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VORwäRTS In DIE VERgAngEnhEIT?///////////////////////////////<br />
Das LITERaTURfEsT mÜNChEN TRITT RÜCkwäRTs////////////////////<br />
///Obwohl das Literaturfest München heuer<br />
erst zum dritten Mal stattfin<strong>de</strong>t, präsentiert es<br />
sich schon in ganz neuem Corporate-I<strong>de</strong>ntity-<br />
Gewand. In <strong>de</strong>n Jahren 2010 und 2011 bestand<br />
das Logo aus einem schlichten Schriftzug, gerahmt<br />
von französischen Anführungsstrichen,<br />
die als durchgehen<strong>de</strong>s Gestaltungsmerkmal<br />
dienten. Zugegeben: Beson<strong>de</strong>rs aufregend sah<br />
das nicht aus. Diesmal dagegen ist das Wort<br />
„Literaturfest“ auf drei Reihen verteilt, die<br />
Schrift ist nun serifenlos, das große I kippt<br />
wie ein Buch nach rechts. Das sieht zwar<br />
sehr schön und zeitgemäß aus, erinnert aber<br />
doch allererst an die guten alten Zeiten <strong>de</strong>r<br />
Privatbibliothek. Dass weniger das Buch als<br />
vielmehr die Sprache im Zentrum eines Literaturfests<br />
steht – schließlich han<strong>de</strong>lt es sich<br />
per <strong>de</strong>finitionem um Live-Veranstaltungen –,<br />
haben die Gänsefüßchen <strong>de</strong>s früheren Logos<br />
womöglich besser gekennzeichnet.<br />
In dasselbe Horn stößt <strong>de</strong>r Werbespot <strong>de</strong>s Literaturfests<br />
2012. Darin sind we<strong>de</strong>r AutorInnen<br />
noch Publikum zu sehen, son<strong>de</strong>rn einzig und<br />
allein lesen<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r auch nur Bücher tragen<strong>de</strong><br />
Menschen; dazu erklingt eine Sologitarre, was<br />
erneut <strong>de</strong>m Privatismus das Wort re<strong>de</strong>t. Der<br />
ästhetische Witz: Die einzelnen Szenen laufen<br />
rückwärts, so dass <strong>de</strong>n Menschen die Bücher<br />
zufliegen, die sie für die Aufnahme von sich<br />
geschleu<strong>de</strong>rt o<strong>de</strong>r wenigstens beiseitegeschoben<br />
haben. Und am En<strong>de</strong> entknüllt sich <strong>de</strong>r<br />
Flyer, auf <strong>de</strong>m das Logo einen türkis eingenebelten<br />
Kopf über<strong>de</strong>ckt.<br />
Am Konzept <strong>de</strong>s Literaturfests hat sich allerdings<br />
nichts geän<strong>de</strong>rt. Es steht weiterhin auf<br />
seinen drei bekannten Beinen: <strong>de</strong>r Münchner<br />
Bücherschau, <strong>de</strong>m „Festprogramm“ <strong>de</strong>s Literaturhauses<br />
und <strong>de</strong>m forum:autoren, das je<strong>de</strong>s<br />
Jahr ein an<strong>de</strong>rer Schriftsteller verantwortet.<br />
Das Motto <strong>de</strong>r diesjährigen forum:autoren-<br />
Kuratorin Thea Dorn lautet „Hinaus ins<br />
Ungewisse“. Was wie ein Wi<strong>de</strong>rspruch zur<br />
Rückwärtsgewandtheit von neuem Logo und<br />
Werbespot klingt, entpuppt sich tatsächlich als<br />
<strong>de</strong>ren Höhepunkt. Dorn interessiert sich offensichtlich<br />
we<strong>de</strong>r für <strong>de</strong>n Umbruch auf <strong>de</strong>m<br />
Buchmarkt noch für die jüngsten Entwicklung<br />
im Digitalen noch für neue Spielarten <strong>de</strong>s Literarischen.<br />
<strong>Den</strong> Auftakt <strong>de</strong>s Programms bil<strong>de</strong>t<br />
vielmehr eine Lesung von Martin Walser,<br />
es folgen Schriftstellerinnen und Schriftsteller,<br />
die allesamt und auch völlig zurecht seit<br />
Jahren auf festen Füßen im Buchmarkt stehen,<br />
wie etwa Christoph Ransmayr, Karen Duve,<br />
Felicitas Hoppe, Christian Kracht o<strong>de</strong>r Clemens<br />
Setz. Dorn setzt sichtlich auf Renommee<br />
und ganz sicher nicht aufs Ungewisse.<br />
Was soll dann dies Motto be<strong>de</strong>uten? Um<br />
Thea Dorn zu zitieren: „Ich möchte Sie beim<br />
forum:autoren einla<strong>de</strong>n, das Leben wie<strong>de</strong>r als<br />
das zu ent<strong>de</strong>cken, was es im Kern geblieben<br />
ist: ein unvorhersehbares, teils beglücken<strong>de</strong>s,<br />
teils schmerzliches Abenteuer. Schriftsteller,<br />
Musiker, Philosophen sind heute noch Abenteurer<br />
<strong>de</strong>s Geistes und <strong>de</strong>s Herzens, kurz: Romantiker.<br />
Sie zeigen uns, dass es auch im 21.<br />
Jahrhun<strong>de</strong>rt mehr Dinge zwischen Himmel<br />
und Er<strong>de</strong> gibt, als unsere Schulweisheit sich<br />
träumen lässt, dass Liebe, Hoffnung, Wage-<br />
mut, Phantasie, Hingabe an <strong>de</strong>n Augenblick<br />
mehr für unser Seelenheil zu tun vermögen<br />
als <strong>de</strong>r ausgeklügeltste Versicherungsapparat.“<br />
Während <strong>de</strong>r Pressekonferenz wies sie auf <strong>de</strong>n<br />
allgemeinen Glaubensverlust hin und verlieh<br />
ihrer Hoffnung Ausdruck, dass die Kunst die<br />
Rolle <strong>de</strong>r Religion übernehmen, uns ein Haus<br />
bauen könne in diesen Zeiten <strong>de</strong>r transzen<strong>de</strong>ntalen<br />
Obdachlosigkeit. (Dass die Religion<br />
so mürbe nicht sein kann, wenn überall auf<br />
<strong>de</strong>r Welt wegen ihr Kriege ausgetragen wer<strong>de</strong>n,<br />
und die Kunst niemals Gottes Thron einnehmen<br />
wird, da sie im Herzen Blasphemikerin<br />
ist, ficht die Kuratorin nicht an.)<br />
Zu<strong>de</strong>m ein wenig unglücklich wirkt das eigene<br />
Programmheft für die Reihe forum:autoren,<br />
das – mit Thea Dorns Konterfei auf <strong>de</strong>m Cover<br />
– <strong>de</strong>utlich an <strong>de</strong>r Dreifaltigkeit <strong>de</strong>s Literaturfests<br />
herummeißelt. <strong>Den</strong> ohnehin schwierigen<br />
Prozess <strong>de</strong>s Zusammenwachsens von Bücherschau,<br />
forum:autoren und Literaturhaus zum<br />
Literaturfest München, vor allem in <strong>de</strong>r Perspektive<br />
<strong>de</strong>r Öffentlichkeit, beför<strong>de</strong>rt eine solche<br />
Eigenbrötelei nicht gera<strong>de</strong>. An<strong>de</strong>rerseits<br />
ist ein erfreulicher Teamwechsel zu vermel<strong>de</strong>n:<br />
Die Debattenreihe Klartext, die <strong>de</strong>r Kurator<br />
Matthias Politycki im vergangenen Jahr<br />
erfand, wird glücklicherweise fortgeführt –<br />
nicht mehr unter <strong>de</strong>m Label „forum:autoren“,<br />
son<strong>de</strong>rn unter <strong>de</strong>r Ägi<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Literaturhauses,<br />
<strong>de</strong>m dafür großer Dank gebührt. Ein begleiten<strong>de</strong>s<br />
Blog wie im vergangenen Jahr wird es<br />
jedoch lei<strong>de</strong>r nicht mehr geben.<br />
Wird also alles an<strong>de</strong>rs. Aber eben nicht nur<br />
besser.<br />
AUSgELESEn//////////////////<br />
LESUNG am 08.11.<br />
„hEImLICh, hEImLICh mICh VERgIss“<br />
VoN aNgELIka mEIER///////////<br />
///Eben hat Angelika Meier ihren zweiten<br />
Roman veröffentlicht, und man möchte ihn,<br />
wie schon <strong>de</strong>n ersten, je<strong>de</strong>m unter die Nase<br />
reiben, in <strong>de</strong>n Mund legen und aufs Auge drücken.<br />
Allein die Tatsache, dass Meiers Bücher<br />
bei <strong>de</strong>m eher kleinen und vor allem für seine<br />
avancierten kulturwissenschaftlichen Publikationen<br />
bekannten Verlag Diaphanes erscheinen,<br />
kann man als Qualitätsnachweis verstehen: Diaphanes<br />
hat die ersten Romane von Tom Mc-<br />
Carthy und Tim Etchells nach Deutschland<br />
geholt und Texte von Maurice Blanchot und<br />
Georges Perec (wie<strong>de</strong>r) ans Tageslicht beför<strong>de</strong>rt.<br />
Angelika Meier dürfte sich kaum irgendwo<br />
an<strong>de</strong>rs wohler fühlen, <strong>de</strong>nn auch sie ist mit<br />
allerlei philosophischen Wassern gewaschen;<br />
ihre Promotion namens „Die monströse Kleinheit<br />
<strong>de</strong>s <strong>Den</strong>kens“ behan<strong>de</strong>lte Jacques Derrida<br />
und Ludwig Wittgenstein. Vor allem aber lässt<br />
sich Meier nicht ins Bockshorn jagen von <strong>de</strong>n<br />
literarischen Kenntnissen, die sie offensichtlich<br />
mit sich trägt, son<strong>de</strong>rn führt sie glücklich zum<br />
Veitstanz aus. Ihre Romane sind ein Hei<strong>de</strong>nspaß<br />
in je<strong>de</strong>m Sinne, sie sind so klug wie kru<strong>de</strong>,<br />
sind gleichermaßen Gotteslästerungen und<br />
Entblößungen <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>nbewohner.<br />
Schon in ihrem Debüt „England“ begegnete<br />
man einer mehr als zweifelhaften Ich-Erzählerin,<br />
die an die University of Cambridge<br />
berufen wird, wo äußerst merkwürdige Sitten<br />
herrschen, was jedoch nieman<strong>de</strong>n son<strong>de</strong>rlich<br />
zu verwun<strong>de</strong>rn scheint; recht betrachtet trafen<br />
die Monstrositäten ohnehin ins Mark <strong>de</strong>r<br />
aka<strong>de</strong>mischen Welt von heute. Auf die Universität<br />
folgt nun das Krankenhaus als topografische<br />
Ordnung <strong>de</strong>r Dinge und architektonische<br />
Manifestation <strong>de</strong>s Wissens: „Heimlich, heimlich<br />
mich vergiss“, Meiers neuer Roman, han<strong>de</strong>lt<br />
von einer Klinik auf zauberischer Berges<br />
Höhe, wo keiner kuriert wird, <strong>de</strong>nn niemand<br />
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