch</strong> Blanke <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er 2010 veröffentli<strong>ch</strong>ten Würdigung des DDR-<br />

L<strong>in</strong>guisten Georg Friedri<strong>ch</strong> Meier über den „enormen S<strong>ch</strong>aden“, die ideologis<strong>ch</strong> verbrämte Unfähigkeit anri<strong>ch</strong>ten kann“ – die<br />

Aussage bezog si<strong>ch</strong> auf e<strong>in</strong> vom ZK der SED und vom Akademie-Verlag se<strong>in</strong>erzeit verh<strong>in</strong>derten Drucklegung e<strong>in</strong>es<br />

l<strong>in</strong>guistis<strong>ch</strong>en Werks. Zumal die genannten Instanzen zu DDR-Zeiten von Blanke no<strong>ch</strong> völlig unkritis<strong>ch</strong> vergöttert worden<br />

waren, kl<strong>in</strong>gen sol<strong>ch</strong>e und ähnli<strong>ch</strong>e Äusserungen komplett unglaubwürdig.<br />

3


Teil I, herausgegeben von der Deuts<strong>ch</strong>en Justizverwaltung der sowjetis<strong>ch</strong>en Besatzungszone <strong>in</strong><br />

Deuts<strong>ch</strong>land) waren „7. Kunstspra<strong>ch</strong>engruppen aufzulösen“ und „8. Ido- und <strong>Esperanto</strong>spra<strong>ch</strong>ecken <strong>in</strong><br />

den Zeitungen und Zeits<strong>ch</strong>riften unverzügli<strong>ch</strong> aufzuheben“. Im glei<strong>ch</strong>en Erlass wurden au<strong>ch</strong><br />

Freikulturverbände (Nacktkultur) verboten und örtli<strong>ch</strong>e Verkehrsvere<strong>in</strong>e aufgelöst. Interessant s<strong>in</strong>d<br />

drei Punkt: Das Verbot wurde bereits vor der Gründung der DDR erlassen; erwähnt wurde neben<br />

<strong>Esperanto</strong> au<strong>ch</strong> Ido. Hö<strong>ch</strong>st bezei<strong>ch</strong>nend ist aber vor allem, <strong>in</strong> wel<strong>ch</strong>e Kategorien <strong>Esperanto</strong> fiel. Die<br />

Verfügung liest si<strong>ch</strong> wie e<strong>in</strong> Missverständnis, bei der ‚Kunstspra<strong>ch</strong>egruppen’ mit Kunstgruppen bzw.<br />

Volkskunstgruppen verwe<strong>ch</strong>selt wurden. Am 15.6.1949 lieferte das SED-Organ die Erklärung na<strong>ch</strong>, es<br />

handle si<strong>ch</strong> um ke<strong>in</strong> Verbot des <strong>Esperanto</strong> an si<strong>ch</strong> (als Spra<strong>ch</strong>e?), sondern um e<strong>in</strong> Verbot von<br />

Gruppen(aktivitäten). Aber politis<strong>ch</strong> war die Entwicklung klar: Die SED und ihr Parteijugendverband<br />

FDJ duldeten ke<strong>in</strong>e Jugendorganisationen, die ausserhalb ihrer Kontrolle standen. Entspre<strong>ch</strong>end brüsk<br />

wurden sie verdrängt. Ni<strong>ch</strong>tsdestotrotz fanden <strong>in</strong> den illegalen Jahren zwis<strong>ch</strong>en 1949 und 1965<br />

sporadis<strong>ch</strong> private Treffen von Esperantisten <strong>in</strong> Ost-Berl<strong>in</strong> und der übrigen DDR statt, z.B. <strong>in</strong> Leipzig,<br />

wo der Kreis um Eri<strong>ch</strong>-Dieter Krause entstand. Man<strong>ch</strong>mal wurden sie von den Behörden entdeckt und<br />

auf das Verbot zure<strong>ch</strong>tgewiesen. 2 No<strong>ch</strong> im März 1955 s<strong>ch</strong>rieb der „Staatsanwalt der DDR“ über<br />

<strong>Esperanto</strong>: „Kunstspra<strong>ch</strong>en s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e Nationalspra<strong>ch</strong>en und haben folgli<strong>ch</strong> und übere<strong>in</strong>stimmend mit<br />

der Lehre des unvergessli<strong>ch</strong>en J.V. Stal<strong>in</strong> über Probleme des Marxismus <strong>in</strong> der Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft<br />

ke<strong>in</strong>e wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e oder kulturelle Grundlage, denn sie besitzen weder e<strong>in</strong>en Basis-Worts<strong>ch</strong>atz<br />

no<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>e eigene Grammatik.“ 3<br />

2<br />

S. Wollenberg, F.; Chronik zur Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des <strong>Esperanto</strong> <strong>in</strong> Ostberl<strong>in</strong> 1945-1991, 2002, S. 13; Bendias, T.: Die <strong>Esperanto</strong>-<br />

Jugend <strong>in</strong> der DDR. S. 46ff.<br />

3<br />

S. L<strong>in</strong>s, U.: La danĝera l<strong>in</strong>gvo (Die gefährli<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e), Eo-Ausgabe 1988, S. 467f.; Bendias, ebd., S. 99. Ni<strong>ch</strong>t nur auf<br />

l<strong>in</strong>guistis<strong>ch</strong>em Gebiet herrs<strong>ch</strong>te um 1950 im Ostblock e<strong>in</strong>e abstruse Situation, sondern au<strong>ch</strong> im zivilgesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

Berei<strong>ch</strong> die nackte Reaktion: So liess die DDR-Staatssi<strong>ch</strong>erheit zwis<strong>ch</strong>en 1950 und 1955 fast 2800 Zeugen Jehovas als<br />

amerikanis<strong>ch</strong>e Spione verhaften. (Handbu<strong>ch</strong> der kommunistis<strong>ch</strong>en Geheimdienste, S. 223). Ferner me<strong>in</strong>te man, die<br />

kommunistis<strong>ch</strong>en Parteien von „Titoisten, Trotzkisten und Zionisten“ säubern zu müssen. Während <strong>in</strong> der Sowjetunion e<strong>in</strong>e<br />

Horrorfigur wie Lavrentij Berija als Chef der Geheimdienste se<strong>in</strong> Unwesen trieb (im Juni 1953 wurde er allerd<strong>in</strong>gs verhaftet<br />

und im Dezember ers<strong>ch</strong>ossen), wüteten im wahrsten S<strong>in</strong>ne des Wortes na<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>ander die Kommunisten Wilhelm Zaisser<br />

(1950-53) und Ernst Wollweber (1953-57) als berü<strong>ch</strong>tigte Leiter der DDR-Staatssi<strong>ch</strong>erheit, sekundiert von Hermann Matern<br />

als Chef der Zentralen Parteikontroll-Kommission, der si<strong>ch</strong> als e<strong>in</strong>e Art Gross<strong>in</strong>quisitor der SED aufplusterte. Gegen eigene<br />

Genossen wie Franz Dahlem und Paul Merker wurde von Seiten des extrem arroganten Stal<strong>in</strong>-Vasallen Ulbri<strong>ch</strong>t e<strong>in</strong>e<br />

Hexenjagd ausgelöst. Gegen Merker sollte sogar e<strong>in</strong> stal<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>er S<strong>ch</strong>auprozess im Stile Rajks und Slánskýs <strong>in</strong>szeniert<br />

werden (es kam aber <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mehr dazu, weil Stal<strong>in</strong> im März 19533 starb); Wolfgang Hari<strong>ch</strong> wurde im März 1957 wegen<br />

„Bildung e<strong>in</strong>er konspirativen staatsfe<strong>in</strong>dli<strong>ch</strong>en Gruppe“ zu zehn Jahren Zu<strong>ch</strong>thaus verurteilt, und Karl S<strong>ch</strong>irdewan wurde<br />

wegen „fraktioneller Tätigkeit“ aus dem Politbüro und dem Zentralkomitee der SED ausges<strong>ch</strong>lossen und strafversetzt. Dies<br />

nur vier prom<strong>in</strong>ente Falle. Die Sozialdemokraten und Ni<strong>ch</strong>tkommunisten wurden aus der SED vertrieben und verfolgt bzw.<br />

dur<strong>ch</strong> Bildung v. sog. ‚Blockparteien’ gefügig gema<strong>ch</strong>t (s. Maly<strong>ch</strong>a/W<strong>in</strong>ters: Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der SED, 2009). Vor allem na<strong>ch</strong><br />

dem Arbeiteraufstand des 17. Juni 1953 verstärkte si<strong>ch</strong> die Repression der SED-S<strong>ch</strong>arfma<strong>ch</strong>er gegenüber allerlei<br />

Regimekritiker (s. Neubert: Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Opposition <strong>in</strong> der DDR 1949-1989, 1997). In se<strong>in</strong>er eigenen groben Art verbat<br />

si<strong>ch</strong> Matern, e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>gefleis<strong>ch</strong>ter Ulbri<strong>ch</strong>t-Gefolgsmann und ho<strong>ch</strong>dotierter SED-Funktionär, jedweden „Liberalismus“<br />

gegenüber Staatsfe<strong>in</strong>den, die er als „kniewei<strong>ch</strong>e Pazifisten und Mondgucker“ verunglimpfte und für sie „ke<strong>in</strong>en Platz <strong>in</strong><br />

unseren Reihen“ vorsah. Die DDR müsse zur „Hölle für die fe<strong>in</strong>dli<strong>ch</strong>en Agenten“ werden, liess er si<strong>ch</strong> verlauten (s. v.<br />

Flocken/S<strong>ch</strong>olz: Ernst Wollweber. Saboteur, M<strong>in</strong>ister, Unperson. Berl<strong>in</strong> 1994, S. 146). Als erbarmungslose Ri<strong>ch</strong>ter<strong>in</strong> waltete<br />

<strong>in</strong> dieser Zeit die berühmt-berü<strong>ch</strong>tigte Hilde Benjam<strong>in</strong> ihres Amts. Na<strong>ch</strong>folger des Sabotage-Verbre<strong>ch</strong>ers Wollweber wurde<br />

der <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> weniger skrupellose Eri<strong>ch</strong> Mielke, ebenfalls e<strong>in</strong> hö<strong>ch</strong>st grobs<strong>ch</strong>lä<strong>ch</strong>tiger Krim<strong>in</strong>eller aus der Weimarer Zeit, der <strong>in</strong><br />

den nä<strong>ch</strong>sten Jahrzehnten das MfS erst ri<strong>ch</strong>tig zum gefür<strong>ch</strong>teten Staat im Staate aufbauen liess. Diese widerli<strong>ch</strong>en, als<br />

„Antifas<strong>ch</strong>isten“ glorifizierte Männer und no<strong>ch</strong> viele andere f<strong>in</strong>stere Gestalten prägten den Aufbau der DDR von Anfang bis<br />

zum bitteren Ende unmittelbar mit. Ke<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>zigen objektiven Satz konnte man über sie <strong>in</strong> der DDR-Publizistik jemals<br />

lesen. Ihre wahren Biographien hätten e<strong>in</strong>en Skandal hö<strong>ch</strong>sten Ausmasses ausgelöst. Leider s<strong>in</strong>d diese D<strong>in</strong>ge viel zu wenig<br />

bekannt. Im August 1961 wurde von diesen Leuten dann die Berl<strong>in</strong>er Mauer erri<strong>ch</strong>tet und das DDR-Volk endgültig vom<br />

Westen abges<strong>ch</strong>irmt. Aufgrund e<strong>in</strong>es mörderis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>iessbefehls hatten DDR-Grenzsoldaten die Pfli<strong>ch</strong>t, auf aufgespürte<br />

Flü<strong>ch</strong>tl<strong>in</strong>ge zu s<strong>ch</strong>iessen, wobei auf diese Weise etwa 136 bis 245 Mens<strong>ch</strong>en zu Tode kamen. <strong>Der</strong> legendäre Stasi-<br />

Auslandsspionage<strong>ch</strong>ef Markus Wolf versu<strong>ch</strong>te mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln und tausenden eigenen Agenten,<br />

die BRD konspirativ zu unterwandern und den Westen zu destabilisieren, wobei er vor spektakulären und verbotenen Taten<br />

und Entführungen <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> zurücks<strong>ch</strong>reckte. <strong>Der</strong> heimli<strong>ch</strong>e DDR-Devisenbes<strong>ch</strong>affer S<strong>ch</strong>alck-Golodkowski bewegte si<strong>ch</strong> meist<br />

ausserhalb der Gesetze, um zu se<strong>in</strong>em Ziel zu gelangen. No<strong>ch</strong> 1968 wurden Verurteilte <strong>in</strong> der DDR guillot<strong>in</strong>iert, die<br />

Todesstrafe wurde erst 1987 abges<strong>ch</strong>afft (s. <strong>Der</strong> Spiegel vom 13.7.2007). Im Übrigen kamen <strong>in</strong> der DDR au<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> wenige<br />

ehem. Nazi- und Kriegsverbre<strong>ch</strong>er unter, <strong>ganz</strong> zu s<strong>ch</strong>weigen von RAF-Terroristen und allerlei Krim<strong>in</strong>ellen aus arabis<strong>ch</strong>en<br />

Ländern und der Dritten Welt, die im ausgewiesenen S<strong>ch</strong>urkenstaat DDR Unters<strong>ch</strong>lupf fanden, um Interpol so entwei<strong>ch</strong>en zu<br />

können. Unter diesen Aspekten erhielt die öffentli<strong>ch</strong> zur S<strong>ch</strong>au gestellte ‚Friedenspolitik’ der DDR e<strong>in</strong> <strong>ganz</strong> anderes Gesi<strong>ch</strong>t.<br />

DDR-Bürger war es <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> erlaubt, frei <strong>in</strong>s (westli<strong>ch</strong>e) Ausland zu reisen. An den DDR-Grenzen wurden die Touristen auf<br />

bes<strong>ch</strong>ämende Art kontrolliert und persönli<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong>su<strong>ch</strong>t. Im Land selbst, das von der Roten Armee besetzt war und von der<br />

4


Zwar hatte si<strong>ch</strong> anfängli<strong>ch</strong> vor allem der Deuts<strong>ch</strong>e Friedensrat um die Belange der <strong>Esperanto</strong>-<br />

Bewegung <strong>in</strong> der DDR gekümmert. So liess er 1960 die Zeits<strong>ch</strong>rift Paco der kommunistis<strong>ch</strong>en<br />

Weltfriedensbewegung der Esperantisten (Mondpaca Esperantista Movado) herausgeben und sorgte<br />

au<strong>ch</strong> dafür, dass 1963 e<strong>in</strong>e DDR-Abordnung an den <strong>Esperanto</strong>-Weltkongress <strong>in</strong> Sofia reisen durfte. Da<br />

der Deuts<strong>ch</strong>e Friedensrat aber ke<strong>in</strong>e Organisation mit e<strong>in</strong>ges<strong>ch</strong>riebenen Mitgliedern war, konnte er<br />

den Esperantisten <strong>in</strong> der DDR ke<strong>in</strong>e organisatoris<strong>ch</strong>e Grundlage bieten. 4<br />

Obwohl das <strong>Esperanto</strong>-Verbot per ‚Verordnung über die Gründung und Tätigkeit von<br />

Vere<strong>in</strong>igungen’ im Gesetzblatt der DDR Nr. 64 vom 15.9.1961 – also e<strong>in</strong>en Monat na<strong>ch</strong> dem<br />

Mauerbau! – aufgehoben wurde, bestand es de facto bis 1965 weiter. 5<br />

An den Deuts<strong>ch</strong>en Kulturbund geri<strong>ch</strong>tete S<strong>ch</strong>reiben veranlassten das Sekretariat, Beratungen<br />

mit dem Deuts<strong>ch</strong>en Friedensrat und den zuständigen staatli<strong>ch</strong>en Instanzen zu führen. 6 Im Dezember<br />

1964 gab es e<strong>in</strong>en ZK-Bes<strong>ch</strong>luss zur Wiederzulassung des <strong>Esperanto</strong>. Dies führte dazu, dass im<br />

Februar 1965 das Präsidium des Deuts<strong>ch</strong>en Kulturbundes (DKB) bes<strong>ch</strong>loss, e<strong>in</strong>en Zentralen<br />

Arbeitskreis der <strong>Esperanto</strong>freunde im Deuts<strong>ch</strong>en Kulturbund zu bilden, „um den Esperantisten <strong>in</strong> der<br />

Deuts<strong>ch</strong>en Demokratis<strong>ch</strong>en Republik bessere Mögli<strong>ch</strong>keiten zu geben, im S<strong>in</strong>ne des Friedens und der<br />

Völkerverständigung zu wirken,“ wie es <strong>in</strong> der ersten Ausgabe des Mitteilungsblatts der<br />

<strong>Esperanto</strong>freunde im Deuts<strong>ch</strong>en Kulturbund, der esperantist 7 , hiess. Am 31. März 1965 konstituierte<br />

si<strong>ch</strong> der Zentrale Arbeitskreis der <strong>Esperanto</strong>-Freunde im Rahmen des Deuts<strong>ch</strong>en Kulturbunds<br />

(ZAKE). 8 Die Mitglieder des ersten Vorstands des Zentralen Arbeitskreises <strong>Esperanto</strong> (ZAKE)<br />

waren:<br />

Rudi Graetz (1907-77), 1. Vorsitzender, Direktor für Ausstellungen beim M<strong>in</strong>isterium für Aussen- und<br />

Innerdeuts<strong>ch</strong>en Handel, Berl<strong>in</strong>;<br />

Willy Vildebrand (6.3.1904-?), Exportkaufmann, Berl<strong>in</strong>; 9<br />

Sowjetunion bevormundet wurde, herrs<strong>ch</strong>te Willkür der Gesetzesanwendung (daher spri<strong>ch</strong>t man von e<strong>in</strong>em ‚Unre<strong>ch</strong>tsstaat’).<br />

Obwohl die DDR 1949 gegründet wurde, wurde der Sozialismus erst 1952 gewaltsam e<strong>in</strong>geführt, als si<strong>ch</strong> ausserdem<br />

abzei<strong>ch</strong>nete, dass Stal<strong>in</strong>s Option, den sowjetis<strong>ch</strong>en E<strong>in</strong>fluss über Gesamtdeuts<strong>ch</strong>land zu erlangen, s<strong>ch</strong>eiterte und die<br />

Westmä<strong>ch</strong>te ihre eigene BRD etablierten. Die Mens<strong>ch</strong>en <strong>in</strong> der sog. Ostzone, die <strong>in</strong> diesem Jahr dur<strong>ch</strong> die Erri<strong>ch</strong>tung e<strong>in</strong>er<br />

befestigten <strong>in</strong>nerdeuts<strong>ch</strong>en Sperrgrenze vom übrigen Teil Deuts<strong>ch</strong>land abgeriegelt wurde, wurden ihrem S<strong>ch</strong>icksal<br />

überlassen. An dieser Stelle sei nur soviel über die Zustände <strong>in</strong> der damaligen DDR beri<strong>ch</strong>tet, die heute <strong>in</strong> grossen Zügen und<br />

vielen Details bekannt s<strong>in</strong>d. Ansonsten verweise i<strong>ch</strong> auf die umfangrei<strong>ch</strong>e Fa<strong>ch</strong>literatur, die na<strong>ch</strong> dem 9. November 1989<br />

au<strong>ch</strong> allen ehemal. DDR-Bürgern frei, ungeh<strong>in</strong>dert und im vollen Umfang zugängli<strong>ch</strong> wurde (die grösste Bibliographie ist <strong>in</strong><br />

Weber: Die DDR 1945-1990, Oldenbourg 4/2006, zu f<strong>in</strong>den).<br />

4 DDR-Chefesperantist D. Blanke s<strong>ch</strong>rieb <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Bros<strong>ch</strong>üre ‚Movado sur la alia flanko’ (2004), dass die Wiederherstellung<br />

e<strong>in</strong>er organisierten <strong>Esperanto</strong>-Bewegung <strong>in</strong> der DDR deshalb mit Verspätung erfolgt sei, weil der Konflikt zwis<strong>ch</strong>en den<br />

beiden deuts<strong>ch</strong>en Staaten e<strong>in</strong>en negativen E<strong>in</strong>fluss auf alle <strong>in</strong>ternationalen Beziehungen der DDR gehabt habe.<br />

5 Beim Verglei<strong>ch</strong> des Charakters, der Semantik und der Struktur des DDR-<strong>Esperanto</strong>-Verbotsdekrets, das ja zweifellos den<br />

sowjetis<strong>ch</strong>en Standpunkt <strong>in</strong> der <strong>Esperanto</strong>-Frage wiedergab, stelle i<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>e verblüffende ähnli<strong>ch</strong>e Lautung fest, die die<br />

Anti-<strong>Esperanto</strong>-Erlasse der Nationalsozialisten (Rust, Kohlba<strong>ch</strong>, Heydri<strong>ch</strong>, Bormann, usw.) <strong>in</strong> den 30er Jahren aufwiesen (s.<br />

L<strong>in</strong>s, U.: Die gefährli<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e, dt. Ausgabe 1988, S. 103-110). Ähnli<strong>ch</strong> wie im Fall des Dritten Rei<strong>ch</strong>s kann man also<br />

au<strong>ch</strong> im Fall des entspre<strong>ch</strong>enden Eo-Verbots <strong>in</strong> der DDR s<strong>ch</strong>liessen, dass die Spra<strong>ch</strong>e <strong>Esperanto</strong> selbst (die man privat<br />

pflegen durfte) vermutli<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> verboten war; verboten waren h<strong>in</strong>gegen die Eo-Tätigkeiten/Gruppen und die öffentli<strong>ch</strong>e<br />

Verbreitung des <strong>Esperanto</strong>. Spezifis<strong>ch</strong> und seltsam war <strong>in</strong> dem DDR-Erlasse die Zuordnung des <strong>Esperanto</strong> zu den<br />

Volkskunstgruppen.<br />

6 Bei den Diskussionen um die Wiederzulassung der <strong>Esperanto</strong>-Bewegung <strong>in</strong> der DDR sollen die „Traditionen der Arbeiter-<br />

<strong>Esperanto</strong>-Bewegung“ e<strong>in</strong>e Rolle gespielt haben, wie Blanke <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Bros<strong>ch</strong>üre ‚Movado sur la alia flanko’ festhielt.<br />

7 Sämtli<strong>ch</strong>e Ausgaben von der esperantist s<strong>in</strong>d auf CD erhältli<strong>ch</strong>.<br />

8 Die Wiederzulassung des <strong>Esperanto</strong> <strong>in</strong> der DDR fällt mit der folgenden <strong>in</strong>teressanten Enwicklung im Land <strong>in</strong> der zweiten<br />

Hälfte der 60er zusammen. No<strong>ch</strong> heute weitgehend unbekannt ist die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass der Ex-Stal<strong>in</strong>ist Ulbri<strong>ch</strong>t – er war wohl<br />

mehr e<strong>in</strong> politis<strong>ch</strong>er Opportunist – na<strong>ch</strong> dem Mauerbau von 1961 dana<strong>ch</strong> tra<strong>ch</strong>tete, vers<strong>ch</strong>iedene Reformen auf dem Gebiet<br />

der Wirts<strong>ch</strong>aft, Kultur- und Jugendpolitik <strong>in</strong> der DDR e<strong>in</strong>zuführen und voranzutreiben, die eigentli<strong>ch</strong> ziemli<strong>ch</strong><br />

vielverspre<strong>ch</strong>end waren (man verglei<strong>ch</strong>e die Bemühungen Ulbri<strong>ch</strong>ts mit der damaligen Reformbewegung <strong>in</strong> der<br />

Ts<strong>ch</strong>e<strong>ch</strong>oslowakei). Aber damit sollte er Probleme bekommen. Die eigenmä<strong>ch</strong>tige Stellung Ulbri<strong>ch</strong>ts, der si<strong>ch</strong> immer mehr<br />

zum Diktator der DDR entwickelte, g<strong>in</strong>g den konservativen Hardl<strong>in</strong>ern um Eri<strong>ch</strong> Honecker aber s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> zu weit. Ende<br />

1965 wurde Ulbri<strong>ch</strong>ts Kurs von Honecker jäh abgeblockt. Ulbri<strong>ch</strong>t selbst konnte se<strong>in</strong>en Ma<strong>ch</strong>terhalt nur retten, <strong>in</strong>dem er den<br />

Forderungen der Konservativen, die die Entwicklungen der Jugendbewegung der 60er Jahre zutiefst verabs<strong>ch</strong>euten, na<strong>ch</strong>kam.<br />

Walter Ulbri<strong>ch</strong>t trat 1971 gezwungenermassen von fast allen Ämtern zurück, im August 1973 starb er. Obwohl es unter<br />

se<strong>in</strong>em Na<strong>ch</strong>folger Honecker überhaupt <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> um mehr Humanismus und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te g<strong>in</strong>g und se<strong>in</strong>e Frau, die<br />

unbarmherzige Margot Faisst als ewige Volksbildungsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> das Ihre zur Diktatur beitrug, hörte unter se<strong>in</strong>er Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

der offene Terror zwar auf; das Land wurde denno<strong>ch</strong> von e<strong>in</strong>em zunehmend grösser werdenden Netz von MfS-Spitzeln<br />

überspannt, die alles und jeden kontrollierten.<br />

9 1930 Präsident des Deuts<strong>ch</strong>en Arbeiter-<strong>Esperanto</strong>-Bundes.<br />

5


Eugen Menger (1902-71), Stellv. Vorsitzender und Sekretär, Abteilungsleiter, Berl<strong>in</strong>;<br />

Otto Bässler (1897–1981), Leiter e<strong>in</strong>er Museumsabteilung <strong>in</strong> Leipzig; 10<br />

Hans Ei<strong>ch</strong>horn, cand. med., Pirna;<br />

Helmut Fu<strong>ch</strong>s, Kaderleiter, Pirna;<br />

Rudolf Hahlbohm, Theaterwissens<strong>ch</strong>aftler, Berl<strong>in</strong>;<br />

Dr. Emil Re<strong>ch</strong>tziegler, Wirts<strong>ch</strong>aftswissens<strong>ch</strong>aftler, Berl<strong>in</strong>;<br />

Erw<strong>in</strong> S<strong>ch</strong>leusener (1908-69), Redakteur, Berl<strong>in</strong><br />

Ludwig S<strong>ch</strong>ödl (*31.10.1909-1997), Lehrer/Direktor, Neurupp<strong>in</strong>;<br />

Wilhelm Zimmermann, Behördenangestellter, Berl<strong>in</strong>.<br />

Soweit zu den Voraussetzungen und Anfängen der zentralen <strong>Esperanto</strong>-Bewegung der DDR.<br />

der esperantist <strong>in</strong> der zweiten Hälfte der 1960er Jahre<br />

Graetz, Menger, Re<strong>ch</strong>tziegler, S<strong>ch</strong>leusener und Vildebrand waren au<strong>ch</strong> verantwortli<strong>ch</strong> für die<br />

Herausgabe von der esperantist, e<strong>in</strong> Periodikum, das unter der Lizenznummer 648 des Presseamtes<br />

beim Vorsitzenden des M<strong>in</strong>isterrats der DDR ers<strong>ch</strong>ien. Die Redaktion befand si<strong>ch</strong> an der Otto-<br />

Nus<strong>ch</strong>ke-Str. 1 <strong>in</strong> Ost-Berl<strong>in</strong>. Soglei<strong>ch</strong> wurden Ri<strong>ch</strong>tl<strong>in</strong>ien für die Tätigkeiten der Esperantisten <strong>in</strong> der<br />

DDR verabs<strong>ch</strong>iedet. Als Hauptziel des Wirkens des neuen Arbeitskreises wurde „der freunds<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />

Gedankenaustaus<strong>ch</strong> mit den Esperantisten aller sozialistis<strong>ch</strong>er Länder und die Entwicklung der<br />

Zusammenarbeit mit den forts<strong>ch</strong>rittli<strong>ch</strong>en Esperantisten der kapitalistis<strong>ch</strong>en Staaten im Geiste des<br />

Friedens und der Völkerfreunds<strong>ch</strong>aft“ formuliert. Ferner hiess es: „Die <strong>Esperanto</strong>freunde betra<strong>ch</strong>ten es<br />

als ihre Aufgabe: (...) den historis<strong>ch</strong>en Umwälzungsprozess, der si<strong>ch</strong> <strong>in</strong> unserem Staat vollzieht, den<br />

Friedens<strong>ch</strong>arakter unserer Politik und den tiefen humanistis<strong>ch</strong>en Inhalt unserer ökonomis<strong>ch</strong>en,<br />

politis<strong>ch</strong>en und kulturellen Entwicklung überzeugend darzustellen; si<strong>ch</strong> für die Ideen des<br />

Humanismus, der Völkerfreunds<strong>ch</strong>aft und für die Dur<strong>ch</strong>setzung der friedli<strong>ch</strong>en Koexistenz<br />

e<strong>in</strong>zusetzen und mit Wort und Tat die westdeuts<strong>ch</strong>e Politik der atomaren Aufrüstung und der<br />

Revan<strong>ch</strong>e, den imperialistis<strong>ch</strong>en Krieg und alle Formen des Neokolonialismus zu entlarven; beim<br />

umfassenden Aufbau des Sozialismus <strong>in</strong> der Deuts<strong>ch</strong>en Demokratis<strong>ch</strong>en Republik (...) mitzuwirken.“<br />

Über die Motivation der Bes<strong>ch</strong>äftigung mit <strong>Esperanto</strong> stand dort ges<strong>ch</strong>rieben: „Für die<br />

<strong>Esperanto</strong>freunde ist die Pflege der Welthilfsspra<strong>ch</strong>e e<strong>in</strong>e Form ihrer kulturellen Betätigung, die zur<br />

allseitigen Bildung sozialistis<strong>ch</strong>er Mens<strong>ch</strong>en beitragen kann. Sie s<strong>in</strong>d si<strong>ch</strong> bewusst, dass zur<br />

Allgeme<strong>in</strong>bildung sozialistis<strong>ch</strong>er Persönli<strong>ch</strong>keiten die Beherrs<strong>ch</strong>ung von Fremdspra<strong>ch</strong>en gehört, die<br />

dur<strong>ch</strong> nationale Besonderheiten geprägt und <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> dur<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>e Welthilfsspra<strong>ch</strong>e ersetzt oder verdrängt<br />

werden können. Die <strong>Esperanto</strong>freunde sehen <strong>in</strong> der Deuts<strong>ch</strong>en Demokratis<strong>ch</strong>en Republik das nationale<br />

und soziale Vorbild für die Gestaltung der deuts<strong>ch</strong>en Zukunft und die zuverlässige Bastion des<br />

Friedens <strong>in</strong> Deuts<strong>ch</strong>land. Mit <strong>ganz</strong>er Kraft unterstützen sie den umfassenden Aufbau des Sozialismus<br />

und die Friedenspolitik unseres Arbeiter-und-Bauern-Staates. In ihrer Tätigkeit bea<strong>ch</strong>ten sie die<br />

forts<strong>ch</strong>rittli<strong>ch</strong>en Traditionen des Deuts<strong>ch</strong>en Arbeiter-<strong>Esperanto</strong>-Bundes und die Erfahrungen, die die<br />

Mitglieder dieses Bundes und andere <strong>Esperanto</strong>freunde im Kampf gegen den Fas<strong>ch</strong>ismus und beim<br />

demokratis<strong>ch</strong>en und sozialistis<strong>ch</strong>en Aufbau gesammelt haben.“ Zu den praktis<strong>ch</strong>en Aufgaben des<br />

Arbeitskreises wurden etwa die „Übersetzung von Reden führender Politiker, <strong>in</strong>teressanten Artikeln<br />

und Beiträgen von S<strong>ch</strong>riftstellern, Beri<strong>ch</strong>ten aus Zeitungen und Zeits<strong>ch</strong>riften, zur Verwendung für<br />

Auslandskorrespondenzen“ genannt. 11 Ausserdem era<strong>ch</strong>tete es der Arbeitskreis als „se<strong>in</strong>e Aufgabe,<br />

Verb<strong>in</strong>dungen zu <strong>in</strong>ternationalen und nationalen Verbänden aufzunehmen“. Vor allem Kontakte mit<br />

dem <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>sozialistis<strong>ch</strong>en Ausland mussten sehr e<strong>in</strong>ges<strong>ch</strong>ränkt bleiben, da es den DDR-Bürgern, von<br />

10<br />

1967 mit dem Vaterländis<strong>ch</strong>en Verdienstorden <strong>in</strong> Bronze ausgezei<strong>ch</strong>net.<br />

11<br />

Dies und die „Dur<strong>ch</strong>führung <strong>in</strong>teressanter Vorträge und Diskussionen (...) über die Grundfragen unserer Zeit“ hielt si<strong>ch</strong> <strong>in</strong><br />

der esperantist aber stark <strong>in</strong> Grenzen.<br />

6


<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> wenigen Ausnahmen abgesehen, im Allgeme<strong>in</strong>en verwehrt blieb, <strong>in</strong>s westli<strong>ch</strong>e Ausland zu<br />

reisen.<br />

Wie diese Probleme aus damaliger Si<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> immer zu sehen und zu bewerten s<strong>in</strong>d, die<br />

Esperantisten im e<strong>in</strong>ges<strong>ch</strong>lossenen Osten Deuts<strong>ch</strong>lands – die Mauer war bekanntli<strong>ch</strong> 1961 erri<strong>ch</strong>tet<br />

worden 12 – erwiesen si<strong>ch</strong> dem Kulturbund gegenüber dankbar, weil ihre Existenz wieder ermögli<strong>ch</strong>t<br />

und anerkannt wurde. An e<strong>in</strong>er <strong>Esperanto</strong>-Konferenz <strong>in</strong> Wien im Juli 1965 spra<strong>ch</strong> Graetz vom<br />

Deuts<strong>ch</strong>en Kulturbund (später Kulturbund der DDR) als von „e<strong>in</strong>er wirkli<strong>ch</strong>en Heimstatt“, die die<br />

Esperantisten der DDR gefunden haben und gebärdete si<strong>ch</strong> entspre<strong>ch</strong>end unterwürfig: „Dass wir<br />

weiterh<strong>in</strong> bestrebt s<strong>in</strong>d, den „uns gegebenen Auftrag entspre<strong>ch</strong>end den Bes<strong>ch</strong>lüssen und Ri<strong>ch</strong>tl<strong>in</strong>ien<br />

des Deuts<strong>ch</strong>en Kulturbundes na<strong>ch</strong> besten Kräften zu erfüllen, betra<strong>ch</strong>ten wir als e<strong>in</strong>e<br />

Selbstverständli<strong>ch</strong>keit“, hiess es <strong>in</strong> der Inauguralbots<strong>ch</strong>aft des ZAKE-Vorsitzenden. Man s<strong>ch</strong>ätze si<strong>ch</strong><br />

„stolz und glückli<strong>ch</strong> zuglei<strong>ch</strong>, Mitglieder des Deuts<strong>ch</strong>en Kulturbundes zu se<strong>in</strong> und entspre<strong>ch</strong>end<br />

se<strong>in</strong>en Grundaufgaben zu arbeiten.“ Unter dem Motto „an das Gute des wahren deuts<strong>ch</strong>en Geistes<br />

glauben“ wurde anlässli<strong>ch</strong> des 20. Jahrestags des Deuts<strong>ch</strong>en Kulturbundes <strong>in</strong> der ersten Ausgabe von<br />

der esperantist e<strong>in</strong> Friedensappell auf Deuts<strong>ch</strong> und <strong>in</strong> <strong>Esperanto</strong>-Übersetzung abgedruckt. 13 An<br />

anderer Stelle wurde gegen die Kriegshandlungen der Vere<strong>in</strong>igten Staaten <strong>in</strong> Vietnam protestiert, e<strong>in</strong><br />

‚beliebtes’ und stets aktuelles Thema, das über viele Jahre au<strong>ch</strong> <strong>in</strong> anderen <strong>Esperanto</strong>-Organen des<br />

Ostblocks aufgewärmt bleiben sollte. Den übrigen Teil der ersten Nummer von der esperantist bildete<br />

e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die <strong>Esperanto</strong>-Spra<strong>ch</strong>e mit Kurzgrammatik und M<strong>in</strong>imalworts<strong>ch</strong>atz (die <strong>in</strong> den<br />

Folgenummern sporadis<strong>ch</strong> fortgesetzt wurde). Das Heft enthielt ferner e<strong>in</strong>en S<strong>ch</strong>e<strong>in</strong> zur Bestellung des<br />

Organs der Weltfriedens-<strong>Esperanto</strong>-Bewegung Paco – andere <strong>Esperanto</strong>-Zeits<strong>ch</strong>riften waren für e<strong>in</strong><br />

Abonnement <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> zugelassen. 14<br />

An e<strong>in</strong>er Tagung des ZAKE vom 16. August betra<strong>ch</strong>teten die Mitglieder „den Kampf für<br />

Weltfrieden, Völkerverständigung, friedli<strong>ch</strong>e Koexistenz und nationale Unabhängigkeit“ erneut als<br />

ihre Hauptaufgabe und erklärten si<strong>ch</strong> mit den an die USA geri<strong>ch</strong>teten Forderungen der Mondpaca<br />

Esperantista Movado (Weltfriedens-<strong>Esperanto</strong>-Bewegung) solidaris<strong>ch</strong>. <strong>Der</strong> ZAKE rief alle<br />

Esperantisten <strong>in</strong> der DDR auf, „mit aller Kraft die <strong>in</strong>ternationale Protestwelle gegen die amerikanis<strong>ch</strong>e<br />

Aggression zu verstärken (...).“<br />

In der zweiten Ausgabe von der esperantist, die Ende 1965 ers<strong>ch</strong>ien, konnte man si<strong>ch</strong><br />

<strong>in</strong>formieren, dass <strong>in</strong> a<strong>ch</strong>t Bezirken 15 beim Kulturbund Arbeitskreise „mit vielen Arbeitsgruppen und<br />

Zirkeln der <strong>Esperanto</strong>freunde der DDR bestehen und weitere gebildet werden“. Au<strong>ch</strong> liess si<strong>ch</strong> etwa<br />

12<br />

Die Mauer war e<strong>in</strong> Thema, das <strong>in</strong> der esperantist <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> objektiv reflektiert werden konnte.<br />

13<br />

Au<strong>ch</strong> Worte von Johannes R. Be<strong>ch</strong>er (1891-1958), des längst verstorbenen ersten Präsidenten des am 4. Juli 1945 von<br />

Künstlern und Intellektuellen als überparteili<strong>ch</strong>er und <strong>in</strong>terzonaler Kulturbund zur demokratis<strong>ch</strong>en Erneuerung<br />

Deuts<strong>ch</strong>lands mit dem Segen der Sowjetis<strong>ch</strong>en Militäradm<strong>in</strong>istration (SMAD) gegründet, erfuhren dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Würdigung. In<br />

diesem S<strong>ch</strong>riftsatz s<strong>ch</strong>reckte man <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> davor zurück, die angebli<strong>ch</strong> von „überführten und Ma<strong>ch</strong>tmissbrau<strong>ch</strong> betreibenden<br />

Verbre<strong>ch</strong>ern gegen die Mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>keit“ zersetzte Regierung (von Hassel) der Bundesrepublik Deuts<strong>ch</strong>land anzuklagen, die<br />

angebli<strong>ch</strong> den Ungeist der Nazizeit weiter fördere und Kriegsvorbereitungen betreibe (der erste Punkt bezog si<strong>ch</strong> auf die <strong>in</strong><br />

der Tat ungenügende Entnazifizierung <strong>in</strong> der BRD, der zweite auf die NATO-Pläne mit ihrem gegen den Ostblock<br />

geri<strong>ch</strong>teten Raketenprogramm). In der dritten Nummer von der esperantist wurde auf der Titelseite Be<strong>ch</strong>ers Gedi<strong>ch</strong>t ‚Glück’<br />

abgedruckt, 1967 folgten e<strong>in</strong>ige Strophen über Len<strong>in</strong>. Dort wurde Be<strong>ch</strong>er e<strong>in</strong> „grosser deuts<strong>ch</strong>er Di<strong>ch</strong>ter“ genannt. Um 1965<br />

bestanden zwis<strong>ch</strong>en dem von Max Burghardt (1893-1977), e<strong>in</strong>em herausragenden Kulturs<strong>ch</strong>affenden der DDR geleiteten<br />

Deuts<strong>ch</strong>en Kulturbund (DDR) und dem Bundesvorstand des Demokratis<strong>ch</strong>en Kulturbundes (BRD) dur<strong>ch</strong>aus no<strong>ch</strong> (gute)<br />

Beziehungen. Diese wurden jedo<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> „das drohende Engagement der Bundesrepublik an der Seite der USA“ zunehmend<br />

bee<strong>in</strong>trä<strong>ch</strong>tigt, hiess es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kommunique, das <strong>in</strong> der esperantist 5-6/1966 ers<strong>ch</strong>ien. 1974 wurde der Deuts<strong>ch</strong>e<br />

Kulturbund (DDR) <strong>in</strong> Kulturbund der DDR umbenannt. Er war der Nationalen Front angegliedert und <strong>in</strong> der<br />

Volkskammer mit 22 von <strong>in</strong>sgesamt 500 Abgeordneten vertreten. 1985 zählte der Kulturbund der DDR 263’000 Mitglieder.<br />

Wie andere Massenorganisationen akzeptierte au<strong>ch</strong> der Kulturbund der DDR ohne E<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>ränkung die Führung dur<strong>ch</strong> die<br />

SED. Neben dem <strong>Esperanto</strong>-Verband im Kulturbund der DDR g<strong>in</strong>gen mit der Zeit au<strong>ch</strong> andere Zentrale Arbeitskreise wie<br />

die Gesells<strong>ch</strong>aft für Denkmalpflege, die Gesells<strong>ch</strong>aft für Natur und Umwelt (e<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> des Zentralen Fa<strong>ch</strong>auss<strong>ch</strong>usses<br />

für Touristik und Wandern), die Gesells<strong>ch</strong>aft für Heimatges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te und die Gesells<strong>ch</strong>aft für Fotografie hervor. Weitere<br />

landesweit agierende Gesells<strong>ch</strong>aften im Kulturbund waren die Klubs der Intelligenz, die Pirckheimer-Gesells<strong>ch</strong>aft (Bü<strong>ch</strong>erund<br />

Grafiksammler mit der Zeits<strong>ch</strong>rift Marg<strong>in</strong>alien), der Arbeitskreis Friedri<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>iller und der Philatelistenverband der<br />

DDR im Deuts<strong>ch</strong>en Kulturbund. I<strong>ch</strong> erwähne diese Arbeitskreise, um die <strong>Esperanto</strong>-‚Bewegung’ der DDR, d.h. den ZAKE,<br />

statusgemäss ri<strong>ch</strong>tig e<strong>in</strong>zuordnen. 1978 existierten 35 sol<strong>ch</strong>er Fa<strong>ch</strong>gruppen.<br />

14<br />

1976 konnten weitere <strong>Esperanto</strong>-Zeits<strong>ch</strong>riften wie Bulgara esprantisto, Hungara Vivo, Pola esperantisto, Scienca Mondo,<br />

Scienca Revuo abonniert werden.<br />

15<br />

So <strong>in</strong> Leipzig, Dresden, Karl-Marx-Stadt, Berl<strong>in</strong>, Magdeburg, Rostock, S<strong>ch</strong>wer<strong>in</strong>, Halle, Suhl und Potsdam sowie<br />

vorgesehen au<strong>ch</strong> <strong>in</strong> Erfurt und Gera.<br />

7


aus e<strong>in</strong>em Leitartikel von Otto Bässler (Leipzig) Interessantes über das Selbstverständnis der<br />

‚<strong>Esperanto</strong>-Bewegung’ <strong>in</strong> der DDR ablesen. Ans<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>end sollte bei der Bes<strong>ch</strong>äftigung des <strong>Esperanto</strong><br />

weniger die Pflege e<strong>in</strong>es Hobbys an si<strong>ch</strong> im Vordergrund stehen. Vielmehr wurde die ‚höhere’ Idee<br />

propagiert, <strong>Esperanto</strong> sei e<strong>in</strong> Mittel zur Stärkung des Friedens und der Völkerfreunds<strong>ch</strong>aft: Die<br />

Betätigung der Esperantisten sei „ke<strong>in</strong> Selbstzweck, ke<strong>in</strong> besonderes ‚Steckenpferd’. <strong>Esperanto</strong> ist<br />

vielmehr e<strong>in</strong>es der Mittel zur Festigung der Freunds<strong>ch</strong>aftsbande zwis<strong>ch</strong>en den Mens<strong>ch</strong>en aller Länder<br />

– dur<strong>ch</strong> vere<strong>in</strong>fa<strong>ch</strong>te spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Verständigungsmögli<strong>ch</strong>keit.“ <strong>Esperanto</strong> müsse „helfen, das<br />

Kampfbündnis für das wi<strong>ch</strong>tige Anliegen der Mens<strong>ch</strong>heit, den Frieden, zu stärken.“ <strong>Esperanto</strong> sei aber<br />

„<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> das Ziel der Esperantisten“, sondern es sei „e<strong>in</strong> Mittel, um mitzuhelfen, die zweitausend Jahre<br />

währende Sehnsu<strong>ch</strong>t der Mens<strong>ch</strong>heit na<strong>ch</strong> friedli<strong>ch</strong>er Arbeit zu erfüllen.“ 16 Dieses Streben und Wirken<br />

entspre<strong>ch</strong>e dem Vermä<strong>ch</strong>tnis des S<strong>ch</strong>öpfers der <strong>Esperanto</strong>spra<strong>ch</strong>e, Dr. Zamenhof. Um die Existenz der<br />

<strong>Esperanto</strong>-Bewegung <strong>in</strong> der DDR zu re<strong>ch</strong>tfertigen und die eigene Haltung mit der Politik des<br />

Kulturbundes und des DDR-Regimes <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang zu br<strong>in</strong>gen, mussten <strong>in</strong> zunehmendem Masse<br />

politis<strong>ch</strong>-ideologis<strong>ch</strong>e Loyalitätsbekundungen ausgetragen werden. So wurde – im glei<strong>ch</strong>en Artikel –<br />

e<strong>in</strong>e unmittelbare Beziehung des <strong>Esperanto</strong> als Friedenssa<strong>ch</strong>e mit der „humanistis<strong>ch</strong>en Staatspolitik“<br />

der DDR hergestellt. Erneut wurden die Aufgaben des DKB vorgetragen und die Solidarität mit dem<br />

vietnamesis<strong>ch</strong>en Volk bekundet. Während der Leipziger Herbstmesse 1965 weilte e<strong>in</strong> Mitarbeiter der<br />

skand<strong>in</strong>avis<strong>ch</strong>en Kulturzeits<strong>ch</strong>rift Norda Prismo, Mogens Groth, als Gast des ZAKE <strong>in</strong> der Stadt, der<br />

über se<strong>in</strong>e s<strong>ch</strong>önen Er<strong>in</strong>nerungen vor Ort beri<strong>ch</strong>tete, wobei ihn vor allem „die Fülle an<br />

Gebrau<strong>ch</strong>sartikeln und Waren“ <strong>in</strong> Leipzig überras<strong>ch</strong>t hatten. Korrespondenzbegehren aus Vietnam, der<br />

Ts<strong>ch</strong>e<strong>ch</strong>oslowakei, Bulgarien, Japan, der Sowjetunion und anderen Ländern rundeten, au<strong>ch</strong> <strong>in</strong><br />

Zukunft, den Inhalt von der esperantist ab. 17<br />

<strong>Esperanto</strong>-Arbeitsgruppen bestanden <strong>in</strong>zwis<strong>ch</strong>en <strong>in</strong> 56 DDR-Städten mit 46 Zirkeln für<br />

Anfänger, 10 für Fortges<strong>ch</strong>rittene, 13 für Konversation und 3 für Korrespondenz. An diesen sollen<br />

si<strong>ch</strong> mehr als 1200 Personen beteiligt haben. In den 12 Bezirkshauptstädten und „<strong>in</strong> vielen anderen<br />

Orten der DDR“ hätten die <strong>Esperanto</strong>freunde e<strong>in</strong> „reges kulturpolitis<strong>ch</strong>es Leben entfaltet“, hiess es,<br />

und sie hätten Kontakte mit ausländis<strong>ch</strong>en Esperantisten aufgenommen und si<strong>ch</strong> für die Ideen des<br />

Humanismus, des Friedens und der Freunds<strong>ch</strong>aft mit allen friedliebenden Mens<strong>ch</strong>en und für die<br />

friedli<strong>ch</strong>e Koexistenz e<strong>in</strong>gesetzt“ sowie mit dem vietnamesis<strong>ch</strong>en Volk „Solidarität geübt“. Tausende<br />

von Unters<strong>ch</strong>riften seien gegen die „aggressive Politik des amerikanis<strong>ch</strong>en Imperialismus sowie gegen<br />

die <strong>in</strong>direkte Beteiligung der westdeuts<strong>ch</strong>en Regierung an dem s<strong>ch</strong>mutzigen Krieg <strong>in</strong> Vietnam“<br />

gesammelt worden. Es konnte daher von Seiten der <strong>Esperanto</strong>-Verantwortli<strong>ch</strong>en von e<strong>in</strong>em „enormen<br />

Aufs<strong>ch</strong>wung des <strong>Esperanto</strong> <strong>in</strong> der DDR“ gespro<strong>ch</strong>en werden. Na<strong>ch</strong> jedem stürmis<strong>ch</strong>en (und dur<strong>ch</strong><br />

Propaganda und Illusionen künstli<strong>ch</strong> ho<strong>ch</strong>getriebenen) Aufs<strong>ch</strong>wung folgt meistens e<strong>in</strong>e Phase der<br />

Ernü<strong>ch</strong>terung – diese Erfahrung mussten die meisten <strong>Esperanto</strong>-Organisationen ma<strong>ch</strong>en, sowohl <strong>in</strong> als<br />

au<strong>ch</strong> ausserhalb der DDR. So beklagte Dr. Re<strong>ch</strong>tziegler etwa den Mangel an „regelmässiger<br />

Beri<strong>ch</strong>terstattung an den Zentralen Arbeitskreis“, obwohl do<strong>ch</strong> e<strong>in</strong> „regelmässiger<br />

Erfahrungsaustaus<strong>ch</strong> <strong>in</strong> unserem Mitteilungsblatt“ „erforderli<strong>ch</strong>“ sei. In jenen Bezirken, wo die Arbeit<br />

stagniert, sollten die „Ursa<strong>ch</strong>en“ des „Tempoverlusts“ „untersu<strong>ch</strong>t“ werden. Insbesondere seien „alle<br />

Mängel <strong>in</strong> der Leitungstätigkeit“ zu „analysieren und zu überw<strong>in</strong>den“. Um e<strong>in</strong>e „höhere Qualität <strong>in</strong><br />

der Arbeit zu errei<strong>ch</strong>en“, sei es „notwendig, die bestehenden Bezirksarbeitskreise und Arbeitsgruppen<br />

allseitig zu festigen“. In den Bezirken sollte künftig etwa bei Anfragen „e<strong>in</strong>e grössere Verantwortung<br />

übernommen werden“, um auf „diese Weise den Zentralen Arbeitskreis zu entlasten“ Aber <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> nur<br />

die Bezirke, sondern au<strong>ch</strong> der ZAKE selbst wurde angemahnt, „se<strong>in</strong>en Aufgaben besser gere<strong>ch</strong>t zu<br />

werden“, denn man sollte die Mögli<strong>ch</strong>keiten, die der DKB biete, „voll auss<strong>ch</strong>öpfen“. Ferner wurde <strong>in</strong><br />

16<br />

Diese Position vertrat im Pr<strong>in</strong>zip au<strong>ch</strong> der westdeuts<strong>ch</strong>e Esperantist und <strong>Esperanto</strong>-Historiker Ulri<strong>ch</strong> L<strong>in</strong>s (s.<br />

<strong>Esperanto</strong>/UEA, Nr. 10/1986, S. 166).<br />

17<br />

Was aus diesen Kontakten wurde, blieb der Öffentli<strong>ch</strong>keit unerklärt, da <strong>in</strong> der esperantist darüber <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> rapportiert wurde.<br />

Viele Korrespondenzoptionen wurden vermutli<strong>ch</strong> gar nie benutzt. Überhaupt war der Briefkontakt mit den kommunistis<strong>ch</strong>en<br />

Staaten s<strong>ch</strong>wierig, da Postsendungen an der Grenze und vom Zoll abgefangen und kontrolliert wurden und so bei den<br />

Empfängern gar nie ankamen. Selbstverständli<strong>ch</strong> wurde dieses Problem <strong>in</strong> der esperantist <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> thematisiert. (dazu konkret<br />

zur DDR s. weiter unten).<br />

8


e<strong>in</strong>er der esperantist-Ausgaben der Mangel an guten <strong>Esperanto</strong>-Übersetzern aus der deuts<strong>ch</strong>en<br />

Literatur beklagt. 18<br />

Dem ZAKE gehörte damals au<strong>ch</strong> e<strong>in</strong> gewisser Detlev Blanke (*30.5.1941 <strong>in</strong> Neumünster,<br />

S<strong>ch</strong>leswig-Holste<strong>in</strong>) an, der im Kreis Wismar (Mecklenburg/DDR) aufwu<strong>ch</strong>s und na<strong>ch</strong> dem Abitur<br />

1959 e<strong>in</strong> Studium an der Universität Rostock aufnahm. Vier Jahre lang war er Lehrer für Deuts<strong>ch</strong> und<br />

Geografie. <strong>Esperanto</strong> begann er 1957 im Selbststudium zu lernen, erteilte <strong>Esperanto</strong>-Kurse und wurde<br />

Vorsitzender e<strong>in</strong>es <strong>Esperanto</strong>-Bezirksarbeitskreises. 19 Mit e<strong>in</strong>er ersten Kostprobe se<strong>in</strong>es Denkens<br />

debütierte er <strong>in</strong> der esperantist 5-6/1966 über die „Bedeutung und Grenzen des <strong>Esperanto</strong>“. Dar<strong>in</strong><br />

spra<strong>ch</strong> er si<strong>ch</strong> vor allem gegen den Zamenhofkult und die sogenannte ‚<strong>in</strong>nere Idee des Esperantismus’<br />

aus. Die Rolle des <strong>Esperanto</strong> dürfe „<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> idealisiert werden, sondern muss vielmehr sa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />

e<strong>in</strong>ges<strong>ch</strong>ätzt werden. Zamenhofkult und Mystizismus, verbunden mit der sogenannten ‚<strong>in</strong>terna ideo’<br />

(<strong>Esperanto</strong> als Ideologie und Völkerverbrüderung) könne, obwohl oft gut geme<strong>in</strong>t, der Verbreitung des<br />

<strong>Esperanto</strong> als seriöses und hervorragendes Verständigungsmittel nur h<strong>in</strong>derli<strong>ch</strong> se<strong>in</strong>,“ me<strong>in</strong>te er. 20<br />

Dabei galt gerade die ‚<strong>in</strong>terna ideo de <strong>Esperanto</strong>’ als allgeme<strong>in</strong>e Grundlage der <strong>Esperanto</strong>-Bewegung.<br />

Und weiter: Es gehe <strong>in</strong> unserer Zeit „um die Verbesserung der Verständigungsmögli<strong>ch</strong>keiten und die<br />

Unterstützung des Kampfes um die Dur<strong>ch</strong>setzung der friedli<strong>ch</strong>en Koexistenz“, s<strong>ch</strong>rieb der offenbar<br />

sowjetmarxistis<strong>ch</strong> geprägte Intellektuelle, der si<strong>ch</strong> gegen ‚sektiereris<strong>ch</strong>e’ Tendenzen aller Art <strong>in</strong> der<br />

<strong>Esperanto</strong>-Bewegung wehrte und si<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong>zeitig beharrli<strong>ch</strong> bemühte, der Weltspra<strong>ch</strong>enfrage e<strong>in</strong>e<br />

wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Diskussionsgrundlage zu vers<strong>ch</strong>affen. Von der Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft forderte Blanke<br />

„mehr Sa<strong>ch</strong>kenntnis“ über <strong>Esperanto</strong>. Bee<strong>in</strong>druckt von e<strong>in</strong>er (im Grunde weitgehend folgenlosen)<br />

UNESCO-Resolution zum <strong>Esperanto</strong> aus dem Jahr 1954 bedauerte er, dass die „praktis<strong>ch</strong>e Bedeutung<br />

des <strong>Esperanto</strong> für die Gegenwart“ no<strong>ch</strong> oft „unters<strong>ch</strong>ätzt“ werde. <strong>Esperanto</strong> könne nur dann<br />

„gebührend wirksam werden, wenn die Mögli<strong>ch</strong>keiten und Grenzen des <strong>Esperanto</strong> bekannt“ seien und<br />

wenn „jeder Esperantist se<strong>in</strong>e Spra<strong>ch</strong>e realistis<strong>ch</strong> würdigt, nämli<strong>ch</strong> als e<strong>in</strong> Mittel zur Veränderung der<br />

Welt“. Aber vor allem müsse das Ziel der Esperantisten se<strong>in</strong>, „gegen Militarismus und Imperialismus<br />

e<strong>in</strong>e Welt ohne Krieg aufbauen zu helfen“. In e<strong>in</strong>em separaten Artikel er<strong>in</strong>nerte Otto Bässler an die<br />

bewegende Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Arbeiter-<strong>Esperanto</strong>-Bewegung und hielt fest, dass die Leipziger<br />

Arbeiteresperantisten im Jahr 1923 do<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>mütig auf der Seite der revolutionären Arbeiter standen<br />

und geholfen hatten, kommunistis<strong>ch</strong>e Zeitungen zu verbreiten. Dies sei damals e<strong>in</strong>e gewagte Aktion<br />

gewesen. 21 Die bes<strong>ch</strong>lagnahmten Zeitungen „bildeten e<strong>in</strong>en Beweis für die Auffassung, dass die KPD<br />

18 Als „hervorragender Di<strong>ch</strong>ter“ wurde neben Johannes R. Be<strong>ch</strong>er au<strong>ch</strong> Bert Bre<strong>ch</strong>t genannt. Als e<strong>in</strong>er der wenigen Werke<br />

von Rang wurde der Roman ‚Nackt unter Wölfen’ des bisher unbekannten DDR-Autors Bruno Apitz aus dem Jahr 1961 von<br />

Karl S<strong>ch</strong>ulze <strong>in</strong>s <strong>Esperanto</strong> übersetzt und 1974 <strong>in</strong> Leipzig herausgegeben (e<strong>in</strong>e kritis<strong>ch</strong>e Beurteilung dieses Romans s. etwa<br />

M. Rei<strong>ch</strong>-Ranicki: Ohne Rabatt. Über Literatur aus der DDR. 1993. S. 27-31. I<strong>ch</strong> habe diesen Roman, der damals Furore<br />

ma<strong>ch</strong>te, kürzli<strong>ch</strong> auf Deuts<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong>gelesen und fand ihn literaris<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t und dramaturgis<strong>ch</strong> langweilig, trotz der<br />

s<strong>ch</strong>aurigen Rahmenkulisse des KZ Bu<strong>ch</strong>enwald und des Kriegs sowie der etwas ausgefallenen Idee mit dem zu<br />

versteckenden Judenk<strong>in</strong>d. Aber viellei<strong>ch</strong>t entspra<strong>ch</strong> er ja dem damaligen Ges<strong>ch</strong>mack. 1977 folgte ebenfalls <strong>in</strong> Leipzig die<br />

<strong>Esperanto</strong>-Übersetzung von Bre<strong>ch</strong>ts 1928 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> uraufgeführter und 1933 von den Nazis verbotener ‚Dreigros<strong>ch</strong>enoper’,<br />

die <strong>in</strong> der esperantist s<strong>ch</strong>on Anfang 1975 angekündigt und <strong>in</strong> Nr. 89/1978 von L<strong>in</strong>de Knös<strong>ch</strong>ke rezensiert wurde. So hiess es,<br />

dass beim „<strong>in</strong>tensiven marxistis<strong>ch</strong> orientierten Studium“ des Werks „neue Gesi<strong>ch</strong>tspunkte gewonnen“ wurden. Viele<br />

handelnde Personen seien Prototypen der kapitalistis<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aftsordnung und Mackie Messer sei von e<strong>in</strong>em<br />

s<strong>ch</strong>limmen Verbre<strong>ch</strong>er bis zu e<strong>in</strong>em ehrli<strong>ch</strong>en Unternehmer und Banker avanciert (mit Zitaten). Bre<strong>ch</strong>t zeige ausführli<strong>ch</strong> die<br />

räuberis<strong>ch</strong>e Praktik und die Psy<strong>ch</strong>ologie der kapitalistis<strong>ch</strong>en ‚grossen Welt’. S<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>bare Moral erweise si<strong>ch</strong> bald ledigli<strong>ch</strong> als<br />

Imitation e<strong>in</strong>er sentimentalen bürgerli<strong>ch</strong>en Ehrli<strong>ch</strong>keit. In der Tat bezweckte Bre<strong>ch</strong>t mit se<strong>in</strong>em Stück – gemäss Hannah<br />

Arendt (1951) – die Entlarvung bürgerli<strong>ch</strong>er Heu<strong>ch</strong>elei. Sonst wurden die Probleme, denen die ‚Dreigros<strong>ch</strong>enoper’ <strong>in</strong> der<br />

DDR begegnete, <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> reflektiert. No<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> dem 2. WK war das Werk <strong>in</strong> der DDR aber unerwüns<strong>ch</strong>t. Zwis<strong>ch</strong>en Bre<strong>ch</strong>t und<br />

der DDR-Staats- und Parteiführung entwickelte si<strong>ch</strong> ke<strong>in</strong> problemfreies Verhältnis, denno<strong>ch</strong> wurde er mit wi<strong>ch</strong>tigen Preisen,<br />

wie 1951 dem Nationalpreis 1. Klasse der DDR oder 1954 dem Stal<strong>in</strong>-Friedenspreis geehrt. Au<strong>ch</strong> dies alles blieb <strong>in</strong> der<br />

esperantist unerwähnt. E<strong>in</strong>e literaturwissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Analyse konnte unter diesen Bed<strong>in</strong>gungen und Umständen gar <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong><br />

zustande kommen, au<strong>ch</strong> weil <strong>in</strong> der esperantist si<strong>ch</strong> weder e<strong>in</strong> e<strong>ch</strong>tes Interesse für Literatur no<strong>ch</strong> für Philosophie (und au<strong>ch</strong><br />

<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> für Kunst-, Natur- und Sozialwissens<strong>ch</strong>aften) manifestierte. Au<strong>ch</strong> blieb <strong>in</strong> der esperantist der Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus<br />

bzw. der Historis<strong>ch</strong>e Materialismus, auf den man si<strong>ch</strong> berief, völlig unreflektiert und wurde auf die Trivialfloskeln der DDR-<br />

Propaganda reduziert.<br />

19 E<strong>in</strong> lesenswertes Interview mit Detlev Blanke über dessen Anfangszeit als Esperantist und Rolle <strong>in</strong> der Bewegung hat<br />

Bendias <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bu<strong>ch</strong> über die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Eo-Jugend <strong>in</strong> der DDR veröffentli<strong>ch</strong>t.<br />

20 Offenbar wurde D. Blanke <strong>in</strong> der Zamenhof-Rezeption v.a. vom Denken der Marxisten/Kommunisten/Atheisten um E.K.<br />

Drezen und R. Graetz sowie von den bulgaris<strong>ch</strong>en Antifas<strong>ch</strong>isten (Murg<strong>in</strong>, Aleksiev usw.) na<strong>ch</strong>haltig bee<strong>in</strong>flusst, die den<br />

Homaranismus L.L. Zamenhofs im Pr<strong>in</strong>zip ablehnten.<br />

21 Man er<strong>in</strong>nert si<strong>ch</strong> an die Biographie Ulbri<strong>ch</strong>ts, der <strong>in</strong> Sa<strong>ch</strong>sen zu dieser Zeit kommunistis<strong>ch</strong>es Propagandamaterial vertrieb.<br />

9


das <strong>Esperanto</strong> <strong>in</strong> den Dienst ihrer Partei gestellt und <strong>in</strong> dieser Weltspra<strong>ch</strong>e e<strong>in</strong> Mittel zur Errei<strong>ch</strong>ung<br />

ihrer kommunistis<strong>ch</strong>en Ziele gesehen“ habe, unterstri<strong>ch</strong> Bässler. Ludwig S<strong>ch</strong>ödl fügte e<strong>in</strong>en Beri<strong>ch</strong>t<br />

über se<strong>in</strong>e Tätigkeit <strong>in</strong> Neurupp<strong>in</strong> im Jahr 1949 h<strong>in</strong>zu, als er <strong>in</strong> der Friedensbewegung der DDR<br />

Propaganda mittels <strong>Esperanto</strong> getätigt hatte. Zur glei<strong>ch</strong>en Zeit hielt e<strong>in</strong> gewisser Diethelm Becker,<br />

Student am Historis<strong>ch</strong>en Institut der Universität Rostock, wohl das „erste wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Referat“<br />

zum Thema „Wirksamkeit des Arbeiter-<strong>Esperanto</strong>-Bundes <strong>in</strong> Rostock und Mecklenburg als<br />

Klassenkampf-Organisation“. Die DDR-Esperantisten wurden übrigens <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> etwa als ‚Genossen’,<br />

sondern als „Bundesfreunde“ angespro<strong>ch</strong>en.<br />

Inzwis<strong>ch</strong>en hatte der Protest der DDR-Intelligenz gegen den Vietnamkrieg der immer<br />

s<strong>ch</strong>rillere Töne angenommen. Auf der Titelseite der November-Ausgabe von der esperantist ers<strong>ch</strong>ien<br />

(<strong>in</strong> <strong>Esperanto</strong>) unter dem Titel „Intellektuelle der DDR gegen die Barbarei der USA“ e<strong>in</strong> Telegramm,<br />

das vom Präsidium des DKB und von den DDR-Universitäten an den Senat der Pr<strong>in</strong>ceton-Universität<br />

(New Jersey) ges<strong>ch</strong>ickt wurde, das „sofortige Ende des barbaris<strong>ch</strong>en Kriegs gegen das vietnamesis<strong>ch</strong>e<br />

Volk“ und die E<strong>in</strong>haltung der Genfer Konventionen zu Indo<strong>ch</strong><strong>in</strong>a forderte. Die Universität Pr<strong>in</strong>ceton<br />

wurde wohl ausgewählt, weil dort Albert E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong> und Thomas Mann lehrten. <strong>Der</strong> „Demokratis<strong>ch</strong>en<br />

Republik Vietnam“ und der „Südvietnamesis<strong>ch</strong>en Befreiungsfront“ wurde von den DDR-<br />

Intellektuellen versi<strong>ch</strong>ert, dass man auf deren Seite stehe. <strong>Der</strong> Aufruf wurde unter anderem von<br />

Arnold Zweig, Ehrenpräsident des Kulturbunds, Prof. Dr. Max Burghardt (1893-1977), Präsident des<br />

Kulturbunds, und von dreizehn weiteren Vertretern aus universitären, kulturellen und anderen<br />

Berei<strong>ch</strong>en unterzei<strong>ch</strong>net.<br />

Ausführli<strong>ch</strong> wurde über den 51. <strong>Esperanto</strong>-Weltkongress beri<strong>ch</strong>tet, der 1966 <strong>in</strong> Budapest<br />

(Ungarn) stattfand. Während vor drei Jahren 108 Personen aus der DDR an den <strong>Esperanto</strong>-<br />

Weltkongress <strong>in</strong> Sofia (Bulgarien) fuhren, kamen jetzt s<strong>ch</strong>on 240 Besu<strong>ch</strong>er aus der DDR na<strong>ch</strong> Ungarn,<br />

und an der IV. Konferenz der von dem bulgaris<strong>ch</strong>en Journalisten Nikola Aleksiev präsidierten<br />

<strong>Esperanto</strong>-Weltfriedensbewegung (MEM) nahmen 80 DDR-Bürger teil. Besondere Bea<strong>ch</strong>tung habe<br />

die DDR-Ausgabe der MEM-Zeits<strong>ch</strong>rift Paco gefunden, die den Kongressunterlagen beilag. In der<br />

Grussbots<strong>ch</strong>aft der vietnamesis<strong>ch</strong>en Esperantisten sei der „herzli<strong>ch</strong>e Dank für die weltweite Solidarität<br />

aller forts<strong>ch</strong>rittli<strong>ch</strong>en Esperantisten mit dem vietnamesis<strong>ch</strong>en Volk und dessen unumstössli<strong>ch</strong>er Wille<br />

zum Sieg über den amerikanis<strong>ch</strong>en Aggressor zum Ausdruck“ gebra<strong>ch</strong>t worden. Au<strong>ch</strong> der DDR-<br />

Bots<strong>ch</strong>after Wilhelm Meissner, der „das grosse Interesse se<strong>in</strong>er Regierung an den Bestrebungen der<br />

Esperantisten“ bestätigte, g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Begrüssungsanspra<strong>ch</strong>e auf das Leiden des vietnamesis<strong>ch</strong>en<br />

Volkes e<strong>in</strong>. 22 Weiter wurde beri<strong>ch</strong>tet, dass an dem vor dem Budapester Weltkongress dur<strong>ch</strong>geführten<br />

<strong>Esperanto</strong>-Jugendkongress <strong>in</strong> der südungaris<strong>ch</strong>en Stadt Pécs 67 junge Esperantisten aus der DDR<br />

teilgenommen hätten. Bei dieser Gelegenheit liess si<strong>ch</strong> offenbar au<strong>ch</strong> der Veranstalter, der Weltbund<br />

Junger Esperantisten (TEJO), <strong>in</strong> politis<strong>ch</strong>e Stellungnahmen „gegen Krieg und Rassismus“ na<strong>ch</strong> dem<br />

Gusto der Ostblockpropaganda e<strong>in</strong>spannen. 23 E<strong>in</strong> gewisser stud. med. Hans Ei<strong>ch</strong>horn liess si<strong>ch</strong> als<br />

Vertreter der DDR-<strong>Esperanto</strong>jugend <strong>in</strong> das Komitee der TEJO wählen und wurde sogar als deren<br />

Vizepräsident erkoren. 24 Ausser den „organisatoris<strong>ch</strong>-te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Mängeln, die si<strong>ch</strong> u.a. <strong>in</strong> der<br />

22 Da die Rede des DDR-Bots<strong>ch</strong>afters mit ziemli<strong>ch</strong> viel trivialer DDR-Politpropaganda gegen den Vietnamkrieg und gegen<br />

den Alle<strong>in</strong>vertretungsanspru<strong>ch</strong> der BRD angerei<strong>ch</strong>ert war, sah der UEA-Kongressvorsitzende Ivo Lapenna, e<strong>in</strong> <strong>in</strong> den<br />

Westen emigrierter Jugoslawe, Juriste und Kritiker des Sowjetre<strong>ch</strong>ts, also ke<strong>in</strong> Freund des Ostblocks, si<strong>ch</strong> veranlasst, sie zu<br />

unterbre<strong>ch</strong>en (an wel<strong>ch</strong>er Stelle genau kann i<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> sagen). <strong>Der</strong> Redetext des Bots<strong>ch</strong>afters wurde <strong>in</strong> der esperantist 12/1966<br />

abgedruckt, der pe<strong>in</strong>li<strong>ch</strong>e Vorfall mit Lapenna vers<strong>ch</strong>wiegen, aber s<strong>ch</strong>on <strong>in</strong> voriger Nummer auf eigene Weise kommentiert.<br />

Im DDR-Kongressberi<strong>ch</strong>t hiess es, die Begrüssungsanspra<strong>ch</strong>e des DDR-Bots<strong>ch</strong>afters sei „von hohem politis<strong>ch</strong>en<br />

Verantwortungsbewusstse<strong>in</strong> getragen“ gewesen, so dass „jedem Anwesenden die Existenz zweier deuts<strong>ch</strong>er Staaten (...) wie<br />

au<strong>ch</strong> (...) die Stellung (...) zur deuts<strong>ch</strong>en Vergangenheit und (...) zum Vietnamproblem bewusst“ geworden ist. Und dann:<br />

„E<strong>in</strong>ige Verfe<strong>ch</strong>ter der ‚Neutralität’, die vor dem s<strong>ch</strong>mutzigen Krieg <strong>in</strong> Vietnam und vor der Bonner Kriegspolitik<br />

heu<strong>ch</strong>leris<strong>ch</strong> beide Augen zudrücken, haben natürli<strong>ch</strong> diesem Gedanken e<strong>ch</strong>ter Völkerfreunds<strong>ch</strong>aft <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> zustimmen können<br />

bzw. unhöfli<strong>ch</strong> und undiplomatis<strong>ch</strong> reagiert. E<strong>in</strong> sol<strong>ch</strong>es Verhalten kann nur denjenigen Kreisen nutzen, die unter dem<br />

neutralen Deckmantel Krieg führen und vorbereiten.“ Usw.<br />

23 Die DDR-<strong>Esperanto</strong>-Jugendkommission wurde 1971 von TEJO <strong>in</strong> ihre Reihen aufgenommen. In der esperantist wurde<br />

dies so kommentiert, dass damit der Alle<strong>in</strong>vertretungsanspru<strong>ch</strong> der BRD zurückgewiesen werden konnte. Offenbar gab es<br />

unverhohlene Versu<strong>ch</strong>e von Seiten des Ostblocks, TEJO und die UEA ideologis<strong>ch</strong> zu unterwandern und mit eigenen Leuten<br />

zu bee<strong>in</strong>flussen.<br />

24 Ei<strong>ch</strong>horn gehörte zum sog. „Reisekader“. E<strong>in</strong> lesenswertes Interview mit Hans Ei<strong>ch</strong>horn hat Bendias <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bu<strong>ch</strong> über<br />

die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Eo-Jugend <strong>in</strong> der DDR veröffentli<strong>ch</strong>t. Die ungewohnt freie, ursprüngli<strong>ch</strong>e und salopp-wilde Spra<strong>ch</strong>e der<br />

10


mangelhaften Zusammenarbeit mit dem ostdeuts<strong>ch</strong>en und ungaris<strong>ch</strong>en Reisebüro zeigten, gab es sonst<br />

<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>s zu beklagen. Die Teilnahme der DDR-Esperantisten an dem <strong>Esperanto</strong>-Weltkongress <strong>in</strong> Ungarn<br />

wurde als „e<strong>in</strong> voller Erfolg“ verbu<strong>ch</strong>t. Die DDR-Esperantisten seien „als glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigte Partner<br />

aufgetreten“ und hätten dur<strong>ch</strong> ihr Auftreten und <strong>in</strong> vielen Diskussionen mit <strong>Esperanto</strong>freunden aus<br />

sozialistis<strong>ch</strong>en und kapitalistis<strong>ch</strong>en Staaten demonstriert, dass <strong>in</strong> Deuts<strong>ch</strong>land zwei deuts<strong>ch</strong>e Staaten<br />

existierten und dass das Pr<strong>in</strong>zip der friedli<strong>ch</strong>en Koexistenz e<strong>in</strong> realer Faktor sei.<br />

Vier weitere Beiträge <strong>in</strong> der esperantist 11-12/1966, die das Klima des Kalten Krieges, die<br />

deuts<strong>ch</strong>-deuts<strong>ch</strong>en Widersprü<strong>ch</strong>e und den Konflikt zwis<strong>ch</strong>en Kommunismus und Kapitalismus<br />

widerspiegeln, erregten die Aufmerksamkeit des Lesers.<br />

In e<strong>in</strong>er Na<strong>ch</strong>betra<strong>ch</strong>tung zum westdeuts<strong>ch</strong>en <strong>Esperanto</strong>-Jahreskongress <strong>in</strong> Bamberg an<br />

Pf<strong>in</strong>gsten 1966, an dem e<strong>in</strong>er offiziellen E<strong>in</strong>ladung folgend e<strong>in</strong>e Delegation des ZAKE teilnahm,<br />

wurde vermerkt, dass „viele westdeuts<strong>ch</strong>e Esperantisten“ etwa „<strong>in</strong> den Grundfragen der nationalen<br />

Politik“ mit den DDR-Standpunkten „e<strong>in</strong>ig“ gewesen seien. Denno<strong>ch</strong> habe der Kongress „<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Gesamtheit mit den offiziellen Reden und Dokumenten jedo<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> e<strong>in</strong>e so offene, den Realitäten<br />

unserer Zeit und der nationalen Verantwortung entspre<strong>ch</strong>ende Orientierung gefunden“. Die Teilnahme<br />

der DDR-Delegation habe zwar zu ersten Kontakten zwis<strong>ch</strong>en west- und ostdeuts<strong>ch</strong>en Esperantisten<br />

geführt. Diese „im Interesse des Friedens, der nationalen Verständigung bei völliger<br />

Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung entspre<strong>ch</strong>end der Realitäten der Existenz zweier deuts<strong>ch</strong>er Staaten zu entwickeln“,<br />

liege jedo<strong>ch</strong> beim Bundesvorstand des westdeuts<strong>ch</strong>en <strong>Esperanto</strong>-Bundes. „Ke<strong>in</strong>em aufmerksamen<br />

Teilnehmer oder Beoba<strong>ch</strong>ter dürfte entgangen se<strong>in</strong>, dass au<strong>ch</strong> hier versu<strong>ch</strong>t wurde, das gesamte<br />

geistige Leben im Interesse der westdeuts<strong>ch</strong>en Monopole dur<strong>ch</strong> die Erhard-Regierung zu manipulieren<br />

und den Alle<strong>in</strong>vertretungsanspru<strong>ch</strong> mit allen Mitteln dur<strong>ch</strong>zusetzen“, hiess es <strong>in</strong> dem Kommentar<br />

e<strong>in</strong>es gewissen He<strong>in</strong>z Plöger weiter. Dass e<strong>in</strong> Bundesm<strong>in</strong>ister Seebohm, der „e<strong>in</strong> Haupte<strong>in</strong>peits<strong>ch</strong>er<br />

des Revan<strong>ch</strong>ismus“ genannt wurde, si<strong>ch</strong> als e<strong>in</strong> Förderer des <strong>Esperanto</strong> betra<strong>ch</strong>te, fanden die DDR-<br />

Esperantisten immerh<strong>in</strong> „zum Na<strong>ch</strong>denken“, zumal er si<strong>ch</strong> für die Landsmanns<strong>ch</strong>aften stark gema<strong>ch</strong>t<br />

hatte. 25 <strong>Der</strong> Bamberger Kongress habe deutli<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t, dass die Pflege der Welthilfsspra<strong>ch</strong>e<br />

<strong>Esperanto</strong> „si<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> im ‚unpolitis<strong>ch</strong>en Raum’“ vollziehe, sondern dass sie vielmehr verlange, „si<strong>ch</strong><br />

mit den geistigen Fragen unserer Zeit zu befassen“.<br />

Ausserdem wurde auf e<strong>in</strong> aktuelles Bu<strong>ch</strong> des westdeuts<strong>ch</strong>en Psy<strong>ch</strong>iaters und Philosophen Karl<br />

Jaspers zum Thema ‚Woh<strong>in</strong> treibt die Bundesrepublik’ h<strong>in</strong>gewiesen. Dieses sei <strong>in</strong> man<strong>ch</strong>erlei H<strong>in</strong>si<strong>ch</strong>t<br />

bemerkenswert, befand der esperantist, denn Jaspers „<strong>ch</strong>arakterisierte dar<strong>in</strong> die Bundesrepublik als e<strong>in</strong><br />

autoritäres, aggressives Staatsgebilde, das die Gefahr der totalen Fas<strong>ch</strong>isierung und des Krieges <strong>in</strong> si<strong>ch</strong><br />

trägt“. <strong>Der</strong> Verfasser, der si<strong>ch</strong> zwar „ausdrückli<strong>ch</strong> zur westdeuts<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aftsordnung“ bekenne,<br />

sehe „die e<strong>in</strong>zige Mögli<strong>ch</strong>keit e<strong>in</strong>er Regeneration der Demokratie im Kampf gegen Notstands- und<br />

Revan<strong>ch</strong>epolitik“ und er knüpfe „an die Erfahrungen der deuts<strong>ch</strong>en Arbeiterklasse an“. Er habe „den<br />

S<strong>ch</strong>luss gefolgert, gegen die Bonner Kriegspolitik seien Revolte und Bürgerkrieg ‚grossartig und<br />

mögli<strong>ch</strong>’“. „Statt e<strong>in</strong>es Parlamentarismus, das zur Diktatur“ führe, habe er „die aktive Mitwirkung des<br />

Volkes an den Regierungsges<strong>ch</strong>äften gefordert“. Im „aussenpolitis<strong>ch</strong>en Teil“ se<strong>in</strong>es Bu<strong>ch</strong>es habe<br />

Jaspers ausserdem “’die rückhaltlose Anerkennung der Kriegsfolgen dur<strong>ch</strong> die Bonner Regierung’<br />

verlangt“. Die „gegenwärtige Bonner Deuts<strong>ch</strong>landpolitik sei „’für den Frieden verhängnisvoll’“. „Zu<br />

diesen unumgängli<strong>ch</strong>en Voraussetzungen gehörten, dass die Oder-Neisse-Grenze und die Existenz der<br />

DDR als endgültig anerkannt werden. Dies erfordere das Abrücken von der Hallste<strong>in</strong>-Doktr<strong>in</strong> 26 “. Die<br />

Soziolekte dieser DDR-Esperantisten ist e<strong>in</strong>fa<strong>ch</strong> herrli<strong>ch</strong> und als s<strong>ch</strong>riller Kontrast zur ges<strong>ch</strong>liffenen und ritualisierten,<br />

formalisierten und unerträgli<strong>ch</strong>en Idiomatik <strong>in</strong> der esperantist zu geniessen!<br />

25 Hans-Christoph Seebohm (1903-67), aus Obers<strong>ch</strong>lesien stammend, ma<strong>ch</strong>te 1921 das Abitur <strong>in</strong> Dresden und studierte<br />

Bergwissens<strong>ch</strong>aften <strong>in</strong> Mün<strong>ch</strong>en und Berl<strong>in</strong>-Charlottenburg. Als Politiker der nationalkonservativen, gegen Kommunismus<br />

und Sozialismus e<strong>in</strong>tretenden Deuts<strong>ch</strong>en Partei (DP) und der CDU gehörte er ab 1960 der CDU/CSU-Bundestagsfraktion an.<br />

1949-66 war er Bundesm<strong>in</strong>ister für Verkehr, zuletzt für wenige Wo<strong>ch</strong>en au<strong>ch</strong> Vizekanzler. Seit 1950 war Seebohm, selbst<br />

ke<strong>in</strong> Sudetendeuts<strong>ch</strong>er, Mitglied des Vorstands der Sudetendeuts<strong>ch</strong>en Landsmanns<strong>ch</strong>aft, bei der er als Spre<strong>ch</strong>er und als e<strong>in</strong>er<br />

der aktivsten Lobbyisten der Vertriebenenverbände <strong>in</strong> Bonn regelmässig S<strong>ch</strong>lagzeilen wegen se<strong>in</strong>er viel kritisierten<br />

‚Sonntagsreden’ ma<strong>ch</strong>te, die zahlrei<strong>ch</strong>e Ause<strong>in</strong>andersetzungen mit Adenauer im Bundeskab<strong>in</strong>ett zur Folge hatten.<br />

26 Die Hallste<strong>in</strong>-Doktr<strong>in</strong> war e<strong>in</strong>e aussenpolitis<strong>ch</strong>e Direktive der BRD, die zwis<strong>ch</strong>en 1955 und 1969 angewendet wurde und<br />

besagte, dass die Aufnahme diplomatis<strong>ch</strong>er Beziehungen von Drittstaaten mit der DDR als „unfreundli<strong>ch</strong>er Akt“ der<br />

Bundesrepublik gegenüber angesehen werden müsse. Das Ziel der Doktr<strong>in</strong> war, die DDR aussenpolitis<strong>ch</strong> zu isolieren.<br />

Gegenmassnahmen von Seiten Bonns konnten von wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Sanktionen bis zum Abbru<strong>ch</strong> der diplomatis<strong>ch</strong>en<br />

11


Bundesrepublik habe „si<strong>ch</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e phantastis<strong>ch</strong>e Vorstellungswelt verrannt“, sie sitze „ausweglos <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Sackgasse, aus ihr heraus kommt sie nur, wenn sie umkehrt, si<strong>ch</strong> auf die wirkli<strong>ch</strong>e Lage bes<strong>in</strong>nt<br />

und ihre Politik auf e<strong>in</strong>en Boden stellt, der trägt und <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> fiktiv ist“, wurde Jaspers auf der Grundlage<br />

e<strong>in</strong>er ‚Dokumentation der Zeit’, Nr. 360/1966, weiter zitiert. 27 In e<strong>in</strong>em langen Brief vom 1. Juni 1966<br />

an Karl Jaspers g<strong>in</strong>g es dem Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbri<strong>ch</strong>t beileibe <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> um das <strong>Esperanto</strong>,<br />

sondern um die Sozialdemokratie <strong>in</strong> Westdeuts<strong>ch</strong>land, um den Antikommunismus und um die Frage<br />

des Alle<strong>in</strong>vertretungsanspru<strong>ch</strong>s – denno<strong>ch</strong> wurde er aus dem Neuen Deuts<strong>ch</strong>land direkt übernommen,<br />

von S<strong>ch</strong>leusener und Vildebrand <strong>in</strong>s <strong>Esperanto</strong> übersetzt und füllte viele Seiten der Ausgabe 12/1966<br />

von der esperantist.<br />

An anderer Stelle wurde aus dem Organ der flandris<strong>ch</strong>en Föderation der Arbeiter-<br />

Esperantisten Nia espero, Nr. 6-7/1966, e<strong>in</strong> Reiseberi<strong>ch</strong>t von Mitgliedern dieses Verbands aus Belgien<br />

na<strong>ch</strong>gedruckt, die am 1. Mai 1966 e<strong>in</strong>en Ausflug an die ‚Berl<strong>in</strong>er Mauer’ unternahmen. Dabei<br />

ma<strong>ch</strong>ten die si<strong>ch</strong> als „Freidenker“ bezei<strong>ch</strong>nenden Esperantisten aus Antwerpen, die e<strong>in</strong>en<br />

„Spaziergang dur<strong>ch</strong> das rote Berl<strong>in</strong>“ unternahmen und an e<strong>in</strong>er „imposanten Kundgebung“ der<br />

Ostberl<strong>in</strong>er „Arbeiterklasse“ teilnahmen, e<strong>in</strong>e unerwartete Entdeckung, die e<strong>in</strong> gewisser Albert Bracke<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Beri<strong>ch</strong>t, der von Erw<strong>in</strong> S<strong>ch</strong>leusener <strong>in</strong>s Deuts<strong>ch</strong>e übersetzt wurde, wie folgt festhielt:<br />

„Während des Na<strong>ch</strong>mittags besu<strong>ch</strong>ten wir e<strong>in</strong>ige Berl<strong>in</strong>er Sehenswürdigkeiten, u.a. das Brandenburger<br />

Tor, die berühmte Berl<strong>in</strong>er ‚Mauer’. Tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> bef<strong>in</strong>det si<strong>ch</strong> an dieser Stelle ke<strong>in</strong>e Mauer, sondern<br />

nur e<strong>in</strong>e gewöhnli<strong>ch</strong>e Absperrung. Es s<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>t aber, dass an anderen Stellen, wo e<strong>in</strong>e Bewa<strong>ch</strong>ung<br />

s<strong>ch</strong>wieriger ist, man tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>e Mauer gesetzt hat, um den Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>es anderen Staates zu<br />

markieren. Warum? Ausser den übli<strong>ch</strong>en Beweggründen zur Erri<strong>ch</strong>tung e<strong>in</strong>er ‚Sperre’ zwis<strong>ch</strong>en<br />

vers<strong>ch</strong>iedenen Staaten, besteht die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass der Sanftmütigste <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> <strong>in</strong> Frieden leben kann, wenn<br />

se<strong>in</strong>e Lebensgewohnheiten dem Na<strong>ch</strong>barn <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> gefallen. Wer e<strong>in</strong> wenig die Situation kennt, wird<br />

<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> bestreiten können, dass die Deuts<strong>ch</strong>e Demokratis<strong>ch</strong>e Republik <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> das Glück hat, e<strong>in</strong>en<br />

friedli<strong>ch</strong>en Na<strong>ch</strong>barn zu haben. Dass dieser Na<strong>ch</strong>bar die glei<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e spri<strong>ch</strong>t, ändert <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>s daran<br />

(...).“ Dieser Beri<strong>ch</strong>t entbehrt m.E. jegli<strong>ch</strong>en Kommentars.<br />

Zusätzli<strong>ch</strong>en polemis<strong>ch</strong>en Zunder zu dem <strong>ganz</strong>en politis<strong>ch</strong> verrenkten Inhalt <strong>in</strong> der esperantist<br />

lieferte Semjon Naumovič Podkam<strong>in</strong>er (1901-82), e<strong>in</strong> etwas legendenhafter sowjetkommunistis<strong>ch</strong>er<br />

Esperantist jüdis<strong>ch</strong>er Herkunft, der e<strong>in</strong> hoher Sowjetoffizier bei der Verteidigung Len<strong>in</strong>grads gewesen<br />

war, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Beitrag über ‚Neutralismus und Pseudoneutralismus <strong>in</strong> der <strong>Esperanto</strong>-Bewegung’. Mit<br />

der Neutralität der <strong>Esperanto</strong>-Bewegung stimme etwas <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>, stellte er offenbar mit Verwunderung<br />

fest. Denn als L.L. Zamenhof anlässli<strong>ch</strong> se<strong>in</strong>er Genfer Rede von 1908 die s<strong>ch</strong>limmen politis<strong>ch</strong>en<br />

Verhältnisse <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Heimat Russland angeprangert hatte, habe ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger Esperantist, au<strong>ch</strong> ke<strong>in</strong><br />

russis<strong>ch</strong>er, dessen Worte abgelehnt, etwa weil sie si<strong>ch</strong> deswegen <strong>in</strong> ihrem Nationalstolz beleidigt<br />

gefühlt hätten. Ke<strong>in</strong>er von ihnen habe „wegen des Bru<strong>ch</strong>s der strikten Neutralität“ protestiert, denn<br />

„die russis<strong>ch</strong>en Esperantisten wollten ke<strong>in</strong>esfalls, dass man sie mit den zaristis<strong>ch</strong>en Mördern<br />

glei<strong>ch</strong>setzt“. Im Gegenteil – sie hätten „den Worten der Verurteilung dur<strong>ch</strong> Zamenhof herzli<strong>ch</strong>en<br />

Applaus gespendet“. Nun, 59 Jahre später, als es am 50. <strong>Esperanto</strong>-Weltkongress <strong>in</strong> Tokio darum<br />

g<strong>in</strong>g, die „Massenmorde an uns<strong>ch</strong>uldigen vietnamesis<strong>ch</strong>en Frauen und K<strong>in</strong>dern dur<strong>ch</strong> US-<br />

Luftbomben, Giftgas und Napalm zu verurteilen“, was der bulgaris<strong>ch</strong>e und sowjetis<strong>ch</strong>e <strong>Esperanto</strong>-<br />

Vertreter <strong>in</strong> ihren Gruss<strong>ch</strong>reiben au<strong>ch</strong> getan hätten, hätte „man erwarten können, dass die anwesenden<br />

US-Esperantisten als Humanisten und Mens<strong>ch</strong>en, getreu den Ideen des Friedens und der<br />

Völkerfreunds<strong>ch</strong>aft, die Verurteilung der Verbre<strong>ch</strong>en der US-Generale und reaktionären Politiker<br />

unterstützen würden. (...) Aber es ges<strong>ch</strong>ah etwas direkt Gegenteiliges und Unerklärli<strong>ch</strong>es“. Die<br />

Kongressteilnehmer aus den USA (ausser zwei) hätten si<strong>ch</strong> ‚beleidigt’ gezeigt. „Beleidigt aber <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong><br />

Beziehungen mit dem betreffenden Staat bedeuten. Die sozialliberale Koalition unter Willy Brandt gab die Hallste<strong>in</strong>-Doktr<strong>in</strong><br />

s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> auf.<br />

27 In se<strong>in</strong>em, 1966 ers<strong>ch</strong>ienenen Bu<strong>ch</strong> Woh<strong>in</strong> treibt die Bundesrepublik? Tatsa<strong>ch</strong>en – Gefahren – Chancen erhob Jaspers <strong>in</strong><br />

der Tat warnend se<strong>in</strong>e Stimme mit e<strong>in</strong>er Absage an Ma<strong>ch</strong>tpolitik und Parteienstaat und trat für e<strong>in</strong>e Verfassungsänderung<br />

zugunsten von mehr „direkter Demokratie“ e<strong>in</strong>. Na<strong>ch</strong> se<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung waren die Mögli<strong>ch</strong>keiten, <strong>in</strong> Deuts<strong>ch</strong>land politis<strong>ch</strong><br />

E<strong>in</strong>fluss zu nehmen, für das Volk sehr ger<strong>in</strong>g. Die Wahlen bezei<strong>ch</strong>nete er als „Akklamation zur Parteienoligar<strong>ch</strong>ie“. Mit<br />

se<strong>in</strong>en Thesen erntete er Kritik sowohl von re<strong>ch</strong>ts wie au<strong>ch</strong> von l<strong>in</strong>ks <strong>in</strong> glei<strong>ch</strong>er Weise, fand jedo<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>e breite<br />

Zustimmung <strong>in</strong> der Öffentli<strong>ch</strong>keit. Am 5. August 1966 s<strong>ch</strong>eiterte e<strong>in</strong>e Verfassungsbes<strong>ch</strong>werde des Spiegels vor dem<br />

Bundesverfassungsgeri<strong>ch</strong>t. 1968 wurden die Notstandsgesetze Teil des Grundgesetzes. Als Reaktion auf die Wahl des<br />

ehemaligen NSDAP-Mitglieds Kurt Georg Kies<strong>in</strong>ger zum Bundeskanzler und die Verabs<strong>ch</strong>iedung der berü<strong>ch</strong>tigten<br />

Notstandsgesetze von 1967 erwarb Jaspers die S<strong>ch</strong>weizer Staatsbürgers<strong>ch</strong>aft. 1969 starb er <strong>in</strong> Basel.<br />

12


deswegen, dass die Reaktionären ihres Landes immer wieder neue Aggressionstruppen zur<br />

Ver<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>ung von Frauen, K<strong>in</strong>dern und Greisen <strong>in</strong> e<strong>in</strong> von den USA sehr fernes Land s<strong>ch</strong>ickten. Ne<strong>in</strong>,<br />

sie waren beleidigt wegen der Verurteilung dieser Verbre<strong>ch</strong>en. (...) Und was no<strong>ch</strong> absonderli<strong>ch</strong>er ist –<br />

die Bemühungen, die US-Aggressoren mit Berufung auf die Neutralität zu verteidigen, fanden<br />

Unterstützung bei e<strong>in</strong>igen prom<strong>in</strong>enten Führern der UEA.“ In Podkam<strong>in</strong>ers Argumentationskette, die<br />

dur<strong>ch</strong>aus ihre Re<strong>ch</strong>tfertigung besass, folgten zwei weitere Beispiele: Au<strong>ch</strong> als Hitler die europäis<strong>ch</strong>en<br />

Länder überfiel und au<strong>ch</strong> als das südafrikanis<strong>ch</strong>e Apartheid-Regime mit se<strong>in</strong>er Rassenpolitik die<br />

elementarsten Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te missa<strong>ch</strong>tete, habe man von Seiten der UEA ebenfalls ges<strong>ch</strong>wiegen.<br />

Diese Haltung fand Podkam<strong>in</strong>er zu e<strong>in</strong>seitig. Er forderte die UEA auf, si<strong>ch</strong> streng an die Statuten zu<br />

halten, die die E<strong>in</strong>haltung der Politik der Neutralität bezügli<strong>ch</strong> Nationalität, Rasse, Religion forderte.<br />

Neutralität müsse „wahr, humanistis<strong>ch</strong>, mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> se<strong>in</strong> – ke<strong>in</strong> heu<strong>ch</strong>leris<strong>ch</strong>er, betrügeris<strong>ch</strong>er<br />

Pseudoneutralismus, ke<strong>in</strong> Deckmantel und ke<strong>in</strong>e Hilfsmittel für die s<strong>ch</strong>warzen Verbre<strong>ch</strong>erhandlungen<br />

der Mens<strong>ch</strong>enverä<strong>ch</strong>ter“. Ohne die E<strong>in</strong>haltung dieses Statutenartikels könne die Organisation, die das<br />

Ziel verfolge, Mens<strong>ch</strong>en vers<strong>ch</strong>iedener Weltans<strong>ch</strong>auung zu vere<strong>in</strong>en, <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> bestehen. <strong>Der</strong> Standpunkt<br />

kommunistis<strong>ch</strong>er Esperantisten gegenüber der UEA, von den e<strong>in</strong>en als Agent des Westens betra<strong>ch</strong>tet,<br />

von anderen teilweise als kryptokommunistis<strong>ch</strong>e Organisation verdä<strong>ch</strong>tigt, war gesetzt. Als Beispiele<br />

wahrer humanistis<strong>ch</strong>er Organisationen wurden von Podkam<strong>in</strong>er die Weltfriedensbewegung und die<br />

Weltfriedens-<strong>Esperanto</strong>bewegung (MEM) genannt, <strong>in</strong> der der engagierte Sowjetpazifist selbst e<strong>in</strong>e<br />

führende Rolle spielte. 28 Über die 4. Konferenz der MEM <strong>in</strong> Budapest, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em na<strong>ch</strong> dem<br />

<strong>Esperanto</strong>-Pionier Edmond Privat, e<strong>in</strong>em S<strong>ch</strong>weizer Sozialdemokraten, benannten Saal stattfand,<br />

wurde <strong>in</strong> der esperantist 12/1966 ausführli<strong>ch</strong> rapportiert – der entspre<strong>ch</strong>ende Beri<strong>ch</strong>t der<br />

Vizepräsident<strong>in</strong> wurde direkt aus e<strong>in</strong>er bulgaris<strong>ch</strong>en <strong>Esperanto</strong>-Zeits<strong>ch</strong>rift übernommen.<br />

Die grossen politis<strong>ch</strong>en Themen des Jahres 1967 waren <strong>in</strong> der esperantist na<strong>ch</strong> wie vor der<br />

Vietnamkrieg, die deuts<strong>ch</strong>e Teilung sowie die „drohende neonazistis<strong>ch</strong>e Bewegung <strong>in</strong><br />

Westdeuts<strong>ch</strong>land“, ferner der 50. Jahrestag der „Grossen Sozialistis<strong>ch</strong>en Oktoberrevolution“ <strong>in</strong><br />

Russland. In diesem Zusammenhang wurde V.I. Len<strong>in</strong>, der Führer der bols<strong>ch</strong>ewistis<strong>ch</strong>en Revolution,<br />

gewürdigt, und der ZAKE gratulierte „dem Sowjetvolk und damit zuglei<strong>ch</strong> allen Esperantisten der SU<br />

sehr herzli<strong>ch</strong>“. Man wüns<strong>ch</strong>te der Sowjetunion „weitere grosse Erfolge beim Aufbau des<br />

Kommunismus“. Die Sowjetunion habe „der <strong>ganz</strong>en Welt bewiesen“, „dass alle<strong>in</strong> die sozialistis<strong>ch</strong>e<br />

Gesells<strong>ch</strong>aftsordnung <strong>in</strong> der Lage ist, der Mens<strong>ch</strong>heit Wohlstand, Glück und Frieden zu br<strong>in</strong>gen“. Die<br />

„beispiellosen Heldentaten der Len<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>en Bols<strong>ch</strong>ewiki, der Helden des Oktober und des<br />

Bürgerkrieges, aller fur<strong>ch</strong>tlosen Kämpfer für den Sieg des Sozialismus“ würden „ewig im Gedä<strong>ch</strong>tnis<br />

der Völker fortleben“ – „Es lebe die unverbrü<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Freunds<strong>ch</strong>aft mit der Sowjetunion!“ 29 Als neues<br />

Thema wurde „die heimtückis<strong>ch</strong>e Aggression des Imperialismus im Nahen Osten“ e<strong>in</strong>geführt – es<br />

handelte si<strong>ch</strong> um den Protest der DDR gegen den Se<strong>ch</strong>stagekrieg Israels gegen Ägypten, Jordanien<br />

und Syrien vom Juni 1967, der von der DDR als „propagandistis<strong>ch</strong>-psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e<br />

Blitzkriegaggression“ verurteilt wurde. Das Vorgehen Israels wurde mit jener Zeit vergli<strong>ch</strong>en, als „die<br />

Fas<strong>ch</strong>isten die Neuordnung Europas und der <strong>ganz</strong>en Welt forderten“. Seither nahm au<strong>ch</strong> Israel e<strong>in</strong>en<br />

Platz auf der s<strong>ch</strong>warzen Liste der von den Ostblockstaaten geä<strong>ch</strong>teten Ländern e<strong>in</strong> und wurde von den<br />

Ostblockorganisationen boykottiert. 30 Die diplomatis<strong>ch</strong>en Beziehungen der Ostblockstaaten zu Israel<br />

28<br />

Da diese Organisationen jedo<strong>ch</strong> vor allem e<strong>in</strong>seitig die Standpunkte des Ostblocks vertraten, wurden sie im Westen für<br />

kaum glaubwürdig gehalten.<br />

29<br />

Fast anekdotis<strong>ch</strong>en Wert hat der Umstand, dass <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> wenige DDR-Funktionäre, die der Sowjetunion <strong>in</strong> den Ars<strong>ch</strong><br />

re<strong>in</strong>kro<strong>ch</strong>en, <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> e<strong>in</strong>mal ri<strong>ch</strong>tig Russis<strong>ch</strong> spre<strong>ch</strong>en und s<strong>ch</strong>reiben konnten und si<strong>ch</strong> daher vor den Russen immer wieder<br />

blamierten.<br />

30<br />

Die Vorbehalte <strong>in</strong> der SED gegenüber dem Judentum s<strong>in</strong>d bekannt. Antisemitismus, Antizionismus und Israelfe<strong>in</strong>ds<strong>ch</strong>aft<br />

<strong>in</strong> der DDR wurden <strong>in</strong> diesen Bü<strong>ch</strong>ern aufgearbeitet: Illi<strong>ch</strong>mann, J.: Die DDR und die Juden, Die deuts<strong>ch</strong>landpolitis<strong>ch</strong>e<br />

Instrumentalisierung von Juden und Judentum dur<strong>ch</strong> die Partei- und Staatsführung der SBZ/DDR von 1945 bis 1990. 1997;<br />

Zuckermann, M. (Hg.): Zwis<strong>ch</strong>en Politik und Kultur. Juden <strong>in</strong> der DDR. 2003; Joseph, D. und Kukuk K. (Hg.): Die DDR<br />

und die Juden: E<strong>in</strong>e kritis<strong>ch</strong>e Untersu<strong>ch</strong>ung. Mit e<strong>in</strong>er Bibliografie von Renate Kir<strong>ch</strong>ner. 2010; Timm. A.: Hammer, Zirkel,<br />

Davidstern. Das gestörte Verhältnis der DDR zu Zionismus und Staat Israel. Bonn 1997; Mertens, L.: Davidstern unter<br />

Hammer und Zirkel. 1997. Ferner gibt es im Internet e<strong>in</strong>ige lesenswerte Beiträge dazu (z.B.<br />

http://192.68.214.70/blz/eup/03_08/3.asp). Das verkrampfte und wohl kaum objektive Verhältnis der DDR zum Thema<br />

Judentum und Juden illustriert au<strong>ch</strong> der zweibändige DDR-Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tsatlas von 1976, <strong>in</strong> dem der Holocaust ke<strong>in</strong>e Rolle<br />

spielt. Im Artikel zur Karte ‚Fas<strong>ch</strong>istis<strong>ch</strong>e Konzentrationslager von 1939-1945’ (Bd. 2, S. 38) kommt das Wort „Jude“ gar<br />

<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> vor. Im Allgeme<strong>in</strong>en spri<strong>ch</strong>t der Atlas von „Häftl<strong>in</strong>gen der fas<strong>ch</strong>istis<strong>ch</strong>en Justiz“ oder „KZ-Häftl<strong>in</strong>gen“, unter<br />

Herausstellung des wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Aspektes des KZ-Systems. Auf e<strong>in</strong>er anderen Karte (Bd. 2, S. 48, I) werden „Jüdis<strong>ch</strong>e<br />

13


wurden abgebro<strong>ch</strong>en. Kritisiert wurde von DDR-Seite ferner e<strong>in</strong>e Übere<strong>in</strong>kunft der Bonner Regierung<br />

(Kies<strong>in</strong>ger-Strauss) mit den israelis<strong>ch</strong>en Behörden im Fall des Naziverbre<strong>ch</strong>ers Mart<strong>in</strong> Bormann, von<br />

dem man irrtümli<strong>ch</strong> annahm, dass er si<strong>ch</strong> <strong>in</strong> Südamerika aufhält. Weil das Gerü<strong>ch</strong>t kursierte, Bormann<br />

sollte wie im Fall Ei<strong>ch</strong>mann dur<strong>ch</strong> israelis<strong>ch</strong>e Bürger na<strong>ch</strong> Israel oder na<strong>ch</strong> Deuts<strong>ch</strong>land entführt<br />

werden, befür<strong>ch</strong>tete au<strong>ch</strong> der esperantist, der si<strong>ch</strong> subjektiv <strong>in</strong> allerlei politis<strong>ch</strong>e Themen e<strong>in</strong>mis<strong>ch</strong>te,<br />

die die Esperantisten <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>s ang<strong>in</strong>gen, 31 e<strong>in</strong>en neuen Skandal. 32<br />

In e<strong>in</strong>er Resolution, die von den Teilnehmern e<strong>in</strong>er <strong>Esperanto</strong>-Konferenz im Juli 1967 <strong>in</strong><br />

Rostock verabs<strong>ch</strong>iedet wurde, wurden erneut die „abs<strong>ch</strong>euli<strong>ch</strong>en Verbre<strong>ch</strong>en der USA-Imperalisten<br />

gegen das vietnamesis<strong>ch</strong>e Volk“ verurteilt. So weit so gut, es bezweifelte au<strong>ch</strong> <strong>in</strong> Westdeuts<strong>ch</strong>land<br />

niemand, dass der Krieg der Amerikaner s<strong>ch</strong>mutzig und s<strong>ch</strong>reckli<strong>ch</strong> war. 33 Au<strong>ch</strong> die Aussage, dass<br />

Bürger“ <strong>in</strong> Klammern zwar als Opfer des „antifas<strong>ch</strong>istis<strong>ch</strong>en Widerstands“ ausgewiesen, aber es wurde nur e<strong>in</strong>e Zahl<br />

<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>jüdis<strong>ch</strong>er Opfer genannt. Es handelte si<strong>ch</strong> hier um e<strong>in</strong>en eklatanten Versu<strong>ch</strong>, die Shoah unter den Teppi<strong>ch</strong> zu kehren.<br />

Zum pr<strong>in</strong>zipiellen Verhältnis Ost-Berl<strong>in</strong>s zu Israel und zum Judentum ist no<strong>ch</strong> das Folgende anzumerken: Na<strong>ch</strong>dem die DDR<br />

v.a. no<strong>ch</strong> <strong>in</strong> den stal<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>en Jahren 1952/53 ihre antijüdis<strong>ch</strong>en Muskeln gegen unliebsame Genossen spreizte und<br />

anlässli<strong>ch</strong> des Se<strong>ch</strong>stagekriegs von 1967 def<strong>in</strong>itiv e<strong>in</strong>en proarabis<strong>ch</strong>en und antiisraelis<strong>ch</strong>en (d.h. antizionistis<strong>ch</strong>en) Kurs<br />

e<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>lug und diesen au<strong>ch</strong> unter Honecker fortsetzte, er<strong>in</strong>nerte si<strong>ch</strong> das politis<strong>ch</strong> zunehmend isolierte Ost-Berl<strong>in</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Not spätestens <strong>in</strong> den 80er Jahren der Juden wieder und versu<strong>ch</strong>te, das ‚jüdis<strong>ch</strong>e Thema zu nutzen’, um si<strong>ch</strong><br />

<strong>in</strong> der Weltgeme<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>aft verstärkt als ‚antifas<strong>ch</strong>istis<strong>ch</strong>er Staat deuts<strong>ch</strong>er Staat’ darzustellen und mit Hilfe <strong>in</strong>ternationaler<br />

jüdis<strong>ch</strong>er Organisationen politis<strong>ch</strong>e Zugeständnisse und Handelserlei<strong>ch</strong>terungen <strong>in</strong> den USA zu erlangen. (Angelika Timm<br />

<strong>in</strong>: Zuckermann, M., ebd., S. 17). Im Übrigen war Markus Wolf, legendärer Auslandsspionage<strong>ch</strong>ef der DDR, e<strong>in</strong> Halbjude,<br />

da er der Sohn des jüdis<strong>ch</strong>en Arztes und S<strong>ch</strong>riftstellers Friedri<strong>ch</strong> Wolf war. Au<strong>ch</strong> das bekannte Politbüromitglied Hermann<br />

Axen war e<strong>in</strong> Jude gewesen. Ausgere<strong>ch</strong>net der DDR-S<strong>ch</strong>riftsteller Stefan Heym, der si<strong>ch</strong> im Unters<strong>ch</strong>ied zu anderen<br />

jüdis<strong>ch</strong>en DDR-Bürgern zu se<strong>in</strong>em Judentum stets bekannte, trat bereits 1956 <strong>in</strong> Konflikt mit dem SED-Regime, von dem er<br />

später entspre<strong>ch</strong>end arrogant behandelt wurde. Au<strong>ch</strong> der regimekritis<strong>ch</strong>e und von der Stasi überwa<strong>ch</strong>te DDR-S<strong>ch</strong>riftsteller<br />

Stephan Herml<strong>in</strong> war jüdis<strong>ch</strong>er Herkunft. Obwohl der esperantist si<strong>ch</strong> gegenüber jüdis<strong>ch</strong>en Themen mit äusserster Ignoranz<br />

verhielt und bei der Israel-Stellungnahme e<strong>in</strong> M<strong>in</strong>imum an Polemik vorbra<strong>ch</strong>te, kann weder dem Blatt no<strong>ch</strong> se<strong>in</strong>em Redaktor<br />

e<strong>in</strong> direkter ‚klassis<strong>ch</strong>er’ Antisemitismus vorgeworfen werden. Zur Manipulation und Umdeutung des Holocaust <strong>in</strong> der DDR<br />

s. Thomas Taterka: „Das kann dem deuts<strong>ch</strong>en Leser <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> zugemutet werden.“ Polnis<strong>ch</strong>e Literatur über Konzentrationslager<br />

und Judenver<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>ung <strong>in</strong> der DDR. In: M. Brumlik u. K. Sauerland (Hrsg.): Umdenken, vers<strong>ch</strong>weigen, er<strong>in</strong>nern, Die später<br />

Aufarbeitung des Holocaust <strong>in</strong> Osteuropa. Campus, Frankfurt/M. 2010, S. 201-224.<br />

31 Während andere Themen, die die <strong>Esperanto</strong>-Bewegung unmittelbar betrafen, unaufgearbeitet blieben.<br />

32 Die Aufregung <strong>in</strong> der esperantist war wohl vergebli<strong>ch</strong>, es handelte si<strong>ch</strong> um e<strong>in</strong>e Fals<strong>ch</strong><strong>in</strong>formation, derer man si<strong>ch</strong> zu<br />

diesem Zeitpunkt no<strong>ch</strong> gar <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> bewusst se<strong>in</strong> konnte, weil das entspre<strong>ch</strong>ende Wissen fehlte. Bormann war no<strong>ch</strong> bei der<br />

Verbrennung von Hitlers Lei<strong>ch</strong>e anwesend, dann jedo<strong>ch</strong> seit Anfang Mai <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mehr auff<strong>in</strong>dbar. Er wurde deshalb 1946 bei<br />

den Nürnberger Prozessen ‚<strong>in</strong> Abwesenheit’ zum Tode verurteilt. Zur Zeit des Prozesses galt es aber no<strong>ch</strong> ke<strong>in</strong>eswegs als<br />

si<strong>ch</strong>ergestellt, dass Bormann bereits tot war, obglei<strong>ch</strong> e<strong>in</strong> Zeuge ausgesagt hatte, Bormanns Lei<strong>ch</strong>e <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> gesehen zu<br />

haben. Demna<strong>ch</strong> begann Bormann offenbar <strong>in</strong> der Na<strong>ch</strong>t zum 2. Mai 1945 mit Hilfe mitgeführter Giftkapseln Suizid. Obwohl<br />

Bormanns Lei<strong>ch</strong>e <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> gefunden wurde, hatte ihn am 10. März 1954 das Amtsgeri<strong>ch</strong>t Ber<strong>ch</strong>tesgaden amtli<strong>ch</strong> für tot erklärt.<br />

Bis zur Auff<strong>in</strong>dung se<strong>in</strong>es Skeletts bei Erdkabelarbeiten am 7./8. Dezember 1972 <strong>in</strong> der Nähe des Lehrter Bahnhofs waren<br />

Gerü<strong>ch</strong>te kursiert, Bormann sei na<strong>ch</strong> Südamerika geflohen und würde si<strong>ch</strong> dort versteckt halten. Das Skelett konnte aber<br />

e<strong>in</strong>deutig Mart<strong>in</strong> Bormann zugeordnet werden.<br />

33 Zu Vietnam ist folgendes zu bemerken: Na<strong>ch</strong> dem Zerbröckeln und der Kapitulation der Kolonialma<strong>ch</strong>t Frankrei<strong>ch</strong> (bis<br />

1954), der beispielslose Verbre<strong>ch</strong>en am vietnamesis<strong>ch</strong>en Volk zuzus<strong>ch</strong>reiben s<strong>in</strong>d, waren nun die Kommunisten an der<br />

Reihe, zahlrei<strong>ch</strong>e Verbre<strong>ch</strong>en zu begehen. Na<strong>ch</strong> und na<strong>ch</strong> wurden <strong>in</strong> Nordvietnam alle Posten, Funktionen und Ämter von<br />

KPV-Mitgliedern belegt, die Partei von Konkurrenten und Nonkonformisten na<strong>ch</strong> stal<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>en und maoistis<strong>ch</strong>en Mustern<br />

gesäubert sowie religiöse und ethnis<strong>ch</strong>e M<strong>in</strong>derheiten verfolgt, vertrieben oder liquidiert. Gemäss Angaben des<br />

S<strong>ch</strong>warzbu<strong>ch</strong>s des Kommunismus (1997) sollen <strong>in</strong> der Zeit der Herrs<strong>ch</strong>aft der Kommunistis<strong>ch</strong>en Partei Vietnams etwa 1<br />

Million Mens<strong>ch</strong>en umgekommen se<strong>in</strong>, von der Zahl der unzähligen Opfer von Vers<strong>ch</strong>leppung, Vertreibung und Inhaftierung<br />

<strong>in</strong> für<strong>ch</strong>terli<strong>ch</strong>en Gefängnissen und KZs <strong>ganz</strong> zu s<strong>ch</strong>weigen. Die Verantwortung Ho Chi M<strong>in</strong>hs, der den Säuberungen und<br />

Liquidationen se<strong>in</strong>er Konkurrenten stets wie dur<strong>ch</strong> e<strong>in</strong> Wunder entkam, als Führer von Partei und Nation bei diesen<br />

Verbre<strong>ch</strong>en, die vor allem <strong>in</strong> die 50er Jahre zurückrei<strong>ch</strong>en, ist unklar und umstritten. Im Unters<strong>ch</strong>ied etwa zu Stal<strong>in</strong> und Mao<br />

Tse Tung s<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>t Ho Chi M<strong>in</strong>h, spirituell eher der Gestalt e<strong>in</strong>es Mahatma Gandhis ähnli<strong>ch</strong>, offenbar aber ke<strong>in</strong> blutrünstiger<br />

Massenmörder gewesen zu se<strong>in</strong>; er soll si<strong>ch</strong> stets gegen das Töten von Mens<strong>ch</strong>en und gegen Gewaltanwendung aller Art<br />

ausgespro<strong>ch</strong>en haben (s. M. Grossheim: Ho Chi M<strong>in</strong>h. <strong>Der</strong> geheimnisvolle Revolutionär. C.H. Beck 2011). Was den<br />

Vietnamkrieg na<strong>ch</strong> der US-Invasion selbst betrifft, gehen vorsi<strong>ch</strong>tigste Opfers<strong>ch</strong>ätzungen von etwa 1,5 Millionen getöteter<br />

Vietnamesen aus. Die übers<strong>ch</strong>wängli<strong>ch</strong>e und völlig unkritis<strong>ch</strong>e DDR-Solidarität mit Vietnam dauerte bis Ende 1980er Jahre,<br />

als damals no<strong>ch</strong> die „antiimperialistis<strong>ch</strong>e“ Solidarität mit Kampu<strong>ch</strong>ea (d.h. Kambods<strong>ch</strong>a) betont wurde, wo das Pol Pot-<br />

Regime <strong>in</strong> den 70ern etwa 2 Millionen Tote <strong>in</strong> Kauf nahm. Beim grotesken ideologis<strong>ch</strong>en Gerangel <strong>in</strong>nderhalb der<br />

kommunistis<strong>ch</strong>en Welt wurde die Sowjetunion zusammen mit der DDR 1964 vom nordvietnamesis<strong>ch</strong>en Regime sogar als<br />

„revisionistis<strong>ch</strong>“ e<strong>in</strong>gestuft und die vietnamesis<strong>ch</strong>en Studenten von dort na<strong>ch</strong> Hause zurückbeordert, während <strong>in</strong><br />

Nordvietnam selbst e<strong>in</strong> Kampf gegen „revisionistis<strong>ch</strong>e“ Kulturs<strong>ch</strong>affende losbra<strong>ch</strong> (Grossheim, S. 138). Die US-Invasion<br />

selbst konnte von Ho Chi M<strong>in</strong>h <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mehr verh<strong>in</strong>dert werden. Er starb im September 1969. Au<strong>ch</strong> er wurde im S<strong>ch</strong>warzbu<strong>ch</strong><br />

des Kommunismus dafür kritisiert, dass während se<strong>in</strong>er Herrs<strong>ch</strong>aft <strong>in</strong> Vietnam etwa 1 Millionen Mens<strong>ch</strong>en ihr Leben<br />

verloren.<br />

14


„alle Mens<strong>ch</strong>en“ „für<strong>ch</strong>ten“ müssten, dass „e<strong>in</strong> dritter Weltkrieg e<strong>in</strong> Atomkrieg wird, der die gesamte<br />

Zivilisation völlig zerstören kann“, war bis zu e<strong>in</strong>em gewissen Grad bere<strong>ch</strong>tigt, denn<br />

Atomsprengkörper lagen <strong>in</strong> den Militärarsenalen zuhauf herum. Dessen war man si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> im Westen<br />

bewusst. In der Folge wurde die Kriegsangst <strong>in</strong> der esperantist immer wieder von Neuem bis zum<br />

Überdruss ges<strong>ch</strong>ürt. In der letzten Ausgabe des Jahres 1967 wurde unter anderem e<strong>in</strong> Brief mit e<strong>in</strong>em<br />

Vertragsvors<strong>ch</strong>lag des Vorsitzenden des M<strong>in</strong>isterrates der DDR, Willi Stoph, an den Bundeskanzler<br />

Kies<strong>in</strong>ger <strong>in</strong> <strong>Esperanto</strong>-Übersetzung abgedruckt und die BRD bes<strong>ch</strong>uldigt, „seit nunmehr 18 Jahren<br />

den Weg zu Frieden und Verständigung“ „systematis<strong>ch</strong>“ zu „blockieren“. Ebenfalls wurde die Leitung<br />

des westdeuts<strong>ch</strong>en <strong>Esperanto</strong>bundes bes<strong>ch</strong>uldigt, „jedes Verständigungsangebot, das ihr [von Seiten<br />

der DDR] unterbreitet wurde, entweder zu ignorieren oder (...) zu h<strong>in</strong>tertreiben“. 1967 fand au<strong>ch</strong> der<br />

VII. Parteitag der SED statt, der <strong>in</strong> der esperantist ausdrückli<strong>ch</strong> gewürdigt wurde. Bei dieser<br />

Gelegenheit wurde das Referat Ulbri<strong>ch</strong>ts abgedruckt, <strong>in</strong> dem der poststal<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>e DDR-Herrs<strong>ch</strong>er<br />

über „Allgeme<strong>in</strong>e Entwicklungstendenzen der sozialistis<strong>ch</strong>en Kultur“, über das „ständige Lernen als<br />

normale Verhaltensweise des tätigen Mens<strong>ch</strong>en“ und über die „Universalität der<br />

Bildungsmögli<strong>ch</strong>keiten“ ausführli<strong>ch</strong> parlierte. 34 Sonst wurde <strong>in</strong> der esperantist auf e<strong>in</strong>en Ulbri<strong>ch</strong>t-Kult<br />

verzi<strong>ch</strong>tet. 35<br />

E<strong>in</strong>en regelre<strong>ch</strong>ten rhetoris<strong>ch</strong>en Ausfall unternahm der esperantist 20-21/1968 gegen e<strong>in</strong>e<br />

Bros<strong>ch</strong>üre mit dem Titel ‚Tatsa<strong>ch</strong>en über Deuts<strong>ch</strong>land’, die vom Presse- und Informationsamt der<br />

BRD-Regierung <strong>in</strong> <strong>Esperanto</strong> herausgegeben wurde. In rüdem Ton erregte si<strong>ch</strong> ‚Rezensent’ Hans<br />

Ei<strong>ch</strong>horn wegen e<strong>in</strong>er dar<strong>in</strong> enthaltenen Landkarte, auf der die DDR und die VR Polen wie<br />

weggewis<strong>ch</strong>t waren. Dies sei e<strong>in</strong>e „Respektlosigkeit, Ausdruck des Revan<strong>ch</strong>ismus“, ja es sei „zum<br />

Kotzen, was man <strong>in</strong> dieser Bros<strong>ch</strong>üre sonst no<strong>ch</strong> über die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te Deuts<strong>ch</strong>lands lesen“ könne; die<br />

„Forderung polnis<strong>ch</strong>en, sowjetis<strong>ch</strong>en und ts<strong>ch</strong>e<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Territoriums“ wurde als ungeheuerli<strong>ch</strong><br />

empfunden. Mit „Abs<strong>ch</strong>eu“ lese man allerlei „Lügen über die DDR“, es sei „beängstigend, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

e<strong>in</strong>zigen Satz über den Nationalsozialismus die Vergangenheit“ abzuhandeln. Was wohl Zamenhof<br />

sagen würde, der von der „Glei<strong>ch</strong>heit und Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung aller Völker“ spra<strong>ch</strong>, wurde gefragt. Die<br />

„revan<strong>ch</strong>istis<strong>ch</strong>e Haltung des westdeuts<strong>ch</strong>en <strong>Esperanto</strong>-Bundes“ sei dur<strong>ch</strong>aus <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> neu. S<strong>ch</strong>on habe<br />

dieser bei der Übersetzung e<strong>in</strong>er Publikation über die Sowjetzone Deuts<strong>ch</strong>lands von 1960 mitgeholfen,<br />

Lügen zu verbreiten. Es sei „verrückt“, <strong>Esperanto</strong> zu verwenden, um das Territorium zu fordern, auf<br />

dem der Gründer des <strong>Esperanto</strong> geboren wurde, zumal er von e<strong>in</strong>em souveränen polnis<strong>ch</strong>en Staat<br />

geträumt habe. 36 Auf polnis<strong>ch</strong>er Seite stiess der bekannte polnis<strong>ch</strong>e Esperantist Roman Dobrzyński <strong>in</strong>s<br />

glei<strong>ch</strong>e Horn.<br />

34 Abs<strong>ch</strong>liessend zu diesen Text stand da ges<strong>ch</strong>rieben, dass au<strong>ch</strong> die <strong>Esperanto</strong>freunde „erkennen“ müssten, „dass die<br />

Volkskunst e<strong>in</strong> Quell e<strong>ch</strong>ter Lebensfreude“ sei „und dass sie als s<strong>in</strong>nvoll gestaltete Freizeit e<strong>in</strong>en hohen<br />

persönli<strong>ch</strong>keitsbildenden Wert“ habe.<br />

35 Dies ist gebührend hervorzuheben, denn zu dieser Zeit gebärdete Ulbri<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> als grotesker DDR-Alle<strong>in</strong>herrs<strong>ch</strong>er und trat<br />

mit phantastis<strong>ch</strong>en ideologis<strong>ch</strong>en Verirrungen von der neuen „Sozialistis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>engeme<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>aft“ usw. <strong>in</strong> Ers<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>ung,<br />

die er <strong>in</strong> der DDR-Verfassung verankert haben wollte. Die Propaganda vom „neuen Mens<strong>ch</strong>en“ hätte man den Esperantisten<br />

dur<strong>ch</strong>aus zutrauen können, aber die ZAKE-Verantwortli<strong>ch</strong>en verzi<strong>ch</strong>teten allerd<strong>in</strong>gs zum Glück auf die Reproduktion<br />

weltfremder Fiktionen aus der eigenen SED-Kü<strong>ch</strong>e. Glei<strong>ch</strong>zeitig wurden <strong>in</strong> der esperantist aber au<strong>ch</strong> die s<strong>ch</strong>weren<br />

Wirts<strong>ch</strong>aftsprobleme vers<strong>ch</strong>wiegen, unter denen die DDR litt und die Ulbri<strong>ch</strong>t 1967 offen angespro<strong>ch</strong>en hatte und mit se<strong>in</strong>em<br />

eigens für die DDR kreierten NÖSPL-Programm überw<strong>in</strong>den wollte, denn s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> wollte aus der DDR e<strong>in</strong> sozialistis<strong>ch</strong>er<br />

Musterstaat fabriziert werden (was Bres<strong>ch</strong>new <strong>ganz</strong> und gar <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> passte). So mussten etwa 1969 für mehrere hundert<br />

Millionen harter Valuta Nahrungsmittel aus dem Westen importiert werden, und no<strong>ch</strong> tragis<strong>ch</strong>er wog der Umstand, dass aus<br />

Bres<strong>ch</strong>news Sowjetunion, der nur Spott für die kle<strong>in</strong>e vorlaute DDR mit ihrem grössenwahns<strong>in</strong>nigen Diktatör<strong>ch</strong>en übrig<br />

hatte hielt, war ke<strong>in</strong>e Wirts<strong>ch</strong>aftshilfe, zu erwarten. Um Rohstofflieferungen musste <strong>in</strong> Moskau ständig gebettelt werden. Im<br />

Gegenteil: Bres<strong>ch</strong>new erpresste die DDR bei jeder Gelegenheit und beutete sie aus was das Zeug hielt. Überhaupt mussten<br />

die SED-Politbüromitglieder unter Bres<strong>ch</strong>new, der ke<strong>in</strong>e DDR-Alle<strong>in</strong>gänge etwa <strong>in</strong> der Deuts<strong>ch</strong>landfrage duldete, si<strong>ch</strong> wie<br />

Marionetten und Statisten vorgekommen se<strong>in</strong>. Honecker nutzte diese Situation 1969-71 ges<strong>ch</strong>ickt aus, um si<strong>ch</strong> Ulbri<strong>ch</strong>ts zu<br />

entledigen, um si<strong>ch</strong> selbst an die oberste Ma<strong>ch</strong>tposition <strong>in</strong> der DDR hieven zu können.<br />

36 M.W. gibt es <strong>in</strong> den S<strong>ch</strong>riften und Reden L.L. Zamenhofs ke<strong>in</strong>en H<strong>in</strong>weis darauf, wo er si<strong>ch</strong> über e<strong>in</strong>en souveränen<br />

polnis<strong>ch</strong>en Staat geäussert hätte. Das Konzept e<strong>in</strong>es polnis<strong>ch</strong>en (oder russis<strong>ch</strong>en oder jüdis<strong>ch</strong>en) Nationalstaats s<strong>ch</strong>ien bei<br />

ihm nämli<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> nur ausserhalb se<strong>in</strong>er Vorstellungskraft gewesen zu se<strong>in</strong>, sondern er lehnte Nationalstaaten grundsätzli<strong>ch</strong><br />

ab, die politis<strong>ch</strong> nur vor e<strong>in</strong>er Ethnie beherrs<strong>ch</strong>t werden. In se<strong>in</strong>em Hillelismus/Homaranismus von 1906 stellte si<strong>ch</strong><br />

Zamenhof e<strong>in</strong> „Wars<strong>ch</strong>auer Land“, e<strong>in</strong> „Petersburger Rei<strong>ch</strong>“ und e<strong>in</strong> „Pariser Rei<strong>ch</strong>“ vor, <strong>in</strong> dem alle mitwohnenden<br />

Völkers<strong>ch</strong>afen friedli<strong>ch</strong> mit- und nebene<strong>in</strong>ander zusammenleben könnten, ohne von e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zelnen Ethnie <strong>ch</strong>auv<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong><br />

dom<strong>in</strong>iert zu werden. Gefallen fand er vor allem an neutralen Staaten wie der S<strong>ch</strong>weiz, Belgien, Kolumbien, Peru usw. Diese<br />

Ideen wurden <strong>in</strong> der esperantist nie vorgestellt.<br />

15


Aus Anlass des E<strong>in</strong>mars<strong>ch</strong>es der Wars<strong>ch</strong>auer Pakttruppen <strong>in</strong> die Ts<strong>ch</strong>e<strong>ch</strong>oslowakei im August<br />

1968 veröffentli<strong>ch</strong>te der esperantist im Oktober e<strong>in</strong>en Aufruf des Präsidiums des Deuts<strong>ch</strong>en<br />

Kulturbundes (auf Deuts<strong>ch</strong>) mit folgendem Wortlaut:<br />

„Das Präsidium des Deuts<strong>ch</strong>en Kulturbundes unterstützt, getreu den Bes<strong>ch</strong>lüssen des VII.<br />

Bundeskongresses, mit aller Konsequenz das verantwortungsbewusste und ents<strong>ch</strong>lossene Handeln der<br />

sozialistis<strong>ch</strong>en Bruderstaaten, die der Konterrevolution <strong>in</strong> der CSSR den Weg verlegten. Indem die<br />

sozialistis<strong>ch</strong>en Länder die den Frieden und die europäis<strong>ch</strong>e Si<strong>ch</strong>erheit gefährdenden Pläne zu<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>e<br />

ma<strong>ch</strong>en, vollbr<strong>in</strong>gen sie e<strong>in</strong>e ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Tat des wahren Humanismus.<br />

In tiefer Verbundenheit mit den progressiven und humanistis<strong>ch</strong>en Traditionen des<br />

ts<strong>ch</strong>e<strong>ch</strong>oslowakis<strong>ch</strong>en Volkes bekunden wir unsere brüderli<strong>ch</strong>e Solidarität mit allen Patrioten unseres<br />

Bruderlandes, die das Vermä<strong>ch</strong>tnis e<strong>in</strong>es Julius Fučík und Egon Erw<strong>in</strong> Kis<strong>ch</strong>, e<strong>in</strong>es Vitězlav Nezval 37<br />

und Stanislaus Kostka Neumann, e<strong>in</strong>es Jaroslav Hašek und Jiří Wolker <strong>in</strong> Ehren halten.<br />

Streitbares humanistis<strong>ch</strong>es Denken und Handeln heisst, wie Thomas Mann formulierte:<br />

‚...Erkämpfung e<strong>in</strong>er Freiheit, die für si<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>zustehen weiss, und e<strong>in</strong>er Humanität, die gegen ihre<br />

Mörder ke<strong>in</strong>e S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e kennt’. 38 In unserem Jahrhundert f<strong>in</strong>det dieser Auftrag se<strong>in</strong>e Grundlage alle<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong> der humanistis<strong>ch</strong>en Ma<strong>ch</strong>t der von der marxistis<strong>ch</strong>-len<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>en Partei geführten Arbeiterklasse<br />

und ihren Verbündeten.<br />

Im Namen der Angehörigen der Intelligenz unserer Republik bekräftigen wir unsere<br />

Ents<strong>ch</strong>lossenheit, mit aller Ents<strong>ch</strong>iedenheit den Versu<strong>ch</strong>en der ideologis<strong>ch</strong>en Diversion des<br />

Imperialismus zu begegnen. Wir werden das Bündnis mit der Arbeiterklasse unter der bewährten<br />

Führung ihrer Partei weiter stärken und festigen.“<br />

Die wahren H<strong>in</strong>tergründe des ‚Prager Frühl<strong>in</strong>gs’ 39 blieben den Lesern von der esperantist wie<br />

so viele andere politis<strong>ch</strong>e Probleme und heiklen Ereignisse, die im Ostblock von Jahr zu Jahr an<br />

Intensität zunahmen und <strong>in</strong> den Medien <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> erörtert werden konnten, au<strong>ch</strong> komplett vers<strong>ch</strong>wiegen.<br />

37 <strong>Der</strong> Name war fals<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>rieben: Vitezlav Nesval.<br />

38 Als Thomas Mann 1949 im Goethejahr sowohl Frankfurt am Ma<strong>in</strong> wie au<strong>ch</strong> Weimar besu<strong>ch</strong>te, wurde er von Ulbri<strong>ch</strong>t mit<br />

organisiertem Jubel begrüsst. Weil er dies dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>aute, nannte er die gerade im Entstehen begriffene DDR e<strong>in</strong>en<br />

„autoritären Volksstaat“. Auf e<strong>in</strong>em Bankett, das man ihm zu Ehren gab, sagte er: „I<strong>ch</strong> b<strong>in</strong> fremd dem totalitären Staat, se<strong>in</strong>er<br />

Jakob<strong>in</strong>er-Tugend, se<strong>in</strong>en Geheimpolizei-Methoden, se<strong>in</strong>em humorlosen Optimismus, se<strong>in</strong>er Verpönung bourgeoiser<br />

Verfe<strong>in</strong>erungen und all dessen, was er dekadent, volksfremd und formalistis<strong>ch</strong> nennt.“ (s. Lang, Jo<strong>ch</strong>en von: Eri<strong>ch</strong> Mielke.<br />

E<strong>in</strong>e deuts<strong>ch</strong>e Karriere, 1991, S. 9). Zu Propagandazwecken wurden <strong>in</strong> der esperantist übrigens au<strong>ch</strong> „forts<strong>ch</strong>rittli<strong>ch</strong>e“<br />

S<strong>ch</strong>riftsteller wie Arnold Zweig, Thomas Mann, Eri<strong>ch</strong> Kästner, Bertold Bre<strong>ch</strong>t, Ludwig Renn, He<strong>in</strong>ri<strong>ch</strong> He<strong>in</strong>e u.a.<br />

h<strong>in</strong>zugezogen. Bre<strong>ch</strong>ts Lobenshymne zur ‚Grossen Sozialistis<strong>ch</strong>en Oktoberrevolution’ ers<strong>ch</strong>ien übersetzt auf <strong>Esperanto</strong> <strong>in</strong><br />

der esperantist 84/1977. Renn hiess eigtl. Arnold Friedri<strong>ch</strong> Vieth von Golßenau (1889-1979). <strong>Der</strong> Homosexuelle und<br />

Esperantist liess si<strong>ch</strong> 1947 <strong>in</strong> der DDR nieder und wurde Mitglied der SED. 1969–1975 war er Ehrenpräsident der Akademie<br />

der Künste. In der esperantist 3-4/1971 wurde e<strong>in</strong> orig<strong>in</strong>al <strong>in</strong> <strong>Esperanto</strong> verfasstes Gedi<strong>ch</strong>t von ihm veröffentli<strong>ch</strong>t, das bereit<br />

1932 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er proletaris<strong>ch</strong>en <strong>Esperanto</strong>-Zeits<strong>ch</strong>rift ers<strong>ch</strong>ienen war. He<strong>in</strong>es jüdis<strong>ch</strong>e Herkunft wurde vers<strong>ch</strong>wiegen, se<strong>in</strong>e<br />

Freunds<strong>ch</strong>aft mit Karl Marx hervorgehoben. Andere, <strong>in</strong> der DDR populäre S<strong>ch</strong>riftsteller wie Heym, Plenzdorf, Heiduczek,<br />

Fühmann, Herml<strong>in</strong>, Kunert, He<strong>in</strong>er Müller, Jurek Becker, Rolf S<strong>ch</strong>neider, Sarah Kirs<strong>ch</strong>, Eri<strong>ch</strong> Loest, Wolf Biermann usw.<br />

kamen <strong>in</strong> der esperantist <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> vor, au<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> e<strong>in</strong>mal Namen wie Konrad Wolf, Hermann Kant, Christa Wolf und Anna<br />

Seghers, wahrs<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>li<strong>ch</strong> weil diese Autoren mit <strong>Esperanto</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>s geme<strong>in</strong> hatten. Offenbar bestand au<strong>ch</strong> ke<strong>in</strong> Interesse, die<br />

Werke sol<strong>ch</strong>er Autoren, die au<strong>ch</strong> im Westen bekannt waren, <strong>in</strong>s <strong>Esperanto</strong> zu übersetzen. So blieben sie dem <strong>Esperanto</strong>-<br />

Publikum, das si<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>seitig nur auf bestimmte Namen, die vom ZAKE und den Redaktoren von der esperantist ausgewählt<br />

wurden, e<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>oss, unzugängli<strong>ch</strong>.<br />

39 Vorges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, H<strong>in</strong>tergründe und Folgen des ‚Prager Frühl<strong>in</strong>gs’ s<strong>in</strong>d h<strong>in</strong>längli<strong>ch</strong> bekannt und brau<strong>ch</strong>en hier <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong><br />

ausgeführt zu werden. Was die Haltung der DDR bei dieser Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te betraf, s<strong>in</strong>d zwei <strong>in</strong>teressante Umstände<br />

hervorzuheben: Erstens der völlig unbekannte Umstand, dass Ulbri<strong>ch</strong>t, der die s<strong>ch</strong>weren Wirts<strong>ch</strong>aftsprobleme der DDR<br />

offenbar erkannt hatte und selbst von Reformen träumte, zunä<strong>ch</strong>st für die Reformvorhaben Dubčeks Begeisterung zeigte. Als<br />

letzterer dem „abstossenden stal<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>en verste<strong>in</strong>erten Dogmatiker“ aber e<strong>in</strong>e Abfuhr erteilte, fühlte Ulbri<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> beleidigt,<br />

änderte se<strong>in</strong>e Me<strong>in</strong>ung und begann Dubček zu verleumden. Weniger im Bewusstse<strong>in</strong> der Zeitgenossen ist au<strong>ch</strong> die Tatsa<strong>ch</strong>e,<br />

dass die NVA ‚aus historis<strong>ch</strong>en Gründen’ am E<strong>in</strong>mars<strong>ch</strong> der Wars<strong>ch</strong>auer Pakttruppen <strong>in</strong> die CSSR <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> teilnahm, sondern<br />

mit soundsoviel Divisionen und Soldaten vor der Grenze stationiert blieb (s. Frank., M. Walter Ulbri<strong>ch</strong>t, S. 393-6). <strong>Der</strong><br />

Ents<strong>ch</strong>luss darüber fiel erst wenige Stunden vor dem Beg<strong>in</strong>n des E<strong>in</strong>mars<strong>ch</strong>es und wurde der NVA-Führung vom<br />

Oberkommandierenden des Wars<strong>ch</strong>auer Paktes Mars<strong>ch</strong>all Jakubowski mitgeteilt. Denno<strong>ch</strong> wurden <strong>in</strong> den DDR-Medien<br />

Beri<strong>ch</strong>te verbreitet, wona<strong>ch</strong> es zu e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>mars<strong>ch</strong> der NVA-Truppen gekommen sei. Die Bevölkerung sollte so irregeführt<br />

werden. Nur etwa 30 Soldaten e<strong>in</strong>er NVA-Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>tene<strong>in</strong>heit weilten auf Grund der Militäraktion im Führungsstab der<br />

Invasionstruppen auf dem Truppenübungsplatz Milovice. Aus Dokumenten, die erst bei Öffnung des Moskauer Ar<strong>ch</strong>ivs<br />

freigegeben wurden, g<strong>in</strong>g hervor, dass e<strong>in</strong> ho<strong>ch</strong>rangiger KGB-Offizier, der si<strong>ch</strong> bereits seit Tagen <strong>in</strong> Prag aufhielt,<br />

Bres<strong>ch</strong>new am 20. August veranlasst haben soll, die NVA <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> am E<strong>in</strong>mars<strong>ch</strong> zu beteiligen, da dies mit dem Anspru<strong>ch</strong> der<br />

DDR e<strong>in</strong>es antifas<strong>ch</strong>istis<strong>ch</strong>en Neuanfangs 30 Jahre na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>luss des Mün<strong>ch</strong>ner Abkommens <strong>in</strong> Kollision geraten wäre.<br />

16


Ansonsten geda<strong>ch</strong>te der esperantist <strong>in</strong> diesem Jahr des 150. Geburtstages von Karl Marx und<br />

veröffentli<strong>ch</strong>te Auszüge aus der neuen DDR-Verfassung.<br />

Per der esperantist 26-27/1969 übernahm au<strong>ch</strong> D. Blanke die direkte Mitverantwortung und<br />

Kontrolle <strong>in</strong> der Redaktionskommission. Erw<strong>in</strong> S<strong>ch</strong>leusener s<strong>ch</strong>ied aus der Redaktion aus, da er <strong>in</strong><br />

diesem Jahr verstarb.<br />

Anfang 1969 wurde die Neujahrsbots<strong>ch</strong>aft Walter Ulbri<strong>ch</strong>ts veröffentli<strong>ch</strong>t, <strong>in</strong> der die 20 Jahre<br />

der Existenz des selbsternannten Friedensstaats DDR verherrli<strong>ch</strong>t wurden. 24 Jahre na<strong>ch</strong> Ende des<br />

Zweiten Weltkrieges würden „Banken<strong>ch</strong>efs, Waffen<strong>in</strong>dustrielle, der Generalstab und Neonazis“<br />

diesen Weg fortsetzen, hiess es an dieser Stelle etwa. Wer Frieden und Entspannung wüns<strong>ch</strong>e, solle<br />

dafür sorgen, dass die DDR (und die BRD!) <strong>in</strong> die UNO und <strong>in</strong> ihre Unterorganisationen<br />

aufgenommen werden. Max Steenbeck (+1981 <strong>in</strong> Ost-Berl<strong>in</strong>), e<strong>in</strong> herausragender deuts<strong>ch</strong>er Physiker,<br />

forderte „die Neuordnung e<strong>in</strong>er Gesells<strong>ch</strong>aft, <strong>in</strong> der es <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mehr mögli<strong>ch</strong> se<strong>in</strong> wird, dass e<strong>in</strong>e<br />

politis<strong>ch</strong>e E<strong>in</strong>zelgruppe zur Dur<strong>ch</strong>setzung ihrer Interessen e<strong>in</strong>en Krieg entfa<strong>ch</strong>en kann“.<br />

E<strong>in</strong>igen Raum nahm <strong>in</strong> der esperantist <strong>in</strong> zunehmenden Masse die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der<br />

proletaris<strong>ch</strong>en und deuts<strong>ch</strong>en Arbeiter-<strong>Esperanto</strong>-Bewegung e<strong>in</strong>. Zuständig für diese Beiträge<br />

zei<strong>ch</strong>nete vor allem D. Blanke, der als Sekretär des ZAKE an dessen „straff geleiteten“ Tagungen<br />

eifrig über die „Realisierung“ der „meisten konkreten Aufgaben“ rapportierte. Immer von Neuem<br />

fühlte si<strong>ch</strong> der ZAKE <strong>verpfli<strong>ch</strong>tet</strong>, den DDR-Esperantisten den ideologis<strong>ch</strong>-politis<strong>ch</strong>en Tarif<br />

dur<strong>ch</strong>zugeben. In der E<strong>in</strong>führung zum ZAKE-Arbeitsplan für 1969 hiess es unter anderem: „Die<br />

Esperantisten der DDR betra<strong>ch</strong>ten als e<strong>in</strong>e ihrer Hauptaufgaben dur<strong>ch</strong> ihr spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es Können (? „per<br />

siaj l<strong>in</strong>gvaj povoj”) den Esperantisten anderer Länder den historis<strong>ch</strong>en Transformationsprozess, der<br />

si<strong>ch</strong> <strong>in</strong> unserem Staat vollzieht, den friedliebenden Charakter unserer Politik und den tiefen<br />

humanistis<strong>ch</strong>en Inhalt unserer ökonomis<strong>ch</strong>en, politis<strong>ch</strong>en und kulturellen Entwicklung überzeugend zu<br />

präsentieren. Dies können nur Mens<strong>ch</strong>en erfüllen, die si<strong>ch</strong> mit unserem Staat tief verbunden fühlen.<br />

Daher muss die Bildung von sozialistis<strong>ch</strong>en Charakteren <strong>in</strong> der ersten Reihe der Arbeit der<br />

Esperantisten <strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung mit den Direktiven der 9. Tagung des Zentralkomitees der SED<br />

und des Staatsrats vom 18. Oktober 1968 e<strong>in</strong>hergehen. Es ist notwendig, die <strong>in</strong>tellektuelle und<br />

kulturelle Entwicklung der Bürger der DDR zu bes<strong>ch</strong>leunigen und <strong>in</strong> ihrer Arbeit si<strong>ch</strong> ständig auf die<br />

Lehren von Marx, Engels und Len<strong>in</strong> abzustützen und stets den Standpunkt des sozialistis<strong>ch</strong>en<br />

Humanismus zu verteidigen (...). 40<br />

Die öden politis<strong>ch</strong>en Loyalitätsbekundungen der DDR-Esperantisten nahmen ke<strong>in</strong> Ende. In<br />

e<strong>in</strong>er entspre<strong>ch</strong>enden Resolution zum 20. Jahr des Bestehens der DDR s<strong>ch</strong>rieben sie: „Wir – die<br />

Esperantisten der DDR – tragen <strong>in</strong> vielfältiger Form mit unseren spezifis<strong>ch</strong>en Mögli<strong>ch</strong>keiten bei, die<br />

DDR – den ersten deuts<strong>ch</strong>en Friedensstaat und stabilsten Staat <strong>in</strong> der deuts<strong>ch</strong>en Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te – allseitig<br />

zu stärken und se<strong>in</strong> Ansehen im Ausland zu erhöhen. Wir stehen voll uns <strong>ganz</strong> h<strong>in</strong>ter unserer<br />

Republik, die unter Führung ihrer marxistis<strong>ch</strong>-len<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>en Partei den Sozialismus umfassend<br />

aufbaut. Die Ziele der Deuts<strong>ch</strong>en Demokratis<strong>ch</strong>en Republik und ihre sozialistis<strong>ch</strong>e Verfassung<br />

stimmen völlig mit den Wüns<strong>ch</strong>en und Bestrebungen der <strong>Esperanto</strong>freunde <strong>in</strong> der DDR übere<strong>in</strong>. Die<br />

erklärt si<strong>ch</strong> <strong>in</strong> der Erkenntnis, dass die Ziele der Esperantisten, Frieden und Völkerverständigung, nur<br />

auf der Grundlage des Sozialismus und <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit ihm errei<strong>ch</strong>bar s<strong>in</strong>d. Jeder Versu<strong>ch</strong>, auf<br />

anderem Wege zum Ziel zu gelangen, muss gesetzmässig s<strong>ch</strong>eitern.“ Es folgte die rout<strong>in</strong>emässige<br />

Ablehnung „der abs<strong>ch</strong>euli<strong>ch</strong>en Mordoperationen der USA und ihrer Satelliten“ <strong>in</strong> Vietnam sowie der<br />

„israelis<strong>ch</strong>en Aggression“ gegen die arabis<strong>ch</strong>en Staaten. Dann no<strong>ch</strong> dies: „Wir bekämpfen mit grosser<br />

Ents<strong>ch</strong>iedenheit die Bemühungen des Imperialismus, die sozialistis<strong>ch</strong>e Staatengeme<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>aft zu<br />

unterm<strong>in</strong>ieren. Wir stellen mit Empörung fest, dass antisozialistis<strong>ch</strong>e Elemente aus dem Ausland<br />

versu<strong>ch</strong>en, au<strong>ch</strong> Esperantisten der DDR für ihre demagogis<strong>ch</strong>en Zwecke zu missbrau<strong>ch</strong>en. Wir<br />

distanzieren uns kompromisslos von diesen Kräften, die <strong>Esperanto</strong> für antihumanistis<strong>ch</strong>e Ziele<br />

missbrau<strong>ch</strong>en und stellen dem e<strong>in</strong>e verstärkte politis<strong>ch</strong>-ideologis<strong>ch</strong>e Aufklärungsarbeit entgegen.<br />

Angesi<strong>ch</strong>ts dieser imperialistis<strong>ch</strong>en Ma<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>aften sehen wir uns veranlasst, erneut unser e<strong>in</strong>deutiges<br />

Bekenntnis zur unverbrü<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Freunds<strong>ch</strong>aft mit der Sowjetunion zu bekunden.“ Es folgte e<strong>in</strong>e<br />

Notiz, wona<strong>ch</strong> diese Resolution die e<strong>in</strong>mütige Zustimmung der Teilnehmer der erweiterten Tagung<br />

des ZAKE, die am 12. April 1959 im Mitropa-Hotel des Flughafens Berl<strong>in</strong>-S<strong>ch</strong>önefeld stattfand,<br />

gefunden habe. An dieser Sitzung wurde festgestellt, dass „die ideologis<strong>ch</strong>e Ause<strong>in</strong>andersetzung mit<br />

40 Übersetzung aus dem Eo von A.K.<br />

17


dem Imperialismus an S<strong>ch</strong>ärfe ständig zunimmt und au<strong>ch</strong> um die Esperantisten ke<strong>in</strong> Bogen ma<strong>ch</strong>t“.<br />

Dem „Gegner“ sei es aber „<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mehr mögli<strong>ch</strong>, das sozialistis<strong>ch</strong>e Lager mit Gewalt zu zerstören“ und<br />

er sei „gezwungen, se<strong>in</strong>e Methoden zu ändern“. Die „ideologis<strong>ch</strong>e Diversion“ werde au<strong>ch</strong> <strong>in</strong> der<br />

sogenannten ‚neuen Ostpolitik’ praktiziert, die vom „westdeuts<strong>ch</strong>en Imperialismus manifestiert“<br />

werde. Jeder Esperantist müsste daher „die Konzeption des Gegners kennen“. <strong>Der</strong> Esperantist der<br />

DDR müsse „e<strong>in</strong>e klare Stellung zu se<strong>in</strong>er Republik beziehen und si<strong>ch</strong> die Frage vorlegen, wel<strong>ch</strong>e<br />

Funktion das <strong>Esperanto</strong> <strong>in</strong> der DDR haben sollte“. <strong>Esperanto</strong> könne <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> nur e<strong>in</strong> ‚neutrales Hobby’<br />

se<strong>in</strong>, sondern müsse „dazu dienen, die DDR zu stärken“. E<strong>in</strong>e „Grundvoraussetzung für diese wi<strong>ch</strong>tige<br />

politis<strong>ch</strong>e Arbeit“ sei „aber die ideologis<strong>ch</strong>e Klarheit e<strong>in</strong>es jeden“. ZAKE-Vorsitzender Rudi Graetz<br />

„führte u.a. aus, dass die unter vielen Esperantisten no<strong>ch</strong> verbreitete Auffassung, man müsse neutral<br />

se<strong>in</strong> und die Me<strong>in</strong>ung, jeder Esperantist sei dadur<strong>ch</strong> natürli<strong>ch</strong>erweise e<strong>in</strong> Friedenskämpfer, fals<strong>ch</strong> ist.<br />

E<strong>in</strong>e sol<strong>ch</strong>e Haltung erhöhe die Anfälligkeit für die Argumente des Gegners beträ<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>. Er wies<br />

na<strong>ch</strong>, dass der Esperantist <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> neutral se<strong>in</strong> kann und se<strong>in</strong>en Friedenswillen dur<strong>ch</strong> die praktis<strong>ch</strong>e<br />

Tätigkeit und Stärkung der DDR beweisen muss.“ Die praktis<strong>ch</strong>e Arbeit sei au<strong>ch</strong> „glei<strong>ch</strong>zeitig die<br />

beste Werbung für <strong>Esperanto</strong>“. „<strong>Der</strong> Imperialismus habe bewiesen“, dass er für se<strong>in</strong>e Profit<strong>in</strong>teressen<br />

bereit“ sei, „die Mens<strong>ch</strong>heit <strong>in</strong> Katastrophen zu stürzen“. Es gelte also, „diese Kräfte zu zügeln“.<br />

Daran müssten „alle Mens<strong>ch</strong>en mitwirken, <strong>in</strong> vorderster Reihe die Esperantisten“. Interessant: „Alle<br />

anderen wüns<strong>ch</strong>enswerten Forderungen, wie au<strong>ch</strong> z.B. die allgeme<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führung des <strong>Esperanto</strong>,<br />

müssen h<strong>in</strong>ter dieser Hauptaufgabe vorerst zurückstehen“. Da die <strong>Esperanto</strong>-Gruppen im Deuts<strong>ch</strong>en<br />

Kulturbund ke<strong>in</strong>e Spra<strong>ch</strong>vere<strong>in</strong>e seien, müsse si<strong>ch</strong> „der Esperantist vor allem au<strong>ch</strong> von dem<br />

Standpunkt lösen, er könne unpolitis<strong>ch</strong> se<strong>in</strong>.“ Es bestehe „e<strong>in</strong> dialektis<strong>ch</strong>es We<strong>ch</strong>selverhältnis<br />

zwis<strong>ch</strong>en Arbeit für die Gesells<strong>ch</strong>aft im S<strong>in</strong>ne der Ri<strong>ch</strong>tl<strong>in</strong>ien und dem steigenden Prestige des<br />

<strong>Esperanto</strong> <strong>in</strong> der DDR.“ Dann g<strong>in</strong>g Graetz no<strong>ch</strong> auf die Arbeit der <strong>Esperanto</strong>-Gruppen <strong>in</strong> der DDR e<strong>in</strong>.<br />

Man kann si<strong>ch</strong> vorstellen, dass der Satz, es müsse „kritis<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>ges<strong>ch</strong>ätzt werden, dass die Arbeit <strong>in</strong> den<br />

Gruppen no<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> befrieden kann“, von den zuständigen Esperantisten mit Unbehagen zur Kenntnis<br />

genommen worden se<strong>in</strong> dürfte. Da grössere Erfolge des <strong>Esperanto</strong> bisher ausgeblieben seien, müsse<br />

die Methode der Propaganda geändert werden. In e<strong>in</strong>em anderen Artikel rief Graetz dazu auf,<br />

<strong>Esperanto</strong> <strong>in</strong> den Dienst der DDR und des „freunds<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en sozialistis<strong>ch</strong>en Lagers“ zu stellen. E<strong>in</strong><br />

Seitenhieb galt denjenigen Esperantisten der DDR, die unabhängig vom Kulturbund für <strong>Esperanto</strong><br />

tätig waren – sie würden „e<strong>in</strong>en Fehler“ begehen, wie Graetz me<strong>in</strong>te, und si<strong>ch</strong> von der Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

„isolieren“. Rhetoris<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>ützenhilfe erhielt Graetz von dem vollständig unobjektiven<br />

Modellantifas<strong>ch</strong>isten Nikola Aleksiev aus Bulgarien, der mit se<strong>in</strong>er strapaziösen antiimperialistis<strong>ch</strong>en<br />

Phraseologie der Ansi<strong>ch</strong>t war, dass man den Fe<strong>in</strong>d stärkt, wenn man passiv bleibt usw. 41<br />

E<strong>in</strong> etwas seltsam anmutender Artikel von Erw<strong>in</strong> S<strong>ch</strong>leusener sollte zu verstehen geben, dass<br />

der ZAKE gegen die <strong>in</strong>dividuelle Korrespondenz von DDR-Esperantisten, die si<strong>ch</strong> auf „persönli<strong>ch</strong>e<br />

Interessen bes<strong>ch</strong>ränkte“, mit dem Ausland im Grund zwar <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>s e<strong>in</strong>zuwenden hatte, h<strong>in</strong>gegen<br />

denno<strong>ch</strong> die Form der Gruppenkorrespondenz für wüns<strong>ch</strong>barer hielt. Wohl <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> zuletzt zur<br />

Überwa<strong>ch</strong>ung dieser Tätigkeit s<strong>ch</strong>lug S<strong>ch</strong>leusener vor, dem ZAKE Kopien sol<strong>ch</strong>er kollektiven<br />

Korrespondenzen „zur Auswertung“ zu überlassen. 42<br />

41 Typis<strong>ch</strong> für ho<strong>ch</strong>grädige Opportunisten ist, dass sie au<strong>ch</strong> die Lebensläufe anderer an den si<strong>ch</strong> verändernden Zeitgeist<br />

anpassen. So g<strong>in</strong>g Blanke <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em für die UEA-Zeits<strong>ch</strong>rift <strong>Esperanto</strong> verfassten Aleksiev-Nekrolog mit ke<strong>in</strong>em kritis<strong>ch</strong>en<br />

Wort auf die zweifelhafte kommunistis<strong>ch</strong>e Vergangenheit e<strong>in</strong>es der rabiatesten antiwestli<strong>ch</strong>en Esperantisten, den die<br />

Bewegunhg hatte, e<strong>in</strong>, der si<strong>ch</strong> als Esperantist und ‚Friedenskämpfer’ regelmässig wüste Ausfälle gegen den<br />

„Imperialismus“, „Kapitalismus“ usw. leistete, obwohl der Mann wahrs<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>li<strong>ch</strong> gar <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> re<strong>ch</strong>t wusste, von was er spra<strong>ch</strong>.<br />

Selbstverständli<strong>ch</strong> fehlten bei sol<strong>ch</strong>en gesäuberten Lebensläufen dann au<strong>ch</strong> Begriffe wie Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus,<br />

Sozialismus, Kommunismus u.ä. In e<strong>in</strong>er na<strong>ch</strong> der politis<strong>ch</strong>en Wende von 1989 von Blanke herausgegebenen Bros<strong>ch</strong>üre mit<br />

historis<strong>ch</strong>en Skizzen, Kommentaren und Interpretationen äusserte si<strong>ch</strong> Aleksiev, der weiterh<strong>in</strong> Mitglied der <strong>in</strong> Bulgaris<strong>ch</strong>e<br />

Sozialistis<strong>ch</strong>e Partei umbenannten BKP blieb, enttäus<strong>ch</strong>t über die politis<strong>ch</strong>e Entwicklung und die Wiederherstellung des<br />

Kapitalismus <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Land. In e<strong>in</strong>em Interview (Haĝiev 2002) bezi<strong>ch</strong>tigte A. die bulgaris<strong>ch</strong>e Presse, dass diese „Lügen<br />

über die Lage im Land verbreite“, das „ausbeuteris<strong>ch</strong>e kapitalistis<strong>ch</strong>e System und die NATO lobe“ und die „Fakten s<strong>ch</strong>amlos<br />

verfäls<strong>ch</strong>e“. Vom Fe<strong>in</strong>dbild USA war der 93-Jährige offenbar s<strong>ch</strong>on dermassen e<strong>in</strong>genommen, dass er den „amerikanis<strong>ch</strong>englis<strong>ch</strong>en<br />

Spra<strong>ch</strong>imperialismus“ bes<strong>ch</strong>uldigte, „aus der <strong>in</strong>ternationalen Praxis alle übrigen Spra<strong>ch</strong>en, e<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> des<br />

<strong>Esperanto</strong>, elim<strong>in</strong>ieren zu wollen.“ Vor allem die politis<strong>ch</strong>-ideologis<strong>ch</strong>en und historiographis<strong>ch</strong>en Werke Aleksievs waren<br />

<strong>in</strong>haltli<strong>ch</strong> von ho<strong>ch</strong>gradig primitiver Qualität und zudem <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ten <strong>Esperanto</strong> abgefasst. Dass Aleksiev si<strong>ch</strong><br />

kritis<strong>ch</strong> über den bulgaris<strong>ch</strong>en Kommunismus geäussert hätte, ist aus den gesi<strong>ch</strong>teten Unterlagen <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> abzuleiten.<br />

42 Allerd<strong>in</strong>gs wurden <strong>in</strong> der esperantist ke<strong>in</strong>e Beispiele von sol<strong>ch</strong>en Korrespondenzen veröffentli<strong>ch</strong>t. Die Stasi öffnete tägli<strong>ch</strong><br />

90’000 Briefe, hörte Zehntausende Telefone ab und lenkte mehr als 180’000 Spitzel. In der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te als e<strong>in</strong>malig zu<br />

18


In der Jubiläumsausgabe von der esperantist (32-33/1969) zum 20. Jahrestag ihres Bestehens<br />

wurde die DDR als „erster Staat des Friedens, der Mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>keit, der Demokratie und der sozialen<br />

Si<strong>ch</strong>erheit <strong>in</strong> unserer Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te“ verherrli<strong>ch</strong>t. Aber vor allem <strong>in</strong> der freien Welt herrs<strong>ch</strong>ten<br />

<strong>in</strong>zwis<strong>ch</strong>en erhebli<strong>ch</strong>e Zweifel darüber, ob diese ‚Werte’ <strong>in</strong> der DDR <strong>in</strong> die Tat umgesetzt wurden. Im<br />

Dresdner Verlag Zeit im Bild ers<strong>ch</strong>ien auf <strong>Esperanto</strong> e<strong>in</strong> „luxuriös ausgestattetes Bu<strong>ch</strong>“ mit dem Titel<br />

„Deuts<strong>ch</strong>e Demokratis<strong>ch</strong>e Republik, Bilder und Tatsa<strong>ch</strong>en“, das neben zahlrei<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>warzweiss-<br />

au<strong>ch</strong> Farbfotos enthielt und die DDR den ausländis<strong>ch</strong>en Esperantisten s<strong>ch</strong>mackhaft ma<strong>ch</strong>en sollte<br />

(„Jeder ausländis<strong>ch</strong>e Esperantist würde si<strong>ch</strong> dieses vielfältige und <strong>in</strong>teressante Bu<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong>er gerne<br />

ans<strong>ch</strong>affen“, hiess es).<br />

Als Freund der DDR wurde <strong>in</strong> der esperantist s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> der Irak präsentiert. <strong>Der</strong> Autor<br />

des entspre<strong>ch</strong>enden Beitrags freute si<strong>ch</strong> darüber, dass <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Land der Feudalismus abges<strong>ch</strong>afft<br />

wurde. E<strong>in</strong> anderer Beri<strong>ch</strong>t betraf e<strong>in</strong>e Reise dur<strong>ch</strong> die von den französis<strong>ch</strong>en Kolonialisten „befreite<br />

Zone von Laos“. <strong>Der</strong> Lebensstandard habe si<strong>ch</strong> dort unaufhörli<strong>ch</strong> erhöht und die<br />

Volksbildungsbewegung sei sehr stark, hiess es unter anderem. Was <strong>in</strong> diesen Ländern eigentli<strong>ch</strong><br />

genau vor si<strong>ch</strong> g<strong>in</strong>g, erfuhr der Leser <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>, denn dies wurde von der e<strong>in</strong>seitigen Propaganda<br />

überblendet.<br />

der esperantist <strong>in</strong> den 1970er Jahren<br />

Anfang 1970 kam der esperantist auf das heikle Thema der <strong>Esperanto</strong>-Korrespondenz no<strong>ch</strong>mals zu<br />

spre<strong>ch</strong>en. In e<strong>in</strong>em Auszug aus e<strong>in</strong>em ZAKE-Beri<strong>ch</strong>t vom Dezember 1969 glaubt man e<strong>in</strong>e gewisse<br />

Nervosität im ZAKE wegen unkontrollierbarer Korrespondenzen, die zwis<strong>ch</strong>en DDR-Esperantisten<br />

und Ges<strong>in</strong>nungsfreunden im Ausland zirkulierten, herauszuspüren. In der Hauptsa<strong>ch</strong>e war man<br />

darüber besorgt, DDR-Esperantisten könnten <strong>in</strong> ihren Auslandskorrespondenzen e<strong>in</strong> ‚fals<strong>ch</strong>es’ Bild<br />

über die DDR vermitteln, das den Vorstellungen der Staatspropaganda <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> entspri<strong>ch</strong>t: „Zur<br />

Bedeutung der Korrespondenz mit dem Ausland und den politis<strong>ch</strong>en und fa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Anforderungen,<br />

die an den e<strong>in</strong>zelnen <strong>Esperanto</strong>freund gestellt werden müssen“, bemerkte der Vorsitzende:<br />

„Kollektivkorrespondenzen s<strong>in</strong>d erst im Entstehen begriffen. Auf diesem Gebiet gibt es no<strong>ch</strong> viel zu<br />

tun, da sie für die Auslands<strong>in</strong>formation der DDR sehr wi<strong>ch</strong>tig s<strong>in</strong>d. Die ausländis<strong>ch</strong>en Esperantisten<br />

sehen <strong>in</strong> jedem Esperantisten e<strong>in</strong>en Repräsentanten der DDR. So wie der e<strong>in</strong>zelne DDR-Esperantist<br />

auftritt, so wie er s<strong>ch</strong>reibt und <strong>in</strong>formiert, so wird die DDR bei se<strong>in</strong>em ausländis<strong>ch</strong>en Briefpartner<br />

e<strong>in</strong>ges<strong>ch</strong>ätzt. Jeder Esperantist muss si<strong>ch</strong> darüber im klaren se<strong>in</strong>, dass se<strong>in</strong>e überzeugende<br />

Ausstrahlung und Wirkung auf se<strong>in</strong>e Briefpartner – und das gilt au<strong>ch</strong> für se<strong>in</strong> Auftreten <strong>in</strong> der<br />

Republik, was leider oft vergessen wird – <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> nur auf Kenntnissen und Wissen beruht, sondern dass<br />

si<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>e positive Auswirkung aus dem <strong>ganz</strong>en Verhalten und dem Gesamte<strong>in</strong>druck se<strong>in</strong>er<br />

Persönli<strong>ch</strong>keit ableitet und somit zu e<strong>in</strong>er positiven Me<strong>in</strong>ungsbildung anregt. (...) Dur<strong>ch</strong> unsere<br />

geme<strong>in</strong>same Arbeit müssen wir e<strong>in</strong> sol<strong>ch</strong>es Bild von der DDR bei den ausländis<strong>ch</strong>en Esperantisten<br />

s<strong>ch</strong>affen, wie es der realen positiven Wirkli<strong>ch</strong>keit entspri<strong>ch</strong>t. Denn e<strong>in</strong> sol<strong>ch</strong>es Bild ist die wi<strong>ch</strong>tigste<br />

und bestmögli<strong>ch</strong>ste Form, den E<strong>in</strong>fluss der westdeuts<strong>ch</strong>en imperialistis<strong>ch</strong>en Propaganda und deren<br />

Alle<strong>in</strong>vertretungsanmassung wirksam zurückzudrängen.“ Die entspre<strong>ch</strong>ende Antwort auf ihre<br />

anmassende Haltung gegenüber den DDR-Esperantisten s<strong>ch</strong>ienen die „Bundesfreunde“ des ZAKE<br />

aber bereits erhalten zu haben, <strong>in</strong>dem man si<strong>ch</strong> <strong>in</strong> dem folgenden Satz selbst verraten zu haben s<strong>ch</strong>ien:<br />

„E<strong>in</strong> Mangel, den es zu beheben gilt, ist die fehlende Aktivität vieler Gruppen und Interesselosigkeit<br />

man<strong>ch</strong>er Esperantisten an unserer Arbeit im Deuts<strong>ch</strong>en Kulturbund.“ Die zu vermutenden Gründe<br />

bezei<strong>ch</strong>nende Überwa<strong>ch</strong>ungsvorgänge und Hunderttausende von willkürli<strong>ch</strong>en Verhaftungen begleiteten den DDR-Alltag (s.<br />

H. Knabe: Sie L<strong>in</strong>ke. List 2010, S. 63). Dies dürfte si<strong>ch</strong> hemmend auf die DDR-Briefkorrespondenz ausgewirkt haben. In der<br />

esperantist 5/1981 war die Rede von etwa 15’000 <strong>in</strong>ternationalen Korrespondenzbeziehungen der DDR-Esperantisten <strong>in</strong> über<br />

50 Ländern, wobei 80% mit dem sozialistis<strong>ch</strong>en Ausland abgewickelt worden sei. Was genau unter dieser Zahl zu verstehen<br />

war, wurde <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> erläutert. Es hiess: „Mehr Augenmerk sollte <strong>in</strong> Zukunft aber der politis<strong>ch</strong>-ideologis<strong>ch</strong>en Anleitung und<br />

Auswertung dieser <strong>in</strong>dividuellen Korrespondenz (...) ges<strong>ch</strong>enkt werden. (Literaturtipp: Gieseke, J.: Die Stasi 1945–1990.<br />

Mün<strong>ch</strong>en 2011.)<br />

19


dieser Interesselosigkeit wurden von Graetz wie folgt <strong>ch</strong>arakterisiert: „Die Gründe s<strong>in</strong>d sehr<br />

unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>. E<strong>in</strong>er der Gründe ist si<strong>ch</strong>er die z.T. no<strong>ch</strong> ungenügende Anziehungskraft <strong>in</strong> der<br />

Tätigkeit vieler Gruppen, ihre Isolierung von den <strong>in</strong>teressanten Problemen der gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

Umwelt, zu deren Lösung sie beitragen könnten.“ 43<br />

Im Len<strong>in</strong>jahr 1970 (<strong>in</strong> dem si<strong>ch</strong> die Befreiung Deuts<strong>ch</strong>lands vom Fas<strong>ch</strong>ismus dur<strong>ch</strong> die Rote<br />

Armee zum 25. Male jährte) wollte Graetz, der die hö<strong>ch</strong>ste Auszei<strong>ch</strong>nung des Kulturbundes, die<br />

‚Johannes-R.-Be<strong>ch</strong>er-Medaille <strong>in</strong> Gold’ 44 erhielt, „es <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> bei formalen Len<strong>in</strong>würdigungen bewenden<br />

lassen, sondern uns se<strong>in</strong>e Lehren zu eigen ma<strong>ch</strong>en.“ Freili<strong>ch</strong> wurde Len<strong>in</strong> als Apostel des Friedens<br />

dargestellt. E<strong>in</strong>e kritis<strong>ch</strong>e Ause<strong>in</strong>andersetzung mit dieser historis<strong>ch</strong>en Figur fehlte komplett. <strong>Der</strong><br />

bereits erwähnte Semjon Podkam<strong>in</strong>er bemühte si<strong>ch</strong> aber <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ausführli<strong>ch</strong>en Artikel immerh<strong>in</strong>,<br />

Behauptungen und Spekulationen, die vor e<strong>in</strong>iger Zeit von e<strong>in</strong>em gewissen Ints Čače <strong>in</strong> die Welt<br />

gesetzt worden, Len<strong>in</strong> habe <strong>Esperanto</strong> gekannt und sei e<strong>in</strong> Anhänger desselben gewesen, mit<br />

glaubwürdigen Dokumenten aus sowjetis<strong>ch</strong>en Ar<strong>ch</strong>iven zu widerlegen, um e<strong>in</strong> für allemal Klarheit zu<br />

dieser pe<strong>in</strong>li<strong>ch</strong>en Diskussion zu s<strong>ch</strong>affen. Die Mitglieder des ZAKE und andere 45 wurden für ihre<br />

„gute Arbeit mit Grafiken und Kunstbänden ausgezei<strong>ch</strong>net“. Die Vorsitzenden der<br />

Bezirksarbeitskreise wurden ex officio als Mitglieder des ZAKE bestätigt und folgende Esperantisten<br />

als Mitglieder dieses Gremiums kooptiert: Dr. Till Dahlenburg (S<strong>ch</strong>wer<strong>in</strong>), Mitglied des Nationalrates<br />

des DKB, Hans He<strong>in</strong>el (Karl-Marx-Stadt), Diplomphilosoph, und Eri<strong>ch</strong>-Dieter Krause (Leipzig),<br />

Diplomphilologe.<br />

Die Verbesserung der Beziehungen zwis<strong>ch</strong>en der DDR und der von Deuts<strong>ch</strong>en ziemli<strong>ch</strong><br />

ungeliebten Volksrepublik Polen widerspiegelte si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> auf den Seiten von der esperantist<br />

dah<strong>in</strong>gehend, dass <strong>in</strong> den 70er Jahren öfters über <strong>Esperanto</strong>-Aktivitäten <strong>in</strong> Polen beri<strong>ch</strong>tet wurde. So<br />

führte die Polnis<strong>ch</strong>e <strong>Esperanto</strong>-Vere<strong>in</strong>igung aus Anlass des 20. jährigen Bestehens der DDR mit dem<br />

Kulturzentrum der DDR <strong>in</strong> Wars<strong>ch</strong>au e<strong>in</strong>e Festveranstaltung dur<strong>ch</strong>, die der Vertiefung der deuts<strong>ch</strong>polnis<strong>ch</strong>en<br />

Freunds<strong>ch</strong>aft dienen sollte und von 150 Personen besu<strong>ch</strong>t wurde. Rudi Graetz, das Haupt<br />

der DDR-Esperantisten, erwies si<strong>ch</strong> solidaris<strong>ch</strong> mit den polnis<strong>ch</strong>en Esperantisten, mit denen er<br />

persönli<strong>ch</strong> vielfältige Beziehungen und Aktivitäten unterhalten haben wollte, vom geme<strong>in</strong>samen Hass<br />

gegen den Hitlerfas<strong>ch</strong>ismus bis zur Dur<strong>ch</strong>führung kommunistis<strong>ch</strong>er Propaganda. Er habe sogar eigens<br />

e<strong>in</strong>en Dänen verraten, um e<strong>in</strong>en Polen zu retten, s<strong>ch</strong>rieb er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Artikel. Als gute Freunde hätten<br />

deuts<strong>ch</strong>e und polnis<strong>ch</strong>e Kameraden für das Wohl ihrer sozialistis<strong>ch</strong>en Länder gearbeitet. Zum Glück<br />

gäbe es ke<strong>in</strong>e Grossgrundbesitzer mehr, die polnis<strong>ch</strong>e oder deuts<strong>ch</strong>e Feldarbeiter ausbeuten könnten.<br />

An e<strong>in</strong>er anderen <strong>in</strong> Poznań dur<strong>ch</strong>geführten <strong>Esperanto</strong>-Veranstaltung, an der vor allem S<strong>ch</strong>üler e<strong>in</strong>er<br />

Obers<strong>ch</strong>ule teilnahmen, sollen sogar Themen wie die Bed<strong>in</strong>gungen für die Wiedervere<strong>in</strong>igung<br />

Deuts<strong>ch</strong>lands und den Arbeitskräftemangel <strong>in</strong> der DDR angespro<strong>ch</strong>en worden se<strong>in</strong>.<br />

Mitte 1970 übernahm D. Blanke den Posten des verantwortli<strong>ch</strong>en Redakteurs von der<br />

esperantist. Es wird u.a. die Aufgabe des folgenden Teils der Analyse se<strong>in</strong>, die Entwicklungen des<br />

Redaktionsstils des Blattes unter se<strong>in</strong>er Ägide herauszuarbeiten.<br />

Aber au<strong>ch</strong> unter dem neuen verantwortli<strong>ch</strong>en (Chef-)Redakteur D. Blanke, der nun an die<br />

vorderste Front der offiziellen DDR-<strong>Esperanto</strong>bewegung gerückt war, wurde der psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e<br />

Druck gegen Esperantisten, die si<strong>ch</strong> dem ZAKE <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> unterwerfen wollten, fortgesetzt, ja die<br />

ideologis<strong>ch</strong>e Diszipl<strong>in</strong> wurde für verb<strong>in</strong>dli<strong>ch</strong> erklärt und rhetoris<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>ärft. So hiess es <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em offiziellen Beri<strong>ch</strong>t (alles war offiziell) über das 1. Zentrale Treffen der Esperantisten des DKB<br />

im September 1970 <strong>in</strong> Karl-Marx-Stadt auf <strong>Esperanto</strong> anderem: „Es folgte e<strong>in</strong>e Diskussion, während<br />

Hans He<strong>in</strong>el (Oederan) klar und pr<strong>in</strong>zipiell unterstri<strong>ch</strong>, dass nur e<strong>in</strong> Bürger, der si<strong>ch</strong> <strong>in</strong>tim mit dem<br />

gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Leben se<strong>in</strong>er Republik verb<strong>in</strong>det und dort Erfolg hat und A<strong>ch</strong>tung geniesst, nützli<strong>ch</strong><br />

und effizient <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>Esperanto</strong>-Gruppe arbeiten kann. Phantasten und unrealistis<strong>ch</strong>e komis<strong>ch</strong>e Käuze<br />

(Esp. fantaziuloj kaj nerealismaj stranguloj), wie sie zum Glück wenige s<strong>in</strong>d, errei<strong>ch</strong>en nur das<br />

Gegenteil des Bezweckten und unters<strong>ch</strong>ätzen die grosse Verantwortung, die jeder e<strong>in</strong>zelne Esperantist<br />

43 Nun, die <strong>Esperanto</strong>-Organisationen <strong>in</strong> anderen Ländern der Welt s<strong>ch</strong>ienen unter ähnli<strong>ch</strong>en Problemen zu leiden, da e<strong>in</strong><br />

massenhafter Ans<strong>ch</strong>luss der Bevölkerung an die <strong>Esperanto</strong>-Bewegung <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> stattfand.<br />

44 S. http://de.wikipedia.org/wiki/Johannes-R.-Be<strong>ch</strong>er-Preis. Au<strong>ch</strong> Ausländer konnten den Preis erhalten, so 1979 der<br />

renommierte bulgaris<strong>ch</strong>e Esperantist Nikola Aleksiev.<br />

45 Dies waren Otto Bässler, Detlev Blanke, Hans Ei<strong>ch</strong>horn, Viktor Falkenhahn, Rudolf Hahlbohm, Raimund Knapp, Eugen<br />

Menger, Werner Plate, Ri<strong>ch</strong>ard Rabenalt, Walter Röhner, Peter Ruff, Ernst S<strong>ch</strong>onert, Ludwig S<strong>ch</strong>ödl, Willy Vildebrand, und<br />

Willy Zimmermann.<br />

20


vor se<strong>in</strong>em Staat, der DDR, wahrnimmt“. Diese Haltung wurde vor allem von Graetz und Blanke<br />

e<strong>in</strong>genommen. Wer konkret <strong>in</strong> die Kategorie von Phantasten und komis<strong>ch</strong>en Käuzen fiel ist<br />

unbekannt, und es dürfte wohl alle<strong>in</strong> den Funktionären des ZAKE vorenthalten geblieben se<strong>in</strong>, die<br />

Zugehörigkeit von Mens<strong>ch</strong>en zu dieser Kategorie zu def<strong>in</strong>ieren, sie <strong>in</strong>s Visier zu nehmen und gegen<br />

sie Druck auszuüben.<br />

<strong>Der</strong> Redaktionsstil des Jahres 1971 verhiess zwar e<strong>in</strong>e lei<strong>ch</strong>te Ents<strong>ch</strong>ärfung des offenen<br />

politis<strong>ch</strong>en Tons etwa der Bundesrepublik gegenüber, glei<strong>ch</strong>zeitig bedeutete er e<strong>in</strong>en herben Rückfall<br />

<strong>in</strong> die absolute Banalität. Die traditionelle Term<strong>in</strong>ologie des „westdeuts<strong>ch</strong>en Imperialismus“ bei<br />

glei<strong>ch</strong>zeitiger „Vertiefung der Freunds<strong>ch</strong>aft mit der SU“ blieb dem Blatt jedo<strong>ch</strong> weiterh<strong>in</strong> erhalten.<br />

<strong>Der</strong> Protest gegen den Vietnamkrieg war <strong>in</strong>zwis<strong>ch</strong>en etwas verblasst – es war jetzt von den „Völkern<br />

Indo<strong>ch</strong><strong>in</strong>as“ und verstärkt von der „deuts<strong>ch</strong>-vietnamesis<strong>ch</strong>en Freunds<strong>ch</strong>aft“ die Rede.<br />

Als Hauptziel des Informationsblattes wurde na<strong>ch</strong> wie vor die „Führung und Reifung der<br />

politis<strong>ch</strong>-ideologis<strong>ch</strong>en und fa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Tätigkeit der DDR-Esperantisten“ auf „marxistis<strong>ch</strong>len<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>er<br />

Grundlage“ genannt. der esperantist sei ke<strong>in</strong> „Kursmaterial“ und man widme si<strong>ch</strong><br />

ke<strong>in</strong>en „utopis<strong>ch</strong>en Ideen“, sondern den „Hauptaufgaben, die die sozialistis<strong>ch</strong>e Gesells<strong>ch</strong>aft mit si<strong>ch</strong><br />

br<strong>in</strong>ge“ (Esp. frontas). Die (Selbst-)„Isolierung“ im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er „grünen Familie“ sei „<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mögli<strong>ch</strong>“.<br />

Zweierlei Politik, e<strong>in</strong>e staatli<strong>ch</strong>e und e<strong>in</strong>e das <strong>Esperanto</strong> betreffend, gäbe es <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>. <strong>Der</strong> das <strong>Esperanto</strong><br />

selbst betreffende Inhalt des Jahres 1971 bes<strong>ch</strong>ränkte si<strong>ch</strong> neben Meldungen über wi<strong>ch</strong>tigere<br />

<strong>Esperanto</strong>-Ereignisse (Treffen, Neuers<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>ungen) auf Auszüge aus Wörterbü<strong>ch</strong>ern, auf monotone<br />

und <strong>in</strong>haltslose ZAKE-Beri<strong>ch</strong>te, den Abdruck der DDR-Nationalhymne auf <strong>Esperanto</strong> und auf e<strong>in</strong>ige<br />

Todesmeldungen (es starben Eugen Menger und Evgenij Bokarjov). Au<strong>ch</strong> auf den E<strong>in</strong>bezug der<br />

Philatelie wurde Wert gelegt. Man musste zwis<strong>ch</strong>en den Zeilen lesen, um etwas von Interesse und<br />

Belang herauszubekommen. Am lesenswertesten waren viellei<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong> die Reiseberi<strong>ch</strong>te. Kritisiert<br />

wurden neben den E<strong>in</strong>zelgängern au<strong>ch</strong> diejenigen Esperantisten, die den „Wert der wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

Arbeit <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>“ zu s<strong>ch</strong>ätzen verstünden. <strong>Der</strong> Tonfall wurde bewusst ziemli<strong>ch</strong> autoritär gehalten,<br />

Aufheiterung gab es kaum, der gesamte Inhalt war streng offiziell und fur<strong>ch</strong>tbar öde und trocken<br />

verfasst, Kritik, oder e<strong>in</strong>e Diskussion fand <strong>in</strong> dem hauseigenen Blatt <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> statt, ‚oppositionelle’<br />

Me<strong>in</strong>ungen kamen <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> zu Wort. 46 Dies musste auf viele <strong>Esperanto</strong>freunde abs<strong>ch</strong>reckend wirken.<br />

In ideologis<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>seitigen Tönen wurde des 100. Geburtstags von He<strong>in</strong>ri<strong>ch</strong> Mann (+1950)<br />

geda<strong>ch</strong>t. Er sei der „s<strong>ch</strong>ärfste Kritiker des militaristis<strong>ch</strong>en Deuts<strong>ch</strong>en Rei<strong>ch</strong>s“ gewesen. „Ke<strong>in</strong> anderer<br />

deuts<strong>ch</strong>er S<strong>ch</strong>riftsteller“ habe „die Entwicklung des deuts<strong>ch</strong>en Untertanen, der vom preussis<strong>ch</strong>en<br />

Militarismus zum fas<strong>ch</strong>istis<strong>ch</strong>en Unterworfenen dressiert wurde, so beoba<strong>ch</strong>tet und vorausgespürt.“ In<br />

se<strong>in</strong>en Romanen habe er „die Defekte der bürgerli<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aftsordnung gnadenlos aufgezeigt<br />

und das reaktionäre Bürgertum demaskiert und se<strong>in</strong>e heu<strong>ch</strong>leris<strong>ch</strong>e Maske se<strong>in</strong>en Gesi<strong>ch</strong>tern<br />

46 Sogar e<strong>in</strong>e Gruppe kommunistis<strong>ch</strong>er Esperantisten (IKEK), Mitte der 1970er Jahre von älteren, wohl Kom<strong>in</strong>tern-nahen<br />

österrei<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Arbeiter-Esperantisten gegründet, die von ihrer KP unterstützt wurden, wurde <strong>in</strong> der DDR und im Ostblock<br />

unterdrückt. In e<strong>in</strong>em Interview für die KEK-Zeits<strong>ch</strong>rift Internaciisto, <strong>in</strong> dem Redaktor Luis Serano si<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>werte, dass<br />

Blanke das Komunista Esperantista Kolektivo (KEK) <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> unterstützt habe, lieferte Blanke e<strong>in</strong>e bea<strong>ch</strong>tenswerte<br />

Re<strong>ch</strong>tfertigung na<strong>ch</strong>, die glei<strong>ch</strong>zeitig den Konflikt mit dem KEK aufdeckte: Die <strong>Esperanto</strong>-Landessektionen, so au<strong>ch</strong> die<br />

GDREA, seien ke<strong>in</strong>e kommunistis<strong>ch</strong>en Organisationen, sondern seien „offen für alle Tendenzen, die es unter den<br />

Esperantisten“ gab, gewesen. Die „allgeme<strong>in</strong>e politis<strong>ch</strong>e L<strong>in</strong>ie“ der sozialistis<strong>ch</strong>en Länder sei es <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> gewesen, neue<br />

<strong>in</strong>ternationale kommunistis<strong>ch</strong>e Organisationen, also quasi e<strong>in</strong>e neue Kom<strong>in</strong>tern zu unterstützen. Ausserdem seien die<br />

hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Partner die UEA, TEJO und die MEM gewesen. „Wir hatten den starken E<strong>in</strong>druck gehabt, dass das KEK<br />

sehr <strong>in</strong> vergangenen Jahrhunderten lebte, si<strong>ch</strong> leider von der allgeme<strong>in</strong>en <strong>Esperanto</strong>-Bewegung isolierte und sehr<br />

vere<strong>in</strong>fa<strong>ch</strong>te ‚kommunistis<strong>ch</strong>e’ Standpunkte vertrat. <strong>Der</strong> Inhalt und das äussere Niveau des Internaciisto hatte me<strong>in</strong>en<br />

E<strong>in</strong>druck bestätigt. Wenn wir KEK-Sektionen gegründet hätten, hätten wir au<strong>ch</strong> andere politis<strong>ch</strong>e Sektionen gründen müssen.<br />

Und dies wollten wir <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>. Dies s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>ige Gründe.“ Die „e<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>neidenden politis<strong>ch</strong>en Ereignisse <strong>in</strong> den ehemaligen<br />

sozialistis<strong>ch</strong>en Ländern“ zeigten heute klar, dass „unsere Distanz zum KEK gere<strong>ch</strong>tfertigt s<strong>ch</strong>ien“. Denno<strong>ch</strong> habe die<br />

GDREA die Tätigkeit der KEK-Aktivisten „ke<strong>in</strong>eswegs“ beh<strong>in</strong>dert. Wegen der strikten Reisebes<strong>ch</strong>ränkungen habe man<br />

ihnen aber <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> helfen können, an die KEK-Konferenzen <strong>in</strong>s westli<strong>ch</strong>e Ausland zu reisen. E<strong>in</strong>ige Genossen hätten dies<br />

damals <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> verstehen wollen und hätten „uns das Leben ziemli<strong>ch</strong> seltsam ers<strong>ch</strong>wert“. Sie hätten man<strong>ch</strong>mal an das ZK der<br />

Partei ges<strong>ch</strong>rieben und si<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>wert, dass die GDREA politis<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> ri<strong>ch</strong>tig handle usw. Die GDREA habe sogar e<strong>in</strong>e Zeit<br />

lang das Bullet<strong>in</strong> Internaciisto <strong>in</strong> der DDR verteilt, habe dann aber vor allem wegen „te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>er Missstände“, für die die<br />

GDREA <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>s dafür konnte, ihre Vermittlerfunktion e<strong>in</strong>stellen müssen. Im Übrigen habe Blanke persönli<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>ige Genossen<br />

des KEK dur<strong>ch</strong>aus ges<strong>ch</strong>ätzt, au<strong>ch</strong> wenn deren „sloganistis<strong>ch</strong>en Me<strong>in</strong>ungen“ oft <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mit den se<strong>in</strong>en übere<strong>in</strong>gestimmt<br />

hätten.<br />

21


entrissen.“ E<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Auszug aus He<strong>in</strong>ri<strong>ch</strong>s Mann ‚<strong>Der</strong> Untertan’ <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>Esperanto</strong>-Übersetzung<br />

von Karl S<strong>ch</strong>ulze (1910-83) war der Huldigung beigefügt. 47<br />

E<strong>in</strong> Auszug aus e<strong>in</strong>em Referat von Rudi Graetz, der für die weitere ideologis<strong>ch</strong>e Entwicklung<br />

des Esperantismus <strong>in</strong> der DDR für bedeutsam betra<strong>ch</strong>tet werden kann, weckt die Aufmerksamkeit:<br />

„(...) die Tätigkeit der <strong>Esperanto</strong>freunde der DDR im DKB ist fest gegründet auf den<br />

forts<strong>ch</strong>rittli<strong>ch</strong>en Traditionen der deuts<strong>ch</strong>en Arbeiter-<strong>Esperanto</strong>-Bewegung. Diese Traditionen waren<br />

<strong>in</strong>haltli<strong>ch</strong> identis<strong>ch</strong> mit den Zielen der forts<strong>ch</strong>rittli<strong>ch</strong>en Kräfte der deuts<strong>ch</strong>en Arbeiterbewegung, die <strong>in</strong><br />

der KPD und zum Teil <strong>in</strong> der SPD organisiert waren und si<strong>ch</strong> am 21. April 1946 zur SED vere<strong>in</strong>igten.<br />

Um die Lehren aus der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der deuts<strong>ch</strong>en Arbeiter-Bewegung s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong> <strong>in</strong> der Arbeit der<br />

<strong>Esperanto</strong>gruppen des DKB anwenden und e<strong>in</strong>e vielseitige, politis<strong>ch</strong> wirksame und <strong>in</strong>teressante Arbeit<br />

leisten zu können, ist es notwendig, die zwei e<strong>in</strong>ander entgegengesetzten Traditionen <strong>in</strong> der deuts<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Esperanto</strong>-Bewegung wertend gegenüberzustellen:<br />

- die revolutionäre Deuts<strong>ch</strong>e Arbeiter-<strong>Esperanto</strong>-Bewegung (AEB oder GLEA)<br />

- die neutralistis<strong>ch</strong>e bürgerli<strong>ch</strong>e <strong>Esperanto</strong>bewegung, organisiert im Deuts<strong>ch</strong>en <strong>Esperanto</strong>-Bund (DEB<br />

oder GEA) (...)“ Weiter unten hiess es, bezogen auf die Zeit vor dem 1. Weltkrieg: „Bürgerli<strong>ch</strong>e<br />

Esperantisten unterstützten damit die imperialistis<strong>ch</strong>en Interessen der <strong>in</strong> Deuts<strong>ch</strong>land herrs<strong>ch</strong>enden<br />

Klassen und verrieten die Ziele des <strong>Esperanto</strong>. (...)“<br />

Zum Verständnis der Haltung L.L. Zamenhofs fuhr Graetz weiter fort:<br />

„(...) Dr. Zamenhof verfolgte mit der S<strong>ch</strong>affung der <strong>in</strong>ternationalen Spra<strong>ch</strong>e humanistis<strong>ch</strong>e<br />

Ziele. Jedo<strong>ch</strong> konnte er auf Grund se<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>bürgerli<strong>ch</strong>en Umwelt die gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Entwicklung<br />

und die damit verbundene Klassenfrage <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> begreifen. Er musste daher zu e<strong>in</strong>er unri<strong>ch</strong>tigen<br />

philosophis<strong>ch</strong>en E<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>ätzung der gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Triebkräfte kommen. In Unkenntnis der wahren,<br />

die Gesells<strong>ch</strong>aft verändernden Kräfte, kam er zu utopis<strong>ch</strong>en und pazifistis<strong>ch</strong>en Auffassungen und<br />

übertrug dem <strong>Esperanto</strong> e<strong>in</strong>e fals<strong>ch</strong>e gesells<strong>ch</strong>aftsverändernde Funktion. Damit s<strong>ch</strong>uf er die Grundlage<br />

für die pazifistis<strong>ch</strong>-neutralistis<strong>ch</strong>e ideologis<strong>ch</strong>e Haltung breiter Kreise der <strong>in</strong>ternationalen <strong>Esperanto</strong>-<br />

Bewegung. 48 Wir können aber na<strong>ch</strong>weisen, dass Dr. Zamenhof von e<strong>in</strong>em tiefen humanistis<strong>ch</strong>en<br />

47 In dem von e<strong>in</strong>seitiger ideologis<strong>ch</strong>er Verblendung verfassten Artikel von D.B. (wohl Detlev Blanke) wurden e<strong>in</strong>ige Fakten<br />

über He<strong>in</strong>ri<strong>ch</strong> Mann ausgelassen. Zeit se<strong>in</strong>es Lebens im S<strong>ch</strong>atten se<strong>in</strong>es um vier Jahre jüngeren Bruders Thomas Mann<br />

gestanden, liess He<strong>in</strong>ri<strong>ch</strong> Mann se<strong>in</strong>e unbeugsam republikanis<strong>ch</strong>e, l<strong>in</strong>ksdemokratis<strong>ch</strong>e und antifas<strong>ch</strong>istis<strong>ch</strong>e Überzeugung<br />

zwar zum kompromisslosen Verteidiger der Weimarer Republik und zum vehementen Verfe<strong>ch</strong>ter e<strong>in</strong>er Volksfront gegen<br />

Hitler werden. Als ausgebürgerter Exilant und L<strong>in</strong>ker hatten se<strong>in</strong>e Werke es <strong>in</strong> der frühen Bundesrepublik s<strong>ch</strong>wer, überhaupt<br />

verlegt zu werden; <strong>in</strong> der DDR wurden se<strong>in</strong>e Werke zwar gedruckt, wegen se<strong>in</strong>es kosmopolitis<strong>ch</strong>en Demokratieverständnisses<br />

von offizieller Seite aber do<strong>ch</strong> beargwöhnt und <strong>in</strong>sgesamt nur partiell rezipiert. 1940 floh H. Mann <strong>in</strong> die<br />

USA. Dort verstarb er kurz vor se<strong>in</strong>er geplanten Übersiedlung na<strong>ch</strong> Ost-Berl<strong>in</strong>, woh<strong>in</strong> ihn die DDR-Regierung e<strong>in</strong>geladen<br />

hatte, um die Präsidents<strong>ch</strong>aft der neu gegründeten Akademie der Künste zu übernehmen. Se<strong>in</strong>e Urne wurde na<strong>ch</strong> Ost-Berl<strong>in</strong><br />

überführt. <strong>Der</strong> He<strong>in</strong>ri<strong>ch</strong>-Mann-Preis, e<strong>in</strong> Literaturpreis, der seit 1953 von der Akademie der Künste (Berl<strong>in</strong>) jährli<strong>ch</strong><br />

verliehen wird, wurde dann dazu missbrau<strong>ch</strong>t, um vor allem loyale DDR-S<strong>ch</strong>riftstellerInnen auszuzei<strong>ch</strong>nen und dem DDR-<br />

Regime genehme l<strong>in</strong>ke Intellektuelle zu vere<strong>in</strong>nahmen.<br />

48 Dies hatte im Pr<strong>in</strong>zip bereits der Sowjetkommunist E.K. Drezen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Analyse über L.L. Zamenhof (1929) ges<strong>ch</strong>rieben,<br />

<strong>in</strong> der er den Homaranismus s<strong>ch</strong>arf ablehnte, während die Spra<strong>ch</strong>e <strong>Esperanto</strong> von ihm glei<strong>ch</strong>zeitig gerühmt wurde. E<strong>in</strong>en<br />

ausführli<strong>ch</strong>en Grundsatzartikel über ‚Ideologis<strong>ch</strong>e Konzepte L.L. Zamenhofs’ liess Graetz <strong>in</strong> der MEM-Zeits<strong>ch</strong>rift Paco<br />

(DDR-Ausgabe 1971, Chefredaktor: D. Blanke) veröffentli<strong>ch</strong>en. Dar<strong>in</strong> wiederholte er Drezens Vorwürfe an Zamenhof,<br />

dieser habe die Rolle der Spra<strong>ch</strong>e übers<strong>ch</strong>ätzt, sei bei der Ers<strong>ch</strong>affung des <strong>Esperanto</strong> von (kle<strong>in</strong>)bürgerli<strong>ch</strong>en Prämissen<br />

ausgegangen und habe den Klassen<strong>ch</strong>arakter der politis<strong>ch</strong>en und sozialen Probleme <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> erkannt oder übersehen. Aus dieser<br />

Zeit stamme au<strong>ch</strong> die Übers<strong>ch</strong>ätzung des <strong>Esperanto</strong> als Mittel der humanistis<strong>ch</strong>en Bildung, des Pazifismus und der<br />

Weltverbrüderung. <strong>Der</strong> Zamenhofkult sei auf der Grundlage von <strong>in</strong>nerer Idee, kosmopolitis<strong>ch</strong>er Konzepten, <strong>in</strong>ternationaler<br />

Verbrüderung und Ideen zur Verh<strong>in</strong>derung von Kriegen entstanden. Eigentli<strong>ch</strong> sei der bürgerli<strong>ch</strong>e Humanismus, der<br />

Zionismus, die Religiosität und die Übers<strong>ch</strong>ätzung der Rolle der Spra<strong>ch</strong>e <strong>in</strong> der Gesells<strong>ch</strong>aft, was Zamenhof mit der<br />

idealistis<strong>ch</strong>en Ideologie vermengt habe, s<strong>ch</strong>uld an den fals<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>lussfolgerungen Zamenhofs. Zamenhof habe die<br />

wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Faktoren der Klassengesells<strong>ch</strong>aft <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> erkannt und au<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> begriffen, dass die Ma<strong>ch</strong>tpolitik der damals<br />

Herrs<strong>ch</strong>enden die wahren Gründe für den Chauv<strong>in</strong>ismus gewesen seien. Er habe ke<strong>in</strong>en Kontakt mit Marxisten gehabt und<br />

als er <strong>in</strong> Amerika gewesen war, sei er vom Charme der dortigen Zivilisation verzaubert worden, habe aber vergessen, dass<br />

dort Millionen von S<strong>ch</strong>warzen verfolgt und ausgebeutet würden. Es sei e<strong>in</strong> Fehler Zamenhofs gewesen, zu glauben, dass der<br />

Völkerhass dur<strong>ch</strong> ‚e<strong>in</strong>e Spra<strong>ch</strong>e’ und ‚e<strong>in</strong>e Religion’ beseitigt werden könne. Nur die Aufhebung der Klassengesells<strong>ch</strong>aft und<br />

die Umwandlung dieser Gesells<strong>ch</strong>aft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e klassenlose Gesells<strong>ch</strong>aft würde aber den Völkerhass aufheben. Denno<strong>ch</strong> wurden<br />

die humanistis<strong>ch</strong>en Anliegen Zamenhof von Graetz anerkannt. In e<strong>in</strong>em Abs<strong>ch</strong>nitt se<strong>in</strong>er Doktr<strong>in</strong> habe er sogar die sozialen<br />

Klassen erwähnt. Da Zamenhof aber aus se<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>bürgerli<strong>ch</strong>en Haltung heraus fals<strong>ch</strong>e philosophis<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>lüsse gezogen<br />

habe und so zu utopis<strong>ch</strong>en und pazifistis<strong>ch</strong>en Me<strong>in</strong>ungen gelangt sei, habe er dem <strong>Esperanto</strong> e<strong>in</strong>e fals<strong>ch</strong>e<br />

gesells<strong>ch</strong>aftsverändernde Funktion gegeben. Damit habe er breiten Kreisen der <strong>in</strong>ternationalen <strong>Esperanto</strong>-Bewegung das<br />

Fundament für e<strong>in</strong>e pazifistis<strong>ch</strong>e, neutralistis<strong>ch</strong>e ideologis<strong>ch</strong>e Haltung ermögli<strong>ch</strong>t. Dies s<strong>ch</strong>mälere aber se<strong>in</strong>e Verdienste<br />

22


Anliegen geleitet war und dass er si<strong>ch</strong> oft für den mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Forts<strong>ch</strong>ritt engagierte... Wir wissen,<br />

dass Zamenhofs humanistis<strong>ch</strong>es Anliegen erst unter den Bed<strong>in</strong>gungen der sozialistis<strong>ch</strong>en<br />

Gesells<strong>ch</strong>aftsordnung verwirkli<strong>ch</strong>t werden kann. Wir kennen die wahren Ursa<strong>ch</strong>en der<br />

gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Entwicklung. 49 In Kenntnis der historis<strong>ch</strong>en Gesetzmässigkeiten und der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

der <strong>Esperanto</strong>bewegung können wir feststellen: „Die <strong>in</strong>ternationale und nationale <strong>Esperanto</strong>-<br />

Bewegung, sowohl <strong>in</strong> Vergangenheit als au<strong>ch</strong> <strong>in</strong> Gegenwart, spiegelt die realen gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

Kräfte und politis<strong>ch</strong>en Grundideen der jeweiligen historis<strong>ch</strong>en Epo<strong>ch</strong>e wider. <strong>Esperanto</strong> als Spra<strong>ch</strong>e<br />

ist selbst ke<strong>in</strong>e Ideologie, es dient aber den jeweiligen historis<strong>ch</strong>en Zielen der Spre<strong>ch</strong>er. Somit vertritt<br />

jeder Esperantist e<strong>in</strong>e konkrete Ideologie. Die vers<strong>ch</strong>iedenen gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Kräfte haben das<br />

<strong>Esperanto</strong>, ob es den Esperantisten immer bewusst war oder <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>, jeweils für ihre Klassenziele<br />

e<strong>in</strong>gesetzt...“ In diesem Zusammenhang wurde erneut der „fals<strong>ch</strong>e Neutralismus“ der <strong>Esperanto</strong>-<br />

Bewegung und <strong>in</strong>sgesamt die ‚bürgerli<strong>ch</strong>e’ <strong>Esperanto</strong>-Bewegung des Westens kritisiert, deren<br />

„nebulöses Konzept des ‚f<strong>in</strong>a venko’“ des <strong>Esperanto</strong> 50 e<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> der „grünen Fahnen und des<br />

Hymnengesangs“ als „unseriöse Tätigkeiten“ verhöhnt und abgewiesen wurden.<br />

Im Weiteren befasste si<strong>ch</strong> Graetz’ Referat mit der „profas<strong>ch</strong>istis<strong>ch</strong>en Haltung der bürgerli<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Esperanto</strong>-Bewegung während der Hitlerzeit“ und zählte alle Untaten des DEB auf, die er während<br />

dieser Zeit der Glei<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>altung begangen haben soll. 51 Na<strong>ch</strong> Graetz wurden <strong>in</strong> der DDR „au<strong>ch</strong> auf<br />

dem Gebiet der <strong>Esperanto</strong>-Arbeit aus der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te die ri<strong>ch</strong>tigen Lehren gezogen. <strong>Der</strong> Zentrale<br />

Arbeitskreis <strong>Esperanto</strong> der DDR im DKB und alle ihm na<strong>ch</strong>geordneten Leitungsgremien der<br />

Esperantisten arbeiten auf der Grundlage von Ri<strong>ch</strong>tl<strong>in</strong>ien und Bes<strong>ch</strong>lüssen, die die forts<strong>ch</strong>rittli<strong>ch</strong>en<br />

<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>. In diesen <strong>ganz</strong>en Zusammenhang setzte Graetz dann die bekanntli<strong>ch</strong> und hö<strong>ch</strong>st zweifelhafte These Len<strong>in</strong>s, die wahre<br />

Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung der Nationen und Spra<strong>ch</strong>en sei nur <strong>in</strong> der Sowjetunion und <strong>in</strong> den sozialistis<strong>ch</strong>en Ländern verwirkli<strong>ch</strong>t<br />

worden. Mit diesem Artikel dokumentierte Graetz e<strong>in</strong>mal mehr, dass die Kommunisten <strong>in</strong> Bezug auf <strong>Esperanto</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Dilemma, e<strong>in</strong>er Sackgasse steckten, aus der herauszukommen es praktis<strong>ch</strong> unmögli<strong>ch</strong> war. Denn ausser die angebli<strong>ch</strong><br />

utopistis<strong>ch</strong>e und pazifistis<strong>ch</strong>e Haltung <strong>in</strong>ternationaler pazifistis<strong>ch</strong>er (d.h. westli<strong>ch</strong>er) <strong>Esperanto</strong>-Kreise (v.a. der UEA)<br />

anzugreifen, wussten die Ostblock-kommunistis<strong>ch</strong>en Esperantisten <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> so re<strong>ch</strong>t, was sie mit <strong>Esperanto</strong> eigentli<strong>ch</strong> anfangen<br />

sollten, denn es war ja auf dem Mist e<strong>in</strong>er (kle<strong>in</strong>)bürgerli<strong>ch</strong>e Ideologie gewa<strong>ch</strong>sen (was s<strong>ch</strong>lussendli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> e<strong>in</strong> Problem für<br />

die Akzeptanz der Spra<strong>ch</strong>e selbst se<strong>in</strong> musste). <strong>Der</strong> an si<strong>ch</strong> lesenswerte Artikel von Rudi Graetz, der si<strong>ch</strong> paradoxerweise ja<br />

selbst für e<strong>in</strong>en Pazifisten hielt, endete dann <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er s<strong>ch</strong>wammigen Erklärung, wie sie mit den übli<strong>ch</strong>en unbewiesenen, aber<br />

verb<strong>in</strong>dli<strong>ch</strong>en (und ziemli<strong>ch</strong> zusammenhangslosen) Behauptungen für dogmatis<strong>ch</strong>e Kommunisten typis<strong>ch</strong> war: „In Kenntnis<br />

der ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Gesetze und der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der <strong>Esperanto</strong>-Bewegung können wir feststellen, dass die <strong>in</strong>ternationale und<br />

nationale <strong>Esperanto</strong>-Bewegung sowohl <strong>in</strong> der Vergangenheit wie au<strong>ch</strong> <strong>in</strong> der Gegenwart die realen gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Kräfte<br />

und die politis<strong>ch</strong>en fundamentalen Ideen der entspre<strong>ch</strong>enden historis<strong>ch</strong>en Epo<strong>ch</strong>e widerspiegelt. <strong>Esperanto</strong> ist als Spra<strong>ch</strong>e<br />

selbst ke<strong>in</strong>e Ideologie. Aber es dient den entspre<strong>ch</strong>enden ideologis<strong>ch</strong>en Zielen des Spre<strong>ch</strong>ers. Deshalb vertritt jeder<br />

Esperantist e<strong>in</strong>e konkrete Ideologie. Die vers<strong>ch</strong>iedenen gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Kräfte benutzten und benutzen <strong>Esperanto</strong> für ihre<br />

Klassenziele, egal ob dies den Esperantisten bewusst ist oder <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>.“ Dieses zweifelhafte Gedankengut s<strong>ch</strong>ien dann au<strong>ch</strong> die<br />

Grundlage für die Haltung D. Blankes gegenüber Zamenhof zu bilden, wobei er diese Ansi<strong>ch</strong>ten na<strong>ch</strong> eigenem Guste<br />

formuliert <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e ‚wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en’ Arbeiten e<strong>in</strong>baute und vor allem gegen die ‚<strong>in</strong>terna ideo’ polemisierte. Na<strong>ch</strong> 1989/90<br />

verzi<strong>ch</strong>tete er jedo<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>lagartig auf jedwede ideologis<strong>ch</strong>e Ausstattung im ehemaligen DDR-Stil und distanzierte si<strong>ch</strong> von<br />

der DDR-Ideologie und von marxistis<strong>ch</strong>en Leitsätzen. <strong>Der</strong> Versu<strong>ch</strong> der Ostblock-Esperantisten, Zamenhof, <strong>Esperanto</strong> und<br />

die Interl<strong>in</strong>guistik <strong>in</strong> e<strong>in</strong> ‚marxistis<strong>ch</strong>-len<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>es’ Korsett h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zuzwängen, s<strong>ch</strong>eiterte klägli<strong>ch</strong>, und es blieb zu<br />

kommunistis<strong>ch</strong>en Zeiten nur die ideologis<strong>ch</strong> verdrehte Friedenspropaganda der Moskau-hörigen Regimes übrig, die au<strong>ch</strong> die<br />

<strong>Esperanto</strong>-Verbände des Ostblocks bl<strong>in</strong>d adoptierten und die na<strong>ch</strong> der Wende h<strong>in</strong>fällig wurde. L.L. Zamenhof, der die<br />

ideologis<strong>ch</strong>en Debatten und Kämpfe se<strong>in</strong>er Zeit dur<strong>ch</strong> die Presse zweifellos verfolgt und den wa<strong>ch</strong>senden E<strong>in</strong>fluss des<br />

Marxismus und L<strong>in</strong>ken bestimmt zur Kenntnis genommen hatte, g<strong>in</strong>g es bei der S<strong>ch</strong>affung des <strong>Esperanto</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> um die<br />

Klassenfrage, sondern um das Problem der Konflikte, die zwis<strong>ch</strong>en den Ethnien aus spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en und religiösen Gründen<br />

entstehen. Zweitens befasste si<strong>ch</strong> L.L. Zamenhof mit der Judenfrage und dem Zionismus. Dies alles wurde von den<br />

kommunistis<strong>ch</strong>en Esperantisten ausgeblendet, missa<strong>ch</strong>tet und ignoriert, ideologis<strong>ch</strong> verdreht und fals<strong>ch</strong> <strong>in</strong>terpretiert. Ob sie –<br />

zum<strong>in</strong>dest die opportunistis<strong>ch</strong>e Generation von D. Blanke (der die Faktenlage gut kannte) – an das au<strong>ch</strong> glaubten, was sie<br />

sagten und s<strong>ch</strong>rieben, lässt si<strong>ch</strong> heute mangels glaubwürdiger Aussagen wohl kaum mehr na<strong>ch</strong>weisen. Die ehemaligen<br />

kommunistis<strong>ch</strong>en Fanatiker s<strong>in</strong>d weitgehend verstummt. Versu<strong>ch</strong>e, die Biographie Zamenhofs unter jüdis<strong>ch</strong>en Aspekten<br />

objektiv zure<strong>ch</strong>tzurücken, werden <strong>in</strong> der (weitgehend l<strong>in</strong>ksgeri<strong>ch</strong>teten) <strong>Esperanto</strong>-Bewegung (vor allem von deuts<strong>ch</strong>er Seite)<br />

aber au<strong>ch</strong> heute no<strong>ch</strong> <strong>in</strong> Bu<strong>ch</strong>rezensionen mit Skepsis betra<strong>ch</strong>tet oder sogar hartnäckig bekämpft.<br />

49 Dies und die Plausibilität des vorangegangenen Satzes darf bezweifelt werden.<br />

50 Dt. ‚Endsieg’ des <strong>Esperanto</strong>, d.h. der Zustand, wenn diese Spra<strong>ch</strong>e überall auf der Welt e<strong>in</strong>geführt se<strong>in</strong> wird. Die grüne<br />

Fahne ist das Abzei<strong>ch</strong>en der <strong>Esperanto</strong>-Bewegung, mit Hymnengesang war die Zamenhof-Hymne ‚La Espero’ geme<strong>in</strong>t, die<br />

<strong>in</strong> fester Tradition jeweils an <strong>Esperanto</strong>-Weltkongressen abgespielt und gesungen wird.<br />

51 I<strong>ch</strong> gehe hier <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> auf die Zeit des Nationalsozialismus e<strong>in</strong>. Es ist ri<strong>ch</strong>tig, das die Deuts<strong>ch</strong>e <strong>Esperanto</strong>-Bewegung 1933<br />

glei<strong>ch</strong>ges<strong>ch</strong>altet wurde und si<strong>ch</strong> entspre<strong>ch</strong>end verhielt. Darüber wurde bereits ges<strong>ch</strong>rieben. Die entspre<strong>ch</strong>enden Materialien<br />

können auf den Webseiten der Österrei<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Nationalbibliothek (Sammlung <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>) e<strong>in</strong>gesehen werden, so etwa<br />

die Ausgaben des Germana Esperantisto des Jahrs 1933.<br />

23


Traditionen der Arbeiter-<strong>Esperanto</strong>-Bewegung Deuts<strong>ch</strong>lands fortführen und für die heutigen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen zur Stärkung der Republik und zur breiteren Nutzung des <strong>Esperanto</strong> s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong><br />

anwenden. Erstmalig <strong>in</strong> der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der deuts<strong>ch</strong>en <strong>Esperanto</strong>-Bewegung wurden somit die<br />

Interessen der Gesells<strong>ch</strong>aft mit den persönli<strong>ch</strong>en Interessen der Esperantisten <strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung<br />

gebra<strong>ch</strong>t. Die Esperantisten der DDR arbeiten zum Wohle ihrer Republik und beteiligen si<strong>ch</strong> aktiv am<br />

antiimperialistis<strong>ch</strong>en Kampf. Sie arbeiten auf der Grundlage der Pr<strong>in</strong>zipien des Marxismus-<br />

Len<strong>in</strong>ismus, des sozialistis<strong>ch</strong>en Internationalismus und der Weltfriedensbewegung,“ hiess es.<br />

1971 war au<strong>ch</strong> das denkwürdige Jahr, <strong>in</strong> dem der alte Ulbri<strong>ch</strong>t zum Rücktritt als SED-Chef<br />

gezwungen und se<strong>in</strong> S<strong>ch</strong>ützl<strong>in</strong>g und Kronpr<strong>in</strong>z Eri<strong>ch</strong> Honecker (*1912), die graue Maus und<br />

<strong>in</strong>tellektuelle Nullnummer <strong>in</strong> Ulbri<strong>ch</strong>ts S<strong>ch</strong>atten mit ausgeprägtem Inst<strong>in</strong>kt für Taktik, Loyalität und<br />

Ma<strong>ch</strong>t, also an die Ma<strong>ch</strong>t gespült wurde. 52 <strong>Der</strong> Name dieses bereits allseits bekannten, populären aber<br />

unbeliebten ehemaligen FDJ-Führers tau<strong>ch</strong>te im Sommer soglei<strong>ch</strong> auf der Titelseite von der<br />

esperantist auf und bildete e<strong>in</strong> neues Element au<strong>ch</strong> für die <strong>Esperanto</strong>-Bewegung der DDR, die si<strong>ch</strong> an<br />

den Namen des neuen DDR-Chefs zu gewöhnen hatte. <strong>Der</strong> zur politis<strong>ch</strong>en Unperson gewordene<br />

52 No<strong>ch</strong> <strong>in</strong> den 50er Jahren war Honecker wegen se<strong>in</strong>er organisatoris<strong>ch</strong>er Fehlleistungen von der KPdSU <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> zur<br />

Wiederwahl <strong>in</strong>s ZK empfohlen worden. Die Widerstandskraft dieses als geistig unbewegli<strong>ch</strong> empfundenen aber ehrgeizigen<br />

und zähen Apparats<strong>ch</strong>iks wurde jedo<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>ätzt. Trotz man<strong>ch</strong>er s<strong>ch</strong>werer Brüskierung und Demütigung dur<strong>ch</strong> Ulbri<strong>ch</strong>t <strong>in</strong><br />

der Vergangenheit verhielt si<strong>ch</strong> Honecker se<strong>in</strong>em Förderer gegenüber äusserst loyal und vasallenhaft, was ihm au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong><br />

Förderung se<strong>in</strong>er politis<strong>ch</strong>en Karriere von Ulbri<strong>ch</strong>t verdankt wurde. Ulbri<strong>ch</strong>t (und no<strong>ch</strong> mehr Alfred Neumann) hatte für<br />

Honecker aber nur Häme und Vera<strong>ch</strong>tung übrig. Im Oktober 1969 erfolgte der offene Bru<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en den beiden<br />

Weggefährten. Im August 1970 versu<strong>ch</strong>te Ulbri<strong>ch</strong>t, se<strong>in</strong>en rivalisierenden Zögl<strong>in</strong>g von der Ma<strong>ch</strong>t zu verdrängen, was ihm<br />

aber <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> gelang, da der sowjetis<strong>ch</strong>e Druck gegen diese Massnahme zu gross war. H<strong>in</strong>gegen gelang Honecker im April 1971<br />

mit Billigung Bres<strong>ch</strong>news s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> der ents<strong>ch</strong>eidende S<strong>ch</strong>lag gegen Ulbri<strong>ch</strong>t, der unter anderem wegen der neuen<br />

Rekordvers<strong>ch</strong>uldung vom Politbüro kritisiert wurde. Am 3. Mai 1971 gab der kränkelnde Ulbri<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> und verkündete<br />

se<strong>in</strong>en Rücktritt als Partei<strong>ch</strong>ef, blieb aber formell Staatsratsvorsitzender; zudem wurde er zum SED-Ehrenvorsitzenden<br />

befördert. Darauf liess Honecker, der bei dieser <strong>ganz</strong>en riskanten Ma<strong>ch</strong>tübernahmeübung die Unterstützung von m<strong>in</strong>desten<br />

13 von 21 Politbüro-Mitgliedern und Kandidaten hatte, si<strong>ch</strong> von der Volkskammer zum Vorsitzenden des Nationalen<br />

Verteidigungsrates ernennen. Wenig später absolvierte er se<strong>in</strong>en Antrittsbesu<strong>ch</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er neuen Funktion bei Bres<strong>ch</strong>new.<br />

Obwohl die Ostberl<strong>in</strong>er Genossen si<strong>ch</strong> die Ma<strong>ch</strong>tübernahme <strong>in</strong> Bezug auf Ulbri<strong>ch</strong>t etwas anders vorgestellt hatten, s<strong>ch</strong>ien<br />

Bres<strong>ch</strong>new <strong>in</strong> Moskau über diese Form der Prozedur <strong>ganz</strong> froh gewesen zu se<strong>in</strong>; man konnte das Gesi<strong>ch</strong>t bewahren, und e<strong>in</strong>e<br />

äusserst uns<strong>ch</strong>öne Eskalation des Ma<strong>ch</strong>tkampfes konnte verh<strong>in</strong>dert werden. Am darauffolgenden 8. SED-Parteitag wurde die<br />

Demontage Ulbri<strong>ch</strong>ts, der ernsthaft erkrankt war und der Konferenz fernbleiben musste, fortgesetzt: Se<strong>in</strong> Referat wurde von<br />

Hermann Axen verlesen, Günter Mittag übte harrs<strong>ch</strong>e Kritik an Ulbi<strong>ch</strong>ts Wirts<strong>ch</strong>aftspolitik, und Honecker nannte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

eigenen Referat <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> e<strong>in</strong>mal mehr den Namen se<strong>in</strong>es Patrons, bei dem er während Jahrzehnten wie e<strong>in</strong> Spei<strong>ch</strong>ellecker<br />

s<strong>ch</strong>arwenzelte. Beim skrupellosen Kampf Honeckers um die Verdrängung Ulbri<strong>ch</strong>ts von der Ma<strong>ch</strong>tausübung, gegen die si<strong>ch</strong><br />

der Gestürzte trotz s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter gesundheitli<strong>ch</strong>er Verfassung mit allen Mitteln sträubte, kam es no<strong>ch</strong> zu man<strong>ch</strong>en unglaubli<strong>ch</strong><br />

bizarren Szenen im Politbüro und Staatsrat und zu wahrli<strong>ch</strong> grotesken Massnahmen bis h<strong>in</strong> zum Auftrag an Mielke, Ulbri<strong>ch</strong>t<br />

von der Stasi überwa<strong>ch</strong>en zu lassen. Leuten wie Fidel Castro durfte er no<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>en Orden an die Brust hängen. Dabei erwiesen<br />

si<strong>ch</strong> die Politbüro-Leute wie die grössten Feigl<strong>in</strong>ge und Heu<strong>ch</strong>ler, die man si<strong>ch</strong> überhaupt vorstellen kann. Dies alles hätte die<br />

DDR-Öffentli<strong>ch</strong>keit ungeme<strong>in</strong> mehr <strong>in</strong>teressiert als die s<strong>ch</strong>on damals abgewirts<strong>ch</strong>afteten Phrasen vom entwickelten<br />

Sozialismus, von der Überlegenheit des Marxismus-Len<strong>in</strong>smus und derglei<strong>ch</strong>en. Na<strong>ch</strong>dem Ulbri<strong>ch</strong>t von der SED regelre<strong>ch</strong>t<br />

fertiggema<strong>ch</strong>t wurde, wurde ihm anlässli<strong>ch</strong> se<strong>in</strong>es 80. Geburtstages 1973 von der SED der ‚Grosse Stern der<br />

Völkerfreunds<strong>ch</strong>aft’ und von der Sowjetunion der ‚Orden der Völkerfreunds<strong>ch</strong>aft’ verliehen. Diese Massnahme musste do<strong>ch</strong><br />

selbst von den Esperantisten als Hohn empfunden werden, zumal Ulbri<strong>ch</strong>t mit se<strong>in</strong>en stal<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>en Hetzkampagnen gegen<br />

die „Imperialisten, Kapitalisten und Ausbeuter des Westens“ si<strong>ch</strong>erli<strong>ch</strong> kaum etwas zur Völkerfreunds<strong>ch</strong>aft beigetragen hatte.<br />

Ulbri<strong>ch</strong>t starb am 1. August 1973 an Herversagen. Sozusagen als e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e bittere Abre<strong>ch</strong>nung mit den Genossen, die ihn<br />

so miserabel behandelt hatten, verabs<strong>ch</strong>iedete Ulbri<strong>ch</strong>ts si<strong>ch</strong> mitten <strong>in</strong> den <strong>in</strong> Ost-Berl<strong>in</strong> stattf<strong>in</strong>denden Weltfestpielen aus<br />

dem Leben. <strong>Der</strong> Anlass wurden <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> abgebro<strong>ch</strong>en. Bres<strong>ch</strong>new war aber erbost ob der kalts<strong>ch</strong>näuzigen Art und Weise, mit<br />

der die SED-Führung Ulbri<strong>ch</strong>ts Tod während der Weltfestspiele behandelt hatten. Immerh<strong>in</strong> erhielt er e<strong>in</strong> Staatsbegräbnis<br />

erster Klasse, du die Bevölkerung nahm überras<strong>ch</strong>end hohen Anteil am der öffentli<strong>ch</strong>en Verabs<strong>ch</strong>iedung Ulbri<strong>ch</strong>ts. Honecker<br />

nahm „<strong>in</strong> tiefer Trauer Abs<strong>ch</strong>ied“ von se<strong>in</strong>em Ziehvater. In der esperantist war Ulbri<strong>ch</strong>ts Tod ke<strong>in</strong> Thema, umso mehr wurde<br />

über die Teilnahme von Esperanisten an den Ostberl<strong>in</strong>ern Weltfestspielen beri<strong>ch</strong>tet. Angesi<strong>ch</strong>ts des Todes von Ulbri<strong>ch</strong>ts<br />

hiess es <strong>in</strong> der esperantist (Ausgabe Juni-Oktober 1973) gewissermassen etwas pietätslos, dass Tausende während 8 Tagen<br />

si<strong>ch</strong> vergnügt und getanz hätten und dass am 2. August si<strong>ch</strong> 23 ausländis<strong>ch</strong>e Esperanisten, unter ihnen Renato Corsetti, der<br />

ehemal. TEJO-Präsident, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em s<strong>ch</strong>ön ges<strong>ch</strong>mückten Saal getroffen hätten usw. Immerh<strong>in</strong> war e<strong>in</strong> Tag zuvor aber das<br />

Staatsoberhaupt der DDR gestorben. E<strong>in</strong> offizielles Staatsoberhaupt, das nur no<strong>ch</strong> als Unperson vegetierte, gehörte zu den<br />

zahlrei<strong>ch</strong>en Paradoxien e<strong>in</strong>es absurden kommunistis<strong>ch</strong>en Systems wie es <strong>in</strong> der DDR existierte. Aber was g<strong>in</strong>g Ulbri<strong>ch</strong>t<br />

s<strong>ch</strong>on die Esperantisten an? Item. Ironie des S<strong>ch</strong>icksals: Als später Bres<strong>ch</strong>new (+1982) vor allem <strong>in</strong> der Deuts<strong>ch</strong>landfrage<br />

Honecker zunehmend im Weg stand und Gorbats<strong>ch</strong>ow mit se<strong>in</strong>er Perestrojka dem konservativen Saarländer <strong>in</strong> Ost-Berl<strong>in</strong><br />

no<strong>ch</strong> viel lästiger wurde, überwarf Honecker, nun selbst vom Altersstarrs<strong>in</strong>n befallen, si<strong>ch</strong> vollends mit den Sowjets.<br />

(Lesetipp zur Biographie E. Honeckers: Pötzl, N.F.: Eri<strong>ch</strong> Honecker. E<strong>in</strong>e deuts<strong>ch</strong>e Biographie. 2002).<br />

24


Ulbri<strong>ch</strong>t wurde mit ke<strong>in</strong>em Wort gewürdigt. 53 Im Leitartikel der Mai-Juni-Nummer 1971 zeigten si<strong>ch</strong><br />

die ZAKE-Funktionäre „stark bee<strong>in</strong>druckt“ vom XXIV. Parteitag der KPdSU und des VIII. Parteitages<br />

der SED und riefen die Esperantisten der DDR auf, die Unterlagen des SED-Parteitags zu studieren,<br />

um se<strong>in</strong>e „wi<strong>ch</strong>tigen Bes<strong>ch</strong>lüsse“ zu verstehen. E<strong>in</strong> neues Thema waren die „Fragen der europäis<strong>ch</strong>en<br />

Si<strong>ch</strong>erheit“, die <strong>in</strong> H<strong>in</strong>blick auf den seit 1966 laufenden und <strong>in</strong> den 70er Jahren verstärkten KSZE-<br />

Prozess, au<strong>ch</strong> Hels<strong>in</strong>ki-Prozess genannt, an dem die DDR aktiv teilnahm, immer bedeutsamer wurden.<br />

Selbst die aggressive antiwestli<strong>ch</strong>e MEM-<strong>Esperanto</strong>-Friedensbewegung kl<strong>in</strong>kte si<strong>ch</strong> <strong>in</strong> diesen Prozess<br />

e<strong>in</strong> und betonte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> London verabs<strong>ch</strong>iedeten Resolution die Bedeutung glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigter<br />

Beziehungen zwis<strong>ch</strong>en allen europäis<strong>ch</strong>en Staaten und die Intensivierung der Zusammenarbeit<br />

zwis<strong>ch</strong>en ihnen. Weil die DDR von Grossbritannien diplomatis<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> anerkannt war, gab es<br />

Probleme mit den DDR-Reisepässen. Da das Visum als ‚Ersatzpapier’ ausgehändigt wurde, wurde e<strong>in</strong><br />

DDR-Bürger <strong>in</strong> England wie e<strong>in</strong> Staatenloser behandelt. Dies sei „ohne Zweifel e<strong>in</strong>e Diskrim<strong>in</strong>ierung“<br />

der DDR, befand der Beri<strong>ch</strong>terstatter D. Blanke, der mit Rudi Graetz zusammen die DDR-Delegation<br />

bildete. Für diese Misere wurden die s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ten „<strong>in</strong>nerdeuts<strong>ch</strong>en Beziehungen“ bemüht. Am Kongress<br />

selbst habe Handelsrat Graetz „e<strong>in</strong>en vielbea<strong>ch</strong>teten Beitrag geleistet, <strong>in</strong> dem er forderte, dass die<br />

UEA gegen Völkermord, Rassismus, Militarismus und für die Si<strong>ch</strong>erung des Weltfriedens Position<br />

beziehen möge.“ Dies war wegen der politis<strong>ch</strong>en Neutralität der UEA aber <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mögli<strong>ch</strong>. Au<strong>ch</strong> das<br />

neue Viermä<strong>ch</strong>teabkommen über Westberl<strong>in</strong>, „das besonders dur<strong>ch</strong> die Initiative der SU zustande<br />

gekommen“ war, wurde <strong>in</strong> der esperantist gewürdigt.<br />

Immerh<strong>in</strong> wurde au<strong>ch</strong> erkannt, dass „wir <strong>in</strong> unserer Arbeit stets davon ausgehen müssen, dass<br />

<strong>in</strong> den Gruppen des DKB Bürger mit vers<strong>ch</strong>iedenen Weltans<strong>ch</strong>auungen und politis<strong>ch</strong>en Auffassungen<br />

zusammen wirken“. Dies erfordere „e<strong>in</strong>e kluge und sehr differenzierte Arbeit mit den Mens<strong>ch</strong>en, die<br />

<strong>in</strong> der ideologis<strong>ch</strong>en Arbeit genauer berücksi<strong>ch</strong>tigt werden muss. Wir wollen jeden gew<strong>in</strong>nen und<br />

ke<strong>in</strong>en zurücklassen“, hiess es. Bei der „<strong>in</strong>neroganisatoris<strong>ch</strong>en Demokratie“ gehe „es <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> um Fragen<br />

e<strong>in</strong>er formalen, sondern der sozialistis<strong>ch</strong>en Demokratie“.<br />

Wi<strong>ch</strong>tigstes Ereignis des Jahres 1972 war die Zentrale Konferenz der Esperantisten der DDR<br />

Ende Mai <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, an der 200 Delegierte teilnahmen. Hauptaufgaben der Konferenz waren: 1. Die<br />

Bes<strong>ch</strong>lüsse des VIII. Parteitages der SED s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong> für die Tätigkeit der Esperantisten<br />

auszuwerten; 2. Auf dieser Grundlage neue Leitsätze für die Arbeit der Esperantisten der DDR zu<br />

diskutieren und zu bes<strong>ch</strong>liessen; 3. Die Mitglieder des neuen Zentralen Arbeitskreises <strong>Esperanto</strong> der<br />

DDR im DKB zu wählen.<br />

Als Vertreter des Präsidiums des DKB nahmen an der Konferenz der Vizepräsident der<br />

Organisation, Prof. Dr. Gerhard-Rudolf Meyer, Generaldirektor der Staatli<strong>ch</strong>en Museen zu Berl<strong>in</strong>,<br />

Mitglied der Volkskammer, sowie die Bundessekretäre Bernd Lohaus und Alex Ständel teil. 54<br />

In se<strong>in</strong>em Beri<strong>ch</strong>t verkündete D. Blanke, dass „Sektierertum und kosmopolitis<strong>ch</strong>es Ideengut,<br />

wie es <strong>in</strong> der <strong>in</strong>ternationale <strong>Esperanto</strong>-Bewegung bisweilen auftritt, <strong>in</strong> der DDR weitgehend<br />

überwunden werden konnte.“ 55<br />

Rudi Graetz hielt e<strong>in</strong> längeres Hauptreferat, das <strong>in</strong> der esperantist „ger<strong>in</strong>gfügig gekürzt“<br />

abgedruckt wurde. An dieser Stelle folgen e<strong>in</strong>ige Auszüge:<br />

„Wenn wir die Frage na<strong>ch</strong> dem Platz des <strong>Esperanto</strong> und dessen Perspektive <strong>in</strong> unserer<br />

sozialistis<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft stellen wollen, s<strong>in</strong>d der Ausgangspunkt dafür selbstverständli<strong>ch</strong> die vom<br />

VIII. Parteitag der SED beratenen und bes<strong>ch</strong>lossenen gesamtgesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Aufgaben und<br />

Entwicklungsl<strong>in</strong>ien, <strong>in</strong>sbesondere die Hauptaufgabe, die <strong>in</strong> der weiteren Erhöhung des materiellen und<br />

kulturellen Lebensniveaus unseres Volkes <strong>in</strong> der Deuts<strong>ch</strong>en Demokratis<strong>ch</strong>en Republik besteht.<br />

So wie die Funktion e<strong>in</strong>er jeden geistig-kulturellen und politis<strong>ch</strong>-ideologis<strong>ch</strong>en Aktivität<br />

bestimmt wird dur<strong>ch</strong> die konkreten gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Verhältnisse, unter denen diese Aktivitäten<br />

53 Die Biographie E. Honeckers ist allgeme<strong>in</strong> bekannt, i<strong>ch</strong> gehe darauf <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> e<strong>in</strong> und verweise erneut auf die Fa<strong>ch</strong>literatur.<br />

M.W. ers<strong>ch</strong>ien <strong>in</strong> der DDR und au<strong>ch</strong> sonst ke<strong>in</strong>e Biographie von Ulbri<strong>ch</strong>t oder Honecker auf <strong>Esperanto</strong>.<br />

54 <strong>Der</strong> offizielle Beri<strong>ch</strong>t darüber ist <strong>in</strong> der esperantist 54/1972 na<strong>ch</strong>zulesen.<br />

55 Sol<strong>ch</strong>e ts<strong>ch</strong>ekistis<strong>ch</strong>e Diktionen er<strong>in</strong>nern stark an stal<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>e Zeiten! Nur no<strong>ch</strong> e<strong>in</strong> <strong>Esperanto</strong>-S<strong>ch</strong>auprozess hätte dabei<br />

gefehlt! Bekanntli<strong>ch</strong> wurde der Kosmopolitismus <strong>in</strong> der Stal<strong>in</strong>zeit verdammt, d.h. mit e<strong>in</strong>er Kampagne vom Januar 1948<br />

gegen e<strong>in</strong>e „antipatriotis<strong>ch</strong>e Gruppe von Theaterkritikern“, konkret gegen das jiddis<strong>ch</strong>e Theater und gegen das Jüdis<strong>ch</strong>e<br />

Antifas<strong>ch</strong>istis<strong>ch</strong>e Komitee, bekämpft, hatte also e<strong>in</strong>e antijüdis<strong>ch</strong>e Komponente. (s. Luks, L. und O’Sullivan, D.: <strong>Der</strong><br />

Spätstal<strong>in</strong>ismus und die ‚jüdis<strong>ch</strong>e Frage’. Köln 1998, v.a. den Beitrag von E. Goldstücker: <strong>Der</strong> stal<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>e Antisemitismus<br />

- e<strong>in</strong> Erlebnisberi<strong>ch</strong>t).<br />

25


ealisiert werden, so ergibt si<strong>ch</strong> die Funktion, der Platz des <strong>Esperanto</strong> <strong>in</strong> der Gegenwart und Zukunft<br />

unserer Republik, objektiv aus den gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Bed<strong>in</strong>gungen und den daraus erwa<strong>ch</strong>senden<br />

Anforderungen. E<strong>in</strong>e Reihe von Besonderheiten unserer Arbeit wird hierbei wirksam.<br />

1. Das ist erstens die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass e<strong>in</strong>e Fremdspra<strong>ch</strong>e, nämli<strong>ch</strong> <strong>Esperanto</strong>, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em sol<strong>ch</strong>en<br />

Grade der Perfektion beherrs<strong>ch</strong>t werden muss, dass e<strong>in</strong>e unmittelbare Kommunikation mit<br />

andersspra<strong>ch</strong>igen Bürgern auf hohem Niveau mögli<strong>ch</strong> ist. Ehe die vielen Aufgaben realisiert werden<br />

können, ist also das Erlernen, das gute Erlernen, e<strong>in</strong>er Fremdspra<strong>ch</strong>e erforderli<strong>ch</strong>.<br />

2. Das Erlernen dieser Spra<strong>ch</strong>e hat selbst, wenn deren konkrete Anwendung fehlen sollte, und<br />

das kommt selten vor, formal-logis<strong>ch</strong>en Wert. Die klare, übers<strong>ch</strong>aubare Struktur des <strong>Esperanto</strong><br />

ermögli<strong>ch</strong>t e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> das Wesen e<strong>in</strong>er Spra<strong>ch</strong>e, fördert das fremdspra<strong>ch</strong>ige Denken und lässt<br />

selbst Besonderheiten der eigenen Mutterspra<strong>ch</strong>e, deren Struktur und Gesetze deutli<strong>ch</strong>er werden.<br />

3. Ents<strong>ch</strong>eidend ist aber, dass die konkrete Anwendung des <strong>Esperanto</strong>, ob im s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>en<br />

oder mündli<strong>ch</strong>en Gedankenaustaus<strong>ch</strong>, <strong>in</strong> zweierlei H<strong>in</strong>si<strong>ch</strong>t e<strong>in</strong>e wi<strong>ch</strong>tige politis<strong>ch</strong>e Potenz darstellt:<br />

E<strong>in</strong>mal dienen die vielen persönli<strong>ch</strong>en Verb<strong>in</strong>dungen der Information ausländis<strong>ch</strong>er Partner über die<br />

Entwicklung unserer Republik, über den Aufbau unserer sozialistis<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft. Zum anderen<br />

aber fordert die ständige Konfrontation mit <strong>in</strong>ternationalen Problemen und den Fragen der<br />

Entwicklung <strong>in</strong> unserem eigenen Lande e<strong>in</strong>e genau Bes<strong>ch</strong>äftigung mit politis<strong>ch</strong>en Fragen. Bei der<br />

überwiegenden Zahl der Esperantisten wird die Bes<strong>ch</strong>äftigung mit politis<strong>ch</strong>en Fragen immer mehr zu<br />

e<strong>in</strong>em Bedürfnis.“<br />

Es werden somit sol<strong>ch</strong>e Eigens<strong>ch</strong>aften entwickelt wie der Stolz auf die sozialistis<strong>ch</strong>en<br />

Errungens<strong>ch</strong>aften der eigenen Republik sowie der sozialistis<strong>ch</strong>en Staatenfamilien. Chauv<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>es<br />

Denken hat ke<strong>in</strong>en Nährboden. Zum anderen werden die Ideale des proletaris<strong>ch</strong>en und sozialistis<strong>ch</strong>en<br />

Internationalismus entwickelt. Es gibt viele Esperantisten, deren sozialistis<strong>ch</strong>es, <strong>in</strong>ternationalistis<strong>ch</strong>es<br />

Bewusstse<strong>in</strong> ents<strong>ch</strong>eidend mitgeformt wurde dur<strong>ch</strong> die Korrespondenz mit Esperantisten aus der<br />

Sowjetunion, mit Klassenbrüdern aus anderen Ländern. Die <strong>in</strong>ternationale Arbeit der Esperantisten –<br />

und das gilt natürli<strong>ch</strong> für jeden Bürger – kann e<strong>in</strong>e stark bewusstse<strong>in</strong>sfördernde Wirkung haben.<br />

Natürli<strong>ch</strong> ist die Formel: ‚Esperantist – Sozialist oder Internationalist’ <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> notwendigerweise ri<strong>ch</strong>tig.<br />

Die Ausprägung des sozialistis<strong>ch</strong>en Bewusstse<strong>in</strong>, der <strong>in</strong>ternationalistis<strong>ch</strong>en Geisteshaltung, ist nur<br />

mögli<strong>ch</strong> auf der Grundlage des Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus, der wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Weltans<strong>ch</strong>auung der<br />

Arbeiterklasse. (...)<br />

Für uns Esperantisten heisst das, und wir müssen immer wieder darauf h<strong>in</strong>weisen, dass der<br />

E<strong>in</strong>satz des <strong>Esperanto</strong> immer politis<strong>ch</strong> determ<strong>in</strong>iert ist. Selbst der Esperantist, der si<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mit<br />

politis<strong>ch</strong>en Fragen bes<strong>ch</strong>äftigen mö<strong>ch</strong>te, also glaubt, politis<strong>ch</strong>en Ents<strong>ch</strong>eidungen aus dem Wege zu<br />

gehen, hat damit denno<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>e politis<strong>ch</strong>e Ents<strong>ch</strong>eidung getroffen. Allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e Ents<strong>ch</strong>eidung, die<br />

<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> dem gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Forts<strong>ch</strong>ritt entspri<strong>ch</strong>t. I<strong>ch</strong> glaube, wir können aus allem s<strong>ch</strong>lussfolgern,<br />

dass <strong>Esperanto</strong> die weltans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>e Grundlage des Marxismus unbed<strong>in</strong>gt gebrau<strong>ch</strong>t. Auf diese<br />

ri<strong>ch</strong>tige ideologis<strong>ch</strong>e Grundlage gestellt, wird die Bes<strong>ch</strong>äftigung mit dem <strong>Esperanto</strong>, die <strong>in</strong>ternationale<br />

Anwendung dieser Spra<strong>ch</strong>e für den Esperantisten zu e<strong>in</strong>em Teil der sozialistis<strong>ch</strong>en Lebensweise. (...)<br />

Erst unter sozialistis<strong>ch</strong>en Verhältnissen hat <strong>Esperanto</strong> e<strong>in</strong>e e<strong>ch</strong>te, e<strong>in</strong>e humanistis<strong>ch</strong>e Perspektive. (...)<br />

Die geme<strong>in</strong>same Kraft der <strong>Esperanto</strong>verbände der sozialistis<strong>ch</strong>en Länder wird daher<br />

zweifelsohne weiterh<strong>in</strong> an bestimmendem Gewi<strong>ch</strong>t <strong>in</strong> der <strong>Esperanto</strong>bewegung gew<strong>in</strong>nen, das<br />

Kräfteverhältnis <strong>in</strong> den Weltverbänden weiter zugunsten der forts<strong>ch</strong>rittli<strong>ch</strong>en Kreisen verändern und<br />

damit den Anteil am <strong>in</strong>ternationalen Kampf gegen den Imperialismus wesentli<strong>ch</strong> erhöhen. Das ist e<strong>in</strong>e<br />

begeisternde und s<strong>ch</strong>öne Perspektive! (...)<br />

Heute gilt es vor allem, den Imperialismus zu zügeln, die Pr<strong>in</strong>zipien der friedli<strong>ch</strong>en<br />

Koexistenz dur<strong>ch</strong>zusetzen und die Kriege e<strong>in</strong> für allemal aus der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Mens<strong>ch</strong>heit zu<br />

verbannen. Dann erst können sol<strong>ch</strong>e dr<strong>in</strong>genden Probleme wie die Beseitigung des Analphabetentums,<br />

das Hungers auf der Erde, der S<strong>ch</strong>utz der Umwelt, die Ers<strong>ch</strong>liessung neuer Energien und<br />

Nahrungsquellen gelöst werden. Damit s<strong>ch</strong>affen wir günstige Voraussetzungen, um die Frage e<strong>in</strong>er<br />

<strong>in</strong>ternationalen Spra<strong>ch</strong>e zu lösen. (...)<br />

Es wäre allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong> Irrtum zu glauben, dass der Imperialismus se<strong>in</strong>e Ziele <strong>in</strong> Europa<br />

aufgegeben hat. Im Gegenteil! Na<strong>ch</strong> wie vor ist es se<strong>in</strong> Hauptanliegen, den Sozialismus<br />

zurückzudrängen. Er bedient si<strong>ch</strong> raff<strong>in</strong>ierter – <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> für jeden immer lei<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>aubarer – Mittel<br />

wie des Antikommunismus, des Antisowjetismus, Nationalismus und anderer Spielarten der<br />

bürgerli<strong>ch</strong>en reaktionären Ideologie. <strong>Der</strong> Sozialdemokratismus spielt mit se<strong>in</strong>er antikommunistis<strong>ch</strong>en<br />

26


Zielsetzung, <strong>in</strong> sehr ges<strong>ch</strong>ickter Verpackung dargeboten, e<strong>in</strong>e besonders gefährli<strong>ch</strong>e Rolle. 56 Gerade <strong>in</strong><br />

unserer Zeit, <strong>in</strong> der die friedli<strong>ch</strong>e Koexistenz Forts<strong>ch</strong>ritte ma<strong>ch</strong>t, kann es im ideologis<strong>ch</strong>en Kampf<br />

ke<strong>in</strong>e W<strong>in</strong>dstille geben. Es gilt, <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die komplizierte Dialektik der revolutionären<br />

Weltprozesse zu begreifen. (...)<br />

Im Geiste Dr. Zamenhofs, der <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Aufruf an die Diplomaten Europas 1916 forderte,<br />

alles zur Verh<strong>in</strong>derung zukünftiger Kriege zu tun, erheben wir Esperantisten der Deuts<strong>ch</strong>en<br />

Demokratis<strong>ch</strong>en Republik leidens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Protest und fordern die sofortige Beendigung der<br />

Aggressionshandlungen der USA und die Wiederaufnahme der Verhandlungen <strong>in</strong> Paris. (...)<br />

Das gesetzmässige Zusammenwa<strong>ch</strong>sen der sozialistis<strong>ch</strong>en Staaten auf der Basis des<br />

Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus unter glei<strong>ch</strong>zeitiger Abgrenzung vom Imperialismus hat zur Folge, dass für<br />

jeden sozialistis<strong>ch</strong>en Staatsbürger, für jeden Esperantisten der DDR, die Bruderländer immer mehr zu<br />

e<strong>in</strong>er über die eigenen Grenzen h<strong>in</strong>ausgehenden sozialistis<strong>ch</strong>en Heimat werden. Diesen Prozess muss<br />

man bewusst fördern. I<strong>ch</strong> glaube, wir können mit Fug und Re<strong>ch</strong>t sagen, für den s<strong>in</strong>nvollen E<strong>in</strong>satz des<br />

<strong>Esperanto</strong> zur Vertiefung der Freunds<strong>ch</strong>aft mit den Bruderländern, für das immer bessere gegenseitige<br />

Kennenlernen von Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te und Gegenwart <strong>in</strong> allen gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Berei<strong>ch</strong>en, für das<br />

Kennenlernen der S<strong>ch</strong>önheiten unserer Länder, für alle diese Ziele hat mit der sozialistis<strong>ch</strong>en<br />

Integration e<strong>in</strong>e neue Etappe <strong>in</strong> unserer Tätigkeit begonnen. (...) 57<br />

Wir unterstützen die Aussenpolitik der DDR, <strong>in</strong>dem wir unsere vielfältigen <strong>in</strong>ternationalen<br />

Verb<strong>in</strong>dungen zur Erhöhung des Ansehens unserer Republik nutzen. (...)<br />

Voraussetzung und Ergebnis dieser unserer Bestrebungen ist die Entwicklung sozialistis<strong>ch</strong>er<br />

Persönli<strong>ch</strong>keiten, die <strong>in</strong>ternationalistis<strong>ch</strong> denken, fühlen und handeln und unsere DDR stärken.“<br />

Ans<strong>ch</strong>liessend folgte e<strong>in</strong> längerer Beri<strong>ch</strong>t über den Stand „unserer Arbeit“. Hier las man<br />

Erstaunli<strong>ch</strong>es:<br />

„Wir können (...) e<strong>in</strong>e gute Bilanz ziehen. (...) Wir können abs<strong>ch</strong>ätzen, dass der<br />

Bewusstse<strong>in</strong>sstand der im Kulturbund organisierten Esperantisten <strong>in</strong>sgesamt weiter gestiegen ist. Die<br />

übergrosse Mehrzahl hat erkannt, dass jeder Esperantist im Ausland e<strong>in</strong> Repräsentant se<strong>in</strong>er Republik<br />

ist. Das ist e<strong>in</strong>e objektive Tatsa<strong>ch</strong>e, wenn sie viellei<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> hier und da subjektiv no<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> von<br />

jedem erfasst wurde. Das heisst aber, e<strong>in</strong>en ‚privaten Esperantismus’ ohne Beziehungen zur<br />

politis<strong>ch</strong>en Wirksamkeit kann es objektiv <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> geben. Jeder Brief <strong>in</strong>s Ausland, jedes Gesprä<strong>ch</strong> mit<br />

den ausländis<strong>ch</strong>en Esperantisten, ja selbst die Art des Auftretens im Ausland, sei es passiv oder aktiv,<br />

ist e<strong>in</strong>e politis<strong>ch</strong>e Ents<strong>ch</strong>eidung. (...) Dieser Satz erklärt die praktis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>wierigkeiten und<br />

begrenzten Mögli<strong>ch</strong>keiten der Kontakte mit DDR-Esperantisten, die von ihren westli<strong>ch</strong>en Kollegen<br />

tunli<strong>ch</strong>st abges<strong>ch</strong>ottet wurden, gut. Aber die ZAKE-Verantwortli<strong>ch</strong>en sahen dies anders: „In gewissem<br />

Grade messbar wird für uns diese Tatsa<strong>ch</strong>e an der Reaktion vieler ausländis<strong>ch</strong>er Esperantisten. Auf<br />

Weltkongressen, auf <strong>in</strong>ternationalen Veranstaltungen im sozialistis<strong>ch</strong>en Lager, aus den Briefen, die<br />

der Zentrale Arbeitskreis <strong>in</strong> grosser Anzahl tägli<strong>ch</strong> als Reaktion auf die versandten Materialien erhält,<br />

überall spri<strong>ch</strong>t man mit e<strong>in</strong>er steigenden Ho<strong>ch</strong>a<strong>ch</strong>tung von den Esperantisten der DDR. Ni<strong>ch</strong>t selten<br />

ma<strong>ch</strong>ten wir, und si<strong>ch</strong>er au<strong>ch</strong> Sie, liebe Delegierte, die Bekannnts<strong>ch</strong>aft ausländis<strong>ch</strong>er Esperantisten,<br />

die dur<strong>ch</strong> die persönli<strong>ch</strong>e Korrespondenz mit DDR-Bürgern gut über unsere sozialistis<strong>ch</strong>e<br />

Entwicklung <strong>in</strong>formiert waren.“ Als Beispiele sol<strong>ch</strong>er modellhafter Korrespondenzpartner wurden der<br />

ehemalige Bots<strong>ch</strong>after Vietnams <strong>in</strong> der UdSSR, Genosse Nguyen van K<strong>in</strong>h, der oben erwähnte<br />

Semjon Podkam<strong>in</strong>er oder der bulgaris<strong>ch</strong>e Vorzeigekommunist Nikola Aleksiev genannt. Von den<br />

‚kle<strong>in</strong>en’ Leuten hörte man kaum etwas.<br />

Pro forma enthielt der Beri<strong>ch</strong>t von Rudi Graetz rout<strong>in</strong>emässig au<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>ige kritis<strong>ch</strong>e<br />

Anmerkungen wie die folgenden, die <strong>ganz</strong> aufs<strong>ch</strong>lussrei<strong>ch</strong> s<strong>in</strong>d:<br />

„Si<strong>ch</strong>er können wir no<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> zufrieden se<strong>in</strong>. Vielerorts leben Gruppen e<strong>in</strong> no<strong>ch</strong> zu isoliertes<br />

Dase<strong>in</strong> und nutzen die vielen Mögli<strong>ch</strong>keiten wirksamer Tätigkeit no<strong>ch</strong> unzurei<strong>ch</strong>end. Das<br />

Gruppenleben muss oft no<strong>ch</strong> viel <strong>in</strong>teressanter und anziehender werden. Mängel gibt es au<strong>ch</strong> <strong>in</strong> der<br />

56 Interessant: Graetz soll von der Sozialdemokratie zur KPD gekommen se<strong>in</strong> (Blanke).<br />

57 Im Oktober 1971 besu<strong>ch</strong>te Graetz als Direktor e<strong>in</strong>er DDR-Konsumgüterausstellung und Leiter der Messedelegation der<br />

DDR die Mongolei, wo er si<strong>ch</strong> von den „brüderli<strong>ch</strong>en Beziehungen“ zwis<strong>ch</strong>en der DDR und der MVR überzeugen liess. Er<br />

nahm dabei au<strong>ch</strong> die Mögli<strong>ch</strong>keit wahr, Verb<strong>in</strong>dungen mit der im Dezember 1970 gegründeten Mongolis<strong>ch</strong>en <strong>Esperanto</strong>-<br />

Vere<strong>in</strong>igung aufzunehmen. „Den Bitten“ der mongolis<strong>ch</strong>en <strong>Esperanto</strong>freunde „entspre<strong>ch</strong>end“, hielt Graetz vor den<br />

Mitgliedern der <strong>Esperanto</strong>-Gruppe <strong>in</strong> Ulan-Bator und im mongolis<strong>ch</strong>en Rundfunk e<strong>in</strong>en Vortrag „über den Beitrag der DDR-<br />

Esperantisten im Kampf um den Frieden und über die Aktivitäten der MEM“.<br />

27


Leitungstätigkeit. Es wird no<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> überall verstanden, dass gerade dar<strong>in</strong> die Kunst des Leitens<br />

besteht, mögli<strong>ch</strong>st viele Bundesfreunde zu aktivieren und alle für die Lösung unserer s<strong>ch</strong>önen<br />

Aufgaben zu gew<strong>in</strong>nen. Dabei gilt es immer zu bea<strong>ch</strong>ten, dass die Spezifik unseres Kulturbundes<br />

gerade die Bündnisarbeit ist. Den Genossen und Parteilosen, den Atheisten und den konfessionell<br />

gebundenen Bürger, sie alle gilt es, für unsere Ziele glei<strong>ch</strong>ermassen zu aktivieren. 58 Verstösse gegen<br />

das Pr<strong>in</strong>zip der kollektiven Leitungen dürfen <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> geduldet werden. Grosse Sorge bereitete au<strong>ch</strong> der<br />

Informationsfluss <strong>in</strong> beiden Leitungsri<strong>ch</strong>tungen. (...) Die Diskussionen waren <strong>in</strong> den meisten Fällen<br />

s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong> und vorwärtsweisend. (...).“<br />

Abs<strong>ch</strong>liessend kam Graetz auf die politis<strong>ch</strong>e E<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>ätzung der Arbeit der DDR-Esperantisten<br />

im H<strong>in</strong>blick auf den VIII. Parteitag der SED zurück:<br />

„Wir haben die politis<strong>ch</strong>e Neuorientierung der Arbeit der Esperantisten vollzogen, uns vom<br />

bürgerli<strong>ch</strong>en, pazifistis<strong>ch</strong>en und utopis<strong>ch</strong>en Ideengut getrennt und der Bes<strong>ch</strong>äftigung mit dem<br />

<strong>Esperanto</strong> e<strong>in</strong>en sozialistis<strong>ch</strong>en Inhalt gegeben.“<br />

Aus dem Beri<strong>ch</strong>t der Konferenz g<strong>in</strong>gen als Haupterkenntnisse hervor, dass<br />

1. Esperantist der DDR se<strong>in</strong> „immer zuerst und immer Sozialist se<strong>in</strong> heisst, der se<strong>in</strong> Handeln<br />

stets und ständig auf die weitere Stärkung der DDR auf allen Gebieten ri<strong>ch</strong>tet“; 2. Esperantist der<br />

DDR se<strong>in</strong> heisst „sozialistis<strong>ch</strong>er Internationalist se<strong>in</strong>, der e<strong>in</strong> fester Freund der SU und der anderen<br />

sozialistis<strong>ch</strong>en Länder ist (...) und 3. der dur<strong>ch</strong> se<strong>in</strong> Wirken und se<strong>in</strong>en unversöhnli<strong>ch</strong>en Kampf gegen<br />

Krieg und alle Formen der nationalen Unterdrückung die Ursa<strong>ch</strong>en der Kriege entlarvt, den<br />

Imperialismus und se<strong>in</strong>e Ideologien bekämpft und Solidarität mit allen Völkern im Kampf um Freiheit<br />

und Unabhängigkeit und sozialer Forts<strong>ch</strong>ritt hält, die grosse Friedensoffensive der SU und unseres<br />

Staates (...) würdig und überzeugend unterstützt, si<strong>ch</strong> des revolutionären Weltprozesses bewusst ist,<br />

auf der Grundlage des Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus handelt und Solidarität mit dem heldenhaft kämpfenden<br />

Vietnam übt“. Vor allem gelte es „weiterh<strong>in</strong>, die <strong>in</strong>ternationale Spra<strong>ch</strong>e <strong>Esperanto</strong> für die Vertiefung<br />

der Freunds<strong>ch</strong>aft mit der Sowjetunion und den anderen sozialistis<strong>ch</strong>en Staaten im Geiste des<br />

sozialistis<strong>ch</strong>en Internationalismus no<strong>ch</strong> wirksamer e<strong>in</strong>zusetzen sowie no<strong>ch</strong> aktiver am <strong>in</strong>ternationalen<br />

Kampf gegen den Imperialismus, für Frieden und Humanismus teilzunehmen.“ Die Bes<strong>ch</strong>äftigung der<br />

<strong>in</strong>ternationalen Spra<strong>ch</strong>e <strong>Esperanto</strong> sei vor allem unter dem Zei<strong>ch</strong>en „der Entwicklung sozialistis<strong>ch</strong>er<br />

Persönli<strong>ch</strong>keiten, die <strong>in</strong>ternationalistis<strong>ch</strong> denken, fühlen und handeln“, zu sehen. 59<br />

Im S<strong>in</strong>ne dieses Beri<strong>ch</strong>ts und des Referats von Rudi Graetz waren die „Leitsätze für die Arbeit<br />

der Esperantisten <strong>in</strong> der Deuts<strong>ch</strong>en Demokratis<strong>ch</strong>en Republik im Deuts<strong>ch</strong>en Kulturbund“ abgefasst,<br />

deren au<strong>ch</strong> nur auszugsmässige Widergabe si<strong>ch</strong> an dieser Stelle <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> lohnt.<br />

der esperantist 55-56/1972 veröffentli<strong>ch</strong>te au<strong>ch</strong> die Liste des aktuellen ZAKE-Vorstands 60<br />

(alphabetis<strong>ch</strong>) mit aufs<strong>ch</strong>lussrei<strong>ch</strong>en Zusatzangaben:<br />

1. Bässler, Otto, Leipzig, Rentner, ehemaliger Mitarbeiter im Georgi-Dimitroff-Museum, vor 1933<br />

Redakteur des Arbeiter-<strong>Esperanto</strong>-Bundes Deuts<strong>ch</strong>land und später Mitglied der Internationale<br />

Proletaris<strong>ch</strong>er Esperantisten (IPE), ab 1965 Mitglied des ZAKE.<br />

2. Blanke, Detlev, Berl<strong>in</strong>, Abteilungsleiter im Bundessekretariat des DKB, war Vorsitzender des BAK<br />

Rostock 1966-68, ab 1968 Sekretär des ZAKE, seit 1969 Redakteur der esperantist, Mitglied des<br />

Internationalen Komitees der MEM.<br />

3. Burmeister, Rudolf, Karl-Marx-Stadt, Angestellter, Mitglied des BAK und seit 1968 des ZAKE.<br />

4. Dahlenburg, Till, Brüel, Dr., Russis<strong>ch</strong>lehrer, Mitglied des Nationalrates des DKB, seit 1969<br />

Mitglied des ZAKE.<br />

5. Ei<strong>ch</strong>horn, Hans, Berl<strong>in</strong>, Dr., Fa<strong>ch</strong>arzt für Psy<strong>ch</strong>iatrie, Vizepräsident des Weltjugend-<strong>Esperanto</strong>-<br />

Bundes (TEJO) und Mitglied des Internationalen Komitees der MEM, seit 1965 Mitglied des ZAKE.<br />

6. Falkenhahn, Viktor (1903-87) 61 , Berl<strong>in</strong>, Prof. Dr., Slavist, Vorsitzender der Baltis<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

der DDR, Dozent an der Humboldt-Universität, seit 1969 Mitglied des ZAKE, Vorsitzender der<br />

Fa<strong>ch</strong>gruppe Interl<strong>in</strong>guistik/<strong>Esperanto</strong>logie beim ZAKE.<br />

58 Zu dieser Zeit wirkten im Kulturbund etwa 200’000 Mitglieder <strong>in</strong> 40 Fa<strong>ch</strong>abteilungen. <strong>Esperanto</strong> hatte den glei<strong>ch</strong>en Status<br />

wie etwa Photographie und Philatelie. Nur etwa 2000 Esperantisten waren im DKB organisiert, während weitere 1000<br />

Esperantisten ausserhalb des DKB „ihren Interessen na<strong>ch</strong>gehen“, hiess es. <strong>Der</strong> Kulturbund zog au<strong>ch</strong> Ni<strong>ch</strong>t-SED-Mitglieder<br />

mit e<strong>in</strong>, hatte aber selbstverständli<strong>ch</strong> den Führungsanspru<strong>ch</strong> der SED zu anerkennen. Die Arbeiters<strong>ch</strong>aft war im KB stark<br />

untervertreten.<br />

59 Was damit zu verstehen war s. http://de.wikipedia.org/wiki/Erziehung_zur_sozialistis<strong>ch</strong>en_Persönli<strong>ch</strong>keit.<br />

60 Die Wahl erfolgte geheim.<br />

28


7. Fu<strong>ch</strong>s, Helmut, Pirna, Rentner, Mitglied des Internationalen Komitees der MEM, Mitglied des BAK<br />

Dresden, seit 1956 Mitglied des ZAKE.<br />

8. Graetz, Rudi, Berl<strong>in</strong>, Handelsrat, Rentner, vor 1933 Vorsitzender des Arbeiter-<strong>Esperanto</strong>-Bundes<br />

im Bezirk Mecklenburg, seit 1965 Mitglied des ZAKE sowie dessen Vorsitzender, Mitglied des<br />

Präsidialrates der KB, Mitglied des Internationalen Komitees der MEM. 62<br />

9. Hahlbohm, Rudolf, Berl<strong>in</strong>, Theaterwissens<strong>ch</strong>aftler, Sekretär e<strong>in</strong>es Kreisauss<strong>ch</strong>usses für<br />

Jugendweihe, seit 1965 Mitglied des ZAKE.<br />

10. Hamann, Jürgen, Leipzig, Student an der Fa<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ule für Bibliothekswissens<strong>ch</strong>aften, 1.<br />

Vorsitzender des BAK Leipzig, Mitglied der Jugendkommission des ZAKE, Mitglied des Komitees<br />

TEJO.<br />

11. Heil, Günter, Bernstadt, Re<strong>ch</strong>tsanwalt, Redakteur der <strong>Esperanto</strong>-Zeits<strong>ch</strong>rift Amikeco <strong>in</strong><br />

Punktdruck, Mitglied des Präsidiums des Deuts<strong>ch</strong>en Bl<strong>in</strong>den- und Sehs<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>enverbandes.<br />

12. He<strong>in</strong>el, Hans, Oederan, Diplomphilologe, Mitglied des BAK Karl-Marx-Stadt, seit 1969 Mitglied<br />

des ZAKE.<br />

13. Knapp, Raimund, Berl<strong>in</strong>, Abteilungsleiter im Bundessekretariat des DKB, 1967/68 Sekretär des<br />

ZAKE, Sekretär der Zentralen Kommission Fotografie im DKB.<br />

14. Knös<strong>ch</strong>ke, L<strong>in</strong>de, Berl<strong>in</strong>, Chemie-Ingenieur, bis 1970 Vorsitzende der KAG Bautzen, seit 1968<br />

Mitglied des ZAKE. 63<br />

15. Krause, Eri<strong>ch</strong>-Dieter, Leipzig, Diplomphilologe, Autor der Wörterbü<strong>ch</strong>er <strong>Esperanto</strong>/Deuts<strong>ch</strong> und<br />

Deuts<strong>ch</strong>/<strong>Esperanto</strong> (Verlag VEB Enzyklopädie Leipzig), Mitglied des BAK Leipzig, seit 1969<br />

Mitglied des ZAKE. 64<br />

16. Krips, Rita, Potsdam, Student<strong>in</strong> an der Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ule für Ökonomie, Karlshorst, Mitglied des BAK<br />

Potsdam und der Jugendkommission des ZAKE. 65<br />

17. Ruff, Wolfgang-Peter, Berl<strong>in</strong>, Dr., Oberarzt an der Akademie für ärztli<strong>ch</strong>e Fortbildung, seit 1968<br />

Mitglied des ZAKE.<br />

18. S<strong>ch</strong>ödl, Ludwig, Neurupp<strong>in</strong>, Obers<strong>ch</strong>ullehrer (i.R.), vor 1933 aktiver Funktionär des Deuts<strong>ch</strong>en<br />

Arbeiter-<strong>Esperanto</strong>-Bundes, Autor des 1. <strong>Esperanto</strong>-Lehrbu<strong>ch</strong>s der DDR, seit 1965 Mitglied des<br />

ZAKE.<br />

19. S<strong>ch</strong>ödl, Ingrid, Neurupp<strong>in</strong>, Fa<strong>ch</strong>lehrer<strong>in</strong>, Mitglied der Jugendkommission des ZAKE, Mitglied des<br />

Komitees TEJO.<br />

20. Vildebrand, Willy, Berl<strong>in</strong>, Kaufmann, vor 1933 Vorsitzender des Deuts<strong>ch</strong>en Arbeiter-<strong>Esperanto</strong>-<br />

Bundes, sowie Redakteur des Arbeiter-Esperantist, seit 1965 Mitglied des ZAKE und dessen<br />

stellvertretender Vorsitzender.<br />

21. Zimmermann, Wilhelm, Fürstenwalde, Rentner, vor 1933 aktives Mitglied des Deuts<strong>ch</strong>en<br />

Arbeiter-<strong>Esperanto</strong>-Bundes, seit 1965 Mitglied des ZAKE.<br />

Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigte Mitglieder des ZAKE waren ausserdem ex officio sämtli<strong>ch</strong>e Vorsitzende<br />

der Bezirksarbeitskreise:<br />

Ernst S<strong>ch</strong>onert – Berl<strong>in</strong><br />

Walter Röhner – Dresden<br />

Werner Habi<strong>ch</strong>t – Erfurt<br />

61<br />

S. http://falkenhahn.org.<br />

62<br />

Als Rudi Graetz 1972 65 Jahre alt wurde, veröffentli<strong>ch</strong>te der esperantist e<strong>in</strong>ige Angaben über se<strong>in</strong>e Biographie. Demna<strong>ch</strong><br />

wurde er 1924 Mitglied der Sozialdemokratis<strong>ch</strong>en Partei und 1930 Mitglied der Kommunistis<strong>ch</strong>en Partei Deuts<strong>ch</strong>lands. Um<br />

diese Zeit leitete er e<strong>in</strong>e Interessengesells<strong>ch</strong>aft für die Arbeiterkultur als Vorgänger des DKB <strong>in</strong> Mecklenburg. S<strong>ch</strong>on damals<br />

wirkte er für <strong>Esperanto</strong>, das er als Mittel des Klassenkampfes begriffen haben soll. In der Hitlerzeit sass er zwei Jahre im<br />

Gefängnis, dana<strong>ch</strong> habe er die illegale Arbeit fortgesetzt. Na<strong>ch</strong> der Gründung der DDR bekleidete er vers<strong>ch</strong>iedene höhere<br />

staatli<strong>ch</strong>e Funktionen als Diplomat, so als Leiter der Handelsvertretungen der DDR <strong>in</strong> Island (1957-59) und Dänemark<br />

(1960-64). Ausserdem leitete er DDR-Messedelegationen <strong>in</strong> Budapest, Accra, Kairo, Tripolis, Bagdad, Damaskus, Ulan-<br />

Bator. 1965 wurde Graetz wie bekannt Vorsitzender des Zentralen Arbeitskreises <strong>Esperanto</strong> im DKB. Graetz wurde mit<br />

vers<strong>ch</strong>iedenen DDR-Auszei<strong>ch</strong>nungen geehrt, so mit dem ‚Vaterländis<strong>ch</strong>en Verdienstorden’ und der ‚Johannes-R.-Be<strong>ch</strong>er-<br />

Medaille <strong>in</strong> Gold“<br />

63<br />

E<strong>in</strong> lesenswertes Interview mit L<strong>in</strong>de Knös<strong>ch</strong>ke ist <strong>in</strong> Bendias’ Bu<strong>ch</strong> über die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Eo-Jugend <strong>in</strong> der DDR<br />

ers<strong>ch</strong>ienen.<br />

64<br />

Se<strong>in</strong> Grosses WB Deuts<strong>ch</strong>-<strong>Esperanto</strong> (1679 S.) ist 2007 im Hamburger Buske-Verlag ers<strong>ch</strong>ienen.<br />

65<br />

In e<strong>in</strong>em lesenswerten Interview mit Rita Bahalwan (Krips), das Bendias <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bu<strong>ch</strong> veröffentli<strong>ch</strong>te wird das spätere<br />

tragis<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>icksal Ritas, die <strong>in</strong> den Jemen ausreiste und so der DDR-Eo-Jugend abhanden gekommen war, ges<strong>ch</strong>ildert.<br />

29


Helmut Lehmann – Frankfurt/Oder<br />

He<strong>in</strong>z Stengel – Gera<br />

Eri<strong>ch</strong> Würker – Karl-Marx-Stadt<br />

Jürgen Hamann – Leipzig<br />

Werner Pfennig – Neubrandenburg<br />

Ri<strong>ch</strong>ard Rabenalt 66 – Potsdam<br />

Günter Peters – Rostock<br />

Hans Diedri<strong>ch</strong> – S<strong>ch</strong>wer<strong>in</strong><br />

Robert Veigel – Suhl<br />

Ausserdem wurden zu den Sitzungen des ZAKE Vertreter der Kreisarbeitsgruppen<br />

Magdeburg, Cottbus und Halle e<strong>in</strong>geladen.<br />

Zentrales politis<strong>ch</strong>es Thema des Jahres 1973 war neben dem 125. Jubiläum des Ers<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>ens<br />

des Kommunistis<strong>ch</strong>en Manifests (1847/48) 67 der Puts<strong>ch</strong> <strong>in</strong> Chile. 68 Auf <strong>ganz</strong>en drei Seiten ereiferte<br />

si<strong>ch</strong> der esperantist unter dem Titel ‚Blutiger Komplott der Monopole’, die Gründe für die Misere <strong>in</strong><br />

dem südamerikanis<strong>ch</strong>en Staat zu erklären. <strong>Der</strong> mit e<strong>in</strong>seitigen Fakten gespickte Artikel war au<strong>ch</strong> klar<br />

gegen die USA und Westdeuts<strong>ch</strong>land geri<strong>ch</strong>tet. Anlässli<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>er Sitzung des ZAKE vom Oktober<br />

1973 <strong>in</strong> Magdeburg wurde u.a. festgestellt, dass „die allgeme<strong>in</strong>er werdende Politik der friedli<strong>ch</strong>en<br />

Koexistenz besonders <strong>in</strong> Europa und der Prozess der Integration der sozialistis<strong>ch</strong>en Länder <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> nur<br />

im Allgeme<strong>in</strong>en bessere Bed<strong>in</strong>gungen für die Arbeit der Esperantisten s<strong>ch</strong>afft, sondern dies <strong>in</strong> ständig<br />

steigendem Grad sogar erfordert. Die Bedeutung des <strong>Esperanto</strong> wird national und <strong>in</strong>ternational<br />

grösser, denn diese Spra<strong>ch</strong>e muss <strong>in</strong> wa<strong>ch</strong>sendem Grad dazu dienen, die sozialen Probleme, die von<br />

allgeme<strong>in</strong>em Interesse s<strong>in</strong>d, zu lösen.“ Um <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> zuletzt den wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Charakter der<br />

<strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>frage zu verdeutli<strong>ch</strong>en, fand an der Universität Jena e<strong>in</strong> wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>es Kolloquium<br />

über Interl<strong>in</strong>guistik statt, an dem der Slavist und Baltologe Prof. Dr. Viktor Falkenhahn von der<br />

Humboldt-Universität Berl<strong>in</strong> e<strong>in</strong> ausführli<strong>ch</strong>es Referat hielt, das <strong>in</strong> der esperantist vorgestellt wurde.<br />

Die anderen Referenten waren Prof. Dr. Harry Spitzbardt, Experte für Indonesis<strong>ch</strong>, und Detlev<br />

Blanke 69 . Das Kolloquium wurde von der „Fa<strong>ch</strong>gruppe Interl<strong>in</strong>guistik/<strong>Esperanto</strong>logie beim ZAKE<br />

organisiert.<br />

Im glei<strong>ch</strong>en Jahr fanden au<strong>ch</strong> die 10. Weltfestspiele der Jugend und Studenten <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> und<br />

der 58. <strong>Esperanto</strong>-Weltkongress <strong>in</strong> Belgrad statt. An beiden Veranstaltungen nahmen Esperantisten<br />

aus der DDR teil, na<strong>ch</strong> Jugoslawien fuhren erneut R. Graetz und D. Blanke. Mit se<strong>in</strong>er<br />

Kongressresolution, <strong>in</strong> der die europäis<strong>ch</strong>e Entspannungspolitik erwähnt wurde, blieb au<strong>ch</strong> dieser<br />

Kongress, dem der ‚jugoslawis<strong>ch</strong>e’ Präsident Ivo Lapenna fernblieb (was <strong>in</strong> der esperantist-Beri<strong>ch</strong>t<br />

unerwähnt blieb), <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> <strong>ganz</strong> unpolitis<strong>ch</strong>. Ausserdem wurde <strong>in</strong> Sarajevo der 29. Kongress der TEJO<br />

dur<strong>ch</strong>geführt, DDR-Vertreter waren Hans Ei<strong>ch</strong>horn, Ingrid S<strong>ch</strong>ödl und Jürgen Hamann. Im Oktober<br />

1973 unterzei<strong>ch</strong>nete die MEM und der Weltfriedensrat 70 e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Erklärung und bekräftigten<br />

die Zusammenarbeit. Offenbar als Folge dessen wurde Rudi Graetz im Mai 1974 als Mitglied <strong>in</strong> den<br />

Friedensrat der DDR gewählt.<br />

66<br />

Anlässli<strong>ch</strong> se<strong>in</strong>es 70. Geburtstags erhielt Rabenalt 1973 die Johannes-R.-Be<strong>ch</strong>er-Medaille <strong>in</strong> Gold.<br />

67<br />

Text s. http://www.marxists.org/esperanto/marx-engels/1848/manifesto/mkp.pdf. Neuübersetzung von D. Blanke<br />

(ers<strong>ch</strong>ienen 1990 im Moskauer Progress-Verlag).<br />

68<br />

Am 11. September 1973 puts<strong>ch</strong>te das Militär <strong>in</strong> Chile. <strong>Der</strong> drei Jahre zuvor demokratis<strong>ch</strong> gewählte sozialistis<strong>ch</strong>e<br />

Präsident Salvador Allende nahm si<strong>ch</strong> das Leben (und wurde <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> ermordet, wie der esperantist mit dem Verb murdiĝas<br />

anzeigte). <strong>Der</strong> Puts<strong>ch</strong> wurde von den USA politis<strong>ch</strong> und f<strong>in</strong>anziell unterstützt und war e<strong>in</strong> zentrales Ereignis im Kalten Krieg.<br />

69<br />

Blanke befasste si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> historiographis<strong>ch</strong> <strong>in</strong> zunehmendem Masse mit der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der v.a. deuts<strong>ch</strong>en Arbeiter-<br />

<strong>Esperanto</strong>bewegung und publizierte darüber e<strong>in</strong>ige Beiträge. 1975 ers<strong>ch</strong>ien <strong>in</strong> der esperantist e<strong>in</strong> mehrteiliger Artikel über<br />

‚Traditionen der deuts<strong>ch</strong>-sowjetis<strong>ch</strong>en Freunds<strong>ch</strong>aft <strong>in</strong> der Arbeiter-<strong>Esperanto</strong>-Bewegung’. Veröffentli<strong>ch</strong>t wurden <strong>in</strong> dieser<br />

Zeit au<strong>ch</strong> Beiträge von Prof. Dr. Magomet Isaev (1928-2011), e<strong>in</strong>es sowjetis<strong>ch</strong>en Interl<strong>in</strong>guisten kaukasis<strong>ch</strong>er Herkunft aus<br />

Moskau, der die sowjetis<strong>ch</strong>e Lesart der Propaganda des Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus vertrat und dessen Hauptaufgabe dar<strong>in</strong><br />

bestand, die sowjetis<strong>ch</strong>e Nationalitätenpolitik len<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>-bres<strong>ch</strong>news<strong>ch</strong>er Prägung zu ‚verkaufen’ und ‚wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>’ zu<br />

re<strong>ch</strong>tfertigen. Ni<strong>ch</strong>tsdestotrotz entwickelte si<strong>ch</strong> der esperantist unter Redakteur Blanke allmähli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> zu e<strong>in</strong>em Spra<strong>ch</strong>rohr<br />

der Interl<strong>in</strong>guistik im Ostblock, was au<strong>ch</strong> ausserhalb des Blocks Bea<strong>ch</strong>tung fand.<br />

70<br />

<strong>Der</strong> Weltfriedensrat stand damals unter der Führung des <strong>in</strong>dis<strong>ch</strong>en Kommunisten Romesh Chandra.<br />

30


Die DDR-Presse beri<strong>ch</strong>tete re<strong>ch</strong>t häufig über die Tätigkeit der Esperantisten und<br />

Interl<strong>in</strong>guisten <strong>in</strong> der DDR, e<strong>in</strong>e Tatsa<strong>ch</strong>e, die von der esperantist <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> ohne Stolz dokumentiert<br />

werden konnte. 71<br />

1974 nahmen an der Republikanis<strong>ch</strong>en Konferenz der Esperantisten im Rahmen des 25.<br />

Geburtstags der DDR <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> 200 Personen teil – 100 e<strong>in</strong>geladene Delegierte, die <strong>in</strong> den Genuss<br />

e<strong>in</strong>er Reiserückvergütung kamen, und 100 „Gäste“, die ihre Teilnahme selbst bezahlen mussten, wie<br />

es hiess. In se<strong>in</strong>em Leitartikel zum DDR-Jubiläum bes<strong>ch</strong>werte si<strong>ch</strong> der esperantist mit überhebli<strong>ch</strong>er<br />

Larmoyanz, dass der bisherige Weg zu diesem Zeitpunkt s<strong>ch</strong>wierig war, weil die „reaktionären Zirkel“<br />

des „anderen deuts<strong>ch</strong>en Staates“ die DDR <strong>in</strong> die „künstli<strong>ch</strong>e diplomatis<strong>ch</strong>e Isolierung“ geführt hätten.<br />

Die DDR sei aber als Sieger vor dem Urteil der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te hervorgegangen. Dies bezeuge die<br />

„blühende sozialistis<strong>ch</strong>e Gesells<strong>ch</strong>aft“ und die <strong>in</strong>ternationale Position, die die DDR errei<strong>ch</strong>t habe.<br />

Diplomatis<strong>ch</strong>e Beziehungen bestanden <strong>in</strong>zwis<strong>ch</strong>en mit 110 Staaten und die DDR war au<strong>ch</strong> Mitglied<br />

der UNO geworden.<br />

In se<strong>in</strong>em Hauptreferat konnte Rudi Graetz vermelden, dass <strong>in</strong> Südostasien si<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>e Lösung<br />

des Konflikts anbahnt und dass der Friedensprozess <strong>in</strong> Europa Forts<strong>ch</strong>ritte ma<strong>ch</strong>t. <strong>Esperanto</strong> werde <strong>in</strong><br />

der DDR als Mittel für die <strong>in</strong>ternationalen Beziehungen seriös behandelt, die Esperantisten im DKB<br />

seien ke<strong>in</strong>e Phantasten, sondern würden ihren Beitrag zur Popularisierung der DDR, zum Kampf für<br />

Frieden, Si<strong>ch</strong>erheit und gegen imperialistis<strong>ch</strong>e Kriege leisten. Falls es no<strong>ch</strong> Vorurteile gegen<br />

<strong>Esperanto</strong> gäbe (offenbar gab es wel<strong>ch</strong>e), sei es „unsere Pfli<strong>ch</strong>t, ihnen dur<strong>ch</strong> unsere politis<strong>ch</strong> bewusste<br />

und wirksame <strong>in</strong>ternationale Arbeit die Grundlage zu entziehen. Zu den wi<strong>ch</strong>tigsten Aufgaben dieser<br />

Arbeit zählte Graetz die Verbesserung des <strong>Esperanto</strong>-Unterri<strong>ch</strong>ts <strong>in</strong> den vers<strong>ch</strong>iedenen Kursen und die<br />

„Erhöhung der Qualität unserer politis<strong>ch</strong>-ideologis<strong>ch</strong>en und Fa<strong>ch</strong>arbeit“ (als „untrennbare E<strong>in</strong>heit“)<br />

sowie die „Vertiefung der Freunds<strong>ch</strong>aft mit den Esperantisten der Sowjetunion, den Na<strong>ch</strong>barländern<br />

und den anderen Ländern der sozialistis<strong>ch</strong>en Geme<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>aft“ 72 .<br />

Au<strong>ch</strong> am 59. <strong>Esperanto</strong>-Weltkongress von 1974 beim westdeuts<strong>ch</strong>en Klassenfe<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />

Hamburg ers<strong>ch</strong>ien wieder die übli<strong>ch</strong>e zweiköpfige DDR-Delegation <strong>in</strong> Gestalt von R. Graetz und D.<br />

Blanke, 73 wo sie Zeugen der sensationellen Ablösung des im Ostblock <strong>in</strong> Ungnade gefallenen<br />

Präsidenten Ivo Lapenna dur<strong>ch</strong> den GB/US-Bürger und TEJO-Präsidenten Humphrey Tonk<strong>in</strong> (*1939)<br />

wurden. In e<strong>in</strong>em Satz wurde dies immerh<strong>in</strong> als „Überras<strong>ch</strong>ung“ vermeldet. Die eigentli<strong>ch</strong>en<br />

H<strong>in</strong>tergründe dieses für die Verhältnisse <strong>in</strong> der <strong>Esperanto</strong>-Bewegung do<strong>ch</strong> epo<strong>ch</strong>alen Ereignisses, das<br />

neben der personellen Brisanz dur<strong>ch</strong>aus <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> ohne politis<strong>ch</strong>e Bedeutung war, wurde <strong>in</strong> der esperantist<br />

aber <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> ausgeführt. 74 Anlässli<strong>ch</strong> der „grossen Kongressdebatte“ zum Thema ‚Nationalismus und<br />

71<br />

Um die Haltung der DDR-Presse gegenüber <strong>Esperanto</strong> zu kennen, müssten sämtli<strong>ch</strong>e Artikel, die <strong>in</strong> der DDR-Presse über<br />

<strong>Esperanto</strong> ers<strong>ch</strong>ienen, na<strong>ch</strong>gelesen und kritis<strong>ch</strong> ausgewertet werden. der esperantist hatte diese Artikel regelmässig (oder<br />

sporadis<strong>ch</strong>) bibliographis<strong>ch</strong> erfasst.<br />

72<br />

Diese Nuance und die Reihenfolge s<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>en bemerkenswert zu se<strong>in</strong>. Erstmals wurde davon gespro<strong>ch</strong>en, die Beziehungen<br />

zu den Na<strong>ch</strong>barländern – geme<strong>in</strong>t war wohl <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie nur die BRD – zu vertiefen. In der Abs<strong>ch</strong>lusserklärung fehlten<br />

dann diese „Na<strong>ch</strong>barländer“ allerd<strong>in</strong>gs wieder.<br />

73<br />

Au<strong>ch</strong> an den weiteren Weltkongressen wurde die DDR offiziell stets dur<strong>ch</strong> Graetz und Blanke, na<strong>ch</strong> Graetz’ Tod von<br />

Blanke und Rudolf Hahlbohm vertreten.<br />

74<br />

Immerh<strong>in</strong> wurden die Stimmenverhältnisse gezeigt: Von 61 stimmbere<strong>ch</strong>tigten UEA-Komiteemitglieder, davon 18 aus<br />

dem Ostblock, stimmten 47 für Tonk<strong>in</strong>. Kommentiert wurde diese Wahl damit, dass man „das sterile Sektierertum“ (unter<br />

Lapenna) „und die Selbstisolation des <strong>in</strong>ternationalen Gesells<strong>ch</strong>aftslebens“ verlassen wollte. Da Lapenna befür<strong>ch</strong>tete, als<br />

Präsident <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> wieder gewählt zu werden, weil er die notwendigen Stimmen im Komitee <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> zusammenkriegte, verkündete<br />

er zu Beg<strong>in</strong>n des Kongresses, dass er von allen Ämtern <strong>in</strong> der UEA zurücktreten werde. <strong>Der</strong> Konflikt zwis<strong>ch</strong>en Lapenna und<br />

e<strong>in</strong>em Teil des UEA-Komitees s<strong>ch</strong>welte s<strong>ch</strong>on e<strong>in</strong>ige Jahre, und es wurde Zeit, e<strong>in</strong>en Generationswe<strong>ch</strong>sel an der Spitze des<br />

Weltbunds herbeizuführen. In der Folge gab es unter Tonk<strong>in</strong>, wohl selbst e<strong>in</strong> L<strong>in</strong>ker der 68er Generation, e<strong>in</strong>e spürbare<br />

Annäherung der UEA an die sozialistis<strong>ch</strong>en Staaten, an den Weltfriedensrat unter Chandra und an die UNESCO unter dem<br />

<strong>in</strong>ternational umstrittenen Generalsekretär M’Bow. In Hamburg wurden ausser Werner Bormann, e<strong>in</strong> westdeuts<strong>ch</strong>er Beamter,<br />

e<strong>in</strong> norwegis<strong>ch</strong>er Wissens<strong>ch</strong>aftler (Zoologe), drei unbedeutende Aktivisten aus den Beneluxstaaten sowie zwei der KP<br />

nahestehende Vertreter aus Ungarn und Polen <strong>in</strong> den UEA-Vorstand gewählt. <strong>Der</strong> Ostblock s<strong>ch</strong>ien mit diesen Veränderungen<br />

e<strong>in</strong>igermassen zufrieden zu se<strong>in</strong>, der unbequeme Lapenna war weg, ausgere<strong>ch</strong>net e<strong>in</strong> US-Bürger an der Spitze der UEA<br />

konnte aber trotz se<strong>in</strong>er Sympathien für die <strong>Esperanto</strong>-Bewegung <strong>in</strong> den sozialistis<strong>ch</strong>en und Drittweltländern no<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> <strong>ganz</strong><br />

die ideale Lösung bedeuten; während e<strong>in</strong> sol<strong>ch</strong>er, und gerade <strong>in</strong> der Gestalt e<strong>in</strong>es H. Tonk<strong>in</strong>, für die osteuropäis<strong>ch</strong>en<br />

Satelliten akzeptabel s<strong>ch</strong>ien, war er vor allem den für die <strong>Esperanto</strong>-Bewegung zuständigen Hardl<strong>in</strong>ern <strong>in</strong> der Sowjetunion<br />

suspekt, wie die <strong>ganz</strong>e UEA überhaupt (au<strong>ch</strong> dieser pe<strong>in</strong>li<strong>ch</strong>e Umstand konnte von der esperantist aus begreifli<strong>ch</strong>en Gründen<br />

nie beleu<strong>ch</strong>tet werden). Tonk<strong>in</strong> entwickelte si<strong>ch</strong> dann aber zu e<strong>in</strong>em der populärsten, vorbildli<strong>ch</strong>sten und unumstrittensten<br />

Präsidenten, den die UEA je hatte. Ausser über ihre Weltkongresse, wurde aber über die Arbeit der UEA selbst, die man im<br />

Ostblock genau beoba<strong>ch</strong>tete und zu bee<strong>in</strong>flussen versu<strong>ch</strong>te, <strong>in</strong> der esperantist im Allgeme<strong>in</strong>en wenig beri<strong>ch</strong>tet. Die<br />

31


<strong>in</strong>ternationale Zusammenarbeit <strong>in</strong> der heutigen Welt’ spra<strong>ch</strong> „Orator“ D. Blanke, der die<br />

Notwendigkeit unterstri<strong>ch</strong>, für die <strong>in</strong>ternationale Akzeptanz der Pr<strong>in</strong>zipien der friedli<strong>ch</strong>en Koexistenz<br />

als wi<strong>ch</strong>tigste Bed<strong>in</strong>gung für die <strong>in</strong>ternationale Zusammenarbeit wirksam zu se<strong>in</strong>.<br />

Argwohn wurde <strong>in</strong> der esperantist hervorgerufen, als bei der UEA 1974 das gewi<strong>ch</strong>tige<br />

enzyklopädis<strong>ch</strong>e Werk ‚<strong>Esperanto</strong> en perspektivo’ ers<strong>ch</strong>ien, dessen Chefredakteur Ivo Lapenna selbst<br />

war (die Mitverfasser waren der Westdeuts<strong>ch</strong>e Ulri<strong>ch</strong> L<strong>in</strong>s und der S<strong>ch</strong>weizer Tazio Carlevaro). Als<br />

anstössig empfunden wurden vor allem Aussagen, dass Zamenhof „der Spra<strong>ch</strong>e den Geist der<br />

Humanität und des Internationalismus e<strong>in</strong>hau<strong>ch</strong>te“, dass <strong>Esperanto</strong> e<strong>in</strong>e „solidarisierende Rolle“<br />

spiele, was zu bezweifeln sei, ebenso die Ansi<strong>ch</strong>t, <strong>Esperanto</strong> sei „der spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Ausdruck des<br />

re<strong>in</strong>sten humanistis<strong>ch</strong>en Internationalismus“. Dies alles sei <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> beweisbar, wurde moniert, e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e<br />

Spekulation und ma<strong>ch</strong>e den E<strong>in</strong>druck e<strong>in</strong>er Neuauflage der ‚<strong>in</strong>terna ideo’, was für e<strong>in</strong>e nü<strong>ch</strong>terne<br />

Diskussion ungeeignet sei. E<strong>in</strong> anderes Ärgernis bezog si<strong>ch</strong> auf die Aufarbeitung der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te,<br />

genauer auf die Verfolgung der Esperantisten <strong>in</strong> der Sowjetunion – e<strong>in</strong> <strong>in</strong> der DDR und dem übrigen<br />

Ostblock streng gehütetes Geheimnis, e<strong>in</strong> Tabu. 75 Es wäre besser, wenn das entspre<strong>ch</strong>ende Kapitel<br />

über diese Thema „weniger Vermutungen und mehr strikt beweisbare Fakten mit detaillierter<br />

Quellenangabe“ enthalten würde, me<strong>in</strong>te der Kritiker <strong>in</strong> der esperantist, der die damit verbundene<br />

Haltung des Ostblocks entspre<strong>ch</strong>end zu re<strong>ch</strong>tfertigen hatte. 76<br />

In e<strong>in</strong>em Leserbrief, der im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es Diskussionsbeitrags e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb Jahre später (!) <strong>in</strong> der<br />

esperantist veröffentli<strong>ch</strong>t wurde, fragte si<strong>ch</strong> Jaan Ojalo, e<strong>in</strong> bekannter Esperantist aus Tall<strong>in</strong>n<br />

(Estnis<strong>ch</strong>e SSR), ob die Humanität, der Internationalismus und die solidarisierende Rolle des<br />

<strong>Esperanto</strong> denn „antimarxistis<strong>ch</strong>“ seien. Genau dies sowie die ‚<strong>in</strong>terna ideo’, die Ideen der<br />

Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung, der Demokratie, der <strong>in</strong>ternationalen Freunds<strong>ch</strong>aft und Gere<strong>ch</strong>tigkeit seien die<br />

Gründe gewesen, warum er vor 50 Jahre <strong>Esperanto</strong> gelernt habe. Ob diese Ideen nun denn veraltet<br />

seien oder fals<strong>ch</strong> angewendet würden? Er, Ojalo, nehme au<strong>ch</strong> heute no<strong>ch</strong> an den <strong>Esperanto</strong>-<br />

Kongressen <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> deshalb teil, um Briefmarken auszutaus<strong>ch</strong>en oder Waren zu kaufen und zu verkaufen<br />

oder um Karten zu spielen, sondern diese <strong>in</strong>ternationalistis<strong>ch</strong>e Atmosphäre zu erleben, die die<br />

<strong>Esperanto</strong>-Bewegung ausstrahle. Ob diese Bewegung denn im Dunkeln herumirre? Ans<strong>ch</strong>liessend war<br />

auf zwei Seiten au<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong> die Antwort des Chefideologen D. Blanke beigefügt, der zu allen<br />

wi<strong>ch</strong>tigen Fragen des <strong>Esperanto</strong> Stellung zu nehmen beliebte. Spra<strong>ch</strong>e sei e<strong>in</strong> Instrument der<br />

Kommunikation, der Erkenntnis und des Denkens, aber Spra<strong>ch</strong>e sei ke<strong>in</strong>e Ideologie, bemühte er si<strong>ch</strong>,<br />

den Sowjetesten zu belehren, <strong>in</strong> der Hoffnung, dass „Ihre estnis<strong>ch</strong>e Bewegung <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> im Dunkeln<br />

herumirrt“. Folgli<strong>ch</strong> sei <strong>Esperanto</strong> an si<strong>ch</strong> weder kosmopolitis<strong>ch</strong>, no<strong>ch</strong> forts<strong>ch</strong>rittli<strong>ch</strong>, weder<br />

kommunistis<strong>ch</strong>, no<strong>ch</strong> reaktionär. Er, Blanke, kenne Esperantisten, die <strong>in</strong> <strong>Esperanto</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>s<br />

Solidarisierendes sähen, sondern si<strong>ch</strong> mittels der ‚geliebten Spra<strong>ch</strong>e’ e<strong>in</strong>ander bekämpften und<br />

e<strong>in</strong>ander hassten. Sogar der Fas<strong>ch</strong>ismus habe <strong>Esperanto</strong> für se<strong>in</strong>e Zwecke benutzt. <strong>Esperanto</strong> habe also<br />

ke<strong>in</strong>e ‚solidarisierende Funktion’. Etwas <strong>Der</strong>artiges zu behaupten bedeute „bewusste<br />

Geistesvernebelung“ zu betreiben. Als Spra<strong>ch</strong>e könne <strong>Esperanto</strong> also weder Ausdruck irgende<strong>in</strong>er<br />

Ideologie no<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>er ‚<strong>in</strong>neren Idee’ se<strong>in</strong> und es könne au<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> für e<strong>in</strong>en ‚humanistis<strong>ch</strong>en<br />

Internationalismus’ verwendet werden, dur<strong>ch</strong> den e<strong>in</strong>ige den proletaris<strong>ch</strong>en Internationalismus<br />

ersetzen mö<strong>ch</strong>ten. Es folgten weitere Ausführungen. Er, Blanke, verne<strong>in</strong>e <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>, dass es e<strong>in</strong>e Idee,<br />

‚<strong>in</strong>terna ideo’ genannt, gäbe, die von Dr. Zamenhof vorgestellt wurde. Aber Zamenhof habe die<br />

Fähigkeiten der Spra<strong>ch</strong>e für die Lösung der gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Probleme <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Charakters<br />

übers<strong>ch</strong>ätzt. <strong>Esperanto</strong> an si<strong>ch</strong> könne die Mens<strong>ch</strong>en <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> verbrüdern, aber es könne für die<br />

gegenseitige Verständigung hilfrei<strong>ch</strong> se<strong>in</strong>. Zamenhof wollte, dass <strong>Esperanto</strong> für bestimmte<br />

humanistis<strong>ch</strong>e Zwecke verwendet werde, so etwa für die Beseitigung von Kriegen, des ethnis<strong>ch</strong>en<br />

hartgesottenen Lapennisten distanzierten si<strong>ch</strong> von der UEA und gründeten e<strong>in</strong>e eigene „neutrale“ Bewegung, die 1987 mit<br />

den Tod des Führers Lapenna allerd<strong>in</strong>gs au<strong>ch</strong> wieder vers<strong>ch</strong>wand.<br />

75 In e<strong>in</strong>em Interview mit T. Bendias <strong>in</strong> dem Bu<strong>ch</strong> ‚Die <strong>Esperanto</strong>-Jugend <strong>in</strong> der DDR’ (2011, S. 70) behauptete D. Blanke,<br />

die Verfolgungen der Esperantisten „ziemli<strong>ch</strong> genau“ gekannt zu haben, ohne nähere Angaben zu ma<strong>ch</strong>en. Blanke wörtli<strong>ch</strong>:<br />

„I<strong>ch</strong> wusste man<strong>ch</strong>es über die Verfolgungen (...), natürli<strong>ch</strong> nie im vollen Masse.“ R. Graetz „und andere“ hätten darüber<br />

besser Bes<strong>ch</strong>eid gewusst. Gerade von R. Graetz und den anderen ist jedo<strong>ch</strong> ke<strong>in</strong> Wort darüber dokumentiert worden.<br />

76 S. der esperantist 70/1974, S 12. <strong>Der</strong> Beitrag über die Verfolgung der Eo-Bewegung <strong>in</strong> der Sowjetunion stützte si<strong>ch</strong> auf<br />

verme<strong>in</strong>tli<strong>ch</strong> zuverlässige Quellen ab. Die Aufarbeitung der stal<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>en Verbre<strong>ch</strong>en im Falle der <strong>Esperanto</strong>-Bewegung im<br />

Ostblock wurde von den kommunistis<strong>ch</strong>en Chefideologen bekämpft, an vorderster Front von Seiten des Bulgaren Nikola<br />

Aleksiev, der bei der UEA gegen die Veröffentli<strong>ch</strong>ung dieses Kapitels sogar Protest e<strong>in</strong>legte. <strong>Der</strong> <strong>ganz</strong>e Beitrag zu diesem<br />

Thema ers<strong>ch</strong>ien 1988 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Bu<strong>ch</strong> mit dem Titel ‚Die gefährli<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e’.<br />

32


Hasses, der Rassendiskrim<strong>in</strong>ation usw. Dar<strong>in</strong> liege der tiefe Humanismus des Autors unserer Spra<strong>ch</strong>e.<br />

Tatsa<strong>ch</strong>e sei, dass vers<strong>ch</strong>iede Motive des Ideengutes von Zamenhof au<strong>ch</strong> heute no<strong>ch</strong> <strong>in</strong> der <strong>Esperanto</strong>-<br />

Bewegung na<strong>ch</strong>wirkten. Aber die französis<strong>ch</strong>en Esperantisten und andere hätten dies bereits zu<br />

Beg<strong>in</strong>n des 20. Jahrhunderts kritisiert. Wenn man die Realität der Ans<strong>ch</strong>auung behalte, könne man<br />

sehen, dass diese Idee dur<strong>ch</strong>aus e<strong>in</strong>e forts<strong>ch</strong>rittli<strong>ch</strong>e Rolle spielen kann. Die <strong>Esperanto</strong>-Bewegung sei<br />

do<strong>ch</strong> immer für den Forts<strong>ch</strong>ritt e<strong>in</strong>getreten. Aber zu glauben. dass es genüge, Esperantist zu se<strong>in</strong>, um<br />

glei<strong>ch</strong>zeitig automatis<strong>ch</strong> e<strong>in</strong> Friedenskämpfer zu se<strong>in</strong>,“ sei e<strong>in</strong>e „fals<strong>ch</strong>e Vermutung“. Die<br />

ideologis<strong>ch</strong>e Struktur der <strong>Esperanto</strong>-Bewegung sei e<strong>in</strong> Mikromodell der weltweiten ideologis<strong>ch</strong>en<br />

Struktur. Au<strong>ch</strong> unter Afrikanern, die vers<strong>ch</strong>iedene Spra<strong>ch</strong>en spre<strong>ch</strong>en, gäbe es e<strong>in</strong>e<br />

„<strong>in</strong>ternationalistis<strong>ch</strong>e Atmosphäre“, aber alle würden für die Unabhängigkeit ihrer Länder kämpfen.<br />

Und gäbe es <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> au<strong>ch</strong> e<strong>in</strong> „starkes <strong>in</strong>ternationalistis<strong>ch</strong>es Gefühl“ zwis<strong>ch</strong>en Kommunisten<br />

vers<strong>ch</strong>iedener Länder selbst ohne spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Verständigung? Wenn wir Esperantisten die Welt<br />

ändern wollten, sollten wir mit den „forts<strong>ch</strong>rittli<strong>ch</strong>en Kräften“ und mit den „allgeme<strong>in</strong>en<br />

Gesetzli<strong>ch</strong>keiten“ aktiv handeln, die für die Entwicklung der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te relevant seien.<br />

Die Rolle der <strong>in</strong>ternationalen spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Kommunikation und folgli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> des <strong>Esperanto</strong> habe <strong>in</strong><br />

letzter Zeit begonnen, vor uns <strong>in</strong> neuen Dimensionen zu ers<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>en, derer si<strong>ch</strong> Leute wie Lapenna<br />

offenbar <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> bewusst seien und über die si<strong>ch</strong> <strong>in</strong> dem Bu<strong>ch</strong> ‚<strong>Esperanto</strong> en perspektivo’ <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>s f<strong>in</strong>den<br />

lässt, obwohl der Titel dies suggeriere. Er Blanke, hoffe, mit diesen Ausführungen nur e<strong>in</strong> wenig auf<br />

die Fragen geantwortet zu haben, die von Ojalo gestellt worden waren. 77 Es s<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>t, dass Blanke dazu<br />

ansetzte, e<strong>in</strong>e Art neuer marxistis<strong>ch</strong>er Theorie für das <strong>Esperanto</strong> zu formulieren. Damit ist er aber<br />

spätestens 1990 gründli<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>eitert – zu Re<strong>ch</strong>t, denn se<strong>in</strong> geistesvernebelnde Gefasel, das <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong><br />

e<strong>in</strong>mal von authentis<strong>ch</strong>en Marxisten ernst genommen werden kann, war und ist no<strong>ch</strong> immer<br />

unerträgli<strong>ch</strong>.<br />

Mit dem Polnis<strong>ch</strong>en <strong>Esperanto</strong>-Verband wurde 1975 e<strong>in</strong> Zusammenarbeitsvertrag<br />

unters<strong>ch</strong>rieben, der die Dur<strong>ch</strong>führung geme<strong>in</strong>samer Aktivitäten wie Grenztreffen und den Austaus<strong>ch</strong><br />

von Referenten und Materialien vorsah. 78 1975 wurde des 100. Geburtstages von Thomas Mann<br />

geda<strong>ch</strong>t, dem S<strong>ch</strong>riftsteller, der <strong>in</strong> Lübeck geboren wurde, <strong>in</strong> Mün<strong>ch</strong>en studierte und arbeitete und<br />

1955 <strong>in</strong> Züri<strong>ch</strong> starb, der „während se<strong>in</strong>es <strong>ganz</strong>en Lebens mit dem Problem der bürgerli<strong>ch</strong>en Existenz<br />

und deren Existenzbere<strong>ch</strong>tigung fertig werden musste, der als grosser Chronist den bürgerli<strong>ch</strong>en<br />

Zerfall festhielt“, sozusagen „die Erfüllung e<strong>in</strong>es historis<strong>ch</strong>en Verdikts“. Obwohl er „niemals das<br />

Verständnis für das Proletariat erlangt“ und „es literaris<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> dargestellt“ habe, „hatte er am Ende<br />

se<strong>in</strong>es Lebens e<strong>in</strong> gewisses Gefühl für die Kräfte se<strong>in</strong>er Rolle (...)“, stand <strong>in</strong> der esperantist<br />

ges<strong>ch</strong>rieben.<br />

Was den Hels<strong>in</strong>ki-Prozess betraf, war der esperantist der Ansi<strong>ch</strong>t, dass gerade die<br />

Esperantisten zu denen gehören sollten, die diesen Prozess am meisten unterstützen sollten. Denn dies<br />

würde diem <strong>in</strong>ternationale Zusammenarbeit fördern und natürli<strong>ch</strong> gäbe es au<strong>ch</strong> dort e<strong>in</strong><br />

Spra<strong>ch</strong>enproblem. Offenbar witterte man Luft, für das eigene Anliegen, zur Lösung dieser<br />

Spra<strong>ch</strong>enprobleme, beizutragen. Im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es Seitenhiebs gegen den Westen hielt es der esperantist<br />

für erwähnenswert, dass am 60. <strong>Esperanto</strong>-Weltkongress <strong>in</strong> Kopenhagen die F<strong>in</strong>anzkrise <strong>in</strong> den<br />

westli<strong>ch</strong>en Staaten für das Defizit der UEA und für die Valutas<strong>ch</strong>wierigkeiten der sozialistis<strong>ch</strong>en<br />

Staaten für verantwortli<strong>ch</strong> gehalten wurde. 79<br />

In Bad Saarow fand im Januar 1975 e<strong>in</strong> Sem<strong>in</strong>ar der <strong>Esperanto</strong>-Jugendli<strong>ch</strong>en der DDR statt.<br />

Etwa 30 Jugendli<strong>ch</strong>e fanden si<strong>ch</strong> am 28.6.1975 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er Sitzung zusammen, und e<strong>in</strong>e<br />

Kommission, bestehend aus 26 Mitgliedern, wurde zusammengestellt, um die Jugendaktivitäten <strong>in</strong><br />

Zukunft zu leiten. <strong>Der</strong> Vorstand der Jugendkommission des ZAKE 80 setzte si<strong>ch</strong> aus den folgenden<br />

Mitgliedern zusammen:<br />

77 der esperantist, Nr. 79/1976, S. 13f.<br />

78 Analoge Zusammenarbeitsverträge wurden <strong>in</strong> den 70ern vom ZAKE au<strong>ch</strong> mit den <strong>Esperanto</strong>-Landesverbänden <strong>in</strong><br />

Bulgarien und der Ts<strong>ch</strong>e<strong>ch</strong>oslowakei (separat mit dem ts<strong>ch</strong>e<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en und slowakis<strong>ch</strong>en Verband) unterzei<strong>ch</strong>net.<br />

79 E<strong>in</strong>e sol<strong>ch</strong>e Behauptung, von denen es <strong>in</strong> der esperantist nur so wimmelt, ist typis<strong>ch</strong> für die Propaganda dieses DDR-<br />

Organs. Die Behauptung blieb völlig unreflektiert und im Raum stehen. So müsste <strong>in</strong> dem Beri<strong>ch</strong>t von D. Blanke zum<strong>in</strong>dest<br />

der (mögli<strong>ch</strong>e) Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en westli<strong>ch</strong>er F<strong>in</strong>anzkrise und den Valutas<strong>ch</strong>wierigkeiten der sozialistis<strong>ch</strong>en Ländern<br />

ausgeführt werden (aber Blanke war ke<strong>in</strong> Ökonom und er s<strong>ch</strong>ien au<strong>ch</strong> ke<strong>in</strong>e Ahnung von den ökonomis<strong>ch</strong>en Problemen der<br />

DDR <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> zu kennen, die <strong>in</strong> der esperanist <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> zur Spra<strong>ch</strong>e kamen...).<br />

80 In e<strong>in</strong>em Interview mit T. Bendias <strong>in</strong> dem Bu<strong>ch</strong> ‚Die <strong>Esperanto</strong>-Jugend <strong>in</strong> der DDR’ (2011) erklärte Blanke, wieso er strikt<br />

gegen die Bildung e<strong>in</strong>er <strong>Esperanto</strong>-Jugend ausserhalb des Kulturbunds gewesen war und e<strong>in</strong>e sol<strong>ch</strong>e erfolgrei<strong>ch</strong> verh<strong>in</strong>derte<br />

33


Rita Krips (*1953), Potsdam, Ökonom<strong>in</strong>, Vorsitzende<br />

Renate S<strong>ch</strong>ütt (*1956), Dresden, Student<strong>in</strong> der Verkehrswirts<strong>ch</strong>aft, stv. Vorsitzende<br />

Gabriele Müller (*1953), Berl<strong>in</strong>, Übersetzer<strong>in</strong>, stv. Vorsitzende<br />

Ingrid Erfurth (*1953), Jena, Universitätsassistent<strong>in</strong> Literaturwissens<strong>ch</strong>aft<br />

Marita Dörner (*1953), Meissen, Beamt<strong>in</strong><br />

Mi<strong>ch</strong>ael Lennartz (*1955), Ludwigsfelde, Student, Soldat, (später: Arbeiter)<br />

<strong>Der</strong> ZAKE verspra<strong>ch</strong> zwar Unterstützung, s<strong>ch</strong>ien die Jugendkommission aber au<strong>ch</strong> immer mit<br />

e<strong>in</strong>er ‚gesunden’ Portion Skepsis und Distanz zu betra<strong>ch</strong>ten; Blanke s<strong>ch</strong>rieb: „Freili<strong>ch</strong> wird man na<strong>ch</strong><br />

e<strong>in</strong>er gewissen Zeit sehen, ob die Leitung <strong>in</strong> der aktuellen Zusammensetzung arbeitssam, arbeitsfähig<br />

und arbeitend ist (...).“ <strong>Der</strong> entspre<strong>ch</strong>ende Artikel <strong>in</strong> der esperantist wurde <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> etwa von Rita Krips,<br />

sondern von D.B. gezei<strong>ch</strong>net. 81<br />

Rudolf Hahlbohm veröffentli<strong>ch</strong>te e<strong>in</strong>en Artikel über die Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung von Männern und<br />

Frauen und lobte die sozialistis<strong>ch</strong>en Länder, <strong>in</strong> denen im Unters<strong>ch</strong>ied zu den kapitalistis<strong>ch</strong>en Staaten<br />

die „volle Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung der Frauen“ „garantiert“ sei. Na<strong>ch</strong> Jahrzehnten der Unterdrückung habe<br />

die Sowjetunion mit der Sozialistis<strong>ch</strong>en Oktoberrevolution e<strong>in</strong> Exempel für die „wahre Befreiung der<br />

Frau“ statuiert, und na<strong>ch</strong> dem 2. Weltkrieg seien ihm die sozialistis<strong>ch</strong>en Staaten gefolgt. Wel<strong>ch</strong>e<br />

realen sozialen Probleme aber <strong>in</strong> der DDR damit verbunden waren, weil „84,5% der arbeitsfähigen<br />

Frauen berufli<strong>ch</strong> tätig s<strong>in</strong>d, lernen oder studieren“, wurde freili<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> erörtert. Au<strong>ch</strong> dieser Artikel<br />

war <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mehr als pure Propaganda und gehörte <strong>in</strong> die Kategorie der Täus<strong>ch</strong>ungsmanöver des DDR-<br />

Regimes.<br />

<strong>Der</strong> Jahrgang 1976 von der esperantist wurde mit e<strong>in</strong>er Hommage an Wilhelm Pieck<br />

e<strong>in</strong>geleitet, der vor hundert Jahren geboren wurde. Au<strong>ch</strong> dieser Artikel Ludwig S<strong>ch</strong>ödls war e<strong>in</strong>seitig.<br />

Während überras<strong>ch</strong>end mehrmals die Rolle der Sozialdemokratis<strong>ch</strong>en Partei, der si<strong>ch</strong> Pieck 1905<br />

ans<strong>ch</strong>loss, genannt wurde, wurde weder se<strong>in</strong> (<strong>in</strong>zwis<strong>ch</strong>en abges<strong>ch</strong>afftes) Amt als Staatspräsident der<br />

DDR no<strong>ch</strong> se<strong>in</strong> Gefährte Otto Grotewohl erwähnt, der si<strong>ch</strong> als s<strong>ch</strong>arfer Kritiker des<br />

Sozialdemokratismus profilierte und massgebli<strong>ch</strong> zur Verankerung des Stal<strong>in</strong>ismus <strong>in</strong> der DDR<br />

beigetragen hatte. Es folgte e<strong>in</strong> Artikel über Ernst Thälmann. Obwohl <strong>in</strong> diesem Jahr se<strong>in</strong> 90.<br />

Geburtstag wiederkehrte, wurde <strong>in</strong> dem Artikel von Walter Bartel vor allem dessen Tötung im August<br />

1944 im KZ Bu<strong>ch</strong>enwald behandelt. Unter dem E<strong>in</strong>druck des XXV. Parteitags der KPdSU, der im<br />

Februar 1976 <strong>in</strong> Moskau stattfand, s<strong>ch</strong>rieb der esperantist, dass die Jugendarbeit gefördert und „das<br />

spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e und fa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Niveau e<strong>in</strong>es jeden Esperantisten systematis<strong>ch</strong> verbessert werden muss“. E<strong>in</strong><br />

Auszug der Rede L.I. Brežnevs über die „Stärkung der E<strong>in</strong>igung der sozialistis<strong>ch</strong>en Bruderstaaten und<br />

der Zusammenarbeit beim Aufbau der neuen Gesells<strong>ch</strong>aft“ wurde mit se<strong>in</strong>em Friedensaufruf <strong>in</strong> der<br />

esperantist abgedruckt. Au<strong>ch</strong> die SED hatte ihren Parteitag: der esperantist 78/1976 s<strong>ch</strong>rieb: „Auf<br />

se<strong>in</strong>er Sitzung vom 12. und 13. Juni 1976 <strong>in</strong> Rathenow bes<strong>ch</strong>äftigte si<strong>ch</strong> der Zentrale Arbeitskreis<br />

<strong>Esperanto</strong> im Kulturbund der DDR ausführli<strong>ch</strong> mit den Bes<strong>ch</strong>lüssen des IX. Parteitages der SED.<br />

Diese Bes<strong>ch</strong>lüsse, so wurde festgestellt, bestätigten die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des bisher bes<strong>ch</strong>rittenes Weges<br />

au<strong>ch</strong> im Tätigkeitsberei<strong>ch</strong> der Esperantisten und legten neue Massstäbe für die zukünftige Arbeit fest.“<br />

Am 16. Juni 1976 verteidigte D. Blanke an der Humboldt-Universität im Fa<strong>ch</strong> verglei<strong>ch</strong>ende<br />

Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft (<strong>Esperanto</strong>logie) se<strong>in</strong>e Dissertation zum Thema ‚Planspra<strong>ch</strong>e und<br />

Nationalspra<strong>ch</strong>e, e<strong>in</strong> Beitrag zur Erfors<strong>ch</strong>ung ihrer spezifis<strong>ch</strong>en Kommunikationsleistungen, gezeigt<br />

(„die FDJ hätte das <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> gerne gesehen, dass auf e<strong>in</strong>mal selbständige Jugendverbände ausserhalb der FDJ existieren. I<strong>ch</strong><br />

muss sagen, i<strong>ch</strong> persönli<strong>ch</strong> und au<strong>ch</strong> der ZV waren <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> daran <strong>in</strong>teressiert, e<strong>in</strong>e Jugendsektion ausserhalb der Strukturen des<br />

KB zu haben.“ Weiter: „Wir wollten <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>s Unnötiges provozieren.“ Ferner: „“Wir haben zwar verstanden“, „dass<br />

Jugendli<strong>ch</strong>e <strong>in</strong> der gesamten DDR stärker ihre Freiräume e<strong>in</strong>forderten“, „aber fanden das <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> so gut.“ „Wir konnten ke<strong>in</strong><br />

Interesse daran haben, uns dur<strong>ch</strong> unbeda<strong>ch</strong>tes Verhalten Probleme zu organisieren. Dazu gehörte au<strong>ch</strong> die Förderung<br />

selbständiger und unabhängiger Jugendgruppen. I<strong>ch</strong> glaube gerne, dass man<strong>ch</strong>e Jugendli<strong>ch</strong>e die S<strong>ch</strong>wierigkeiten <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong><br />

e<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>ätzen konnten. Natürli<strong>ch</strong> gab es au<strong>ch</strong> man<strong>ch</strong>mal von uns überzogene Reaktionen. Das will i<strong>ch</strong> gar <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> bestreiten.“).<br />

Diese Verh<strong>in</strong>derungspolitik dürfte dazu beigetragen haben, dass die <strong>Esperanto</strong>-Jugend <strong>in</strong> der DDR nur e<strong>in</strong> kümmerli<strong>ch</strong>es<br />

Dase<strong>in</strong> fristete. In se<strong>in</strong>em Bu<strong>ch</strong> klassifiziert Bendias die <strong>Esperanto</strong>-Jugend der DDR als „Nis<strong>ch</strong>e“, „Jugendnetzwerk“,<br />

„Sozialisationsraum“ und „Flu<strong>ch</strong>tort zuglei<strong>ch</strong>“.<br />

81 Wie Bendias <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em lesenswerten Bu<strong>ch</strong> über die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Eo-Jugend <strong>in</strong> der DDR, S. 149, festhält, sollte na<strong>ch</strong> dem<br />

Willen der DDR-Jugendkommission der TEJO-Weltkongress <strong>in</strong> der DDR stattf<strong>in</strong>den. Seitens des ZK der SED und der FDJ<br />

war sogar grünes Li<strong>ch</strong>t gegeben worden. Dann wurde der Kongress jedo<strong>ch</strong> von TEJO abgesagt (Gründe werden <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong><br />

angegeben). <strong>Der</strong> entspre<strong>ch</strong>ende TEJO-Kongress fand dann aber <strong>in</strong> Fredericia, im ‚Na<strong>ch</strong>barland’ Dänemark statt. Wenn i<strong>ch</strong><br />

<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>s übersehen habe, wurde den Lesern von der esperantist e<strong>in</strong>e Information über diese Probleme vorenthalten.<br />

34


am konfrontativen Verglei<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>iger Probleme der Wortbildung des <strong>Esperanto</strong> und des Deuts<strong>ch</strong>en’.<br />

Inhalte und Thesen wurden <strong>in</strong> der esperantist 79/1976 ausführli<strong>ch</strong> vorgestellt. Blankes Arbeit war<br />

überhaupt die erste Dissertation, die <strong>in</strong> der DDR zu e<strong>in</strong>em esperantologis<strong>ch</strong>en Thema vorgelegt wurde.<br />

In e<strong>in</strong>em mit R. Graetz, der der Verteidigung beiwohnte, geführten Interview sagte Blanke, er habe<br />

mit se<strong>in</strong>er Dissertation zur Erhöhung des Prestiges des <strong>Esperanto</strong> <strong>in</strong> der DDR beitragen wollen. Auf<br />

das entspre<strong>ch</strong>ende Thema angespro<strong>ch</strong>en, antwortete der Autor der Dissertation, dass er an der<br />

Humboldt-Universität ke<strong>in</strong>en H<strong>in</strong>dernisssen begegnet, sondern im Gegenteil dazu ermutigt worden<br />

sei, si<strong>ch</strong> mit e<strong>in</strong>em sol<strong>ch</strong>en Thema zu befassen; das Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Institut der Akademie der<br />

Wissens<strong>ch</strong>aften der DDR habe si<strong>ch</strong> für e<strong>in</strong>e Zusammenarbeit <strong>in</strong>teressiert gezeigt.<br />

E<strong>in</strong> weiteren Erfolg konnte der ZAKE auf <strong>in</strong>ternationaler Ebene verbu<strong>ch</strong>en. Am 61.<br />

<strong>Esperanto</strong>-Weltkongress <strong>in</strong> Athen wurde er als Kollektivmitglied <strong>in</strong> den Weltbund aufgenommen. 82<br />

Rudi Graetz wurde Mitglied des <strong>in</strong>ternationalen UEA-Komitees. Was 1974 <strong>in</strong> Hamburg no<strong>ch</strong> ke<strong>in</strong><br />

Thema war, gelang zwei Jahre später <strong>in</strong> Athen. Selbst das SED-Zentralorgan Neues Deuts<strong>ch</strong>land<br />

beri<strong>ch</strong>tete <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em 30-zeiligen Beitrag über die Aufnahme der DDR <strong>in</strong> die UEA. An ihrer Sitzung<br />

spra<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> die MEM für die Lösung des Zypernproblems aus. Amadou Mahtar M’Bow, der als<br />

Generaldirektor der UNESCO vor allem <strong>in</strong> USA und GB umstritten war, sandte e<strong>in</strong>e Grussbots<strong>ch</strong>aft<br />

na<strong>ch</strong> Athen und versi<strong>ch</strong>erte die UEA mit ihren „grossen Zielen“ „bei der besseren Verständigung der<br />

Völker“ zu helfen, se<strong>in</strong>er Sympathie. 83 <strong>Esperanto</strong> als Spra<strong>ch</strong>e fand <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Bots<strong>ch</strong>aft aber ke<strong>in</strong>e<br />

explizite Erwähnung. In der Ts<strong>ch</strong>e<strong>ch</strong>oslowakei ers<strong>ch</strong>ienen auf <strong>Esperanto</strong> die S<strong>ch</strong>lussakte der KSZE. 84<br />

Das Jahr 1977 85 stand unter dem E<strong>in</strong>druck der 2. Zentralen Konferenz der Esperantisten im<br />

Kulturbund der DDR, der im November 1976 mit 180 DDR-Delegierten und 20 ausländis<strong>ch</strong>en Gästen<br />

<strong>in</strong> Leipzig stattfand, des 60. Altersjubiläums der „Grossen Sozialistis<strong>ch</strong>en Oktoberrevolution“ <strong>in</strong><br />

Russland und des 70. jährigen Jubiläums von Rudi Graetz sowie dessen abruptem Ableben im<br />

glei<strong>ch</strong>en Jahr.<br />

Die 2. Zentrale Konferenz der Esperantisten im Kulturbund der DDR, e<strong>in</strong>e Art<br />

Landeskongress der Esperantisten der DDR, verabs<strong>ch</strong>iedete e<strong>in</strong>e „Erklärung“ und e<strong>in</strong>e<br />

„Ents<strong>ch</strong>liessung“, deren Wortlaut hier wiedergeben werden soll:<br />

Erklärung<br />

der Delegierten der II. Zentralen Konferenz der Esperantisten im Kulturbund der DDR<br />

Die Esperantisten im Kulturbund der DDR bekunden ihren festen Willen, als Bürger der DDR und als<br />

Internationalisten au<strong>ch</strong> <strong>in</strong> Zukunft ihren spezifis<strong>ch</strong>en Beitrag zur weiteren Herausbildung der<br />

entwickelten sozialistis<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft <strong>in</strong> der Deuts<strong>ch</strong>en Demokratis<strong>ch</strong>en Republik zu leisten.<br />

Sie bekennen si<strong>ch</strong> zur festen Freunds<strong>ch</strong>aft mit der Sowjetunion und den anderen sozialistis<strong>ch</strong>en<br />

Bruderländern, der wi<strong>ch</strong>tigsten Grundlage für die weitere Stärkung der Kräfte des Sozialismus, des<br />

Friedens und der Entspannung.<br />

Ausgehend von den Positionen des Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus setzen sie si<strong>ch</strong> für die Ideale des Friedens<br />

und des Humanismus e<strong>in</strong> und wenden si<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>ieden gegen imperialistis<strong>ch</strong>e Kriege und gegen alle<br />

Versu<strong>ch</strong>e, den Prozess der Entspannung aufzuhalten oder rückgängig zu ma<strong>ch</strong>en.<br />

Die Esperantisten im Kulturbund der DDR solidarisieren si<strong>ch</strong><br />

- mit allen Bemühungen, die der Verwirkli<strong>ch</strong>ung der S<strong>ch</strong>lussakte der Konferenz für Si<strong>ch</strong>erheit und<br />

Zusammenarbeit <strong>in</strong> Europa (Hels<strong>in</strong>ki 1975) <strong>in</strong> ihrer Gesamtheit dienen und heben <strong>in</strong> diesem<br />

82<br />

Ausgewiesen wurden 45 Ja und 4 Ne<strong>in</strong>-Stimmen.<br />

83<br />

Am 62. <strong>Esperanto</strong>-Weltkongress von 1977 ers<strong>ch</strong>ien M’Bow dann no<strong>ch</strong> persönli<strong>ch</strong> <strong>in</strong> Reykjavik und hielt e<strong>in</strong>e längere<br />

Rede, die <strong>in</strong> der esperantist abgedruckt wurde.<br />

84<br />

Im glei<strong>ch</strong>en Jahr 1976 wurde pro memoria die DDR vom Skandal der Biermann-Ausbürgerung ers<strong>ch</strong>üttert. Da dieses<br />

europaweit Aufsehen erregende Ereignis die <strong>Esperanto</strong>-Bewegung s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> ja <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>s ang<strong>in</strong>g, fand es freili<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> <strong>in</strong><br />

Medien wie der esperantist ke<strong>in</strong>e Resonanz.<br />

85<br />

Au<strong>ch</strong> dies war e<strong>in</strong> heikles Jahr im Ostblock. Im Na<strong>ch</strong>barland ČSSR stand das Jahr 1977 im Zei<strong>ch</strong>en der Veröffentli<strong>ch</strong>ung<br />

der Charta 77 dur<strong>ch</strong> Václav Havel und se<strong>in</strong>e Ges<strong>in</strong>nungsgenossen. In der Folge wurden die Dissidenten vom Prager Regime<br />

systematis<strong>ch</strong> verleumdet, verfolgt, e<strong>in</strong>ges<strong>ch</strong>ü<strong>ch</strong>tert, mit Berufsverboten belegt, <strong>in</strong> fragwürdigen Prozessen zu langjährigen<br />

Haftstrafen verurteilt und <strong>in</strong>s Gefängnis geworfen. Seit den 50er Jahren hatte es ke<strong>in</strong>e sol<strong>ch</strong>en Hexenjagden gegen<br />

verme<strong>in</strong>tli<strong>ch</strong>e Fe<strong>in</strong>de des Sozialismus und uns<strong>ch</strong>uldige Mens<strong>ch</strong>en gegeben, die die Respektierung der Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te und<br />

der Hels<strong>in</strong>ki-Pr<strong>in</strong>zipien e<strong>in</strong>forderten, mehr. <strong>Esperanto</strong>-Übersetzungen von Havels Theaterstücken aus dieser Zeit fehlen.<br />

35


Zusammenhang die besondere Bedeutung des Friedensprogrammes der UdSSR und der geme<strong>in</strong>samen<br />

Erklärung der Kommunistis<strong>ch</strong>en und Arbeiterparteien Europas (Berl<strong>in</strong>, im Juni 1976) hervor;<br />

- mit allen Initiativen und Massnahmen, die der Beendigung des Wettrüstens und zu e<strong>in</strong>er weltweiten<br />

Abrüstung im S<strong>in</strong>ne der von der UdSSR vor den Vere<strong>in</strong>ten Nationen gema<strong>ch</strong>ten Vors<strong>ch</strong>läge führen;<br />

- mit dem gere<strong>ch</strong>ten Kampf des <strong>ch</strong>ilenis<strong>ch</strong>en Volkes sowie mit allen antiimperialistis<strong>ch</strong>en und<br />

demokratis<strong>ch</strong>en Kräften der Erde, die gegen Ausbeutung, Diskrim<strong>in</strong>ierung und Reaktion, gegen<br />

Fas<strong>ch</strong>ismus und Imperialismus kämpfen. Sie unterstützen au<strong>ch</strong> <strong>in</strong> Zukunft das vietnamesis<strong>ch</strong>e Volk<br />

bei der Überw<strong>in</strong>dung der Folgen der imperialistis<strong>ch</strong>en Aggression und beim Aufbau e<strong>in</strong>er<br />

sozialistis<strong>ch</strong>en Heimat;<br />

- mit allen S<strong>ch</strong>ritten, die zu e<strong>in</strong>er Beendigung der Konflikte im Nahen Osten auf der Grundlage der<br />

Resolutionen der Vere<strong>in</strong>ten Nationen führen und den Lebens<strong>in</strong>teressen der arabis<strong>ch</strong>en Völker<br />

entspre<strong>ch</strong>en.<br />

Die Delegierten der II. Zentralen Konferenz der Esperantisten im Kulturbund der DDR (5.-7. 11. 1976<br />

<strong>in</strong> Leipzig) erklären ihre volle Bereits<strong>ch</strong>aft, bei der Verwirkli<strong>ch</strong>ung der Bes<strong>ch</strong>lüsse des IX. Parteitages<br />

der SED mitzuwirken. Leipzig, den 7. 11. 1976<br />

Ausser dieser Erklärung wurde no<strong>ch</strong> die folgende Ents<strong>ch</strong>lussfassung verabs<strong>ch</strong>iedet:<br />

Ents<strong>ch</strong>liessung<br />

der Delegierten der II. Zentralen Konferenz der Esperantisten im Kulturbund der DDR<br />

I.<br />

Die Delegierten der II. Zentralen Konferenz der Esperantisten im Kulturbund der DDR (5.-7. 11. 1976<br />

<strong>in</strong> Leipzig) br<strong>in</strong>gen ihre volle Übere<strong>in</strong>stimmung mit der auf dem IX. Parteitag der SED gezogenen<br />

guten Bilanz beim Aufbau der entwickelten sozialistis<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft <strong>in</strong> der Deuts<strong>ch</strong>en<br />

Demokratis<strong>ch</strong>en Republik zum Ausdruck. Sie erklären, dass die Esperantisten im Kulturbund der<br />

DDR die auf dem IX. Parteitag der SED gefassten Bes<strong>ch</strong>lüsse voll unterstützen und willens s<strong>in</strong>d, mit<br />

ihren spezifis<strong>ch</strong>en Mitteln an deren Verwirkli<strong>ch</strong>ung mitzuwirken.<br />

Als Bürger der Deuts<strong>ch</strong>en Demokratis<strong>ch</strong>en Republik, die si<strong>ch</strong> zusammen mit den anderen Staaten der<br />

sozialistis<strong>ch</strong>en Geme<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>aft unter Führung der UdSSR für die Dur<strong>ch</strong>setzung der Politik der<br />

friedli<strong>ch</strong>en Koexistenz e<strong>in</strong>setzt, und als Internationalisten unterstützen sie das auf dem XXV. Parteitag<br />

der KPdSU bes<strong>ch</strong>lossene neue Friedensprogramm und begrüssen besonders die Vors<strong>ch</strong>läge der<br />

UdSSR für e<strong>in</strong>e Weltabrüstungskonferenz. Sie setzen si<strong>ch</strong> e<strong>in</strong> für Entspannung und<br />

Völkerfreunds<strong>ch</strong>aft. Sie üben antiimperialistis<strong>ch</strong>e Solidarität.<br />

II.<br />

In dem breiten Erfahrungsaustaus<strong>ch</strong>, der auf der Konferenz über die weitere kulturpolitis<strong>ch</strong>e und<br />

fa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Arbeit der Esperantisten <strong>in</strong> Auswertung des IX. Parteitages geführt wurde, werden die guten<br />

Ergebnisse <strong>in</strong> der Tätigkeit der Esperantisten der DDR na<strong>ch</strong> dem VIII. Parteitag hervorgehoben und<br />

auf neue wi<strong>ch</strong>tige Aufgaben orientiert, die es <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> Vorbereitung des IX. Bundeskongresses<br />

des Kulturbundes zu realisieren gilt.<br />

Die Delegierten der Konferenz bes<strong>ch</strong>liessen daher:<br />

- si<strong>ch</strong> die Weltans<strong>ch</strong>auung der Arbeiterklasse, den Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus, <strong>in</strong> no<strong>ch</strong> besserer Qualität<br />

anzueignen;<br />

- Informationen und Kenntnisse über den Aufbau des Sozialismus <strong>in</strong> der Deuts<strong>ch</strong>en Demokratis<strong>ch</strong>en<br />

Republik dem Ausland zu vermitteln;<br />

- si<strong>ch</strong> die neuesten Erkenntnisse der Wissens<strong>ch</strong>aft anzueignen und diese s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong> auf die<br />

spezifis<strong>ch</strong>e Problematik des <strong>Esperanto</strong> anzuwenden;<br />

- <strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung mit den Zielen des Kulturbundes als e<strong>in</strong>er sozialistis<strong>ch</strong>en Kulturorganisation die<br />

vielfältigen Aufgaben wie Literatur- und Kunstpropaganda, Fragen der sozialistis<strong>ch</strong>en Landeskultur<br />

usw. mit der spezifis<strong>ch</strong>en Tätigkeit der Esperantisten s<strong>in</strong>nvoll zu verb<strong>in</strong>den;<br />

- den Rei<strong>ch</strong>tum der revolutionären Traditionen der <strong>in</strong>ternationalen und deuts<strong>ch</strong>en Arbeiter-<strong>Esperanto</strong>-<br />

Bewegung weiter zu ers<strong>ch</strong>liessen und diesen für ihre Arbeit zu nutzen:<br />

- für Entspannung, Abrüstung und antiimperialistis<strong>ch</strong>e Solidarität, besonders im Rahmen der<br />

Weltfriedens-<strong>Esperanto</strong>-Bewegung (MEM) zu wirken.<br />

36


Die Esperantisten der DDR leisten dur<strong>ch</strong> das Erlernen und die Anwendung der <strong>in</strong>ternationalen<br />

Spra<strong>ch</strong>e <strong>Esperanto</strong> e<strong>in</strong>en Beitrag für die Befriedigung vielseitiger geistig-kultureller Bedürfnisse, die<br />

der weiteren Ausprägung sozialistis<strong>ch</strong>er Persönli<strong>ch</strong>keiten dienen.<br />

III.<br />

Um die vielen Aufgaben erfüllen zu können, ist es erforderli<strong>ch</strong>, <strong>in</strong> enger Zusammenarbeit mit allen<br />

Leitungen des Kulturbundes, das politis<strong>ch</strong>-ideologis<strong>ch</strong>e, spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e und fa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Niveau e<strong>in</strong>es jeden<br />

Esperantisten weiter zu erhöhen, die bestehenden Gruppen zu festigen und neue zu bilden, die<br />

Leitungsarbeit zielstrebig zu verbessern und <strong>in</strong> verstärktem Masse neue und vor allem junge<br />

Interessenten für die Mitarbeit <strong>in</strong> den Gruppen und Leitungen der Esperantisten zu gew<strong>in</strong>nen. Die<br />

Delegierten der Konferenz beauftragen den Zentralen Arbeitskreis, na<strong>ch</strong> dem IX. Bundeskongress des<br />

Kulturbundes (Ende 1977) und <strong>in</strong> dessen Auswertung die ‚Leitsätze für die Arbeit der Esperantisten<br />

im Kulturbund der DDR’ zu überarbeiten und für die Bes<strong>ch</strong>lussfassung vorzubereiten.<br />

Leipzig, den 7. November 1976<br />

Am 7. November feierten die Esperantisten glei<strong>ch</strong>zeitig den 59. Jahrestag der „Grossen<br />

Sozialistis<strong>ch</strong>en Oktoberevolution“ <strong>in</strong> Russland. In se<strong>in</strong>em Referat träumte Graetz bereits vom<br />

Übergang zum Kommunismus und rief die Esperantisten der DDR dazu auf, bei ihrer Arbeit si<strong>ch</strong><br />

dieser Vision anzupassen. Ausserdem wurde von Graetz die Aussage <strong>in</strong> die Welt gesetzt, dass <strong>in</strong> den<br />

Staaten der sozialistis<strong>ch</strong>en Geme<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>aft der stärkste und aktivste Teil der <strong>Esperanto</strong>-Bewegung<br />

bestand. Zu diesem neuen Mythos, der bis heute <strong>in</strong> gewissen <strong>Esperanto</strong>-Kreisen weiterlebt, passte die<br />

Behauptung Podkam<strong>in</strong>ers, dass die Idee e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>ternationalen neutralen Planspra<strong>ch</strong>e wie <strong>Esperanto</strong> nur<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er sozialistis<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft alle objektiven Bed<strong>in</strong>gungen für ihren Sieg erfülle, während diese<br />

im Kapitalismus, den der Russe <strong>in</strong> den f<strong>in</strong>stersten Farben zei<strong>ch</strong>nete, <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> erfüllt seien oder werden<br />

könnten. 86 Trotz aller Euphorie gab Graetz au<strong>ch</strong> öffentli<strong>ch</strong> zu, dass die <strong>Esperanto</strong>-Bewegung <strong>in</strong> der<br />

DDR stagnierte, dass zu den Gruppen nur wenige neue Mitglieder stiessen und dass viele, die e<strong>in</strong>en<br />

<strong>Esperanto</strong>-Kurs abges<strong>ch</strong>lossen hatten, an der <strong>Esperanto</strong>-Tätigkeit gar <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> teilhaben würden. Er<br />

spra<strong>ch</strong> dabei e<strong>in</strong> Problem an, das <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> nur DDR-spezifis<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ien, sondern e<strong>in</strong> Grundproblem der<br />

gesamten <strong>Esperanto</strong>-Weltbewegung war. 87 Man müsse eben die „reellen Bedürfnisse befriedigen“<br />

können, und dies könne man tun, <strong>in</strong>dem man mehr Kontakte mit den Bürgern der Bruderländer und<br />

mit „anderen forts<strong>ch</strong>rittli<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en“ s<strong>ch</strong>afft. 88<br />

An der 2. Zentralen Konferenz <strong>in</strong> Leipzig wurden Rudi Graetz als ZAKE-Präsident, Ludwig<br />

S<strong>ch</strong>ödl und Ludwig Hahlbohm als Vizepräsidenten sowie D. Blanke als Sekretär 89 wiedergewählt.<br />

Dem ZAKE-Präsidium gehörten ferner Hans He<strong>in</strong>el, Werner Pfennig und Siegfried L<strong>in</strong>ke sowie Rita<br />

Krips als Vorsitzende der Jugendkommission an. Aus gesundheitli<strong>ch</strong>en Gründen stellten si<strong>ch</strong> Hans<br />

Ei<strong>ch</strong>horn, Ra<strong>in</strong>er Knapp, Ri<strong>ch</strong>ard Rabenalt, Willi Vildebrand und Willi Zimmermann <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mehr zur<br />

Verfügung. Otto Bässler wurde im Januar 80-jährig und erhielt vom Kulturbund die Johannes-R.-<br />

Be<strong>ch</strong>er-Medaille <strong>in</strong> Gold und das Ehrenabzei<strong>ch</strong>en der MEM. Er verstarb 1981. Das Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittsalter<br />

des Mitgliederbestand des ZAKE fiel na<strong>ch</strong> eigenen Angaben von 55 auf 46,6 Jahre (wie der<br />

esperantist ausgere<strong>ch</strong>net hatte). 10 Mitglieder waren Rentner. 90<br />

Ende 1976 bestand der Zentrale Arbeitskreis <strong>Esperanto</strong> (ZAKE) im Kulturbund der DDR aus<br />

folgenden Mitgliedern:<br />

1. Präsident:<br />

(1) Rudi Graetz (*1907), Rentner, Handelsrat<br />

2. Vizepräsidenten:<br />

(2) Rudolf Hahlbohm (*1910), dipl. Theater-Wissens<strong>ch</strong>aftler<br />

86 Se<strong>in</strong> langer e<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>lägiger Artikel zu diesem Thema wurde 1977 <strong>in</strong> der esperantist und Paco veröffentli<strong>ch</strong>t.<br />

87 Dieses Grundproblem bestand und besteht weiterh<strong>in</strong> au<strong>ch</strong> dar<strong>in</strong>, dass die <strong>Esperanto</strong>-Bewegung <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> <strong>in</strong> der Lage ist, den<br />

Kursabsolventen praktis<strong>ch</strong>e Gelegenheiten zu geben, <strong>Esperanto</strong> für ihre professionellen und anderen Interessen anzuwenden.<br />

88 Ca. 21% der Korrespondenz der DDR-Esperantisten wurden mit der SU abgewickelt (100 Gruppen).<br />

89 Se<strong>in</strong>e offizielle Funktion hiess: Leiter der Sektion <strong>Esperanto</strong> im Hauptsekretariat des Kulturbundes.<br />

90 Die <strong>Esperanto</strong>-Bewegung der DDR war e<strong>in</strong>deutig überaltert – viele Mitglieder waren 70-, 80-, 90-jährig, z.B. Otto Bässler<br />

(*1897), Viktor Falkenhahn (*1903) oder Arthur S<strong>ch</strong>warzenba<strong>ch</strong> <strong>in</strong> Zittau, der im Dezember 1978 90 wurde. Er lernte<br />

<strong>Esperanto</strong> 1921.<br />

37


(3) Ludwig S<strong>ch</strong>ödl (*1909), Rentner, Lehrer<br />

3. Sekretär:<br />

(4) Dr. Detlev Blanke (*1941), Abteilungsleiter im Kulturbund<br />

4. Präsidiumsmitglieder:<br />

(5) Hans He<strong>in</strong>el (*1925), dipl. Philosoph, Präs. Bezirksarbeitskreis <strong>Esperanto</strong> Karl-Marx-Stadt<br />

(6) Rita Krips (*1953), dipl. Kauffrau<br />

(7) Siegfried L<strong>in</strong>ke (*1938), dipl. Historiker, Präs. BAK Halle<br />

(8) Werner Pfennig (*1943), Ingenieur, Präs. BAK Neubrandenburg<br />

5. Mitglieder:<br />

(9) Otto Bässler (*1897), Rentner, Drucksetzer<br />

(10) Dr. Giso Bros<strong>ch</strong>e (*1938), Veter<strong>in</strong>är<br />

(11) Rudolf Burmeister (*1930), Zimmermann<br />

(12) Dr. Till Dahlenburg (*1934), Fa<strong>ch</strong>lehrer<br />

(13) Hans Diedri<strong>ch</strong> (*1912), Chefberater bei der Eisenbahn, Präs. Bak S<strong>ch</strong>wer<strong>in</strong><br />

(14) Marita Dörner (*1953), Angestellte<br />

(15) Dieter Dungert (*1943), dipl. Chemie<strong>in</strong>genieur<br />

(16) Ingrid Erfurth (*1953), Universitätsassistent<strong>in</strong><br />

(17) Prof. Dr. Viktor Falkenhahn (*1903), Rentner, Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aftler<br />

(18) Werner Habi<strong>ch</strong>t (*1909), Rentner, Beamter<br />

(19) Jürgen Hamann (*1945), Bibliothekar, Präs. Bak Leipzig<br />

(20) Hans-Jürg Kelp<strong>in</strong> (*1935), Pfarrer<br />

(21) L<strong>in</strong>de Knös<strong>ch</strong>ke (*1936), Ingenieur<strong>in</strong><br />

(22) Dr. Eri<strong>ch</strong>-Dieter Krause (*1935), L<strong>in</strong>guist<br />

(23) Helmut Lehmann, Pädagoge, Präs. BAK Frankfurt/O.<br />

(24) Mi<strong>ch</strong>ael Lennartz (*1955), Metallarbeiter<br />

(25) Renate Lew<strong>in</strong> (*1956), Student<strong>in</strong><br />

(26) Peter Liebig (*1935), Fa<strong>ch</strong>lehrer, Präs. BAK Cottbus<br />

(27) A<strong>ch</strong>im Me<strong>in</strong>el (*1940), Diplom<strong>in</strong>genieur<br />

(28) Günther Peters (*1924), Diplom<strong>in</strong>genieur, Präs. BAK Rostock<br />

(29) Werner Plate (*1913), Diplomökonom<br />

(30) Karl Raabe (*1929), dipl. Geisteswissens<strong>ch</strong>aftler, Präs. BAK Gera<br />

(31) Walter Röhner (1909-1984), Rentner, Lehrer Präs, BAK Dresden<br />

(32) W<strong>in</strong>fried Röhrig (*1946), Lehrer, Präs. BAK Suhl<br />

(33) Günter Rosenbaum (*1937), Berufsbildner, Präs. BAK Erfurt<br />

(34) Dr. Peter-Wolfgang Ruff (*1928), Oberarzt<br />

(35) Hella Sauerbrey (*1920), Rentner<strong>in</strong>, Lehrer<strong>in</strong><br />

(36) Hanna S<strong>ch</strong>effs (*1914), Rentner<strong>in</strong>, Versi<strong>ch</strong>erungsangestellte, Präs. BAK Potsdam<br />

(37) Ernst S<strong>ch</strong>oner, Rentner, F<strong>in</strong>anzökonom, Präs. BAK Berl<strong>in</strong><br />

(38) Ingrid S<strong>ch</strong>ödl 91 (*1945), dipl. Lehrer<strong>in</strong><br />

(39) Dr. Mart<strong>in</strong> S<strong>ch</strong>üler (*1937), dipl. Mathematiker<br />

(40) Manfred Trenne (*1947), dipl. Chemie<strong>in</strong>genieur, Präs. BAK Magdeburg<br />

(41) Eri<strong>ch</strong> Würker (3*1903), Rentner, Diplom<strong>in</strong>genieur<br />

Per Kooptierung vom 2.6.1978 stiess Dr. Karl S<strong>ch</strong>ulze, der Eo-Übersetzer von ‚Nackt unter<br />

Wölfen’ und der ‚Dreigros<strong>ch</strong>enoper’ zum ZAKE.<br />

Im ZAKE-Büro waren Ruth S<strong>ch</strong>onert und Ilse Serowy (*1912) angestellt.<br />

E<strong>in</strong> e<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>lägiges Jubiläum löste das nä<strong>ch</strong>stfolgende ab, und der esperantist sah zu, ke<strong>in</strong>es<br />

auszulassen. Die offizielle ‚Würdigung’ des 90. Geburtstags der Spra<strong>ch</strong>e <strong>Esperanto</strong> <strong>in</strong> der esperantist<br />

war weniger dem Erf<strong>in</strong>der L.L. Zarenhof gewidmet, der als „polnis<strong>ch</strong>er“ Arzt vorgestellt wurde, 92 als<br />

91 Wohl S<strong>ch</strong>ödl.<br />

92 Dies wird bis heute von der Mehrheit der Esperantisten irrtümli<strong>ch</strong> so erzählt. L.L. Zamenhof def<strong>in</strong>ierte si<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> als Pole,<br />

sondern als russis<strong>ch</strong>er Jude („ruslanda hebreo“). Als se<strong>in</strong>e historis<strong>ch</strong>e Heimat betra<strong>ch</strong>tete er (das historis<strong>ch</strong>e) „Litauen“, da<br />

38


vielmehr der Friedensbewegung, der friedli<strong>ch</strong>en Koexistenz und der Abrüstung. Ausserdem hiess es<br />

etwas befremdli<strong>ch</strong>: „Die <strong>in</strong>ternationale <strong>Esperanto</strong>-Bewegung kann als Mikromodell rationeller und<br />

effektiver Kommunikation aufgefasst werden. Glei<strong>ch</strong>sam unter Laboratoriumsbed<strong>in</strong>gungen ist es<br />

mögli<strong>ch</strong>, die Funktionsweise, Entwicklung und Kommunikationspotenzen der Planspra<strong>ch</strong>e zu<br />

registrieren und auszuwerten.“ <strong>Esperanto</strong> – also e<strong>in</strong>e Spra<strong>ch</strong>e aus dem Laboratorium? Na<strong>ch</strong> alldem,<br />

was ges<strong>ch</strong>rieben wurde, erhält man das Gefühl, dass die ZAKE-Leute es si<strong>ch</strong> mit dem <strong>Esperanto</strong> als<br />

Spra<strong>ch</strong>e (und Ideologie sowieso) ziemli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>wer taten.<br />

Rudi Graetz feierte se<strong>in</strong>en 70. Geburtstag und wurde entspre<strong>ch</strong>end mit Lob überhäuft. Die<br />

Wiedergeburt und die Erfolge der <strong>Esperanto</strong>-Bewegung der DDR seien unmittelbar mit se<strong>in</strong>em Namen<br />

verbunden, hiess es. Er sei stets „bes<strong>ch</strong>eiden, energis<strong>ch</strong>, immer ruhig, freundli<strong>ch</strong>, aber erstaunli<strong>ch</strong> und<br />

ents<strong>ch</strong>eidungsfreudig“ geblieben. DDR-Staatsratsvorsitzender Honecker verlieh ihm den<br />

‚Vaterländis<strong>ch</strong>en Verdienstorden <strong>in</strong> Silber’ und s<strong>ch</strong>rieb ihm e<strong>in</strong>en persönli<strong>ch</strong>en Brief, um se<strong>in</strong>e<br />

Verdienste beim Aufbau des Sozialismus <strong>in</strong> der DDR zu würdigen. Vom Friedensrat der DDR erhielt<br />

Graetz die deuts<strong>ch</strong>e Friedensmedaille ‚Für Verdienste für den Frieden’ mit e<strong>in</strong>em Begleitbrief vom<br />

Vorsitzenden Prof. Dr. Drefahl. Au<strong>ch</strong> andere Organisationen wie das Komitee der Antifas<strong>ch</strong>istis<strong>ch</strong>en<br />

Widerstandskämpfer und vers<strong>ch</strong>iedene Parteiführungen gratulierten ihm. Ferner wurde Graetz <strong>in</strong>s<br />

Präsidium des IX. Kongresses des DKB im Jahr 1977 gewählt. Ende 1977 musste dann se<strong>in</strong><br />

unerwartetes Ableben vermeldet werden – der „politis<strong>ch</strong> klare, ehrli<strong>ch</strong>e Freund der Sowjetunion,<br />

feurige Internationalist und wahre Kommunist“ Graetz war am 1. Oktober plötzli<strong>ch</strong> verstorben. 93 So<br />

etwas wie e<strong>in</strong>e Ära Graetz kam plötzli<strong>ch</strong> zu ihrem Ende.<br />

1978 hatten der esperantist e<strong>in</strong> neues Fressen und Grund für die Verbreitung von Angst und<br />

Panik gefunden – die Entwicklung der Neutronenbombe der USA. Als Erklärung des ZAKE hiess es:<br />

„Im Namen der im Kulturbund der DDR organisierten Esperantisten wenden wir uns voller<br />

Empörung und mit tiefer Abs<strong>ch</strong>eu gegen die von den USA geplante Herstellung der Neutronenbombe.<br />

Die Produktion dieser neuen Massenver<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>ungswaffe, die von den Vere<strong>in</strong>igten Staaten zynis<strong>ch</strong> als<br />

sogenannte ‚saubere’ Waffe h<strong>in</strong>gestellt wird, soll das Wettrüsten weiter anheizen und ist e<strong>in</strong>e<br />

ernsthafte Bedrohung des Weltfriedens. Wir fordern die Ä<strong>ch</strong>tung der Neutronenbombe, die<br />

Ver<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>ung aller Kernwaffen und anderer Massenver<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>ungswaffen. Wir fordern den Verzi<strong>ch</strong>t auf<br />

Gewaltanwendung <strong>in</strong> den <strong>in</strong>ternationalen Beziehungen.“<br />

In der esperantist 87/1978 wurde die von D. Blanke <strong>in</strong>itiierte und von Jaan Ojalo erwiderte<br />

Diskussion über <strong>Esperanto</strong> als Ideologie oder Instrument fortgesetzt. Aus der Sowjetunion mis<strong>ch</strong>te<br />

si<strong>ch</strong> e<strong>in</strong> gewisser Aleksandr Char’kovskij e<strong>in</strong>, dort als gewiss brillanter <strong>Esperanto</strong>-Intellektueller (und<br />

Jude) bekannt geworden. Obwohl <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> unbed<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong> „ideeller Anhänger Zamenhofs“, bestätigte er<br />

die Ri<strong>ch</strong>tigkeit der Behauptungen se<strong>in</strong>es „Freunds“ Blanke nur teilweise und gab zu verstehen, dass<br />

das Thema Spra<strong>ch</strong>e komplexer sei als von Blanke angenommen, dem es bei dieser Diskussion<br />

eigentli<strong>ch</strong> nur darum gehe, die ‚<strong>in</strong>terna ideo’ zu zers<strong>ch</strong>lagen. Aus marxistis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t möge er zwar<br />

sogar ri<strong>ch</strong>tig argumentieren, denno<strong>ch</strong> sähen etwa die Strukturalisten und Kybernetiker das Phänomen<br />

Spra<strong>ch</strong>e anders – für sie bedeute es e<strong>in</strong>fa<strong>ch</strong> e<strong>in</strong> System, <strong>in</strong> dem es glei<strong>ch</strong>gültig sei, ob die Spra<strong>ch</strong>e<br />

etwas Mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es oder etwas Mas<strong>ch</strong><strong>in</strong>elles sei. Ferner wies er auf die Bedeutung der Spra<strong>ch</strong>e als<br />

Träger für die Kultur h<strong>in</strong>. Alles was für e<strong>in</strong>e Nationalspra<strong>ch</strong>e gelte, sei au<strong>ch</strong> für das <strong>Esperanto</strong> gültig.<br />

Die Poeten hätten die E<strong>in</strong>heit zwis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>e und Kultur betont, jede Spra<strong>ch</strong>e sei Träger<strong>in</strong> der<br />

nationalen Kultur, man lese nur die Werke der grossen Di<strong>ch</strong>ter. Auf die Rolle des <strong>Esperanto</strong><br />

angespro<strong>ch</strong>en, me<strong>in</strong>te Char’kovskij, dass diese Spra<strong>ch</strong>e zu e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>ternationalen Kultur beitrage,<br />

obwohl es e<strong>in</strong>e sol<strong>ch</strong>e no<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> gäbe, also Träger<strong>in</strong> der <strong>in</strong>ternationalen Kultur werde. So bilde zum<br />

Beispiel jede Übersetzung e<strong>in</strong>es nationalen Werks <strong>in</strong>s <strong>Esperanto</strong> den Bestandteil der neuen künftigen<br />

<strong>in</strong>ternationalen Kultur. Diese zeige Übere<strong>in</strong>stimmungen mit den Idealen des Kommunismus.<br />

<strong>Esperanto</strong> verhalte si<strong>ch</strong> diesem Prozess gegenüber <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> glei<strong>ch</strong>gültig, denn se<strong>in</strong> Demokratismus, se<strong>in</strong><br />

Internationalismus, die zu den grundlegenden Eigenheiten des <strong>Esperanto</strong> gehörten, würden hiermit<br />

wirksam.<br />

Also no<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>e Abart des marxistis<strong>ch</strong>en-kommunistis<strong>ch</strong>en Verständnisses des <strong>Esperanto</strong>.<br />

Zamenhofs Familie zum Zweig der litwakis<strong>ch</strong>en Juden gehörte. Bei mehreren Gelegenheiten distanzierte L.L. Zamenhof si<strong>ch</strong><br />

ausdrückli<strong>ch</strong> vom Polentum. Er war hö<strong>ch</strong>stens bereit zu erklären, dass er „auf polnis<strong>ch</strong>er Erde“ geboren wurde, lebe und<br />

arbeite. Bekanntli<strong>ch</strong> existierte damals Polen <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> als Staat, sondern war Bestandteil des Russis<strong>ch</strong>en Rei<strong>ch</strong>s. Es gibt also<br />

mehrere Gründe, um L.L. Zamenhof <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> als Polen zu bezei<strong>ch</strong>nen.<br />

93 E<strong>in</strong>e Bibliographie der „wi<strong>ch</strong>tigsten Publikationen“ von R. Graetz wurde <strong>in</strong> der esperantist 144/1987 veröffentli<strong>ch</strong>t.<br />

39


In der Folgenummer wurde no<strong>ch</strong> e<strong>in</strong> Leserbrief von Vladimir Samodaj, e<strong>in</strong>es anderen<br />

bekannten Sowjetesperantisten, veröffentli<strong>ch</strong>t, der si<strong>ch</strong> den Behauptungen Blankes ans<strong>ch</strong>loss und den<br />

Äusserungen Char’kovskijs widerspra<strong>ch</strong>. <strong>Esperanto</strong> könne man <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> auf die glei<strong>ch</strong>e Stufe mit den<br />

ethnis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>en stellen, denn <strong>Esperanto</strong> und die Nationalspra<strong>ch</strong>en spielten <strong>ganz</strong> unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e<br />

Rollen. Es sei do<strong>ch</strong> oft so, dass Mens<strong>ch</strong>en vers<strong>ch</strong>iedener Zunge dur<strong>ch</strong> geme<strong>in</strong>same Ideen und Gefühle<br />

gee<strong>in</strong>t würden und dass erst später e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Spra<strong>ch</strong>e folge, während es im umgekehrten Fall<br />

Mens<strong>ch</strong>en gebe, die zwar die glei<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e spre<strong>ch</strong>en, aber <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> die glei<strong>ch</strong>en Ideale verfolgten. Die<br />

<strong>in</strong>ternationalistis<strong>ch</strong>e Rolle des <strong>Esperanto</strong> beg<strong>in</strong>ne erst dann zu wirken, wenn die Mens<strong>ch</strong>en ihre<br />

konservative Ansi<strong>ch</strong>t über die Rolle der nationalen und <strong>in</strong>ternationalen Spra<strong>ch</strong>en aufgäben und ihre<br />

fals<strong>ch</strong>en Me<strong>in</strong>ungen änderten. <strong>Esperanto</strong> sei frei von Nationalismus, der den ethnis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>e eigen<br />

sei. Ni<strong>ch</strong>t die Spra<strong>ch</strong>e, sondern nur die Mens<strong>ch</strong>en seien die Träger des Demokratismus und des<br />

Internationalismus. <strong>Esperanto</strong> h<strong>in</strong>gegen sei nur e<strong>in</strong> geeignetes Mittel und e<strong>in</strong> Instrument, um diese<br />

Ideen anzuwenden.<br />

Diese Diskussion wurde <strong>in</strong> der esperantist 89/1978 dur<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>en Beitrag von e<strong>in</strong>em anderen<br />

Esperantisten aus Tall<strong>in</strong>n, Estnis<strong>ch</strong>e SSR, abgerundet. Johannes Palu vertrat die Ansi<strong>ch</strong>t, dass<br />

<strong>Esperanto</strong> besonders für die Marxisten von Bedeutung sei, denn <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Slogan ‚Proletarier aller<br />

Länder vere<strong>in</strong>igt eu<strong>ch</strong>’ habe Marx offen gelassen, <strong>in</strong> wel<strong>ch</strong>er Spra<strong>ch</strong>e dies ges<strong>ch</strong>ehen soll. Man sollte<br />

zwar <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> vergessen, mahnte er, dass <strong>Esperanto</strong> zu Zeiten von Marx und Engels no<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> existiert<br />

und dass es unter Len<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en E<strong>in</strong>fluss ausgeübt hatte. Als Leim für e<strong>in</strong>e no<strong>ch</strong> zu<br />

s<strong>ch</strong>affende <strong>in</strong>ternationale Kultur sollte <strong>Esperanto</strong> au<strong>ch</strong> die Literatur sowie die Te<strong>ch</strong>nik, die<br />

Wissens<strong>ch</strong>aften und die Weltans<strong>ch</strong>auungen und Ideologien an si<strong>ch</strong> zusammen verb<strong>in</strong>den können.<br />

Nun liefen diese (mit Verlauf: teilweise abstrusen) Diskussionsansätze, die die<br />

Me<strong>in</strong>ungsvers<strong>ch</strong>iedenheiten zwis<strong>ch</strong>en Kommunisten bzw. Leuten aus dem Sowjetblock deutli<strong>ch</strong><br />

aufzeigte, denno<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> <strong>ganz</strong> <strong>in</strong>s Leere. In der glei<strong>ch</strong>en Ausgabe stellte Blanke auf se<strong>ch</strong>s <strong>ganz</strong>en<br />

Seiten se<strong>in</strong>e Thesen, Feststellungen und Vors<strong>ch</strong>läge vor. Es lohnt si<strong>ch</strong>, diese etwas genauer zu<br />

betra<strong>ch</strong>ten. Unter diesen Thesen, Feststellungen und Vors<strong>ch</strong>lägen f<strong>in</strong>det man zusammenfassend u.a.<br />

folgende Aussagen politis<strong>ch</strong>-ideologis<strong>ch</strong>en und anderen Charakters:<br />

1. Wenn die <strong>Esperanto</strong>-Bewegung Erfolg haben will, muss sie die „objektiven historis<strong>ch</strong>en<br />

Prozesse“, d.h. <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie den E<strong>in</strong>fluss des sozialistis<strong>ch</strong>en Weltsystems zur Kenntnis nehmen.<br />

2. Interl<strong>in</strong>guistik (und <strong>Esperanto</strong>logie) hat die Aufgabe, unter besonderer Berücksi<strong>ch</strong>tigung der<br />

<strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong> den Weg zu e<strong>in</strong>er mögli<strong>ch</strong>st effizienten und rationellen Lösung des Problems der<br />

<strong>in</strong>ternationalen spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Kommunikation aufzuzeigen.<br />

3. Es gibt fast ke<strong>in</strong>e professionellen Wissens<strong>ch</strong>aftler, die entspre<strong>ch</strong>ende Fors<strong>ch</strong>ungen über<br />

Interl<strong>in</strong>guistik und <strong>Esperanto</strong> ma<strong>ch</strong>en, und es gibt nur wenige Fa<strong>ch</strong>publikationen <strong>in</strong> Nationalspra<strong>ch</strong>en<br />

auf wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>em Niveau <strong>in</strong> diesem Berei<strong>ch</strong>. Die paar wenigen <strong>in</strong>terl<strong>in</strong>guistis<strong>ch</strong> tätigen<br />

Spezialisten agieren meist ausserhalb ihres Berufs, s<strong>in</strong>d untere<strong>in</strong>ander s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t vernetzt und<br />

<strong>in</strong>formieren e<strong>in</strong>ander kaum. 94 E<strong>in</strong>e Arbeitsteilung existiert fast <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>. Es fehlen umfangrei<strong>ch</strong>e<br />

marxistis<strong>ch</strong>-len<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong> gültige wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Werke über diverse Aspekte des Problems der<br />

<strong>in</strong>ternationalen spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Kommunikation usw. Es fehlt e<strong>in</strong> klares Konzept, wie man die<br />

Entwicklung des <strong>Esperanto</strong> führen soll („Das kann gefährli<strong>ch</strong>e Folgen haben“). Ni<strong>ch</strong>tesperantistis<strong>ch</strong>e<br />

Ents<strong>ch</strong>eidungs<strong>in</strong>stanzen, die irgendwann über <strong>Esperanto</strong> zu bef<strong>in</strong>den hätten, s<strong>in</strong>d zur Zeit ungenügend<br />

über das Interl<strong>in</strong>guistik-Problem und über <strong>Esperanto</strong> <strong>in</strong>formiert. Sollten sie e<strong>in</strong>e Ents<strong>ch</strong>eidung treffen,<br />

gibt es ke<strong>in</strong>e Garantie, dass sie si<strong>ch</strong> unbed<strong>in</strong>gt zu Gunsten des <strong>Esperanto</strong> ents<strong>ch</strong>eiden werden.<br />

4. Gründe für die Situation: Objektive Gründe: Die <strong>in</strong>ternationale Lage der Produktivkräfte<br />

haben no<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> das Niveau errei<strong>ch</strong>t, dass das ständig si<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>ärfende Spra<strong>ch</strong>enproblem e<strong>in</strong>e<br />

unmittelbare Bremse des Forts<strong>ch</strong>ritts 95 bedeuten würde und unerträgli<strong>ch</strong> würde. Die te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en und<br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Mittel genügen no<strong>ch</strong>, um die Spra<strong>ch</strong>barriere zu überw<strong>in</strong>den. Unter den wi<strong>ch</strong>tigsten<br />

<strong>in</strong>ternational zu lösenden Problemen (wie Frieden, Abrüstung, Alphabetisierung, Ernährung für alle<br />

usw.) rangiert das Spra<strong>ch</strong>enproblem no<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> unter den dr<strong>in</strong>gendsten, die man <strong>in</strong> der nä<strong>ch</strong>sten Zeit<br />

lösen müsste. Subjektive Gründe: Die <strong>Esperanto</strong>-Bewegung ist hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> pragmatis<strong>ch</strong> orientiert. 96<br />

94 Dieses Problem besteht bis heute.<br />

95 Wie <strong>in</strong> allen kommunistis<strong>ch</strong>en Staaten Europas herrs<strong>ch</strong>te au<strong>ch</strong> <strong>in</strong> der DDR e<strong>in</strong> (aufgesetzter) Forts<strong>ch</strong>rittsoptimismus<br />

e<strong>in</strong>erseits, der glei<strong>ch</strong>zeitig von e<strong>in</strong>em tiefen Existenzpessimismus andererseits kontrastiert wurde.<br />

96 Diese Behauptung wage i<strong>ch</strong> persönli<strong>ch</strong> zu behaupten, denn bis heute ist die Eo-Bewegung v.a. ideologis<strong>ch</strong> orientiert.<br />

40


Von Seiten der meisten Leitungsorganen der <strong>in</strong>ternationalen und nationalen <strong>Esperanto</strong>-Organisationen<br />

fehlt e<strong>in</strong> genügendes Verständnis für die Rolle der Wissens<strong>ch</strong>aft, um das Spra<strong>ch</strong>enproblem zu lösen.<br />

Man ignoriert die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass die E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>er IL e<strong>in</strong> extrem komplizierter Prozess ist. <strong>Der</strong><br />

kle<strong>in</strong>bürgerli<strong>ch</strong>e und sektiereris<strong>ch</strong>e Charakter e<strong>in</strong>iger Teile der <strong>Esperanto</strong>-Bewegung („um <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> zu<br />

verallgeme<strong>in</strong>ern“) hat die Wissens<strong>ch</strong>aftler während Jahrzehnten daran geh<strong>in</strong>dert, si<strong>ch</strong> für die IS und<br />

für Eo e<strong>in</strong>zusetzen. Die Rhetorik der „perfekten Spra<strong>ch</strong>e“, die Behauptung se<strong>in</strong>er Überlegenheit als<br />

Lösung für die Spra<strong>ch</strong>enproblem, was man als Tatsa<strong>ch</strong>e verkaufte, hat zum naiven Glauben der<br />

Esperantisten beigetragen. E<strong>in</strong>e Folge davon ist die fast völlige Trennung zwis<strong>ch</strong>en Esperantisten und<br />

Experten. Mystizistis<strong>ch</strong>e Theorien <strong>in</strong> der Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft führten zur Unters<strong>ch</strong>ätzung des<br />

<strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>problems.<br />

5. Was ist zu tun, um die Situation zu verändern? Man muss die Dialektik zwis<strong>ch</strong>en Theorie<br />

und Praxis anwenden. Die <strong>Esperanto</strong>-Bewegung muss ihre Strategie und ihre Taktik neu überdenken.<br />

<strong>Der</strong> Tätigkeit muss e<strong>in</strong>e wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Komponente h<strong>in</strong>zugefügt werden, dass die Dialektik<br />

zwis<strong>ch</strong>en Theorie und Praxis überhaupt funktionieren kann. E<strong>in</strong>e wahre Wissens<strong>ch</strong>aft muss von den<br />

Fakten ausgehen, während die Praxis die wi<strong>ch</strong>tigen Impulse von der Wissens<strong>ch</strong>aft erhält. Dies kann<br />

man bei E. Drezen lernen, der die E<strong>in</strong>heit zwis<strong>ch</strong>en theoretis<strong>ch</strong>er und praktis<strong>ch</strong>er Tätigkeit zwis<strong>ch</strong>en<br />

der politis<strong>ch</strong>en und fa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Arbeit gesehen hat. Die <strong>Esperanto</strong>-Landesorganisationen sollen ihre<br />

Mitglieder <strong>in</strong> diesem dialektis<strong>ch</strong>en Denken s<strong>ch</strong>ulen. Es sollen regelmässig Kolloquien zu<br />

<strong>in</strong>terl<strong>in</strong>guistis<strong>ch</strong>en und esperantologis<strong>ch</strong>en Themen stattf<strong>in</strong>den und Fors<strong>ch</strong>ungsgruppen aktiviert<br />

werden, die si<strong>ch</strong> bei renommierten nationalspra<strong>ch</strong>igen Institutionen anhängen und die Arbeit<br />

professionalisieren und <strong>in</strong>ternationalisieren sollen.<br />

(Es folgten zahlrei<strong>ch</strong>e konkrete Themenvors<strong>ch</strong>läge).<br />

Diese Thesen, Feststellungen usw. wurden <strong>in</strong> der esperantist 92/1978 von Jerzy Leyk, e<strong>in</strong>em<br />

<strong>in</strong>teressanten Soziologen aus Polen, kritis<strong>ch</strong> beleu<strong>ch</strong>tet. Er begrüsste zwar die Absi<strong>ch</strong>t, die <strong>Esperanto</strong>-<br />

Diskussion von emotionalem Ballast befreien zu wollen. E<strong>in</strong>e objektive Analyse des Phänomens<br />

<strong>Esperanto</strong> ma<strong>ch</strong>e aber nur S<strong>in</strong>n, wenn sie ausserhalb der <strong>Esperanto</strong>-Bewegung dur<strong>ch</strong>geführt werde.<br />

Zwar drückte Leyk diesen Gedanken <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> explizit aus, aber gewisse Vors<strong>ch</strong>läge von Blanke hielt er<br />

für s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>t naiv. So habe es, wie die Erfahrung gezeigt habe, ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n, <strong>in</strong> den<br />

<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Eo-Organisationen vom Typus UEA e<strong>in</strong>e wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Tätigkeit zu<br />

entfalten, damit die Mitglieder dieser Organisationen si<strong>ch</strong> selbst mit Wissens<strong>ch</strong>aft zu bes<strong>ch</strong>äftigen<br />

beg<strong>in</strong>nen. S<strong>in</strong>nvoller sei h<strong>in</strong>gegen, den Mitgliedern dieser Organisationen die Fors<strong>ch</strong>ungsergebnisse<br />

von wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Institutionen zu präsentieren und diese, <strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung mit den Zielen<br />

dieser Organisationen, bei den Mitgliedern zu popularisieren. Ausserdem sei es für die<br />

wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Tätigkeit e<strong>in</strong>e absolute Voraussetzung, sie im Geiste der Offenheit der<br />

S<strong>ch</strong>lussfolgerungen zu betreiben, denn ohne Kritik und ohne Gegenthesen könne die Wissens<strong>ch</strong>aft<br />

ke<strong>in</strong>e Forts<strong>ch</strong>ritte erzielen.<br />

1978 hatte der ZAKE 1400 Mitglieder, er wurde vom DKB tatkräftig mit Geld unterstützt und<br />

durfte e<strong>in</strong> Büro unterhalten. Aber die Esperantisten mussten si<strong>ch</strong> ständig für das erhaltene Geld<br />

re<strong>ch</strong>tfertigen. Zu den positiven Entwicklungen wurden gezählt: Verjüngung der Führungspersonen,<br />

Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>er Jugendaktivität; ferner Angebot von <strong>Esperanto</strong>-Kursen <strong>in</strong> Volksho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ulen, Herausgabe<br />

von Fa<strong>ch</strong>unterlagen, Korrespondenzkurse (im Experimentalstadium), Verstärkung der Position <strong>in</strong> der<br />

Wissens<strong>ch</strong>aft, Herausgabe von belletristis<strong>ch</strong>en Werken <strong>in</strong> Übersetzung, Entwicklung der Fa<strong>ch</strong>arbeit,<br />

Information <strong>in</strong> der Presse, Sem<strong>in</strong>are für Kader. Zu den Mängeln wurden gezählt: Verr<strong>in</strong>gerung der<br />

Kursaktivitäten, Stagnation der Mitgliederzahl, zu starke Abhängigkeit von e<strong>in</strong>zelnen Aktivisten (v.a.<br />

<strong>in</strong> den Distrikten) und Probleme bei der Weitergabe von „wi<strong>ch</strong>tigen“ Informationen; ferner<br />

Jugendaktivität <strong>in</strong> den K<strong>in</strong>ders<strong>ch</strong>uhen, Mangel an „Objekten“, <strong>in</strong> denen jährli<strong>ch</strong>e „<strong>in</strong>ternationale“ Eo-<br />

Treffen stattf<strong>in</strong>den könnten, nur sporadis<strong>ch</strong>e und mangelhafte Öffentli<strong>ch</strong>keitsarbeit (<strong>in</strong>kl. Information,<br />

Werbung, Presseartikel), mangelhaftes Niveau der Eo-Spra<strong>ch</strong>kenntnisse und Fehlen e<strong>in</strong>es Kurs- und<br />

Prüfungssystems, fehlende Verb<strong>in</strong>dungen des Kulturbunds zu den Werktätigen, usw.<br />

In der esperantist 92/1978 wurden die etwas zu strenge Beurteilung von D. Blanke dur<strong>ch</strong><br />

e<strong>in</strong>en gewissen Wolfgang Göpel (+31.3.1985) aus Wolmirstedt relativiert. Unsere Eo-Lehrer<br />

beherrs<strong>ch</strong>ten Eo im Allgeme<strong>in</strong>en re<strong>ch</strong>t gut, me<strong>in</strong>te er, es fehle ihnen aber an pädagogis<strong>ch</strong>em und<br />

didaktis<strong>ch</strong>em Wissen. Vor allem mit Korrespondenzkursen erlange man ke<strong>in</strong> Beherrs<strong>ch</strong>en e<strong>in</strong>er<br />

Spra<strong>ch</strong>e. <strong>Der</strong> ZAKE bemühe si<strong>ch</strong> zwar um die Erhöhung des Niveaus, aber das genüge <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>, denn die<br />

Bemühungen müssten auf lokaler und Gruppenebene verstärkt werden. Die Situation sei so, dass <strong>in</strong><br />

41


den Ortsgruppen e<strong>in</strong>e Konversation zwar auf Eo begonnen werde, dass man aber dann sehr oft s<strong>ch</strong>nell<br />

<strong>in</strong>s Deuts<strong>ch</strong>e h<strong>in</strong>überwe<strong>ch</strong>sle. Das grundlegende Problem der Eo-Tätigkeit sei der Mangel an<br />

Publikum. Zu den Grundaufgaben des Kulturbunds gehöre au<strong>ch</strong> die Tradition, Kontakte zu den<br />

Werktätigen zu pflegen. Das Glei<strong>ch</strong>e gelte für die Arbeit unter Jugendli<strong>ch</strong>en und Gewerks<strong>ch</strong>aftern.<br />

Die Presse brau<strong>ch</strong>e ke<strong>in</strong>e Mitteilungen von Esperantisten, denn diese würden von den Presseagenturen<br />

geliefert. Die Esperantisten beri<strong>ch</strong>teten <strong>in</strong> ihren Korrespondenzen <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> über ihre persönli<strong>ch</strong>en<br />

Erfahrungen. Ausserdem behandle der esperantist zu viele <strong>in</strong>terl<strong>in</strong>guistis<strong>ch</strong>e Themen. Obwohl diese<br />

wi<strong>ch</strong>tig seien, fände der e<strong>in</strong>fa<strong>ch</strong>e Esperantist fast <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>s, was er für se<strong>in</strong>e tägli<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>praxis<br />

gebrau<strong>ch</strong>en könnte. Das Bullet<strong>in</strong> sollte besser zu e<strong>in</strong>em Forum für alle Esperantisten werden.<br />

Umgehend re<strong>ch</strong>tfertigte si<strong>ch</strong> e<strong>in</strong> auf Kritik an se<strong>in</strong>er Arbeit eher allergis<strong>ch</strong> reagierender D.<br />

Blanke erneut <strong>in</strong> gewohnt s<strong>ch</strong>roffer Manier, um glei<strong>ch</strong>zeitig die „methodis<strong>ch</strong>-pädagogis<strong>ch</strong>e<br />

Fa<strong>ch</strong>gruppe unter der Leitung von Dr. Dahlenburg“ <strong>in</strong> S<strong>ch</strong>utz zu nehmen – diese arbeite na<strong>ch</strong> ihren<br />

Mögli<strong>ch</strong>keiten. Entspre<strong>ch</strong>ende neue Lehrbü<strong>ch</strong>er (von Dahlenburg/Liebig) wurden angekündigt. Über<br />

die Redaktionspolitik von der esperantist könne man lange diskutieren, niemand würde jemals voll<br />

zufrieden se<strong>in</strong>. Man dürfe <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> vergessen, dass es si<strong>ch</strong> bei der esperantist um e<strong>in</strong> „Fa<strong>ch</strong>journäl<strong>ch</strong>en<br />

der Esperantisten der DDR“ handle. Die Betonung wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Aspekte sei sehr wi<strong>ch</strong>tig und im<br />

Falle von der esperantist <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> übertrieben, umso mehr als au<strong>ch</strong> der „e<strong>in</strong>fa<strong>ch</strong>e Esperantist“ die<br />

Bedeutung der Wissens<strong>ch</strong>aft verstehen sollte. Die Behauptung, wieso der „e<strong>in</strong>fa<strong>ch</strong>e Esperantist“ fast<br />

<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>s für se<strong>in</strong>en Alltag f<strong>in</strong>de, sei unverständli<strong>ch</strong>. Neue Beiträge seien erwüns<strong>ch</strong>t, aber aufgrund des<br />

begrenztes Umfangs sei es s<strong>ch</strong>wierig, alle Themen abzudecken.<br />

Zu se<strong>in</strong>er Unterstützung liess Blanke <strong>in</strong> der esperantist 95/1979 e<strong>in</strong>en Leserbrief e<strong>in</strong>es<br />

gewissen Oskar Stolberg veröffentli<strong>ch</strong>en, <strong>in</strong> dem Göpels Me<strong>in</strong>ung für fals<strong>ch</strong> gehalten wurde. Es gäbe<br />

ke<strong>in</strong>e „e<strong>in</strong>fa<strong>ch</strong>en Esperantisten“, sondern nur Anfänger, Fortges<strong>ch</strong>rittene und perfekte Esperantisten.<br />

Dur<strong>ch</strong> die Lektüre von der esperantist erhöhe si<strong>ch</strong> das Niveau der Abonnenten. Da man mit dem<br />

Ausland konkurrieren müsse, sei e<strong>in</strong> hohes Niveau gefragt. Göpels Anforderungen <strong>in</strong> Bezug auf das<br />

Prüfungssystem seien zu ho<strong>ch</strong> gegriffen und würden die Zahl von Kandidaten zu<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>e ma<strong>ch</strong>en.<br />

Flüssig und korrekt <strong>Esperanto</strong> zu spre<strong>ch</strong>en vermögen nur Spra<strong>ch</strong>-Talentierte. 97<br />

In dieser Zeit ers<strong>ch</strong>ien, <strong>in</strong> Westdeuts<strong>ch</strong>land, die Eo-Übersetzung von Bölls ‚Die verlorene<br />

Ehre der Kathar<strong>in</strong>a Blum’, die <strong>in</strong> der esperantist angekündigt wurde. 98 Zum Thema Übersetzen<br />

s<strong>ch</strong>rieb die Redaktion: „Die Ausbildung und ständige fa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Weiterbildung von guten <strong>Esperanto</strong>-<br />

Übersetzern <strong>in</strong> der DDR, die <strong>in</strong> der Lage s<strong>in</strong>d, literaris<strong>ch</strong>e Werke <strong>in</strong>s <strong>Esperanto</strong> zu übertragen, wird<br />

immer mehr zu e<strong>in</strong>er dr<strong>in</strong>genden Notwendigkeit. Wir s<strong>ch</strong>lagen daher vor, dass si<strong>ch</strong> alle literaris<strong>ch</strong><br />

aktiven Esperantisten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Interessengruppe zusammens<strong>ch</strong>liessen und <strong>in</strong> engen<br />

Erfahrungsaustaus<strong>ch</strong> treten. Alle Interessenten, die an der Mitarbeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er sol<strong>ch</strong>en Gruppe<br />

<strong>in</strong>teressiert wären, mögen si<strong>ch</strong> an den Zentralen Arbeitskreis <strong>Esperanto</strong> wenden.“<br />

Im April 1978 fand <strong>in</strong> Ahrenshoop e<strong>in</strong> <strong>in</strong>ternationales Interl<strong>in</strong>guistik-Sem<strong>in</strong>ar mit folgenden<br />

Referenten und Referaten statt: Dr. D. Blanke (DDR): Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Bes<strong>ch</strong>äftigung mit<br />

<strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>problemen und mit der Eo-Bewegung 99 ; Dr. Arpad Ratkai (H): System der<br />

<strong>in</strong>ternationalen Spra<strong>ch</strong>-Benutzung; Dr. Jerzy Leyk (PL): Soziologie der Spra<strong>ch</strong>e, Soziol<strong>in</strong>guistik,<br />

Interl<strong>in</strong>guistik; Ing. A. Münni<strong>ch</strong> (H): Methoden der E<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>ätzung und des Verglei<strong>ch</strong>s allgeme<strong>in</strong>er<br />

<strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>; Dr. Jiri Jermar (CS): E<strong>in</strong>ige ethnologis<strong>ch</strong>e Probleme und Interl<strong>in</strong>guistik; A. Ratkai:<br />

Probleme der Erfors<strong>ch</strong>ung der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Bewegung; lic. Mar<strong>in</strong>ko Givoje (YU): Probleme der<br />

Dokumentation, Information und Bibliographie auf dem Gebiet der Interl<strong>in</strong>guistik und <strong>Esperanto</strong>logie;<br />

Dr. Istvan Szerdahelyi/H: L<strong>in</strong>guistis<strong>ch</strong>e Bes<strong>ch</strong>reibung des Eo; J. Leyk: Modell der lexikal. Formen des<br />

Eo; D. Blanke: Verglei<strong>ch</strong> von Ethnospra<strong>ch</strong>e und Planspra<strong>ch</strong>e; vers<strong>ch</strong>iedene Referenten (S. Gugev/BG,<br />

J. Jermar, D. Blanke, Dr. I. Szerdahelyi/H, M. Givoje, Mag. Jerzy Uspienski/PL, Dr. F. Bociort/R<br />

spra<strong>ch</strong>en über die Interl<strong>in</strong>guistik <strong>in</strong> ihren Ländern oder hielten weitere Referate (A. Boia/R, T.<br />

97 M.E. war die Intervention Göpels gere<strong>ch</strong>tfertigt.<br />

98 Die <strong>Esperanto</strong>-Übersetzung des westdeuts<strong>ch</strong>en Rikardo Ŝulco (Ri<strong>ch</strong>ard S<strong>ch</strong>ulz) wurde vom ZAKE als s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t qualifiziert.<br />

Zweimal habe der ZAKE si<strong>ch</strong> bemüht, dem Verlag die Übersetzungsmängel aufzuzeigen und vorges<strong>ch</strong>lagen, das Bu<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong><br />

zu publizieren. <strong>Der</strong> Leipziger Verlag habe <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit dem Verlag Blei<strong>ch</strong>er das Bu<strong>ch</strong> dann trotzdem publiziert.<br />

<strong>Der</strong> ZAKE s<strong>ch</strong>reckte <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> davor zurück, si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>roff <strong>in</strong> andere Veröffentli<strong>ch</strong>ungen e<strong>in</strong>zumis<strong>ch</strong>en (z.B. <strong>in</strong> Bezug auf<br />

e<strong>in</strong>en Artikel über Interl<strong>in</strong>gua <strong>in</strong> der Magdeburger Zeitung Volksstimme), wo er der Ansi<strong>ch</strong>t war, dass es si<strong>ch</strong> um<br />

„wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> <strong>in</strong>akzeptable Thesen“ handle, ohne auszuführen, um was es überhaupt g<strong>in</strong>g.<br />

99 Ni<strong>ch</strong>toffizielle deuts<strong>ch</strong>e Übersetzung der Referatsthemen aus dem Eo von A. Künzli.<br />

42


Vasko/H, L. Forts<strong>ch</strong>/CS, A. Mathe/H, O. Haszpra/H, J. Kavka/CS, V. Barandovska/CS, E.<br />

Krause/DDR, V. Falkenhahn u.a.) In e<strong>in</strong>er Resolution stellten die Teilnehmer fest, dass das Interesse<br />

für die Interl<strong>in</strong>guistik <strong>in</strong> den letzen Jahren gestiegen sei, dass es aber gravierende Mängel v.a. auf dem<br />

Gebiet der Organisation und Information gäbe. E<strong>in</strong>gedenk dessen, dass <strong>in</strong>terl<strong>in</strong>guistis<strong>ch</strong>e Fors<strong>ch</strong>ungen<br />

für die Lösung des Spra<strong>ch</strong>enproblems auf der Welt e<strong>in</strong>e grosse Bedeutung hätten, sei es notwendig,<br />

die diesbezügli<strong>ch</strong>e wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Arbeit weiterzuentwickeln. Die Spra<strong>ch</strong>e <strong>Esperanto</strong> sei bei den<br />

spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Bedürfnissen au<strong>ch</strong> im wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Berei<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> den gema<strong>ch</strong>ten Erfahrungen am<br />

geeignetsten, wurde behauptet. 100<br />

Dr. Jürgen S<strong>ch</strong>arnhorst vom Zentralen Institut für Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft an der Akademie der<br />

Wissens<strong>ch</strong>aften der DDR s<strong>ch</strong>rieb <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>in</strong> der Revue Spra<strong>ch</strong>pflege ers<strong>ch</strong>ienenen Kurzbeitrag, dass<br />

<strong>Esperanto</strong> <strong>in</strong> der DDR wie <strong>in</strong> den anderen sozialistis<strong>ch</strong>en Staaten sozusagen zum<br />

Fremdspra<strong>ch</strong>enunterri<strong>ch</strong>t gehöre, da die Zahl derer, die <strong>Esperanto</strong> lernten, ständig ansteige. <strong>Der</strong> ZAKE<br />

<strong>in</strong>terpretierte diese Erwähnung dah<strong>in</strong>gehend, aber wohl etwas zu stark idealisiert, so dass die<br />

Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aftler <strong>in</strong> der DDR si<strong>ch</strong> an die Tatsa<strong>ch</strong>e gewöhnt hätten, dass <strong>Esperanto</strong> zur<br />

„Spra<strong>ch</strong>situation“ <strong>in</strong> der DDR gehöre. 101<br />

1978 fand au<strong>ch</strong> das erste neu organisierte <strong>Esperanto</strong>-Treffen anlässli<strong>ch</strong> der Leipziger<br />

Frühl<strong>in</strong>gsmesse, genannt IFER, unter der massgebli<strong>ch</strong>en Organisation von Rolf Beau und unter dem<br />

Motto ‚60 Jahre Grosse Sozialistis<strong>ch</strong>e Oktoberrevolution’ statt; dazu gehörte au<strong>ch</strong> e<strong>in</strong> Abend zum<br />

Thema ‚Polnis<strong>ch</strong>e Kultur – Teil der Weltkultur’ statt, an dem Teresa Nemere aus Toruń e<strong>in</strong>en Vortrag<br />

hielt. <strong>Der</strong> sowjetis<strong>ch</strong>e Vizekonsul S<strong>ch</strong>epetov beehrte das Treffen mit se<strong>in</strong>em Vorbeis<strong>ch</strong>auen. Frau<br />

Vogel vom lokalen Kulturbundsvorstand und Genosse S<strong>ch</strong>ödl vom ZAKE hielten e<strong>in</strong>e Anspra<strong>ch</strong>e. Am<br />

nä<strong>ch</strong>sten Tag wurden das Georgi-Dimitrov-Museum, der Zoo und das Völkers<strong>ch</strong>la<strong>ch</strong>tdenkmal<br />

besi<strong>ch</strong>tigt. An dem von 106 Personen besu<strong>ch</strong>ten Treffen ers<strong>ch</strong>ienen Gäste aus H, CS, PL, BRD, A und<br />

DDR. E<strong>in</strong> gewisser H.A. Mann unterzei<strong>ch</strong>nete den Kurzberi<strong>ch</strong>t. Beim ZAKE konnte e<strong>in</strong> neuer 30m<strong>in</strong>ütiger<br />

Farbfilm über die DDR <strong>in</strong> <strong>Esperanto</strong> ausgeliehen werden. E<strong>in</strong> kostenloses 12. Kadersem<strong>in</strong>ar<br />

mit Jugendsem<strong>in</strong>aren wurde <strong>in</strong> Wehsendahl bei Strausberg angekündigt. 102 Ferner wurde e<strong>in</strong> neues<br />

Bu<strong>ch</strong> von D. Blanke ,mit dem Eo-Titel ‚<strong>Esperanto</strong>: Spra<strong>ch</strong>e, Bewegung, Unterri<strong>ch</strong>t’ mit Beiträgen von<br />

Isaev, Blanke, Bokarev, Nguyen van K<strong>in</strong>h, K. Kalocsay, W. Gilbert, A. Balague, G. Holmkvist, A.<br />

Pettym V. Oljanov, D.B. Gregor herausgegeben.<br />

An den 63. <strong>Esperanto</strong>-Weltkongress <strong>in</strong> Varna (Bulgarien) fuhren 100 DDR-Esperantisten und<br />

e<strong>in</strong>e offizielle Delegation bestehend aus D. Blanke, R. Hahlbohm (Na<strong>ch</strong>folger von Graetz im Amt des<br />

ZAKE-Vorsitzenden), Hans He<strong>in</strong>el, Siegfried L<strong>in</strong>e und Werner Pfennig. 30-40 Personen aus der DDR<br />

fuhren <strong>in</strong>dividuell, wie es hiess. Die DDR wurde bei der Eröffnung offiziell vom DDR-Generalkonsul<br />

<strong>in</strong> Varna, Hanis<strong>ch</strong>, vertreten.<br />

Im Oktober 1978 fand im Restaurant Riga zu Rostock das 3. Zentrale Treffen der<br />

Esperantisten im Kulturbund der DDR mit 180 Teilnehmern (140 aus der DDR, 40 aus dem Ausland)<br />

statt. Die folgende Abs<strong>ch</strong>lusserklärung wurde dort verabs<strong>ch</strong>iedet (Auszug unter hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er<br />

Berücksi<strong>ch</strong>tigung des politis<strong>ch</strong>-ideologis<strong>ch</strong>en Teils):<br />

I.<br />

Wir, Teilnehmer des III. Zentralen Treffens, haben über den bisher errei<strong>ch</strong>ten Stand der Arbeit der<br />

Esperantisten im Kulturbund der DDR und über die Ziele unseres zukünftigen Wirkens beraten, wie<br />

sie si<strong>ch</strong> aus den neuen Grundaufgaben des Kulturbundes sowie <strong>in</strong> Vorbereitung des 30. Jahrestages<br />

der Gründung der DDR ergeben.<br />

Wir erklären als wi<strong>ch</strong>tigste Zielsetzung und Bed<strong>in</strong>gung unserer Tätigkeit die weitere allseitige<br />

Stärkung der sozialistis<strong>ch</strong>en DDR und den verstärkten Kampf für Frieden, Entspannung und<br />

Abrüstung.<br />

100<br />

Esperantisten und Interl<strong>in</strong>guisten waren immer wieder von der Idee überzeugt, mittels <strong>Esperanto</strong> das sogenannte<br />

„weltweite Spra<strong>ch</strong>enproblem“ lösen zu können.<br />

101<br />

Wenn i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> ri<strong>ch</strong>tig er<strong>in</strong>nere, habe i<strong>ch</strong> <strong>in</strong> der esperantist übrigens nie e<strong>in</strong>en Beitrag über die M<strong>in</strong>derheitssituation der<br />

sorbis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>e und der Sorben <strong>in</strong> der DDR gelesen.<br />

102<br />

Unter den 18 Teilnehmern waren: D. Blanke, W. Pfennig, L. S<strong>ch</strong>ödl, H. He<strong>in</strong>el, H. Sauerbrey, H. S<strong>ch</strong>effs, F. Ley. Dies<br />

zeigt, dass man unter si<strong>ch</strong> war und kaum neue Aktivisten dazukamen. <strong>Der</strong> Kurzberi<strong>ch</strong>t war mit „Teilnehmer“ unters<strong>ch</strong>rieben.<br />

43


Wir begrüssen die vielseitigen Initiativen der UdSSR und der mit ihr verbündeten Staaten der<br />

sozialistis<strong>ch</strong>en Geme<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>aft für e<strong>in</strong>e weltweite Abrüstung und die weitere Dur<strong>ch</strong>setzung der<br />

Pr<strong>in</strong>zipien der friedli<strong>ch</strong>en Koexistenz.<br />

Wir wenden uns energis<strong>ch</strong> gegen die zunehmenden entspannungsfe<strong>in</strong>dli<strong>ch</strong>en Aktivitäten<br />

imperialistis<strong>ch</strong>er Kreise, die dazu dienen, erneut e<strong>in</strong>e Atmosphäre des ‚Kalten Krieges’ zu s<strong>ch</strong>affen<br />

sowie gefährli<strong>ch</strong>e Krisen herbeizuführen.<br />

Wir verurteilen auf das ents<strong>ch</strong>iedenste den von der USA-Regierung geplanten Bau der<br />

Neutronenbombe sowie deren Stationierung <strong>in</strong> Europa. Wir versi<strong>ch</strong>ern allen Völkern, die im<br />

antiimperialistis<strong>ch</strong>en Kampf stehen und um ihre Freiheit und Unabhängigkeit r<strong>in</strong>gen, unserer festen<br />

Solidarität.<br />

II.<br />

In tiefer Übere<strong>in</strong>stimmung mit den vielfältigen Aktivitäten der Werktätigen 103 unserer Republik und<br />

des Kulturbundes zum 30. Jahrestags der Gründung der DDR 104 rufen wir alle Esperantisten auf, ihren<br />

spezifis<strong>ch</strong>en Beitrag zur Realisierung der vom IX. Bundeskongress des Kulturbundes bes<strong>ch</strong>lossenen<br />

Grundaufgaben zu verstärken.<br />

(...)<br />

III.<br />

Es gilt, die uns gestellten Aufgaben <strong>in</strong> no<strong>ch</strong> bessserer Qualität als bisher zu lösen. Um das zu<br />

errei<strong>ch</strong>en, ist es notwendig, dass alle Esperantisten und ihre Leistungen<br />

- auf der Grundlage der Weltans<strong>ch</strong>auung der Arbeiterklasse ihr Wissen über die politis<strong>ch</strong>en und<br />

ideologis<strong>ch</strong>en Hauptfragen unserer Zeit ständig vertiefen, no<strong>ch</strong> besser <strong>in</strong> das Wesen der verstärkten<br />

Klassenause<strong>in</strong>andersetzung zwis<strong>ch</strong>en Imperialismus und Sozialismus e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gen und die E<strong>in</strong>heit von<br />

sozialistis<strong>ch</strong>em Patriotismus und proletaris<strong>ch</strong>em Internationalismus weiter ausprägen.<br />

(...)“<br />

Aber au<strong>ch</strong> Ludwig S<strong>ch</strong>ödl, stellvertretender Vorsitzender des ZAKE, erhielt die Gelegenheit,<br />

si<strong>ch</strong> als profilierter S<strong>ch</strong>arfma<strong>ch</strong>er 105 an dem Treffen mit e<strong>in</strong>em Referat zu qualifizieren – hier e<strong>in</strong><br />

Auszug:<br />

„Seit dem IX. Parteitag s<strong>in</strong>d gute zwei Jahre <strong>in</strong>s Land gegangen, und wir bef<strong>in</strong>den uns fast auf<br />

der Hälfte der Wegstrecke zum X. Parteitag. E<strong>in</strong> wi<strong>ch</strong>tiger Abs<strong>ch</strong>nitt ist dabei zweifelsohne das grosse<br />

Jubiläum, das unsere Republik im nä<strong>ch</strong>sten Jahr begehen wird: <strong>Der</strong> 30. Jahrestag der Gründung<br />

unseres Staates.<br />

<strong>Der</strong> IX. Parteitag war e<strong>in</strong> bedeutendes Ereignis <strong>in</strong> der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te unseres Volkes: Unsere<br />

Partei bes<strong>ch</strong>loss e<strong>in</strong> neues Programm, das die weitere Gestaltung der entwickelten sozialistis<strong>ch</strong>en<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft <strong>in</strong> der DDR be<strong>in</strong>haltet, mit dem Ausblick auf den Aufbau des Kommunismus.<br />

<strong>Der</strong> Kulturbund der DDR beriet auf se<strong>in</strong>em IX. Bundeskongress im September 1977 se<strong>in</strong>en<br />

zukünftigen Platz <strong>in</strong> der entwickelten sozialistis<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft. Es wurden neue Grundaufgaben<br />

verabs<strong>ch</strong>iedet, Grundaufgaben, zu deren Realisierung alle Berei<strong>ch</strong>e der Organisation mit der <strong>ganz</strong>en<br />

rei<strong>ch</strong>en Vielfalt ihrer Aktivitäten aufgerufen wurden.<br />

Die gesamte Tätigkeit der Freunde der <strong>in</strong>ternationalen Spra<strong>ch</strong>e <strong>Esperanto</strong> kann si<strong>ch</strong> nur <strong>in</strong><br />

vollem Masse unter friedli<strong>ch</strong>en und normalen <strong>in</strong>ternationalen Beziehungen vollziehen. Bed<strong>in</strong>gungen<br />

e<strong>in</strong>er zunehmenden Entspannung der <strong>in</strong>ternationalen Beziehungen wirken si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> auf unsere<br />

Tätigkeit positiv aus. In e<strong>in</strong>er Atmosphäre von imperialistis<strong>ch</strong>en Störmanövern und Belastungen der<br />

politis<strong>ch</strong>en Beziehungen zwis<strong>ch</strong>en den Staaten haben au<strong>ch</strong> die Esperantisten wenig Mögli<strong>ch</strong>keiten, für<br />

ihre humanistis<strong>ch</strong>en Ideale zu wirken. Leider müssen wir feststellen, dass si<strong>ch</strong> imperialistis<strong>ch</strong>e Kreise<br />

<strong>in</strong> der letzten Zeit verstärkt bemühen, die Erfolge der Entspannungspolitik <strong>in</strong> Frage zu stellen und neue<br />

Runden im Wettrüsten e<strong>in</strong>zuleiten. Es wird deutli<strong>ch</strong>: Die Ause<strong>in</strong>andersetzung zwis<strong>ch</strong>en Sozialismus<br />

und Kapitalismus hat an Intensität weiter erhebli<strong>ch</strong> zugenommen. Das wissen wir Esperantisten. Das<br />

erhöht unsere Verantwortung als Staatsbürger und als Internationalisten.“<br />

103<br />

Gerade hatte do<strong>ch</strong> kürzli<strong>ch</strong> e<strong>in</strong> Esperantist si<strong>ch</strong> über die mangelnde Zuneigung des Kulturbundes gegenüber den<br />

Werktätigen beklagt...<br />

104<br />

Interessant: <strong>Der</strong> Name des Staates wurde <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mehr <strong>in</strong> voller Länge ausges<strong>ch</strong>rieben wie no<strong>ch</strong> unter Graetz.<br />

105<br />

In e<strong>in</strong>em Interview mit Bendias (2011) bes<strong>ch</strong>reibt Blanke S<strong>ch</strong>ödl, Direktor e<strong>in</strong>er Obers<strong>ch</strong>ule <strong>in</strong> Neurupp<strong>in</strong>, als<br />

„unantastbaren Arbeiterveteran“, den „die Genossen si<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> trauten“ zu kritisieren oder ihm zu widerspre<strong>ch</strong>en.<br />

44


In diesem Referat wurde au<strong>ch</strong> mit Ivo Lapenna abgere<strong>ch</strong>net, der die UEA verliess und e<strong>in</strong>e<br />

eigene, „neutrale“ <strong>Esperanto</strong>-Bewegung s<strong>ch</strong>uf:<br />

„Die DDR-Esprantisten arbeiten <strong>in</strong> vielfältiger Weise mit der Weltfrieden-Esperantisten-<br />

Bewegung (MEM), im <strong>Esperanto</strong>-Weltbund (UEA) und im Jugend-<strong>Esperanto</strong>-Verband (TEJO),<br />

Verbände, die e<strong>in</strong>e positive Arbeit leisten und von der <strong>in</strong>ternationalen Realität ausgehen.<br />

Das glei<strong>ch</strong>e kann man allerd<strong>in</strong>gs <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> behaupten von der sogenannten ‚Neutralen <strong>Esperanto</strong>-<br />

Bewegung’ (NEM), die si<strong>ch</strong> 1974 aus antikommunistis<strong>ch</strong> orientierten Anhängern des abgewählten<br />

ehemaligen Präsidenten des <strong>Esperanto</strong>-Weltbundes, Prof. Lapenna, gebildet hat. 106 Diese Gruppierung<br />

widerspiegelt überras<strong>ch</strong>end genau die Taktik und Aktionsweise der sattsam bekannten<br />

antikommunistis<strong>ch</strong>en und antisowjetis<strong>ch</strong>en Giftkü<strong>ch</strong>en westli<strong>ch</strong>er Prägung. Da gibt es ‚Manifeste für<br />

Frieden und Humanismus’, die e<strong>in</strong>en ‚humanistis<strong>ch</strong>en Internationalismus’ dem ‚proletaris<strong>ch</strong>en<br />

Internationalismus gegenüberstellen. 107 In ihrer Zeits<strong>ch</strong>rift Horizonto und auf Konferenzen hetzt diese<br />

Gruppe gegen die sozialistis<strong>ch</strong>en Länder und erf<strong>in</strong>det kommunistis<strong>ch</strong>e Komplotte <strong>in</strong> der <strong>Esperanto</strong>-<br />

Bewegung und anderes mehr. 108 “<br />

(...)<br />

Zum Selbstverständnis der Esperantisten und des <strong>Esperanto</strong> aus ZAKE-Si<strong>ch</strong>t:<br />

„Es ist denno<strong>ch</strong> notwendig, immer von neuem zu begreifen, dass e<strong>in</strong> Esperantist <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong><br />

notwendigerweise und quasi automatis<strong>ch</strong> Internationalist und sozialistis<strong>ch</strong>er Patriot ist. Nur auf den<br />

festen Positionen des Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus, die es immer wieder neu zu err<strong>in</strong>gen gilt als bewusste<br />

Staatsbürger handelnd, werden wir die rei<strong>ch</strong>en humanistis<strong>ch</strong>en Bildungs- und Erziehungswerte<br />

ers<strong>ch</strong>liessen können, die <strong>in</strong> der Bes<strong>ch</strong>äftigung mit dem <strong>Esperanto</strong> liegen, und diese zur eigenen Freude<br />

und zum Nutzen der Gesells<strong>ch</strong>aft voll ers<strong>ch</strong>liessen.<br />

Wir müssen weiterh<strong>in</strong> s<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>bar e<strong>in</strong>e banale Feststellung treffen: <strong>Esperanto</strong> ist <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> Selbstzweck,<br />

sondern e<strong>in</strong> Kommunikationsmittel. Nur <strong>in</strong> ihrer praktis<strong>ch</strong>en Anwendung für die Gestaltung<br />

<strong>in</strong>ternationalistis<strong>ch</strong>er Beziehungen realisiert si<strong>ch</strong> der Wert dieser Spra<strong>ch</strong>e.“<br />

Ewig getrieben von e<strong>in</strong>em fanatis<strong>ch</strong>en Missions- und Re<strong>ch</strong>tfertigungseifer, wurde des<br />

Weiteren festgestellt:<br />

„Es wäre zu wüns<strong>ch</strong>en, wenn auf Bezirks-, Kreis- und Gruppenebene no<strong>ch</strong> mehr orig<strong>in</strong>elle<br />

Formen der <strong>in</strong>ternationalen Information über die DDR gefunden würden.“<br />

„Zwar gibt es Erfolge <strong>in</strong> der Jugendarbeit, do<strong>ch</strong> kann das Errei<strong>ch</strong>te <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> befriedigen.“<br />

„Das spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>-fa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Niveau unserer Esperantisten hat an Qualität gewonnen. Denno<strong>ch</strong> gilt es,<br />

au<strong>ch</strong> auf diesem Gebiet no<strong>ch</strong> viel zu tun.“<br />

„<strong>Der</strong> orig<strong>in</strong>elle Beitrag, der vom ZAKE auf dem Gebiet der Interl<strong>in</strong>guistik und <strong>Esperanto</strong>logie<br />

geleistet wird, f<strong>in</strong>det <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> nur zunehmend <strong>in</strong> der DDR, sondern au<strong>ch</strong> <strong>in</strong> erhebli<strong>ch</strong>em Masse im<br />

Ausland Anerkennung.“<br />

Fazit:<br />

„Ausgehend von unseren sozialistis<strong>ch</strong>en Zielen und Wirkungsmögli<strong>ch</strong>keiten <strong>in</strong> der DDR<br />

haben wir guten Grund zur Freude und Befriedigung und werden die Kraft f<strong>in</strong>den, unsere Arbeit auf<br />

die erforderli<strong>ch</strong>e Höhe der neuen Aufgaben zu heben.“<br />

Amüsant ers<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>t e<strong>in</strong> Detail im Beri<strong>ch</strong>t über das Treffen: Am ‚Abend des Kennenlernens’<br />

des 13. Oktober sei die Musik „etwas zu laut“ gewesen. Das Treffen wurde rout<strong>in</strong>emässig als „voller<br />

Erfolg“ verkauft. Es sei s<strong>ch</strong>wierig, „e<strong>in</strong>en Mangel bei der Organisation zu f<strong>in</strong>den“, hiess es. Und:<br />

„Alles g<strong>in</strong>g akkurat im M<strong>in</strong>utentakt na<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>em präzisen Plan sozusagen wie e<strong>in</strong>e Uhr“. <strong>Der</strong> ZAKE-<br />

Vorsitzende Rudolf Hahlbohm war aus gesundheitli<strong>ch</strong>en Gründen abwesend und befand si<strong>ch</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

„Kurort“. 109 Sodass D. Blanke als zentrale, starke Führungsfigur auftreten konnte. Es war Hans He<strong>in</strong>el,<br />

106<br />

Lapenna wurde <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> abgewählt. No<strong>ch</strong> vor e<strong>in</strong>er Wiederwahl ents<strong>ch</strong>ied er si<strong>ch</strong>, se<strong>in</strong>en Rücktritt anzukündigen, um e<strong>in</strong>er<br />

drohenden Niederlage im voraus zu entgehen.<br />

107<br />

Au<strong>ch</strong> Lapenna redete <strong>in</strong> den 80er Jahren von e<strong>in</strong>em „humanistis<strong>ch</strong>en Internationalismus“ („humaneca <strong>in</strong>ternaciismo“),<br />

wobei er damit die humanistis<strong>ch</strong>en Ideen und Anliegen Zamenhofs me<strong>in</strong>te (Homaranismus, <strong>in</strong>terna ideo usw.) - (s. M<strong>in</strong>naja,<br />

C.: Eseoj memore al Ivo Lapenna 2001, ab S. 285), die, wie bereits an anderer Stelle gezeigt, von DDR-Esperantisten wie<br />

Graetz und Blanke bekämpft wurden.<br />

108<br />

Diese e<strong>in</strong>seitige Aussage bedürfte e<strong>in</strong>es ausführli<strong>ch</strong>en Kommentars, auf den hier aus Platz- und Relevantsgründen<br />

verzi<strong>ch</strong>tet wird. Es ist ri<strong>ch</strong>tig, dass Lapenna als Jurist Aspekte des Sowjetkommunismus, v.a. des Sowjetre<strong>ch</strong>ts, kritisierte,<br />

was von der DDR natürli<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> goutiert werden konnte.<br />

109<br />

Am 2.1.1980 wurde Hahlbohm 70-jährig und erhielt die Johannes-R.-Be<strong>ch</strong>er-Medaille <strong>in</strong> Gold. Hahlbohm war Maler und<br />

Grafiker, leitete e<strong>in</strong> Puppentheater und arbeitete als wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Berater im Museum für Deuts<strong>ch</strong>e Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te. Na<strong>ch</strong><br />

45


Mitglied des ZAKE-Präsidiums, der si<strong>ch</strong> <strong>in</strong> der Abs<strong>ch</strong>lussveranstaltung bereits jetzt als<br />

wahrs<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>li<strong>ch</strong>er Na<strong>ch</strong>folger Hahlbohms (1981) positionieren konnte. <strong>Der</strong> Beri<strong>ch</strong>t war mit<br />

„Teilnehmer“ unterzei<strong>ch</strong>net. Um „verdienstvolle“ Esperantisten auszuzei<strong>ch</strong>nen, erfand der ZAKE e<strong>in</strong><br />

„Ehrenabzei<strong>ch</strong>en“, das an folgende Personen verteilt wurde: Otto Bässler, Helmut Fu<strong>ch</strong>s, Werner<br />

Habi<strong>ch</strong>t, Paul Köster, Werner Plate, Ri<strong>ch</strong>ard Rabenalt, Walter Röhner, Ludwig S<strong>ch</strong>ödl, Ernst<br />

S<strong>ch</strong>onert, Ilse Serowy, Eri<strong>ch</strong> Würker. Das SED-Zentralorgan Neues Deuts<strong>ch</strong>land veröffentli<strong>ch</strong>te <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er Ausgabe vom 2./3.12.1978 auf S. 16 den „umfangrei<strong>ch</strong>sten Artikel über <strong>Esperanto</strong>“, der jemals<br />

<strong>in</strong> dieser Zeitung ers<strong>ch</strong>ienen war.<br />

In der esperantist 93/1979 wurden die Neujahrsbots<strong>ch</strong>aft des UEA-Präsidenten Humphrey<br />

Tonk<strong>in</strong>, e<strong>in</strong> Telegramm von und an Romesh Chandra, Präsident des Weltfriedensrates, und der<br />

berühmte Brief des russis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>riftstellers L.N. Tolstoj an die Esperantisten von Worones<strong>ch</strong> vom<br />

27.4.1894 sowie e<strong>in</strong> Beri<strong>ch</strong>t über e<strong>in</strong>en Interl<strong>in</strong>guistik-Anlass <strong>in</strong> Timişoara (R) veröffentli<strong>ch</strong>t.<br />

<strong>Esperanto</strong> war <strong>in</strong> Rumänien quasi verboten, daher wurde jede Information aus diesem vers<strong>ch</strong>lossenen<br />

Karpatenland, wo Prof. Bociort, Dr. Apreotesei, Prof. Boia und C. Dom<strong>in</strong>te den Kern der<br />

Interl<strong>in</strong>guisten <strong>in</strong> Rumänien bildeten, mit Interesse au<strong>ch</strong> von den Interl<strong>in</strong>guisten und Esperantisten<br />

ausserhalb des Ostblocks zur Kenntnis genommen.<br />

Am 13. Interl<strong>in</strong>guistik-Sem<strong>in</strong>ar <strong>in</strong> Ahrenshoop des Jahres 1979 hielt D. Blanke e<strong>in</strong>en Vortrag<br />

über „Sektierertum <strong>in</strong> der <strong>Esperanto</strong>-Bewegung. 110 Und anlässli<strong>ch</strong> der 7. Vollsitzung des ZAKE <strong>in</strong><br />

S<strong>ch</strong>wer<strong>in</strong> verurteilte der ZAKE die „perfide Aggression Ch<strong>in</strong>as gegen die Sozialistis<strong>ch</strong>e Republik<br />

Vietnam“. Hoppla!<br />

Aus Anlass des 30-jährigen Bestehens der Erklärung der Universellen Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te wurde<br />

<strong>in</strong> der esperantist 94/1979 e<strong>in</strong> Artikel aus der Zeits<strong>ch</strong>rift E<strong>in</strong>heit <strong>in</strong> Eo-Übersetzung gebra<strong>ch</strong>t. Se<strong>in</strong><br />

Ziel war vor allem, mit dem Zeigef<strong>in</strong>ger auf die prekären Verhältnisse der Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te <strong>in</strong><br />

Südafrika, Afrika, Chile und Nicaragua zu zeigen. <strong>Der</strong> Staat habe selbst über den<br />

Kontrollme<strong>ch</strong>anismus zu ents<strong>ch</strong>eiden, der die E<strong>in</strong>haltung der der Re<strong>ch</strong>te und Pfli<strong>ch</strong>ten garantiere,<br />

hiess es <strong>in</strong> der Belehrung – <strong>in</strong> der DDR sei dies die Aufgabe der „Volksvertreter“. Ferner wurde Art.<br />

48,49 der UdSSR-Verfasung zitiert, die e<strong>in</strong> „Re<strong>ch</strong>t auf Kritik“ gewährt. Es sei aber <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> die Aufgabe<br />

der UNO, si<strong>ch</strong> <strong>in</strong> den Prozess der Staaten e<strong>in</strong>zumis<strong>ch</strong>en, um die Bürgerre<strong>ch</strong>te zu garantieren, ja na<strong>ch</strong><br />

Art. 7, Abs. 7, und gemäss UN-Resolution 20/2131 von 1965 habe die UN überhaupt ke<strong>in</strong> Re<strong>ch</strong>t, si<strong>ch</strong><br />

direkt oder <strong>in</strong>direkt <strong>in</strong> die <strong>in</strong>neren und äusseren Angelegenheiten e<strong>in</strong>es Staates e<strong>in</strong>zumis<strong>ch</strong>en oder<br />

au<strong>ch</strong> nur mit E<strong>in</strong>mis<strong>ch</strong>ung zu drohen. Die kle<strong>in</strong>e DDR, quasi e<strong>in</strong> weisser Fleck auf der Weltkarte, e<strong>in</strong><br />

politis<strong>ch</strong>es und geostrategis<strong>ch</strong>es Ärgernis <strong>in</strong> Europa und e<strong>in</strong>e überhebli<strong>ch</strong>e Diktatur des<br />

abgewirts<strong>ch</strong>afteten Ostblocks, <strong>in</strong> der das Re<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>on lange <strong>in</strong> Unre<strong>ch</strong>t umges<strong>ch</strong>lagen war, erdreistete<br />

si<strong>ch</strong>, der UN den Tarif dur<strong>ch</strong>zugeben! 111<br />

Am 64. <strong>Esperanto</strong>-Weltkongress <strong>in</strong> Luzern (S<strong>ch</strong>weiz) wurde der ZAKE erneut (bzw. nur<br />

no<strong>ch</strong>) von Blanke und Hahlbohm offiziell vertreten. Bei dieser Gelegenheit wurde der Landesverband<br />

Chiles <strong>in</strong> den Weltbund aufgenommen, obwohl niemand aus diesem Land selbst <strong>in</strong> Luzern zugegen<br />

war. Im glei<strong>ch</strong>en Jahr wurde <strong>in</strong> Moskau im Rahmen der SSOD endli<strong>ch</strong> die Vere<strong>in</strong>igung Sowjetis<strong>ch</strong>er<br />

Esperantisten mit M. Isaev als deren Präsident und <strong>in</strong> Kuba die Vere<strong>in</strong>igung Kubanis<strong>ch</strong>er<br />

Esperantisten gegründet. Und <strong>in</strong> der DDR ers<strong>ch</strong>ien e<strong>in</strong>e weitere Sondernummer der Zeits<strong>ch</strong>rift Paco,<br />

deren Beiträge völlig e<strong>in</strong>seitig im S<strong>in</strong>ne der Ostblockpolitik abgefasst waren. Die <strong>Esperanto</strong>-<br />

eigenen Aussagen vernahm Hahlbohm <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er K<strong>in</strong>dheit etwas über <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>. Damals gehörte er dem „Freidenker-<br />

Verband“ an (auf Eo wurde dies mit „Ateisto-Asocio“ wiedergegeben). Anfang der 20er Jahre hörte er von Ido. In der Zeit<br />

als Mitglied der Gewerks<strong>ch</strong>aftsjugend und der Kommunistis<strong>ch</strong>en Jugendvere<strong>in</strong>igung Deuts<strong>ch</strong>lands lernte er <strong>Esperanto</strong><br />

(1928). Während der Weltwirts<strong>ch</strong>aftskrise begann er dur<strong>ch</strong> Europa zu wandern und konnte v.a. <strong>in</strong> „südli<strong>ch</strong>en“ Ländern se<strong>in</strong>e<br />

Eo-Kenntnisse vervollständigen. 1933 kam er <strong>in</strong>s KZ Sa<strong>ch</strong>senhausen (der Grund se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>lieferung wird <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> genannt). E<strong>in</strong><br />

Jahrzehnt später fand er si<strong>ch</strong> als Kriegsgefangener <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Lager <strong>in</strong> Mittelengland wieder, wo er e<strong>in</strong>en englis<strong>ch</strong>en<br />

Esperantisten kennenlernte. Na<strong>ch</strong> se<strong>in</strong>er Rückkehr <strong>in</strong> die SBZ s<strong>ch</strong>loss er si<strong>ch</strong> der SAT an und nahm 1948 am SAT-Kongress<br />

<strong>in</strong> Amsterdam teil. Die Landesgrenzen habe er na<strong>ch</strong>ts übers<strong>ch</strong>ritten. Später hielt er si<strong>ch</strong> berufli<strong>ch</strong> (Puppentheater) <strong>in</strong> Bukarest<br />

auf, wo er erneut den Kontakt mit Esperantisten su<strong>ch</strong>te. In Berl<strong>in</strong> fand er den Kontakt mit Esperantisten wieder, mit denen er<br />

den ZAKE gründete und 1977-81 dessen Vorsitzender war. (der esperantist 5/1985, S. 99). Hahlbohm war Mitglied des<br />

UEA-Komitees und Delegierter für Tourismus <strong>in</strong> Ostberl<strong>in</strong>. Hahlbohm war au<strong>ch</strong> e<strong>in</strong> leidens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Segler und<br />

begeisterter Naturfreund. Er starb am 5.1.2005.<br />

110 Leider liegt mir der Text dieses Vortrags <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> vor.<br />

111 Dass die DDR ihre eigenen Bürger dur<strong>ch</strong> ihre Grenzbefestigungen daran h<strong>in</strong>derte, ihr Land zu verlassen und damit die<br />

Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te fundamental verletzte, wurde <strong>in</strong> der esperantist freili<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> erwähnt.<br />

46


Bewegung des Ostblocks ma<strong>ch</strong>te galoppierende Forts<strong>ch</strong>ritte. Und 1979 erhielt s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> Eri<strong>ch</strong><br />

Honecker selbst die Johannes-R.-Be<strong>ch</strong>er-Medaille <strong>in</strong> Gold anlässli<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>es Empfangs der Kulturbund-<br />

Grössen bei ihm. <strong>Der</strong> Kommentar <strong>in</strong> der esperantist lautete wie folgt: „<strong>Der</strong> Generalsekretär (...)<br />

drückte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Referat e<strong>in</strong>e sehr hohe, positive Beurteilung der vielseitigen Arbeit des Kulturbunds<br />

aus. Und wenn er dies tat, so hatte dies <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> nur für e<strong>in</strong>en Teil des Kulturbunds Gültigkeit, sondern<br />

für den gesamten, also au<strong>ch</strong> für die Esperantisten.“ S<strong>ch</strong>on seit langem seien die Zeiten vorbei, <strong>in</strong><br />

denen im Kulturbund der Wert der <strong>Esperanto</strong>-Tätigkeit bezweifelt wurde. Dort würden die<br />

Esperantisten als seriöse Leute und <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> als Fanatiker und Sektierer (sic) <strong>in</strong> Ers<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>ung treten, hiess<br />

es weiter. Man könne sagen, dass die „wenigen“ (sic) Esperantisten <strong>in</strong> der DDR e<strong>in</strong>en<br />

bemerkenswerten Haltungswe<strong>ch</strong>sel dur<strong>ch</strong> alle Sphären der Gesells<strong>ch</strong>aft errei<strong>ch</strong>t hätten. Glei<strong>ch</strong>zeitig<br />

wurde darüber beri<strong>ch</strong>tet, Leonid Bres<strong>ch</strong>new habe angekündigt, vom Territorium der DDR 20’000<br />

Soldaten abzuziehen. Die Friedens<strong>in</strong>itiative des Sowjetführers, die au<strong>ch</strong> den Abzug von<br />

Mittelstreckenraketen aus den westli<strong>ch</strong>en Gebieten der UdSSR be<strong>in</strong>haltete, wurde von Rudolf<br />

Zimmermann begrüsst. Glei<strong>ch</strong>zeitig stiess er se<strong>in</strong> Unverständnis aus, dass die NATO denno<strong>ch</strong><br />

beabsi<strong>ch</strong>tigt, neue modernste Raketenysteme gegen den Ostblock aufzustellen. Ende September 1979<br />

hielt D. Blanke anlässli<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>lägigen Treffens (die Hälfte der 225 Teilnehmer stammte aus<br />

BG, CS, H, PL, R) <strong>in</strong> Meissen e<strong>in</strong>e Festanspra<strong>ch</strong>e anlässli<strong>ch</strong> des 30. Bestehens der DDR. Die Kämpfer<br />

gegen Fas<strong>ch</strong>ismus und Imperialismus, für e<strong>in</strong> sozialistis<strong>ch</strong>es Deuts<strong>ch</strong>land, würden ihre Idee<br />

heutzutage <strong>in</strong> der DDR verwirkli<strong>ch</strong>t sehen, sagte er zu Beg<strong>in</strong>n se<strong>in</strong>es Vortrags. Dann folgte e<strong>in</strong>e<br />

Würdigung Rudi Graetz’ und e<strong>in</strong> Selbstlob an die Adresse des ZAKE, der e<strong>in</strong>e wi<strong>ch</strong>tige<br />

Meilenste<strong>in</strong>arbeit mit gesamtrepublikanis<strong>ch</strong>er Bilanz geleistet habe. <strong>Der</strong> Kulturbund würde<br />

massgebli<strong>ch</strong> zur Herausbildung von sozialistis<strong>ch</strong>en Persönli<strong>ch</strong>keiten beitragen. Johannes R. Be<strong>ch</strong>er<br />

wurde lobend erwähnt. 112 Von den Vietnamesen, von humanistis<strong>ch</strong>en Idealen, von der entwickelten<br />

112 Die wahre Biographie Be<strong>ch</strong>ers ist ungewöhnli<strong>ch</strong> und konnte <strong>in</strong> der esperantist freili<strong>ch</strong> niemals präsentiert werden. Sie<br />

widerspiegelt e<strong>in</strong> s<strong>ch</strong>wieriges Leben: Geboren 1891 <strong>in</strong> Mün<strong>ch</strong>en als Sohn e<strong>in</strong>es Oberlandesgeri<strong>ch</strong>tspräsidenten, begann<br />

Be<strong>ch</strong>er si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> dem Abbru<strong>ch</strong> des Studiums als freier S<strong>ch</strong>riftsteller mit expressionistis<strong>ch</strong>en Gedi<strong>ch</strong>ten zu profilieren. Frühe<br />

Lebenskrisen (1910: Tötung der Freund<strong>in</strong> und eigene Verletzung bei e<strong>in</strong>em misslungenen Doppelselbstmord und<br />

Kl<strong>in</strong>ikaufenthalte wegen Morphiumabhängigkeit im 1. WK) führten ihn 1923 endgültig <strong>in</strong> die KPD, der er s<strong>ch</strong>on 1919<br />

beigetreten war. E<strong>in</strong>e Phase der Gottsu<strong>ch</strong>e führte ihn von ihr jedo<strong>ch</strong> wieder weg. 1933 wurde er <strong>in</strong>s Exil <strong>in</strong> die UdSSR<br />

genötigt, wo er unter dem Stal<strong>in</strong>ismus litt und mehrere Suizidversu<strong>ch</strong>e unternahm. 1945 kehrte er mit der Gruppe Ulbri<strong>ch</strong>t<br />

na<strong>ch</strong> Deuts<strong>ch</strong>land zurück. In der SBZ/DDR wurde er zum führenden Kulturpolitiker, begründete den Aufbau-Verlag und<br />

gewann für die Zusammenarbeit mit der Hilfe der SMAD au<strong>ch</strong> bürgerli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten. Er trat für die Wiederherstellung der<br />

deuts<strong>ch</strong>en E<strong>in</strong>heit e<strong>in</strong> und s<strong>ch</strong>uf 1949 den Text der DDR-Nationalhymne ‚Auferstanden aus Ru<strong>in</strong>en’. 1954 wurde er DDR-<br />

Kulturm<strong>in</strong>ister. Na<strong>ch</strong> der Verhaftung des Leiters des Aufbaus Verlages Walter Janka hatte Be<strong>ch</strong>er si<strong>ch</strong> für diesen bei Ulbri<strong>ch</strong>t<br />

e<strong>in</strong>gesetzt, zu dem Be<strong>ch</strong>er e<strong>in</strong> besonderes Verhältnis pflegte, das von Gönnerhaftigkeit und Kalkül Ulbri<strong>ch</strong>ts und grotesker<br />

S<strong>ch</strong>mei<strong>ch</strong>elei Be<strong>ch</strong>ers gekennzei<strong>ch</strong>net war. Kennengelernt hatten si<strong>ch</strong> die beiden <strong>in</strong> der SU, wo beide die stal<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>en<br />

Säuberungen mit Glück du S<strong>ch</strong>läue überlebten. Trotz öffentli<strong>ch</strong>er Huldigung und Unterwerfungserklärungen seitens Be<strong>ch</strong>er<br />

blieb das Verhältnis zwis<strong>ch</strong>en ihnen äussest zwiespältig. Be<strong>ch</strong>er war immer wieder h<strong>in</strong>- und hergerissen zwis<strong>ch</strong>en<br />

Fasz<strong>in</strong>ation für die Theorie des Sozialismus e<strong>in</strong>erseits und nieders<strong>ch</strong>metternder Realität <strong>in</strong> der DDR andererseits. Aber<br />

Ulbri<strong>ch</strong>t setzte ihn ständig unter Druck, damit er si<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>deutig zu se<strong>in</strong>er Politik bekenne. Während Be<strong>ch</strong>er <strong>in</strong> der Phase des<br />

‚Tauwetters’ (um 1956) si<strong>ch</strong> öffentli<strong>ch</strong> für e<strong>in</strong>e kulturpolitis<strong>ch</strong>e Öffnung e<strong>in</strong>setzte, verfolgte Ulbri<strong>ch</strong>t den gegensätzli<strong>ch</strong>en<br />

Kurs und g<strong>in</strong>g mit harten Bandagen gegen die Intellektuellen der DDR vor. So bes<strong>ch</strong>werte si<strong>ch</strong> Be<strong>ch</strong>er bei S<strong>ch</strong>irdewan über<br />

die geistige Drangsalierung Jankas und anderer und sagte ihm, dass er <strong>in</strong> die SU emigrieren wolle. Dies dem Todfe<strong>in</strong>d<br />

Ulbri<strong>ch</strong>ts mitzuteilen war se<strong>in</strong> Kard<strong>in</strong>alfehler. Ulbri<strong>ch</strong>t liess Be<strong>ch</strong>er sofort fallen. Dieser Situation s<strong>ch</strong>ien „Freund“ Be<strong>ch</strong>er<br />

aber <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> gewa<strong>ch</strong>sen. Die Missa<strong>ch</strong>tung dur<strong>ch</strong> Ulbri<strong>ch</strong>t konnte er kaum ertragen. Mit hö<strong>ch</strong>st ges<strong>ch</strong>macklosen Gedi<strong>ch</strong>ten und<br />

Huldigungen auf den SED-Chef und mit e<strong>in</strong>er lobhudelnden Biografie über den DDR-Diktator zu dessen 65. Geburtstag<br />

bemühte si<strong>ch</strong> Be<strong>ch</strong>er, das Vertrauen des krankhaft misstrauis<strong>ch</strong>en und na<strong>ch</strong>tragenden Ulbri<strong>ch</strong>t vergebli<strong>ch</strong> wiederzugew<strong>in</strong>nen.<br />

Am 10.9.57 s<strong>ch</strong>rieb er e<strong>in</strong>en langen Brief an das Politbüro, <strong>in</strong> dem ges<strong>ch</strong>rieben stand, dass man ihn aus se<strong>in</strong>en Ämtern und<br />

Funktionen entlassen möge. Gegen Ende se<strong>in</strong>es Lebens war Be<strong>ch</strong>er zur E<strong>in</strong>si<strong>ch</strong>t gekommen, dass die Politik se<strong>in</strong> Di<strong>ch</strong>ten<br />

ru<strong>in</strong>iert habe. Dana<strong>ch</strong> war er bis zu se<strong>in</strong>em Tod am 11.10.58 ohne jeden politis<strong>ch</strong>en E<strong>in</strong>fluss und spielte <strong>in</strong> den<br />

Ause<strong>in</strong>adersetzungen <strong>in</strong> der SED-Führung, die si<strong>ch</strong> <strong>in</strong> diesen Jahren na<strong>ch</strong> stal<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>em Vorbild hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> mit der<br />

Auss<strong>ch</strong>altung von Kritikern befasste, ke<strong>in</strong>e Rolle mehr. Na<strong>ch</strong> se<strong>in</strong>em Tod sorgte Ulbri<strong>ch</strong>t dafür, dass das Werk Be<strong>ch</strong>ers na<strong>ch</strong><br />

se<strong>in</strong>em Gusto <strong>in</strong>terpretiert wurde. Als zu Be<strong>ch</strong>ers 70. Geburtstag im Mai 1961 vom Deuts<strong>ch</strong>en Kulturbund die Johannes-R.-<br />

Be<strong>ch</strong>er-Medaille <strong>in</strong> Gold gestiftet wurde, war Walter Ulbri<strong>ch</strong>t der Erste, der diese Auszei<strong>ch</strong>nung erhielt. An der Verleihung<br />

wurde Be<strong>ch</strong>er als „grosser Di<strong>ch</strong>ter der deuts<strong>ch</strong>en Nation“ und als „wirkli<strong>ch</strong> lieber, guter Freund“ Ulbri<strong>ch</strong>ts gepriesen. Dies<br />

h<strong>in</strong>derte Ulbri<strong>ch</strong>t <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> daran, e<strong>in</strong>ige Jahre später gegen Be<strong>ch</strong>ers Witwe Lilly bars<strong>ch</strong> vorzugehen, als diese begann, bei der<br />

Interpretation von Be<strong>ch</strong>ers Werk von Ulbri<strong>ch</strong>ts S<strong>in</strong>n abzurücken. (s. M. Behnen: Lexikon der deuts<strong>ch</strong>en Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te 1945-<br />

1990, Kröner 2002, S. 58, und M. Frank: Walter Ulbri<strong>ch</strong>t, S. 262, S. 283ff.). Von se<strong>in</strong>en Kritikern wurde Be<strong>ch</strong>er belä<strong>ch</strong>elt<br />

oder sogar gehasst. 1947 s<strong>ch</strong>rieb der DDR-S<strong>ch</strong>riftsteller Stephan Herml<strong>in</strong> (eigt. Rudolf Leder) über Be<strong>ch</strong>er Folgendes:<br />

„Tragis<strong>ch</strong> ist der Fall e<strong>in</strong>er der bedeutendsten Lyriker des heutigen Deuts<strong>ch</strong>lands, der Fall des Johannes R. Be<strong>ch</strong>er. Se<strong>in</strong><br />

letzter Gedi<strong>ch</strong>tband (‚Heimkehr’, Aufbau-Verlag, Berl<strong>in</strong>) beweist neuerli<strong>ch</strong>, dass Be<strong>ch</strong>er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er von sehr ernsten politis<strong>ch</strong>-<br />

47


sozialistis<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft, vom Empfang dur<strong>ch</strong> Honecker, (<strong>in</strong> dieser Reihenfolge) war die Rede.<br />

Zum X. SED-Parteitag werde es <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> lange dauern und es werde dann au<strong>ch</strong> der X. Kongress des DKB<br />

organisiert. In den Reihen der Esperantisten müsse das politis<strong>ch</strong>-ideologis<strong>ch</strong>e, spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e und<br />

fa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Niveau erhöht werden, der „<strong>in</strong>ternationalistis<strong>ch</strong>e und sozialistis<strong>ch</strong>e Inhalt“ müsse jede<br />

Gruppe „errei<strong>ch</strong>en“ und jede Gruppe „bee<strong>in</strong>flussen“, die Kontakte mit den Esperantisten der<br />

Bruderländer müssten vertieft, der Friedenskampf und die Solidarität müsste verstärkt werden.<br />

Ausserdem müsse e<strong>in</strong>e gewisse „Vers<strong>ch</strong>lossenheit“, die „Isoliertheit“ <strong>in</strong> unseren Gruppen ernsthaft<br />

überwunden werden. Ohne mehr Quantität errei<strong>ch</strong>e man ke<strong>in</strong>e bessere Qualität. Die Jugend werde<br />

gebrau<strong>ch</strong>t. Es muss e<strong>in</strong> Konzept ausgearbeitet werden, um <strong>in</strong> dieser Sphäre Forts<strong>ch</strong>ritte zu ma<strong>ch</strong>en.<br />

Wir brau<strong>ch</strong>en mehr Kader, mehr Funktionäre und mehr Pädagogen, die das Niveau des <strong>Esperanto</strong>-<br />

Unterri<strong>ch</strong>ts heben. Wir brau<strong>ch</strong>en gut ausgebildete Interl<strong>in</strong>guisten und <strong>Esperanto</strong>logen (Blanke blieb<br />

mehr oder weniger der e<strong>in</strong>zige aktive <strong>in</strong> der DDR), wir brau<strong>ch</strong>en literaris<strong>ch</strong>e Talente und Künstler.<br />

Das ZAKE-Ehrenabzei<strong>ch</strong>en erhielten <strong>in</strong> diesem Jahr Eri<strong>ch</strong> Wald (Dresden), Oskar Walter (Zittau),<br />

Otto Zs<strong>ch</strong>ietzmann (Riesa), Elli Rühle (Meissen), Arthur Mildner (Pirna) und Willi Launer (Görlitz),<br />

Hildegard S<strong>in</strong>delahr (Rostock), Hans-Joa<strong>ch</strong>im Borgwardt (Stralsund), Rudolf Burmeister (Karl-Marx-<br />

Stadt), Harry Dost, Alfred Ehrli<strong>ch</strong>, Werner Haupt, Alfred Müller (alle K.-M.-Stadt), Rudolf Ei<strong>ch</strong>ler<br />

(S<strong>ch</strong>warzenberg), Philipp Grimm (Ellefeld), Fritz Hagemann (Ras<strong>ch</strong>au), Paul Straa<strong>ch</strong> (Netzs<strong>ch</strong>kau),<br />

Paul Thomas (Auerba<strong>ch</strong>), ferner au<strong>ch</strong> Rudolf Hahlbohm, Karl S<strong>ch</strong>ulze (+1983) und E.-D. Krause. 113<br />

Von Sergej Titov, dem Astronauten-Vater, erhielt der ZAKE e<strong>in</strong> Grusstelegramm. Au<strong>ch</strong> <strong>in</strong> Potsdam<br />

fand e<strong>in</strong> <strong>Esperanto</strong>-Treffen anlässli<strong>ch</strong> des DDR-Jubiläums statt, an dem Blanke erneut auftrat. <strong>Der</strong><br />

ZAKE stellte e<strong>in</strong>en Tonbanddienst zur Verfügung (Leiter: Klaus-Dieter Dungert); dar<strong>in</strong> enthalten<br />

waren etwa Anna Seghers ‚<strong>Der</strong> Ausflug der toten Mäd<strong>ch</strong>en’ <strong>in</strong> <strong>Esperanto</strong>-Übers etzung oder Referate<br />

von Eo-Grössen wie Tonk<strong>in</strong>, Isaev, War<strong>in</strong>ghien, Graetz, Bokarev, Szerdahelyi, Haszpra, Mathe,<br />

Frits<strong>ch</strong>, Blanke und Kolker.<br />

1979 relativierte Blanke den Erfolg des <strong>Esperanto</strong> <strong>in</strong> der DDR wie folgt: „In der DDR existiert<br />

bisher no<strong>ch</strong> ke<strong>in</strong>e <strong>in</strong>stitutionalisierte kont<strong>in</strong>uierli<strong>ch</strong>e wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Arbeit zu planspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />

Fragen, selbst wenn <strong>in</strong> der letzten Zeit e<strong>in</strong>e Vielzahl von Beiträgen publiziert wurde und au<strong>ch</strong> die<br />

erfolgrei<strong>ch</strong>e Verteidigung e<strong>in</strong>er Dissertation an der Humboldt-Universität stattfand.“ 114 Die<br />

Bemühungen, <strong>in</strong> der DDR mit <strong>Esperanto</strong> etwas ‚Höheres’ zu erlangen, mussten somit <strong>in</strong>offiziell als<br />

ges<strong>ch</strong>eitert erklärt werden, trotz e<strong>in</strong>er beispiellosen Anbiederung des ZAKE an das Staat und Partei.<br />

ästhetis<strong>ch</strong>en Motiven bestimmten Erneuerung, die er seit etwa fünfzehn Jahren unternommen hat, über jedes mit se<strong>in</strong>er hohen<br />

di<strong>ch</strong>teris<strong>ch</strong>en Begabung verträgli<strong>ch</strong>e Ziel h<strong>in</strong>ausges<strong>ch</strong>ossen ist. Dieser Fall ist sehr kompliziert und erfordert e<strong>in</strong>e gründli<strong>ch</strong>e<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzung. Es liegt aber unleugbar der Beweis vor, dass die Bemühung um e<strong>in</strong>en neuen Realismus hier die<br />

Substanz und Eigengesetzli<strong>ch</strong>keit des Lyris<strong>ch</strong>en zerstört hat: Be<strong>ch</strong>er ist <strong>in</strong> neo-klassizistis<strong>ch</strong>er Glätte und konventioneller<br />

Verses<strong>ch</strong>miederei gelandet. Er hat e<strong>in</strong>e politis<strong>ch</strong> ri<strong>ch</strong>tig gestellte Aufgabe mit di<strong>ch</strong>teris<strong>ch</strong>en Mitteln fals<strong>ch</strong> gelöst.“ Herml<strong>in</strong><br />

widerrief dieses Urteil e<strong>in</strong> Jahrzehnt später demütig. (s. Marcel Rei<strong>ch</strong>-Ranicki: Ohne Rabatt. Über Literatur aus der DDR.<br />

Dtv 1993. S. 102f.). Karl Wilhelm Fricke, e<strong>in</strong> ostdeuts<strong>ch</strong>er Journalist, der 1955 von der Stasi na<strong>ch</strong> Ost-Berl<strong>in</strong> entführt wurde<br />

und lange Zeit <strong>in</strong> den Gefängnissen von Berl<strong>in</strong>-Hohens<strong>ch</strong>önhausen, Brandenburg-Görden und Bautzen II <strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelhaft<br />

zubra<strong>ch</strong>te und erst 1959 aus der Haft entlassen wurde, bezei<strong>ch</strong>nete Be<strong>ch</strong>er als „<strong>ch</strong>arakterli<strong>ch</strong> m<strong>in</strong>derwertig“. (s. Karl Wilhelm<br />

Fricke: <strong>Der</strong> <strong>Wahrheit</strong> <strong>verpfli<strong>ch</strong>tet</strong>. Texte aus fünf Jahrzehnten zur Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der DDR. Berl<strong>in</strong> 2000, S. 29). Was Walter<br />

Janka über Be<strong>ch</strong>er ges<strong>ch</strong>rieben hat s. <strong>in</strong> S<strong>ch</strong>wierigkeiten mit der <strong>Wahrheit</strong> 1989, na<strong>ch</strong>zulesen.<br />

<strong>Der</strong> SED/DDR-Personenkult um Be<strong>ch</strong>er wurde von GDREA und der esperantist übernommen. <strong>Der</strong> DKB liess, wie im Text<br />

gezeigt, verdiente Kulturs<strong>ch</strong>affende regelmässig mit der ‚Johannes-R.-Be<strong>ch</strong>er-Medaille’, der hö<strong>ch</strong>sten Auszei<strong>ch</strong>nung, die er<br />

zu vergeben hatte, auszei<strong>ch</strong>nen. Au<strong>ch</strong> zahlrei<strong>ch</strong>e Esperantisten erhieleten diese Medaille.<br />

113 Die Vergabe des ZAKE-Ehrenabzei<strong>ch</strong>ens entwickelte si<strong>ch</strong> immer <strong>in</strong>flationärer: 1980 erhielten es Dutzende von<br />

Bundesgenossen, unter ihnen Dahlenburg, Falkenhahn und Pfennig. Blanke erhielt 1981 von Dr. Arpad Mathe e<strong>in</strong>e<br />

Auszei<strong>ch</strong>nung des Ungaris<strong>ch</strong>en <strong>Esperanto</strong>-Verbands für „die Stärkung der freunds<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Beziehungen zwis<strong>ch</strong>en den<br />

Esperantisten der DDR und Ungarns“. Krause erhielt 1985 die Johannes-R.-Be<strong>ch</strong>er-Medaille <strong>in</strong> Silber, ebenfalls Rolf Beau.<br />

114 Blanke, D.: La l<strong>in</strong>gvoscienco kaj planl<strong>in</strong>gvoj. In: Blanke, D. (Red.): <strong>Esperanto</strong>. La <strong>in</strong>ternacia l<strong>in</strong>gvo – sciencaj aspektoj.<br />

Kulturligo de GDR. Centra Laborrondo <strong>Esperanto</strong>. Berl<strong>in</strong> 1979, S. 32. (Übersetzung aus dem Eo von aK).<br />

48


der esperantist <strong>in</strong> den 1980er Jahren<br />

Die 80er Jahre begannen <strong>in</strong> der esperantist mit e<strong>in</strong>em politis<strong>ch</strong>en Donners<strong>ch</strong>lag.<br />

In der folgenden Erklärung des ZAKE, das auf der Frontseite ers<strong>ch</strong>ien, hiess es:<br />

„Wir Teilnehmer der 10. erweiterten Tagung des Zentralen Arbeitskreises <strong>Esperanto</strong>, die wir die im<br />

Kulturbund der DDR organisierten Esperantisten repräsentieren, br<strong>in</strong>gen unsere Sorge zum Ausdruck<br />

über die Vers<strong>ch</strong>ärfung der <strong>in</strong>ternationalen Lage, die von den USA und anderen NATO-Staaten<br />

herbeigeführt wurde.<br />

Wir sehen <strong>in</strong> den NATO-Bes<strong>ch</strong>lüssen von 1978 und 1979, der Sabotierung des SALT-II-Abkommens,<br />

<strong>in</strong> der Olympia-Boykotthetze und <strong>in</strong> den vers<strong>ch</strong>iedenen jüngsten Massnahmen der Carter-<br />

Adm<strong>in</strong>istration sowie anderer NATO-Staaten den gefährli<strong>ch</strong>en Versu<strong>ch</strong>, die Politik der friedli<strong>ch</strong>en<br />

Koexistenz, der Abrüstung und Entspannung zu torpedieren. Diese Ma<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>aften ri<strong>ch</strong>ten si<strong>ch</strong> gegen<br />

die Interessen aller Völker und aller friedliebenden Mens<strong>ch</strong>en.<br />

Wir erklären unseren festen Willen, die von der Sowjetunion <strong>in</strong>itiierte und konsequent verfolgte<br />

Friedenspolitik mit all unseren Kräften und den spezifis<strong>ch</strong>en Mögli<strong>ch</strong>keiten der <strong>in</strong>ternationalen<br />

Spra<strong>ch</strong>e <strong>Esperanto</strong> zu unterstützen und e<strong>in</strong>en wirksamen Beitrag zur Stärkung der weltweiten<br />

Friedensbewegung zu leisten.“<br />

1980 ers<strong>ch</strong>ien die hundertste Ausgabe von der esperantist – Gelegenheit, Bilanz zu ziehen.<br />

Was die Verteilung des Inhalts zwis<strong>ch</strong>en 1975 und 1978 betraf, wurde den Lesern die folgende<br />

Kalkulation präsentiert:<br />

Grundlegende politis<strong>ch</strong>e und fa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Materialien für die Esperantisten der DDR – 33,6%<br />

Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e, fa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e und methodis<strong>ch</strong>e Materialien – 14,5%<br />

Beiträge antiimperialistis<strong>ch</strong>er und anderer gesells<strong>ch</strong>aftspolitis<strong>ch</strong>er und aktueller Art – 8,3%<br />

<strong>Esperanto</strong> <strong>in</strong> den sozialistis<strong>ch</strong>en Ländern und Probleme der Zusammenarbeit - 9,0%<br />

Rezensionen, Literatur, Unterhaltung, Korrespondenzannoncen (615 aus 41 Ländern) – 18,1%<br />

Das folgende Beispiel e<strong>in</strong>es <strong>ganz</strong> persönli<strong>ch</strong>en Leserbriefs von Hella Sauerbrey (+12.1981)<br />

hob si<strong>ch</strong> vom übrigen teilweise unerträgli<strong>ch</strong>en Redaktionsstil e<strong>in</strong>igermassen wohltuend ab:<br />

„Von den Ergebnissen des IX. Kongresses des KB im vergangenen Jahr ausgehend, mö<strong>ch</strong>te<br />

i<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>ige für uns Esperantisten positive S<strong>ch</strong>lussfolgerungen ziehen. S<strong>ch</strong>lussfolgerungen, die sowohl<br />

jeden E<strong>in</strong>zelnen den Kulturbund als au<strong>ch</strong> unsere Gesells<strong>ch</strong>aft betreffen.<br />

Es handelt si<strong>ch</strong> um die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass wir Esperantisten unsere Interessen und Ideale verwirkli<strong>ch</strong>en<br />

können und dabei glei<strong>ch</strong>zeitig an der Erfüllung der grundlegenden Aufgaben des KB mitwirken. I<strong>ch</strong><br />

mö<strong>ch</strong>te hier <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> alle 10 Aufgaben berühren, sondern nur auf 2 e<strong>in</strong>gehen, nämli<strong>ch</strong> Kulturaustaus<strong>ch</strong><br />

und geistige Berei<strong>ch</strong>erung und Persönli<strong>ch</strong>keitsbildung. Kulturaustaus<strong>ch</strong> setzt friedli<strong>ch</strong>es<br />

Zusammenleben voraus – oder sollte man lieber umgekehrt sagen, dass friedli<strong>ch</strong>es Zusammenleben<br />

Kulturaustaus<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> zieht? Nun – wie man es au<strong>ch</strong> ausdrückt, beide Begriffe gehören zusammen<br />

– sie bed<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong>ander. Kulturaustaus<strong>ch</strong> bedarf aber e<strong>in</strong>es Mittels. Das ist meistens das gespro<strong>ch</strong>ene<br />

und ges<strong>ch</strong>riebene Wort. Wir haben uns dieses Mittels s<strong>ch</strong>on oft bedient. I<strong>ch</strong> glaube, hier <strong>in</strong> diesem<br />

Kreise, wo si<strong>ch</strong> unsere Aktivsten zusammengefunden haben, ist ke<strong>in</strong>er, der <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> s<strong>ch</strong>on öfter an<br />

diesem Kulturaustaus<strong>ch</strong> mitgewirkt oder wenigstens Hilfestellung dafür geleistet hat. E<strong>in</strong> effektives<br />

Beispiel des Kulturaustaus<strong>ch</strong>es mit Hilfe des gedruckten Wortes ist die Herausgabe klassis<strong>ch</strong>er und<br />

neuzeitli<strong>ch</strong>er humanistis<strong>ch</strong>er Literatur. (...) I<strong>ch</strong> denke au<strong>ch</strong> an die DDR-Ausgaben von ‚Nackt unter<br />

Wölfen’ und ‚Dreigros<strong>ch</strong>enroman’. (...) Man sage <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>, e<strong>in</strong> Hobby diene nur zur Entspannung und<br />

Zerstreuung. Unbemerkt kann si<strong>ch</strong> daraus geistige Berei<strong>ch</strong>erung und Persönli<strong>ch</strong>keitsbildung ergeben.<br />

Das habe i<strong>ch</strong> am eigenen Leibe – besser gesagt ‚Geiste’ – erfahren. Ni<strong>ch</strong>ts ahnend und wollend, habe<br />

i<strong>ch</strong> vor 10 Jahren mal an <strong>Esperanto</strong> genas<strong>ch</strong>t. (...) Dieser wohl <strong>in</strong>teressanten, aber mi<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong><br />

packenden Kostprobe folgte dann e<strong>in</strong> pädagogis<strong>ch</strong>es Sem<strong>in</strong>ar <strong>in</strong> Ungarn. Dort, <strong>in</strong> <strong>in</strong>ternationaler<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft, traf mi<strong>ch</strong> der zündende Funke. Zurückgekehrt, begann i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> ernsthaft und<br />

systematis<strong>ch</strong> mit <strong>Esperanto</strong> und speziell mit <strong>Esperanto</strong>-Literatur zu befassen. Me<strong>in</strong> ‚2. Opfer’ war<br />

vietnamesis<strong>ch</strong>e Literatur. (...) I<strong>ch</strong> sehe und beurteile heute Vietnam mit <strong>ganz</strong> anderen Augen als vor<br />

der <strong>in</strong>tensiven Bes<strong>ch</strong>äftigung mit dieser Literatur. So hat si<strong>ch</strong> me<strong>in</strong> Horizont allmähli<strong>ch</strong> erweitert. (...)<br />

Die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te ist weitgehend e<strong>in</strong>e Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Kontakte. Wir können mit Hilfe des <strong>Esperanto</strong> e<strong>in</strong><br />

Kapitel h<strong>in</strong>zufügen. Nutzen wir das! Wir können damit die Friedenspolitik unseres Staates<br />

unterstützen! Briefwe<strong>ch</strong>sel ist e<strong>in</strong>e von vielen Mögli<strong>ch</strong>keiten. Er zw<strong>in</strong>gt ausserdem dazu, unsere<br />

49


eigenen Verhältnisse und Probleme zu studieren, um den Briefpartnern ers<strong>ch</strong>öpfende Antworten auf<br />

ihre Fragen geben zu können. Das verhilft zu eigenen Erkenntnissen und Bekenntnissen. Wie vieles<br />

wird e<strong>in</strong>em do<strong>ch</strong> erst bewusst, wenn andere dana<strong>ch</strong> fragen und dadur<strong>ch</strong> neue Denkanstösse geben.<br />

I<strong>ch</strong> kann also abs<strong>ch</strong>liessend behaupten, dass <strong>Esperanto</strong> mir <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> nur neue Horizonte eröffnete,<br />

sondern mi<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> zu politis<strong>ch</strong>em Denken und Handeln angeregt hat und ständiger Motor für<br />

bewusste Erkenntnisse war und ist. Diese weiterzugeben, ist mir Bedürfnis (...).“<br />

E<strong>in</strong> Beitrag befasste si<strong>ch</strong> mit der „Persönli<strong>ch</strong>keitsformenden Wirkung des <strong>Esperanto</strong>“. Dort<br />

wurde u.a. (die wohl absurde) Behauptung aufgestellt, dass „dur<strong>ch</strong> die Forderungen der sozialistis<strong>ch</strong>en<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft zur sozialistis<strong>ch</strong>en Persönli<strong>ch</strong>keit s<strong>ch</strong>on günstigere Bed<strong>in</strong>gungen gegeben s<strong>in</strong>d als unter<br />

kapitalistis<strong>ch</strong>en Umständen. Sozialistis<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong>en lernen <strong>Esperanto</strong> auf der Grundlage der<br />

sozialistis<strong>ch</strong>en Produktionsbeziehungen als unbed<strong>in</strong>gte Vorbed<strong>in</strong>gung für die Verständigung zwis<strong>ch</strong>en<br />

den Völkern, denn sie wollen zu ihr erfolgrei<strong>ch</strong> beitragen. Die Spra<strong>ch</strong>e <strong>Esperanto</strong> wird <strong>in</strong> dieser<br />

Zwis<strong>ch</strong>enbeziehung e<strong>in</strong> forts<strong>ch</strong>rittli<strong>ch</strong>er objektiver Faktor. (...) <strong>Esperanto</strong> ist <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> nur e<strong>in</strong> Mittel der<br />

Verständigung, sondern besitzt au<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>e persönli<strong>ch</strong>keitsbildende Wirkung auf hohem Niveau.“ Bei<br />

der Umfrage, die e<strong>in</strong> gewisser Dr. der Pädagogie Hans-Joa<strong>ch</strong>im Hussner (1921-85) an der<br />

Te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ule Ilmenau im Jahr 1979 dur<strong>ch</strong>geführt hatte, hatte man u.a. herausgefunden,<br />

dass die meisten Esperantisten si<strong>ch</strong> zwar no<strong>ch</strong> aus persönli<strong>ch</strong>en Motivationen mit <strong>Esperanto</strong> befassten,<br />

dass sie aber au<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>e stimulierende Rolle bei gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Motiven empfänden. E<strong>in</strong> Viertel der<br />

Befragten me<strong>in</strong>ten, dass <strong>Esperanto</strong> alle Probleme zwis<strong>ch</strong>en den Völkern lösen könne. Fazit: „Unsere<br />

Persönli<strong>ch</strong>keit und unsere sozialistis<strong>ch</strong>e Gesells<strong>ch</strong>aft profitiert aus dieser <strong>in</strong>teressanten Aktivität und<br />

deshalb sollten wir <strong>Esperanto</strong> lernen und anwenden.“ Als PS fügte der Redaktor die Fragen h<strong>in</strong>zu, die<br />

These, ob <strong>Esperanto</strong> immer und automatis<strong>ch</strong> direkt der Entwicklung der sozialistis<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

diene, sei zum<strong>in</strong>dest diskutabel.<br />

1980 startete der Redaktor von der esperantist e<strong>in</strong>e aus a<strong>ch</strong>t Teilen bestehende Serie zum<br />

Thema ‚Information und Argumentation’, <strong>in</strong> der er se<strong>in</strong>e weitgehend persönli<strong>ch</strong> geprägten Ansi<strong>ch</strong>ten<br />

s<strong>ch</strong>ulmeisterli<strong>ch</strong> zum Besten gab. Im Folgenden werde i<strong>ch</strong> die bezei<strong>ch</strong>nendsten Argumente<br />

reflektieren.<br />

E<strong>in</strong>gangs stellt der Autor vers<strong>ch</strong>iedene ideologis<strong>ch</strong> basierte Konzepte, die die <strong>Esperanto</strong>-<br />

Propaganda bee<strong>in</strong>flussten, vor: Während die UEA <strong>Esperanto</strong> als „diskrim<strong>in</strong>ationslose <strong>in</strong>ternationale<br />

Spra<strong>ch</strong>e“ anpreise, verwende sie MEM im Friedenskampf. Die Anhänger der SAT würden<br />

„kurioserweise“ me<strong>in</strong>en, dass es für e<strong>in</strong>e gere<strong>ch</strong>te Weltordnung die Abs<strong>ch</strong>affung der Nationen und<br />

deren Spra<strong>ch</strong>en brau<strong>ch</strong>t, um e<strong>in</strong>e Art Welt-„Sozialismus“ herbeizuführen. Ferner liest man: „In vielen<br />

sozialistis<strong>ch</strong>en Ländern, wo die <strong>Esperanto</strong>-Bewegung s<strong>ch</strong>on mehr oder weniger <strong>in</strong> der Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

<strong>in</strong>tegriert ist und als nützli<strong>ch</strong>er kulturpolitis<strong>ch</strong>er Faktor betra<strong>ch</strong>tet wird, hat die Information über<br />

<strong>Esperanto</strong> si<strong>ch</strong>er e<strong>in</strong>en anderen Akzent als <strong>in</strong> den <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>sozialistis<strong>ch</strong>en Ländern, wo die <strong>Esperanto</strong>-<br />

Bewegung e<strong>in</strong>en tieferen Grad der gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Anerkennung hat und wo übrigens die Reklame<br />

e<strong>in</strong>e grosse Rolle spielt.“ 115 Bei der Betra<strong>ch</strong>tung von <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong> spielten no<strong>ch</strong> abergläubis<strong>ch</strong>e<br />

Konzepte über die Verb<strong>in</strong>dung der Spra<strong>ch</strong>e mit e<strong>in</strong>er ‚nationalen Seele’ e<strong>in</strong>e Rolle. Wegen der<br />

Existenz „kosmopolitis<strong>ch</strong>er Sekten“ <strong>in</strong> der <strong>Esperanto</strong>-Bewegung verb<strong>in</strong>de man die Ziele der Eo-<br />

Bewegung mit denen von „ihren unwi<strong>ch</strong>tigen sektiereris<strong>ch</strong>en Teilen“. E<strong>in</strong>ige, vor allem marxistis<strong>ch</strong>e<br />

Funktionäre, würden <strong>Esperanto</strong> mit der Theorie Stal<strong>in</strong>s von der <strong>in</strong> ferner Zukunft mit den<br />

Nationalspra<strong>ch</strong>en vers<strong>ch</strong>molzenen Weltspra<strong>ch</strong>e <strong>in</strong> Bezug br<strong>in</strong>gen und andere würden <strong>Esperanto</strong> mit<br />

dem Werk von <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>professionellen Amateur-L<strong>in</strong>guisten verb<strong>in</strong>den. Skepsis und Antipathie würden<br />

gegen <strong>Esperanto</strong> au<strong>ch</strong> wegen der Erfahrungen mit allzu enthusiastis<strong>ch</strong>en und laienhaften <strong>Esperanto</strong>-<br />

Anhängern geweckt (als Beispiel diente Ri<strong>ch</strong>ard S<strong>ch</strong>ulz und se<strong>in</strong> Bu<strong>ch</strong> ‚Me<strong>in</strong> geliebtes <strong>Esperanto</strong>’ 116 ).<br />

115 M.E. wurden der „kulturpolitis<strong>ch</strong>e Faktor“ und die „gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Anerkennung“ des Eo idealisiert und zu wenig<br />

kritis<strong>ch</strong> gesehen, da <strong>Esperanto</strong> <strong>in</strong> den sozialistis<strong>ch</strong>en Ländern weitgehend für die politis<strong>ch</strong>e Propaganda genutzt (bzw.<br />

missbrau<strong>ch</strong>t) und im Tourismus und <strong>in</strong> der Freizeit (Hobby) angewendet wurde. <strong>Der</strong> Status des <strong>Esperanto</strong> war <strong>in</strong> diesen<br />

Ländern weniger ho<strong>ch</strong> als viele <strong>Esperanto</strong>-Propagandisten dieser Ländern me<strong>in</strong>ten oder wüns<strong>ch</strong>ten. <strong>Esperanto</strong> wurde mit<br />

unbedeutenden Ausnahmen nirgends, au<strong>ch</strong> im Ostblock <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>, <strong>in</strong> diesem Ausmass offiziell unterri<strong>ch</strong>tet und angewendet, als<br />

dass es als e<strong>in</strong> wi<strong>ch</strong>tiger kulturpolitis<strong>ch</strong>er Faktor hätte betra<strong>ch</strong>tet werden können. Wieso <strong>Esperanto</strong> <strong>in</strong> den westli<strong>ch</strong>en Ländern<br />

kaum e<strong>in</strong>e ‚staatspolitis<strong>ch</strong>e’ oder ‚kulturpolitis<strong>ch</strong>e’ Rolle spielte, haben dieselben Ost-Ideologen entweder nie verstanden<br />

oder es versäumt und gemieden, dies ihrer Lesers<strong>ch</strong>aft und ihren Mitgliedern zu erklären.<br />

116 Dieses etwas naive „populärwissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e“ Bu<strong>ch</strong> des M<strong>in</strong>dener Esperantisten Ri<strong>ch</strong>ard S<strong>ch</strong>ulz (1906-97), das e<strong>in</strong>seitige<br />

Präsentationen, groteske Behauptungen und e<strong>in</strong>ige abwegige Ideen enthielt, wie man <strong>Esperanto</strong> propagieren könnte, wurde<br />

von Blanke <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Rezension <strong>in</strong> Paco, DDR-Ausgabe 1979, als „unseriöse Phantasie“ gnadenlos zerfetzt. S<strong>ch</strong>ulz hatte <strong>in</strong><br />

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E<strong>in</strong> fals<strong>ch</strong>es Verständnis der gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Entwicklungsprozesse von der Rolle der Spra<strong>ch</strong>e an<br />

si<strong>ch</strong> führe bei vielen Anhängern des <strong>Esperanto</strong> so zur Übers<strong>ch</strong>ätzung se<strong>in</strong>er Rolle für die Gesells<strong>ch</strong>aft.<br />

Viele Esperantisten propagierten <strong>Esperanto</strong> als würde es die Welt vor dem Untergang retten („<strong>in</strong>terna<br />

ideo“). „Selbstverständli<strong>ch</strong> müssen diese Ideen starke Skepsis von nü<strong>ch</strong>ternen Intellektuellen f<strong>in</strong>den.“<br />

E<strong>in</strong>e negative Wirkung habe die sektiereris<strong>ch</strong>e Haltung vieler Esperantisten (s<strong>ch</strong>on wieder) sowie der<br />

seltsame Sternens<strong>ch</strong>muck 117 , die s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>te Kenntnis der Mutterspra<strong>ch</strong>e sowie die Anmassung und<br />

Intoleranz gegenüber anderen Me<strong>in</strong>ungen (sic). Wenn es s<strong>ch</strong>on e<strong>in</strong>e Übers<strong>ch</strong>ätzung der Spra<strong>ch</strong>e als<br />

gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Kraft gäbe, dann gibt es au<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>e weit verbreitete Unters<strong>ch</strong>ätzung des<br />

<strong>in</strong>ternationalen Spra<strong>ch</strong>enproblems mit all se<strong>in</strong>en negativen gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Folgen. Au<strong>ch</strong> dies führe<br />

zur Verna<strong>ch</strong>lässigung und zur Ignoranz des <strong>Esperanto</strong>. Nur wenige Leute hätten praktis<strong>ch</strong>e Kenntnis<br />

vom Problem der komplizierten <strong>in</strong>ternationalen spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Kommunikation und e<strong>in</strong>e Ahnung von<br />

e<strong>in</strong>em theoretis<strong>ch</strong>en Konzept von ihr. Zu viele folgten der verbreiteten irrtümli<strong>ch</strong>en Me<strong>in</strong>ung, dass<br />

Fremdspra<strong>ch</strong>enkenntnisse genügten. In der marxistis<strong>ch</strong>-len<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>en Interl<strong>in</strong>guistik-Literatur f<strong>in</strong>de<br />

man die Anwendung des Len<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>en Konzepts der Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung der Nationen und deren<br />

Spra<strong>ch</strong>en. Wenn man diese Gründe der Skepsis dem <strong>Esperanto</strong> gegenüber kennt, verstehe man den<br />

Diskussionspartner besser und sei befähigt, nü<strong>ch</strong>tern und wirksam zu <strong>in</strong>formieren und argumentieren.<br />

In e<strong>in</strong>em weiteren Teil widmete si<strong>ch</strong> der Autor dem Begrifffs<strong>ch</strong>aos (ethnis<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>en,<br />

<strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>, künstli<strong>ch</strong>e/natürli<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>en, nationale/<strong>in</strong>ternationale Spra<strong>ch</strong>en, Weltspra<strong>ch</strong>e,<br />

lebendige/tote Spra<strong>ch</strong>en). Fazit: „Das moderne semiotis<strong>ch</strong>e Verständnis von Spra<strong>ch</strong>e als<br />

Zei<strong>ch</strong>ensystem lässt ke<strong>in</strong>en Raum für sol<strong>ch</strong> romantis<strong>ch</strong>e Ausdrücke wie ‚lebendige’ oder ‚tote’<br />

Spra<strong>ch</strong>e, denn die Spra<strong>ch</strong>e ist e<strong>in</strong> gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>es Phänomen und ke<strong>in</strong> biologis<strong>ch</strong>es Wesen.“<br />

Ausserdem hätten S<strong>ch</strong>u<strong>ch</strong>ardt und Baudou<strong>in</strong> de Courtenay dazu bereits alles gesagt (damit<br />

überforderte Blanke se<strong>in</strong>e Leser, denn die hatten do<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> die ger<strong>in</strong>gste Ahnung, was S<strong>ch</strong>u<strong>ch</strong>ardt<br />

und Baudou<strong>in</strong> gesagt hatten).<br />

Weiter, Teil IV: „Wer über das Spra<strong>ch</strong>enproblem und über <strong>Esperanto</strong> <strong>in</strong>formiert, muss e<strong>in</strong><br />

komplexes und weites Wissen zum Thema haben. Leider ist si<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> jeder dessen bewusst, dass<br />

diese Themen zu den kompliziertesten und vielfältigsten gehörten. Es genügt <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> irgend etwas über<br />

<strong>Esperanto</strong> und se<strong>in</strong>e Bewegung zu wissen. Wenn man <strong>in</strong> der Diskussion zum Beispiel mit kritis<strong>ch</strong>en<br />

und fordernden Wissens<strong>ch</strong>aftlern, Studenten und andere Intellektuellen erfolgrei<strong>ch</strong> se<strong>in</strong> wolle, müsse<br />

man über folgende Probleme e<strong>in</strong>en Überblick haben:<br />

- Probleme der <strong>in</strong>ternationalen Politik, Beziehungen zwis<strong>ch</strong>en Staaten und Völkern, Rolle der<br />

<strong>in</strong>ternationalen Organisationen, Phänomen der wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>-te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Revolution, Hels<strong>in</strong>ki-<br />

S<strong>ch</strong>lussakte.<br />

- Allgeme<strong>in</strong>e Spra<strong>ch</strong>ensituation auf der Welt, Spra<strong>ch</strong>familien.<br />

- Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te und aktuelle Praxis der <strong>in</strong>ternationalen Kommunikation, ehemalige und aktuelle Rolle<br />

des Late<strong>in</strong>s, Rolle der grossen Ethnospra<strong>ch</strong>en, politis<strong>ch</strong>e, ökonomis<strong>ch</strong>e, juristis<strong>ch</strong>e, psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e,<br />

gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>-klassenmässige, l<strong>in</strong>guistis<strong>ch</strong>e und andere Aspekte.<br />

- Bekannte Vors<strong>ch</strong>läge der Rationalisierung, Vere<strong>in</strong>fa<strong>ch</strong>ung und Optimierung der <strong>in</strong>ternationalen<br />

Kommunikation, Wiederbelebung des Late<strong>in</strong>s, mas<strong>ch</strong><strong>in</strong>elle Übersetzung, Fremdspra<strong>ch</strong>enunterri<strong>ch</strong>t<br />

usw.<br />

- Quellen, Strukturen und Entwicklung des <strong>Esperanto</strong>, spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Kenntnisse.<br />

- Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der <strong>Esperanto</strong>-Bewegung (bürgerli<strong>ch</strong>e und diejenige der Arbeiter).<br />

- Anwendung des <strong>Esperanto</strong> <strong>in</strong> den vers<strong>ch</strong>iedensten Berei<strong>ch</strong>en.<br />

- Wert des <strong>Esperanto</strong> für vers<strong>ch</strong>iedene Wissens<strong>ch</strong>aften (Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft, Computerwissens<strong>ch</strong>aft,<br />

Methodik des Fremdspra<strong>ch</strong>enunterri<strong>ch</strong>ts usw.).<br />

se<strong>in</strong>em Bu<strong>ch</strong>, das ausgere<strong>ch</strong>net Lapenna gewidmet war, die <strong>Esperanto</strong>-Bewegung <strong>in</strong> den sozialistis<strong>ch</strong>en Ländern fast<br />

ausgelassen und au<strong>ch</strong> die MEM <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> erwähnt. Blanke störte si<strong>ch</strong> z.B. au<strong>ch</strong> daran, dass R. S<strong>ch</strong>ulz vors<strong>ch</strong>lug, dass man an<br />

Sonntagen <strong>in</strong> den Kir<strong>ch</strong>en auf <strong>Esperanto</strong> predigen sollte. Gegen Ri<strong>ch</strong>ard S<strong>ch</strong>ulz wurde au<strong>ch</strong> künftig immer wieder von<br />

vers<strong>ch</strong>iedener Seite mit leidens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Rhetorik ges<strong>ch</strong>ossen, wenn e<strong>in</strong> neues Bu<strong>ch</strong> von ihm mit zweifelhaften Inhalten<br />

ers<strong>ch</strong>ien.<br />

117 <strong>Der</strong> fünfzackige grüne <strong>Esperanto</strong>-Stern ist das Wahrzei<strong>ch</strong>en des <strong>Esperanto</strong>. Auffallend bei der Kritik des Sektierertums ist<br />

e<strong>in</strong>e Parallele des Jahres 1945, als Ulbri<strong>ch</strong>t e<strong>in</strong>e Kampagne gegen die „West-Emigranten“ startete, das Verhalten vieler<br />

Genossen als sektiereris<strong>ch</strong> empfand und als fals<strong>ch</strong>e Auffassungen bezei<strong>ch</strong>nete und <strong>in</strong> diesem Zusammenhang die alten<br />

Symbole aus der Zeit der Weimarer Republik wie Hammer und Si<strong>ch</strong>el, rote Armb<strong>in</strong>den mit der Aufs<strong>ch</strong>rift KPD und die<br />

Losung ‚Rot Front’ verbieten liess, weil dies <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> im S<strong>in</strong>ne Stal<strong>in</strong>s gewesen war (s. Mario Frank: Walter Ulbri<strong>ch</strong>t. 2001. S.<br />

195).<br />

51


- Grundlegende Kenntnisse der Interl<strong>in</strong>guistik und <strong>Esperanto</strong>logie.<br />

- Kenntnis der Me<strong>in</strong>ungen herausragender Wissens<strong>ch</strong>aftler über das <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>problem.<br />

- Grundlegende Kenntnisse <strong>in</strong> Rhetorik, Psy<strong>ch</strong>ologie usw.<br />

- Kenntnisse der Methoden der Wissensaneignung, Wissensbewahrung, Vorbereitung von Referaten<br />

usw.<br />

- usw. 118<br />

In Teil V folgten Rats<strong>ch</strong>läge und praktis<strong>ch</strong>e Anleitungen aus der Si<strong>ch</strong>t e<strong>in</strong>es (selbsternannten)<br />

Pädagogen, die angesi<strong>ch</strong>ts der Lage <strong>in</strong> der DDR und des allgeme<strong>in</strong>en Redaktionsstils <strong>in</strong> der<br />

esperantist wie Hohn kl<strong>in</strong>gen mussten: „Man soll se<strong>in</strong>e Me<strong>in</strong>ung niemals dem Publikum oder dem<br />

Diskussionspartner aufzw<strong>in</strong>gen, sondern soll andere Standpunkte respektieren. (...) Nur e<strong>in</strong>e ruhige<br />

und kluge unaufdr<strong>in</strong>gli<strong>ch</strong>e Information und Argumentation kann überzeugen, aber ke<strong>in</strong>eswegs e<strong>in</strong>e<br />

fanatis<strong>ch</strong>e Persuasion“. Es sei au<strong>ch</strong> gar <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> nötig, alle immer überzeuen zu wollen. Es gäbe au<strong>ch</strong><br />

Leute, die nur das Ziel verfolgten, e<strong>in</strong> bestimmtes Thema lä<strong>ch</strong>erli<strong>ch</strong> zu ma<strong>ch</strong>en. Diesen Leuten sollte<br />

man se<strong>in</strong>e Energie <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> zuteil werden lassen. Wenn jemand Witze über diese komis<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e und<br />

ihre Anhänger reisst, soll man <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> sofort s<strong>ch</strong>arf reagieren und <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> beleidigt se<strong>in</strong>. Au<strong>ch</strong> soll man<br />

anderen nie die Gelegenheit geben, dass sie die Sa<strong>ch</strong>e lä<strong>ch</strong>erli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en können. Bei jeder <strong>Esperanto</strong>-<br />

Versammlung könne man lei<strong>ch</strong>t Leute antreffen, die zwar guten Willens und guten Herzens seien,<br />

dur<strong>ch</strong> ihr seltsames (quasi missionaris<strong>ch</strong>es) Verhalten jedo<strong>ch</strong> das <strong>ganz</strong>e Thema lä<strong>ch</strong>erli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>ten.<br />

Ausserdem soll man nur Fakten und ke<strong>in</strong>e Halbfakten oder Wüns<strong>ch</strong>e präsentieren. Es sei unmögli<strong>ch</strong>,<br />

was man da <strong>in</strong> gewissen Flugblättern, die z.B. <strong>in</strong> der BRD ers<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>en, alles über die Eigens<strong>ch</strong>aften des<br />

<strong>Esperanto</strong> lesen könne. <strong>Der</strong> L<strong>in</strong>guist Prof. Mario Pei wurde kritisiert, dass er absurde Fakten über die<br />

Eo-Bewegung habe zirkulieren lassen, die er <strong>in</strong> der Praxis gar <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> wirkli<strong>ch</strong> gekannt habe. Wenn die<br />

Angeworbenen später mit der Realität konfrontiert würden, könnten sie stark enttäus<strong>ch</strong>t werden.<br />

Ferner müsse man das Zielpublikum ri<strong>ch</strong>tig e<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>ätzen, wenn man es mit ri<strong>ch</strong>tigen Informationen<br />

versorgen wolle: E<strong>in</strong> Philologe <strong>in</strong>teressiere si<strong>ch</strong> kaum für Naturwissens<strong>ch</strong>aft, e<strong>in</strong> Rentner habe andere<br />

Interessen als e<strong>in</strong> Jugendli<strong>ch</strong>er, und e<strong>in</strong>e unpolitis<strong>ch</strong>e Person sähe etwas anderes als e<strong>in</strong> politis<strong>ch</strong><br />

engagierter Funktionär. Au<strong>ch</strong> müsse man genau wissen, zu wel<strong>ch</strong>em Zeitpunkt wel<strong>ch</strong>e Art von<br />

Vortrag zu wählen sei. Man müsse au<strong>ch</strong> die Prioritäten ri<strong>ch</strong>tig e<strong>in</strong>ordnen können: So habe neben dem<br />

Problem des Hungers, der Alphabetisierung usw. zur Zeit die Elim<strong>in</strong>ierung der Kriegsgefahr oberste<br />

Priorität. Das Weltspra<strong>ch</strong>enproblem rangiere si<strong>ch</strong>er <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> auf dem ersten Platz. Wenn man über das<br />

Spra<strong>ch</strong>enproblem spre<strong>ch</strong>e, müsse man bedenken, dass <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> der ‚Sieg’ des <strong>Esperanto</strong>, sondern die<br />

Lösung des Spra<strong>ch</strong>enproblems die Hauptsa<strong>ch</strong>e sei. Umgekehrt wolle au<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> jeder, der si<strong>ch</strong> für<br />

<strong>Esperanto</strong> <strong>in</strong>teressiert, si<strong>ch</strong> mit dem Spra<strong>ch</strong>enproblem befassen. Man soll au<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> sagen, dass die<br />

<strong>ganz</strong>e Sa<strong>ch</strong>e mit dem Spra<strong>ch</strong>enproblem geklärt sei, sondern man müsse die Komplexität des Problems<br />

aufzeigen. Es zeige si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong>, dass der Informierende und Argumentierende unfähig sei, das<br />

Weltspra<strong>ch</strong>enproblem <strong>in</strong> den Rahmen der realen und gesetzmässig si<strong>ch</strong> entwickelnden historis<strong>ch</strong>en<br />

Prozesse e<strong>in</strong>zureihen. E<strong>in</strong> grosser Fehler sei au<strong>ch</strong>, <strong>Esperanto</strong> den Ethnospra<strong>ch</strong>en entgegenstellen zu<br />

wollen. Die Nationalspra<strong>ch</strong>en würden no<strong>ch</strong> lange e<strong>in</strong>e wi<strong>ch</strong>tige Rolle im Leben der Mens<strong>ch</strong>heit<br />

spielen. Dies müsse man <strong>in</strong> der heutigen historis<strong>ch</strong>en Etappe, die von e<strong>in</strong>er tiefen Krise des<br />

Kapitalismus gekennzei<strong>ch</strong>net sei (sic), e<strong>in</strong>fa<strong>ch</strong> bedenken. Ni<strong>ch</strong>t zuletzt müsse man au<strong>ch</strong> genau wissen,<br />

was man unter der ‚Neutralität’ des <strong>Esperanto</strong> genau zu verstehen hat. Bestimmt sollte man <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> die<br />

Vermutung aufkommen lassen, die Spre<strong>ch</strong>er des <strong>Esperanto</strong> seien neutral und gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong><br />

engagiert.<br />

In Teil VI versu<strong>ch</strong>te Blanke lehrbu<strong>ch</strong>mässig zu erklären, d.h. er glaubte zu erkennen und zu<br />

verstehen, wel<strong>ch</strong>e vordergründigen Interessen e<strong>in</strong> Diskussionspartner habe es sei zu unters<strong>ch</strong>eiden<br />

zwis<strong>ch</strong>en: die Jugendli<strong>ch</strong>en, der Philologe, der Naturwissens<strong>ch</strong>aftler, der Politiker, der<br />

‚Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>e’.<br />

118 Diese umfassenden Forderungen waren m.E. <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> nur stark übertrieben, sondern au<strong>ch</strong> im Berei<strong>ch</strong> des weltfremden<br />

Wuns<strong>ch</strong>denkens anzusiedeln. Mit diesem masslosen Übereifer konnte Blanke si<strong>ch</strong> <strong>in</strong> der <strong>Esperanto</strong>-Bewegung zwar auf se<strong>in</strong>e<br />

Art profilieren. Die Wirkli<strong>ch</strong>keit sah aber so aus, dass die meisten Esperantisten diesen Anforderungen <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> gere<strong>ch</strong>t wurden<br />

bzw. werden konnten/wollten, da e<strong>in</strong> Grossteil von ihnen e<strong>in</strong>fa<strong>ch</strong>e Leute waren, die mit der Wissens<strong>ch</strong>aft wenig oder <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>s<br />

zu tun hatten und eher pragmatis<strong>ch</strong> orientiert waren, d.h. Korrespondenzen pflegen, persönli<strong>ch</strong>e Kontakte knüpfen, (<strong>in</strong>s<br />

Ausland) reisen, die Freizeit s<strong>in</strong>nvoll gestalten wollten usw. Wie bekannt, konnte die DDR (und der ZAKE) diese Sehnsü<strong>ch</strong>te<br />

ihrer Bürger<strong>in</strong>nen und Bürger etwa im verglei<strong>ch</strong> zu westli<strong>ch</strong>en Ländern nur <strong>in</strong> begrenztem Mass befriedigen.<br />

52


In Teil VII wurden Argumente für die Bedeutung e<strong>in</strong>er Planspra<strong>ch</strong>e vorgegeben. Dabei wurde<br />

darauf h<strong>in</strong>gewiesen, dass es ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n habe, die „<strong>in</strong>ternationale starke Position“ des Englis<strong>ch</strong>en „zu<br />

bezweifeln“. Au<strong>ch</strong> die Rolle des Russis<strong>ch</strong>en wa<strong>ch</strong>se dauerhaft an; die Dialektik bestehe dar<strong>in</strong>, dass das<br />

Englis<strong>ch</strong>e (aber au<strong>ch</strong> das Russis<strong>ch</strong>e und andere Spra<strong>ch</strong>en) aus „politis<strong>ch</strong>en und traditionellen Gründen<br />

dur<strong>ch</strong> die Verstärkung ihrer Position die Weltspra<strong>ch</strong>ensituation vers<strong>ch</strong>ärft“ hätten. 119 <strong>Esperanto</strong> trage<br />

ke<strong>in</strong>e S<strong>ch</strong>uld, dass es von den Staaten als <strong>in</strong>ternationale Spra<strong>ch</strong>e <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> anerkannt werde – historis<strong>ch</strong>e<br />

Umstände hätten dies verh<strong>in</strong>dert (genannt wurden 2. Weltkriege, Revolutionen, der Kalte Krieg,<br />

<strong>in</strong>ternationale Spannungen usw.). Nur die „friedli<strong>ch</strong>e Koexistenz“ „eröffnet neue Chancen, um<br />

vers<strong>ch</strong>iedene Weltprobleme zu lösen, so au<strong>ch</strong> dasjenige der spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Verständigung.“ Heutzutage<br />

genüge die Zahl der Esperantisten, damit <strong>Esperanto</strong> als „<strong>in</strong>ternationaler kulturpolitis<strong>ch</strong>er Faktor<br />

betra<strong>ch</strong>tet“ werden kann. 120<br />

In Nr. 2/1981 verkündete der esperantist, dass „die Weltlage si<strong>ch</strong> <strong>in</strong> der letzten Zeit rapide<br />

vers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tert“ habe. „In e<strong>in</strong>er neue Etappe des Wettrüstens wollen die reaktionärsten Kräfte,<br />

besonders die USA, die Welt bedrücken. <strong>Der</strong> Frieden ist <strong>in</strong> akuter Gefahr. Alle, au<strong>ch</strong> die Esperantisten<br />

müssen si<strong>ch</strong> dessen bewusst se<strong>in</strong>. <strong>Esperanto</strong> dient nur e<strong>in</strong>er friedli<strong>ch</strong>en Welt, <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> im<br />

Kriegswirbel.“ 121<br />

Im Rahmen der III. Zentralen Konferenz der Esperantisten im Kulturbund der DDR im Mai<br />

1981 <strong>in</strong> Karl-Marx-Stadt, an der 190 Delegierte und 19 ausländis<strong>ch</strong>e Gäste teilnahmen, verkündete der<br />

Vizepräsident des KB, Prof. Dr. Eduard Steiger, die vom Präsidium bes<strong>ch</strong>lossene Gründung des<br />

„<strong>Esperanto</strong>-Verbandes im Kulturbund der DDR“ (GDREA). Vorsitzender wurde Hans He<strong>in</strong>el<br />

(*1925), 122 Rudolf Hahlbohm wurde zum stv. Vorsitzenden und D. Blanke zum Sekretär „gewählt“.<br />

Dem Arbeitsauss<strong>ch</strong>uss gehörten L<strong>in</strong>de Knös<strong>ch</strong>ke, Manfred Arnold, Jürgen Hamann, Mi<strong>ch</strong>ael<br />

Lennartz, Siegfried L<strong>in</strong>ke und Werner Pfennig an. Otto Bässler wurde zum Ehrenmitglied des neuen<br />

Verbands ernannt. Er verstarb aber kurz dana<strong>ch</strong> am 15. Juni. In der esperantist 108/1981 wurde<br />

ausführli<strong>ch</strong> über die Konferenz beri<strong>ch</strong>tet.<br />

Die Erklärung der Konferenz lautete wie folgt:<br />

„Wir Delegierten der II. Zentralen Konferenz der Esperantisten im Kulturbund der DDR<br />

begrüssen e<strong>in</strong>hellig die historis<strong>ch</strong>en Bes<strong>ch</strong>lüsse des X. Parteitages der SED. In dem Bewusstse<strong>in</strong>, dass<br />

119 Wie Blanke <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Re<strong>ch</strong>tfertigungss<strong>ch</strong>rift ‚Movado sur la alia flanko’ (2004), S. 49, festhielt, hatte die russis<strong>ch</strong>e<br />

Spra<strong>ch</strong>e im DDR-S<strong>ch</strong>ulsystem e<strong>in</strong>e privilegierte Stellung gehabt, „so dass es notwendig war aufzupassen und <strong>Esperanto</strong> ihr<br />

<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> als Konkurrrenten entgegenzustellen“. Die M<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> für Volksbildung sei s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> Margot Honecker, „die Frau des<br />

Staats<strong>ch</strong>efs...“, gewesen, die wie von allen DDR-Bürgern offenbar au<strong>ch</strong> von den Esperantisten gefür<strong>ch</strong>tet war. Auf S. 52 wird<br />

weiter erklärt, dass es e<strong>in</strong>e „heikle Sa<strong>ch</strong>e“ war, ja zu den „Problemen und Tabus“ gehörte, über die russis<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e „im<br />

Zusammenhang mit spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>em Imperialismus zu spre<strong>ch</strong>en“; Blanke gibt dar<strong>in</strong> zu, dass die damalige Darstellung der Rolle<br />

der russis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>e e<strong>in</strong>e „nur e<strong>in</strong>seitige Präsentation“ gewesen sei, man hätte die „hegemoniale Rolle des Russis<strong>ch</strong>en<br />

sehen müssen“, usw.<br />

120 Die Aussagen <strong>in</strong> diesem gesamten Zitatsabs<strong>ch</strong>nitt s<strong>in</strong>d weitgehend spekulativ, veraltet und können bestritten werden,<br />

zumal sie m.W. heutzutage von ke<strong>in</strong>en ernst zu nehmenden Interl<strong>in</strong>guisten und Eo-Historikern mehr vertreten werden.<br />

121 Die Faktenlage war damals die folgende: Na<strong>ch</strong>dem der Wars<strong>ch</strong>auer Pakt <strong>in</strong> den späten 1970er Jahren die eigene Rüstung<br />

e<strong>in</strong>seitig bereits massiv verstärkt hatte, markierten 1979 zwei nahezu glei<strong>ch</strong>zeitig stattf<strong>in</strong>dende Ereignisse das Ende der<br />

Entspannungspolitik der 1970er Jahre und e<strong>in</strong>e Vers<strong>ch</strong>ärfung des Kalten Krieges: <strong>Der</strong> NATO-Doppelbes<strong>ch</strong>luss, der das<br />

entstandene Übergewi<strong>ch</strong>t sowjetis<strong>ch</strong>er Mittelstreckenraketen neutralisieren sollte, und der sowjetis<strong>ch</strong>e E<strong>in</strong>mars<strong>ch</strong> <strong>in</strong><br />

Afghanistan (1979). Über den barbaris<strong>ch</strong>en Überfall der Sowjets <strong>in</strong> das mausarme unterentwickelte zentralasiatis<strong>ch</strong>e Land<br />

verlor der esperantist natürli<strong>ch</strong> ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Wort – und dieses Ereignis blieb <strong>in</strong> der Ostblockpresse streng tabuisiert. Hierauf<br />

reagierten die USA unter Präsident Jimmy Carter mit e<strong>in</strong>em Boykott der Olympis<strong>ch</strong>en Sommerspiele 1980 <strong>in</strong> Moskau, dem<br />

si<strong>ch</strong> die westli<strong>ch</strong>en Staaten ans<strong>ch</strong>lossen und belieferten die gegen die sowjetis<strong>ch</strong>e Besatzung kämpfenden afghanis<strong>ch</strong>en<br />

Mujahedd<strong>in</strong> mit Waffen. Carters Amtsna<strong>ch</strong>folger Ronald Reagan erhöhte die zuvor reduzierten Rüstungsausgaben auf e<strong>in</strong><br />

neues Rekordniveau und führte darüber h<strong>in</strong>aus das als Star-Wars-Programm bekannte Programm zur Abwehr strategis<strong>ch</strong>er<br />

Raketen e<strong>in</strong>. Damit sollte die Fähigkeit der Sowjetunion zum strategis<strong>ch</strong>en Zweits<strong>ch</strong>lag ausges<strong>ch</strong>altet werden. Es gehörte<br />

ausdrückli<strong>ch</strong> zu den Zielen dieses Vorhabens, e<strong>in</strong>en une<strong>in</strong>holbaren Vorsprung im Rüstungswettlauf zu gew<strong>in</strong>nen, um den<br />

Ostblock ökonomis<strong>ch</strong> und politis<strong>ch</strong> zu destabilisieren. Dieser konnte si<strong>ch</strong> die Militärausgaben na<strong>ch</strong> westli<strong>ch</strong>en<br />

E<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>ätzungen <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mehr lange leisten. Im Herbst 1982 s<strong>ch</strong>eiterten die Genfer Abrüstungsverhandlungen zwis<strong>ch</strong>en den<br />

USA und der Sowjetunion über den Abbau von Mittelstreckenraketen. Damit wurde die Stationierung e<strong>in</strong>er neuen<br />

Raketengeneration au<strong>ch</strong> auf westdeuts<strong>ch</strong>em Boden (Persh<strong>in</strong>g II und Cruise Missiles gegen die SS-20) sowie die Umsetzung<br />

e<strong>in</strong>er auf „Sieg im Atomkrieg“ ausgeri<strong>ch</strong>teten Strategie der USA, die Reagans führender Militärberater Col<strong>in</strong> S. Gray 1980<br />

öffentli<strong>ch</strong> vorgestellt hatte, absehbar. Dies wurde im Ostblock, vor allem <strong>in</strong> der DDR als Mögli<strong>ch</strong>keit, dass die USA e<strong>in</strong>en<br />

Atomkrieg vom Zaun bre<strong>ch</strong>en könnte, <strong>in</strong>terpretiert. In der Folge bereitete si<strong>ch</strong> die die NVA selbst ernsthaft auf e<strong>in</strong>en sol<strong>ch</strong>en<br />

Atoms<strong>ch</strong>lag vor. 1983 stimmte der Bundestag mit der neuen <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>-liberalen Mehrheit unter Bundeskanzler Helmut<br />

Kohl der Aufstellung der NATO-Raketen zu.<br />

122 Damals Direktor e<strong>in</strong>er Parteis<strong>ch</strong>ule und Mitglied des Präsidialrats des Kulturbunds der DDR.<br />

53


der bewährte Weg der weiteren Verwirkli<strong>ch</strong>ung der Hauptaufgabe, der sozialen Si<strong>ch</strong>erheit und des<br />

Kampfes für die Erhaltung des Friedens die Voraussetzungen für unser <strong>in</strong>ternationalistis<strong>ch</strong>es Wirken<br />

s<strong>ch</strong>afft, versi<strong>ch</strong>ern wir im Namen der Mitglieder des <strong>Esperanto</strong>-Verbandes im Kulturbund der DDR,<br />

unseren Beitrag zur Stärkung der DDR und zur Realisierung der Bes<strong>ch</strong>lüsse des Parteitages zu leisten.<br />

Das heisst für uns, auf der Grundlage der humanistis<strong>ch</strong>en Ideale und politis<strong>ch</strong>en Ziele der<br />

Arbeiterklasse, des proletaris<strong>ch</strong>en Internationalismus und des sozialistis<strong>ch</strong>en Patriotismus dafür zu<br />

wirken, dass alle Mitglieder des Verbandes die <strong>in</strong>ternationale Spra<strong>ch</strong>e <strong>Esperanto</strong> verstärkt zur<br />

Information über die entwickelte sozialistis<strong>ch</strong>e Gesells<strong>ch</strong>aft <strong>in</strong> der DDR, für den weiteren Aufbau der<br />

Freunds<strong>ch</strong>aft mit der Sowjetunion und den andern sozialistis<strong>ch</strong>en Ländern, für die Verbreitung der<br />

Ideen des Sozialismus, des Friedens, der Völkerfreunds<strong>ch</strong>aft und der antiimiperialistis<strong>ch</strong>en Solidarität<br />

nutzen.<br />

Wir br<strong>in</strong>gen unsere tiefe Beunruhigung zum Ausdruck über die mens<strong>ch</strong>heitsfe<strong>in</strong>dli<strong>ch</strong>e Politik<br />

imperialistis<strong>ch</strong>er Kreise, besonders der USA und der NATO, die <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> nur die Ergebnisse der<br />

Entspannungspolitik <strong>in</strong> Frage stellen, sondern die Gefahr e<strong>in</strong>es verheerenden Krieges<br />

heraufbes<strong>ch</strong>wören.<br />

Wir unterstützen daher alle Initiativen und Massnahmen, die Generalsekretär Leonid Brežnev von der<br />

Tribüne des XXVI. Parteitages der KPDSU zur Si<strong>ch</strong>erung des Friedens, zur Fortsetzung der<br />

Entspannung und für wirksame S<strong>ch</strong>ritte zur Abrüstung vorges<strong>ch</strong>lagen hat. Diese Politik des Friedens<br />

ist au<strong>ch</strong> das Grundanliegen unseres Staates, als wesentli<strong>ch</strong>e Voraussetzung für e<strong>in</strong> Leben <strong>in</strong> sozialer<br />

Si<strong>ch</strong>erheit. Deshalb geben wir am 14. Juni 1981 unsere Stimme den Kandidaten der Nationalen Front<br />

<strong>in</strong> der Gewissheit, dass diese Repräsentanten aus allen S<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten unseres Volkes stets dem Wohl des<br />

Volkes dienen.“<br />

E<strong>in</strong> Highlight der Konferenz s<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>t die <strong>Esperanto</strong>-Übersetzung der Moscow News mit den<br />

neurotis<strong>ch</strong>en Reden von Bres<strong>ch</strong>new und Ti<strong>ch</strong>onow gewesen zu se<strong>in</strong>. <strong>Der</strong> Redaktor dieser Ausgabe,<br />

ASE-Vizepräsident Vladimir Samodaj, bra<strong>ch</strong>te sie aus Moskau kommend persönli<strong>ch</strong> vorbei. Au<strong>ch</strong> die<br />

Kommunisten Renato Corsetti (Italien), UEA-Vizepräsident, und Anna Brennan (GB), Redaktor<strong>in</strong> bei<br />

der UEA, wohnten dem Landeskongress bei. Ferner wurde Johannes R. Be<strong>ch</strong>er gehuldigt, der 90 Jahre<br />

alt geworden wäre. 123 Maria Jenzen, Walter Kemnitz, Siegfried L<strong>in</strong>ke, L<strong>in</strong>de Knös<strong>ch</strong>ke und Mi<strong>ch</strong>ael<br />

Lennartz erhielten die Johannes-R.-Be<strong>ch</strong>er-Medaille <strong>in</strong> Bronze. Hervorgehoben wurde die Tatsa<strong>ch</strong>e,<br />

dass das „ehemalige graue und s<strong>ch</strong>mutzige Chemnitz si<strong>ch</strong> <strong>in</strong> das sozialistis<strong>ch</strong>e Karl-Marx-Stadt<br />

verwandelt“ habe. Angenommen wurden au<strong>ch</strong> die neuen Leitl<strong>in</strong>ien des neuen Verbands, die si<strong>ch</strong> von<br />

den alten <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> wesentli<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>ieden. Die Hauptunters<strong>ch</strong>iede waren, wie der esperantist erklärte,<br />

die folgenden:<br />

- Mitglied des Verbands konnte nur werden, wer Mitglied des Kulturbunds war.<br />

- <strong>Esperanto</strong> ist Teil des Fremdspra<strong>ch</strong>ensystems der DDR.<br />

- Betont wird die Zusammenarbeit mit den sozialistis<strong>ch</strong>en Staaten und <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>staatli<strong>ch</strong>en <strong>in</strong>ternationalen<br />

Organisationen.<br />

- Betont werden neben der Arbeiter-<strong>Esperanto</strong>-Bewegung au<strong>ch</strong> die Traditionen der „forts<strong>ch</strong>rittli<strong>ch</strong>en“<br />

Kräfte der Eo-Bewegung ausserhalb der Arbeiterbewegung. „Zamenhof selbst, Ni<strong>ch</strong>tarbeiter, aber<br />

bürgerli<strong>ch</strong>er humanistis<strong>ch</strong>er Intellektueller, gab viele Ideen, die unbed<strong>in</strong>gt Platz <strong>in</strong> den<br />

forts<strong>ch</strong>rittli<strong>ch</strong>en Traditionen f<strong>in</strong>den, die <strong>in</strong> der DDR kultiviert werden.“<br />

- Als neuer Punkt wurde die Interl<strong>in</strong>guistik/<strong>Esperanto</strong>logie <strong>in</strong> die Leitsätze aufgenommen.<br />

- Neuer Punkt ist die Notwendigkeit, dass Eo besonders bei der Jugend popularisiert werden soll.<br />

- Erstmals wurde die Anwendung des Eo für die Wissens<strong>ch</strong>aft und Te<strong>ch</strong>nik betont.<br />

- Betont wurde die Wi<strong>ch</strong>tigkeit der Zusammenarbeit mit Organisationen wie Friedensrat, FDJ, Liga<br />

der Völkerfreunds<strong>ch</strong>aft usw.<br />

In den neuen Leitsätzen, die auf <strong>Esperanto</strong> und Deuts<strong>ch</strong> veröffentli<strong>ch</strong>t wurden, fehlte<br />

überras<strong>ch</strong>end jedweder H<strong>in</strong>weis auf den Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus (alles andere, vom sozialistis<strong>ch</strong>en<br />

Patriotismus bis zum proletaris<strong>ch</strong>en Internationalismus, von den „humanistis<strong>ch</strong>en Traditionen der<br />

revolutionären Arbeiter-Eo-Bewegung“ bis zur deuts<strong>ch</strong>-sowjetis<strong>ch</strong>en Freunds<strong>ch</strong>aft“ u.v.a.m. blieb<br />

erhalten). Überhaupt fällt auf, dass <strong>in</strong> den Beri<strong>ch</strong>ten der aggressive ideologis<strong>ch</strong>e Ton zugunsten e<strong>in</strong>er<br />

te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>-fa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Atmosphäre etwas abnahm. Die ideologis<strong>ch</strong>-politis<strong>ch</strong>en Prämissen blieben<br />

123 Zu diesem Anlass fand bei den Esperantisten e<strong>in</strong> Johannes-R.-Be<strong>ch</strong>er-Wettbewerb für Literatur (Übersetzung) statt, den<br />

Dr. Karl S<strong>ch</strong>ulze vierfa<strong>ch</strong> gewann. <strong>Der</strong> andere Gew<strong>in</strong>ner war Manfred Arnold <strong>in</strong> 2 Fällen.<br />

54


denno<strong>ch</strong> natürli<strong>ch</strong> erhalten, wahrs<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>li<strong>ch</strong> konnte der misstrauis<strong>ch</strong>e Staat vom übermässigen<br />

Kadavergehorsam und der übertriebenen Nibelungentreue der offiziellen Eo-Organisation mit der Zeit<br />

<strong>in</strong>zwis<strong>ch</strong>en genügend überzeugt werden. Das „Erlernen, die Anwendung und die Pflege des<br />

<strong>Esperanto</strong>“, „als Bestandteil fremdspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Bildung“ betra<strong>ch</strong>tet, „bietet vielseitige Mögli<strong>ch</strong>keiten<br />

für die Gestaltung e<strong>in</strong>er s<strong>in</strong>nerfüllten Freizeit“, hiess es unter anderem, und der Verband gebe se<strong>in</strong>en<br />

„Mitgliedern vielfältige Mögli<strong>ch</strong>keiten, si<strong>ch</strong> entspre<strong>ch</strong>end ihren Interessen und Neigungen mit<br />

<strong>Esperanto</strong> geistig und kulturell zu betätigen“. 124<br />

In e<strong>in</strong>em gesonderten Artikel wurde erklärt, wie es zur Gründung bzw. Umbenennung des<br />

Verbands kam. Dies sei e<strong>in</strong>e Anpassung an die Strukturänderungen <strong>in</strong>nerhalb des Kulturbunds, denn<br />

<strong>in</strong>zwis<strong>ch</strong>en seien au<strong>ch</strong> Verbände der Philatelisten u.a. entstanden. Dies bedeute aber <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> e<strong>in</strong>fa<strong>ch</strong> die<br />

Gründung irgende<strong>in</strong>es Verbands, sondern es handle si<strong>ch</strong> um e<strong>in</strong>e „wi<strong>ch</strong>tige qualitative Änderung, die<br />

Erhöhung des Status und die Anerkennung der Arbeit der Esperantisten“.<br />

Im Re<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>aftsberi<strong>ch</strong>t des Verbands wurde <strong>Esperanto</strong> als „kultureller Wert“ dargestellt.<br />

Viel bea<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er als die <strong>ganz</strong>en Plattitüden <strong>in</strong> diesem Beri<strong>ch</strong>t war e<strong>in</strong> Passus am Anfang des<br />

zitierten Textes, der wie folgt lautete:<br />

„Trotz der dur<strong>ch</strong> die NATO hervorgerufenen gefährli<strong>ch</strong>en Vers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terung des<br />

<strong>in</strong>ternationalen Klimas, trotz der erhebli<strong>ch</strong>en Belastungen unserer Volkswirts<strong>ch</strong>aft dur<strong>ch</strong> die äusseren<br />

ökonomis<strong>ch</strong>en Bed<strong>in</strong>gungen, unterstri<strong>ch</strong> der X. Parteitag der SED den festen Willen, die<br />

Herausforderungen der 80er Jahre anzunehmen und weiterh<strong>in</strong> erfolgrei<strong>ch</strong> die entwickelte<br />

sozialistis<strong>ch</strong>e Gesells<strong>ch</strong>aft zu gestalten, die Hauptaufgabe zu verwirkli<strong>ch</strong>en.“ 125<br />

Rudolf Hahlbohm, Vorsitzender des <strong>Esperanto</strong>-Verbands (auf <strong>Esperanto</strong>: GDREA), zeigte<br />

si<strong>ch</strong> an der Konferenz entspre<strong>ch</strong>end dankbar gegenüber Staat und Partei:<br />

„Wir im Kulturbund der DDR organisierten Freunde der <strong>in</strong>ternationalen Spra<strong>ch</strong>e <strong>Esperanto</strong><br />

stehen voll h<strong>in</strong>ter den Bes<strong>ch</strong>lüssen des X. Parteitages und werden unseren bes<strong>ch</strong>eidenen Beitrag zu<br />

ihrer Verwirkli<strong>ch</strong>ung leisten. Wir s<strong>in</strong>d uns dessen bewusst, dass wir unsere Ergebnisse, die wir <strong>in</strong><br />

unserem Re<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>aftsberi<strong>ch</strong>t zusammengefasst haben, nur dank der Si<strong>ch</strong>erung e<strong>in</strong>er stabilen und<br />

harmonis<strong>ch</strong>en gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Entwicklung dur<strong>ch</strong> die Partei der Arbeiterklasse errei<strong>ch</strong>en konnten,<br />

dank der daher mögli<strong>ch</strong>en umfangrei<strong>ch</strong>en politis<strong>ch</strong>-ideologis<strong>ch</strong>en und materiellen Unterstützung dur<strong>ch</strong><br />

unseren Kulturbund auf allen Leitungsebenen.“ Aber er sagte au<strong>ch</strong>: „Wir müssen die uns gemässe<br />

Form f<strong>in</strong>den, die Ause<strong>in</strong>andersetzungen mit Theorien des Antikommunismus <strong>in</strong>tensiver zu führen,<br />

Fragen des Wettrüstens behandeln und der Bedrohungslüge von der angebli<strong>ch</strong>en sowjetis<strong>ch</strong>en Gefahr<br />

entgegentreten.“<br />

Mit dem unendli<strong>ch</strong>en, langweiligen und e<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>läfernden Worts<strong>ch</strong>wall enthielt Hahlbohms<br />

Beri<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> e<strong>in</strong> paar kritis<strong>ch</strong>e Anmerkungen, die dur<strong>ch</strong>aus <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> un<strong>in</strong>teressant waren. Es musste dabei<br />

aber wie übli<strong>ch</strong> bei offiziellen Ostblocktexten zwis<strong>ch</strong>en den Zeilen gelesen werden. Trotz aller<br />

‚Errungens<strong>ch</strong>aften’, fragte si<strong>ch</strong> Hahlbohm, „warum es uns no<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> <strong>in</strong> ausrei<strong>ch</strong>endem Mass<br />

gelungen ist, Na<strong>ch</strong>wu<strong>ch</strong>skader heranzubilden, die <strong>in</strong> der Gruppe wirken. (...) Wir s<strong>in</strong>d uns völlig<br />

darüber im klaren, dass gerade die Lösung dieser Qualitätsfrage relativ hohen organisatoris<strong>ch</strong>en<br />

Aufwand erfordert. (...) Wie s<strong>ch</strong>on angedeutet, hängt sehr viel von der Persönli<strong>ch</strong>keit des<br />

ehrenamtli<strong>ch</strong>en Funktionärs ab. Se<strong>in</strong>e Aktivität, se<strong>in</strong> Optimismus (sic) s<strong>in</strong>d oft ents<strong>ch</strong>eidend für die<br />

Entwicklung der Gruppe. (...) E<strong>in</strong>e Tätigkeit, die ja neben der berufli<strong>ch</strong>en Belastung zu leisten ist, die<br />

mit den Familien abgestimmt se<strong>in</strong> will. (...) No<strong>ch</strong> zu oft ist das S<strong>ch</strong>icksal e<strong>in</strong>er Gruppe und selbst<br />

e<strong>in</strong>es Bezirksarbeitskreises sehr eng an e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige Persönli<strong>ch</strong>keit gebunden. Wenn dieser Motor aus<br />

objektiven oder subjektiven Gründen dann viellei<strong>ch</strong>t e<strong>in</strong>mal <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mehr läuft, steht alles still. 126 (...) In<br />

Zukunft müssen wir no<strong>ch</strong> beharrli<strong>ch</strong>er, no<strong>ch</strong> systematis<strong>ch</strong>er dafür wirken, dass die Kont<strong>in</strong>uität im<br />

Leitungsprozess gesi<strong>ch</strong>ert wird. Das ist <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> e<strong>in</strong>fa<strong>ch</strong>. Viellei<strong>ch</strong>t muss man aber öfter deutli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en,<br />

124 S. Fn. 116.<br />

125 Erstmals wurde e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis auf Probleme <strong>in</strong> der DDR-Volkswirts<strong>ch</strong>aft zugegeben, obwohl aus DDR-Si<strong>ch</strong>t <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> die<br />

Politik Ostberl<strong>in</strong>s selbst für die zunehmende Misere verantwortli<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t wurde, sondern die anderen, d.h. die westli<strong>ch</strong>en<br />

‚Imperialisten und Kriegstreiber’ die S<strong>ch</strong>uldigen waren. Wie heute h<strong>in</strong>längli<strong>ch</strong> allgeme<strong>in</strong> bekannt, driftete die marode DDR<br />

<strong>in</strong> den 80er Jahren ökonomis<strong>ch</strong> immer mehr <strong>in</strong>s Verderben, so dass der Kollaps Ende des Jahrzehnts au<strong>ch</strong> mit der<br />

verzweifelten Devisenbes<strong>ch</strong>affung dur<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>en S<strong>ch</strong>alck-Golodkowski <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mehr zu vermeiden war. Au<strong>ch</strong> zeigte das<br />

mä<strong>ch</strong>tige Aufrüstungsprogramm des Westens se<strong>in</strong>e eigene Wirkung, mit dem der abgewirts<strong>ch</strong>aftete Ostblock <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mehr<br />

mithalten konnte.<br />

126 Dieses Problem war <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> nur DDR-typis<strong>ch</strong>, sondern trat im Pr<strong>in</strong>zip <strong>in</strong> allen <strong>Esperanto</strong>-Gruppen der Welt auf.<br />

55


dass die Bereits<strong>ch</strong>aft zur Übernahme von ehrenamtli<strong>ch</strong>en Leitungsfunktionen <strong>in</strong> unserer Organisation<br />

Grundlage ihres Bestehens ist und jedes Mitglied unserer Organisation aufgerufen ist, konkrete<br />

Aufgaben zu übernehmen.“ Und über die Unters<strong>ch</strong>iede zwis<strong>ch</strong>en dem Erlernen von Fremdspra<strong>ch</strong>en<br />

und der Bes<strong>ch</strong>äftigung mit dem <strong>Esperanto</strong>: „Wenn man Russis<strong>ch</strong>, Englis<strong>ch</strong>, Französis<strong>ch</strong> oder andere<br />

Spra<strong>ch</strong>en <strong>in</strong> unserer Republik erlernt, hat das <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> unbed<strong>in</strong>gt zur Folge, dass man si<strong>ch</strong> organisiert oder<br />

gar Leitungsfunktionen übernimmt. Die Besonderheiten der gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Rolle des <strong>Esperanto</strong><br />

erfordern aber die Organisierung se<strong>in</strong>es Spra<strong>ch</strong>trägers und mögli<strong>ch</strong>st die Aktivierung aller Mitglieder.<br />

Da ist die Voraussetzung für die Anwendbarkeit, die Lebensfähigkeit und für die Weiterentwicklung<br />

der Spra<strong>ch</strong>e.“ Diese Erkenntnis, au<strong>ch</strong> als Qu<strong>in</strong>tessenz zu bezei<strong>ch</strong>nen, s<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>t mir zu den<br />

<strong>in</strong>telligentesten Aussage überhaupt während der gesamten Zeit der Herausgabe von der esperantist zu<br />

gehören!<br />

<strong>Der</strong> neue Zentralvorstand der GDREA setzte si<strong>ch</strong> aus folgenden 45 Mitgliedern zusammen:<br />

1. Arnold, Manfred, Berl<strong>in</strong>, Ökonom, Mitglied des Präsidiums<br />

2. Beau, Rolf, Leipzig, Ingenieur, Mitglied des Bezirksvorstands<br />

3. Behr, Mi<strong>ch</strong>ael, Leipzig, Mathematiker, Präsident des Bezirksvorstands<br />

4. Blanke, Detlev, Dr., Berl<strong>in</strong>, Abteilungsleiter im Kulturbund der DDR<br />

5. Borgwardt, Hans-Joa<strong>ch</strong>im, Stralsund, Ingenieur, Mitglied des Bezirksvorstands<br />

6. Bros<strong>ch</strong>e, Giso, Dr., Rückersdorf, Veter<strong>in</strong>är, Präsident der Fa<strong>ch</strong>abteilung der Mediz<strong>in</strong>er<br />

7. Burmeister, Rudolf, Karl-Marx-Stadt, Angestellter, Präsident des Bezirksvorstands<br />

8. Dahlenburg, Till, Dr., Brüel, Fa<strong>ch</strong>lehrer, Präsident der Kommission für Methodik des <strong>Esperanto</strong>-<br />

Unterri<strong>ch</strong>ts<br />

9. Dehler, Wera, Berl<strong>in</strong>, Arbeitstherapeut<strong>in</strong>, Vizepräsident<strong>in</strong> der Fa<strong>ch</strong>abteilung der Mediz<strong>in</strong>er, Leiter<strong>in</strong><br />

der Term<strong>in</strong>ologis<strong>ch</strong>en Abteilung des UEA-Wissens<strong>ch</strong>aftszentrums (Budapest)<br />

10. Dietri<strong>ch</strong>, Hans, S<strong>ch</strong>wer<strong>in</strong>, Rentner, Präsident des Bezirksvorstands<br />

11. Dorner, Marita, Meissen, Angestellte, Mitglied des Bezirksvorstands Dresden<br />

12. Dungert, Klaus-Dieter, Magdeburg, Ingenieur, Leiter des Tonbanddienstes der GDREA<br />

13. Erfurth, Ingrid, Dr., Jena, Wissens<strong>ch</strong>aftl. Assistent<strong>in</strong>, Literaturwissens<strong>ch</strong>aftler<strong>in</strong><br />

14. Falkenhahn, Viktor, Prof. Dr., Berl<strong>in</strong>, em. L<strong>in</strong>guist, Vizepräsident der Fa<strong>ch</strong>kommission<br />

Interl<strong>in</strong>guistik/<strong>Esperanto</strong>logie<br />

15. Habi<strong>ch</strong>t, Werner, Waltershausen, Rentner, Ehrenpräsident des Bezirksvorstands Erfurt<br />

16. Hahlbohm, Rudolf, Berl<strong>in</strong>, Museumskonservator, Vizepräsident der GDREA, Mitglied des<br />

<strong>in</strong>ternationalen MEM-Komitees<br />

17. Hamann, Jürgen, Leipzig, Instruktor beim Kulturbund Leipzig<br />

18. He<strong>in</strong>el, Hans, Oederan, Direktor e<strong>in</strong>er Parteis<strong>ch</strong>ule, Präsident der GDREA, Mitglied des<br />

Präsidialrats des Kulturbunds der DDR<br />

19. Hussner, Hans-Joa<strong>ch</strong>im, Dr., Ilmenau, Wissens<strong>ch</strong>aftl. Oberassistent (Pädagoge), Präsident des<br />

Distriktsvorstands Suhl<br />

20. Jasmann, Horst, Berl<strong>in</strong>, Ingenieur, Redakteur e<strong>in</strong>er Eisenbahnzeits<strong>ch</strong>rift<br />

21. Kelp<strong>in</strong>, Hans-Jürg, Dienstedt, Pfarrer, Präsident des Distriktsvorstands Erfurt<br />

22. Knös<strong>ch</strong>ke, L<strong>in</strong>de, Berl<strong>in</strong>, Ingenieur, Mitglied des Präsidiums der GDREA<br />

23. Krause, Eri<strong>ch</strong>-Dieter, Dr., Leipzig, Wissens<strong>ch</strong>aftl. Oberassistent, L<strong>in</strong>guist<br />

24. Kulis<strong>ch</strong>, Bärbel, Frankfurt/O., Angestellte, Präsident<strong>in</strong> des Distriktsvorstands Frankfurt/O.<br />

25. Kurtz, Franz-Peter, S<strong>ch</strong>wer<strong>in</strong>, Angestellter, Mitglied des Distriktsvorstands<br />

26. Lennartz, Mi<strong>ch</strong>ael, Ludwigsfelde, Arbeiter/Student, Präsident der Jugendsektion, Mitglied des<br />

Präsidiums der GDREA, Vorstandsmitglied TEJO<br />

27. Lev<strong>in</strong>, Renate, Halle, Ökonom<strong>in</strong>, Mitglied des Distriktsvorstands<br />

28. L<strong>in</strong>ke, Siegfried, Halle, Historiker, Präsident des Distriktsvorstands, Mitglied des Präsidiums der<br />

GDREA<br />

29. Meier, Georg-Friedri<strong>ch</strong>, Prof. Dr., Berl<strong>in</strong>, L<strong>in</strong>guist, Präsident der Fa<strong>ch</strong>kommission<br />

Interl<strong>in</strong>guistik/<strong>Esperanto</strong>logie<br />

30. Me<strong>in</strong>el, A<strong>ch</strong>im, Berl<strong>in</strong>, Ingenieur, Präsident der Fa<strong>ch</strong>abteilung der Eisenbahner, Mitglied des<br />

Distriktsvorstands<br />

31. M<strong>in</strong>kwitz, Günter, Dr., Dresden, Dozent, Präsident des Distriktsvorstands<br />

56


32. Partecke, Ri<strong>ch</strong>ard, Eisena<strong>ch</strong>, Ökonom, Präsident der Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>-Te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Kommission,<br />

Mitglied des Distriktsvorstands Erfurt<br />

33. Pfennig, Werner, Neubrandenburg, Ingenieur, Präsident des Distriktsvorstands, Mitglied des<br />

Präsidiums der GDREA<br />

34. Plate, Werner, Rostock, Rentner, Präsident des Distriktsvorstands<br />

35. Raabe, Karl, Jena, Te<strong>ch</strong>niker, Präsident des Distriktsvorstands Gera<br />

36. Röhner, Walter, Coswig, Rentner, Ehrenpräsident des Distriktsvorstands Dresden<br />

37. S<strong>ch</strong>effs, Hanna, Potsdam-Bornstedt, Rentner<strong>in</strong>, Präsident<strong>in</strong> des Distriktsvorstands<br />

38. S<strong>ch</strong>ödl, Ingrid, Potsdam, Lehrer<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Parteis<strong>ch</strong>ule<br />

39. S<strong>ch</strong>ödl, Ludwig, Neurupp<strong>in</strong>, Rentner, Mitglied des <strong>in</strong>ternationalen MEM-Komitees<br />

40. S<strong>ch</strong>onert, Ernst, Hohen-Neuendorf, Rentner (+)<br />

41. S<strong>ch</strong>üler, Mart<strong>in</strong>, Dr., Kle<strong>in</strong>ma<strong>ch</strong>now, Mathematiker<br />

42. S<strong>ch</strong>ulze, Karl, Dr., Rentner<br />

43. Wegener, Hans, Berl<strong>in</strong>, Ingenieur, Präsident des Distriktsvorstands<br />

44. Wollenberg, Fritz, Berl<strong>in</strong>, Lehrer, Vizepräsident des Distriktsvorstands<br />

45. Würker, Eri<strong>ch</strong>, Rei<strong>ch</strong>enba<strong>ch</strong>, Rentner<br />

Im Sekretariat des Zentralvorstands arbeitete Ruth S<strong>ch</strong>onert<br />

Das Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittsalter war 48 Jahre, war also im Verglei<strong>ch</strong> zu 1976 lei<strong>ch</strong>t angestiegen.<br />

Ab 1981/82 musste der Text offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> mit immer kle<strong>in</strong>eren Bu<strong>ch</strong>staben <strong>in</strong> den glei<strong>ch</strong>en<br />

Umfang des Informationsbullet<strong>in</strong> der esperantist h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gepresst werden, was das Lesen ungeme<strong>in</strong><br />

ers<strong>ch</strong>werte. E<strong>in</strong>e ansehnli<strong>ch</strong>e graphis<strong>ch</strong>e Gestaltung, die das Lesen erlei<strong>ch</strong>tert hätte, hatte der<br />

esperantist nie gekannt. 127<br />

Am 9. Oktober 1980 verkündete die DDR-Führung den erhöhte Zwangsumtaus<strong>ch</strong> auf 25 DM<br />

– ke<strong>in</strong> Wort darüber <strong>in</strong> der esperantist.<br />

Im November 1981 nahm UEA-Präsident H. Tonk<strong>in</strong> an e<strong>in</strong>em Sem<strong>in</strong>ar <strong>in</strong> Bad Saarow (DDR)<br />

teil und stattete dem <strong>Esperanto</strong>-Klub <strong>in</strong> Ost-Berl<strong>in</strong> (Li<strong>ch</strong>tenberg) e<strong>in</strong>en Besu<strong>ch</strong> ab. Mit den Worten, er<br />

habe dabei „se<strong>in</strong>en positiven E<strong>in</strong>druck über das Lebensniveau <strong>in</strong> der DDR“ bekundet, das na<strong>ch</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Me<strong>in</strong>ung „viel besser“ war „ als na<strong>ch</strong> den Vorstellungen der Amerikaner“, liess si<strong>ch</strong> Tonk<strong>in</strong> im<br />

entspre<strong>ch</strong>ender Beri<strong>ch</strong>t von der esperantist zitieren von der DDR-Propaganda vere<strong>in</strong>nahmen.<br />

Na<strong>ch</strong> der Ausrufung des Kriegsre<strong>ch</strong>ts <strong>in</strong> Polen am 13. Dezember 1981, was <strong>in</strong> der esperantist<br />

mit ke<strong>in</strong>em Wort erwähnt wurde, gab es im Bullet<strong>in</strong> praktis<strong>ch</strong> ke<strong>in</strong>e das Jahr 1982 betreffende<br />

Informationen über die polnis<strong>ch</strong>e Eo-Bewegung. Zwar reiste Stanislaw Swistak aus Polen im Juni<br />

1982 an den 10. Kongress des Kulturbunds der DDR. An der 9. Generalkonferenz der MEM wurden<br />

D. Blanke, R. Hahlbohm, H. Fu<strong>ch</strong>s, J. Hamann, I. S<strong>ch</strong>ödl und L. S<strong>ch</strong>ödl <strong>in</strong> das Internationale Komitee<br />

der MEM gewählt. Viel war von Frieden, Atomkrieg und Abrüstung die Rede, und der Fokus wurde<br />

zur Ablenkung von Polen auf Länder wie Ungarn, CSSR, Kuba, Laos und andere sozialistis<strong>ch</strong>e Länder<br />

geri<strong>ch</strong>tet oder es wurde die bulgaris<strong>ch</strong>-deuts<strong>ch</strong>e Freunds<strong>ch</strong>aft bejubelt, während Polen vorläufig <strong>in</strong> den<br />

H<strong>in</strong>tergrund trat. Ob die angekündigten <strong>Esperanto</strong>-Programme von Radio Polonia unter den<br />

Bed<strong>in</strong>gungen des Kriegsre<strong>ch</strong>ts überhaupt ausgestrahlt werden konnten, g<strong>in</strong>g aus der publizierten<br />

Annonce <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> hervor. Es versteht si<strong>ch</strong> von selbst, dass die polnis<strong>ch</strong>e Gewerks<strong>ch</strong>aft Solidarität und die<br />

mit ihr verbundenen Eo-Aktivitäten <strong>in</strong> der esperantist ebenfalls ke<strong>in</strong>er Bea<strong>ch</strong>tung wert waren. 128<br />

127<br />

Das Na<strong>ch</strong>folgebullet<strong>in</strong> Interl<strong>in</strong>guistis<strong>ch</strong>e Informationen, das na<strong>ch</strong> der Wende von der GIL herausgegeben wurde, war<br />

typographis<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> primitiver gestaltet.<br />

128<br />

Die si<strong>ch</strong> seit 1980 ras<strong>ch</strong> verbreitende oppositionelle Friedensbewegung wurde von der SED und der DDR-Führung mit<br />

tiefem Misstrauen betra<strong>ch</strong>tet, weil si<strong>ch</strong> zuglei<strong>ch</strong> <strong>in</strong> Polen mit der Streikbewegung und der Gewerks<strong>ch</strong>aft Solidarność mit<br />

Le<strong>ch</strong> Wałęsa e<strong>in</strong>e starke Opposition <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em sozialistis<strong>ch</strong>en Land entwickelte. Die SED-Führung befür<strong>ch</strong>tete, dass deren<br />

Forderungen wie die Zulassung freier Gewerks<strong>ch</strong>aften, das Streikre<strong>ch</strong>t, der Me<strong>in</strong>ungsfreiheit und der Abs<strong>ch</strong>affung der<br />

Zensur auf die DDR übergreifen könnte. Von all diesen Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten war die DDR Li<strong>ch</strong>tjahre entfernt und man war um<br />

jeden Preis bestrebt, sie au<strong>ch</strong> zu verh<strong>in</strong>dern. ‚Frieden’ (meist im glei<strong>ch</strong>en Zug mit Sozialismus genannt) bedeutete <strong>in</strong> diesem<br />

Fall aus der Si<strong>ch</strong>t des Ostblocks <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>s anderes, als den Sozialismus, d..h. die offizielle Propaganda, die Gesetze und die<br />

Befehlsgewalt der sozialistis<strong>ch</strong>en Länder anzuerkennen. Die SED-Führung reagierte au<strong>ch</strong> entspre<strong>ch</strong>end nervös auf diese<br />

Entwicklungen im ungeliebten Na<strong>ch</strong>barland und verfügte s<strong>ch</strong>arfe Abgrenzunmgsmassnahmen. So wurde der relativ<br />

grosszüge Reiseverkehr mit Polen bereits am 30.10.1980 e<strong>in</strong>ges<strong>ch</strong>ränkt. Die SED s<strong>ch</strong>eute si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>, antipolnis<strong>ch</strong>e<br />

57


Au<strong>ch</strong> die Neujahrsbots<strong>ch</strong>aft des belgis<strong>ch</strong>en UEA-Präsidenten G. Maertens g<strong>in</strong>g mit ke<strong>in</strong>em<br />

Wort auf die Ereignisse <strong>in</strong> Polen, immerh<strong>in</strong> als Heimatland des <strong>Esperanto</strong> betra<strong>ch</strong>tet und von den<br />

Esperantisten entspre<strong>ch</strong>end ‚vermarktet’, e<strong>in</strong> und behandelte statt dessen die Zusammenarbeit<br />

zwis<strong>ch</strong>en UEA und SAT.<br />

In der esperantist 113-114/1982 ers<strong>ch</strong>ien von D. Blanke e<strong>in</strong> Beitrag über die sowjetis<strong>ch</strong>e<br />

<strong>Esperanto</strong>-Bewegung der 1920er- und 30er Jahre, ohne jedo<strong>ch</strong> den Konflikt mit der SAT und die<br />

Verfolgungen der Esperantisten unter Stal<strong>in</strong> zu erwähnen, dafür aber umso wortrei<strong>ch</strong>ere Passagen über<br />

die Errungens<strong>ch</strong>aften des Aufbaus des Sozialismus e<strong>in</strong>zufle<strong>ch</strong>ten. Die Zwanziger und Dreissiger<br />

Jahre seien „<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> lei<strong>ch</strong>t“ gewesen und „der Kapitalismus befand si<strong>ch</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er tiefen Krise. In Europa<br />

eroberte der Fas<strong>ch</strong>ismus die Ma<strong>ch</strong>t. Es stieg die Kriegsgefahr. Für die <strong>Esperanto</strong>-Bewegung<br />

vers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terten si<strong>ch</strong> die Umstände deswegen sehr.“ Mehr war darüber <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> zu lesen. Immerh<strong>in</strong><br />

wurde der Namen E.K. Drezens erwähnt, der zusammen mit e<strong>in</strong>em Dutzend weiterer Esperantisten<br />

1937 wegen Verrats, der Spionage, des Terrorismus und der trotzkistis<strong>ch</strong>en antisowjetis<strong>ch</strong>en<br />

Propaganda angeklagt, verurteilt und ers<strong>ch</strong>ossen wurde. Diese Tatsa<strong>ch</strong>e und die Umstände, die dazu<br />

geführt hatten, wurden <strong>in</strong> der <strong>Esperanto</strong>-Presse des Ostblocks bis <strong>in</strong> die späte Perestrojka-Zeit h<strong>in</strong>e<strong>in</strong><br />

vers<strong>ch</strong>wiegen (obwohl sie <strong>in</strong> der <strong>Esperanto</strong>-Bewegung seit den 60er Jahren und spätestens seit 1974<br />

h<strong>in</strong>längli<strong>ch</strong> bekannt waren, im Ostblock aber <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> aufgezeigt werden durften). 129<br />

Im Karl-Marx-Jahr 1983 konnte der esperantist mit diversen e<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>lägigen<br />

Propagandabeiträgen über Marx und Engels no<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>mal so ri<strong>ch</strong>tig ‚zus<strong>ch</strong>lagen’. In e<strong>in</strong>em separaten<br />

Artikel wurde von D. Blanke Zitate aus den Marx-Engels-Werken über die Spra<strong>ch</strong>e<br />

zusammengetragen und <strong>in</strong> den Zusammenhang mit dem Spra<strong>ch</strong>enproblem und der <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>frage<br />

gestellt. In den au<strong>ch</strong> <strong>in</strong> der esperantist veröffentli<strong>ch</strong>ten Thesen der SED zum Karl-Marx-Jahr hiess es<br />

etwa, dass „die gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Realität <strong>in</strong> den imperialistis<strong>ch</strong>en Ländern dur<strong>ch</strong> die tiefe Krise des<br />

Kapitalismus <strong>ch</strong>arakterisiert wird“, und: „Im siebenten Jahrzehnt se<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en Krise hat si<strong>ch</strong><br />

e<strong>in</strong>e besondere Art der Verfle<strong>ch</strong>tung von allgeme<strong>in</strong>er und zyklis<strong>ch</strong>er Krise herausgebildet. Es<br />

verstärken si<strong>ch</strong> krisenhafte Ers<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>ungen <strong>in</strong> allen Berei<strong>ch</strong>en des Lebens. Tiefe soziale Widersprü<strong>ch</strong>e<br />

im Kapitalismus, Massenarbeitslosigkeit und soziale Demontage haben die Aktivität breiter Massen<br />

der Werktätigen im Kampf gegen das Kapital, um ihre Re<strong>ch</strong>te und Existenzbed<strong>in</strong>gungen erhöht. Die<br />

Welt des Kapitals von heute ist dur<strong>ch</strong> tiefe Klassenwidersprü<strong>ch</strong>e und harte Klassenkämpfe<br />

gekennzei<strong>ch</strong>net. Wie selten vorher wird damit die Ri<strong>ch</strong>tigkeit der Marxs<strong>ch</strong>en Theorie und ihre<br />

Aktualität bestätigt. (...) Entgegen bürgerli<strong>ch</strong>er Zwecklegenden, wona<strong>ch</strong> die Ideen von Marx an<br />

Wirkung verloren hätten, hat die Ausstrahlungskraft des Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus gerade <strong>in</strong> den letzten<br />

Jahrzehnten enorm zugenommen. (...) Auf der Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> Lösungswegen im Kampf für soziale<br />

Si<strong>ch</strong>erheit und Frieden wenden si<strong>ch</strong> neue Massen dem Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus zu.“ Usw. usf. 130<br />

Anlässli<strong>ch</strong> der Invasion der USA <strong>in</strong> Grenada veröffentli<strong>ch</strong>te GDREA e<strong>in</strong>en Protest.<br />

Im ‚wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en’ Teil begann man, die <strong>Esperanto</strong>-Wörterbü<strong>ch</strong>er von Eri<strong>ch</strong>-Dieter<br />

Krause zu bespre<strong>ch</strong>en. Krause hatte si<strong>ch</strong> gegen die ätzende Kritik von Seiten Re<strong>in</strong>hard Haupenthals,<br />

e<strong>in</strong>es renommierten westdeuts<strong>ch</strong>en <strong>Esperanto</strong>logen, zur Wehr zu setzen, der <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er saarländis<strong>ch</strong>en<br />

Eo-Zeits<strong>ch</strong>rift vor allem Druckfehler beanstandete und sonstige lexikographis<strong>ch</strong>e Zweifel anmeldete.<br />

Ressentiments direkt und <strong>in</strong>direkt zu s<strong>ch</strong>üren. Vor allem aber wurde versu<strong>ch</strong>t, jeden Solidarisierungsversu<strong>ch</strong> im Keim zu<br />

ersticken. Die Ma<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>aften der Solidarność wurden von der DDR-Propaganda als Konterrevolution, fals<strong>ch</strong>e Politik und<br />

mangelnder Arbeitseifer disqualifiziert. Obwohl es <strong>in</strong> der DDR-Bevölkerung e<strong>in</strong>e gewisse Fasz<strong>in</strong>ation über das Aufbegehren<br />

der Polen gab, kam es <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> zu grösseren Solidarisierungen mit dem östli<strong>ch</strong>en Na<strong>ch</strong>barn. Auf konkrete Pro-Solidarność-<br />

Aktionen ihrer Bürger reagierte die DDR empf<strong>in</strong>dli<strong>ch</strong> und s<strong>ch</strong>reckte <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> davor zurück, gegen Del<strong>in</strong>quenten drastis<strong>ch</strong>e<br />

Strafen zu verhängen. So wurde e<strong>in</strong> Theologiestudent, der auf se<strong>in</strong>er Rückfahrt aus Polen 1980 zusammen mit Freunden mit<br />

Solidarność-Material an der Grenze ertappt wurden, zu 15 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt und sollte <strong>in</strong> den Westen<br />

abges<strong>ch</strong>oben werden, was jedo<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> Vermittllung der Kir<strong>ch</strong>e verh<strong>in</strong>dert werden konnte. Während die Intellektuellen und<br />

Künstler der DDR zu den Ereignissen <strong>in</strong> Polen s<strong>ch</strong>wiegen, waren es wiederum die bekannten Regimekritiker wie Havemann<br />

und Heym, die si<strong>ch</strong> zur aktuellen Lage äusserten. Mit der Verhängung des Kriegsre<strong>ch</strong>ts und der S<strong>ch</strong>liessung der Grenzen<br />

wurden viele Beziehungen na<strong>ch</strong> Polen, die seit den 70er Jahren bestanden hatten, jäh unterbro<strong>ch</strong>en. Die DDR-Opposition<br />

wurde dur<strong>ch</strong> die Solidarność h<strong>in</strong>gegen <strong>in</strong>spiriert. (s. Neubert, E.: Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Opposition <strong>in</strong> der DDR 1949-2989. Ausgabe<br />

der bpb 2/1998, S. 384-8).<br />

129<br />

<strong>Der</strong>selbe Artikel wurde im sowjetis<strong>ch</strong>en <strong>Esperanto</strong>-Organ Informacionnyj bjulleten’ im glei<strong>ch</strong>en Jahr na<strong>ch</strong>gedruckt.<br />

130<br />

Die Entwicklung <strong>in</strong> Westdeuts<strong>ch</strong>land<strong>in</strong> den 80er Jahren kann etwa hier http://www.ecolot.de/2009/09/28/ 80er-jahre-–<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>s-bleibt-wie-es-ist<br />

oder hier:<br />

http://www.bpb.de/publikationen/06906322058365943437818783157519,0,Deuts<strong>ch</strong>land_<strong>in</strong>_den_70er80er_Jahren.html<br />

na<strong>ch</strong>gelesen werden.<br />

58


Krause reagierte äusserst empf<strong>in</strong>dli<strong>ch</strong> auf Kritik gegen se<strong>in</strong>e Wörterbü<strong>ch</strong>er, die im VEB Enzyklopädie<br />

Leipzig ers<strong>ch</strong>ienen und verhielt si<strong>ch</strong> entspre<strong>ch</strong>end brüskiert – mit allen Folgen. 131 Neben Beiträgen<br />

über Marx fand si<strong>ch</strong> auf den Seiten von der esperantist au<strong>ch</strong> e<strong>in</strong> bibliographis<strong>ch</strong>er H<strong>in</strong>weis auf e<strong>in</strong>e<br />

von Wilfried Hofmann vorgenommene Eo-Übersetzung von Max und Moritz von Wilhelm Bus<strong>ch</strong>, die<br />

<strong>in</strong> Karl-Marx-Stadt ers<strong>ch</strong>ien.<br />

Beim 5. Interl<strong>in</strong>guistik-Sem<strong>in</strong>ar <strong>in</strong> Ahrenshoop des Jahres 1983 wurde von Prof. Dr. Georg<br />

Meier von der Humboldt-Universität eröffnet. Referenten waren ausser Dr. D. Blanke, dessen<br />

Interl<strong>in</strong>guistik-Dissertation 1981 <strong>in</strong> Bu<strong>ch</strong>form ers<strong>ch</strong>ien, 132 au<strong>ch</strong> Prof. Joa<strong>ch</strong>im Dietze (Mart<strong>in</strong>-Luther-<br />

Uni Halle), Dr. Paul Str<strong>in</strong>g (Robotron Dresden), Dr. Eri<strong>ch</strong> Spitz (CSSR), Dr. Eri<strong>ch</strong>-Dieter Krause<br />

(Karl-Marx-Uni Leipzig), Dr. Wolfdietri<strong>ch</strong> Wendt (Humbold-Uni) und Dr. Till Dahlenburg (Brüel).<br />

Den „Glanzpunkt“ habe das Referat von Prof. G.F. Meier gebildet, der zu den grammatis<strong>ch</strong>en<br />

Kategorien vortrug. Anlässli<strong>ch</strong> des 65. Geburtstages Meiers, der 700 Veröffentli<strong>ch</strong>ungen vorweisen<br />

konnte und au<strong>ch</strong> e<strong>in</strong> Bu<strong>ch</strong> publiziert hatte, <strong>in</strong> dem er 6000 Spra<strong>ch</strong>en klassifizierte, bra<strong>ch</strong>te der<br />

esperantist e<strong>in</strong> langes Interview von D. Blanke. Meier konnte si<strong>ch</strong> rühmen, bereits 1946 den<br />

wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Wert des <strong>Esperanto</strong> unterstri<strong>ch</strong>en zu haben. Die aktuelle Bedeutung des <strong>Esperanto</strong><br />

sah er als Planspra<strong>ch</strong>e, die lei<strong>ch</strong>t zu erlernen sei und wo dolmets<strong>ch</strong>erfreie Verständigung e<strong>in</strong>e Rolle<br />

spielen könne. Au<strong>ch</strong> <strong>in</strong> der elastis<strong>ch</strong>en Wortbildung des <strong>Esperanto</strong> erblickte er e<strong>in</strong>en Vorteil; die<br />

Komb<strong>in</strong>ation der Regeln <strong>in</strong> der Grammatik eröffne e<strong>in</strong>e Menge von Fe<strong>in</strong>heiten des Ausdrucks. Was<br />

die Interl<strong>in</strong>guistik anbelange, müsse diese si<strong>ch</strong> aber erst no<strong>ch</strong> profilieren.<br />

1984 stand das 35-Jahr-Jubiläum der DDR vor der Tür, das von der esperantist mit e<strong>in</strong>em<br />

Na<strong>ch</strong>druck e<strong>in</strong>er kurzen Mitteilung des DDR-Friedensrates gewürdigt wurde. Im Wesentli<strong>ch</strong>en wurde<br />

die DDR als Bastion des Friedens gefeiert, während die USA-Regierung offenbar anderes für<br />

wi<strong>ch</strong>tiger halte als den Frieden, wurde moniert. Bei dieser Gelegenheit wurde wieder e<strong>in</strong>mal der Name<br />

Wilhelm Piecks <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung gerufen.<br />

Anlässli<strong>ch</strong> des 125. Geburtstages L.L. Zamenhofs veröffentli<strong>ch</strong>te der esperantist e<strong>in</strong>en Artikel<br />

von Fritz Wollenberg, <strong>in</strong> dem er si<strong>ch</strong> über „die humanistis<strong>ch</strong>e Bots<strong>ch</strong>aft“ L.L. Zamenhofs ausliess.<br />

Bisher wurde L.L. Zamenhof, der Begründer des <strong>Esperanto</strong>, von der esperantist äusserst<br />

stiefmütterli<strong>ch</strong> behandelt. Se<strong>in</strong>e Ideen des Homaranismus galten als unmarxistis<strong>ch</strong>, daher suspekt, die<br />

‚<strong>in</strong>terna ideo’ wurde von der esperantist, genauer von Blanke persönli<strong>ch</strong>, als reaktionäre Mystik<br />

verdammt und abgelehnt. Erstmals ers<strong>ch</strong>ien nun e<strong>in</strong> etwas längerer Artikel zum Thema. Leider endete<br />

er <strong>in</strong> der öden DDR-Propaganda und führte das Thema ad absurdum. Zamenhof wurde als<br />

„bürgerli<strong>ch</strong>er Intellektueller“ verspottet, folgli<strong>ch</strong> wurde versu<strong>ch</strong>t, Zamenhof <strong>in</strong>s marxistis<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>ema<br />

h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zupressen und se<strong>in</strong>e Ideen aus dem marxistis<strong>ch</strong>en Dunst heraus zu <strong>in</strong>terpretieren. So habe<br />

Zamenhofs Vater se<strong>in</strong>en Sohn <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> zum Kampf gegen die zaristis<strong>ch</strong>e Unterdrückung erzogen,<br />

sondern im Geiste des Positivismus, der den Sohn bee<strong>in</strong>flusst habe, s<strong>ch</strong>rieb Wollenberg. Denno<strong>ch</strong><br />

habe Zamenhof e<strong>in</strong>e „forts<strong>ch</strong>rittli<strong>ch</strong>e Propaganda“ betrieben, <strong>in</strong>dem er das Bu<strong>ch</strong> ‚Marta’ von Eliza<br />

Orzeszkowa <strong>in</strong>s <strong>Esperanto</strong> übersetzte, wo es um die Emanzipation der Frau gegangen sei. Au<strong>ch</strong> se<strong>in</strong>e<br />

Übersetzung des ‚Hamlet’ widerspiegele se<strong>in</strong>e humanistis<strong>ch</strong>en Absi<strong>ch</strong>ten. Den ‚Hillelismus-<br />

Homaranismus’ (frühes Stadium) Zamenhofs und die Übersetzung der Bibel, wohl das wi<strong>ch</strong>tigere<br />

Werk als ‚Marta’ von Orzeszkowa, erwähnte Wollenberg mit ke<strong>in</strong>em Wort. Immerh<strong>in</strong> bra<strong>ch</strong>te er<br />

Zamenhofs religiös-mystis<strong>ch</strong>-freimaureris<strong>ch</strong> bee<strong>in</strong>flusstes ‚Gebet unter der grünen Standarte’, das er<br />

<strong>in</strong> Boulogne vortrug, zur Spra<strong>ch</strong>e. Aber Zamenhof habe si<strong>ch</strong> damit „<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> an Gott gewendet“, sondern<br />

der „moralis<strong>ch</strong>en Kraft des Mens<strong>ch</strong>en vertraut“. Dies sei e<strong>in</strong> „idealistis<strong>ch</strong>es Konzept, das aus dem<br />

Konzept der bürgerli<strong>ch</strong>en Ideologie <strong>in</strong> ihrer forts<strong>ch</strong>rittli<strong>ch</strong>en Zeit ges<strong>ch</strong>öpft worden“ sei und si<strong>ch</strong><br />

gegen die „<strong>in</strong>humanistis<strong>ch</strong>en Tendenzen des Imperialismus“ gewendet habe. Die Frage, ob Zamenhof<br />

e<strong>in</strong> Atheist gewesen ist oder <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>, wurde <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> thematisiert. Au<strong>ch</strong> hier zeigte si<strong>ch</strong>, dass die Marxisten<br />

nur diejenigen Elemente aus dem Werk Zamenhofs herauszogen, die <strong>in</strong> ihren ideologis<strong>ch</strong>en Kram<br />

re<strong>in</strong>passten. Dann wendete Wollenberg si<strong>ch</strong> der Frage zu, ob Zamenhof e<strong>in</strong> Anationaler (sennaciulo)<br />

gewesen sei, um dies glei<strong>ch</strong> zu verne<strong>in</strong>en, denn er war „<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Volk voll e<strong>in</strong>gebürgert“. Zamenhof<br />

131 Das Grosse Wörterbu<strong>ch</strong> Deuts<strong>ch</strong>-<strong>Esperanto</strong> von 1983 erlebte na<strong>ch</strong> der Wende e<strong>in</strong> tragis<strong>ch</strong>es S<strong>ch</strong>icksal. Es wurde 1993 <strong>in</strong><br />

2. Auflage unverändert im Langens<strong>ch</strong>eidt-Verlag na<strong>ch</strong>gedruckt. 2007 ers<strong>ch</strong>ien bei Buske Krauses Grosses Wörterbu<strong>ch</strong><br />

Deuts<strong>ch</strong>-<strong>Esperanto</strong>, das 160’000 Wortstellen erhielt und ist e<strong>in</strong>es der umfangrei<strong>ch</strong>sten <strong>Esperanto</strong>-Wörterbü<strong>ch</strong>er überhaupt.<br />

132 Planspra<strong>ch</strong>e und Nationalspra<strong>ch</strong>e. E<strong>in</strong>ige Probleme der Wortbildung des <strong>Esperanto</strong> und des Deuts<strong>ch</strong>en <strong>in</strong> konfrontativer<br />

Darstellung. (ers<strong>ch</strong>ienen <strong>in</strong>: L<strong>in</strong>guistis<strong>ch</strong>e Studien, Series A, No. 85, Berl<strong>in</strong>: GDR Academy of Sciences, 1981, 162 pp., 2nd<br />

ed., 1982).<br />

59


habe si<strong>ch</strong> zu se<strong>in</strong>er „polnis<strong>ch</strong>-jüdis<strong>ch</strong>en Herkunft bekennt“. 133 Den ‚Homaranismus’-Text von 1913<br />

benutzte Wollenberg dazu, um den „Patriotismus von Zamenhof“ zu belegen. Nationalismus und<br />

Patriotismus seien bei Zamenhof widersprü<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e D<strong>in</strong>ge gewesen, behauptete er, während<br />

Patriotismus und Internationalismus dies <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> gewesen seien. Wollenberg wiederkäute au<strong>ch</strong> die Kritik<br />

der Marxisten, dass Zamenhof die „ökonomis<strong>ch</strong>en, politis<strong>ch</strong>en und Klassenwidersprü<strong>ch</strong>e“ als<br />

„wi<strong>ch</strong>tigste Gründe des Nationalismus und Militarismus <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> erkannt“ habe. Ans<strong>ch</strong>liessend<br />

polemisierte er no<strong>ch</strong> gegen den „USA-Nationalismus“, der <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> nur den „Interessen der <strong>ganz</strong>en<br />

Mens<strong>ch</strong>heit, sondern au<strong>ch</strong> des eigenen Volks widerspri<strong>ch</strong>t“. Aber im Verglei<strong>ch</strong> zu Zamenhofs Zeiten<br />

seien „heute die Friedenskräfte stärker“ und hätten „e<strong>in</strong>e materielle Basis <strong>in</strong> den sozialistis<strong>ch</strong>en<br />

Ländern“. „Die sozialistis<strong>ch</strong>en Länder verteidigen die Interessen der Mens<strong>ch</strong>heit <strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung<br />

mit den Interessen aller Völker. In der sozialistis<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft stimmen Patriotismus und<br />

Internationalismus übere<strong>in</strong>, im Rahmen der imperialistis<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft ist dies wegen den<br />

Klassengegensätzen e<strong>in</strong>e Illusion“. Wenn es anlässli<strong>ch</strong> des 25. Jahrestags der Gründung der DDR<br />

heisse, dass der „Sozialismus Erbe und Fortsetzer allen Guten, Forts<strong>ch</strong>rittli<strong>ch</strong>en, Humanen und<br />

Demokratis<strong>ch</strong>en <strong>in</strong> der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te“ sei, bedeute dies, dass er au<strong>ch</strong> „das Erbe des bürgerli<strong>ch</strong>en<br />

Humanisten Zamenhof e<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>liesse“. Als Quellenangaben führte Wollenberg Privat, War<strong>in</strong>ghien,<br />

Boulton, Maimon, Holzhaus, das Orig<strong>in</strong>ala Verkaro Zamenhofs und die Leteroj de Zamenhof an,<br />

Quellen, die mit dem Marxismus bzw. Kommunismus beileibe <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>s am Hut haben, während die<br />

eigentli<strong>ch</strong>en Basisquellen zum Homaranismus weggelassen wurden. Es s<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>t, dass Wollenberg<br />

dieses Referat am IV. Zentralen Treffen der GDREA, das im September 1984 <strong>in</strong> Dresden stattfand, im<br />

Rahmen des offiziellen Programms, vortrug. Man muss si<strong>ch</strong> die Frage stellen, ob diese grobe<br />

Entstellung der Fakten von den anwesenden Zuhörern e<strong>in</strong>fa<strong>ch</strong> so widerstandslos h<strong>in</strong>genommen und<br />

geglaubt wurde.<br />

Dass es do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> weitgehend ohne ideologis<strong>ch</strong>en Brei gehen kann, zeigte e<strong>in</strong> Beitrag<br />

Wollenbergs <strong>in</strong> der esperantist 146/1987, <strong>in</strong> dem er si<strong>ch</strong> mit dem ‚Unua Libro’, der Erstpublikation<br />

des <strong>Esperanto</strong> von 1887, der e<strong>in</strong>igermassen wahrheitsgetreu befasste. 134<br />

Im Hauptreferat von Hans He<strong>in</strong>el hiess es u.a., dass „die Tätigkeit der Esperantisten <strong>in</strong> hohem<br />

Grade au<strong>ch</strong> immer politis<strong>ch</strong>e Arbeit war und von der <strong>in</strong>ternationalen Situation stark bee<strong>in</strong>flusst wurde,<br />

obwohl der E<strong>in</strong>zelne si<strong>ch</strong> dessen <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> immer bewusst war.“ Se<strong>in</strong>e Rede drehte si<strong>ch</strong> vor allem um die<br />

Stationierung von Atomraketen auf westeuropäis<strong>ch</strong>em Territorium (die BRD wurde <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> explizit<br />

genannt). 135 Neben e<strong>in</strong>er erneuten Polemik gegen die ‚Neutrale Eo-Bewegung’ von Ivo Lapenna, die<br />

als „reaktionär“, „antikommunistis<strong>ch</strong>“ und „antisowjetis<strong>ch</strong>“ verfemt wurde, rief au<strong>ch</strong> die Absi<strong>ch</strong>t von<br />

TEJO Argwohn hervor, den Kongress des Jahres 1986 <strong>in</strong> Israel abzuhalten. He<strong>in</strong>el konnte <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> re<strong>ch</strong>t<br />

sagen, ob es si<strong>ch</strong> dabei um „Naivität“ oder um e<strong>in</strong>e „bewusste Bemühung der Unterwanderung“ der<br />

„kollegialen Zusammenarbeit“ mit UEA und TEJO handelte. Neben den übli<strong>ch</strong>en Errungens<strong>ch</strong>aften,<br />

die die GDREA für die Vergangenheit jedes Mal fast wortwörtli<strong>ch</strong> wiederholte, wurde au<strong>ch</strong> Kritik<br />

geübt und <strong>in</strong> 8 Punkten folgende Probleme angespro<strong>ch</strong>en: Man sei <strong>in</strong> gewissen Berei<strong>ch</strong>en der Tätigkeit<br />

„rückständiger“ als andere <strong>Esperanto</strong>-Organisationen <strong>in</strong> den sozialistis<strong>ch</strong>en Ländern. Dies betreffe vor<br />

allem die Notwendigkeit, dass man viel stärker für den Frieden wirksam se<strong>in</strong> sollte: „Wir müssen die<br />

gefährli<strong>ch</strong>e Politik unter Ronald Reagan demaskieren und die vielen Friedensvors<strong>ch</strong>läge der<br />

Sowjetunion propagieren“. „Trotz der begrenzten Druckmögli<strong>ch</strong>keiten müssen wir unbed<strong>in</strong>gt Wege<br />

f<strong>in</strong>den, um das Ausland über die Entwicklung der Friedenspolitik unseres Landes zu <strong>in</strong>formieren.“<br />

133<br />

Kommentar zu diesem Thema s. Fn 90.<br />

134<br />

Wie das Thema Zamenhof von Wollenberg heutzutage ohne Marx und DDR-Propaganda rezipiert wird, kann man etwa <strong>in</strong><br />

der Fests<strong>ch</strong>rift Blanke 2011 na<strong>ch</strong>lesen.<br />

135<br />

Im Interview mit „Leo“ im Bu<strong>ch</strong> von Bendias über die Eo-Jugend der DDR, S. 191, wird He<strong>in</strong>el wie folgt <strong>ch</strong>arakterisiert:<br />

„Zum Spass haben wir mal grüne Plastikkrokodile gekauft, die wir Leuten s<strong>ch</strong>enken wollten, z.B. unserem Präsidenten Hans<br />

He<strong>in</strong>el, der s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t <strong>Esperanto</strong> spra<strong>ch</strong>, aber immer die politis<strong>ch</strong>e Hauptreferatssa<strong>ch</strong>e am Anfang halten musste. An den war<br />

überhaupt ke<strong>in</strong> Herankommen. I<strong>ch</strong> weiss no<strong>ch</strong>, wie er erzählte über die Reisen, die er gema<strong>ch</strong>t hatte <strong>in</strong> den Westen und wie<br />

s<strong>ch</strong>limm das dort wäre und er muss da leider h<strong>in</strong>fahren. War ziemli<strong>ch</strong> komis<strong>ch</strong>.“ Und über den Vorstand: „Viele Alte waren<br />

aus Gewohnheit im Vorstand, die man <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> rauss<strong>ch</strong>meissen wollte, und die Stimmung war so: ‚ja ja...’, ‚wer weiss, was das<br />

wird...’, ‚ma<strong>ch</strong>en wir mal lieber <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>s’, ‚seien wir mal vorsi<strong>ch</strong>tig’.“ Ferner: „Es war also s<strong>ch</strong>wierig, Leute zu f<strong>in</strong>den, die<br />

e<strong>in</strong>erseits <strong>ganz</strong> gut s<strong>in</strong>d, fa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> qualifiziert und die Blanke dann au<strong>ch</strong> akzeptiert hätten.“ Wenn Blanke an Kongresse fuhr,<br />

stagnierte die Arbeit zu Hause und wi<strong>ch</strong>tige Ents<strong>ch</strong>eidungen wurden um viele Monate vertagt. Dies nährte die<br />

Unzufriedenheit, weil offenbar alles von Blanke persönli<strong>ch</strong> abh<strong>in</strong>g. Die S<strong>ch</strong>uld, dass „viele resigniert haben“, gibt Leo den<br />

„Bremsern“. (S. 193, 199).<br />

60


Dies sei „e<strong>in</strong>e unserer Hauptaufgaben“. „E<strong>in</strong> grosser Fehler“ sei „<strong>in</strong> der Arbeit vieler Gruppen das oft<br />

feststellbare Fehlen e<strong>in</strong>er Internationalität.“ „Jede Gruppe“ sollte „unbed<strong>in</strong>gt konkrete <strong>in</strong>ternationale<br />

Beziehungen haben und den Gruppentreffs e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>ternationalistis<strong>ch</strong>en Inhalt geben“. Was dies<br />

heissen sollte, konnte wohl nur e<strong>in</strong> Bürger e<strong>in</strong>es Ostblocklandes wissen und verstehen. Diese Treffs<br />

seien wegen „Fehlens der Internationalität oft <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> genug attraktiv“. Im Rahmen des Kulturbunds<br />

wurde die fehlende Zusammenarbeit mit Philatelisten, Fotographen, Literatur- und Naturfreunden<br />

bemängelt. Die „Grundaufgaben“ des Kulturbunds sollten „effizienter erfüllt“ werden. Die Methodik<br />

des Eo-Unterri<strong>ch</strong>ts sollte verbessert werden. Die zu s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>kenntnisse und das fehlende<br />

Wissen über die Eo-Bewegung der GDREA-Mitglieder wurde als weitere S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>stelle eruiert. Bei<br />

1700 Mitgliedern s<strong>ch</strong>ien die Zahl zu stagnieren. Es s<strong>ch</strong>ien, dass das quantitative Potential<br />

ausges<strong>ch</strong>öpft war. Fazit: Allgeme<strong>in</strong>e Stagnation, Ermüdungsers<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>ungen und Überalterung plagten<br />

die GDREA und verh<strong>in</strong>derte weitere grössere S<strong>ch</strong>ritte für die Zukunft. 136 Au<strong>ch</strong> an diesem Zentralen<br />

Treffen wurde wieder e<strong>in</strong>e Erklärung angenommen. Dar<strong>in</strong> war die Rede davon, dass si<strong>ch</strong> die<br />

<strong>in</strong>ternationale Situation „von Seiten der imperialistis<strong>ch</strong>en Kräfte“ „katastrophal vers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tert“ habe,<br />

„hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> wegen der militäris<strong>ch</strong>-<strong>in</strong>dustriellen Komplexe und wegen der Politik der aktuellen<br />

USA-Reagan-Adm<strong>in</strong>istration“. Den Teilnehmern des Treffs wurde die Aufgabe aufgebürdet, na<strong>ch</strong><br />

ihrer Rückkehr <strong>in</strong> die Distrikte die Ziele der MEM zu verwirkli<strong>ch</strong>en.<br />

Als die ‚Unperson’ Ivo Lapenna Ende 1984 75-jährig wurde, era<strong>ch</strong>tete es der esperantist für<br />

angebra<strong>ch</strong>t, se<strong>in</strong>e „Verdienste und Ni<strong>ch</strong>t-Verdienste“ zu würdigen. Gelobt wurde vor allem se<strong>in</strong><br />

E<strong>in</strong>satz für die UEA, getadelt se<strong>in</strong>e „starken antikommunistis<strong>ch</strong>en Konzepte“, die zur „Bremse für den<br />

Weg der UEA zur wahren universellen Organisation“ geworden sei. „Die Anpassung (sic) der UEA an<br />

den Fluss der Weltentwicklung“ 137 habe er als „kommunistis<strong>ch</strong>en Puts<strong>ch</strong> fals<strong>ch</strong> <strong>in</strong>terpretiert“. Se<strong>in</strong>e<br />

Neutrale Bewegung sei „klar antikommunistis<strong>ch</strong>“. „Viele Artikel, Verleumdungen und Beleidigungen<br />

gegen kommunistis<strong>ch</strong>e und überhaupt <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>kommunistis<strong>ch</strong>e Funktionäre der Eo-Bewegung“ hätten<br />

„leider e<strong>in</strong> fals<strong>ch</strong>es Bild von se<strong>in</strong>em Lebenswerk“ gegeben. Dies alles sei „unter se<strong>in</strong>em <strong>in</strong>tellektuellen<br />

Niveau“ gewesen. Denno<strong>ch</strong> sei „<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> daran zu zweifeln, dass die Rolle Lapennas als Theoretiker,<br />

Organisator und Orator <strong>in</strong> der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der <strong>Esperanto</strong>-Bewegung von sehr starker und teilweise<br />

sogar von fundamentaler Bedeutung“ gewesen sei. Die „Tragik des Jubilars“ bestehe dar<strong>in</strong>, dass er<br />

„se<strong>in</strong>en Weg <strong>in</strong> die Frü<strong>ch</strong>te br<strong>in</strong>gende Ri<strong>ch</strong>tung selbst verbaut habe“. 138 Im Nekrolog Lapennas, der im<br />

Dezember 1987 verstarb, wurden die Begriffe antikommunistis<strong>ch</strong> und antisowjetis<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> andere<br />

Wörter ersetzt: Es hiess nur no<strong>ch</strong>, dass se<strong>in</strong>e Neutrale Bewegung „ziemli<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>te Positionen“ vertrat<br />

und <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mehr neutral gewesen sei.<br />

Se<strong>in</strong>e zweite Dissertation zur Interl<strong>in</strong>guistik legte Blanke 1985 vor. Die als Habilitation<br />

anerkannte Arbeit führte bei ihm zum Titel „Doktor der Wissens<strong>ch</strong>aften“. Das Guta<strong>ch</strong>ten wurde von<br />

Georg Friedri<strong>ch</strong> Meier, Johannes Klare und Frank Häusler erstellt. Se<strong>in</strong>e – teilweise sehr abstrakten –<br />

Thesen zur Dissertation B veröffentli<strong>ch</strong>te Blanke <strong>in</strong> der esperantist 131/1985. Sie s<strong>in</strong>d zu<br />

umfangrei<strong>ch</strong>, um an dieser Stelle wiedergeben zu werden und bedürften des gesonderten Studiums und<br />

e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>gehenden Kommentars. 139 Die Habilitation ers<strong>ch</strong>ien Ende 1985 im Akademie-Verlag als<br />

Bu<strong>ch</strong> mit dem Titel ‚Internationale <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong> – e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führung’. 140<br />

136 Von He<strong>in</strong>els Kritik dürfte si<strong>ch</strong> Blanke auf teilweise persönli<strong>ch</strong> betroffen gefühlt haben. Da es im Verhältnis zur<br />

Grossspurigkeit der Absi<strong>ch</strong>ten und Ankündigungen der GDREA ausser den zur Rout<strong>in</strong>e gewordenen Tätigkeiten kaum no<strong>ch</strong><br />

etwas von Bedeutung über die Eo-Bewegung <strong>in</strong> der DDR zu beri<strong>ch</strong>ten gab, füllten si<strong>ch</strong> die Seiten von der esperantist immer<br />

mehr v.a. mit Beri<strong>ch</strong>ten über Eo-Aktivitäten <strong>in</strong> anderen sozialist. Ländern, v.a. Bulgarien, aber au<strong>ch</strong> Ch<strong>in</strong>a, sowie mit<br />

endlosen Bibliographien und zahlrei<strong>ch</strong>en Rezensionen und Listen von Neuers<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>ungen und Artikeln <strong>in</strong> DDR-Zeitungen, <strong>in</strong><br />

denen <strong>Esperanto</strong> erwähnt wurde. Dazu gehörten au<strong>ch</strong> l<strong>in</strong>guistis<strong>ch</strong>e Erläuterungen (das Thema Term<strong>in</strong>ologie wurde mit dem<br />

Auftreten Wera Blanke-Dehlers immer häufiger. Rezensenten waren v.a. Blanke, Dahlenburg, Lennartz, Wollenberg, S<strong>ch</strong>ödl,<br />

Siegfried L<strong>in</strong>ke, Ingrid Erfurth, Mi<strong>ch</strong>ael Behr, Ulri<strong>ch</strong> Becker. Au<strong>ch</strong> wurde vermehrt über das Programm der <strong>Esperanto</strong>-<br />

Sendungen von Radio Polonia <strong>in</strong>formiert.<br />

137 An dieser Stelle haben wir e<strong>in</strong>en Beweis für die wahren Absi<strong>ch</strong>ten gefunden, was der kommunistis<strong>ch</strong>e Block mit der UEA<br />

wirkli<strong>ch</strong> vorhatte. Die Unterwanderung der UEA dur<strong>ch</strong> den Kommunismus wurden aber von allen Seiten stets dementiert.<br />

138 Dies war e<strong>in</strong>e der Standardformulierungen von Blanke gegen Leute, die bei ihm <strong>in</strong> Ungnade gefallen waren. Lapenna<br />

hatte e<strong>in</strong>ige Artikel von Blanke kritisiert, <strong>in</strong> dem er ihm – m.E. zu Re<strong>ch</strong>t – e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>seitige Darstellung der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te,<br />

Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tsverdrehung und Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tsfäls<strong>ch</strong>ung vorwarf. Selbstverständli<strong>ch</strong> wurde dies von der esperantist s<strong>ch</strong>amlos<br />

wegzensuriert.<br />

139 Bei e<strong>in</strong>em Blick auf diese Thesen erkennt man diverse heikle Punkte wie e<strong>in</strong>e Art Fundamentalkritik an die L<strong>in</strong>guistik<br />

und an die <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>bewegung, hohle Werbespots von der bereits früher vorgebeteten „<strong>in</strong>ternationalistis<strong>ch</strong>en<br />

Persönli<strong>ch</strong>keitsbildung“. Ferner stand da au<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>rieben, dass Zamenhof „e<strong>in</strong>e Reihe wesentli<strong>ch</strong>er l<strong>in</strong>guistis<strong>ch</strong>er<br />

61


Gesetzmässigkeiten <strong>in</strong>tuitiv erkannt hatte“. Diese Aussage s<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>t übertrieben und muss als Spekulation betra<strong>ch</strong>tet werden.<br />

Ausser e<strong>in</strong>er Grammatik des Jiddis<strong>ch</strong>en und des <strong>Esperanto</strong>, <strong>in</strong> der der Augenarzt Zamenhof bewies, dass er vom Wesen der<br />

Spra<strong>ch</strong>e etwas verstand, hat er ke<strong>in</strong>e wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en l<strong>in</strong>guistis<strong>ch</strong>en Theorien vorgelegt, die die obige Aussage<br />

re<strong>ch</strong>tfertigen würde.<br />

140 Dieses Bu<strong>ch</strong> wurde <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Rezension des S<strong>ch</strong>weizer Interl<strong>in</strong>guisten Tazio Carlevaro, der damals offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> selbst<br />

vom Marxismus angezogen wurde (s. se<strong>in</strong>en Beitrag im Kapitel über Zamenhof <strong>in</strong> ‚<strong>Esperanto</strong> en perspektivo’, 1974), <strong>in</strong> der<br />

Zeits<strong>ch</strong>rift Planl<strong>in</strong>gvistiko wohl etwas vors<strong>ch</strong>nell als „Informationsgrube auf wahrli<strong>ch</strong> hohem Niveau und wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong><br />

ausgewogen ges<strong>ch</strong>rieben, vorurteilslos und unpolemis<strong>ch</strong>“, überbewertet (die Rezension wurde prompt <strong>in</strong> der esperantist<br />

na<strong>ch</strong>gedruckt). Bei der nü<strong>ch</strong>ternen (und v.a. <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>marxistis<strong>ch</strong>en) Betra<strong>ch</strong>tung des Bu<strong>ch</strong>es lassen si<strong>ch</strong> erwartungsgemäss<br />

denno<strong>ch</strong> sehr wohl e<strong>in</strong>ige kritis<strong>ch</strong>e Bemerkungen und E<strong>in</strong>wände anbr<strong>in</strong>gen, und zwar <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> erst aus heutiger Si<strong>ch</strong>t. Das Bu<strong>ch</strong><br />

weist nämli<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> nur <strong>in</strong> Bezug auf die ideologis<strong>ch</strong>-politis<strong>ch</strong>e Grundhaltung e<strong>in</strong> paar Besonderheiten auf, die Carlevaro <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er Bespre<strong>ch</strong>ung ausser A<strong>ch</strong>t liess. Es wäre jedo<strong>ch</strong> verfehlt anzunehmen, bei Blankes Habilitation handle es si<strong>ch</strong> um e<strong>in</strong><br />

Loblied auf den Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus. Freili<strong>ch</strong> aber au<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> um e<strong>in</strong>s gegen ihn. Im Unters<strong>ch</strong>ied zum extremen<br />

politis<strong>ch</strong>en Konformismus, den D. Blanke als Redaktor von der esperantist an den Tag legte, kam er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em im Akademie-<br />

Verlag veröffentli<strong>ch</strong>ten Interl<strong>in</strong>guistik-Bu<strong>ch</strong> paradoxerweise nämli<strong>ch</strong> weitgehend ohne Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus und ohne<br />

DDR-Propaganda aus, sieht man von e<strong>in</strong>igen bösen Stellen am Anfang und am Ende des Bu<strong>ch</strong>es ab (wo z.B. von der<br />

„Aggressivität des Imperialismus“ die Rede ist – dieser obligate Ausfall war wohl als Formalität für die Zensur bestimmt).<br />

Denno<strong>ch</strong> ist die ‚materialistis<strong>ch</strong>e’ Geisteshaltung des Autors, von dem Blankes Arbeit im Allgeme<strong>in</strong>en dur<strong>ch</strong>drungen ist,<br />

au<strong>ch</strong> <strong>in</strong> dieser Habilitationss<strong>ch</strong>rift natürli<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> zu übersehen oder gar zu verleugnen. Allerd<strong>in</strong>gs su<strong>ch</strong>t man <strong>in</strong> dem Bu<strong>ch</strong><br />

e<strong>in</strong>e marxistis<strong>ch</strong>-len<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>e Konzeption der Interl<strong>in</strong>guistik vergebli<strong>ch</strong>. Dies ist do<strong>ch</strong> ziemli<strong>ch</strong> erstaunli<strong>ch</strong>, handelt es si<strong>ch</strong><br />

do<strong>ch</strong> um e<strong>in</strong>en DDR-Autor, der bei anderen Gelegenheiten nie müde wurde, erstens die Bedeutung der Lehren des<br />

Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus zu betonen und zweitens sowohl e<strong>in</strong>e marxistis<strong>ch</strong>-len<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>e Theorie der Interl<strong>in</strong>guistik wie au<strong>ch</strong><br />

die marxistis<strong>ch</strong>-len<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>e Aufarbeitung der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der <strong>Esperanto</strong>-Bewegung zu fordern. Typis<strong>ch</strong> für e<strong>in</strong><br />

wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>es Bu<strong>ch</strong>, das im Ostblock ers<strong>ch</strong>ien, war das Problem, dass gewisse Themen wie der Stal<strong>in</strong>ismus<br />

ausgeklammert wurden und so halt <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> aufgearbeitet werden konnten. So wurden etwa die Theorieansätze, wie sie <strong>in</strong> den<br />

20er und 30er Jahren von E.K. Drezen und anderen <strong>in</strong> der Sowjetunion vertreten wurden, nur gestreift, obwohl sie für die<br />

damalige sowjetis<strong>ch</strong>e Interl<strong>in</strong>guistik von zentraler Bedeutung gewesen waren. Vom Beitrag N. Ja. Marrs zur Diskussion über<br />

die Zukunft der Spra<strong>ch</strong>en im Allgeme<strong>in</strong>en und die Entwicklung der künftigen Welt(e<strong>in</strong>heits)spra<strong>ch</strong>e im Kommunismus im<br />

Besonderen erfährt der Leser fast gar <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>s, ebenso wenig von der diesbezügli<strong>ch</strong>en E<strong>in</strong>mis<strong>ch</strong>ung Stal<strong>in</strong>s <strong>in</strong> die<br />

spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Debatte des Jahres 1950. Nun ist es dur<strong>ch</strong>aus mögli<strong>ch</strong>, dass Blanke neben dem Umstand, dass es <strong>in</strong><br />

der DDR damals <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> opportun gewesen war, Drezen, Marr und Stal<strong>in</strong> als Autoren für (spra<strong>ch</strong>)wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Zwecke<br />

aufzuwärmen, diese absonderli<strong>ch</strong>en Themen für den modernen <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>diskurs au<strong>ch</strong> für <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mehr sehr bea<strong>ch</strong>tenswert<br />

hielt, zumal sie pseudowissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e und utopistis<strong>ch</strong>e Züge erkennen liessen und mehr oder weniger dem Müllhaufen der<br />

Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der L<strong>in</strong>guistik anvertraut werden durften. Denno<strong>ch</strong> fiel der Name Stal<strong>in</strong>s <strong>in</strong> Blankes Bu<strong>ch</strong> an mehreren Stellen<br />

explizit. Aber etwa der H<strong>in</strong>weis Trotzkis, dass Stal<strong>in</strong> um 1910 <strong>Esperanto</strong> gelernt haben soll, wurde <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> erwähnt. Ni<strong>ch</strong>t<br />

zuletzt fällt auf, dass Blanke den „soziol<strong>in</strong>guistis<strong>ch</strong>en“ Arbeiten M.I. Isaevs aus den 70er und 80er Jahren <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bu<strong>ch</strong><br />

ebenfalls nur e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge Aufmerksamkeit s<strong>ch</strong>enkte. Mag se<strong>in</strong>, dass er all diese ziemli<strong>ch</strong> deformierten Theorien aus der SU<br />

zur Propaganda des Russis<strong>ch</strong>en als „mežnacional’nyj jazyk“ für die <strong>in</strong>terl<strong>in</strong>guistis<strong>ch</strong>e Diskussion (<strong>in</strong> der DDR) für irrelevant<br />

hielt. Was die Leistungen der sowjetis<strong>ch</strong>en Interl<strong>in</strong>guisten und Soziol<strong>in</strong>guisten anbelangt, wurde hö<strong>ch</strong>stens no<strong>ch</strong> auf die<br />

Beiträge im Berei<strong>ch</strong> der Spra<strong>ch</strong>planung, Spra<strong>ch</strong>förderung und Spra<strong>ch</strong>politik, auf die Theorie von der Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung der<br />

Völker und auf die Anerkennung der Spra<strong>ch</strong>e als gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Ers<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>ung als Teil der marxistis<strong>ch</strong>-len<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>en<br />

Spra<strong>ch</strong>soziologie h<strong>in</strong>gewiesen, ohne diese Theorien jedo<strong>ch</strong> im E<strong>in</strong>zelnen no<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>mal ausführli<strong>ch</strong> darzustellen oder kritis<strong>ch</strong><br />

zu bespre<strong>ch</strong>en. Irgendwo ist no<strong>ch</strong> von den zonalen Spra<strong>ch</strong>en, die Stal<strong>in</strong> vors<strong>ch</strong>webten, die Rede. Charakteristis<strong>ch</strong> war au<strong>ch</strong><br />

die Art und Weise der Behandlung des Englis<strong>ch</strong>en, die von Blanke an mehreren Stellen s<strong>ch</strong>lagwortartig zwar kurz<br />

vorgenommen wurde; als Weltspra<strong>ch</strong>e erfuhr das Englis<strong>ch</strong>e aber ke<strong>in</strong>e eigentli<strong>ch</strong>e Würdigung, obwohl es do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> zu<br />

DDR-Zeiten s<strong>ch</strong>on längst den Status e<strong>in</strong>er Weltspra<strong>ch</strong>e erlangt hatte und im Ostblock flä<strong>ch</strong>endeckend gelehrt und verwendet<br />

wurde. Dabei ist eigenartig, dass Blanke etwa im Kapitel über die L<strong>in</strong>gua franca weder das Englis<strong>ch</strong>e (ausser Pidg<strong>in</strong>-English)<br />

no<strong>ch</strong> das Russis<strong>ch</strong>e erwähnt, h<strong>in</strong>gegen aber das Französis<strong>ch</strong>e, Arabis<strong>ch</strong>e und Ch<strong>in</strong>esis<strong>ch</strong>e als sol<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>en anführte.<br />

Ausgere<strong>ch</strong>net an dieser Stelle ers<strong>ch</strong>ien e<strong>in</strong> englis<strong>ch</strong>es UNESCO-Zitat aus dem Jahr 1953, das die L<strong>in</strong>gua franca def<strong>in</strong>ieren<br />

soll. Unter Bezugnahme auf e<strong>in</strong>en gewissen Avram Karl<strong>in</strong>skij wurde an anderer Stelle behauptet, das Englis<strong>ch</strong>e, das von ihm<br />

als „Mikroverkehrsspra<strong>ch</strong>e“ bezei<strong>ch</strong>net wurde, habe „mit den Veränderungen der sozialpolitis<strong>ch</strong>en Situation“ se<strong>in</strong>e<br />

„gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Funktion (...) <strong>in</strong> der kapitalistis<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft“ „<strong>in</strong> vielen Staaten Asiens und Afrikas“ aber „verloren“.<br />

Den Status e<strong>in</strong>er „Makroverkehrsspra<strong>ch</strong>e“ hatte gemäss Karl<strong>in</strong>skij h<strong>in</strong>gegen das Russis<strong>ch</strong>e <strong>in</strong>ne. Sol<strong>ch</strong>e Ansätze waren<br />

freili<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> weniger uns<strong>in</strong>nig als gewisse e<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>lägige Theoreme Marrs und Stal<strong>in</strong>s und dienten ledigli<strong>ch</strong> zur politis<strong>ch</strong>en<br />

Bekämpfung des Englis<strong>ch</strong>en als Weltspra<strong>ch</strong>e dur<strong>ch</strong> die Kommunisten des Ostblocks. Es ist hö<strong>ch</strong>st bedenli<strong>ch</strong> und<br />

bedauerli<strong>ch</strong>, dass e<strong>in</strong> L<strong>in</strong>guist wie Blanke, der ernstgenommen zu werden wüns<strong>ch</strong>te, diesem Ma<strong>in</strong>stream folgte, bzw. folgen<br />

musste. Im Allgeme<strong>in</strong>en zitierte Blanke <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bu<strong>ch</strong> neben e<strong>in</strong>igen sowjetis<strong>ch</strong>en Autoren rei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> westli<strong>ch</strong>e Quellen, die<br />

bei der <strong>in</strong>terl<strong>in</strong>guistis<strong>ch</strong>en Diskussion <strong>in</strong> der Überzahl s<strong>in</strong>d; so konnte die westli<strong>ch</strong>e Vorherrs<strong>ch</strong>aft <strong>in</strong> der<br />

<strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>diszipl<strong>in</strong> mit oder ohne Absi<strong>ch</strong>t, bewusst oder unbewusst na<strong>ch</strong>gewiesen werden. Wenn e<strong>in</strong>erseits die Sa<strong>ch</strong>kritik<br />

an sowjetis<strong>ch</strong>en Autoren fehlte, fiel andererseits die ideologis<strong>ch</strong>-politis<strong>ch</strong> motivierte Polemik gegen gewisse Westautoren<br />

entspre<strong>ch</strong>end kompromisslos aus. Auf theoretis<strong>ch</strong>er Ebene wurde etwa gegen den Strukturalismus, gegen die Sapir-Whorf-<br />

Hypothese (und damit au<strong>ch</strong> gegen Gode und gegen se<strong>in</strong> Interl<strong>in</strong>gua) und vor allem gegen den pazifistis<strong>ch</strong>en Mystizismus<br />

(v.a. die ‚<strong>in</strong>terna ideo’) L.L. Zamenhofs gepoltert. Dessen „progressives bürgerli<strong>ch</strong>-humanistis<strong>ch</strong>es Ideengut“ sei<br />

„marxistis<strong>ch</strong>-len<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong> aufzubereiten“, hiess es im entspre<strong>ch</strong>enden Kapitel über den Begründer des <strong>Esperanto</strong>. Ke<strong>in</strong>e<br />

Gnade fanden bei überzeugten Atheisten, Marxisten und Materialisten natürli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die „religiös verbrämten pazifistis<strong>ch</strong>kosmopolitis<strong>ch</strong>en<br />

Ideale“ e<strong>in</strong>es erzkatholis<strong>ch</strong>en Ekklesiasten, wie sie der Volapük-Erf<strong>in</strong>der J.M. S<strong>ch</strong>leyer vertrat. Das Werk<br />

62


1985 fand das 7. Interl<strong>in</strong>guistik-Sem<strong>in</strong>ar <strong>in</strong> Ahrenshoop mit folgenden Referenten und<br />

Referaten statt: Prof Dr. Georg F. Meier (Aspekte der Spra<strong>ch</strong>politik), Dr. sc. Detlev Blanke<br />

(Interl<strong>in</strong>guistik und Spra<strong>ch</strong>planung), Prof. Dr. sc. Johannes Irms<strong>ch</strong>er (Berl<strong>in</strong>, Rolle des Late<strong>in</strong>s als<br />

<strong>in</strong>ternationales Verständigungsmittel), D. Blanke (Grundfragen der Interl<strong>in</strong>guistik und<br />

des Revaler Occidental-S<strong>ch</strong>öpfers Edgar von Wahl, als estländis<strong>ch</strong>er Baltendeuts<strong>ch</strong>er wahrli<strong>ch</strong> ke<strong>in</strong> Freund von Marx,<br />

Engels, Len<strong>in</strong> und Stal<strong>in</strong>, wurde sogar als ges<strong>ch</strong>eiterter antikommunistis<strong>ch</strong>er Entwurf diffamiert, und A. Godes Interl<strong>in</strong>gua<br />

wurde als „paradoxes Produkt der Interl<strong>in</strong>guistik“ (was es dur<strong>ch</strong>aus au<strong>ch</strong> gewesen se<strong>in</strong> mag) verabs<strong>ch</strong>eut. Godes e<strong>in</strong>ziges<br />

Verdienst habe dar<strong>in</strong> bestanden, als erster den Versu<strong>ch</strong> unternommen zu haben, bewusst und auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> das ges<strong>ch</strong>lossene<br />

System der abendländis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>e zu kodifizieren (Zitat von Gode), während von Wahl e<strong>in</strong>e praktis<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e ers<strong>ch</strong>affen<br />

wollte, die allen Mens<strong>ch</strong>en romanis<strong>ch</strong>er Zunge allgeme<strong>in</strong> verständli<strong>ch</strong> se<strong>in</strong> sollte. Die Haltung, bei der e<strong>in</strong> Gode und e<strong>in</strong> von<br />

Wahl an die Überlegenheit der westli<strong>ch</strong>en Kultur und ihrer Spra<strong>ch</strong>en glaubte, musste bei den dogmatis<strong>ch</strong>en<br />

Ostblockkommunisten natürli<strong>ch</strong> auf Skepsis stossen. Gerade deshalb war die Spra<strong>ch</strong>e Occidental auf östli<strong>ch</strong>en Druck h<strong>in</strong> <strong>in</strong><br />

Interl<strong>in</strong>gue umbenannt worden. Die Bemühung der Kommunisten, L.L. Zamenhof <strong>in</strong> die Nähe der Proletarier (Arbeiter),<br />

Sozialisten usw. rücken zu wollen, musste aber von vornhere<strong>in</strong> klägli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>eitern, denn sie ist abwegig und kommt e<strong>in</strong>er<br />

marxistis<strong>ch</strong>en Vergewaltigung der eigentli<strong>ch</strong>en Ideen Zamenhofs selbst glei<strong>ch</strong>. Mag se<strong>in</strong>, dass Zamenhof als Quartiersarzt<br />

unter se<strong>in</strong>en Patienten und Kunden <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> wenige Arbeiter vorgefunden hatte, er selbst äusserte si<strong>ch</strong> aber nie im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es<br />

Proletariers und liess au<strong>ch</strong> ke<strong>in</strong>e Tendenz erkennen, si<strong>ch</strong> für e<strong>in</strong>en Marxisten, Sozialisten oder gar Kommunisten zu halten.<br />

<strong>Der</strong> E<strong>in</strong>wand der Marxisten oder Kommunisten, Zamenhof sei „<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> <strong>in</strong> der Lage gewesen, die wirkli<strong>ch</strong>en gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

Triebkräfte zu erkennen, die h<strong>in</strong>ter den s<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>bar nur <strong>in</strong>terethnis<strong>ch</strong>en Konflikten standen“, ist e<strong>in</strong>e unbegründete ideologis<strong>ch</strong>e<br />

Spekulation, die von Leuten vom S<strong>ch</strong>lage e<strong>in</strong>es Drezen, Spiridovič usw. <strong>in</strong> die Welt gesetzt und <strong>in</strong> der DDR von<br />

e<strong>in</strong>gebildeten Marxisten wie Rudi Graetz und Detlev Blanke übernommen und weiter propagiert wurde. Statt diesen<br />

marxistis<strong>ch</strong> verbrämten Uns<strong>in</strong>n zu reproduzieren, wäre es angemessener gewesen, den jüdis<strong>ch</strong>-zionistis<strong>ch</strong>en H<strong>in</strong>tergrund<br />

Zamenhofs stärker auszuleu<strong>ch</strong>ten. Aber jüdis<strong>ch</strong>e Themen zu analysieren gehörte aus bekannten Gründen nun wahrli<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong><br />

zum vordergründigen Repertoire von angepassten Ostblock-Autoren, die si<strong>ch</strong> im Allgeme<strong>in</strong>en vor jüdis<strong>ch</strong>en Themen<br />

s<strong>ch</strong>euten wie der Teufel vor dem Weihwasser. Salonfähig gema<strong>ch</strong>t werden konnten h<strong>in</strong>gegen wieder <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>marxistis<strong>ch</strong>e<br />

L<strong>in</strong>guistik-Klassiker wie die Brüder Ferd<strong>in</strong>and und René de Saussure, Baudou<strong>in</strong> de Courtenay und der amerikanis<strong>ch</strong>e<br />

Strukturalist Edward Sapir, alle längst gestorben, <strong>in</strong> Vergessenheit geraten und <strong>in</strong> der Sowjetunion lange mehr oder weniger<br />

geä<strong>ch</strong>tet. Irgendwo tau<strong>ch</strong>t im Rande des Bu<strong>ch</strong>s – man sehe und staune – sogar no<strong>ch</strong> Polivanovs Name auf. Im Berei<strong>ch</strong> der<br />

mediokren politis<strong>ch</strong>en Abre<strong>ch</strong>nung mit westdeuts<strong>ch</strong>en Kollegen g<strong>in</strong>g Blanke re<strong>ch</strong>t unzimperli<strong>ch</strong> etwa mit dem renommierten<br />

Kybernetiker Helmar Frank (Paderborn) oder mit Oberstudienrat Re<strong>in</strong>hard Haupenthal (Saarbrücken), e<strong>in</strong>em qualifizierten<br />

<strong>Esperanto</strong>logen, um, der es gewagt hatte, die neu ers<strong>ch</strong>ienenen DDR-<strong>Esperanto</strong>-Wörterbü<strong>ch</strong>er von E.-D. Krause regelmässig<br />

zu zerzausen. Krause war e<strong>in</strong> DDR-Indonesist gewesen, der si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> mit <strong>Esperanto</strong>logie bes<strong>ch</strong>äftigte. E<strong>in</strong> drittes zentrales<br />

Fe<strong>in</strong>dbild wurde mit der Person des ehrbaren Ri<strong>ch</strong>ard S<strong>ch</strong>ulz aus M<strong>in</strong>den aufgebaut, gegen dessen populärwissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Esperanto</strong>-Bü<strong>ch</strong>er herzhafte Angriffe gestartet wurden. Im Übrigen wurde au<strong>ch</strong> der bekannte Moskauer Interl<strong>in</strong>guist S.N.<br />

Kuznecov, der dur<strong>ch</strong> se<strong>in</strong>e unideologis<strong>ch</strong>e Haltung auffiel, von den Dogmatikern und ihren Lakaien <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> davon vers<strong>ch</strong>ont,<br />

als Strukturalist im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er pejorativen Eigens<strong>ch</strong>aft verdä<strong>ch</strong>tigt zu werden. Natürli<strong>ch</strong> erfolgte die Auswahl der Zitate<br />

dur<strong>ch</strong> Blanke im Allgeme<strong>in</strong>en selektiv, um ideologis<strong>ch</strong>e Risiken auszus<strong>ch</strong>alten. So bestand des öftern die Gefahr, dass Zitate<br />

aus dem Gesamtkontext herausgerissen und zu wenig reflektiert wurden. So gesehen blieb diese realsosozialistis<strong>ch</strong>e<br />

Darstellung Blankes, die für DDR-Verhältnisse wohl als e<strong>in</strong>e sehr stil- und niveauvolle akademis<strong>ch</strong>e Fru<strong>ch</strong>t e<strong>in</strong>es Autors<br />

vertrieben werden konnte, der es sogar ges<strong>ch</strong>afft hatte, au<strong>ch</strong> im Berei<strong>ch</strong> der Interl<strong>in</strong>guistik e<strong>in</strong> wenig Klassenkampf und<br />

Kalten Krieg zu spielen, denno<strong>ch</strong> hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> deskriptiv, streckenweise oberflä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>, unvollständig und langweilig,<br />

<strong>in</strong>tellektuell öde und für e<strong>in</strong>e Habilitation e<strong>in</strong>er Universität, die den Namen Humboldts trug, ideologis<strong>ch</strong>-politis<strong>ch</strong><br />

ers<strong>ch</strong>reckend kurzsi<strong>ch</strong>tig. Es drängten si<strong>ch</strong> somit Zweifel an der (strengen) Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>keit von Blankes Arbeit auf,<br />

zumal das Bu<strong>ch</strong> ja au<strong>ch</strong> das Werk e<strong>in</strong>es E<strong>in</strong>zelgängers ist, der se<strong>in</strong>e <strong>in</strong>terl<strong>in</strong>guistis<strong>ch</strong>en Studien ausserhalb des akademis<strong>ch</strong>en<br />

Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aftsbetriebs der DDR getätigt hat und von den <strong>in</strong>ternationalen spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en und<br />

spra<strong>ch</strong>philosophis<strong>ch</strong>en E<strong>in</strong>flüssen praktis<strong>ch</strong> unberührt und isoliert blieb. Von unkritis<strong>ch</strong>en Blanke-„S<strong>ch</strong>ülern“ wie<br />

Bros<strong>ch</strong>/Fiedler (letztere ist immerh<strong>in</strong> Professor<strong>in</strong> <strong>in</strong> Leipzig) wurde das Bu<strong>ch</strong> quasi wie e<strong>in</strong>e Bibel verklärt, wenn es etwa <strong>in</strong><br />

der E<strong>in</strong>führung zur Fests<strong>ch</strong>rift zum 70. Geburtstag von D. Blanke hiess: „(...) Superlative s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Festgaben dieser Art häufig.<br />

Sie s<strong>in</strong>d im vorliegenden Fall jedo<strong>ch</strong> <strong>ganz</strong> si<strong>ch</strong>er gere<strong>ch</strong>tfertigt. Es ist ke<strong>in</strong>e Übertreibung, den Jubilar als den bedeutendsten<br />

Vertreter der Interl<strong>in</strong>guistik/<strong>Esperanto</strong>logie im deuts<strong>ch</strong>spra<strong>ch</strong>igen Raum und e<strong>in</strong>en der weltweit führenden Interl<strong>in</strong>guisten zu<br />

bezei<strong>ch</strong>nen. Se<strong>in</strong> 1985 ers<strong>ch</strong>ienenes Bu<strong>ch</strong> Internationale <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>. E<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führung ist bis heute das Standardwerk der<br />

Interl<strong>in</strong>guistik. Die dar<strong>in</strong> zu f<strong>in</strong>dende systematis<strong>ch</strong>e Klassifikation na<strong>ch</strong> ihrer Anwendung ist unverzi<strong>ch</strong>tbare Grundlage für<br />

Studien auf diesem Gebiet. Seit dem Ers<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>en dieses wegweisenden Werkes ist, wie se<strong>in</strong>e bee<strong>in</strong>druckende Publikationsliste<br />

bezeugt, e<strong>in</strong>e Fülle weiterer herausragender Arbeiten aus se<strong>in</strong>er Feder entstanden. (...).“ Von C. Mannewitz wurde das Bu<strong>ch</strong><br />

sogar als „Bibel“ verklärt. Aus oben dargelegten Gründen ist e<strong>in</strong> Bu<strong>ch</strong> wie Blankes Internationale <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>. E<strong>in</strong>e<br />

E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> der vorhandenen Fassung wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> veraltet und kann den heutigen Studenten der Interl<strong>in</strong>guistik als<br />

Lehrbu<strong>ch</strong> nur unter Vorbehalten zugemutet werden. Dem Autor hatte i<strong>ch</strong> se<strong>in</strong>erzeit e<strong>in</strong>e fundamentale Überarbeitung<br />

e<strong>in</strong>zelner Kapitel empfohlen, um das Bu<strong>ch</strong> von ideologis<strong>ch</strong>em Ballast zu säubern. E<strong>in</strong>e revidierte Neuauflage ist nie<br />

ers<strong>ch</strong>ienen. Im Gegenteil: Man hat das Werk auf CD gebrannt, um es unverändert elektronis<strong>ch</strong> weiter zu vertreiben. Trotz des<br />

lauten Lärms um die Interl<strong>in</strong>guistik ist von ihr <strong>in</strong> der Angewandten L<strong>in</strong>guistik, der Soziol<strong>in</strong>guistik oder dem Strukturalismus<br />

so gut wie <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> die Rede. Vielmehr diente die Interl<strong>in</strong>guistik zur propagandistis<strong>ch</strong> missbrau<strong>ch</strong>ten theoretis<strong>ch</strong>en<br />

Re<strong>ch</strong>tfertigung der angebli<strong>ch</strong>en Superiorität des <strong>Esperanto</strong> gegenüber anderen <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong> und Ethnospra<strong>ch</strong>en. Wenn man<br />

Detlev Blanke also als „<strong>in</strong>ternational führenden Interl<strong>in</strong>guisten“ feiert, sollte man die hier erwähnten Defizite und Na<strong>ch</strong>teile,<br />

die dieser <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>fors<strong>ch</strong>er aus der ehemaligen DDR verkörpert, unbed<strong>in</strong>gt mitberücksi<strong>ch</strong>tigen. Se<strong>in</strong>e<br />

‚wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en’ Beiträge s<strong>in</strong>d also nur mit Reserve zu konsultieren. aK<br />

63


<strong>Esperanto</strong>logie), Prof. Dr. sc. Manfred Uesseler (Magdeburg, Soziol<strong>in</strong>guistis<strong>ch</strong>e Aspekte der<br />

Interl<strong>in</strong>guistik), Ing. L<strong>in</strong>de Knös<strong>ch</strong>ke (Soziologis<strong>ch</strong>e Struktur der Kommunikationsgeme<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>aft des<br />

<strong>Esperanto</strong>), Lektor<strong>in</strong> Anneliese Funke (Akademie-Verlag Berl<strong>in</strong>, L<strong>in</strong>guistis<strong>ch</strong>e Publikationen des<br />

Akademie-Verlags), D. Blanke (Planspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Kommunikationsgeme<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>aften), Dr. Rosemarie<br />

Ranft (Berl<strong>in</strong>, Term<strong>in</strong>ologie der <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>probleme), Prof. Dr. sc. Karl Guts<strong>ch</strong>midt (Berl<strong>in</strong>,<br />

Spra<strong>ch</strong>politik und <strong>in</strong>nere Spra<strong>ch</strong>entwicklung ... <strong>in</strong> slavis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>en), Dr. sc. Cather<strong>in</strong>e El-Solomi-<br />

Mewis (Berl<strong>in</strong>, Spra<strong>ch</strong>politik und Spra<strong>ch</strong>planung <strong>in</strong> Afrika – Äthiopien und Somalia), Dr. Claudia<br />

Perlick (Berl<strong>in</strong>, Soziol<strong>in</strong>guistis<strong>ch</strong>e Situation im Baskis<strong>ch</strong>en), E.-D. Krause (Leipzig, Europäis<strong>ch</strong>e<br />

E<strong>in</strong>flüsse <strong>in</strong> der Lexik des Bahasa Indonesia), Prof. Dr. habil. Klaus Günther (Berl<strong>in</strong>, Lernmethoden ...<br />

für rationales Lernen von Fremdspra<strong>ch</strong>en), Dr. Wolf-Dietri<strong>ch</strong> Wendt (Berl<strong>in</strong>, Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des<br />

Fremdspra<strong>ch</strong>enlernens), D. Blanke (<strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong> auf Tonbändern), Prof. F. Meier (Grammatis<strong>ch</strong>e<br />

Kategorien <strong>in</strong> Ethnospra<strong>ch</strong>en und Eo), Dr. Ronald Lötzs<strong>ch</strong> (Ausdruck des Passiv im Eo), PhDr. Eri<strong>ch</strong><br />

Spitz (CSSR, Artikel im Eo und <strong>in</strong> Ethnospra<strong>ch</strong>en). Wera Dehler (Probleme der Fa<strong>ch</strong>term<strong>in</strong>ologie), D.<br />

Blanke (<strong>Esperanto</strong> <strong>in</strong> der Praxis), Prof. Dr. sc. Joa<strong>ch</strong>im Dietz (Halle, Computeraufbereitung der<br />

Wortwurzeln im Eo). Sämtli<strong>ch</strong>e Teilnehmer stammten aus der DDR oder aus dem Ostblock,<br />

Referenten aus dem Westen waren gemäss dieser Teilnehmerliste <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> zugegen.<br />

Ferner ers<strong>ch</strong>ien 1985 zum ersten Mal der Saksa Kuriero, der als Informationsbullet<strong>in</strong> der<br />

GDREA-Bezirksleitungen <strong>in</strong> Leipzig.Halle bis 1990 herausgegeben wurde. (<strong>Der</strong> Saksa Kuriero zeigte<br />

übrigens, dass es au<strong>ch</strong> <strong>in</strong> der DDR mögli<strong>ch</strong> war, e<strong>in</strong> <strong>Esperanto</strong>-Bullet<strong>in</strong> weitgehend jenseits von<br />

fundamentalistis<strong>ch</strong>er Ideologie und verbissener Politik, wie von der esperantist betrieben,<br />

herauszugeben).<br />

Die Sofioter UNESCO-Resolution 23 C/Res. 11.11. wies <strong>in</strong> russis<strong>ch</strong>er Spra<strong>ch</strong>e (!) no<strong>ch</strong><br />

e<strong>in</strong>mal auf die entspre<strong>ch</strong>ende Resolution des Jahres 1954, die von der UNESCO <strong>in</strong> Montevideo<br />

verabs<strong>ch</strong>iedet wurde und ma<strong>ch</strong>te auf das 100. jährige <strong>Esperanto</strong>-Jubiläum von 1987 aufmerksam.<br />

Am Internationalen Sem<strong>in</strong>ar <strong>in</strong> Ahrenshoop, das Anfang Dezember 1988 stattfand, nahmen<br />

ausser e<strong>in</strong>igen DDR-Bürgern au<strong>ch</strong> Teilnehmer aus dem Ausland teil: Oskar Pr<strong>in</strong>cz (H), Roland<br />

S<strong>ch</strong>nell (West-Berl<strong>in</strong>), Věra Barandovská (CS), Yosimi Umeda (J), Edward Symoens (B), Andre<br />

Albaut (F), Werner und Elsbeth Bormann (BRD), Reg<strong>in</strong>a Thaller (A), Akiko Nagata (J/NL), Zofia<br />

Banet-Fornalowa (PL), Elena Ševčenko (SU), Elfriede Kruse (BRD), Simo Milojević (UEA),<br />

Abdurahman Junusov (SU).<br />

<strong>Der</strong> Name des neuen Sowjetführers Mi<strong>ch</strong>ail Gorbats<strong>ch</strong>ow, der seit März 1985 mit dem<br />

Stal<strong>in</strong>ismus 141 pr<strong>in</strong>zipiell bra<strong>ch</strong> und – zum S<strong>ch</strong>recken der DDR-Führung – Glasnost und Perestrojka<br />

e<strong>in</strong>führte, wurde <strong>in</strong> der esperantist erstmals <strong>in</strong> Nr. 3/1986 im Zusammenhang mit drei Bros<strong>ch</strong>üren<br />

erwähnt, die se<strong>in</strong>e politis<strong>ch</strong>en Statements auf <strong>Esperanto</strong> veröffentli<strong>ch</strong>ten. Anstatt die politis<strong>ch</strong>en<br />

Absi<strong>ch</strong>ten Gorbats<strong>ch</strong>ows zu erörtern, lebte auf den Seiten von der esperantist <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Beitrag von F.<br />

Wollenberg der 100-jährige Geist Thälmanns wieder auf, obwohl er do<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on längst tot war. In<br />

e<strong>in</strong>em längerem Beitrag von Ende 1986 zeigte Blanke die „Spezifika der <strong>Esperanto</strong>-Bewegung <strong>in</strong> den<br />

sozialistis<strong>ch</strong>en Ländern“ auf und versu<strong>ch</strong>te damit zum Verstehen zu geben, dass diese Organisationen<br />

<strong>in</strong> dieser Ländergruppe „hohe staatli<strong>ch</strong>e Anerkennung“ geniessen und „<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> isoliert vom<br />

gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Leben funktionieren“. Statt au<strong>ch</strong> die realen „objektiven“ Probleme dieser<br />

Organisationen zu behandeln (es handelte si<strong>ch</strong> um e<strong>in</strong>en „si<strong>ch</strong>er mangelhaften Versu<strong>ch</strong>“, die Situation<br />

der Eo-Bewegung <strong>in</strong> diesen Ländern zu <strong>ch</strong>arakterisieren), fiel Blanke auf alte Art und Weise <strong>in</strong><br />

groteske marxistis<strong>ch</strong>-len<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>e Zusammenhänge zurück und hob die Vorteile des „Demokratis<strong>ch</strong>en<br />

Zentralismus“ wie folgt hervor: „Das Pr<strong>in</strong>zip des demokratis<strong>ch</strong>en Zentralismus, na<strong>ch</strong> dem die Staaten,<br />

mit Abwei<strong>ch</strong>ungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen Ländern, funktionieren, hat e<strong>in</strong>en Vorteil für die Zentralisierung und<br />

Effizienzsteigerung von relativ wenigen Kräften der Bewegung. Ausserdem hat er den Vorteil für die<br />

Arbeit mit den Massenmedien, mit gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Organisationen, wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Institutionen<br />

u.ä.“ Unklar ist, ob Blanke den demokratis<strong>ch</strong>en Zentralismus <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Eo-Organisation tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />

e<strong>in</strong>führen wollte.<br />

141 <strong>Der</strong> Begriff des Stal<strong>in</strong>ismus existierte <strong>in</strong> der DDR offzizell <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> und für die SED war er bis zuletzt e<strong>in</strong> Tabu. Na<strong>ch</strong><br />

sowjetis<strong>ch</strong>er Auffassung, die au<strong>ch</strong> von der DDR übernommen wurde, gab es ke<strong>in</strong>e Lehre vom Stal<strong>in</strong>ismus. Erst im Februar<br />

1989 wurde das Wort erstmals im ‚Neuen Deuts<strong>ch</strong>land’ im Rahmen e<strong>in</strong>es Zitats aus der ‚Pravda’ gedruckt. (S. H. Weber:<br />

Aufbau und Fall e<strong>in</strong>er Diktatur. Kritis<strong>ch</strong>e Beiträge zur Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der DDR. 1991, S, 64ff. u. S. 72ff.).<br />

64


1987 übers<strong>ch</strong>nitten si<strong>ch</strong> zufällig das 750. Berl<strong>in</strong>-Jubiläum, das 70. Jubiläum seit der<br />

Oktoberrevolution <strong>in</strong> Russland und das 100. Jubiläum der Entstehung der Spra<strong>ch</strong>e <strong>Esperanto</strong>. Berl<strong>in</strong>,<br />

„Hauptstadt der DDR“, wurde als „Hauptstadt des Friedens gefeiert“. Berl<strong>in</strong> geniesse heute weltweit<br />

wieder e<strong>in</strong>en „guten Ruf“ und die Berl<strong>in</strong>er seien <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er „Koalition der Vernunft“ gegen die<br />

„aggressiven Kräfte des Imperialismus“ engagiert, hiess es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Leitartikel von der esperantist.<br />

<strong>Der</strong> Beri<strong>ch</strong>t Gorbats<strong>ch</strong>ows zum 27. Parteitag der KPdSU wurde zaghaft als „brillant“ bezei<strong>ch</strong>net, da er<br />

mit e<strong>in</strong>em „neuen Denken“ an die „<strong>in</strong>ternationale Situation“ herangehe. Endli<strong>ch</strong> wurde dieses neue<br />

Denken des reformeris<strong>ch</strong>en Sowjetführers auf der Frontseite von der esperantist 6/1988 auszugsweise<br />

vorgestellt. In der DDR ers<strong>ch</strong>ien e<strong>in</strong>e Briefmarke aus Anlass des <strong>Esperanto</strong>-Jubiläums. E<strong>in</strong>e muntere<br />

S<strong>ch</strong>ar von 130 DDR-Bürgern pilgerte unter der Führung der offiziellen DDR-Delegation, bestehend<br />

aus He<strong>in</strong>el, Blanke und Krause, na<strong>ch</strong> Wars<strong>ch</strong>au, wo mit 6000 Teilnehmern der grösste <strong>Esperanto</strong>-<br />

Weltkongress aller Zeiten stattfand.<br />

Als wi<strong>ch</strong>tigste Ergebnisse des Jubiläumsjahr 1987 wurden von der esperantist genannt:<br />

GDREA erhielt neue Büroräume und e<strong>in</strong>en zweiten Angestellten, Kontakte zur UNESCO-<br />

Kommission der DDR, Bewilligung für die Dur<strong>ch</strong>führung von IFER 87, Presseberi<strong>ch</strong>terstattung, TV-<br />

Beiträge, Radio<strong>in</strong>terviews, Ausstellungen, Vorträge an Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ulen, Gruppengründungen, die<br />

Enthüllung e<strong>in</strong>er Zamenhof-Gedenktafel <strong>in</strong> Wehlen bei Dresden, die erwähnte Eo-Briefmarke,<br />

Mögli<strong>ch</strong>keit, fakultative Eo-Kurse dur<strong>ch</strong>zuführen. Blanke wurde zum „Honorardozent für<br />

Interl<strong>in</strong>guistik an der Humboldt-Uni <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>“ ernannt. 142 Die GDREA-Mitgliederzahl errei<strong>ch</strong>t fast<br />

2000. Ende 1988 wurde au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e Liste mit dem aktuellen Bestand des GDREA-<br />

Vorstands veröffentli<strong>ch</strong>t:<br />

1. Arnold, Manfred<br />

2. Bartos, Hans-Peter, neu (Halle) 143<br />

3. Beau, Rolf<br />

4. Becker, Ulri<strong>ch</strong>, neu<br />

5. Behr, Mi<strong>ch</strong>ael<br />

6. Bendias, Torsten, neu<br />

7. Blanke, Detlev (se<strong>in</strong> offizieller akadem. Titel lautete (auf Eo): Doc. d-ro sc. phil., Abteilungsleiter<br />

im Hauptsekretariat des Kulturbunds der DDR<br />

8. Blanke, Wera, neu<br />

9. Borgwardt, Hans-Joa<strong>ch</strong>im<br />

10. Bros<strong>ch</strong>e, Giso<br />

11. Burmeister, Rudolf<br />

12. Dahlenburg, Till-Dietri<strong>ch</strong> (offiz. Titel: Studienrat Dr. pädagog.)<br />

13. Dungert, Dieter<br />

14. Erfurth, Ingrid<br />

15. Fiedler, Sab<strong>in</strong>e, Dr. phil., neu<br />

16. Grimm, Bernd, neu (z.Zt. <strong>in</strong> Mosambik)<br />

17. Güse, Kurt, neu (S<strong>ch</strong>wer<strong>in</strong>)<br />

142 In se<strong>in</strong>em Bu<strong>ch</strong>, S. 200f., bes<strong>ch</strong>reibt Bendias e<strong>in</strong>en Konflikt zwis<strong>ch</strong>en der Jugendkommission (JK) und GDREA, der dar<strong>in</strong><br />

bestand, dass die GDREA im Zuge ihrer Emanzipation von e<strong>in</strong>er vom Staat gegängelten sozialen Gruppe e<strong>in</strong>e Wahl der<br />

Führungsgremien, die die Jugendli<strong>ch</strong>en selbst vornahmen, per Verfügung am 21.10.1987 untersagte. Die JK verlor den<br />

Ma<strong>ch</strong>tkampf, und der JK-Vorstand zerbra<strong>ch</strong> e<strong>in</strong> halbes Jahr später. Bendias s<strong>ch</strong>reibt (S., 201): „GDREA verstand es lange<br />

Zeit gut, widersprü<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Bestrebungen zu kanalisieren, Freiräume zu gewähren und <strong>in</strong> vielen Fällen au<strong>ch</strong> neue zu eröffnen.<br />

GDREA blieb somit <strong>in</strong> der Lage, Regeln vorzugeben bei glei<strong>ch</strong>zeitiger f<strong>in</strong>anzieller und fa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Förderung. Die<br />

Darstellung e<strong>in</strong>er „langen vormaligen Unterdrückung der unabhängigen <strong>Esperanto</strong>-Jugendbewegung der DDR“ (offenbar <strong>in</strong><br />

<strong>Esperanto</strong>/UEA 1991 kolportiert) „entspri<strong>ch</strong>t deshalb <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> den wirkli<strong>ch</strong>en Verhältnissen (...). Die S<strong>ch</strong>ere von Restriktion<br />

und Anreizen gestaltete si<strong>ch</strong> differenzierter.“<br />

143 Bartos war der Redaktor des Hallenser Eo-Bullet<strong>in</strong>s Die rationelle Spra<strong>ch</strong>e, das bis zur Wende als Mitteilungsblatt des<br />

Bezirksvorstandes Halle der GDREA diente. 1991 kritisierte Bartos <strong>in</strong> diesem Blatt den „alten Stil“ der GDREA-Konferenz<br />

und den „Alle<strong>in</strong>vertretungsanspru<strong>ch</strong>“ der GDREA, wobei er mit dieser Position den Bru<strong>ch</strong> mit Blanke riskierte. Ausserdem<br />

ist <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Interview mit A. Künzli <strong>in</strong> der Zeits<strong>ch</strong>rift TEJO tutmonde! 2/1990 der Vorwurf von Seiten von Hans-Peter<br />

Bartos an den Kulturbund der DDR belegt, wona<strong>ch</strong> dieser an (der Verbreitung von) <strong>Esperanto</strong> gar <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> <strong>in</strong>teressiert gewesen<br />

sei, sondern versu<strong>ch</strong>t habe, <strong>Esperanto</strong>-Tätigkeiten zu bremsen und zu verh<strong>in</strong>dern. Ganz am Ende der DDR wurde au<strong>ch</strong> das<br />

Bullet<strong>in</strong> TEJO tutmonde!, das offizielle Organ von TEJO, <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mehr ignoriert, das während der 80er Jahre <strong>in</strong> der S<strong>ch</strong>weiz<br />

redigiert, gedruckt und per Post au<strong>ch</strong> <strong>in</strong> die DDR expediert wurde, von wo es regelmässig mit entspre<strong>ch</strong>endem Vermerk<br />

zurückkam, ohne den Empfänger errei<strong>ch</strong>t zu haben.<br />

65


18. Habi<strong>ch</strong>t, Werner<br />

19. Hahlbohm, Rudolf<br />

20. He<strong>in</strong>el, Hans<br />

21. Jasmann, Horst<br />

22. Kelp<strong>in</strong>, Hans-Jürg<br />

23. Knös<strong>ch</strong>ke, L<strong>in</strong>de<br />

24. Kraus, Christel, neu<br />

25. Kraus, Detlef, neu<br />

26. Krause, Eri<strong>ch</strong>-Dieter<br />

27. Krone, Helmut, neu (Berl<strong>in</strong>)<br />

28. Kulis<strong>ch</strong>, Bärbel<br />

29. Kurtz, Franz-Peter<br />

30. Lehr, Carola, neu<br />

31. Lennartz, Mi<strong>ch</strong>ael<br />

32. Lemke, Thorsten, neu<br />

33. L<strong>in</strong>ke, Paul, neu (Rostock)<br />

34. L<strong>in</strong>ke, Siegfried<br />

35. Lötzs<strong>ch</strong>, Ronald, Dr. phil., neu (Berl<strong>in</strong>) 144<br />

36. Me<strong>in</strong>el, A<strong>ch</strong>im<br />

37. Mewes, Ingrid, neu<br />

38. M<strong>in</strong>kwitz, Günter<br />

39. Pauli, Ra<strong>in</strong>er, neu (Potsdam)<br />

40. Penk, Andreas, neu (Berl<strong>in</strong>)<br />

41. Pfennig, Werner<br />

42. Plate, Werner<br />

43. Rogazewski, Hans, neu (Suhl)<br />

44. S<strong>ch</strong>effs, Johanna<br />

45. S<strong>ch</strong><strong>in</strong>dler, Ronald, neu (Frankfurt./O.)<br />

46. S<strong>ch</strong>ödl, Ludwig<br />

47. S<strong>ch</strong>rage, Monika, neu<br />

48. S<strong>ch</strong>ulze, Joa<strong>ch</strong>im, neu<br />

49. S<strong>ch</strong>ulze Sab<strong>in</strong>e, neu (Leipzig)<br />

50. Wollenberg, Fritz<br />

51. Würker, Eri<strong>ch</strong><br />

52. Zettler, A<strong>ch</strong>im, neu<br />

Per 1.9.1988 arbeiteten im GDREA-Büro D. Blanke, Susann Velarde, Ulri<strong>ch</strong> Becker, Sylvia Lassika<br />

und Ruth S<strong>ch</strong>onert.<br />

No<strong>ch</strong> wurde 1989 das 40. jährige Jubiläum der DDR gefeiert. Gorbats<strong>ch</strong>ow ma<strong>ch</strong>te Honecker<br />

darauf aufmerksam, dass es besser wäre, <strong>in</strong> der DDR Reformen e<strong>in</strong>zuleiten (aber es s<strong>ch</strong>ien, als hätte<br />

der Kreml die DDR bereits abges<strong>ch</strong>rieben, denn zu ihrer Rettung wurde von Seiten der SU offenbar<br />

<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mehr viel unternommen). Die Fäls<strong>ch</strong>ung der Kommunalwahlen <strong>in</strong> im Mai wurden von dem<br />

betrogenen DDR-Volk <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mehr goutiert. Während wa<strong>ch</strong>sende M<strong>in</strong>derheiten <strong>in</strong> der DDR-<br />

Bevölkerung si<strong>ch</strong> dem unglaubwürdigen Ritual <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mehr fügten, blieb dem esperantist das bereits<br />

ana<strong>ch</strong>ronistis<strong>ch</strong> gewordene Vokabular erhalten. Wenigstens gegen aussen no<strong>ch</strong> immer verblendet von<br />

der offiziellen kafkaesk anmutenden Propaganda hiess es auf der Frontseite von der esperantist, dass<br />

144 Offenbar wegen e<strong>in</strong>er untolerierten Kritik am Personenkult unter Ulbri<strong>ch</strong>t sass Lötzs<strong>ch</strong> 3 Jahre im Gefängnis von Bautzen<br />

e<strong>in</strong>. 2010 beri<strong>ch</strong>tete die deuts<strong>ch</strong>e Presse, dass R. Lötzs<strong>ch</strong>, der Gemahl von LINKE-Copräsident<strong>in</strong> Ges<strong>in</strong>e Lötzs<strong>ch</strong>, zu e<strong>in</strong>er<br />

bestimmten Zeit IM des MfS gewesen se<strong>in</strong> soll. <strong>Der</strong> BstU bestätigte diese Behauptung. Die E-Mail-Adresse von Ges<strong>in</strong>e<br />

Lötzs<strong>ch</strong> bef<strong>in</strong>det si<strong>ch</strong> im Verteiler der GIL. Auf Anfrage von Kalle Kniivilä, Redaktor des Libera Folio, erteilte Blanke im<br />

Fall Lötzs<strong>ch</strong> ke<strong>in</strong>e Auskunft. Auf gewisse Kritik und Unterstellungen Dritter reagierte Blanke na<strong>ch</strong> Manier der LINKEN mit<br />

Androhung von Geri<strong>ch</strong>tsverfahren.<br />

66


es <strong>in</strong> der DDR ke<strong>in</strong>e Arbeitslose gebe, sondern dass im Gegensatz viele Arbeitskräfte fehlten. 145<br />

Ferner stand dort, dass es <strong>in</strong> der DDR ke<strong>in</strong>e „räuberis<strong>ch</strong>en Mietpreise“ gäbe wie „anderswo“, dass die<br />

ärztli<strong>ch</strong>e Versorgung „selbstverständli<strong>ch</strong> kostenlos“ sei, dass die Preise für Lebensmittel,<br />

Dienstleistungen, Verkehrsmittel „stabil“ geblieben seien. Das Wohnungsproblem sei „im Pr<strong>in</strong>zip<br />

gelöst“, es gäbe „e<strong>in</strong> <strong>ganz</strong>es System für besondere Unterstützung junger Ehepaare“. Die Krim<strong>in</strong>alität<br />

sei sehr niedrig. Ob dies die perfekte Gesells<strong>ch</strong>aft bedeute? „Ne<strong>in</strong>, und no<strong>ch</strong>mals ne<strong>in</strong>“. Aber weil es<br />

Mode geworden sei zu behaupten, dass der Sozialismus <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>s errei<strong>ch</strong>t habe, ges<strong>ch</strong>eitert sei, usw.<br />

„spüren wir das Bedürfnis auf e<strong>in</strong>ige fundamentale Errungens<strong>ch</strong>aften h<strong>in</strong>zuweisen. Gut, und nun<br />

gehen wir zur Lösung unserer Probleme über.“ Es war klar, man mo<strong>ch</strong>te e<strong>in</strong>fa<strong>ch</strong> immer no<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong><br />

über die Probleme der DDR reden. Mögli<strong>ch</strong>erweise hielt man den Sozialismus für gelaufen, aber dass<br />

es mit der DDR bald zu Ende se<strong>in</strong> könnte, konnte damals no<strong>ch</strong> niemand für wirkli<strong>ch</strong> halten. Als<br />

Hauptartikel folgte e<strong>in</strong> Beitrag von D. Blanke zum Thema wie man die wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Fors<strong>ch</strong>ung<br />

über <strong>Esperanto</strong> organisieren sollte. Ironie des S<strong>ch</strong>icksals: <strong>in</strong> der esperantist 156/1989, wärmte Blanke<br />

no<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>es se<strong>in</strong>er Liebl<strong>in</strong>gsthemen auf - die <strong>Esperanto</strong>-Ausgabe des Kommunistis<strong>ch</strong>en<br />

Manifests, das er <strong>in</strong>s <strong>Esperanto</strong> übersetzt hatte. Die „politis<strong>ch</strong>e und ökonomis<strong>ch</strong>e Entwicklung der<br />

DDR“ s<strong>ch</strong>ien e<strong>in</strong> Thema an der 4. Vollsitzung des Zentralvorstands der GDREA gewesen zu se<strong>in</strong>,<br />

Details wurden ke<strong>in</strong>e genannt. Blanke zog es vor, über die „Errungens<strong>ch</strong>aften der GDREA während<br />

des Jahres 1988“ zu referieren. Wie si<strong>ch</strong> die sowjetis<strong>ch</strong>e <strong>Esperanto</strong>-Bewegung dramatis<strong>ch</strong> veränderte,<br />

zeigte Ulri<strong>ch</strong> Becker <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Beitrag auf. In Moskau wurde die ASE aufgelost und die SEU<br />

wiederhergestellt, die vorsowjetis<strong>ch</strong>en Eo-Organisationen <strong>in</strong> den Baltis<strong>ch</strong>en Staaten wurden<br />

wiedererri<strong>ch</strong>tet, <strong>in</strong> der Ukra<strong>in</strong>e wurde e<strong>in</strong>e eigene Vere<strong>in</strong>igung gegründet. <strong>Der</strong> <strong>in</strong> der esperantist<br />

bisher eher verna<strong>ch</strong>lässigte sowjetis<strong>ch</strong>e Interl<strong>in</strong>guist Sergej Kuznecov 146 beantwortete Fragen von<br />

Ulri<strong>ch</strong> Becker.<br />

Zur Perestrojka-Zeit s<strong>ch</strong>rieb Bendias <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bu<strong>ch</strong> über die <strong>Esperanto</strong>-Jugend (S. 167f.) das<br />

Folgende: „Die Aktionen der Eo-Jugend waren von weniger Vorsi<strong>ch</strong>t und neuem Selbstbewusstse<strong>in</strong><br />

geprägt. Sie ges<strong>ch</strong>ahen vor dem H<strong>in</strong>tergrund e<strong>in</strong>er langsam stärker werdenden demokratis<strong>ch</strong>en und<br />

toleranten Stimmung, die die Jahre 1985 bis 1989 geprägt hat. Die Mens<strong>ch</strong>en öffnet si<strong>ch</strong>. Es wurden<br />

bislang tabuisierte Tatsa<strong>ch</strong>en ans Tagesli<strong>ch</strong>t gefördert. Drei Tendenzen waren neu: 2. Viele Mens<strong>ch</strong>en,<br />

au<strong>ch</strong> Kommunisten und Apparats<strong>ch</strong>iks, bra<strong>ch</strong>ten Na<strong>ch</strong>denkli<strong>ch</strong>keit zum Ausdruck, den Wuns<strong>ch</strong>,<br />

Fehler zu korrigieren. (...). 2. Viele Mens<strong>ch</strong>en nutzten die Chance und begannen mit E<strong>in</strong>geständnissen.<br />

Persönli<strong>ch</strong>er Standpunkt wurde wi<strong>ch</strong>tig. (...) 3. Die Politik und Persönli<strong>ch</strong>keit Gorbats<strong>ch</strong>ows weckte<br />

e<strong>in</strong>e Welle der Sympathie. (...).“ Bekanntli<strong>ch</strong> wurde die Perestrojka von der DDR-Führung abgelehnt.<br />

„Das Beharren hatte e<strong>in</strong>e Konsequenz: Viele Jugendli<strong>ch</strong>e verabs<strong>ch</strong>iedeten si<strong>ch</strong> <strong>in</strong> jenen Jahren mental<br />

von der DDR.“ Viele Jugendli<strong>ch</strong>e verliessen damals die DDR, und <strong>in</strong> den Eo-Organisationen anderer<br />

sozialistsi<strong>ch</strong>er Länder war e<strong>in</strong>e Demokratisierung im Gang. 147<br />

Wenig von all diesen Veränderungen war <strong>in</strong> der esperantist zu spüren. Die Redaktion<br />

verharrte auf offiziellem DDR-Kurs und dürfte dem <strong>ganz</strong>en unheimli<strong>ch</strong>en Treiben wohl <strong>in</strong>teressiert<br />

zuges<strong>ch</strong>aut haben.<br />

Mit Nr. 6 bzw. 158 148 g<strong>in</strong>g 1989 die eigentli<strong>ch</strong>e DDR-Serie von der esperantist zu Ende. 149 In<br />

den letzten Ausgaben wurde der ideologis<strong>ch</strong>e Ballast das GDREA-Organs unter dem Druck der<br />

145 Was <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> erwähnt wurde, war, dass <strong>in</strong>zwis<strong>ch</strong>en Tausende von DDR-Bürgern aus ihrem Land geflü<strong>ch</strong>tet waren und e<strong>in</strong>e<br />

enorme Lücke im Arbeitsmarkt der DDR h<strong>in</strong>terlassen hatten. Alle<strong>in</strong> 1989 verliessen die DDR 348’000 Personen, e<strong>in</strong><br />

Grossteil davon, na<strong>ch</strong>dem Ungarn am 10.9. se<strong>in</strong>e Grenzen geöffnet hatte, um die Flu<strong>ch</strong>twilligen ausreisen zu lassen.<br />

146 N.S. Kuznecov, neben A.D. Duličenko der wohl profilierteste sowjetis<strong>ch</strong>e (und heute aber methodologis<strong>ch</strong> veraltete)<br />

Interl<strong>in</strong>guist, der <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Bü<strong>ch</strong>ern im Wesentli<strong>ch</strong>en ohne Ideologie auskam, wurde <strong>in</strong> D. Blankes Bu<strong>ch</strong> ‚Internationale<br />

<strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>’ (1985) dem Strukturalismus zugeordnet, der ideologis<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> lupenre<strong>in</strong> war und mit dem der Autor folgli<strong>ch</strong><br />

wohl selbst <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>s anzufangen wusste.<br />

147 1989 gab es no<strong>ch</strong> die Idee e<strong>in</strong>es TEJO-Kongresses <strong>in</strong> der DDR für 1995.<br />

148 Das erste Mal wurde <strong>in</strong> dieser Ausgabe von der esperantist, die also na<strong>ch</strong> dem Mauerfall ers<strong>ch</strong>ien, das Bullet<strong>in</strong> Tejotutmonde!<br />

erwähnt. Das als offizielles Organ von TEJO herausgegebene Blätt<strong>ch</strong>en, das immer wieder au<strong>ch</strong> über <strong>Esperanto</strong>-<br />

Aktivitäten <strong>in</strong> der DDR beri<strong>ch</strong>tete, wurde <strong>in</strong> den 80ern vom Verfasser der vorliegenden Darstellung redigiert. Tejo-tutmonde!<br />

wurde regelmässig au<strong>ch</strong> <strong>in</strong> die DDR ges<strong>ch</strong>ickt, au<strong>ch</strong> an private Adressen; ab und zu kam der Ums<strong>ch</strong>lag samt Inhalt mit<br />

entspre<strong>ch</strong>endem Post- oder Zollstempel der DDR an den (S<strong>ch</strong>weizer) Absender zurück.<br />

149 Dana<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>ienen bis 1991 no<strong>ch</strong> 6 Ausgaben, die vor allem der – politis<strong>ch</strong>-ideologis<strong>ch</strong> gesäuberten –<br />

Vergangenheitsbewältigung meist im S<strong>in</strong>ne der Bes<strong>ch</strong>önigung der GDREA-Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te dienten (s. Annex). I<strong>ch</strong> gehe an dieser<br />

Stelle darauf <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mehr e<strong>in</strong>. Bezei<strong>ch</strong>nenderweise s<strong>in</strong>d diese Ausgaben <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mehr auf der CD enthalten, die die Nummern 1-<br />

67


politis<strong>ch</strong>en Ereignisse spürbar aufgewei<strong>ch</strong>t. Aber es war zu spät. Die Berl<strong>in</strong>er Mauer ‚fiel’ na<strong>ch</strong> über<br />

28 Jahren der Existenz <strong>in</strong> der Na<strong>ch</strong>t des 9. auf den 10. November 1989, na<strong>ch</strong>dem Günther S<strong>ch</strong>abowski<br />

plötzli<strong>ch</strong> die generelle Ausreiseerlaubnis für die DDR-Bürger verkündet hatte. Dies läutete au<strong>ch</strong> das<br />

baldige Ende der DDR e<strong>in</strong>, die si<strong>ch</strong> am 3. Oktober 1990 auflöste und dur<strong>ch</strong> Beitritt zur BRD zu e<strong>in</strong>em<br />

neuen Gesamtdeuts<strong>ch</strong>land vere<strong>in</strong>igte. In dieser Konsequenz vere<strong>in</strong>igte si<strong>ch</strong> am 19.5.1991 auf dem 69.<br />

Deuts<strong>ch</strong>en <strong>Esperanto</strong>-Kongress <strong>in</strong> Mün<strong>ch</strong>en au<strong>ch</strong> die GDREA mit dem Deuts<strong>ch</strong>en <strong>Esperanto</strong>-Bund<br />

(DEB/GEA). Nur wenige GDREA-Mitglieder hatten si<strong>ch</strong> dem DEB anges<strong>ch</strong>lossen. 150<br />

E<strong>in</strong>e gesäuberte “Skizze der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des <strong>Esperanto</strong>-Verbandes der Deuts<strong>ch</strong>en Demokratis<strong>ch</strong>en<br />

Republik” ers<strong>ch</strong>ien als deuts<strong>ch</strong>e Übersetzung von Ino Kolbe der erweiterten <strong>Esperanto</strong>-Fassung aus<br />

der esperantist 164, 6/1991.<br />

Abs<strong>ch</strong>luss<br />

E<strong>in</strong>e Kurzzusammenfassung der Realität der ideologis<strong>ch</strong>-politis<strong>ch</strong>en Redaktionspolitik von der<br />

esperantist ergibt folgendes Bild:<br />

60er Jahre: Atmosphäre war geprägt von e<strong>in</strong>em aggressiven Ton der Diffamierungskampagne<br />

gegenüber der BRD. Verherrli<strong>ch</strong>ung des Antifas<strong>ch</strong>ismus, harter und zunehmend autoritärer Kurs unter<br />

Rudi Graetz.<br />

70er Jahre: Politis<strong>ch</strong>-Ideologis<strong>ch</strong>er Fanatismus im S<strong>in</strong>ne der Forderung, dass die Eo-<br />

Bewegung <strong>in</strong> der DDR auf die Grundlage des Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus zu stellen sei,<br />

Re<strong>ch</strong>tfertigungsstress <strong>in</strong> der Eo-Bewegung gegenüber dem Staat, unermüdli<strong>ch</strong>e Demonstration<br />

parteili<strong>ch</strong>en Kadavergehorsams und der übermässigen Nibelungentreue. Kulturbund wurde als<br />

politis<strong>ch</strong>e Heimstätte für die Esperantisten ho<strong>ch</strong>stilisiert. Die primitive und aggressive Abhandlung<br />

dieser Themen, wie es no<strong>ch</strong> <strong>in</strong> den 60er Jahren der Fall war, wurde <strong>in</strong> den 70ern <strong>in</strong> der esperantist<br />

dur<strong>ch</strong> zunehmend professionellere, aber <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> weniger ideologis<strong>ch</strong> Diktion, teilweise bis zum<br />

Nonsense erstarrt, ersetzt. E<strong>in</strong> gutes Beispiel dafür ist der Titeltext <strong>in</strong> der esperantist 49/1971. <strong>Der</strong><br />

psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Druck gegenüber Esperantisten, die dem Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> folgten, die den<br />

Interl<strong>in</strong>guistik-Ma<strong>in</strong>stream’ <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mitma<strong>ch</strong>ten, wurde erhöht, die Drohgebärden gegenüber<br />

Andersdenkenden, „stranguloj und fantaziuloj“ und „sektiereris<strong>ch</strong>en Tendenzen“ verstärkt. Blanke<br />

stieg zum Chefideologen, Oberesperantisten und hauptamtli<strong>ch</strong>en Zentralsekretär, ja zum ‚starken<br />

Mann’ auf, der den ideologis<strong>ch</strong>en Ton vorgibt und sagt, was gut und s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t ist, wie es se<strong>in</strong> soll und<br />

wie es <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> se<strong>in</strong> soll (e<strong>in</strong>e Abart der Indoktr<strong>in</strong>ation). Bestätigung der Parteil<strong>in</strong>ie au<strong>ch</strong> unter<br />

Hahlbohm. Verstärkung der DDR-Propaganda, der Kriegsangsthysterie und der antiimperialistis<strong>ch</strong>en<br />

Polemik, Ostblocktreue, Johannes-R.-Be<strong>ch</strong>erkult, Vietnamsolidarität, Verdammung Israels und des<br />

Chileputs<strong>ch</strong>s, dies jedo<strong>ch</strong> alles e<strong>in</strong>seitig mit propagandistis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>lagworten und hohlen Phrasen,<br />

ohne die objektiven Vorgänge auszuleu<strong>ch</strong>ten.<br />

80er Jahre: Konsolidierungsphase, politis<strong>ch</strong>-ideologis<strong>ch</strong>er Druck gegen ‚Abwei<strong>ch</strong>ler’ oder<br />

‚Andersdenkende’ s<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>t lei<strong>ch</strong>t abzunehmen, der Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus als Prämisse vers<strong>ch</strong>w<strong>in</strong>det<br />

langsam von der Propagandaszene. S<strong>ch</strong>wierigkeiten der DDR-Volkswirts<strong>ch</strong>aft werden erstmals<br />

angedeutet (s<strong>ch</strong>uldig waren aber die anderen). Ermüdungsers<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>ungen und organisatoris<strong>ch</strong>e<br />

Überforderung waren <strong>in</strong> der GDREA zu erkennen, denno<strong>ch</strong> sollte dur<strong>ch</strong> die Gründung der GDREA<br />

bei glei<strong>ch</strong>zeitiger Aufwertung des formellen Status der Eo-Bewegung <strong>in</strong>nerhalb des Kulturbunds (im<br />

158 umfasst. Wie man bei Bendias, S. 251, liest, spendeten Mitglieder <strong>in</strong>sgesamt 20’000 Mark an GDREA, um die<br />

Zeits<strong>ch</strong>rift der esprantist zu si<strong>ch</strong>ern.<br />

150 Ca. 20%. 1992 kamen nur 10% der DEB-Mitglieder aus dem Beitrittsgebiet (Bendias, S. 251). <strong>Der</strong> Kulturbund blieb<br />

übrigens weiter bestehen. Warum so wenige dem DEB beitreten wollten ist unklar. In e<strong>in</strong>em Interview mit Internaciisto<br />

(<strong>Esperanto</strong>-Kommunisten), Nr. 1/1994, S. 3, sagte D. Blanke, er selbst sei wenig begeistert vom Ans<strong>ch</strong>luss der e<strong>in</strong>stmals<br />

„eigenständigen“ GDREA an den DEB gewesen. Er selbst habe ke<strong>in</strong>e Führungspositionen <strong>in</strong> dem vere<strong>in</strong>igten DEB<br />

angestrebt (er publizierte aber weiterh<strong>in</strong> häufig im Vere<strong>in</strong>sorgan <strong>Esperanto</strong> aktuell). E<strong>in</strong>ige GDREA-Mitglieder s<strong>ch</strong>lossen<br />

si<strong>ch</strong> der neugegründeten Gesells<strong>ch</strong>aft für Interl<strong>in</strong>guistik e.V. an, die von D. Blanke geleitet wurde. (s. Blanke, D.: 20 Jahre<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft für Interl<strong>in</strong>guistik e.V. – Ergebnisse und Probleme. In: Fiedler, Sab<strong>in</strong>e (Hrsg.): Spra<strong>ch</strong>erf<strong>in</strong>dung und ihre Ziele.<br />

Beiträge der 20. Jahrestagung der Gesells<strong>ch</strong>aft für Interl<strong>in</strong>guistik e.V., 26.-28. November 2010, <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>. Berl<strong>in</strong>:<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft für Interl<strong>in</strong>guistik e.V. (GIL) 2011.<br />

68


Zuge der analogen Aufwertung anderer Arbeitskreise des DKB) e<strong>in</strong> Neuaufs<strong>ch</strong>wung erwirkt werden.<br />

Vermehrt Beiträge über die Eo-Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te; stal<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>e Verbre<strong>ch</strong>en müssen aber no<strong>ch</strong> immer<br />

vers<strong>ch</strong>wiegen werden. 151 November 1989 Kollaps der DDR-Führung.<br />

Die politis<strong>ch</strong>e, ideologis<strong>ch</strong>e, gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e und wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Entwicklung und die<br />

gewesenen Verhältnisse <strong>in</strong> der DDR s<strong>in</strong>d allgeme<strong>in</strong> bekannt, wurden <strong>in</strong> Deuts<strong>ch</strong>land national – und<br />

<strong>in</strong>ternational – diskutiert und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er umfangrei<strong>ch</strong>en Fa<strong>ch</strong>literatur auf- und verarbeitet; sie brau<strong>ch</strong>en<br />

an dieser Stelle also <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> no<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>mal erörtert zu werden. Was die DDR betrifft, gibt es kaum etwas<br />

zu Bes<strong>ch</strong>önigen, wie dies ansatzweise vom Post-SED-Lager und der LINKEN aus praktiziert wurde;<br />

beim Wuns<strong>ch</strong>, die DDR teilweise wieder zurückzaubern zu wollen, war meist damit verbunden, dass<br />

die s<strong>ch</strong>limmen Probleme, mit der die DDR <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> fertig geworden war, zu übersehen. Diese Haltung ist<br />

au<strong>ch</strong> für gewisse <strong>Esperanto</strong>-Kreisen der Ex-DDR <strong>ch</strong>arakteristis<strong>ch</strong>. Aus dem Traum, dass si<strong>ch</strong> die DDR<br />

zum Modell und S<strong>ch</strong>aufenster des gesamten Sozialismus entwickeln sollte, wurde <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>s. Was etwa<br />

die Wirts<strong>ch</strong>aft betraf, herrs<strong>ch</strong>te <strong>in</strong> der DDR die glei<strong>ch</strong>e Dauerkrise wie <strong>in</strong> den anderen Ländern, die am<br />

Ende zum Bankrott dieses Staates führte.<br />

Was die marxistis<strong>ch</strong>-len<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>e Rhetorik betrifft, muss man mit Wolfgang Leonhard (Das<br />

kurze Leben der DDR, S. 118) sagen, dass die Lehren von Marx von den SED-Ma<strong>ch</strong>thabern nur als<br />

dogmatis<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>tfertigung für ihr eigenes Unterdrückungssystem genutzt wurde. Diese wurden au<strong>ch</strong><br />

von der staatli<strong>ch</strong>en <strong>Esperanto</strong>-Organisationen der DDR und des übrigen Ostblocks mit allen<br />

Konsequenzen eifrig und voll bewusst e<strong>in</strong>gesetzt und unterstützt, um die Esperantisten im Zaun zu<br />

halten.<br />

Zur Rolle der Medien und der Intellektuellen <strong>in</strong> der DDR f<strong>in</strong>de i<strong>ch</strong> die Charakterisierung von<br />

Udo Leus<strong>ch</strong>ner zutreffend, der die Probleme m.E. e<strong>in</strong>gängig bes<strong>ch</strong>rieben hat:<br />

„In der ehemaligen DDR gab es - wie <strong>in</strong> anderen ‚realsozialistis<strong>ch</strong>en’ Ländern - ke<strong>in</strong>en<br />

funktionierenden Markt, weder für den Berei<strong>ch</strong> der materiellen Produktion no<strong>ch</strong> für geistige<br />

Erzeugnisse. (...) E<strong>in</strong>zige Effizienz-Kontrolle war der unbed<strong>in</strong>gte Wille zur Ma<strong>ch</strong>terhaltung der Partei,<br />

der freili<strong>ch</strong> viel zu kurzsi<strong>ch</strong>tig war, um dieses Ziel langfristig si<strong>ch</strong>ern zu können. (...) Sie garantierte<br />

ledigli<strong>ch</strong>, dass es <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> zum Bankrott von Teilberei<strong>ch</strong>en kam, bevor das <strong>ganz</strong>e System<br />

heruntergewirts<strong>ch</strong>aftet war. Sie potenzierte zuglei<strong>ch</strong> die geistige Bes<strong>ch</strong>ränktheit und Spiessigkeit der<br />

herrs<strong>ch</strong>enden Clique, <strong>in</strong>dem sie Prämien für bed<strong>in</strong>gungslose Anpassung mit unerbittli<strong>ch</strong>er Verfolgung<br />

alles Ni<strong>ch</strong>tkonformen verband. Partei und Staat traten den Werktätigen, die sie angebli<strong>ch</strong><br />

repräsentierten, als e<strong>in</strong>e von ihrem privaten Fühlen, Denken und Handeln grundvers<strong>ch</strong>iedene Instanz<br />

gegenüber. Gerade der Anspru<strong>ch</strong>, die grosse Masse der Werktätigen so unmittelbar zu repräsentieren<br />

wie ke<strong>in</strong>e andere Führung zuvor, begründete e<strong>in</strong>e radikale Trennung von öffentli<strong>ch</strong>er und privater<br />

Sphäre. Es gab glei<strong>ch</strong>sam zwei Spra<strong>ch</strong>en, je na<strong>ch</strong>dem ob si<strong>ch</strong> der Bürger im privatimen Kreis oder <strong>in</strong><br />

der ritualisierten Öffentli<strong>ch</strong>keit des Partei- und Staatsjargons bewegte. Dieser Konflikt belastete<br />

naturgemäss besonders Lehrer, Akademiker und Kader aller Ränge, denen e<strong>in</strong> aktives Bekenntnis zur<br />

bestehenden Ordnung abverlangt wurde. Die Bekundung e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>dividuellen Dissenses war ihnen nur<br />

<strong>in</strong> äusserst engen Grenzen gestattet, wenn sie <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> ihre Karriere und mehr aufs Spiel setzen wollten.<br />

Dagegen hatte der e<strong>in</strong>fa<strong>ch</strong>e Werktätige relativ wenig zu befür<strong>ch</strong>ten, wenn er se<strong>in</strong>e Unzufriedenheit<br />

dur<strong>ch</strong> ‚Meckern’ zum Ausdruck bra<strong>ch</strong>te. Es gehörte zu den verhängnisvollen Ant<strong>in</strong>omien des real<br />

existierenden Sozialismus, dass er gerade die <strong>in</strong>telligente und kompetente Kritik verpönte. Gemäss<br />

dem Dogma, dass es im Sozialismus nur ‚<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>antagonistis<strong>ch</strong>e Widersprü<strong>ch</strong>e"’ gebe, wurde allenfalls<br />

affirmative Kritik geduldet. Die tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> vorhandenen Antagonismen wurden so geleugnet und<br />

unter den Teppi<strong>ch</strong> gekehrt, bis au<strong>ch</strong> der Teppi<strong>ch</strong> zu kle<strong>in</strong> geworden war. In der Medienpolitik der<br />

DDR führte diese <strong>in</strong>stitutionalisierte Heu<strong>ch</strong>elei zu der absurden Situation, dass die Information des<br />

Bürgers aus anderen, nämli<strong>ch</strong> westli<strong>ch</strong>en Quellen bereits vorausgesetzt wurde. Den eigenen Medien<br />

oblag im wesentli<strong>ch</strong>en nur no<strong>ch</strong> die Aufgabe, dem Parteigenossen und Bürger zu signalisieren, was<br />

151 Wie Blanke <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er S<strong>ch</strong>rift ‚Movado sur la alia flanko’, 2004, S. 52, s<strong>ch</strong>rieb „sammelten wir allerlei mögli<strong>ch</strong>es Material“<br />

zum tabuisierten Thema der Verfolgung der Esperantisten unter Stal<strong>in</strong>, „um vor e<strong>in</strong>er Wiederholung der s<strong>ch</strong>weren Fehler und<br />

Verbre<strong>ch</strong>er der Vergangenheit zu warnen (Esp. averti)“. E<strong>in</strong>e ernsthafte und ehrli<strong>ch</strong>e Aufarbeitung der Vergangenheit f<strong>in</strong>det<br />

<strong>in</strong> dieser Publikation aber <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> statt. Aber viellei<strong>ch</strong>t erwartet man von sol<strong>ch</strong>en Autoren, die tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ‚von e<strong>in</strong>er anderen<br />

Seite’ herstammen, e<strong>in</strong>fa<strong>ch</strong> zu viel des Guten. In e<strong>in</strong>em Interview mit Bendias (2011) sagte Blanke aus, dass es als<br />

antisowjetis<strong>ch</strong>e Haltung ausgelegt worden wäre, die stal<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>en Verfolgungen des <strong>Esperanto</strong> zu thematisieren.<br />

69


offizieller Gesprä<strong>ch</strong>sstoff war und was besser im H<strong>in</strong>terkopf zu bleiben hatte. - E<strong>in</strong>e<br />

Bewusstse<strong>in</strong>sspaltung, die Zynismus und Servilismus bewirken musste. (...) Angesi<strong>ch</strong>ts der<br />

notoris<strong>ch</strong>en Langweiligkeit, Unglaubwürdigkeit und Ineffizienz der DDR-Medien, die 1989 zum<br />

Offenbarungseid führte, brau<strong>ch</strong>t die ‚Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>keit’ dieses Konzeptes <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> weiter ad absurdum<br />

geführt zu werden. Interessanter dürfte se<strong>in</strong>, dass es au<strong>ch</strong> mit der marxistis<strong>ch</strong>en Denkweise, auf die es<br />

si<strong>ch</strong> berief, <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> viel zu tun hatte. Es g<strong>in</strong>g zwar vordergründig von der Marxs<strong>ch</strong>en Feststellung aus,<br />

dass das herrs<strong>ch</strong>ende Bewusstse<strong>in</strong> stets das Bewusstse<strong>in</strong> der herrs<strong>ch</strong>enden Klasse ist. Es verfäls<strong>ch</strong>te<br />

diesen objektiven Sa<strong>ch</strong>verhalt jedo<strong>ch</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Art Vers<strong>ch</strong>wörungstheorie, wona<strong>ch</strong> die Angehörigen der<br />

herrs<strong>ch</strong>enden Klassen bzw. ihre Handlanger mit grosser Bewusstheit und Raff<strong>in</strong>esse die Medien zur<br />

geistigen Unterdrückung der Massen missbrau<strong>ch</strong>en. Es wurden also <strong>in</strong> der bekannten stal<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>ekistis<strong>ch</strong>en<br />

Manier objektive gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Faktoren subjektiv zure<strong>ch</strong>enbar gema<strong>ch</strong>t. (...) Die<br />

DDR-Medienlenkung bediente si<strong>ch</strong> ähnli<strong>ch</strong>er Instrumente, wie sie zuvor der Nationalsozialismus zur<br />

‚Glei<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>altung’ und zentralen Steuerung der Medien verwendet hatte. Beispielsweise mussten si<strong>ch</strong><br />

die Chefredakteure der SED-Presse e<strong>in</strong>mal wö<strong>ch</strong>entli<strong>ch</strong> im ‚Grossen Haus’ des SED-Zentralkomitees<br />

e<strong>in</strong>f<strong>in</strong>den, um dort - analog den tägli<strong>ch</strong>en Befehlsausgaben dur<strong>ch</strong> Goebbels - die neusten<br />

Spra<strong>ch</strong>regelungen der Partei <strong>in</strong> Empfang zu nehmen. <strong>Der</strong> dafür zuständige Leiter der Abteilung<br />

Agitation und Propaganda hiess zuletzt He<strong>in</strong>z Geggel - von den Journalisten h<strong>in</strong>ter vorgehaltener<br />

Hand au<strong>ch</strong> ‚Geggels’ genannt. (...)“ Usw. 152<br />

Diese Charakterisierung s<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>t <strong>in</strong> besonderem Masse au<strong>ch</strong> auf die Lage von der esperantist,<br />

e<strong>in</strong>em loyalen SED-Spra<strong>ch</strong>rohr für <strong>Esperanto</strong> und Interl<strong>in</strong>guistik, zuzutreffen.<br />

Was die politis<strong>ch</strong>e Situation <strong>in</strong> der DDR anbelangt, darf man auf die Bü<strong>ch</strong>er und Artikel von<br />

Autoren wie Robert Havemann, Walter Janka, Rudolf Bahro, Rolf Henri<strong>ch</strong> (DDR), Leszek<br />

Kołakowski, Adam Zagajewski und Adam Mi<strong>ch</strong>nik (PL), Václav Havel (CS), Alexander Z<strong>in</strong>ov’ev<br />

(SU), Wolfgang Leonhard (D) u.a. h<strong>in</strong>weisen, die wie niemand anderer den perversen Charakter des<br />

realen Sozialismus aufzeigten haben und tiefgründig zu erfassen verstanden. 153<br />

Adam Zagajewski hat das Wesen des Stal<strong>in</strong>ismus wie folgt auf den Punkt gebra<strong>ch</strong>t:<br />

„Die Ethik, die von den Kommunisten verkündet wird, ist verworren und brutal; sie stellt den<br />

Anspru<strong>ch</strong>, die Gegenwart für das Wohl e<strong>in</strong>er nebulösen Zukunft zu opfern; sie beruft si<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> auf die<br />

fassbare Realität des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Individuums, sondern auf die Forderungen e<strong>in</strong>er grossen<br />

gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Gruppe. Die Abstraktheit dieser ethis<strong>ch</strong>en Gebote ermögli<strong>ch</strong>t es, alle Verbre<strong>ch</strong>en zu<br />

re<strong>ch</strong>tfertigen, erlaubt es, den Ar<strong>ch</strong>ipel Gulag zu tolerieren. Die Anstrengungen, den Stal<strong>in</strong>ismus zu<br />

überw<strong>in</strong>den, se<strong>in</strong>e Ursa<strong>ch</strong>e zu analysieren, war zu bes<strong>ch</strong>eiden, um die kommunistis<strong>ch</strong>e Ethik<br />

re<strong>in</strong>zuwas<strong>ch</strong>en. Die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass Kommunisten andere Kommunisten getötet haben, hat mehr<br />

Entsetzen verursa<strong>ch</strong>t, als dass Kommunisten überhaupt gemordet haben.“<br />

Adam Zagajewski fügte dem das Folgende h<strong>in</strong>zu:<br />

„<strong>Der</strong> Kommunismus wollte den neuen Mens<strong>ch</strong>en ers<strong>ch</strong>affen, e<strong>in</strong>en Mens<strong>ch</strong>en mit e<strong>in</strong>er neuen<br />

Moral, mit anderem geistigen Antlitz, der frei wäre von Gew<strong>in</strong>nsu<strong>ch</strong>t und Ma<strong>ch</strong>tgier. So verkündete<br />

er. Was er hervorgebra<strong>ch</strong>t, war <strong>in</strong>dessen der Typus homo sovieticus, der dur<strong>ch</strong> Lüge demoralisierte,<br />

zum Funktionären abgeri<strong>ch</strong>tete, dur<strong>ch</strong> das tägli<strong>ch</strong>e Leben <strong>in</strong> Lug und Trug erniedrigte Mens<strong>ch</strong>. (...)“ 154<br />

Auf die Beziehung zwis<strong>ch</strong>en Kommunistis<strong>ch</strong>er Partei und Intellektuellen wies L. Kołakowski<br />

bereits <strong>in</strong> den 70er Jahren <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en ‚Hauptströmungen des Marxismus’ auf den folgenden Umstand<br />

h<strong>in</strong>:<br />

„<strong>Der</strong> Marxismus, jahrzehntelang als ideologis<strong>ch</strong>er Überbau e<strong>in</strong>er totalitären politis<strong>ch</strong>en<br />

Bewegung tiefgekühlt und erstarrt, hat den Kontakt mit der <strong>in</strong>tellektuellen Entwicklung, die <strong>in</strong> dieser<br />

Zeit stattgefunden hat, wie mit den gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Realitäten, verloren. Die Hoffnung, dass er zum<br />

Leben erweckt und wieder fru<strong>ch</strong>tbar würde, erwies si<strong>ch</strong> als flü<strong>ch</strong>tig und eitel. Als System von<br />

Erklärungen ist er tot; er enthält au<strong>ch</strong> ke<strong>in</strong>erlei Methode, mit der si<strong>ch</strong> das gegenwärtige Leben, die<br />

152 S. http://www.udo-leus<strong>ch</strong>ner.de/medien/ddrpresse.htm.<br />

153 M.W. wurden die Texte dieser Autoren <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> <strong>in</strong>s <strong>Esperanto</strong> übersetzt.<br />

154 S. Zagajewski, A.: Polen. Staat im S<strong>ch</strong>atten der Sowjetunion. 1981. S. 68f.<br />

70


Zukunftserwartungen oder utopis<strong>ch</strong>e Projektionen wirksam <strong>in</strong>terpretieren liessen. Die moderne<br />

marxistis<strong>ch</strong>e Literatur, quantitativ überaus ansehnli<strong>ch</strong>, ma<strong>ch</strong>t e<strong>in</strong>en deprimierenden E<strong>in</strong>druck von<br />

Sterilität und Kraftlosigkeit, <strong>ganz</strong> zu s<strong>ch</strong>weigen von den historis<strong>ch</strong>en Beiträgen.“ 155<br />

Was Wuns<strong>ch</strong>traum und Wirkli<strong>ch</strong> des Kommunismus betrifft, hielt der ho<strong>ch</strong><strong>in</strong>teressante<br />

sowjetrussis<strong>ch</strong>e Logiker und Kommunist Al. S<strong>in</strong>owjew Anfang der 80er Jahre <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bu<strong>ch</strong><br />

‚Kommunismus als Realität’ das Folgende fest:<br />

„Die Ideale des Kommunismus s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Sowjetunion und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Reihe von anderen<br />

Ländern vollständig realisiert worden. Aber diese Realität hat si<strong>ch</strong> als do<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> <strong>ganz</strong> so s<strong>ch</strong>ön<br />

erwiesen, wie man es früher erträumt und vorausgesetzt hatte. Die Realität des Kommunismus bra<strong>ch</strong>te<br />

Probleme, Gegensätze und Missstände hervor, die <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> weniger ausgeprägt waren als diejenigen, die<br />

se<strong>in</strong>erzeit die Ideale des Kommunismus hervorgebra<strong>ch</strong>t hatten und die er hätte überw<strong>in</strong>den sollen. Die<br />

Realität des Kommunismus hat erwiesen, dass die Ausbeutung der e<strong>in</strong>en Mens<strong>ch</strong>en dur<strong>ch</strong> die anderen<br />

sowie vers<strong>ch</strong>iedene Formen von sozialer und wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Unglei<strong>ch</strong>heit im Kommunismus <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong><br />

aufgehoben werden, sondern nur ihre Gestalt ändern und si<strong>ch</strong> <strong>in</strong> man<strong>ch</strong>er Beziehung no<strong>ch</strong><br />

verstärken.“ 156<br />

Über den Charakter der Ideologie des Stal<strong>in</strong>ismus hielt der US-Diplomat und Kommunismus-<br />

Kenner George F. Kennan <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Memoiren das Folgende fest (dtv 4/1983, S. 78):<br />

„(...) Die Ideologie ma<strong>ch</strong>te mi<strong>ch</strong> nur ärgerli<strong>ch</strong>. Für mi<strong>ch</strong> war sie e<strong>in</strong>e Pseudowissens<strong>ch</strong>aft<br />

voller erfundener Helden und Bösewi<strong>ch</strong>ter; und so sehr i<strong>ch</strong> an den sowjetis<strong>ch</strong>en Führern den Mut, die<br />

Ents<strong>ch</strong>lossenheit und den politis<strong>ch</strong>en Ernst bewunderte, so sehr empfand i<strong>ch</strong> Ekel für die anderen<br />

Seiten ihrer politis<strong>ch</strong>en Persönli<strong>ch</strong>keit: ihren zur S<strong>ch</strong>au getragenen Hass und ihre Verwerfung grosser<br />

Gruppen von Mens<strong>ch</strong>en, ihre endlosen Grausamkeiten, ihren Anspru<strong>ch</strong> auf Unfehlbarkeit, ihren<br />

Opportunismus und die Gewissenlosigkeit ihrer Methoden, ihre Ger<strong>in</strong>gs<strong>ch</strong>ätzung der <strong>Wahrheit</strong>, ihre<br />

vers<strong>ch</strong>wöreris<strong>ch</strong>e Geheimtuerei, und vor allem anderen die Ma<strong>ch</strong>tgier, die so oft und so offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />

h<strong>in</strong>ter ihren s<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>bar erhabenen ideologis<strong>ch</strong>en Überzeugungen lauerte.“<br />

Wie ke<strong>in</strong> anderer Systemkritiker hat Václav Havel die skrupellosen Ma<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>aften, Lügen<br />

und Täus<strong>ch</strong>ungen des kommunistis<strong>ch</strong>en Systems entlarvt und mit zutreffenden Beispielen konkret<br />

bes<strong>ch</strong>rieben, so wie im Essay ‚Versu<strong>ch</strong>, <strong>in</strong> der <strong>Wahrheit</strong> zu leben’ (1978, dt. rororo 1989):<br />

„Das posttotalitäre 157 System verfolgt mit se<strong>in</strong>en Ansprü<strong>ch</strong>en den Mens<strong>ch</strong>en fast auf S<strong>ch</strong>ritt<br />

und Tritt. Es verfolgt ihn freili<strong>ch</strong> <strong>in</strong> ideologis<strong>ch</strong>en Hands<strong>ch</strong>uhen. Deshalb ist das Leben <strong>in</strong> diesem<br />

System von e<strong>in</strong>em Gewerbe der Heu<strong>ch</strong>elei und Lüge dur<strong>ch</strong>setzt: Die Ma<strong>ch</strong>t der Bürokratie wird Ma<strong>ch</strong>t<br />

des Volkes genannt; im Namen der Arbeiterklasse wird die Arbeiterklasse versklavt; die<br />

allumfassende Demütigung des Mens<strong>ch</strong>en wird für se<strong>in</strong>e def<strong>in</strong>itive Befreiung ausgegeben; Isolierung<br />

von der Information wird für den Zugang zur Information ausgegeben; die Manipulierung dur<strong>ch</strong> die<br />

Ma<strong>ch</strong>t nennt si<strong>ch</strong> öffentli<strong>ch</strong>e Kontrolle der Ma<strong>ch</strong>t, und die Willkür nennt si<strong>ch</strong> die E<strong>in</strong>haltung der<br />

Re<strong>ch</strong>tsordnung; die Unterdrückung der Kultur wird als ihre Entwicklung gepriesen; die Ausbreitung<br />

des imperialen E<strong>in</strong>flusses wird für Unterstützung der Unterdrückung ausgegeben; Unfreiheit des<br />

Wortes für die hö<strong>ch</strong>ste Form der Freiheit; die Wahlposse für die hö<strong>ch</strong>ste Form der Demokratie; Verbot<br />

des unabhängigen Denkens für die wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>ste Weltans<strong>ch</strong>auung; Okkupation für brüderli<strong>ch</strong>e<br />

Hilfe. Die Ma<strong>ch</strong>t muss fäls<strong>ch</strong>en, weil sie <strong>in</strong> eigenen Lügen gefangen ist. Sie fäls<strong>ch</strong>t die Vergangenheit,<br />

die Gegenwart und die Zukunft. Sie fäls<strong>ch</strong>t statistis<strong>ch</strong>e Daten. Sie täus<strong>ch</strong>t vor, dass sie ke<strong>in</strong>en<br />

allmä<strong>ch</strong>tigen und zu allem fähigen Polizeiapparat hat, sie täus<strong>ch</strong>t vor, dass sie die Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te<br />

respektiert, sie täus<strong>ch</strong>t vor, dass sie niemanden verfolgt, sie täus<strong>ch</strong>t vor, dass sie ke<strong>in</strong>e Angst hat, sie<br />

täus<strong>ch</strong>t vor, dass sie <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>s vortäus<strong>ch</strong>t.“<br />

„<strong>Der</strong> Mens<strong>ch</strong> wird [<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em sol<strong>ch</strong>en posttotalitären System] zum Leben <strong>in</strong> Lüge gezwungen,<br />

kann aber nur deshalb dazu gezwungen werden, weil er imstande ist, so zu leben. Ni<strong>ch</strong>t nur, dass das<br />

System den Mens<strong>ch</strong>en entfremdet – der entfremdete Mens<strong>ch</strong> stützt dieses System zuglei<strong>ch</strong> als e<strong>in</strong>e<br />

unwillkürli<strong>ch</strong>e Projektion se<strong>in</strong>es I<strong>ch</strong>s. Als erniedrigtes Bild se<strong>in</strong>er eigenen Erniedrigung. Als<br />

Dokument se<strong>in</strong>es Versagens.“<br />

155 Zagajewski, ebd. S. 83f.<br />

156 Al. S<strong>in</strong>owjew: Kommunismus als Realität. Diogenes 1981. S. 36f.<br />

157 Bei „posttotalitären“ Systemen bezog si<strong>ch</strong> Havel v.a. auf die kommunistis<strong>ch</strong>en Regime unter den Post-Stal<strong>in</strong>isten à la<br />

Novotny/Husak, Ulbri<strong>ch</strong>t/Honecker, Gomulka, Breznev u.ä.<br />

71


„Da das ‚Leben <strong>in</strong> Lüge’ die Grundstütze des Systems ist, ist es ke<strong>in</strong> Wunder, dass das ‚Leben<br />

<strong>in</strong> <strong>Wahrheit</strong>’ e<strong>in</strong>e Grundbedrohung für das System bedeutet, Deshalb muss es härter verfolgt werden<br />

als alles andere.“<br />

„In den Gesells<strong>ch</strong>aften des posttotalitären Systems ist jegli<strong>ch</strong>es politis<strong>ch</strong>es Leben im<br />

traditionellen S<strong>in</strong>ne des Wortes ausgerottet.. Die Mens<strong>ch</strong>en haben ke<strong>in</strong>e Mögli<strong>ch</strong>keit, si<strong>ch</strong> öffentli<strong>ch</strong><br />

zu äussern, ges<strong>ch</strong>weige denn, si<strong>ch</strong> politis<strong>ch</strong> zu organisieren. Die Lücke, die dadur<strong>ch</strong> entsteht, wird voll<br />

mit dem ideologis<strong>ch</strong>en Ritual gestopft. Das Interesse der Mens<strong>ch</strong>en für politis<strong>ch</strong>e Angelegenheiten<br />

wird <strong>in</strong> dieser Situation selbstverständli<strong>ch</strong> ger<strong>in</strong>ger. Das unabhängige politis<strong>ch</strong>e Denken und die<br />

politis<strong>ch</strong>e Arbeit – falls es so etwas <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>er Art überhaupt existiert – kommt den meisten<br />

Mens<strong>ch</strong>en irreal und abstrakt vor, als Spiel um des Spiels willen, was ihren harten alltägli<strong>ch</strong>en Sorgen<br />

hoffnungslos fern steht. Es ist viellei<strong>ch</strong>t sympathis<strong>ch</strong>, aber <strong>ganz</strong> überflüssig, weil es e<strong>in</strong>erseits utopis<strong>ch</strong><br />

und andererseits sehr gefährli<strong>ch</strong> ist, denn jeder Versu<strong>ch</strong> <strong>in</strong> dieser Ri<strong>ch</strong>tung wird von der<br />

gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Ma<strong>ch</strong>t besonders hart bestraft.“<br />

Da es um das Problem der <strong>Wahrheit</strong> geht, sei no<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>mal Václav Havel zitiert, der <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

Essay ‚Versu<strong>ch</strong>, <strong>in</strong> der <strong>Wahrheit</strong> zu leben’, Kap. 7, Folgendes s<strong>ch</strong>rieb: „Solange das ‚Leben <strong>in</strong> Lüge’<br />

<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mit dem ‚Leben <strong>in</strong> <strong>Wahrheit</strong>’ konfrontiert wird, gibt es ke<strong>in</strong>e Perspektive, die se<strong>in</strong>e Verlogenheit<br />

enthüllen könnte. Sobald si<strong>ch</strong> aber e<strong>in</strong>e Alternative zeigt, werden sie <strong>in</strong> ihrem Wesen, <strong>in</strong> ihrem<br />

Grundlagen und <strong>in</strong> ihrer Ganzheit bedroht.“ Dies traf auf die <strong>Esperanto</strong>-Bewegung im Ostblock zu.<br />

Anlässli<strong>ch</strong> der Verleihung des Ehrendoktors dur<strong>ch</strong> die Universität Toulouse 1984 fügte Havel<br />

zum Charakter der totalen Herrs<strong>ch</strong>aft à la Sowjetkommunismus, der au<strong>ch</strong> die politis<strong>ch</strong>e Moral <strong>in</strong> der<br />

Ts<strong>ch</strong>e<strong>ch</strong>oslowakei und den östli<strong>ch</strong>en Na<strong>ch</strong>barländern fundamental zerstört hatte, h<strong>in</strong>zu: „Es ist die<br />

totale Herrs<strong>ch</strong>aft e<strong>in</strong>er aufgeblähten, anonym bürokratis<strong>ch</strong>en, unpersönli<strong>ch</strong>en Ma<strong>ch</strong>t, ke<strong>in</strong>eswegs nur<br />

mehr unverantwortli<strong>ch</strong>, sondern s<strong>ch</strong>on ausserhalb jedes Gewissens operierend; es ist e<strong>in</strong>e Ma<strong>ch</strong>t, die<br />

auf die Allgegenwart e<strong>in</strong>er ideologis<strong>ch</strong>en Fiktion gestützt ist, die alles begründet, ohne je die <strong>Wahrheit</strong><br />

berühren zu müssen; die Ma<strong>ch</strong>t als e<strong>in</strong> Universum der Kontrolle, der Repression und der Angst; die<br />

Ma<strong>ch</strong>t, die das Denken, die Moral und das Private verstaatli<strong>ch</strong>t und also entmens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>t; die Ma<strong>ch</strong>t,<br />

die s<strong>ch</strong>on lange <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mehr e<strong>in</strong>e Angelegenheit e<strong>in</strong>er Gruppe willkürli<strong>ch</strong>er Herrs<strong>ch</strong>er ist, sondern jeden<br />

okkupiert und vers<strong>ch</strong>l<strong>in</strong>gt, bis zum S<strong>ch</strong>luss jeder irgendwie an ihr partizipiert, und wenn es nur dur<strong>ch</strong><br />

se<strong>in</strong> S<strong>ch</strong>weigen ges<strong>ch</strong>ieht; die Ma<strong>ch</strong>t, die eigentli<strong>ch</strong> niemand mehr hat, weil im Gegenteil sie alle hat;<br />

es ist dies e<strong>in</strong> Monstrum, das <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> die Mens<strong>ch</strong>en leitet, sondern das im Gegenteil die Mens<strong>ch</strong>en dur<strong>ch</strong><br />

se<strong>in</strong>e ‚objektive’ (d.h. von allen mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Massstäben e<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> dem Verstande emanzipierte<br />

und als gänzli<strong>ch</strong> irrationale) Eigenbewegung mitzieht <strong>in</strong> e<strong>in</strong> S<strong>ch</strong>recken erregendes Unbekanntes.“ <strong>Der</strong><br />

„beste Widerstand gegen die Totalität sei „es e<strong>in</strong>fa<strong>ch</strong>, sie aus der eigenen Seele zu vertreiben, aus der<br />

eigenen Umgebung, aus dem eigenen Land, aus dem zeitgenössis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en.“ 158 Diesem Rat<br />

folgten die Mens<strong>ch</strong>en des Ostblocks im annus mirabilis 1989.<br />

Es versteht si<strong>ch</strong> von selbst, dass sol<strong>ch</strong>e Diktionen <strong>in</strong> der Presse der sozialistis<strong>ch</strong>en Länder<br />

niemals zu lesen gewesen waren.<br />

Fazit<br />

Als zeithistoris<strong>ch</strong> und weltpolitis<strong>ch</strong> <strong>in</strong>teressierter Esperantist, der seit 1979 die Ereignisse der<br />

<strong>Esperanto</strong>-Bewegung im In- und Ausland, vor allem au<strong>ch</strong> <strong>in</strong> Osteuropa, beoba<strong>ch</strong>tet, fühle i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong><br />

von dieser DDR-Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te emotional berührt und betroffen. 159 Zwanzig Jahre na<strong>ch</strong> dem Ende des<br />

158 Aus: Havel, V. Politik und Gewissen. In: Havel, V.: Am Anfang war das Wort. Rororo 1990, S. 98.<br />

159 I<strong>ch</strong> hatte se<strong>in</strong>erzeit <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> nur sämtli<strong>ch</strong>e Ostblockstaaten ausgiebig bereist, sondern verlebte zudem als Slavistik-Student<br />

au<strong>ch</strong> 2 Semester <strong>in</strong> der SU (<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> im Ausländer-Ghetto), besu<strong>ch</strong>te Ostberl<strong>in</strong> und fuhr mit dem Zug mehrmals dur<strong>ch</strong> die DDR,<br />

wo mir die rüden Gepflogenheiten der Grenz- und ZollbeamtInnen auffielen. Ferner abonnierte i<strong>ch</strong> das Neue Deuts<strong>ch</strong>land<br />

während vieler Jahre und lernte e<strong>in</strong>ige DDR-Bürger kennen. Freili<strong>ch</strong> ersetzen sol<strong>ch</strong>e flü<strong>ch</strong>tigen Kontakte die e<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>lägigen<br />

Erfahrungen e<strong>in</strong>es Lebens <strong>in</strong> der DDR <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>. Ob andererseits e<strong>in</strong> jeder DDR-Bürger per se als ‚DDR-kompetent’ gehalten<br />

werden kann/muss, um die Lage <strong>in</strong> der DDR ri<strong>ch</strong>tig zu beurteilen, nur weil er DDR-Bürger war, ist m.E. zu bezweifeln, denn<br />

viele DDR-Bürger waren wegen der allumfassenden totalen Pressezensur und der Unterdrückung von Informationen selbst<br />

über die reale Lage im Land gar <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> im Bild gewesen und viele <strong>in</strong>teressierten si<strong>ch</strong> ‚fa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>’ au<strong>ch</strong> gar <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> dafür oder<br />

verloren ihr Interesse, weil es gar <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mögli<strong>ch</strong> war, si<strong>ch</strong> mit Ausnahme des Westfernsehens über die wirkli<strong>ch</strong>e Lage <strong>in</strong> der<br />

72


Kommunismus hat man zu dieser traumatis<strong>ch</strong>en Epo<strong>ch</strong>e nun mehr Distanz gewonnen, e<strong>in</strong>e Menge<br />

Literatur darüber gelesen. Als Historiker sieht man bei diesem und jenem Thema die Notwendigkeit,<br />

die verna<strong>ch</strong>lässigte Vergangenheit aus bestimmten Gesi<strong>ch</strong>tspunkten aufzuarbeiten und erneut zur<br />

Diskussion, zur Spra<strong>ch</strong>e zu br<strong>in</strong>gen.<br />

Was hier auf e<strong>in</strong>igen Dutzend Seiten dargestellt ist, kann alles <strong>in</strong> der esperantist na<strong>ch</strong>gelesen<br />

werden, <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>s ist aus der Luft gegriffen oder aus freien Stücken erfunden.<br />

Die Auswertung des publizierten Materials <strong>in</strong> der esperantist kann verknüpft mit der<br />

Verantwortungs- und S<strong>ch</strong>uldfrage au<strong>ch</strong> im S<strong>in</strong>ne von Vorwürfen (oder wenigstens kritis<strong>ch</strong>en Fragen)<br />

an die Adresse der Verantwortli<strong>ch</strong>en des ZAKE bzw. der GDREA sowie an die Redakteure von der<br />

esperantist anhand folgender 5 Punkte abges<strong>ch</strong>lossen werden. 160<br />

1) Politis<strong>ch</strong> mit allen si<strong>ch</strong> daraus ergebenden Konsequenzen die SED-Diktatur sowie die<br />

Politik und die Ma<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>aften des totalitären DDR-Staats <strong>in</strong> der Nähe der Täter, 161 Handlanger,<br />

Nutzniesser, Claqueure und Mitläufer dur<strong>ch</strong> entspre<strong>ch</strong>ende Resolutionen, Losungen und publizistis<strong>ch</strong>e<br />

Praktiken direkt, bed<strong>in</strong>gungslos und vorsätzli<strong>ch</strong>, bewusst und vollumfängli<strong>ch</strong> unterstützt und gestützt<br />

zu haben und so zum Komplizen e<strong>in</strong>er kommunistis<strong>ch</strong>en Diktatur, d.h. e<strong>in</strong>es ‚Unre<strong>ch</strong>tsstaats’ par<br />

excellence, 162 geworden zu se<strong>in</strong>, der vor allem gegen Andersdenkende im S<strong>in</strong>ne des Völkerre<strong>ch</strong>ts<br />

s<strong>ch</strong>were Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tsverletzungen im Form der Missa<strong>ch</strong>tung der Grundre<strong>ch</strong>te der Mens<strong>ch</strong>en <strong>in</strong><br />

Kauf nahm und zu verantworten hatte. Dabei spielt es ke<strong>in</strong>e Rolle, ob es si<strong>ch</strong> bei den führenden<br />

Esperantisten der DDR um ehrli<strong>ch</strong>e Marxisten und anständige Kommunisten handelte, die dem<br />

gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Entwurf e<strong>in</strong>es DDR-Sozialismus e<strong>in</strong>e Chance e<strong>in</strong>räumten und si<strong>ch</strong> loyal für den<br />

Aufbau des neuen Deuts<strong>ch</strong>lands engagierten, ob sie si<strong>ch</strong> als sol<strong>ch</strong>e auf der „ri<strong>ch</strong>tigen Seite der<br />

Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te befanden“ (was e<strong>in</strong> völlig fals<strong>ch</strong>er Gedanke war), ob ihre Tätigkeit und Mitglieds<strong>ch</strong>aft im<br />

Rahmen e<strong>in</strong>es angebli<strong>ch</strong> etwas liberaleren und toleranteren Kulturbunds der DDR angesiedelt war<br />

und ob sie als Esperantisten zu den „Humanisten“ gere<strong>ch</strong>net werden konnten (was im Übrigen s<strong>ch</strong>wer<br />

zu bezweifeln ist). Au<strong>ch</strong> wenn die Arbeit <strong>in</strong> der GDREA offenbar völlig <strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung mit den<br />

gültigen Gesetzen der DDR, ideologis<strong>ch</strong>-politis<strong>ch</strong> korrekt und im guten Glauben an die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des<br />

Handelns, an die <strong>Wahrheit</strong> und an das Gute ausgeführt wurde (Irrtumsmögli<strong>ch</strong>keit <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong><br />

ausges<strong>ch</strong>lossen 163 ), haben die führenden GDREA-Funktionäre e<strong>in</strong>e unmittelbare Verantwortung und<br />

für die Ma<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>aften und Verbre<strong>ch</strong>en des „Unre<strong>ch</strong>tsstaats“ DDR, dem sie (im Wissen oder<br />

Ni<strong>ch</strong>twissen dieses Unre<strong>ch</strong>ts sei dah<strong>in</strong>gestellt) aktiv dienen, den sie offiziell und öffentli<strong>ch</strong> ohne Wenn<br />

und Aber unterstützten verherrli<strong>ch</strong>en, wahrzunehmen. 164<br />

2) Historiographis<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>dimensionale, unreflektierte und politis<strong>ch</strong>-ideologis<strong>ch</strong><br />

bee<strong>in</strong>flusste Si<strong>ch</strong>t der D<strong>in</strong>ge wiedergegeben zu haben, e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>seitige und unvollständige Darstellung<br />

der politis<strong>ch</strong>en Ereignisse, Verhältnisse, Umstände und Tatsa<strong>ch</strong>en praktiziert zu haben, es mit der<br />

<strong>Wahrheit</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> genau genommen, <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> die <strong>ganz</strong>e, sondern allenfalls nur die halbe <strong>Wahrheit</strong><br />

DDR zu <strong>in</strong>formieren. Dieses Problem ist <strong>in</strong> der esperantist do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> deutli<strong>ch</strong> zu spüren. Über das wahre Ausmass der<br />

Situation <strong>in</strong> der DDR wurde die Weltöffentli<strong>ch</strong>keit allmähli<strong>ch</strong> erst na<strong>ch</strong> der Wende aufgeklärt, und die Erkenntnisse darüber<br />

s<strong>in</strong>d au<strong>ch</strong> bis heute no<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> komplett.<br />

160 Als Ni<strong>ch</strong>tjurist liegt es mir fern, an dieser Stelle e<strong>in</strong>e juristis<strong>ch</strong>e Beurteilung abgeben zu wollen.<br />

161 Zur Täterdef<strong>in</strong>ition im DDR-Kontext s. die e<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>lägige Fa<strong>ch</strong>literatur.<br />

162 Zur Problematik des Begriffs Unre<strong>ch</strong>tsstaat und was unter DDR-Unre<strong>ch</strong>t verstanden wird oder zu verstehen ist, weise i<strong>ch</strong><br />

auf die stattgefundene Diskussion und die Fa<strong>ch</strong>literatur h<strong>in</strong>. Die DDR selbst hatte si<strong>ch</strong> freili<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> als Unre<strong>ch</strong>tsstaat<br />

empfunden. Au<strong>ch</strong> viele ehemal. DDR-Kommunisten, an vorderster Front etwa Sahra Wagenkne<strong>ch</strong>t, weisen diese<br />

Bezei<strong>ch</strong>nung zurück. Das Thema wurde etwa <strong>in</strong> den Arbeiten von Klaus Marxen, Gerhard Werle und Petra S<strong>ch</strong>äfter<br />

aufgearbeitet und von der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur sowie vom Verlag de Gruyter herausgegeben (s.<br />

http://de.wikipedia.org/wiki/Unre<strong>ch</strong>tsstaat; s. au<strong>ch</strong>: http://www.zeit.de/2009/27/Oped-S<strong>ch</strong>wan). Zum Begriff des Mitläufers<br />

s. z.B. R. Grafe, Hg.: Die S<strong>ch</strong>uld der Mitläufer. Anpassen oder Widerstehen <strong>in</strong> der DDR. 2009; H. Knabe: Die Täter s<strong>in</strong>d<br />

unter uns. Über das S<strong>ch</strong>önreden der DDR-Diktatur. 2007).<br />

163 Führenden GDREA-Funktionären kann unterstellt werden, dass sie, die <strong>in</strong>s westli<strong>ch</strong>e Ausland reisen konnten und über<br />

<strong>in</strong>ternationale Kontakte verfügten, somit gut <strong>in</strong>formiert waren und die Kritik des westli<strong>ch</strong>en Auslands an der DDR, am<br />

Ostblock und am Sozialismus genau kannten, au<strong>ch</strong> wenn sie überzeugte Marxisten gewesen se<strong>in</strong> mögen und das ‚Neue<br />

Deuts<strong>ch</strong>land’ lasen.<br />

164 E<strong>in</strong>e von DDR-Esperantisten verfasste S<strong>ch</strong>rift, die die umstrittenen Praktiken der DDR-, Sowjet- oder Ostblock-Politik<br />

au<strong>ch</strong> nur im Ger<strong>in</strong>gsten kritisiert hätte, ist dem Verfasser <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> bekannt.<br />

73


präsentiert zu haben; während des Kalten Krieges die Kriegsparanoia auf der Seite des Ostblocks, die<br />

von der unmittelbaren Erwartung e<strong>in</strong>es Dritten Weltkriegs ausg<strong>in</strong>g, gegen das <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>kommunistis<strong>ch</strong>e<br />

Ausland (v.a gegen den Westen) ges<strong>ch</strong>ürt zu haben.<br />

3) Die eigenen GDREA-Mitglieder statt mit objektiven Analysen zu versorgen mit e<strong>in</strong>er<br />

politis<strong>ch</strong>-ideologis<strong>ch</strong> verdrehten Informationspolitik – <strong>in</strong> vielen Fällen wohl gegen deren Willen –<br />

abgespeist, <strong>in</strong>doktr<strong>in</strong>iert, vergewaltigt und absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> oder unabsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> getäus<strong>ch</strong>t zu haben,<br />

bedeutende Themen ausgeklammert und vers<strong>ch</strong>wiegen und den Mitgliedern wi<strong>ch</strong>tige Informationen<br />

vorenthalten zu haben; die Des<strong>in</strong>formationskampagnen des SED-Regimes mit dem Zweck, das eigene<br />

Volk zu täus<strong>ch</strong>en, betrügen und belügen, vollumfängli<strong>ch</strong> unterstützt zu haben; den<br />

Me<strong>in</strong>ungspluralismus und die freie Tätigkeit und Arbeit be- und verh<strong>in</strong>dert, unterdrückt oder<br />

untersagt und kaum oder ke<strong>in</strong>e abwei<strong>ch</strong>enden Me<strong>in</strong>ungen von kritis<strong>ch</strong>en Mitgliedern zugelassen und<br />

publik gema<strong>ch</strong>t zu haben.<br />

4) In e<strong>in</strong>em staatsräsonal hö<strong>ch</strong>st fragwürdigen, heiklen und gefährli<strong>ch</strong>en Umfeld<br />

Esperantisten als <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> näher def<strong>in</strong>ierte „stranguloj, fantaziuloj und sektemuloj“ usw., die ausserhalb<br />

der offiziellen Strukturen (Kulturbund) agierten, die Politik des ZAKE bzw. der GDREA <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong><br />

akzeptieren wollten bzw. si<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> <strong>in</strong>s ‚marxistis<strong>ch</strong>-len<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>e’ Korsett <strong>in</strong>tegrieren liessen,<br />

disqualifiziert und subjektiv verunglimpft sowie der Ausgrenzung ausgesetzt zu haben; si<strong>ch</strong> selbst und<br />

die eigenen Mitglieder mit demagogis<strong>ch</strong>en Mitteln bedrängt und ideologis<strong>ch</strong>-politis<strong>ch</strong> unter<br />

psy<strong>ch</strong>otis<strong>ch</strong>en Druck gesetzt zu haben, gegen diesen Druck öffentli<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>s unternommen und ihm<br />

<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> widerstanden zu haben, sondern publizistis<strong>ch</strong> repetitiv immer wieder rhetoris<strong>ch</strong> draufgehauen,<br />

dre<strong>in</strong>ges<strong>ch</strong>lagen und konstant Öl <strong>in</strong>s Feuer gegossen zu haben. 165<br />

5) Die Spra<strong>ch</strong>e <strong>Esperanto</strong> <strong>in</strong> den Dienst e<strong>in</strong>er fals<strong>ch</strong>en Ideologie und e<strong>in</strong>er<br />

mens<strong>ch</strong>envera<strong>ch</strong>tenden Staatspolitik gesetzt sowie für den „Klassenkampf“ missbrau<strong>ch</strong>t und für die<br />

kommunistis<strong>ch</strong>e Hasshetze als verme<strong>in</strong>tli<strong>ch</strong>e „Friedens“-Propaganda usurpier, die Ideale Zamenhofs<br />

diskreditiert, die Neutralität der <strong>Esperanto</strong>-Bewegung <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> bea<strong>ch</strong>tet, ihre ursprüngli<strong>ch</strong>e Bedeutung<br />

im S<strong>in</strong>n der kommunistis<strong>ch</strong>en Propaganda verdreht und auf eklatante Weise verletzt zu haben, 166 die<br />

gesamte <strong>in</strong>ternationale <strong>Esperanto</strong>-Bewegung politis<strong>ch</strong> getäus<strong>ch</strong>t, ihren Ruf aufs Spiel gesetzt,<br />

eventuell na<strong>ch</strong>haltig bes<strong>ch</strong>ädigt und die Spra<strong>ch</strong>e <strong>Esperanto</strong> so <strong>in</strong> Misskredit gebra<strong>ch</strong>t zu haben.<br />

Ferner:<br />

Die Lage und Probleme <strong>in</strong> der DDR und der GDREA na<strong>ch</strong> der Wende verharmlost, vernebelt<br />

und <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> genügend aufgearbeitet zu haben.<br />

Für die Gründe, Umstände und Konsequenzen selbst verantwortli<strong>ch</strong> zu se<strong>in</strong>, die dazu geführt<br />

haben, dass die Mehrheit der GDREA-Mitglieder si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> der Wende dem DEB <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> ans<strong>ch</strong>liessen<br />

wollte und si<strong>ch</strong> von <strong>Esperanto</strong> abwendete.<br />

Zu verurteilen ist <strong>in</strong>sbesondere der aggressive politis<strong>ch</strong>-ideologis<strong>ch</strong>e Ton, der <strong>in</strong> ‚der<br />

esperantist’ regelmässig gegen den sogenannten ‚Klassenfe<strong>in</strong>d’ und gegen andere Völker, Staaten und<br />

Gruppen und Individuen angewendet wurde. 167 Zu verurteilen ist <strong>in</strong>sgesamt der an Zynismus kaum zu<br />

überbietende politis<strong>ch</strong>e konformistis<strong>ch</strong>e Opportunismus, der <strong>in</strong> ‚der esperantist’ während Jahrzehnten<br />

im Namen des <strong>Esperanto</strong> an den Tag gelegt und fanatis<strong>ch</strong> praktiziert wurde.<br />

Im Fall der Redaktionspolitik von der esperantist muss von e<strong>in</strong>em eigentli<strong>ch</strong>en Skandal<br />

gespro<strong>ch</strong>en werden, und zwar <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> erst aus heutiger Si<strong>ch</strong>t.<br />

165<br />

E<strong>in</strong>e Studie, was <strong>in</strong> der GDREA unter ideologis<strong>ch</strong>-politis<strong>ch</strong>em E<strong>in</strong>fluss adm<strong>in</strong>istrativ alles genau ablief, um dieses und<br />

jenes zu verh<strong>in</strong>dern und zu verbieten und die D<strong>in</strong>ge mit den Leute entspre<strong>ch</strong>end zu regeln, wäre no<strong>ch</strong> zu erstellen.<br />

166<br />

Dasselbe gilt für den Demokratiebegriff, der <strong>in</strong> der DDR auf zynis<strong>ch</strong>e Weise missbrau<strong>ch</strong>t wurde<br />

167<br />

Es fällt auf, dass Wörter wie Aggression, aggressiv und entspr. Ableitungen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den Texten von der esperantist selbst<br />

häufig anzutreffen waren.<br />

74


Letzte Bemerkungen zur <strong>Esperanto</strong>-Bewegung<br />

Während ehemalige DDR-Propagandisten und DDR-‚Historiker’ unter den Esperantisten und<br />

Planspra<strong>ch</strong>lern die stal<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>e Vergangenheit zu vers<strong>ch</strong>weigen hatten, ist es <strong>ch</strong>arakteristis<strong>ch</strong>, dass<br />

etwa dieselben Leute na<strong>ch</strong> 1990 ‚ihre’ eigene DDR-Vergangenheit erneut vers<strong>ch</strong>wiegen und hö<strong>ch</strong>stens<br />

no<strong>ch</strong> am Rande vermerkten bzw. vermerken liessen. 168 Ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger Esperantist spri<strong>ch</strong>t heute no<strong>ch</strong><br />

darüber, weil die <strong>ganz</strong>e Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> pe<strong>in</strong>li<strong>ch</strong> (oder angebli<strong>ch</strong> verjährt) ist und der<br />

<strong>Esperanto</strong>-Propaganda abträgli<strong>ch</strong> se<strong>in</strong> könnte, so wie zu DDR-Zeiten die Propaganda im umgekehrten<br />

S<strong>in</strong>n der Bewegung hätte s<strong>ch</strong>aden können. Im Fall der GDREA und von der esperantist hat man es<br />

zwar mit E<strong>in</strong>ri<strong>ch</strong>tungen e<strong>in</strong>es totalitären Staates zu tun, <strong>in</strong> dem es kaum Alternativen gab, als die<br />

offizielle politis<strong>ch</strong>e L<strong>in</strong>ie zu befolgen. Jedes Abwei<strong>ch</strong>en davon wäre mit unabsehbaren Konsequenzen<br />

verbunden gewesen, die si<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> e<strong>in</strong>mal exhibitionistis<strong>ch</strong>e Dissidenten wüns<strong>ch</strong>ten. Wie es s<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>t<br />

muss man für die Probleme damaliger Organisationen im Rahmen des diktatoris<strong>ch</strong>-bürokratis<strong>ch</strong>en<br />

Zwangstaats sogar no<strong>ch</strong> e<strong>in</strong> gewisses Verständnis aufbr<strong>in</strong>gen, au<strong>ch</strong> wenn es e<strong>in</strong>em äusserst<br />

s<strong>ch</strong>werfällt. Von ehem. DDR-Seite versu<strong>ch</strong>te man si<strong>ch</strong> immer wieder quasi damit zu ents<strong>ch</strong>uldigen,<br />

die <strong>ganz</strong>e unselige politis<strong>ch</strong>-ideologis<strong>ch</strong>e Propagandaarbeit habe als natürli<strong>ch</strong>es, unvermeidli<strong>ch</strong>es und<br />

notwendige Übel „halt zu den Spielregeln gehört“. Diese Vorgänge als e<strong>in</strong>e Art Betriebsunfall der<br />

Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te betra<strong>ch</strong>ten und verharmlosen zu wollen wäre aber zu billig. S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> hat man 1990<br />

zugegeben, dass man si<strong>ch</strong> geirrt habe. 169 Gegen aussen g<strong>in</strong>g es um e<strong>in</strong>en bewusst geführten,<br />

knallharten rhetoris<strong>ch</strong>en Krieg gegen das fe<strong>in</strong>dli<strong>ch</strong>e „<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>sozialistis<strong>ch</strong>e Lager“, gegen den imag<strong>in</strong>ären<br />

Klassenfe<strong>in</strong>d, und im Innern des zentralistis<strong>ch</strong>-despotis<strong>ch</strong>en Unterdrückungssystems mit absolutem<br />

<strong>Wahrheit</strong>sanspru<strong>ch</strong> wurde e<strong>in</strong> skrupelloser ideologis<strong>ch</strong>-politis<strong>ch</strong>er Druck gegen das Volk, gegen die<br />

eigenen Verbandsmitglieder ausgeübt. Diese Massnahmen wurden au<strong>ch</strong> von den Verantwortli<strong>ch</strong>en der<br />

GDREA und von der esperantist, wie <strong>in</strong> dieser Darstellung aufgezeigt wurde, im vollen Bewusstse<strong>in</strong>,<br />

freiwillig, vorsätzli<strong>ch</strong> und aus voller Überzeugung und übrigens <strong>in</strong> bester Kenntnis der nationalen und<br />

<strong>in</strong>ternationalen Lage ausgetragen. Ob die <strong>ganz</strong>e Politik e<strong>in</strong> (historis<strong>ch</strong>er) Irrtum war ist nebensä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>.<br />

Die ideologis<strong>ch</strong>-politis<strong>ch</strong>e Vergewaltigung ist aber ges<strong>ch</strong>ehen. Bei der Betra<strong>ch</strong>tung der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der<br />

<strong>Esperanto</strong>-Bewegung der DDR kann und darf das politis<strong>ch</strong>-ideologis<strong>ch</strong>e Verhalten der GDREA und<br />

von der esperantist also <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> e<strong>in</strong>fa<strong>ch</strong> übersehen und ausgeblendet werden, wie dies von gewissen<br />

Autoren versu<strong>ch</strong>t wurde, d.h. man kann <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> so tun, als ob dies alles <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> existierte und <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong><br />

stattfand und als ob dies alles heute niemanden mehr <strong>in</strong>teressiert.<br />

Es bleiben die Fragen übrig, ob es mögli<strong>ch</strong> gewesen wäre, <strong>in</strong> der esperantist auf e<strong>in</strong>en sol<strong>ch</strong>en<br />

politis<strong>ch</strong>-ideologis<strong>ch</strong>en Kurs wie den oben dargestellten weitgehend zu verzi<strong>ch</strong>ten (ihn eventuell <strong>in</strong><br />

abges<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>ter Form zu fahren ähnli<strong>ch</strong> wie <strong>in</strong> den <strong>Esperanto</strong>-Zeits<strong>ch</strong>riften Polens, Ungarns oder wie<br />

im Falle des Saksa Kuriero) und ob es überhaupt Alternativen gegeben hätte, <strong>Esperanto</strong> unpolitis<strong>ch</strong> zu<br />

betreiben (z.B. ohne Staatspropaganda), 170 ohne als Esperantisten glei<strong>ch</strong> <strong>in</strong> die Ecke der<br />

Oppositionellen, Dissidenten, Bürgerre<strong>ch</strong>tler oder Reformer (was es <strong>in</strong> der DDR ja au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> gab)<br />

gestellt zu werden, die <strong>in</strong> der DDR und anderswo im Ostblock bekanntli<strong>ch</strong> unterdrückt und verfolgt<br />

wurden. 171 Denno<strong>ch</strong> sollten sie gestellt und allenfalls beantwortet werden können. 172<br />

Die <strong>Esperanto</strong>-Organisationen der Ostblockstaaten waren mit der Politik glei<strong>ch</strong>ges<strong>ch</strong>altet und<br />

<strong>in</strong> das politis<strong>ch</strong>e System ‚organis<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>gebettet’ worden. E<strong>in</strong>e <strong>ganz</strong>e (untere<strong>in</strong>ander gut vernetzte)<br />

Clique von unantastbaren Partei-Apologeten sorgte <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen <strong>Esperanto</strong>-Verbänden zwis<strong>ch</strong>en<br />

Moskau, Ostberl<strong>in</strong> und Sofia dafür, dass das ‚Verhältnis zum Sozialismus’ <strong>in</strong>takt blieb, dass die<br />

168 So wie die ‚gesäuberten’ Biographien von Dr. Detlev Blanke.<br />

169 S. no<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>mal Blanke <strong>in</strong> der esperantist 1/1990. <strong>Der</strong> H<strong>in</strong>weis, beim realen Sozialismus habe es si<strong>ch</strong> weder um den<br />

wahren Sozialismus no<strong>ch</strong> um e<strong>in</strong>e Form des Kommunismus no<strong>ch</strong> um die ri<strong>ch</strong>tige Realisierung marxistis<strong>ch</strong>-len<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>en<br />

Gedankenguts gehandelt, s<strong>in</strong>d fadens<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>ige Ausflü<strong>ch</strong>te und lenken vom eigentli<strong>ch</strong>en Problem ab.<br />

170 Um entspre<strong>ch</strong>ende Erkenntnisse zu erzielen, wäre es notwendig, analoge Medienorgane des Kulturbunds der DDR zu<br />

verglei<strong>ch</strong>en, wenn man s<strong>ch</strong>on von e<strong>in</strong>er liberaleren Organisation spri<strong>ch</strong>t.<br />

171 D. Blanke bestätigte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Interview mit dem KEK-Bullet<strong>in</strong> Internaciisto, 1/1994, S. 5, dass es <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mögli<strong>ch</strong> gewesen<br />

sei, e<strong>in</strong>e gegen das Regime geri<strong>ch</strong>tete Tätigkeit zu führen und dass die Leiter dieser Bewegung <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> „antisozialistis<strong>ch</strong>“ se<strong>in</strong><br />

konnten, sondern si<strong>ch</strong> gegenüber dem Staat loyal verhalten mussten.<br />

172 T. Bendias versu<strong>ch</strong>t <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bu<strong>ch</strong> über die Eo-Jugend <strong>in</strong> der DDR, das <strong>in</strong> man<strong>ch</strong>er H<strong>in</strong>si<strong>ch</strong>t das Eis der düsteren DDR-<br />

Vergangenheit bra<strong>ch</strong>, auf sol<strong>ch</strong>e und ähnli<strong>ch</strong>e Fragen mit Beispielen Antworten zu geben. Das Thema der Staatssi<strong>ch</strong>erheit<br />

behandelte Bendias auf S. 262-73 jedo<strong>ch</strong> stiefmütterli<strong>ch</strong>. redete weit um den Brei herum und liess das brisante Thema bei<br />

e<strong>in</strong>igen Anspielungen bewenden.<br />

75


Loyalität zu den Regierungen, zur Sowjetunion, zu den Bruderländern, zu den offiziellen<br />

parteigesteuerten Massenorganisationen (Kulturbund, Vaterländ. Front u.ä.) aufre<strong>ch</strong>terhalten blieb und<br />

dass die Spielregeln, au<strong>ch</strong> die unges<strong>ch</strong>riebenen, bea<strong>ch</strong>tet und e<strong>in</strong>gehalten wurden. 173<br />

Es ist m.E. e<strong>in</strong>e historis<strong>ch</strong>e Fehlleistung der <strong>Esperanto</strong>-Bewegungen <strong>in</strong> diesen Ländern<br />

gewesen, au<strong>ch</strong> wenn es zum vorgeführten politis<strong>ch</strong>-ideologis<strong>ch</strong>en Verhalten ke<strong>in</strong>e Alternative zu<br />

geben s<strong>ch</strong>ien, als gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> relevante Kraft, für die man si<strong>ch</strong> selbst hielt, si<strong>ch</strong> gegenüber dem<br />

Regime unkritis<strong>ch</strong> verhalten und <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> frühzeitig auf die katastrophale Situation des realen<br />

Sozialismus zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> den Berei<strong>ch</strong>en der allgeme<strong>in</strong>en Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te h<strong>in</strong>gewiesen, den<br />

<strong>Wahrheit</strong>sanspru<strong>ch</strong> der Kommunisten <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> angezweifelt oder h<strong>in</strong>terfragt, das Diktat der KP ohne<br />

Widerstand und gegen Privilegien entgegengenommen und verme<strong>in</strong>tli<strong>ch</strong>en Friedensaposteln vertraut<br />

zu haben. Mit den Verbre<strong>ch</strong>en der osteuropäis<strong>ch</strong>en Kommunisten, die v.a. bei der gewaltsamen<br />

E<strong>in</strong>führung des Sozialismus <strong>in</strong> ihren Ländern, aber au<strong>ch</strong> später no<strong>ch</strong> gegen das eigene Volk <strong>in</strong> Form<br />

von politis<strong>ch</strong>er Unterdrückung begangen wurden und denen Tausende und Millionen von Mens<strong>ch</strong>en<br />

zum Opfer fielen, hatten si<strong>ch</strong> die osteuropäis<strong>ch</strong>en Esperantisten bis zum Ende des Kommunismus nie<br />

ause<strong>in</strong>andergesetzt, ges<strong>ch</strong>weige denn dagegen protestiert, sondern sie hatten im Gegenteil immer brav<br />

ges<strong>ch</strong>wiegen. Die <strong>Esperanto</strong>-Bewegungen <strong>in</strong> diesen Ländern können also <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> <strong>in</strong> Anspru<strong>ch</strong> nehmen,<br />

etwas für die Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te, die Freiheit oder die Demokratie unternommen zu haben, sondern sie<br />

müssen si<strong>ch</strong> den Vorwurf gefallen lassen, diese Werte als ho<strong>ch</strong>gradig opportunistis<strong>ch</strong>e und<br />

konformistis<strong>ch</strong>e Komplizen auf der Seite des repressiven Staates missa<strong>ch</strong>tet und von ihrer eigenen<br />

Regimetreue profitiert zu haben. 174 Mit ihrem Gang <strong>in</strong> die Bedeutungslosigkeit haben die <strong>Esperanto</strong>-<br />

Bewegungen <strong>in</strong> diesen Ländern na<strong>ch</strong> 1989 für ihre e<strong>in</strong>deutige Haltung während der Zeit der Diktatur<br />

s<strong>ch</strong>wer bezahlen müssen, denn sie s<strong>in</strong>d mit dem Kommunismus, der si<strong>ch</strong> als e<strong>in</strong>e historis<strong>ch</strong>e<br />

Sackgasse erwies, praktis<strong>ch</strong> zusammen untergegangen.<br />

Wie si<strong>ch</strong> gezeigt hat, war au<strong>ch</strong> <strong>Esperanto</strong> im Ostblock nur e<strong>in</strong>e Illusion gewesen. E<strong>in</strong>e<br />

Illusion, die si<strong>ch</strong> <strong>in</strong> der DDR und anderswo im Ostblock auf Lüge und Täus<strong>ch</strong>ung gestützt hatte. 175<br />

Wie im Fall der DDR hat si<strong>ch</strong> diese Illusion 1989/90 <strong>in</strong> Luft aufgelöst.<br />

Ni<strong>ch</strong>t wenige Hauptprotagonisten der <strong>Esperanto</strong>-Bewegung des Ostblocks s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>zwis<strong>ch</strong>en<br />

verstorben; no<strong>ch</strong> mehr ehemalige Esperantisten haben si<strong>ch</strong> von <strong>Esperanto</strong> abgewendet. Es s<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>t,<br />

dass die Zeitzeugen si<strong>ch</strong> im Allgeme<strong>in</strong>en <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mehr gerne an die kommunistis<strong>ch</strong>e Diktatur er<strong>in</strong>nern<br />

mögen oder e<strong>in</strong>fa<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mehr darüber reden wollen.<br />

Die juristis<strong>ch</strong>e Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit und die damit verbundene<br />

Strafverfolgung von DDR-Unre<strong>ch</strong>t ist offiziell abges<strong>ch</strong>lossen, wie man aus e<strong>in</strong>er zusammenfassenden<br />

Bros<strong>ch</strong>üre der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur entnehmen kann. 176 Die<br />

gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Debatte über die DDR soll jedo<strong>ch</strong> an den S<strong>ch</strong>ulen, Medien und der Politik<br />

weitergeführt werden, so der Wuns<strong>ch</strong> der Stiftung. Nur dann werde es gel<strong>in</strong>gen, die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der<br />

DDR und der deuts<strong>ch</strong>en Teilung <strong>in</strong> der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te von Demokratie und Diktatur im Deuts<strong>ch</strong>land des<br />

20. Jahrhunderts zu verorten. Wie man gesehen hat, sträuben si<strong>ch</strong> vor allem diverse Kreise der Partei<br />

173 Diesem Zweck dienten v.a. die etwas geheimnisumwobenen Konsultativtreffs der <strong>Esperanto</strong>-Verbände der sozialistis<strong>ch</strong>en<br />

Staaten, die alljährli<strong>ch</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em anderen Land stattfanden und bei denen D. Blanke, der na<strong>ch</strong> eigenen Angaben bei allen<br />

Treffs dabei war, e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>flussrei<strong>ch</strong>e Rolle spielte.<br />

174 Mögli<strong>ch</strong>erweise gab es <strong>in</strong>nerhalb der <strong>Esperanto</strong>-Bewegungen e<strong>in</strong>zelne kritis<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>gestellte Personen, die die Probleme<br />

zwar erkannt hatten, aber zu s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong> waren, dagegen etwas zu unternehmen oder si<strong>ch</strong> getrauten, das kommunistis<strong>ch</strong>e<br />

System öffentli<strong>ch</strong> <strong>in</strong> Frage zu stellen. I<strong>ch</strong> hatte sol<strong>ch</strong>e Leute kennengelernt, die ihre kritis<strong>ch</strong>e Haltung Fremden gegenüber<br />

jedo<strong>ch</strong> mit äusserster Zurückhaltung und nur <strong>in</strong> Andeutungen kundtaten.<br />

175 E<strong>in</strong> Spra<strong>ch</strong>enproblem gab es <strong>in</strong> den sozialistis<strong>ch</strong>en Ländern offiziell sowieso <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>, d.h. es wurde als gelöst betra<strong>ch</strong>tet. Als<br />

<strong>in</strong>ternationale Spra<strong>ch</strong>e war das Russis<strong>ch</strong>e anerkannt, das <strong>in</strong> den S<strong>ch</strong>ulen obligatoris<strong>ch</strong> gelehrt wurde. Das Russis<strong>ch</strong>e <strong>in</strong> dieser<br />

Rolle zu kritisieren, war offiziell <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mögli<strong>ch</strong>. Die Satellitenstaaten waren streng titularnationalistis<strong>ch</strong> ausgeri<strong>ch</strong>tet und<br />

behandelten ihre Spra<strong>ch</strong>m<strong>in</strong>derheiten entweder stiefmütterli<strong>ch</strong> wie <strong>in</strong> der DDR (Sorben) oder <strong>in</strong> PL (Kas<strong>ch</strong>uben) oder wie<br />

Parias (Zigeuner <strong>in</strong> CS, Deuts<strong>ch</strong>e und Magyaren <strong>in</strong> RO, Türken <strong>in</strong> BG, Albaner <strong>in</strong> YU). <strong>Der</strong> Antisemitismus grassierte von<br />

Zeit zu Zeit latent oder offen wie unter Ulbri<strong>ch</strong>t <strong>in</strong> den 50ern und <strong>in</strong> PL im Jahr 1968 sowie unters<strong>ch</strong>wellig <strong>in</strong> der SU, wo<br />

Tausende russis<strong>ch</strong>e Juden <strong>in</strong> Wellen auswanderten. Von all diesen Problemen s<strong>ch</strong>ienen si<strong>ch</strong> die Esperantisten <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> betroffen<br />

zu fühlen, obwohl sie gemäss der Statuten ihrer Verbände im Westen für die E<strong>in</strong>haltung der Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te und im Osten<br />

für den Völkerfrieden plädierten.<br />

176 Wel<strong>ch</strong>e Taten für die Strafverfolgung <strong>in</strong> der Ex-DDR relevant s<strong>in</strong>d s. die Bros<strong>ch</strong>üre von Klaus Marxen, Gerhard Werle<br />

und Petra S<strong>ch</strong>äfter: Die Strafverfolgung von DDR-Unre<strong>ch</strong>t. Fakten und Zahlen; sie kann im Internet heruntergeladen werden.<br />

Die entspre<strong>ch</strong>ende Fa<strong>ch</strong>literatur dazu ist im Verlag De Gruyter ers<strong>ch</strong>ienen:<br />

(http://www.degruyter.de/cont/fb/rw/rwMbw.cfm?rc=16631). Was unter DDR-Unre<strong>ch</strong>t zu verstehen ist und wer davon<br />

betroffen war, wird dort ausführli<strong>ch</strong> erklärt und dokumentiert.<br />

76


DIE LINKE, deren Mitglieder jetzt vom Verfassungss<strong>ch</strong>utz beoba<strong>ch</strong>tet werden, dagegen. Was die<br />

<strong>Esperanto</strong>-Bewegung selbst angeht, wäre vor allem die vermutete Zusammenarbeit mit den staatli<strong>ch</strong>en<br />

Stellen der DDR, v.a. mit der Staatssi<strong>ch</strong>erheit no<strong>ch</strong> vertieft aufzuarbeiten. Erst wenn dies <strong>in</strong><br />

befriedigendem Masse gelungen ist, darf e<strong>in</strong> Endfazit gezogen werden können.<br />

Andreas Künzli, lic. phil. Bern, S<strong>ch</strong>weiz, 2012 (es gilt diese letzte Version)<br />

www.planspra<strong>ch</strong>en.<strong>ch</strong><br />

PS Obwohl i<strong>ch</strong> das anfängli<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> beabsi<strong>ch</strong>tigte, habe i<strong>ch</strong> vor der Veröffentli<strong>ch</strong>ung dieses Beri<strong>ch</strong>ts<br />

no<strong>ch</strong> das neue Bu<strong>ch</strong> von Torsten Bendias über die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der <strong>Esperanto</strong>-Jugend <strong>in</strong> der DDR 177<br />

gelesen und e<strong>in</strong>ige Fussnoten aus dem lesenswerten Werk <strong>in</strong> me<strong>in</strong>e Studie e<strong>in</strong>fliessen lassen. Me<strong>in</strong>e<br />

Bespre<strong>ch</strong>ung dieses Bu<strong>ch</strong>es und Themas auf <strong>Esperanto</strong> s. im h<strong>in</strong>teren Teil dieser Publikation.<br />

Zum Autor der vorliegenden Darstellung:<br />

Andreas Künzli (*1962 Luzern, S<strong>ch</strong>weiz) studierte Slavistik, Osteuropäis<strong>ch</strong>e Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te und Völkerre<strong>ch</strong>t an der<br />

Universität Züri<strong>ch</strong> (S<strong>ch</strong>weiz), Studienaufenthalte <strong>in</strong> der Sowjetunion und der Ts<strong>ch</strong>e<strong>ch</strong>oslowakei, <strong>in</strong> Jugoslawien<br />

und Bulgarien. Reisen <strong>in</strong> sämtli<strong>ch</strong>e anderen osteuropäis<strong>ch</strong>en Länder. Studienabs<strong>ch</strong>luss 1992 mit e<strong>in</strong>er<br />

Lizentiatsarbeit über die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Interl<strong>in</strong>guistik und des <strong>Esperanto</strong> im Zarenrei<strong>ch</strong> und <strong>in</strong> der Sowjetunion<br />

sowie über die Lage des Völkerre<strong>ch</strong>ts am Beispiel der Baltis<strong>ch</strong>en Staaten. Ausser zahlrei<strong>ch</strong>er E<strong>in</strong>zelartikel und<br />

Rezensionen verfasste er das S<strong>ch</strong>weizer <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>-Lexikon und e<strong>in</strong>e Zamenhof-Biographie, die bei<br />

Harrassowitz ers<strong>ch</strong>ien. Dieses vor allem die jüdis<strong>ch</strong>en Komponenten Zamenhofs erörternde Bu<strong>ch</strong> wurde vor<br />

allem von vermutli<strong>ch</strong> ideologis<strong>ch</strong> befangenen deuts<strong>ch</strong>en Esperantisten mit grosser Skepsis betra<strong>ch</strong>tet und<br />

äusserst negativ rezensiert. Ausserdem verfasste er e<strong>in</strong> Bu<strong>ch</strong> über Ferd<strong>in</strong>and und Hector Hodler <strong>in</strong> <strong>Esperanto</strong><br />

(ers<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>t 2012). Zur Zeit arbeitet er an e<strong>in</strong>er Dissertation über die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Interl<strong>in</strong>guistik und des<br />

<strong>Esperanto</strong> <strong>in</strong> der Sowjetunion, <strong>in</strong> Polen und Bulgarien. Zweitberuf: Informatiker; Webmaster<br />

(www.planspra<strong>ch</strong>en.<strong>ch</strong> und www.osteuropa.<strong>ch</strong>). Esperantist seit 1979, war Künzli auf lokaler, nationaler und<br />

<strong>in</strong>ternationaler Ebene der Eo-Bewegung tätig gewesen; ca. 1997-2007 war er au<strong>ch</strong> Mitglied der von D. Blanke<br />

geführten Gesells<strong>ch</strong>aft für Interl<strong>in</strong>guistik e.V., sah si<strong>ch</strong> aber aus politis<strong>ch</strong>en Gründen veranlasst, si<strong>ch</strong> von dieser<br />

177 Inhalt s. http://d-nb.<strong>in</strong>fo/1013146115/04. S. au<strong>ch</strong>: Torsten Bendias: El la vivo de GDR: der esperantist (1965 bis 1990).<br />

In: Simone Barck, Mart<strong>in</strong>a Langermann und Siegfried Lokatis, Zwis<strong>ch</strong>en 'Mosaik' und 'E<strong>in</strong>heit': Zeits<strong>ch</strong>riften <strong>in</strong> der DDR.<br />

Ch. L<strong>in</strong>ks Verlag, Berl<strong>in</strong>, 1999, S. 202-213. In dieser trockenen Studie wurden die eigentli<strong>ch</strong>en Sa<strong>ch</strong>verhalte und wahren<br />

Umstände der ideologis<strong>ch</strong>-politis<strong>ch</strong>en Inhalte von der esperantist vers<strong>ch</strong>leiert und vernebelt, geradezu sträfli<strong>ch</strong> verharmlost,<br />

verniedli<strong>ch</strong>t und verna<strong>ch</strong>lässigt, eigentli<strong>ch</strong> komplett ausgeklammert, sieht man von e<strong>in</strong>igen Anspielungen ab, die wohl nur<br />

orientierten Ex-DDR-Lesern zugängli<strong>ch</strong> s<strong>in</strong>d und von ihnen ri<strong>ch</strong>tig erfasst werden können. E<strong>in</strong>er eigentli<strong>ch</strong>e Kritik wird der<br />

politis<strong>ch</strong>-ideologis<strong>ch</strong>e Teil von der esperantist <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> unterzogen, konkrete Beispiele wurden ke<strong>in</strong>e angeführt. Immerh<strong>in</strong><br />

erfährt man, dass der esperantist wegen „te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>er Defizite, Kapazitätsengpässen und Papiermangels“ oft mit „grösserer<br />

Verspätung“ ers<strong>ch</strong>ienen ist. Zum politis<strong>ch</strong>en Teil von der esperantist stellte Bendias die Hypothese auf, dass „Inhalte, die im<br />

Neuen Deuts<strong>ch</strong>land vom Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittsbürger ignoriert“ wurden, „<strong>in</strong> der esperantist eher gelesen wurden“. Politis<strong>ch</strong>ideologis<strong>ch</strong>e<br />

Themen seien von „den Lesern <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> unbed<strong>in</strong>gt als verbandsfremd empfunden“ worden, „und viele Mitglieder“<br />

hätten „si<strong>ch</strong> mit ihnen identifiziert“. Immerh<strong>in</strong> hat Bendias bemerkt, dass „der esperantist den E<strong>in</strong>druck e<strong>in</strong>er Überlast an<br />

Appellen, Resolutionen, Erklärungen usw. h<strong>in</strong>terlässt“. Wenn Bendias <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en „differenzierten“ Ergebnissen s<strong>ch</strong>rieb,<br />

„politis<strong>ch</strong>-ideologis<strong>ch</strong>e Grundsätze“ seien „vor allen <strong>in</strong> den Anfangsjahren vertreten“ gewesen, und dass sie „mit Ende des<br />

Kalten Krieges na<strong>ch</strong>lassen“, s<strong>ch</strong>ien er übersehen zu haben, dass <strong>in</strong> den 70-80er Jahre der esperantist si<strong>ch</strong> verstärkt von der<br />

DDR-Propaganda, die sehr e<strong>in</strong>seitig und sogar lügneris<strong>ch</strong> war, vere<strong>in</strong>nahmen liess, um so den Kalten Krieg fortzusetzen. <strong>Der</strong><br />

politis<strong>ch</strong>-ideologis<strong>ch</strong>e Geist der Zeits<strong>ch</strong>rift und ihres Redaktors blieb bis zuletzt unverändert derselbe. Man hätte zum<strong>in</strong>dest<br />

festhalten müssen, dass <strong>in</strong> dieser Zeit der Hels<strong>in</strong>ki-Prozess im Rahmen der KSZE au<strong>ch</strong> für die hauseigene Propaganda e<strong>in</strong>e<br />

wi<strong>ch</strong>tige Rolle zu spielen begann. Au<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>e problemorientierte Analyse der Jugendarbeit fehlte <strong>in</strong> diesem Beitrag <strong>ganz</strong>. Die<br />

sog. „Reisekader“ hätten „die Pfli<strong>ch</strong>t gehabt, stellvertretend an die Mitglieder bzw. Fa<strong>ch</strong>gruppen zu beri<strong>ch</strong>ten.“ Man mö<strong>ch</strong>te<br />

diese Beri<strong>ch</strong>te gerne lesen. Unter Sonstiges hielt Bendias fest: „<strong>Der</strong> Umfang von Humor und Kultur, der <strong>in</strong>teressanterweise <strong>in</strong><br />

der Zeit des Kalten Krieges re<strong>ch</strong>t ho<strong>ch</strong> war, fällt <strong>in</strong>sgesamt ab und wird <strong>in</strong> den a<strong>ch</strong>tziger Jahren vers<strong>ch</strong>w<strong>in</strong>dend ger<strong>in</strong>g. In<br />

e<strong>in</strong>igen Jahrgängen [fehlt er]sogar <strong>ganz</strong>.“ Was die Verna<strong>ch</strong>lässigung kultureller Themen anbelangt, me<strong>in</strong>te Bendias, dass „die<br />

Gründe dafür <strong>in</strong> dem knappen Papierkont<strong>in</strong>gent zu su<strong>ch</strong>en s<strong>in</strong>d, wahrs<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>li<strong>ch</strong> ist jedo<strong>ch</strong>, dass hier vor allem der Charakter<br />

der GDREA <strong>in</strong> Re<strong>ch</strong>nung zu stellen ist.“ Die grotesken Verzerrungen, die der esperantist au<strong>ch</strong> als „Fa<strong>ch</strong>zeits<strong>ch</strong>rift“ so<br />

<strong>ch</strong>arakterisieren, wurden von Bendias <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> thematisiert. Insgesamt s<strong>ch</strong>ien Bendias si<strong>ch</strong> für die gigantis<strong>ch</strong>en Probleme, die<br />

die DDR <strong>in</strong>tern und mit dem Ausland hatte, entweder <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> <strong>in</strong>teressiert zu haben oder er mo<strong>ch</strong>te <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> darüber s<strong>ch</strong>reiben. All<br />

diese hier ergänzten Facetten wurden <strong>in</strong> diesem Beitrag <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> tangiert, so dass man den E<strong>in</strong>druck erhält, dass sie na<strong>ch</strong> alter<br />

DDR-Manier e<strong>in</strong>mal au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> im Ers<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>ungsjahr 1999 mehr be(oder ver)s<strong>ch</strong>wiegen wurden. Au<strong>ch</strong> der Verlag konnte es<br />

<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> verh<strong>in</strong>dern, da er dieser Publikation grünes Li<strong>ch</strong>t gab.<br />

77


Vere<strong>in</strong>igung wieder zu distanzieren. Ab 2008 trat Künzli aus der <strong>Esperanto</strong>-Bewegung stufenweise aus und<br />

begann si<strong>ch</strong> als s<strong>ch</strong>arfer Kritiker ihrer Strategien und Führungsorgane zu profilieren.<br />

Anhänge<br />

Anhang 1<br />

In se<strong>in</strong>er Re<strong>ch</strong>tfertigung zu e<strong>in</strong>igen Vorwürfen im Zusammenhang mit se<strong>in</strong>er Vergangenheit s<strong>ch</strong>rieb<br />

D. Blanke im Mitteilungsblatt der GDREA 5/1991 (Cirkulero de GDREA) unter anderem die<br />

folgenden Zeilen (Auszüge):<br />

2. <strong>Der</strong> Kulturvere<strong>in</strong> <strong>in</strong> dessen Rahmen GDREA 25 Jahre lang wirkte, gehörte zu den Organisationen<br />

<strong>in</strong> der Ex-DDR, die über erhebli<strong>ch</strong>e Freiräume für liberales Wirken verfügte. Wir haben <strong>in</strong> dieser<br />

Organisation viele Freunde gew<strong>in</strong>nen können, dur<strong>ch</strong> sa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Arbeit. Die <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> ger<strong>in</strong>gen<br />

Mögli<strong>ch</strong>keiten haben die Vorstände des Verbandes genutzt, aber do<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> gegen die offizielle<br />

Staatspolitik, do<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mit Funktionären oder Personen, die offen Gegner des SED-Regimes waren.<br />

Andernfalls gäbe es heute wohl <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>s mit dem DEB zu vere<strong>in</strong>igen. Daraus Vorwürfe abzuleiten und<br />

uns die ‚Leitsätze’ und Resolutionen vorzuhalten, die unsere Arbeit <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> beh<strong>in</strong>derten, aber zum<br />

damaligen geistigen Klima gehörten – was man heute davon au<strong>ch</strong> immer halten mag – ist e<strong>in</strong>fa<strong>ch</strong><br />

unfair.<br />

3. Im übrigen, i<strong>ch</strong> persönli<strong>ch</strong> stehe zu me<strong>in</strong>er vergangenen Arbeit, die i<strong>ch</strong> gerne und wohl <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> <strong>ganz</strong><br />

ohne Ergebnisse geleistet habe. Ja, i<strong>ch</strong> war e<strong>in</strong> Befürworter des DDR-Staates, mit allen Illusionen,<br />

Irrtümern und Enttäus<strong>ch</strong>ungen. Plötzli<strong>ch</strong>e Kehrtwendungen, wie es viele me<strong>in</strong>er ehemaligen<br />

Landsleute fertig br<strong>in</strong>gen, liegen mir <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>. (...) Und i<strong>ch</strong> b<strong>in</strong> über vieles, was als ‚Vere<strong>in</strong>fa<strong>ch</strong>ung’ auf<br />

staatli<strong>ch</strong>er Ebene gelaufen ist, <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> froh. (...) Me<strong>in</strong>e ‚Privilegien’ waren Reisen <strong>in</strong>s westli<strong>ch</strong>e Ausland.<br />

Sie ergaben si<strong>ch</strong> aus den Aufgaben me<strong>in</strong>es Berufes. Dass nur wenige zu <strong>Esperanto</strong>-Veranstaltungen<br />

<strong>in</strong>s westli<strong>ch</strong>e Ausland reisen durften, war <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> me<strong>in</strong>e S<strong>ch</strong>uld und hat mi<strong>ch</strong> immer bedrückt. Sobald es<br />

Mögli<strong>ch</strong>keit gab, Erlei<strong>ch</strong>terungen zu s<strong>ch</strong>affen (etwa seit 1989), haben wir geholfen. Die Betroffenen<br />

wissen das. Und dass die Ergebnisse me<strong>in</strong>er Reisen (Kongressbesu<strong>ch</strong>e und wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />

Vortragsreisen) <strong>in</strong> erhebli<strong>ch</strong>em Masse <strong>in</strong> die nationalen und <strong>in</strong>ternationalen <strong>Esperanto</strong>-Arbeit<br />

e<strong>in</strong>geflossen s<strong>in</strong>d, ist h<strong>in</strong>rei<strong>ch</strong>end bekannt und muss hier <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> begründet werden. (...)“<br />

4. Jeder Erfolg für die ‚gefährli<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e’, jede weitere Stufe der gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Anerkennung<br />

des <strong>Esperanto</strong> musste gegen Vorurteile und Misstrauen – anfängli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> im Kulturbund – erkämpft<br />

werden. Man möge do<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> vergessen: Es g<strong>in</strong>g um die Rehabilitierung des <strong>Esperanto</strong> na<strong>ch</strong> Hitler<br />

und Stal<strong>in</strong>. Zu den Hartnäckigen, die dafür gewirkt haben, gehörten viele ehemalige SED-Mitglieder,<br />

Arbeiter-Esperantisten und Jüngere, jedenfalls <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> die, die si<strong>ch</strong> erst neuerd<strong>in</strong>gs melden und glauben,<br />

si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> Vergangenheitsverzerrungen profilieren zu müssen. Viellei<strong>ch</strong>t darf i<strong>ch</strong> erwähnen, dass i<strong>ch</strong><br />

seit 1958 aktiv <strong>Esperanto</strong> betreibe, also au<strong>ch</strong> die Zeit vor der Offizialisierung etwas kenne. Die<br />

Rehabilitierung ist uns <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> nur s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>th<strong>in</strong> gelungen. <strong>Esperanto</strong> war <strong>in</strong> der Ex-DDR <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mehr e<strong>in</strong><br />

belä<strong>ch</strong>eltes Hobby von unseriösen Sonderl<strong>in</strong>gen. Wir hatten <strong>in</strong> gewissem Masse e<strong>in</strong>e gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />

Akzeptanz errei<strong>ch</strong>t, die <strong>in</strong> vielen westli<strong>ch</strong>en Ländern unbekannt ist, zählt das <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mehr, weil es die<br />

DDR <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mehr gibt? E<strong>in</strong>e Reduzierung der Ergebnisse von GDREA auf spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />

Leistungen (...) ist daher zu e<strong>in</strong>seitig.<br />

5. GDREA wird au<strong>ch</strong> e<strong>in</strong> Mangel an Demokratie und e<strong>in</strong> alles beherrs<strong>ch</strong>ender Zentralismus<br />

vorgeworfen. Si<strong>ch</strong>er besteht hier die Kritik teilweise zu re<strong>ch</strong>t, da die Strukturen von GDREA dur<strong>ch</strong><br />

den Staat bee<strong>in</strong>flusst waren. Das konnte ja wohl <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> anders se<strong>in</strong>. Wahr ist aber au<strong>ch</strong>, dass der<br />

Zentralvorstand e<strong>in</strong> demokratis<strong>ch</strong> gewähltes Gremium war, <strong>in</strong> dem e<strong>in</strong>e offene und tolerante<br />

Atmosphäre herrs<strong>ch</strong>te, <strong>in</strong> dem die Vorsitzenden der Bezirksorganisationen und der Fa<strong>ch</strong>gruppen<br />

grossen E<strong>in</strong>fluss hatten, die die Arbeit ihrer Gliederungen <strong>in</strong> hohem Masse selbst bestimmten. I<strong>ch</strong><br />

kann mi<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> daran er<strong>in</strong>nern, dass kluge (und ma<strong>ch</strong>bare) Vors<strong>ch</strong>läge <strong>in</strong> ihrer Realisierung beh<strong>in</strong>dert<br />

wurden. Für die Mitarbeit <strong>in</strong> den Vorständen waren <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> Parteizugehörigkeit und politis<strong>ch</strong>e<br />

Auffassungen massgebend, sondern Kompetenz und Bereits<strong>ch</strong>aft zur Eigenaktivität. (...)<br />

78


Anhang 2<br />

Anhang 2 weist auf e<strong>in</strong>en bemerkenswerten und im Allgeme<strong>in</strong>en eher unbekannten Beitrag von D.<br />

Blanke h<strong>in</strong>, der kurz vor der Wende entstand und als Na<strong>ch</strong>wort zur sowjetis<strong>ch</strong>en Ausgabe des Bu<strong>ch</strong>es<br />

‚Die gefährli<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e’ (1990), das die Verfolgungen der Esperantisten unter Hitler und Stal<strong>in</strong><br />

behandelte, veröffentli<strong>ch</strong>t wurde. In diesem Kommentar stilisierte Blanke, der <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en eigenen<br />

Publikationen und denjenigen se<strong>in</strong>es Verbands während Jahrzehnten selbst die Verfolgungen der<br />

Esperantisten aus ideologis<strong>ch</strong>-politis<strong>ch</strong>en Gründen zu vers<strong>ch</strong>weigen (od. bes<strong>ch</strong>weigen) hatte, si<strong>ch</strong> nun<br />

plötzli<strong>ch</strong> zum feurigen Verfe<strong>ch</strong>ter der Notwendigkeit ho<strong>ch</strong>, dieses dunkle Kapitel endli<strong>ch</strong> zu<br />

enttabuisieren und begrüsste das Ers<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>en des Bu<strong>ch</strong>s von dem Westdeuts<strong>ch</strong>en U. L<strong>in</strong>s euphoris<strong>ch</strong>.<br />

Man sollte aus der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te lernen, lautete das Motto se<strong>in</strong>es Na<strong>ch</strong>worts. Er, Blanke selbst, s<strong>ch</strong>ien<br />

aus der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te gelernt zu haben, dass es „absurd“ sei, „e<strong>in</strong>e Spra<strong>ch</strong>e mit e<strong>in</strong>er bestimmten<br />

Ideologie zu identifizieren“. In se<strong>in</strong>er kolossalen Übers<strong>ch</strong>ätzung der Rolle des <strong>Esperanto</strong> als<br />

„demokratis<strong>ch</strong>e transnationale Weltspra<strong>ch</strong>e“ s<strong>ch</strong>reckte Blanke, wohl no<strong>ch</strong> immer im stal<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>en<br />

Korsett des reaktionären DDR-Jargons gefangen, <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> davor zurück, die Gegner des <strong>Esperanto</strong> als<br />

„mit Vorurteilen behaftete Ignoranten und Kurzsi<strong>ch</strong>tige“ zu bezei<strong>ch</strong>nen, analog wie die Esperantisten<br />

e<strong>in</strong>st von den Stal<strong>in</strong>isten als „Konterrevolutionäre“ und „bourgeoise Elemente“ bes<strong>ch</strong>impft wurden.<br />

Den Teil über die sowjetis<strong>ch</strong>e <strong>Esperanto</strong>-Bewegung betreffend beurteilte Blanke h<strong>in</strong>gegen als <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong><br />

ausrei<strong>ch</strong>end für e<strong>in</strong>e „wahre objektive Präsentation“ verfasst, weil „viele sowjetis<strong>ch</strong>e Quellen“ fehlten,<br />

die L<strong>in</strong>s <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> zugängli<strong>ch</strong> gewesen seien. So sei der E<strong>in</strong>druck entstanden, das die sowjetis<strong>ch</strong>e<br />

„Bewegung ständig nur manövriert habe, dass ihre Führer pseudowissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> theoretisiert und<br />

darum gerungen hätten, irgendwie zu überleben“. Dieser E<strong>in</strong>druck sei zu „e<strong>in</strong>seitig“. E<strong>in</strong> grosses<br />

Manko sei das Fehlen e<strong>in</strong>es Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tswerks über die sowjetis<strong>ch</strong>e <strong>Esperanto</strong>-Bewegung. Da L<strong>in</strong>s si<strong>ch</strong><br />

zu fest an die Unterlagen der SAT geklammert habe, sei e<strong>in</strong> allzu negatives Bild von E.K. Drezen<br />

entstanden, das „wir <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> akzeptieren können“. Marxistis<strong>ch</strong>-len<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong> orientierte Esperantisten<br />

hätten das Re<strong>ch</strong>t gehabt, eigene Gesi<strong>ch</strong>tspunkte zu vertreten, was halt zwangsweise zu Konflikten mit<br />

den Theoretikern der SAT geführt habe. Au<strong>ch</strong> das Kapitel über die Beziehungen des Sozialismus zur<br />

<strong>in</strong>ternationalen Spra<strong>ch</strong>e gefiel Blanke <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>. Bei der Behandlung dieser Thematik müsse man die<br />

Methoden des Marxismus, d.h. des dialektis<strong>ch</strong>en und historis<strong>ch</strong>en Materialismus, anwenden. Die Art<br />

und Weise der Behandlung des Themas ‚Len<strong>in</strong> und <strong>Esperanto</strong>’ fand Blanke ungere<strong>ch</strong>t, weil L<strong>in</strong>s mit<br />

e<strong>in</strong>em S<strong>ch</strong>lag die diesbezügli<strong>ch</strong>e Studie S.N. Podkam<strong>in</strong>ers 178 verwis<strong>ch</strong>t habe. Bei dieser Gelegenheit<br />

beeilte si<strong>ch</strong> Blanke, das „len<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>e Konzept von der Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung der Nationen und<br />

Spra<strong>ch</strong>en“ zu verteidigen. Au<strong>ch</strong> <strong>in</strong> Bezug auf viele weitere Berei<strong>ch</strong>e wie die <strong>Esperanto</strong>-<br />

Arbeiterbewegung, die <strong>Esperanto</strong>-Friedensbewegung, die <strong>Esperanto</strong>-Bewegung <strong>in</strong> den sozialistis<strong>ch</strong>en<br />

Ländern und <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> der DDR zeigte si<strong>ch</strong> Blanke unbefriedigt von L<strong>in</strong>s’ Arbeit; e<strong>in</strong>en Grund<br />

<strong>in</strong> der „Fals<strong>ch</strong>präsentation“ (Esp. misprezento) e<strong>in</strong>iger Themen sah er dar<strong>in</strong>, dass L<strong>in</strong>s selbst <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> <strong>in</strong><br />

den sozialistis<strong>ch</strong>en Ländern gelebt habe. 179 Zu e<strong>in</strong>igen wi<strong>ch</strong>tigen Aussagen, die L<strong>in</strong>s gema<strong>ch</strong>t habe,<br />

würden zusätzli<strong>ch</strong>e Ausführungen fehlen. Ausserdem stellte Blanke bei L<strong>in</strong>s „zu krasse<br />

Verallgeme<strong>in</strong>erungen und oft unbeweisbare Behauptungen“, ja sogar e<strong>in</strong>e „sarkastis<strong>ch</strong>e Komponente<br />

bei der Interpretation des Autors“ fest, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em „wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Werk <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> vorkommen“<br />

sollten. E<strong>in</strong>e eigene selbstkritis<strong>ch</strong>e Reflexion über die Verhältnisse <strong>in</strong> der DDR und im Ostblock<br />

178 Bei Semjon Naumovič Podkam<strong>in</strong>er handelt es si<strong>ch</strong> um e<strong>in</strong>e s<strong>ch</strong>illernde Gestalt, deren politis<strong>ch</strong>e Vergangenheit no<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong><br />

<strong>ganz</strong> geklärt zu se<strong>in</strong> s<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>t. Se<strong>in</strong>e Biographie wurde <strong>in</strong> diversen Ostblock-Organen verherrli<strong>ch</strong>t und <strong>in</strong>s ri<strong>ch</strong>tige ideologis<strong>ch</strong>e<br />

Li<strong>ch</strong>t gerückt, während e<strong>in</strong>e kritis<strong>ch</strong>e Diskussion nie stattfand. Im Internet f<strong>in</strong>det man e<strong>in</strong>en Semjon Podkam<strong>in</strong>er, der<br />

während des Kriegs Oberst des NKVD der Len<strong>in</strong>grader Front gewesen se<strong>in</strong> soll. Au<strong>ch</strong> A. Char’kovskij erwähnte dies <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>em Aufsatz ‚Gefährli<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e’, Teil IV. E<strong>in</strong>e Bestätigung, ob es si<strong>ch</strong> tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> um den glei<strong>ch</strong>en Semjon Podkam<strong>in</strong>er<br />

handelt, konnte i<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> f<strong>in</strong>den, au<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> <strong>in</strong> Blankes Bros<strong>ch</strong>üre ‚Movado sur la alia flanko’, wo der Autor, e<strong>in</strong> Verehrer<br />

Podkam<strong>in</strong>ers, auf S. 27 darauf h<strong>in</strong>weist, dass au<strong>ch</strong> Podkam<strong>in</strong>er aus der Partei entfernt wurde und e<strong>in</strong> ähnli<strong>ch</strong>es S<strong>ch</strong>icksal wie<br />

se<strong>in</strong>e <strong>Esperanto</strong>-Ges<strong>in</strong>nungsfreunde, die der Repression zum Opfer fielen, zu befür<strong>ch</strong>ten hatte. Details zu dieser Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

fehlen.<br />

179 Dieses Argument setzte Blanke au<strong>ch</strong> anderen westli<strong>ch</strong>en Kritikern immer wieder entgegen.<br />

79


waren bei Blanke selbstverständli<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> vorzuf<strong>in</strong>den. Bemerkungen zum Kapitel über die<br />

Verfolgungen unter Hitler fehlten komplett. In der russis<strong>ch</strong>en Ausgabe von ‚Die gefährli<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e’,<br />

die 1999 <strong>in</strong> Moskau ers<strong>ch</strong>ien, war das Na<strong>ch</strong>wort von D. Blanke entfernt worden.<br />

E<strong>in</strong>e ähnli<strong>ch</strong> lautende Rezension ers<strong>ch</strong>ien <strong>in</strong> der esperantist 2/1990. Dort s<strong>ch</strong>rieb Blanke u.a.,<br />

dass man über die Verfolgung der Esperantisten unter Stal<strong>in</strong> s<strong>ch</strong>on längst vor dem Ers<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>en von<br />

L<strong>in</strong>s’ Bu<strong>ch</strong> gewusst habe.<br />

Weitere Beiträge und Publikationen von D. Blanke:<br />

D. Blanke: E<strong>in</strong>ige methodologis<strong>ch</strong>e Probleme der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>reibung über GDREA. <strong>Esperanto</strong>-<br />

Dokumento 5. Deuts<strong>ch</strong>es <strong>Esperanto</strong>-Institut. Berl<strong>in</strong> 2000. 29 S.<br />

D. Blanke (Red.): Beiträge zur Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des <strong>Esperanto</strong>-Verbandes im Kulturbund der DDR. Red. D.<br />

Blanke. Arbeitsgruppe zur Erfors<strong>ch</strong>ung der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des <strong>Esperanto</strong>-Verbandes der DDR. Berl<strong>in</strong><br />

2003.. 203 S.<br />

In der japanis<strong>ch</strong>en <strong>Esperanto</strong>-Zeits<strong>ch</strong>rift Verda Kolombo liess D. Blanke 1993 se<strong>in</strong>e ausführli<strong>ch</strong>en<br />

Reflexionen über den Untergang der DDR, die Wiedervere<strong>in</strong>igung Deuts<strong>ch</strong>lands und deren<br />

Konsequenzen veröffentli<strong>ch</strong>en. Es handelt si<strong>ch</strong> um die s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong> bearbeitete Wiedergabe e<strong>in</strong>es<br />

Vortrags, den Blanke vor e<strong>in</strong>em Eo-Publikum <strong>in</strong> Japan gehalten hatte. Dabei werden mit lei<strong>ch</strong>t<br />

zynis<strong>ch</strong>em Unterton weitgehend kritis<strong>ch</strong>e, ja dunkle und pessimistis<strong>ch</strong>e E<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>ätzungen des neuen<br />

Deuts<strong>ch</strong>lands vorgetragen, <strong>in</strong> dem die bösen Westdeuts<strong>ch</strong>en den Osten okkupiert und die Kultur,<br />

Wissens<strong>ch</strong>aft und das Sozialsystem „e<strong>in</strong>es <strong>ganz</strong>en Landes“ „systematis<strong>ch</strong> zerstört“ hätten, usw. usf.<br />

Um e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>druck vom Stil dieses Artikels zu geben, heisst es z.B. über die Stasi (Übersetzung aus<br />

dem Eo von aK):<br />

„Gewisse krim<strong>in</strong>elle Aspekte der ‚Stasi’ und von hohen Funktionären s<strong>in</strong>d sehr willkommen,<br />

damit die BRD die Aufmerksamkeit von eigenen, wahrs<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>li<strong>ch</strong> ke<strong>in</strong>eswegs weniger grossen<br />

Verbre<strong>ch</strong>en (z.B. die s<strong>ch</strong>iere Ni<strong>ch</strong>tbestrafung von fas<strong>ch</strong>istis<strong>ch</strong>en Krim<strong>in</strong>ellen, Juristen u.ä.) ablenken<br />

kann. Das bedeutet, dass die BRD Kritik über ihre eigene Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te verh<strong>in</strong>dern kann, <strong>in</strong>dem sie auf<br />

die s<strong>ch</strong>warzen Flecken der Ostdeuts<strong>ch</strong>en aufmerksam ma<strong>ch</strong>en kann. So wurde zum Beispiel die<br />

Millionen von Akten des Nazi-Dokumentationszentrums <strong>in</strong> (West-)Berl<strong>in</strong> nie geöffnet, die Akten über<br />

Mitglieder der deuts<strong>ch</strong>en Nazipartei, der fas<strong>ch</strong>istis<strong>ch</strong>en Terrororganisationen SS und SA, von Tätern<br />

<strong>in</strong> Konzentrationslagern u.ä. enthält. Wenn man (mit der Bewilligung der US-<br />

Regierungsverantwortli<strong>ch</strong>en) diese Akten na<strong>ch</strong> dem Krieg geöffnet hätte, hätte die BRD<br />

wahrs<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>li<strong>ch</strong> ke<strong>in</strong>e brau<strong>ch</strong>baren hohen Beamte, Juristen und andere Staatsfunktionäre gehabt.<br />

Übrigens ist die Öffnung der Akten von den heutigen deuts<strong>ch</strong>en Geheimdiensten <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> geplant.“ 180<br />

Na<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>er seitenweise kritis<strong>ch</strong>en Beurteilung der Lage des wiedervere<strong>in</strong>igten Deuts<strong>ch</strong>lands<br />

kam Blanke <strong>ganz</strong> am Ende se<strong>in</strong>es Beitrags, der die Untaten der DDR erneut zu bagatellisieren<br />

versu<strong>ch</strong>te, do<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> auf e<strong>in</strong>zelne positive Aspekte des neuen Deuts<strong>ch</strong>lands wie „die grössere<br />

persönli<strong>ch</strong>e Freiheit, mehr Chancen für die kreative Entwicklung des Individuums (aber abhängig von<br />

den materiellen Bed<strong>in</strong>gungen) zu spre<strong>ch</strong>en, viel mehr ausser der <strong>in</strong>ternationalen<br />

180 <strong>Der</strong> Text kann unter http://homepage2.nifty.com/serpento/vk/blanke/blanke1.htm abgerufen werden (zum letzten Mal<br />

abgerufen am 1.9.2011). I<strong>ch</strong> gehe davon aus, dass dieser Beitrag <strong>in</strong> (der Pr<strong>in</strong>tausgabe von) Verda Kolombo, e<strong>in</strong>er mir<br />

unbekannten Zeits<strong>ch</strong>rift, tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>ienen ist. Übrigens war es Blanke damals viellei<strong>ch</strong>t entgangen, dass man <strong>in</strong> der SBZ<br />

mit den NSDAP-Mitgliedern na<strong>ch</strong> dem Krieg wie folgt verfuhr: Um die NSDAP-Mitglieder <strong>in</strong> die Gesells<strong>ch</strong>aft od. Politik zu<br />

‚<strong>in</strong>tegrieren’, wurden diese im Juni 1948 <strong>in</strong> der National-Demokratis<strong>ch</strong>en Partei Deuts<strong>ch</strong>lands (NDPD) zusammengefasst und<br />

als sog. Blockpartei mit der SED glei<strong>ch</strong>ges<strong>ch</strong>altet. Ironie der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te war, dass ausgere<strong>ch</strong>net diese NDPD <strong>in</strong> ihrem<br />

Parteiprogramm u.a. die Förderung des Mittelstands gefordert hatte. Na<strong>ch</strong> eigenen Angaben stieg die Mitgliederzahl der<br />

NDPD von 17’000 im Jahr 1949 auf 232’605 im Jahr 1953. Die Entnazifizierung <strong>in</strong> der DDR gehörte zur Staatspropaganda<br />

und wurde auf eigene Art vollzogen. Zweitens konnten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Demokratie wie der BRD selbst altgediente NSDAP-Leute<br />

mit oder ohne krim<strong>in</strong>eller Vergangenheit, allenfalls na<strong>ch</strong> Verbüssung e<strong>in</strong>er angemessen Bestrafung, u.U. e<strong>in</strong>e zweite Chance<br />

bekommen, und wie bekannt konnten selbst re<strong>ch</strong>tsgeri<strong>ch</strong>tete bis neonazistis<strong>ch</strong>e Kräfte si<strong>ch</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Demokratie artikulieren,<br />

sofern sie <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> verboten waren und <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> ausserhalb der Spielregeln der Demokratie bewegten. Es ist ri<strong>ch</strong>tig, dass <strong>in</strong> der<br />

BRD <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> wenige Altnazis wieder <strong>in</strong> hohe und e<strong>in</strong>flussrei<strong>ch</strong>e Stellungen gelangten und dass die Aufarbeitung des<br />

Nationalsozialismus relativ spät e<strong>in</strong>setzte. E<strong>in</strong> e<strong>in</strong>drückli<strong>ch</strong>es Denkmal für die Karriere rehabilitierter Altnazis erstellte E.<br />

Klee mit se<strong>in</strong>em Personenlexikon zum Dritten Rei<strong>ch</strong>. Wer war was vor und na<strong>ch</strong> 1945.<br />

80


Bewegungsmögli<strong>ch</strong>keiten und der „rigorosere ökologis<strong>ch</strong>e Politik“, von denen die Ostdeuts<strong>ch</strong>en<br />

profitieren könnten, s<strong>ch</strong>ien ihm aber <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> <strong>in</strong> den S<strong>in</strong>n zu kommen. Obwohl die „humane<br />

Gesells<strong>ch</strong>aftsordnung no<strong>ch</strong> nirgends verwirkli<strong>ch</strong>t“ worden sei, hätten die Werke von Marx und Engels<br />

aber „<strong>in</strong> vielen Aspekten“ ihre Aktualität behalten, me<strong>in</strong>t er dazu.<br />

In e<strong>in</strong>em Interview von 1994 mit dem kommunistis<strong>ch</strong>en Eo-Bullet<strong>in</strong> Internaciisto äusserte<br />

Blanke si<strong>ch</strong> offenbar enttäus<strong>ch</strong>t und mit den s<strong>ch</strong>wärzesten Farben über das „<strong>ganz</strong> neue, vorher<br />

komplett fremde System“ der Marktwirts<strong>ch</strong>aft. Dieses erlaube auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> profitgebende D<strong>in</strong>ge,<br />

während alles Subventionierte zugrunde gehe, die Gruppen zerfielen, Klublokale <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mehr bezahlbar<br />

seien, die arbeitslosen Mens<strong>ch</strong>en um ihre Existenz kämpfen müssten und wo nur no<strong>ch</strong> Englis<strong>ch</strong><br />

unterri<strong>ch</strong>tet werde. Das Interesse für <strong>Esperanto</strong> sei ger<strong>in</strong>g, zumal viele es für e<strong>in</strong>e ‚kommunistis<strong>ch</strong>e<br />

Sa<strong>ch</strong>e’ hielten. Als e<strong>in</strong>zige Positiva der ‚neuen Welt’ kamen Blanke (immerh<strong>in</strong>) die ger<strong>in</strong>geren<br />

bürokratis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>ikanen, das Fehlen ideologis<strong>ch</strong>er S<strong>ch</strong>ranken und des Papiermangels sowie die<br />

Bewegungs- und Reisefreiheit <strong>in</strong> den S<strong>in</strong>n, aber au<strong>ch</strong> diese sei nur gewährleistet, wenn die Leute Geld<br />

hätten und <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> „zufällig“ arbeitslos seien. Blanke hat ja so re<strong>ch</strong>t, nur s<strong>ch</strong>ade, dass er dies alles no<strong>ch</strong><br />

immer unter dem E<strong>in</strong>fluss der e<strong>in</strong>seitigen DDR-Propaganda sieht. E<strong>in</strong>e kritis<strong>ch</strong>e Haltung Blankes<br />

gegenüber der DDR su<strong>ch</strong>t man au<strong>ch</strong> <strong>in</strong> diesem Interview vergebli<strong>ch</strong>, die e<strong>in</strong>zige plausible Erklärung,<br />

wieso das sozialistis<strong>ch</strong>e System kollabierte, die ihm zu entlocken war, bezog si<strong>ch</strong> auf die „eigenen<br />

Unfähigkeiten des Systems“ „unter der Führung e<strong>in</strong>es sehr unterentwickelten, aber mä<strong>ch</strong>tigen Landes<br />

– der Sowjetunion“. Blanke „vermutet“, dass „s<strong>ch</strong>on <strong>in</strong> der Theorie, besonders bei Len<strong>in</strong>, s<strong>ch</strong>were<br />

Mängel auftraten, weniger aber bei Marx und Engels“. Aber es sei au<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>e Tatsa<strong>ch</strong>e, die man gerne<br />

vergesse, dass die westli<strong>ch</strong>en Ländern „jeden S<strong>ch</strong>ritt“ dieser östli<strong>ch</strong>en Länder „beh<strong>in</strong>dert“ hätten (was<br />

die USA mit Kuba ma<strong>ch</strong>ten sei ja wirkli<strong>ch</strong> „zum Kotzen“) und der Kalte Krieg sei <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> nur e<strong>in</strong>e<br />

Erf<strong>in</strong>dung Stal<strong>in</strong>s, sondern e<strong>in</strong>e Sa<strong>ch</strong>e beider Seiten gewesen. <strong>Der</strong> Sozialismus sei als Ideal e<strong>in</strong>e<br />

Sa<strong>ch</strong>e, das politis<strong>ch</strong>e System e<strong>in</strong>e andere. Zu viele Leute seien im Namen des Sozialismus umgebra<strong>ch</strong>t<br />

worden. Man solle den Stal<strong>in</strong>ismus „<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> zu milde behandeln“, der an der Diskreditierung e<strong>in</strong>es gutes<br />

Ideals s<strong>ch</strong>uld sei. Die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des Zerfalls des Sozialismus sei komplizierter als man im<br />

Allgeme<strong>in</strong>en denke. Die sozialistis<strong>ch</strong>en Ideale halte er aber für gere<strong>ch</strong>ter und das „Ideal der<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft ohne Diskrim<strong>in</strong>ierung“ hätte se<strong>in</strong>e Gültigkeit behalten. Daher sei Blanke Mitglied der<br />

PDS (heute die L<strong>in</strong>ke). <strong>Der</strong> Kapitalismus sei aber au<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>eitert, da er ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges wi<strong>ch</strong>tiges<br />

Problem der <strong>ganz</strong>en Welt gelöst habe (viellei<strong>ch</strong>t mit Ausnahme der ‚nordis<strong>ch</strong>en’ Länder) und dies<br />

au<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> zu lösen imstande sei. Das Vers<strong>ch</strong>w<strong>in</strong>den des Kapitalismus und das Anbre<strong>ch</strong>en e<strong>in</strong>er<br />

besseren Gesells<strong>ch</strong>aftsordnung sei aber <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> <strong>in</strong> Si<strong>ch</strong>t. „Mit dem jetzigen Kapitalismus, sollte er si<strong>ch</strong><br />

<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> beträ<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ändern, werden wir die Welt s<strong>ch</strong>ön zerstören. Es brau<strong>ch</strong>t e<strong>in</strong>en dritten Weg.“ Aber<br />

er, Blanke, sei ke<strong>in</strong> Professor der Philosophie, sondern Doktor der Interl<strong>in</strong>guistik, um dies alles<br />

kompetent beurteilen zu können.<br />

M.E. erübrigt si<strong>ch</strong> jegli<strong>ch</strong>er Kommentar zu diesen Äusserungen. 181<br />

181 D. Blanke wurde 2011 zum Ehrenmitglied des <strong>Esperanto</strong>-Weltbunds (UEA) ernannt. Zu se<strong>in</strong>em 70. Geburtstag wurde<br />

e<strong>in</strong>e Fests<strong>ch</strong>rift publiziert, die vom Peter Lang-Verlag herausgegeben wurde. Die Aufarbeitung der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der GDREA<br />

fehlt dort komplett. Au<strong>ch</strong> <strong>in</strong> den offiziellen Würdigungen Blankes wurde e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis auf se<strong>in</strong>e politis<strong>ch</strong>-ideologis<strong>ch</strong>e Rolle<br />

<strong>in</strong> der DDR <strong>in</strong> Gänze ausgelassen, selbst mit dem Kürzel DDR wird sparsam umgegangen. Die Fests<strong>ch</strong>rift ist weitestgehend<br />

auf l<strong>in</strong>guistis<strong>ch</strong>e Themen bes<strong>ch</strong>ränkt.<br />

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