Fallbeispiel 4 - THW-Jugend eV
Fallbeispiel 4 - THW-Jugend eV
Fallbeispiel 4 - THW-Jugend eV
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Handdbuchh<br />
Juge endarbeit<br />
Auufsiccht<br />
führ f ren
Handbuch <strong>Jugend</strong>arbeit<br />
Aufsicht führen<br />
Version: 4.03<br />
Erstelldatum: 19. Januar 2009<br />
Autoren:<br />
Ingo Henke
© BA <strong>THW</strong> & <strong>THW</strong>‐<strong>Jugend</strong> e.V.<br />
Aufsicht führen<br />
Aufsichtspflicht _____________________________________________________________________________________________ 4<br />
Grundsätzliches ..................................................................................................................................................... 4<br />
Umfang und Maß der Aufsichtsführung ........................................................................................................... 5<br />
Sonderfälle in der Aufsichtsführung .................................................................................................................. 9<br />
Inhalt der Aufsichtspflicht ................................................................................................................................. 17<br />
Die Dreischritt-Methode ..................................................................................................................................... 19<br />
Delegation der Aufsichtspflicht _________________________________________________________________________ 21<br />
Grundsätze der Delegation ................................................................................................................................ 21<br />
Dürfen Minderjährige die Aufsicht führen? .................................................................................................... 22<br />
Darf sich ein <strong>Jugend</strong>betreuer kurzfristig vertreten lassen? ........................................................................... 23<br />
Zivilrechtliche Haftung __________________________________________________________________________________ 23<br />
Urteile zum Thema .............................................................................................................................................. 26<br />
<strong>Fallbeispiel</strong>e aus dem Lehrgang ________________________________________________________________________ 28<br />
<strong>Fallbeispiel</strong> 1: Das Dosenwerfen ....................................................................................................................... 28<br />
<strong>Fallbeispiel</strong> 2: Tischfussballspiel ....................................................................................................................... 29<br />
<strong>Fallbeispiel</strong> 3: Der Besuch eines Wirtshauses .................................................................................................. 29<br />
<strong>Fallbeispiel</strong> 4: Das Lagerfeuer ............................................................................................................................ 30<br />
<strong>Fallbeispiel</strong> 5: Paddeln auf dem See .................................................................................................................. 30<br />
3
Aufsichtspflicht<br />
Grundsätzliches<br />
4<br />
Aufsicht führen<br />
In der heutigen oft komplizierten und undurchschaubaren Welt der Erwachsenen sind Kinder und<br />
<strong>Jugend</strong>liche mancherlei Gefahren ausgesetzt. Man denke nur an den Straßenverkehr oder andere<br />
Beschäftigungen, die für Minderjährige eine Gefahr darstellen, denen Erwachsene mit Selbstver‐<br />
ständlichkeit nachgehen. Kinder und <strong>Jugend</strong>liche können durch ihre Sorglosigkeit, Unvernunft oder<br />
Unwissenheit auch selbst eine nicht unerhebliche Gefahr für andere darstellen. So ist es verständ‐<br />
lich, dass Eltern verpflichtet sind, sich um ihre Kinder so zu kümmern, damit Schadensfälle vermie‐<br />
den werden. Dies nennt man Aufsichtspflicht. Gesetzlich geregelt ist die Aufsichtspflicht in der Per‐<br />
sonensorge nach § 1631 BGB.<br />
§ 1631 BGB, Abs. 1<br />
(1) Die Personensorge umfasst insbesondere das Recht und die Pflicht, das<br />
Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen, und seinen Aufenthalt zu bestimmen.<br />
In den Fällen, in welchen die Eltern ehelicher Kinder die Aufsicht ausüben, spricht man von gesetz‐<br />
licher Aufsichtspflicht. Entsprechendes gilt für Adoptiveltern (§ 1754 BGB) und für Vormünder (§<br />
1793 BGB).<br />
Die Aufsichtspflicht kann natürlich von den Eltern auf andere Personen übertragen werden, so zum<br />
Beispiel auf den Lehrer in der Schule, auf die Kindergärtnerin, auf ein Kindermädchen und natürlich<br />
auch auf den <strong>Jugend</strong>betreuer im Ferienlager. In diesen Fällen spricht man von vertraglicher Auf‐<br />
sichtspflicht, da die Aufsicht aufgrund eines Ver‐<br />
trages, etwa der Anmeldung für das Ferienlager<br />
oder den Kindergarten, zustande gekommen ist.<br />
Dies kann ausdrücklich, aber auch stillschweigend<br />
geschehen, oder sich aus der Natur der Sache er‐<br />
geben. Eine vertraglich übernommene Aufsichts‐<br />
pflicht wird angenommen, wenn es sich um eine<br />
weitreichende Obhut von längerer Dauer und<br />
weitgehender Einwirkungszeit handelt.<br />
Abbildung 1: Wer die Aufsicht führt, trägt oft eine große Last mit<br />
sich; Foto: <strong>THW</strong>‐<strong>Jugend</strong> Bayern<br />
zu geben, da sie kurz weg muss.<br />
Im Gegensatz dazu spricht man von Gefälligkeits‐<br />
aufsicht, wenn es ich um eine kurzzeitig über‐<br />
nommene Aufsichtspflicht handelt; ob die Auf‐<br />
sicht dabei entgeltlich oder unentgeltlich geführt<br />
wird, ist unerheblich. Um Gefälligkeitsaufsicht<br />
handelt es sich zum Beispiel, wenn eine Mutter<br />
eine andere am Spielplatz bittet, auf ihr Kind acht<br />
Die Übertragung der Aufsichtspflicht von den Eltern auf Dritte wird Delegation genannt. In der Fol‐<br />
ge sprechen wir häufig von „Aufsichtspflichtigen“ und „Aufsichtsbedürftigen“; hiermit sind zum<br />
einen die <strong>Jugend</strong>betreuer gemeint, welche eine Pflicht zu Aufsichtsführung haben, und zum ande‐<br />
ren die Kinder und <strong>Jugend</strong>lichen, welche einer Aufsicht bedürfen.<br />
© BA <strong>THW</strong> & <strong>THW</strong>-<strong>Jugend</strong> e.V.
© BA <strong>THW</strong> & <strong>THW</strong>‐<strong>Jugend</strong> e.V.<br />
Aufsicht führen<br />
Umfang und Maß der Aufsichtsführung<br />
Umfang und Maß der Aufsichtspflicht richten sich danach, was nach den persönlichen Eigenschaf‐<br />
ten des Aufsichtsbedürftigen und den sonstigen Gegebenheiten des Falles zum Schutze Dritter oder<br />
des Kindes oder <strong>Jugend</strong>lichen selbst erforderlich ist und dem Aufsichtspflichtigen nach seinen Ver‐<br />
hältnissen zugemutet werden kann.<br />
Bereits aus dieser Beschreibung ergibt sich, dass es keine feste Regel für das Maß der Aufsichtsfüh‐<br />
rung gibt. Viele Faktoren spielen zusammen eine Rolle, so dass es für den <strong>Jugend</strong>betreuer jedes Mal<br />
neu zu entscheiden gilt. Es kommt nicht darauf an, ob ein <strong>Jugend</strong>betreuer „sonst immer“ oder in<br />
ähnlichen Fällen richtig gehandelt hat, sondern immer nur darauf, ob er im konkreten Fall das ge‐<br />
botene Maß der Aufsichtspflicht erfüllt hat.<br />
Die entsprechenden Faktoren sollen näher betrachtet werden:<br />
Person des Kindes<br />
Es dürfte jedem klar sein, dass jüngere Kinder intensiver zu beaufsichtigen sind als ältere und nicht<br />
grundsätzlich längere Zeit allein gelassen werden dürfen. Dagegen kann ab dem schulpflichtigen<br />
Alter von einer entsprechenden Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit ausgegangen wer‐<br />
den. Eine Überwachung auf Schritt und Tritt ist nicht erforderlich, und wird auch mit zunehmen‐<br />
dem Alter und Verantwortungsbewusstsein stets we‐<br />
niger obligatorisch.<br />
Abbildung 2: Je nach Alter erfordern Kinder mehr oder<br />
weniger Aufsicht. Aber auch die Betrachtung der Persön‐<br />
lichkeit des Kindes ist erforderlich. (Foto: <strong>THW</strong>‐<strong>Jugend</strong><br />
Bayern)<br />
1 BGH JZ 84/955<br />
„Ein achtjähriges Kind, das nicht zu üblen Streichen<br />
neigt, braucht auf einem Spielplatz keineswegs ständig<br />
beaufsichtigt zu werden. Soweit keine besonderen Gefahren<br />
drohen, genügt es, wenn sich der Aufsichtspflichtige<br />
in groben Zügen über das Tun und Treiben einen<br />
Überblick verschafft.“ 1<br />
Neben dem tatsächlichen Alter ist hier natürlich eben‐<br />
so der Entwicklungsstand des Aufsichtsbedürftigen zu<br />
betrachten. Nicht jeder Achtjährige weiß, dass es nicht<br />
gut sein mag, wenn er ein anderes Kind im Sand ein‐<br />
buddelt. Genauso mag es auch schon mal 15‐Jährige<br />
geben, die nicht überblicken, dass dieser Verbrennun‐<br />
gen erhält, wenn man jemandem einen Dampfreiniger<br />
an den Körper hält,.<br />
Verhaltensauffälligkeiten und Eigenarten des Auf‐<br />
sichtsbedürftigen sind auch in das Maß der Aufsichts‐<br />
führung einzubeziehen. So ist zu beurteilen, ob es sich<br />
um ein „ruhiges“ oder „wildes“ Kind handelt. Dies gilt<br />
natürlich allgemein zu sehen; auch ein ruhiges Kind<br />
kann wild spielen. Hat aber ein Kind grundsätzlich die<br />
Neigung seine Meinung mittels Schlägen durchzuset‐<br />
5
6<br />
Aufsicht führen<br />
zen, so ist ein höheres Maß an Aufsicht angebracht.<br />
„Hat ein Dreizehnjähriger eine Neigung zum Spielen mit einer Steinschleuder und besitzt er alsbald<br />
eine neue, nachdem ihm die erste abgenommen worden ist, so ist die Aufsichtspflicht erhöht.“ 2<br />
Besondere Vorsicht ist geboten, wenn bei den Kindern eine Neigung zum „Zündeln“ besteht. Die<br />
Faszination des Feuers auf Kinder und die großen Gefahren, die daraus entstehen können, erfor‐<br />
dern ein großes Maß an Umsicht und Sorgfalt des Aufsichtspflichtigen. Hier ist es erforderlich das<br />
Kind über die Gefährlichkeit des Anzündens von Streichhölzern aufzuklären und es auf einen et‐<br />
waigen Besitz von Streichhölzern zu kontrollieren.<br />
„Auch die Möglichkeit, dass sich heutzutage Kinder selbst jüngeren Alters ohne Schwierigkeiten<br />
Streichhölzer in Selbstbedienungsläden verschaffen können, enthebt den Aufsichtspflichtigen nicht von<br />
der Pflicht, im Rahmen des Möglichen zu verhindern, dass diese im Einflussbereich in den Besitz von<br />
Streichhölzern gelangen.“ 3<br />
Gruppenverhalten<br />
Im Gegensatz zu den Eltern haben es <strong>Jugend</strong>betreuer im Allgemeinen mit Kindern in Gruppen zu<br />
tun. Deshalb ist es wichtig, dass sie das Verhalten des Kindes oder des <strong>Jugend</strong>lichen in der Gruppe<br />
kennen, welches sich wesentlich von dem unterscheiden kann, wenn das Kind oder der <strong>Jugend</strong>liche<br />
allein ist.<br />
Ein Beispiel hierfür sind Kinder zu nennen, die sich in Gruppen durch verwegene Aktionen hervor‐<br />
tun. Aber auch genau das Gegenteil kann zu Gefahren in der Aufsicht führen, nämlich Kinder, die<br />
allein oder in Gesellschaft von Erwachsenen normal lebhaft sind, im Kreise Gleichaltriger aber sich<br />
absondern und von der Gruppe entfernen.<br />
Insgesamt gesehen sind hier natürlich die Erfahrungen eines <strong>Jugend</strong>betreuers einzubeziehen, wel‐<br />
che er zum Thema Gruppenpädagogik gemacht hat; insbesondere ist hier der Blick auf die Phasen<br />
der Gruppenbildung 4 zu richten.<br />
Art der Beschäftigung<br />
2 OLG München, VerR 54/545<br />
Abbildung 3: Daniel bildet aus, hier die theoretischen Inhalte der Gesteinsbearbei‐<br />
3 tung BGH ‐ keine NJW sonderlich 83/2821 gefährliche Beschäftigung. (Foto: H. U. Stille)<br />
4 vgl. Kapitel Pädagogik, Lowy, Gruppenprozess<br />
Ebenso hängt das Maß der Beauf‐<br />
sichtigung auch damit zusammen,<br />
was das Kind oder der <strong>Jugend</strong>liche<br />
gerade macht. Werden wilde Fang‐<br />
spiele gespielt, so ist stärker zu be‐<br />
aufsichtigen, als wenn mehre Kin‐<br />
der ruhig an einem Tisch sitzen und<br />
ein Brettspiel spielen. Von dem<br />
Fangspiel geht – in der Regel – eine<br />
höhere Gefährdung aus.<br />
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© BA <strong>THW</strong> & <strong>THW</strong>‐<strong>Jugend</strong> e.V.<br />
Aufsicht führen<br />
Auch muss sich der Aufsichtspflichtige von dem einwandfreien Zustand eventueller Spielgeräte<br />
vergewissern. Er darf sich nicht darauf verlassen, dass dies andere, etwa der Besitzer, getan hat.<br />
Insbesondere im Rahmen der Ausbildung von Junghelferinnen und Junghelfern hat sich der Ju‐<br />
gendbetreuer von dem einwandfreien Zustand der Gerätschaften, welche er benutzen lassen will,<br />
zu überzeugen. Es darf nicht passieren, dass sich ein Kind verletzt, weil ein <strong>Jugend</strong>betreuer diese<br />
Gerätekontrolle nicht vorgenommen hat. <strong>Jugend</strong>betreuer dürfen sich nicht darauf verlassen, dass<br />
der Schirrmeister oder der Kraftfahrer des Fahrzeugs für die Einsatzbereitschaft allen Gerätes ver‐<br />
antwortlich sind. Sie sind es, richtig, aber die Kontrolle in dem Moment der Nutzung obliegt dem<br />
aufsichtspflichtigen <strong>Jugend</strong>betreuer.<br />
Von jedem Gegenstand, Spielgerät oder Werkzeug kann bei unsachgemäßer Handhabung eine Ge‐<br />
fahr ausgehen. So muss der Aufsichtspflichtige diese Gefahren erkennen und darauf hinweisen. Das<br />
Wissen um entsprechende Unfallverhütungsvorschriften hat im Kontext der <strong>THW</strong>‐Ausbildung ele‐<br />
mentare Bedeutung 5 .<br />
„Nicht unbedingt das Fernhalten von jedem Gegenstand, der bei unsachgemäßem Umgang gefährlich<br />
werden kann, sondern gerade die Erziehung des Kindes zu verantwortungsbewusstem Hantieren mit<br />
einem solchem Gegenstand wird oft der bessere Weg sein, das Kind oder Dritte vor Schäden zu bewahren.<br />
Hinzu kommt die Notwendigkeit frühzeitiger praktischer Schulung des Kindes, das seinen Erfahrungsbereich<br />
möglichst ausschöpfen soll.“ 6<br />
Sonderfälle finden sich in der Beaufsichtigung beim Schwimmen, auf Wanderungen oder beim Rad‐<br />
fahren; sie werden später genauer betrachtet.<br />
Örtliche Umgebung<br />
Neben Gefahren, die von Gegenständen oder Spielgeräten ausgehen mögen, sind für das Maß der<br />
Aufsicht auch die konkreten Umstände in der näheren Umgebung des Aufenthaltsortes zu beachten.<br />
Dort können Gefahrenquellen zum Beispiel in den Verkehrsverhältnissen liegen (Bundesstraße<br />
direkt neben dem Zeltplatz) oder durch einen Steinbruch, ein Gewässer, ein Gebirge, etc. entstehen.<br />
Auch in Ferienheimen sind Gefahrenquellen wie steile Treppen, rutschige Böden oder andere Stol‐<br />
perfallen nicht selten. Diese müssen vom Aufsichtspflichtigen erkannt und nach Möglichkeit ent‐<br />
schärft werden. Auf jeden Fall aber sind Kinder und <strong>Jugend</strong>liche darauf hinzuweisen.<br />
Der <strong>Jugend</strong>betreuer ist verpflichtet, so die Aufsicht zu führen, wie es die Besonderheit der Umge‐<br />
bung erfordert.<br />
Art der Spielgeräte und Werkzeuge<br />
Neben der Kontrolle, ob ein Spielzeug oder Werkzeug „verkehrssicher“ ist, muss der <strong>Jugend</strong>bet‐<br />
reuer zum sachgerechten Gebrauch anleiten und selbigen kontrollieren. Es ist wichtiger, die Kinder<br />
und <strong>Jugend</strong>lichen zum sachgerechten Umgang mit einem Werkzeug anzuleiten und diesen einzuü‐<br />
ben als generelle Verbote auszusprechen. Verbote verleiten Kinder durchaus dazu eben diese un‐<br />
tersagten Handlungen doch zu tun, weil sie durch das Verbot interessant gemacht wurden. Bitte<br />
niemals nach dem Grundsatz „Durch Schaden wird man klug“ handeln.<br />
5 Vgl. „Leitfaden der Ausbildung“<br />
6 BGH NJW 76/1684<br />
7
Person des <strong>Jugend</strong>betreuers<br />
8<br />
Aufsicht führen<br />
Hier geht es um die pädagogischen Fähigkeiten und Kenntnisse des Aufsichtspflichtigen. Die Viel‐<br />
zahl der zu treffenden Entscheidungen verlangt von einem <strong>Jugend</strong>betreuer ein hohes Maß an Erfah‐<br />
rung, um pädagogisch wertvoll, aber auch juristisch vertretbar handeln zu können. Jemand, der neu<br />
im Geschäft ist, wird ein Kind vorsichtiger beaufsichtigen als ein „alter Hase“. Gelegentlich sind „alte<br />
Hasen“ aber auch leichtfertiger. Also Vorsicht!<br />
Der aufsichtspflichtige <strong>Jugend</strong>betreuer darf niemals Aufgaben übernehmen, denen er mangels Fä‐<br />
higkeiten nicht gewachsen ist. Eine Selbstkontrolle und Selbsteinschätzung sind hier unbedingt<br />
notwendig. Bitte niemals aus falschem Stolz Beaufsichtigungen übernehmen, wo man den Überblick<br />
verlieren kann. Besser ablehnen, eine Aktion nicht durchführen oder weitere aufsichtsführende<br />
Personen hinzuziehen.<br />
Gruppengröße<br />
Aus der Sache ergibt es sich, dass ein <strong>Jugend</strong>betreuer nicht beliebig viele Kinder und <strong>Jugend</strong>liche<br />
beaufsichtigen kann. Es wird ein Richtwert von maximal 15 Teilnehmern genannt. Natürlich müs‐<br />
sen hierbei die anderen bereits erwähnten Faktoren Berücksichtigung finden. Allgemein kann man<br />
sich auch an die Faustregel halten, dass die jeweiligen Förderrichtlinien für bestimmte Maßnahmen<br />
einen Nenner für die Gruppengröße angeben. So geht das <strong>Jugend</strong>amt der Stadt Osnabrück hiernach<br />
von einer Betreuung 8:1, das <strong>Jugend</strong>amt des Landkreises Osnabrück von einer Betreuung 10:1 und<br />
das <strong>THW</strong> von einer Betreuung 15:1 aus. Die <strong>THW</strong>‐<strong>Jugend</strong> e.V. fördert bei Ferienmaßnahmen einen<br />
<strong>Jugend</strong>betreuer pro angefangene acht Kinder; hier wird dementsprechend von einer Betreuung 8:1<br />
ausgegangen.<br />
Unter bestimmten Voraussetzungen, zum Beispiel einer ruhigen Beschäftigung in einem Raum oder<br />
etwa das gemeinsame Singen in einem Chor kann von der Grenze 15 Teilnehmer nach oben hin<br />
abgewichen werden. Aktionsgeladenere Spiele oder „gefährlichere“ Maßnahmen verlangen natür‐<br />
lich im Kontext ein geringeres Verhältnis der Aufsichtsführenden zu den Kindern; dringend emp‐<br />
fehlenswert ist 8:1, 6:1 oder sogar 3/1.<br />
Sollte die Gruppenstärke im Verhältnis zu den Aufsichtsführenden infolge unvorhergesehener Um‐<br />
stände, zum Beispiel dem Ausfall durch Krankheit eines <strong>Jugend</strong>betreuers oder <strong>Jugend</strong>betreuerin<br />
steigen, ist dem Aufsichtspflichtigen nach neuester Rechtssprechung die Aufsichtsführung für kurze<br />
Zeit zumutbar. Sollte dieser Zustand längerfristig bestehen bleiben, ist der Träger der Maßnahme<br />
darüber zu informieren. Wird dieser dann nicht tätig, indem er weiteres Betreuungspersonal zur<br />
Verfügung stellt, haftet er allein und nicht der tatsächlich Aufsichtspflichtige.<br />
Person des Kindes<br />
Auch <strong>Jugend</strong>betreuer, die eine Aufsicht führen sind Menschen. Ihnen kann nur in zumutbarem Um‐<br />
fang die Aufsichtsführung abverlangt werden. Es wird kein Verhalten erwartet, das sie physisch<br />
oder psychisch überfordert. Eine Beaufsichtigung rund um die Uhr ist dementsprechend nicht er‐<br />
forderlich. Das bedeutet aber im Umkehrschluss nicht, dass die Aufsichtspflicht nachts entfällt. Im<br />
Einzelfall kann eine konkrete Nachtwache des <strong>Jugend</strong>betreuers notwendig werden, wenn zum Bei‐<br />
spiel ständige nächtliche Aktivitäten der Kinder und <strong>Jugend</strong>lichen dies fordern. Natürlich darf auch<br />
das nicht bis zur Erschöpfung des <strong>Jugend</strong>betreuers gehen; hier ist dann wiederum das Personal für<br />
die Aufsichtsführung zu erhöhen.<br />
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Aufsicht führen<br />
Sonderfälle in der Aufsichtsführung<br />
Die Busfahrt<br />
Die Aufsichtspflicht beginnt, sobald sich der Minderjährige in die Obhut des <strong>Jugend</strong>betreuers be‐<br />
gibt. Für Ferienfreizeiten ist dies im Allgemeinen die Abfahrt. Bereits hier muss der <strong>Jugend</strong>betreuer<br />
auf die Vollzähligkeit seiner Teilnehmer achten.<br />
Bei einer Reise mit einem Bus sollte der <strong>Jugend</strong>betreuer weiter bedenken:<br />
dass während der Fahrt ein Herumlaufen im Gang vermieden wird, da bei einer Vollbremsung<br />
kaum eine Chance besteht, Halt zu finden;<br />
dass die Sitze nicht unnötigerweise beschmutzt oder beschädigt werden, für Reisekranke ist eine<br />
Tüte bereitzuhalten;<br />
dass der Busfahrer nicht durch übermäßigen Lärm abgelenkt wird;<br />
dass der Busfahrer nicht angesprochen wird;<br />
dass kleinere Rastplätze angefahren werden, da sich sonst im Gewimmel auf Großraststätten die<br />
Gruppe verlieren mag; Vollzähligkeit überprüfen.<br />
Die Aufsichtspflicht endet mit der „Übergabe“ des Kindes an die Eltern nach Abschluss der Maß‐<br />
nahme. Hier dürfen Kinder, die wider Erwarten nicht abgeholt wurden, durch den <strong>Jugend</strong>betreuer<br />
nicht allein gelassen werden. Notfalls muss der <strong>Jugend</strong>betreuer Kinder auch nach Hause bringen<br />
und dann dort den Erziehungsberechtigten übergeben.<br />
Weitere Grundsätzlichkeiten sind oft schon bei der Planung einer Fahrt mit einem Bus zu beachten.<br />
So gilt etwa jede gewerbsmäßige Personenbeförderung als genehmigungspflichtig. Von einer ge‐<br />
werbsmäßigen Personenbeförderung wird immer dann gesprochen, wenn ein Bus von einem Un‐<br />
ternehmen angemietet oder überlassen wird. Der <strong>Jugend</strong>betreuer sollte nur solche Unternehmer<br />
zur Beförderung heranziehen, die im Besitz der notwendigen Konzessionen sind.<br />
Es dürfen in dem jeweiligen Fahrzeug nicht mehr Personen befördert werden, als nach den Anga‐<br />
ben im Kraftfahrzeugschein Plätze zulässig sind. Selbstverständlich gilt dies für jede Art von Fahr‐<br />
zeugen, auch für Fahrzeuge des Technischen Hilfswerks; also Achtung bei manchen Fahrzeugen wie<br />
etwa dem alten MKW 72, welcher über mehr tatsächliche Sitzplätze verfügt, als im Kraftfahrzeug‐<br />
schein vermerkt sind.<br />
Sportliche Aktivitäten<br />
Die Delegation der Aufsichtspflicht zwecks Durchführung einer Ferienfreizeit beinhaltet selbstver‐<br />
ständlich auch die generelle Einwilligung der Eltern zur Teilnahme an üblichen sportlichen Verans‐<br />
taltungen. Dazu gehören: Fußball, Handball, Basketball, Völkerball, Volleyball und vieles mehr. Aus‐<br />
geschlossen von der generellen Einwilligung sind aber solche Sportarten, die über das normale Maß<br />
hinaus Gefahren in sich bergen (z.B. Bergsteigen) oder deren Ziel es ist, den anderen zu verletzen<br />
(z.B. Boxen). Mit dem Einverständnis willigen die Eltern auch stillschweigend in mögliche Verlet‐<br />
zungen ihres Kindes ein, die bei dem jeweiligen Spiel trotz Einhaltung der anerkannten Spielregeln<br />
nicht zu vermeiden gewesen wären. Geringfügige Regelverstöße aus Spieleifer und Unüberlegtheit<br />
sind inbegriffen. Der aufsichtspflichtige <strong>Jugend</strong>betreuer hat für ein faires Spiel zu sorgen!<br />
9
Baden und Schwimmen<br />
10<br />
Aufsicht führen<br />
Der <strong>Jugend</strong>betreuer muss sich bewusst sein, dass er nur dann mit seiner <strong>Jugend</strong>gruppe jede sich<br />
bietende Gelegenheit zu Baden oder Schwimmen nutzen kann, wenn er den besonderen Pflichten<br />
und der besonderen Verantwortung, welche sich für ihn gerade aus diesen Aktivitäten ergeben,<br />
gerecht wird.<br />
Baden und Schwimmen können Gesundheit und Leben gefährden. Der <strong>Jugend</strong>betreuer ist auf Grund<br />
seiner Aufsichtspflicht dafür verantwortlich, dass dies nicht geschieht.<br />
Öffentliche Träger wie <strong>Jugend</strong>ämter gehen in ihren Dienstanweisungen und Richtlinien nicht davon<br />
aus, dass sich eine generelle Einwilligung für eine Ferienmaßnahme auch auf das Baden und<br />
Schwimmen bezieht und verlangen eine entsprechende gesonderte schriftliche Einwilligung. Bei<br />
Schulen ist dies ebenso üblich. Folglich sollte dies auch für den <strong>Jugend</strong>verband gelten. Dies sollte<br />
mit der Anmeldung für das Zeltlager geschehen und gleichzeitig Schwimmkenntnisse 7 des betref‐<br />
fenden Kindes abfragen. Kinder, welche hier keine entsprechende Einschätzung oder Nachweisung<br />
vorweisen können, sollten als Nichtschwimmer im Sinne der Aufsichtsführung behandelt werden.<br />
Das Vorhandensein von Schwimmmeistern oder Kräften der DLRG 8 entbindet den <strong>Jugend</strong>betreuer<br />
nicht von der Aufsichtspflicht für seine<br />
pe. Dennoch sollte er seine Gruppe bei ent‐<br />
sprechender Stelle anmelden und dort auch<br />
die Gruppengröße mitteilen. Die<br />
gung einer schwimmenden Gruppe sollte von<br />
mindestens zwei Personen erfolgen, die<br />
dierte Kenntnisse im Rettungsschwimmen<br />
haben und somit im Notfall zu Hilfe kommen<br />
können. Im Kontext der zuvor genannten Fak‐<br />
toren bedeutet dies natürlich, dass sowohl die<br />
Anzahl der zu beaufsichtigenden Kinder und<br />
<strong>Jugend</strong>lichen als auch die örtlichen Gegeben‐<br />
heiten zu berücksichtigen sind. Zwei Perso‐<br />
nen können auch hier nicht auf hunderte<br />
der Acht geben. Insbesondere ist durch den<br />
<strong>Jugend</strong>betreuer darauf zu achten, dass das<br />
Aufsichtspersonal sämtliche Wasserflächen<br />
überblicken kann. Hier kann es sich ergeben, dass besondere Standorte ausgewählt werden müssen<br />
oder aber dass weitere Personen zur Beaufsichtigung herangezogen werden müssen.<br />
Das Baden in einem See oder einem Fluss birgt in sich höhere Gefahr. Bevor die Gruppe zum<br />
Schwimmen in das Wasser gelassen werden darf, muss sich der <strong>Jugend</strong>betreuer davon überzeugen,<br />
dass es für die Kinder ungefährlich ist, an der von ihm ausgesuchten Stelle schwimmen zu gehen.<br />
Bei der Beurteilung ist selbstverständlich einzubeziehen, über welche Kenntnisse und körperliche<br />
Kräfte die Kinder und <strong>Jugend</strong>lichen der Gruppe verfügen. Gefahren können in plötzlichen Untiefen<br />
des Sees liegen, in Strömungsverhältnissen oder auch simpel in Glasscherben oder anderen gefähr‐<br />
7 Über Schwimmkenntnisse verfügt ein Kind erst dann, wenn es mindestens die anerkannte Prüfung des „Bronzenen<br />
Schwimmabzeichens“ abgelegt hat. Das sog. „Seepferdchen“ ist nicht ausreichend, weil damit nicht das eigenständige<br />
Schwimmen über eine bestimmte Distanz belegt werden kann. Ebenso ist die Einschätzung der Eltern, ob ein Kind<br />
schwimmen kann oder nicht, in dem Falle der Aufsichtsführung nicht relevant.<br />
8 Deutsche Lebensrettungsgesellschaft<br />
Abbildung 4: Baden und Schwimmen bergen immer eine höhere<br />
Gefahr ‐ Vorbereitung ist hier besonders wichtig. (Foto: Ingo<br />
Henke, 2003)<br />
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Aufsicht führen<br />
lichen Gegenständen. Wer einmal ein Kind gesehen haben mag, welches von einer Eisenstange<br />
durchbohrt wurde, nachdem es einen Kopfsprung in unbekanntes Gewässer gemacht hat, weiß,<br />
wovon die Rede ist. Gegebenenfalls ist ein Bereich des Sees mit einem Markierungsband und Bojen<br />
zu versehen und somit als Schwimmbereich kenntlich zu machen. Das Baden in der Nähe von Weh‐<br />
ren, Wasserfällen und Schleusen ist grundsätzlich verboten. Ebenso überall dort, wo Schiffsverkehr<br />
herrscht.<br />
Hat die DLRG die Aufsicht über einen Strand oder See, so wird mittels eines Mastes am Wachturm<br />
Signal über verschiedene Optionen gegeben:<br />
DLRG‐Flagge gehisst heißt, dass Rettungsschimmer den Strand überwachen.<br />
Ein roter Ball aufgezogen bedeutet, dass eine Badebeschränkung (z.B. aufgrund Wetterlage oder<br />
Wellengang) für Kinder, Nichtschwimmer und Schwerbehinderte vorliegt.<br />
Zwei rote Bälle aufgezogen bedeutet ein allgemeines Badeverbot.<br />
Aber auch hier ist zu sagen, dass letztendlich der <strong>Jugend</strong>betreuer der Verantwortliche für seine<br />
Gruppe ist, er hat zu entscheiden, wann eine Gruppe in Gewässern oder dem Meer schwimmen<br />
geht; an die Empfehlungen der DLRG hat er sich dabei zu halten. Wenn es ihm aber trotz Entwar‐<br />
nung zu gefährlich erscheint, schwimmen zu gehen, muss er es nicht erlauben.<br />
Neben diesen vielleicht auf den ersten Blick offensichtlichen Gefahren können insbesondere in frei‐<br />
en Gewässern weitere nicht auf den ersten Blick erkennbare Gefahren für die Kinder und <strong>Jugend</strong>li‐<br />
che lauern. Namentlich sind dies Verunreinigungen durch Abwässer von Haushalten oder Indust‐<br />
rieanlagen, aber auch Belastungen mit Krankheitserregern. Es wird nicht immer damit zu rechnen<br />
sein, dass Belastungen durch Schwimmverbote bekannt gegeben sind. Eventuell sind Informatio‐<br />
nen einzuholen. Wenn man sich nicht sicher ist, sollte man das Schwimmen nicht gestatten.<br />
Eine <strong>Jugend</strong>gruppe sollte ein Schwimmbad oder einen Badeplatz immer geschlossen betreten und<br />
verlassen. Vor Beginn und nach Beendigung des Badens sollte der <strong>Jugend</strong>betreuer die Gesamtzahl<br />
der Badenden seiner Gruppe feststellen. Stimmen die anfängliche und die Endzahl nicht überein, so<br />
bedeutet dies Alarm. Sofort ist durch den <strong>Jugend</strong>betreuer die Ursache festzustellen, ist der Bade‐<br />
platz oder das Schwimmbad abzusuchen; natürlich insbesondere das Wasser.<br />
Schlussendlich hat sich der <strong>Jugend</strong>betreuer mit den allgemeinen Baderegeln 9 vertraut zu machen,<br />
hat diese seiner Gruppe nahe zu bringen und sie entsprechend zu befolgen.<br />
Wanderungen<br />
Naturgemäß bilden Wanderungen in verschiedenster<br />
Form Programminhalte einer Ferienmaßnahme. Zu<br />
beachten sind selbstverständlich alle genannten Fak‐<br />
toren des Maßes der Aufsichtsführung. Wanderrou‐<br />
ten sollten nach Möglichkeit abseits von stark befah‐<br />
renen Straßen liegen. Gesetze des Natur‐ und Land‐<br />
schaftsschutz geben einige Einschränkungen vor,<br />
deren Nichtbeachtung als Ordnungswidrigkeiten mit<br />
einem Bußgeld geahndet werden können. Im Rah‐<br />
men der Aufsichtsführung hat der <strong>Jugend</strong>betreuer<br />
sich nicht nur selbst daran zu halten zu<br />
9 http://www.dlrg.de/Angebot/Schwimmen/Baderegeln oder http://www.baderegeln.net<br />
Abbildung 5: Mit schwerem Gepäck von Ort zu Ort ‐ der Haik.<br />
( Foto: H. U. Stille; 2005)<br />
11
Aufsicht führen<br />
halten, sondern auch die Beachtung dieser Gesetze durch die ihm anvertrauten Kinder und<br />
lichen zu überwachen. Ordnungswidrig handelt, wer zum Beispiel unbefugt:<br />
12<br />
• Forstkulturen, Pflanzen‐ oder Saatkämpe oder solche Flächen betritt, auf denen Holz einge‐<br />
schlagen wird;<br />
• in der Zeit vom Beginn der Bestellung bis zum Ende der Ernte über einen Acker oder einen<br />
Garten oder während der Aufwuchszeit über eine Wiese geht;<br />
• ein Grundstück zum Zelten benutzt, ohne zuvor die Erlaubnis des Besitzers hierfür einholt;<br />
• Koppeltore, Wildgattertore oder andere Sperrungen, die er geöffnet hat, nicht wieder<br />
schließt;<br />
• in einem Wald, einem Moor oder einer Heide oder in gefährlicher Nähe davon (weniger als<br />
100m) außerhalb einer eingerichteten und gekennzeichneten Feuerstelle ein Feuer entzün‐<br />
det oder brennende bzw. glimmende Gegenstände wegwirft;<br />
• in der Zeit vom 1. März bis zum 31. Oktober im Wald raucht. 10<br />
Beschränkungen bestehen auch hinsichtlich des Sammelns von wild wachsenden Pflanzen. Früchte,<br />
Beeren, Pilze dürfen nur in „ortsüblicher Menge“ gesammelt werden, Blüten, Blätter, Zweige dürfen<br />
nur in Mengen entnommen werden, die nicht über einen Handstrauß hinausgehen.<br />
Während einer Wanderung geht ein Betreuer voraus, der auch das angemessene Tempo angibt, und<br />
ein Betreuer hinter der Gruppe her. Es kann so leicht auf die Vollständigkeit der Gruppe geachtet<br />
und moralisch auf die langsameren Kinder und <strong>Jugend</strong>lichen eingewirkt werden.<br />
Insbesondere Wanderungen in Gebirgen bergen gegenüber „normalen“ Wanderungen durchaus<br />
Gefahren und stellen somit eine große Anforderung an den <strong>Jugend</strong>betreuer. Umso notwendiger ist<br />
die Kenntnis des folgenden Rundschreibens des Bundesinnenministeriums 11 zum Thema.<br />
Die von den Gebirgs- und Wandervereinen, dem <strong>Jugend</strong>herbergswerk sowie den Bergverlagen herausgegebene<br />
Literatur ist reichhaltig und bietet - angefangen vom Merkblatt bis hin zum umfassenden<br />
Buch - alles, was der <strong>Jugend</strong>gruppenführer wissen muss, der Bergwanderungen unternimmt. Um weitere<br />
Verbreitung dieses Schrifttums wird gebeten.<br />
Auf die Wanderführerlehrgänge, die von Fachverbänden seit Jahren durchgeführt werden, soll hingewiesen<br />
werden. Vorträge und Stehbildreihen können sowohl das gedruckte Wort lebendig machen als<br />
auch die Erkenntnisse der Lehrgänge lebendig erhalten. Wanderberatungsstellen, die von den Fachverbänden<br />
eingerichtet sind, können von den <strong>Jugend</strong>gruppen zu Rate gezogen werden; unmögliche<br />
Vorhaben können auf diese Weise schon in der Heimat unterbunden werden.<br />
Als wichtigste Aufgabe wurde die Beratung „vor Ort“ erkannt. Entscheidend für eine Hochgebirgstour<br />
ist immer die Wetterlage; eine Einteilung der Touren nach Schwierigkeitsgraden genügt infolgedessen<br />
noch nicht, um eine Gefahr zu erkennen. Es muss deshalb den <strong>Jugend</strong>gruppen dringend geraten werden,<br />
den Ratschlägen und Warnungen der Hüttenwirte und Herbergseltern Gehör zu schenken und<br />
den Bergwachtleuten Auskunft zu geben woher und wohin. Grob zuwiderhandelnde sollen durch die<br />
Bergwacht und Hüttenwarte den Erziehungsbehörden gemeldet werden, die ihrerseits dann den verantwortlichen<br />
<strong>Jugend</strong>gruppenleiter oder Lehrer zur Verantwortung ziehen sollen.<br />
10 frei nach dem „Niedersächsisches Gesetz über die Ordnung in Feld und Forst“<br />
11 RdSchr. des BMI vom 2.7.1954 (Az. 2070-824-4325/54)<br />
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Aufsicht führen<br />
Der Deutsche Alpenverein hat gefordert, dass unerfahrene <strong>Jugend</strong>gruppen einen autorisierten Bergführer<br />
nehmen sollen.<br />
…<br />
Eine wandernde <strong>Jugend</strong>gruppe muss, wie es für alle anderen Fußgänger auch vorgeschrieben ist, in<br />
gelockerter Ordnung den Gehweg zu benutzen; fehlt ein Gehweg oder ein befestigter Randstreifen,<br />
sollte die Gruppe außerhalb geschlossener Ortschaften sich in relative Einzelwanderer auflösen, die<br />
am linken Fahrbahnrand entgegen dem Fahrzeugverkehr gehen. Nur wenn es nicht zumutbar ist,<br />
kann davon abgewichen werden. Der Fall mag<br />
dies sein, wenn es Sicht‐ oder Witterungsver‐<br />
hältnisse nicht anders zulassen, oder aber wenn<br />
es in zuvor genannter Weise nicht sicher genug<br />
für die Kinder und <strong>Jugend</strong>lichen erscheint. Eine<br />
große Gruppe (ab 20) von Fußgängern oder<br />
Wanderern bildet einen so genannten „Geschlos‐<br />
senen Verband“ 12 . Bei Dunkelheit oder wenn es<br />
die Sichtverhältnisse weiter erfordern, muss der<br />
„Verband“ mit einem weißen, nicht blendendem<br />
Licht vorn und einem rotem Licht hinten oder<br />
aber durch ein gelbes Blinklicht gekennzeichnet<br />
werden. Gliedert sich eine <strong>Jugend</strong>gruppe in meh‐<br />
Abbildung 6: Im Straßenverkehr hat die wandernde Gruppe Ord‐<br />
nung zu halten und Vorsicht zu üben. (Foto: H. U. Stille; 2005)<br />
rere deutlich voneinander getrennte<br />
gen, dann ist jede einzelne in der beschriebenen<br />
Weise kenntlich zu machen. Bei Dunkelheit sind<br />
Fußgängergruppen sehr gefährdet, wenn nicht die Kennzeichnungsvorschriften peinlich genau<br />
eingehalten werden. Bei Nebel kann eine erhöhte Gefährdung gegeben sein, auch wenn die Vor‐<br />
schriften beachtet werden; deshalb wird der <strong>Jugend</strong>betreuer, wenn er nicht unbedingt weiterwan‐<br />
dern muss, Fahrbahnen mit starkem Fahrzeugverkehr meiden und Seitenstraße oder Umgehungs‐<br />
wege suchen.<br />
Oft werden Unfälle dadurch verursacht, dass Fahrzeugführer Fußgänger wegen ihrer dunklen Klei‐<br />
dung nicht rechtzeitig erkennen. Deshalb sollten diejenigen Gruppenmitglieder, welche an der Spit‐<br />
ze der Gruppe wandern, ein helles Kennzeichen, vielleicht eine Weste oder einen Gürtel tragen.<br />
Grundsätzlich verweist der Verfasser allerdings darauf, dass das Wandern in Feld, Wald und Flur<br />
nicht nur sicherer ist, sondern auch viel schöner und ange‐<br />
nehmer ist.<br />
Entsprechendes gilt für Radwanderungen. Aber hier auch<br />
auf die Verkehrstüchtigkeit der Fahrräder achten. Es darf<br />
auf der Fahrbahn zu zweit gefahren werden, wenn die<br />
Gruppe mindestens 15 Teilnehmer hat. Auch hier spricht<br />
man dann von einem Geschlossenen Verband.<br />
Im Straßenverkehr darf die <strong>Jugend</strong>gruppe selbst nicht ge‐<br />
fährdet werden, aber auch nicht selbst eine Gefahr für ande‐<br />
re Verkehrsteilnehmer darstellen. So sind immer vor‐<br />
handene Fuß‐ und Radwege zu nutzen. Eine Wandergruppe<br />
12 § 27 StVO<br />
Abbildung 7: Die radelnde Gruppe. (Foto: H. U.<br />
Stille; 2000)<br />
13
Aufsicht führen<br />
hat z.B. dafür zu sorgen, dass sie bei Dunkelheit auf unbeleuchteter Straße ihre seitliche Begren‐<br />
zung kenntlich macht. Zumindest hat aber die Kenntlichmachung durch eine vordere, nicht blen‐<br />
dende Leuchte mit weißem Licht und durch eine hintere mit rotem Licht zu erfolgen.<br />
Radfahrer dürfen grundsätzlich nicht nebeneinander fahren. Da sich aber bei großen Radgruppen<br />
eine zu lange Schlange ergibt, die sehr schlecht für Autofahrer zu überholen ist, darf man nebenei‐<br />
nander zu zweit fahren, wenn die Gruppen mindestens aus 15 Personen besteht. Sonst ist dies nur<br />
gestattet, wenn der Verkehr dadurch in keiner Weise behindert wird.<br />
Verhalten im Wald<br />
Auch wenn mit dem Wald Eigentumsrechte verbunden sind, sprich dass er Eigentum ist wie jede<br />
andere Sache auch, mit der der Eigentümer nach Belieben verfahren kann, so ist der Aufenthalt im<br />
Wald grundsätzlich nicht verboten. Insbesondere kann die Benutzung öffentlicher Wege, die durch<br />
einen Wald führen, nicht verboten werden, auch wenn der Wald selbst in Privateigentum steht.<br />
Allgemein verboten ist jedoch das Betreten de jungen Anpflanzungen, da allein das Betreten diese<br />
schädigen kann, sowie das Betreten von Holzschlägen, die in Betrieb sind, weil hiervon eine erhöhte<br />
Gefahr ausgeht.<br />
Die allgemeine Erlaubnis zum Aufenthalt in einem Wald kann eingeschränkt sein etwa durch eine<br />
Umzäunung. Dass das Übersteigen von Einfriedungen verboten ist 13 , macht sich derjenige strafbar,<br />
der sich in einem eingezäunten Wald aufhält; es sei denn, er nutzt einen öffentlichen Weg. Ist der<br />
Aufenthalt in einem Wald durch Verbotstafeln untersagt, so macht sich derjenige, der diesen Wald<br />
betritt erst dann strafbar, wenn er der Aufforderung, diesen Wald zu verlassen nicht nachkommt<br />
oder diesen erneut an demselben oder am folgenden Tag unbefugt betritt.<br />
Das Betreten eines Waldes zum Zwecke der Erholung ist wie zuvor beschrieben gestattet 14 . Das<br />
Radfahren, das Fahren mit Krankenstühlen und das Reiten sind im Wald nur auf Straßen und We‐<br />
gen gestattet. Die Bundesländer regeln die Einzelheiten in entsprechenden Gesetzen und Ausfüh‐<br />
rungsbestimmungen; sie können das Betreten des Waldes aus wichtigem Grund, insbesondere des<br />
Forstschutzes, der Wald‐ oder Wildbewirtschaftung, zum Schutze der Waldbesucher oder zur Ver‐<br />
meidung erheblicher Schäden oder zur Wahrung anderer schutzwürdiger Interessen des Waldbe‐<br />
sitzers einschränken.<br />
In der freien Landschaft, also auch im Wald, ist das Betreten der privaten Wege und Pfade, der<br />
Wirtschaftswege sowie der Feldraine, Böschungen‐, Öd‐ und Brachflächen und anderer landwirt‐<br />
schaftlich nicht genutzter Flächen zum Zwecke der Erholung auf eigene Gefahr gestattet.<br />
Am bedeutungsvollsten sind die den Feuerschutz betreffenden Gebote und Verbote, da ein Verstoß<br />
gegen sie schwerwiegende Folgen für Menschenleben und Sachwerte haben kann. Missachtungen<br />
können für den <strong>Jugend</strong>betreuer strafrechtliche Folgen 15 haben, aber natürlich auch zivilrechtliche<br />
Schadensersatzzahlungen begründen. Wie bereits gesagt, ist das Rauchen im Wald im Sommer<br />
grundsätzlich verboten; ebenso das Entzünden eines Lagerfeuers. Hier ist zu beachten, dass der<br />
Abstand zum nächsten Waldstück mindestens 100 Meter beträgt. Auch ist es verboten offenes<br />
Feuer oder Licht im Wald mit sich zu führen sowie brennende oder glimmende Gegenstände fallen<br />
zu lassen, fortzuwerfen oder unvorsichtig zu handhaben.<br />
13 § 123 StGB, Hausfriedensbruch, vgl. Kapitel rechtliche Grundlagen, Strafrecht<br />
14 § 14 Bundeswaldordnung<br />
15 § 306 StGB, ff; vgl. Kapitel Rechtliche Grundlagen, Strafrecht<br />
14<br />
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Aufsicht führen<br />
Vor Wanderungen oder Zeltlagern hat sich ein <strong>Jugend</strong>betreuer über die vorherrschende Wald‐<br />
brandwarnstufe zu informieren.<br />
Ebenso hat der <strong>Jugend</strong>betreuer darauf zu achten, dass seine Gruppe (oder er selbst!) nicht durch so<br />
genanntes Unfugtreiben belästigt. Hierzu würde etwa zählen: das Umstoßen eines Holzstoßes, Ver‐<br />
unreinigung des Waldes, Entfernen oder Beschädigen von Wegweisern oder Warnschildern, Be‐<br />
schädigung von Einfriedungen oder Baumpfähle, Beschädigung von Bäumen oder Sträuchern. Auch<br />
das widerrechtliche Errichten von Zelt‐ oder Lagerstätten ist nicht erlaubt. All dies sind Ordnungs‐<br />
widrigkeiten, welche teilweise mit empfindlichen Geldbußen belegt werden.<br />
Trampen<br />
Es gibt keinerlei besonderen gesetzlichen Vorschriften zum Trampen. Aber man sollte folgende<br />
Richtlinien beachten:<br />
Das Trampen von Minderjährigen sollte nur dann zugelassen werden, wenn eine vorherige schrift‐<br />
liche Zustimmung des Erziehungsberechtigten vorliegt. Als Tramper ist man nicht versichert (nur<br />
wenn eine Insassenversicherung abgeschlossen wurde). Autobahnen dürfen von Fußgängern<br />
grundsätzlich nicht betreten werden; egal zu welchem Zweck, also auch nicht um ein Auto zu stop‐<br />
pen. Ebenso ist der Straßenverkehr durch das Trampen in keiner Weise zu behindern (z.B. durch<br />
das absichtliche Betreten der Straße, um Fahrer anzuhalten). Am besten erfolgt das Zusteigen an<br />
Raststätten oder Tankstellen. Immer auf ausreichende Sitzgelegenheiten achten, das Auto darf nicht<br />
überlastet werden. Das Mitfahren auf Lastflächen von Lkws ist verboten. Vor dem Einsteigen ist die<br />
Autonummer und eventuelle Besonderheiten merken.<br />
Grundsätzlich ist vom Autor anzumerken, dass das Trampen zwar eine kostengünstige Möglichkeit<br />
ist, um von Punkt A zu Punkt B zu kommen. Sie ist aber wahrlich nicht sicher und durchaus gefähr‐<br />
lich. So ein <strong>Jugend</strong>betreuer die Möglichkeit des Trampens zur Fortbewegung nutzt, sollte er eine<br />
erhöhte Sorgfalt walten lassen und sich die Trampmöglichkeit genauestens anschauen und nach<br />
Sicherheit beurteilen. Grundsätzlich ist die Empfehlung, dass Trampen zur Fortbewegung nur in<br />
Ausnahmefällen oder Notfällen genutzt werden sollte.<br />
Fahrlässige Körperverletzung<br />
In manchen Fällen kann es durch Verletzung der gebotenen Sorgfalt und Vorsicht sehr schnell zu<br />
Schäden kommen. Hier ist das schon erwähnte Baden anzuführen. So darf ein Nichtschwimmer<br />
nicht durch wecken von falschem Ehrgeiz zum Baden in tiefem Wasser gebracht werden. Auch das<br />
Baden in unbewachten Gewässern zählt hierzu.<br />
Auch dürfen von Gruppenangehörigen keine übermäßig starken körperlichen Anstrengungen ver‐<br />
langt werden. Fahrlässige Körperverletzung oder gar Tötung kann vorliegen, wenn ein Gruppenan‐<br />
gehöriger bei einer Bergwanderung (wohlmöglich gar noch ohne Bergführer) abstürzt, wenn das<br />
Gelände viel zu schwierig war und der Leiter nicht auf Gefahren hingewiesen hat. So können auch<br />
Spiele, insbesondere Geländespiele, manchmal bei den teilnehmenden Kindern und <strong>Jugend</strong>lichen zu<br />
falschem Ehrgeiz führen und es so zu Verletzungen kommen. <strong>Jugend</strong>betreuerinnen und <strong>Jugend</strong>be‐<br />
treuer haben auf Gefahren im Spiel hinzuweisen; dies erfordert ebenso wie bei zuvor genannten<br />
natürlich auch, dass Gefahren bereits im Vorfeld erkannt werden. Während des Spiels ist darauf zu<br />
achten, dass Spieler, die „zu hart rangehen“ gebremst werden, eventuell muss auch direkt eingegrif‐<br />
fen werden. Auch die <strong>Jugend</strong>betreuerin oder der <strong>Jugend</strong>betreuer, welcher ja meist den spielenden<br />
Kindern körperlich überlegen ist, muss sich entsprechend zurücknehmen, wenn er an dem Spiel<br />
teilnimmt.<br />
15
Aufsicht führen<br />
Maßnahmen mit körperlicher Züchtigung fallen unter den Straftatbestand der Körperverletzung.<br />
Das Recht der körperlichen Züchtigung<br />
steht heute nur noch den elterlichen Erzie‐<br />
hern zu, was aber selbst nur in engen<br />
Grenzen erfolgen darf und mittlerweile<br />
sehr stark umstritten ist. Der <strong>Jugend</strong>‐<br />
reuer darf das elterliche Erziehungsrecht<br />
nicht ausüben. Er darf sich nur auf die Auf‐<br />
sichtspflicht beschränken. Auch wider‐<br />
spricht schon die körperliche Züchtigung<br />
der Grundidee der freien <strong>Jugend</strong>arbeit und<br />
ist deshalb strengstens zu unterlassen!<br />
Abbildung 8: Falscher Stolz während eines Spiels zieht oftmals unange‐<br />
passte körperliche Härte nach sich. (Foto: F. J. Thöle; 2000)<br />
sönliche Freiheit des Kindes grundsätzlich nicht eingreifen.<br />
16<br />
Freiheitsbeschränkungen<br />
Den Eltern ist es aufgrund gesetzlicher<br />
Bestimmungen nicht verboten, aus berech‐<br />
tigten Gründen ihren Kindern bestimmte<br />
Freiheitsbeschränkungen aufzuerlegen<br />
(insbesondere "Stuben‐ und Hausarrest").<br />
Dieses allgemeine Recht gilt jedoch nicht<br />
für den <strong>Jugend</strong>betreuer. Er darf in die per‐<br />
Bei besonderen Interessen ist es jedoch auch dem <strong>Jugend</strong>betreuer möglich, in diese Freiheit ange‐<br />
messen und soweit erforderlich einzugreifen 16 . Dies ist zum Beispiel bei der Isolierung eines Infek‐<br />
tionskranken der Fall. Folgt man diesen Bestimmungen nicht, so kann man sich gem. § 239 StGB der<br />
Freiheitsberaubung strafbar machen. So ist es verboten, ein Gruppenkind zu bestrafen, in dem man<br />
es an einen Baum anbindet oder auch nur für eine gewisse Zeit in einen separaten Raum einsperrt.<br />
Der Fall des Kindesraubes liegt vor, wenn man einem Kind rät, es solle wegen des elterlichen Ver‐<br />
bots der Teilnahme an der Fahrt einfach zu Hause vortäuschen, dass es bei Freunden oder Ver‐<br />
wandten übernachtet, dann aber tatsächlich selber an der Fahrt teilnimmt. Dieses Täuschungsma‐<br />
növer muss aber vom Leiter mit bewerkstelligt worden sein, um für diesen eine strafbare Handlung<br />
zu darzustellen.<br />
16 § 229 BGB, Selbsthilfe<br />
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Inhalt der Aufsichtspflicht<br />
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Aufsicht führen<br />
Die Übertragung der Aufsichtsführung auf einen Betreuer ist nicht identisch mit der Übertragung<br />
eines Erziehungsauftrages. Die Erziehung dient ausschließlich der geistigen und Seelischen Ent‐<br />
wicklung eines Kindes. Letzteres hat mit Erziehungszwecken nicht immer etwas zu tun. Allerdings<br />
stehen Aufsichtspflicht und Erziehungspflicht dennoch in einer Wechselbeziehung zueinander; man<br />
denke nur daran, dass ohne die erzieherische Einwirkung eines <strong>Jugend</strong>betreuers auf seine ihm an‐<br />
vertrauten Junghelferinnen und Junghelfer lediglich ein „Verwahren“ der Kinder während des Ju‐<br />
genddienstes stattfinden würde. Mit der Übertragung der Aufsichtspflicht ist daher implementär<br />
eine Übertragung der Erziehungsberechtigung in einem gewissen Umfang verbunden. Natürlich<br />
lassen sich Grenzen des pädagogischen Handelns hier nur schwer bestimmen, sind sie doch abhän‐<br />
gig von der Art, dem Zweck und auch der Dauer der Einwirkungszeit. Eine Unterbringung in einem<br />
Internat beinhaltet auch ohne weitere Absprachen mit den Eltern schlicht durch die Art und Dauer<br />
der externen pädagogischen Einwirkung ein umfassenderes Erziehungsrecht als die Teilnahme an<br />
einem Wochenendausflug oder eines zweiwöchigen Zeltlagers. Anderseits eröffnen aber auch solch<br />
kurze Aufenthalte den Kindern wichtige Erfahrungsbereiche und tragen somit zur seelischen und<br />
geistigen Entwicklung durchaus nicht unerheblich bei.17 Hervorzuheben ist in diesem Zusammen‐<br />
hang das soziale Lernen, das Zusammenleben mit anderen, Möglichkeiten der Konfliktlösung und<br />
für viele ist ein Ferienaufenthalt auch der erste Kontakt zum anderen Geschlecht. Diese Bereiche<br />
gehören bereits ihrer Natur nach zu einer Ferienfreizeit. Sie erfordern, dass <strong>Jugend</strong>betreuer hiermit<br />
umzugehen wissen. Freie <strong>Jugend</strong>hilfeträger, wie es auch die <strong>THW</strong>‐<strong>Jugend</strong> ist, können daher berech‐<br />
tigterweise davon ausgehen, dass sie aus ihrer allgemeinen weltanschaulichen Stellung heraus de‐<br />
finierten Erziehungsziele18 und Methoden von den Eltern gebilligt werden und insoweit ein Erzie‐<br />
hungsauftrag besteht. Gravierende und außergewöhnliche pädagogische Maßnahmen ‐ etwa die<br />
Sexualaufklärung ‐ berühren jedoch in der Regel den Kernbereich des Erziehungsrechts der Eltern.<br />
Soweit sollte Erziehung in unserer Arbeit nicht gehen; zumindest sollte es mit den Eltern abgespro‐<br />
chen werden. Auch der gemeinsame Besuch einer Diskothek oder ähnliches sollte so angegangen<br />
werden, dass die Eltern Kenntnis erlangen und gegebenenfalls Veto einlegen können.<br />
Die Aufsichtspflicht ist immer mit der Erziehungspflicht 19 verbunden. Aufsichtspflicht und Erzie‐<br />
hungspflicht sind aufeinander bezogen. Man bedenke nur die Einwirkung auf Kinder und <strong>Jugend</strong>li‐<br />
che durch Maßregelungen, die aus der Aufsichtspflicht herrühren. Wir dürfen also weder die Auf‐<br />
sichtspflicht noch die Erziehungspflicht für sich betrachten, sondern müssen sie in einer Wechsel‐<br />
beziehung und häufig sogar in einem Spannungsverhältnis zueinander sehen.<br />
17 vgl. Lehrgang „Anlegen und Durchführen von Ferienfreizeitmaßnahmen“<br />
18 vgl. Satzung der <strong>THW</strong>-<strong>Jugend</strong> e.V.<br />
19 vgl. Kapitel Rechtliche Grundlagen, Kindschaftsrecht<br />
17
Ein Beispiel: Ein <strong>Jugend</strong>betreuer<br />
möchte mit seinen Kindern und Ju‐<br />
gendlichen Schlauchboot fahren.<br />
Dies berührt Erziehungs‐ und<br />
sichtspflicht gleichermaßen. Er soll<br />
die <strong>Jugend</strong>helfer Teamgeist erfahren<br />
lassen, ausbilden, wie ein<br />
boot bedient wird und sicherlich<br />
auch die Umwelt erfahren lassen,<br />
dies kann ohne weiteres zum Punkt<br />
Erziehung gezählt werden. Seine<br />
Aufsichtspflicht wird dadurch<br />
rührt, dass die <strong>Jugend</strong>helferinnen<br />
und Junghelfer keinen Schaden wäh‐<br />
rend dieser Ausbildung erleiden,<br />
aber auch keine anderen Personen<br />
schädigen.<br />
Was kann der <strong>Jugend</strong>betreuer tun,<br />
um beiden Pflichten gerecht zu wer‐<br />
den?<br />
Falsch wäre es, auf die Fahrt ganz zu<br />
verzichten, weil es zu gefährlich ist.<br />
Ebenso wäre es falsch, mit der Grup‐<br />
pe Schlauchboot zu fahren, ohne<br />
irgendwelche Risiken zu bedenken.<br />
Er würde in jedem Fall Gefahr laufen,<br />
entweder die Aufsichtspflicht oder<br />
die Erziehungspflicht zu vernachläs‐<br />
sigen.<br />
18<br />
Aufsicht führen<br />
Abbildung 9: Nicht nur Spaß, sondern auch Ausbildungsinhalt: die Fahrt mit dem<br />
Schlauchboot. (Foto: <strong>THW</strong>‐<strong>Jugend</strong> Bayern)<br />
Richtig wäre es, wenn er die Fahrt<br />
durchführt, aber versucht Risiken deutlich zu verringern. So kann er sich ein ruhiges Gewässer für<br />
sein Vorhaben suchen, die <strong>Jugend</strong>lichen mit Schwimmwesten ausstatten, die Funktionsweise des<br />
Schlauchbootes zuerst an Land erklären, usw.<br />
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Die Dreischritt-Methode<br />
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Aufsicht führen<br />
Ein Hilfsmittel für die Führung der Aufsichtspflicht ist die so genannte „Drei‐Schritt‐Methode“. Je‐<br />
der <strong>Jugend</strong>betreuer sollte sie sich stets vor Augen halten!<br />
Belehrung und Warnung ständige Überwachung Eingreifen von Fall zu Fall<br />
Kinder und <strong>Jugend</strong>liche müssen in einer ihnen gemäßen Art und Weise eingehend über Charakter,<br />
Umfang und Folgen möglicher Gefahren und möglichen falschen Verhaltens unterrichtet werden. Es<br />
handelt sich hierbei in erster Linie um Gefahren des alltäglichen Lebens, die sich im Haus und in der<br />
Öffentlichkeit in mancherlei Hinsicht ergeben können, wie Hantieren mit Feuer oder gefährlichem<br />
Spiel‐ und Werkzeug. Aber es handelt sich auch um die besonderen Gefahren, gegen die sich be‐<br />
stimmte Paragrafen des Strafgesetzbuches 20 richten, natürlich auch das <strong>Jugend</strong>schutzgesetz 21 oder<br />
weitere relevante Vorschriften.<br />
Es ist die eine Aufgabe des <strong>Jugend</strong>betreuers, diese ständigen Gefahren im Auge zu behalten und sie<br />
entsprechend an die Kinder in Form von Belehrung und Warnung weiterzugeben. Die andere Auf‐<br />
gabe ist es, von Fall zu Fall besondere Gefahrenpunkte zu ergründen und auch entsprechend wei‐<br />
terzugeben. Zum Beispiel gehört es auch zu der Vorbereitung einer Fahrt oder eines Zeltlagers, dass<br />
sich der <strong>Jugend</strong>betreuer über mögliche Gefährdungen Gedanken macht, sie erkennt und so geregelt<br />
an seine Gruppe weitergeben kann. Auch trifft dies zu, wenn in die Ausbildung für die Junghelferin‐<br />
nen und Junghelfer neue Geräte oder Werkzeuge aufgenommen wurden. Vor Beginn der eigentli‐<br />
chen Ausbildung hat der <strong>Jugend</strong>betreuer sich zu fragen, welche Gefährdungen von dem Gerät aus‐<br />
gehen. All seine Erkenntnisse trägt er weiter an seine Kinder und <strong>Jugend</strong>lichen. Die Kinder und Ju‐<br />
gendlichen werden über Gefahren aufgeklärt und ihnen werden Funktionsweisen erläutert.<br />
Der <strong>Jugend</strong>betreuer achtet im Folgenden auf die entsprechende Umsetzung seiner Anweisungen<br />
durch die Kinder und <strong>Jugend</strong>lichen. Es muss ständig überprüft werden, ob die Belehrung von den<br />
Kindern und <strong>Jugend</strong>lichen verstanden worden ist und ob die Warnungen befolgt werden. Um die‐<br />
sen Teil der Aufsicht zu erfüllen, muss der Aufsichtspflichtige stets Augen und Ohren offen halten<br />
und mit erneuter Warnung oder sogar Eingreifen bereit sein. Natürlich kann ein <strong>Jugend</strong>betreuer<br />
nicht überall sein. Falsch und mit der Aufsichtspflicht nicht vereinbar wäre aber, an einer Stelle zu<br />
verharren und sich von dort aus von dem Geschehen überraschen zu lassen. Plastisch ausgedrückt,<br />
20 vgl. Kapitel Rechtliche Grundlagen, Strafrecht<br />
21 vgl. Kapitel Rechtliche Grundlagen, <strong>Jugend</strong>schutz<br />
19
Aufsicht führen<br />
kann die Aufsicht über Kinder und <strong>Jugend</strong>liche nicht geführt werden, wenn der <strong>Jugend</strong>betreuer den<br />
ganzen Tag über gemütlich in der Küche sitzt und Zeitung liest. Natürlich kann er dies mal machen,<br />
natürlich darf er auch mit anderen Dingen seine konkrete Aufsichtsführung unterbrechen ‐ so es<br />
zumutbar erscheint ‐ aber grundsätzlich ist der <strong>Jugend</strong>betreuer dort, wo die <strong>Jugend</strong>lichen sind. Er<br />
hat „Überwachungsgänge“ zu unternehmen, damit er sich stets davon überzeugen kann, dass seine<br />
Belehrungen und Warnungen eingehalten werden. Der Leser mag nun Überwachungsgänge nicht so<br />
verstehen, dass sich ein <strong>Jugend</strong>betreuer ähnlich eines Gefängniswärters in einem Zeltlager bewe‐<br />
gen soll; rein pädagogisch wäre solch ein Verhalten sicherlich das falsche Zeichen.<br />
Sollten seine Anweisungen nicht beachtet werden, so hat er einzugreifen. Dies kann dazu führen,<br />
dass er generelle Verbote oder aber Verbote für einzelne Kinder und <strong>Jugend</strong>liche aussprechen<br />
muss. Dies hat er wieder entsprechend zu überwachen und muss auch entsprechend eingreifen.<br />
Auch muss hier eventuell eine Ahndung durch den <strong>Jugend</strong>betreuer erfolgen. Bedenken muss der<br />
<strong>Jugend</strong>betreuer in Situationen, in denen er Ahndungen ausspricht, dass er diese im Ernstfall natür‐<br />
lich auch umsetzen muss. Zeigt er diese Konsequenz in seinem Handeln nicht, verliert er gegenüber<br />
der Gruppe zusehends an Akzeptanz.<br />
Grundsätzlich hat bei einer Verwarnung Berücksichtigung zu finden, ob ein Handeln aus Fahrläs‐<br />
sigkeit, Unbekümmertheit, Übermut, Leichtsinn, jugendlicher Geltungssucht aus Unzulänglichkeit<br />
oder aber durch bösen Willen begründet ist. Die Intensität der auszusprechenden Verwarnung fin‐<br />
det Kausalität in dieser Beurteilung. Verwarnen eines Kindes oder <strong>Jugend</strong>lichen heißt nicht nur,<br />
Belehrungen ins Gedächtnis zu rufen, sondern mit besonderem Ernst auf die Folgen hinzuweisen,<br />
die da eintreten können. Solche Folgen können sein: Gefährdung des Kindes oder <strong>Jugend</strong>lichen<br />
selbst, Gefährdung der ganzen Gruppe, Gefährdung Dritter, Anrichten von Sachschäden und sicher<br />
vieles mehr.<br />
Im Falle von Unzulänglichkeit oder bösen Willens erfordert eine gewissenhafte Erfüllung der Auf‐<br />
sichtspflicht, in erster Linie das Wohl der Gruppe und das Wohl Dritter zu berücksichtigen und ein‐<br />
deutige Folgerungen gegenüber dem Delinquenten zu ziehen. Freilich kommen im Rahmen der Ju‐<br />
gendarbeit weder körperliche Züchtigungen noch Strafgelder oder Essensentzug als Folgerung in<br />
Frage, ebenso unkontrollierbare kollektive Gruppenmaßnahmen. Mögliche Reaktionsmaßnahme<br />
eines <strong>Jugend</strong>betreuers wären: Ausschluss eines Delinquenten auf Zeit oder für die Dauer von ein‐<br />
zelnen Veranstaltungen, letztendlich auch gänzlich aus der Gruppe.<br />
Oftmals werden so genannte Streiche gegen so manch Kind oder <strong>Jugend</strong>lichen unternommen, um<br />
sein Fehlverhalten zu bestrafen. Auch wenn es dem Wortlaut nach ein Streich sein sollte, gingen<br />
diese oftmals nahtlos in Körperverletzung oder Freiheitsberaubung über. Ein Streich ist nur dann<br />
ein Streich, wenn er entsprechend lehrreich für den Betroffenen ist, nichts zerstört oder beschädigt<br />
wird, niemand zu Schaden kommt und letztendlich derjenige, gegen den sich der Streich gerichtet<br />
hat, anschließend auch darüber lachen kann.<br />
Abschließend zu bemerken bleibt, dass derjenige, welcher nach der Dreischritt‐Methode verfährt<br />
und Sachlagen nach den Faktoren beurteilt, kaum einer Verletzung seiner Aufsichtspflicht schuldig<br />
gesprochen werden kann, und zwar auch dann nicht, wenn trotz all seiner Bemühungen ein Scha‐<br />
den entstanden ist. Denn die Verantwortung eines <strong>Jugend</strong>betreuers erstreckt sich nicht darauf, dass<br />
unter allen Umständen jeder Schaden vermieden wird, sondern darauf, dass er seiner Aufsichts‐<br />
pflicht in der rechten Weise nachgekommen ist, dass er nach bestem Wissen und Gewissen alles<br />
getan hat, um Schaden vorzubeugen und ihn zu verhüten. Ist diese Voraussetzung gegeben, entfällt<br />
die Haftung; ist sie nicht erfüllt, dann allerdings kann auch ein <strong>Jugend</strong>betreuer sich den Folgen ge‐<br />
genüberstehen, die sich aus der zivil‐ und strafrechtlichen Haftung des Aufsichtspflichtigen ergeben<br />
können.<br />
20<br />
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Aufsicht führen<br />
Delegation der Aufsichtspflicht<br />
Grundsätze der Delegation<br />
Mit der Delegation der Aufsichtspflicht ist die Übertragung der Pflicht zur Führung der Aufsicht<br />
über Minderjährige von einer Stelle an die nächste gemeint. Wie bekannt, haben die Eltern nach §<br />
1631 BGB die Aufsichtspflicht über ihre leiblichen Kinder 22 . Geben sie diese in die Obhut anderer,<br />
so übertragen sie natürlich auch Teile der Personensorge nach § 1631 BGB; insbesondere die Auf‐<br />
sichtspflicht. Dies geschieht vielfach im Alltag: im Kindergarten, in der Schule, im Sportverein oder<br />
zu einem Ausflug. Natürlich wird auch für Kinder und <strong>Jugend</strong>liche, die an Aktionen der <strong>THW</strong>‐<strong>Jugend</strong><br />
teilnehmen, die Aufsichtspflicht übertragen.<br />
Grundsätzlich wird die Aufsichtspflicht auf den Träger einer Maßnahme oder einer Veranstaltung<br />
übertragen. Dies hat haftungsrechtliche Gründe. Der Träger wiederum delegiert die Aufsichtspflicht<br />
in einer festgelegten Hierarchie an sein Personal. Verständlich, denn ein Träger als juristische Per‐<br />
son kann die Aufsicht über Kinder und <strong>Jugend</strong>liche<br />
faktisch nicht führen.<br />
Im Falle der <strong>THW</strong>‐<strong>Jugend</strong> bedeutet dies, dass der Ju‐<br />
gendbetreuer einer Ortsgruppe die Aufsicht übertragen<br />
bekommt. Er muss diese qua Amt auch ausführen, er<br />
kann die Delegation nicht ablehnen. Selbstverständlich<br />
darf er nun wiederum für bestimmte Abläufe die Auf‐<br />
sichtspflicht an weitere Personen übertragen. Zu den‐<br />
ken wäre hier etwa an den Ausbildungsbeauftragten<br />
des Ortsverbandes, der eine bestimmte Ausbildungs‐<br />
einheit mit einem Teil der Ortsjugend bearbeitet oder<br />
an den Koch, welchem in einem Zeltlager verschiedene<br />
Junghelferinnen und Junghelfer beim Abwasch helfen.<br />
Aber natürlich auch die Übertragung der Aufsicht für<br />
einen längeren Einwirkungszeitraum während eines<br />
Ausflugs.<br />
Delegiert ein <strong>Jugend</strong>betreuer die Aufsichtspflicht an<br />
andere Personen, Helfer oder auch <strong>Jugend</strong>betreuer, so<br />
hat er sicher zu stellen, dass diese<br />
hierzu geeignet sind<br />
im erforderlichen Maße angeleitet und überwacht<br />
werden<br />
die Kinder kennen und einschätzen können<br />
zu echter Kooperation mit dem <strong>Jugend</strong>betreuer bereit sind.<br />
22 vgl. Kapitel Rechtliche Grundlagen, Kindschaftsrecht<br />
Abbildung 10: Gemeinsame Sache machen ‐ zusammen im<br />
Team wirken. (Foto: Uwe Ruf; 2006)<br />
21
Aufsicht führen<br />
Bedenken sollte der <strong>Jugend</strong>betreuer bei seinen Entscheidungen bezüglich der Delegation der<br />
sichtspflicht stets, dass seine Entscheidung bereits eine Verletzung der Aufsichtspflicht bedeuten<br />
mag. Nämlich dann, wenn er die Aufsicht an Personen übertragen hat, die nicht fähig dazu waren,<br />
nicht ausreichend angeleitet wurden oder kooperativ mit dem <strong>Jugend</strong>betreuer zusammen gearbei‐<br />
tet haben und daraus ein entsprechender Schaden entstanden ist. In solchen Fällen würden diejeni‐<br />
gen, welche die Aufsicht delegiert haben, mindestens ebenso bestraft, wie diejenigen, welche die<br />
Aufsichtspflicht faktisch verletzt haben. Letztendlich kann auch ein Träger der <strong>Jugend</strong>arbeit be‐<br />
straft werden, wenn er nicht für ausreichende und qualitativ adäquate Ausbildung seines Personals<br />
sorgt.<br />
Abbildung 11: Ein Akt der Balance für den <strong>Jugend</strong>bet‐<br />
reuer ist stets die Übertragung der Aufsicht an Minder‐<br />
jährige ‐ und doch ist sie pädagogisch wichtig. (Foto:<br />
Ingo Henke, 2003)<br />
22<br />
Dürfen Minderjährige die Aufsicht<br />
führen?<br />
Natürlich kann die Aufsicht über eine Gruppe Kinder und<br />
<strong>Jugend</strong>licher auch durch einen Minderjährigen ausgeübt<br />
werden. Dies ist in der Praxis der <strong>Jugend</strong>arbeit durchaus<br />
normal. <strong>Jugend</strong>leiterinnen und <strong>Jugend</strong>leiter erhalten mit<br />
dem 16. Lebensjahr einen amtlichen Ausweis, die JuLei‐<br />
Ca, welche ihre Fähigkeit und Ausbildung bestätigt. Der<br />
<strong>Jugend</strong>leiter muss hierfür einen mindestens 50‐<br />
stündigen Lehrgang besucht und erfolgreich absolviert<br />
haben, wie auch im Besitz eines Erste‐Hilfe‐Nachweises<br />
sein. Für die Tätigkeit eines Minderjährigen, einer Min‐<br />
derjährigen als <strong>Jugend</strong>leiterin oder <strong>Jugend</strong>leiter wird<br />
allerdings die Zustimmung der Personensorgeberechtig‐<br />
ten eingeholt werden müssen. Dies ist vor dem Hinter‐<br />
grund einer eventuellen Haftung durch die Eltern bei einem Schadensfall durch ein Verschulden<br />
des Minderjährigen bei der Ausübung der Aufsichtspflicht erforderlich. Eine solche Zustimmung<br />
muss nicht ausdrücklich schriftlich erfolgen, es genügt eine mündliche oder auch stillschweigende<br />
Zustimmung. Die Erziehungsberechtigten müssen aber in jedem Fall über mögliche Konsequenzen<br />
einer Übernahme der Aufgaben eines Aufsichtspflichti‐<br />
gen eingehend informiert werden.<br />
Beispiel: Die 16‐jährige Corinna wird <strong>Jugend</strong>leiterin<br />
der <strong>THW</strong>‐<strong>Jugend</strong> Wampoldsreuthe. Sie soll die anderen<br />
volljährigen Betreuer bei verschiedenen Aufgaben un‐<br />
terstützen. So etwa eine Kleingruppe im Rahmen des<br />
Zeltlagers bei einer zweitägigen Wanderung leiten.<br />
Peter, <strong>Jugend</strong>betreuer der Wampoldsreuther, überträgt<br />
ihr also die Aufsichtspflicht für diese Zeit. Corinnas<br />
Eltern ist die Tätigkeit als <strong>Jugend</strong>leiterin bekannt und<br />
sie wissen auch, dass sie oder Corinna in Schadenfällen<br />
möglicherweise auch haften müssen. Sie haben nichts<br />
dagegen und auch nichts gegenteiliges Peter gegenüber<br />
geäußert.<br />
So ist es in Ordnung. Der volljährige Leiter einer Ju‐<br />
gendgruppe muss sich vergewissern, dass den jeweili‐<br />
gen gesetzlichen Vertretern (Eltern) der Umfang der<br />
Abbildung 12: Nicht alle Aktionen kann der <strong>Jugend</strong>bet‐<br />
reuer begleiten. (Foto: Ingo Henke; 1999)<br />
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Aufsicht führen<br />
Tätigkeit eines minderjährigen <strong>Jugend</strong>leiters bekannt ist. Diese müssen die Gelegenheit erhalten,<br />
gegebenenfalls ihre Zustimmung, welche sie gegeben haben, zurück zu ziehen, sofern sie der Mei‐<br />
nung sind, dass ihr Kind diese – vielleicht außergewöhnliche – Tätigkeit der Aufsichtsführung par‐<br />
tiell nicht übernehmen kann. Es kann allerdings davon ausgegangen werden, dass verantwortungs‐<br />
volle <strong>Jugend</strong>liche ihren Eltern erzählen, welche Tätigkeiten sie ausüben. Hat der <strong>Jugend</strong>betreuer<br />
oder Leiter einer Gruppe den Verdacht, dass dies im Einzelfall nicht geschieht, so hat er das Ge‐<br />
spräch mit den Eltern zu suchen.<br />
Darf sich ein <strong>Jugend</strong>betreuer kurzfristig vertreten lassen?<br />
Auch hier wieder ein klares: natürlich. Schließlich kommt es in der täglichen Praxis der <strong>Jugend</strong>ar‐<br />
beit häufig vor, dass sich <strong>Jugend</strong>betreuer und <strong>Jugend</strong>betreuerinnen vertreten lassen müssen, etwa<br />
für eine kurzfristige Abwesenheit zwecks Organisation verschiedenster Dinge oder zur Beschaffung<br />
von Waren; auch die Begleitung bei einem Arztbesuch ist hier zu nennen. Behandelt hatten wir dies<br />
kurz unter dem Thema Delegation der Aufsichtspflicht.<br />
Ist die Abwesenheit von der Gruppe in bestimmten Fällen einmal unumgänglich, so ist der Leiter als<br />
Aufsichtspflichtiger berechtigt und sogar ver‐<br />
pflichtet, eine Vertreterin oder einen Vertreter<br />
zu benennen. Allerdings muss der Vertreter<br />
oder die Vertreterin willens und tatsächlich in<br />
der Lage sein, die Vertretung auszuüben. Auch<br />
muss der Vertreter oder die Vertreterin wis‐<br />
sen, dass sie / er für diese Zeit die Aufsichts‐<br />
führung hat. Die Weitergabe der Aufsichts‐<br />
pflicht setzt eine wohlüberlegte Auswahl und<br />
eine gewisse Belehrung voraus. So ist es mög‐<br />
lich, dass ein Kraftfahrer ein Kind zum Arzt<br />
begleitet, ein Koch über einige Kinder die Auf‐<br />
sicht führt, die in seiner Küche mithelfen und<br />
auch dass ein Ausbilder des Ortsverbandes<br />
Abbildung 13: Dinge wie einen Stadtrundgang oder eine Hafen‐<br />
rundfahrt dürfen <strong>Jugend</strong>liche auch schon mal ohne einen Betreuer<br />
unternehmen ‐ sofern sie hierfür die nötige Reife besitzen. (Foto:<br />
Ingo Henke)<br />
ohne den <strong>Jugend</strong>betreuer eine Ausbil‐<br />
dungsveranstaltung durchführt.<br />
Für die Durchführung eines mehrtägigen Zelt‐<br />
lagers empfiehlt es sich für den Leiter der<br />
Maßnahme, einen permanenten Stellvertreter zu benennen, der ihn ohne weitere Absprachen wäh‐<br />
rend möglicher Abwesenheit vertritt. Diese Struktur sollte allen Beteiligten bekannt sein, oder be‐<br />
kannt gemacht werden.<br />
Zivilrechtliche Haftung<br />
Ein Träger der freien oder verbandlichen <strong>Jugend</strong>hilfe haftet für<br />
Eigenschäden des Kindes<br />
Drittschäden<br />
die aus einer Verletzung der Aufsichtspflicht hervorrühren.<br />
23
24<br />
Aufsicht führen<br />
Der <strong>Jugend</strong>betreuer oder auch der <strong>Jugend</strong>betreuer ist durch seine Stellung zur Übernahme der Auf‐<br />
sichtspflicht vom Träger generell verpflichtet. Der Träger schützt sich und somit den <strong>Jugend</strong>bet‐<br />
reuer vor entsprechenden Ansprüchen, indem er Versicherungen abschließt. Der Träger oder des‐<br />
sen Versicherung kann aber beim <strong>Jugend</strong>betreuer Regress nehmen, wenn Vorsatz oder grobe Fahr‐<br />
lässigkeit vorliegen. Als grobe Fahrlässigkeit würde man bezeichnen, wenn der <strong>Jugend</strong>betreuer<br />
seine Aufsichtspflicht in besonders schwerem Maße verletzt und selbst einfachste, ganz nahe lie‐<br />
gende Überlegungen nicht angestellt hat.<br />
Begründet ist die Haftung in den §§ 823 und 832 BGB.<br />
§ 823 BGB, Schadensersatzpflicht<br />
(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die<br />
Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich<br />
verletzt, ist dem anderen zum Ersatze des daraus entstandenen Schadens verpflichtet.<br />
Diese Norm beschreibt die Pflicht eines jeden, für die Schäden, welche er anderen zufügt auch ein‐<br />
zustehen, sprich ihn zu ersetzen. Eine strafrechtliche Verfolgung ist hiermit nicht automatisch ver‐<br />
bunden, häufig aber gegeben.<br />
§ 832 BGB, Haftung der Aufsichtspflichtigen<br />
(1) Wer kraft Gesetz zur Führung der Aufsicht über eine Person verpflichtet ist,<br />
die wegen Minderjährigkeit ... der Beaufsichtigung bedarf, ist zum Ersatz des<br />
Schadens verpflichtet, den diese Person einem Dritten widerrechtlich zufügt.<br />
Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn er seiner Aufsichtspflicht genügt oder<br />
wenn der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden sein würde.<br />
(2) Die gleiche Verantwortlichkeit trifft denjenigen, welcher die Führung der<br />
Aufsicht durch Vertrag übernimmt.<br />
Das Gesetz geht bei Schadensfällen zunächst davon aus, dass der Schaden durch unzureichende<br />
Beaufsichtigung des Kindes oder <strong>Jugend</strong>lichen entstanden ist. Der Aufsichtspflichtige muss diese<br />
Vermutung widerlegen, d.h. er muss sich entlasten. Er muss beweisen, dass er seiner Aufsichts‐<br />
pflicht genügt hat.<br />
§ 828 BGB, Minderjährige<br />
(1) Wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat, ist für einen Schaden, den<br />
er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich.<br />
(2) Wer das siebente, aber nicht das zehnte Lebensjahr vollendet hat, ist für<br />
den Schaden, den er bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug, einer Schienenbahn<br />
oder einer Schwebebahn einem anderen zufügt, nicht verantwortlich.<br />
Dies gilt nicht, wenn er die Verletzung vorsätzlich herbeigeführt hat.<br />
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Aufsicht führen<br />
(3) Wer das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist, sofern seine Verantwortlichkeit<br />
nicht nach Absatz 1 oder 2 ausgeschlossen ist, für den Schaden,<br />
den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich, wenn er bei der Begehung<br />
der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit<br />
erforderliche Einsicht hat.<br />
Wer haftet, wenn der Aufsichtspflichtige seiner Aufsicht genüge getan hat? Richtig, der Schädiger<br />
selbst, sprich in unseren Fällen das Kind oder der <strong>Jugend</strong>liche selbst. Aber dem steht die Haftungs‐<br />
pflicht aus der Norm 828 BGB entgegen, welche Kinder unter sieben Jahre grundsätzlich aus‐<br />
schließt und von älteren Minderjährigen die entsprechende Einsicht verlangt. Tatsächlich kann dies<br />
bedeuten, dass Geschädigte ihren Schaden nicht ersetzt bekommen. Eine Prüfung durch das Gericht<br />
wird im Einzelfall erfolgen.<br />
25
Urteile zum Thema<br />
26<br />
Aufsicht führen<br />
Exemplarische und zur Orientierung / Vertiefung des zuvor Genannten hier einige Urteile verschie‐<br />
dener Gerichte zu Fehlverhalten in der Aufsichtsführung von <strong>Jugend</strong>betreuern:<br />
„Nicht unbedingt das Fernhalten von jedem Gegenstand, der bei unsachgemäßem Umgang gefährlich<br />
werden kann, sondern gerade die Erziehung des Kindes zu verantwortungsbewusstem Hantieren mit<br />
einem solchen Gegenstand wird oft der bessere Weg sein, das Kind und Dritte vor Schäden zu bewahren.<br />
Hinzu kommt die Notwendigkeit frühzeitiger praktischer Schulung des Kindes, das seinen Erfahrungsbereich<br />
möglichst ausschöpfen soll.“ 23<br />
„Das Maß der gebotenen Aufsicht bestimmt sich nach Alter, Eigenart und Charakter des Kindes sowie<br />
danach, was <strong>Jugend</strong>betreuern in der jeweiligen Situation zugemutet werden kann. Entscheidend ist,<br />
was ein verständiger <strong>Jugend</strong>betreuer nach vernünftigen Anforderungen unternehmen muss, um zu<br />
verhindern, dass das Kind selbst zu Schaden kommt oder Dritte schädigt.“ 24<br />
„Ein knapp 9-jähriges, normal entwickeltes Kind, das im Freien spielt, muss sich nicht im unmittelbaren<br />
Aufsichtsbereich aufhalten, der ein jederzeitiges Eingreifen des Aufsichtspflichtigen ermöglicht.<br />
Vielmehr ist der Aufsichtspflicht Genüge getan, wenn sich der Aufsichtspflichtige über das<br />
Tun und Treiben in groben Zügen einen Überblick verschafft.“ 25<br />
„Wer einem <strong>Jugend</strong>lichen indizierte Horrorvideos („Freitag, der 13“) überlässt oder sonst zugänglich<br />
macht, kann für die von dem <strong>Jugend</strong>lichen später nach dem Vorbild der Horrorfigur begangene Gewalttat<br />
zur Verantwortung gezogen werden, wenn er diese Tat und ihre Vermeidbarkeit voraussehen<br />
konnte (Jason-Fall).“ 26<br />
„Es stellt eine Verletzung der Aufsichtspflicht dar, wenn es 8-jährigen Kindern gestattet wird, alleine<br />
einen schwer einsehbaren Waldweg zwischen einem Omnibusparkplatz und einer Gaststätte zu begehen,<br />
wenn sich unweit des Waldweges Steilabbrüche sowie eine Absprungrampe für Drachenflieger<br />
befinden. Das gelegentliche Abgehen des Waldweges durch zwei Aufsichtspersonen reicht nicht aus,<br />
ebenfalls nicht die Beobachtung des Waldweges von der Außenterrasse der Gaststätte, wenn der Weg<br />
von dort aus nur auf einer vergleichsweise geringen Strecke einsehbar ist.<br />
23 BGH, NJW 1976, S. 1684<br />
24 BGH in NJW 1984, S. 2574<br />
25 BGH in NJW 1984, S. 2574<br />
26 BayObLG vom 28.10.1997 NJW 1998, S. 3580<br />
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Aufsicht führen<br />
Allerdings ist einem knapp 9-jährigen Kind, das trotz Verbotes von dem Waldweg abweicht, in eine<br />
Schlucht einsteigt und dort stürzt und sich verletzt, ein Mitverschulden (hier: 2/3) anzulasten.“ 27<br />
Anmerkung: Der Schadenfall passierte bei einem von einer Gemeinde organisierten Ausflug im<br />
Rahmen einer so genannten "Ferienpass‐Aktion". Sämtliche Kinder wurden angewiesen, auf dem<br />
Weg vom Omnibusparkplatz zu einer mehrere 100 Meter entfernten Gaststätte auf dem Waldweg<br />
zu bleiben. Zwei Aufsichtspersonen gingen den Weg dabei mehrfach ab. Ansonsten beobachteten<br />
sie den einsehbaren Teil des Waldweges von der Außenterrasse der Gaststätte aus. Ein knapp 9‐<br />
jähriger Junge verließ trotzdem den Weg und stieg in eine Schlucht, die nur ca. 50 m seitlich des<br />
Weges begann. Dort stürzte er und zog sich Verletzungen zu.<br />
„Betreuer eines Zeltlagers für 10-13-jährige Kinder genügen ihrer Aufsichtspflicht nicht, wenn Sie die<br />
Kinder zu Beginn des Zeltlagers einmalig ermahnen, keine Straftaten zu begehen und ansonsten lediglich<br />
anordnen, dass die Kinder das Zeltlager nur mindestens in Dreiergruppen und nach vorheriger<br />
Abmeldung verlassen dürfen. Vielmehr sind Gebote und Verbote regelmäßig "aufzufrischen", da damit<br />
gerechnet werden, dass muss gerade in der Atmosphäre eines Ferienlagers auch noch so eindringliche<br />
Verbote schnell verdrängt bzw. vergessen werden.“ 28<br />
Anmerkung: Ein nur auf den ersten Blick strenges Urteil, auch wenn in der I. Instanz die gegen die<br />
beiden verantwortlichen Betreuer gerichtete Klage vom AG Landau/Pfalz noch abgewiesen wurde.<br />
Insgesamt sechs Kinder hatten an zwei Tagen eines Pfadfinder‐Zeltlagers bei insgesamt 23 Fahr‐<br />
zeugen die Markenembleme ab‐ bzw. heraus gebrochen und dabei einen hohen Schaden verursacht.<br />
Das LG erachtete die Aufsichtsführung, die sich auf die oben genannten Maßnahmen beschränkt<br />
hat, als zu gering. Auch wenn keines der Kinder im Verlauf des Zeltlagers Auffälligkeiten gezeigt hat,<br />
so hätten die Betreuer doch ihre lediglich einmal geäußerten Verbote bei Gelegenheit der unbeauf‐<br />
sichtigten Ausgänge noch einmal erneuern müssen. Es sei gerade hierbei damit zu rechnen gewe‐<br />
sen, dass die Kinder Verbote und Gebote missachten, verdrängen oder vergessen (denke an Drei‐<br />
Schritt‐Methode!).<br />
27 LG Bückeburg vom 25.03.1999, 1 S 300/98<br />
28 LG Landau/Pfalz vom 16.6.2000, 1 S 105/00<br />
27
Aufsicht führen<br />
<strong>Fallbeispiel</strong>e aus dem Lehrgang<br />
<strong>Fallbeispiel</strong> 1: Das Dosenwerfen<br />
Der <strong>Jugend</strong>verband Sonnenschein veranstaltete ein Ferienlager. Bereits am dritten Tag kamen die<br />
Betreuer Paul, Theo und Hans zu der Erkenntnis, dass sie es mit einem „wilden Haufen“ zu tun ha‐<br />
ben. Daher beschlossen sie, am nächsten Tag eine Lagerolympiade durchzuführen, damit sich alle<br />
Kinder austoben können und am nächsten Abend endlich einmal früh zu Bett gehen werden. Paul<br />
übernahm am nächsten Tag die Leitung des Spielteils „Dosenwerfen“. Die Spielvariation bestand<br />
darin, dass die Dosenpyramide mit mittelgroßen Steinen abgeworfen werden sollte. Die Dosen<br />
wurden in neun Meter Entfernung auf einer Mauer aufgebaut. Der elfjährige Klaus‐Peter war an<br />
diesem Spiel nicht interessiert. Sein Beitrag beschränkte sich darauf, hinter der Mauer zu lauern<br />
und zu gegebener Zeit die Dosen umzustoßen. So erklärte Paul dem Klaus‐Peter, dass sein Tun un‐<br />
fair und zudem gefährlich sei. Er verbot ihm, sich hinter der Mauer aufzuhalten. Trotzdem schaffte<br />
Klaus‐Peter es ein weiteres Mal, die Dosen umzustoßen. Nun zerrte Paul den Klaus‐Peter hinter der<br />
Mauer hervor und wies ihn zurecht. Daraufhin setzte sich der Junge motzig an den Rand des Spiel‐<br />
feldes.<br />
Kurz darauf ging Paul kurz zur Toilette. Während der kurzen Zeit der Abwesenheit ging Klaus‐Peter<br />
wieder hinter die Mauer und wurde unversehens von einem Stein getroffen.<br />
Hat Paul seine Aufsichtspflicht verletzt?<br />
Betrachtet nach Alter, Reife, Erziehungsstand:<br />
Bei einem Elfjährigen ist eine ununterbrochene Beobachtung grundsätzlich nicht erforderlich. Al‐<br />
lerdings zeigte Klaus‐Peter für Paul erkennbar, dass er seine eigene Gefährdung nicht überblickte.<br />
Darüber hinaus hatte Klaus‐Peter offensichtlich auch keinen Sinn für Fairness. Die Belehrung än‐<br />
derte daran nichts, denn er wiederholte sein Treiben und setzte sich anschließend motzig an den<br />
Spielfeldrand.<br />
Betrachtet nach Art der Beschäftigung:<br />
Das Werfen mit Steinen ist eine gefährliche Beschäftigung. Es ist daher eine erhöhte Aufmerksam‐<br />
keit geboten.<br />
Betrachtet nach Zumutbarkeit:<br />
Unzumutbarkeit liegt nur dann vor, wenn von dem Betreuer ein anderes Verhalten nicht erwartet<br />
werden konnte. Der Vorwurf gegen Paul bezieht sich dabei nicht unmittelbar auf den Gang zur Toi‐<br />
lette, sondern auf die Tatsache, dass er notwendige Maßnahmen zum Schutz der Teilnehmer unter‐<br />
ließ. Konkrete Maßnahmen wie z.B. das Spiel ganz zu unterbrechen oder einen anderen Betreuer<br />
mit der Aufsicht zu beauftragen, wären ohne weiteres möglich gewesen. Paul kann sich auch nicht<br />
darauf berufen, keine Zeit mehr gehabt zu haben. Er muss als Erwachsener nicht bis „zur letzten<br />
Sekunde“ ausharren.<br />
Ergo: Paul hat seine Aufsichtspflicht verletzt.<br />
28<br />
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Aufsicht führen<br />
<strong>Fallbeispiel</strong> 2: Tischfussballspiel<br />
Im Aufenthaltsraum des Ferienheims, welches sich der <strong>Jugend</strong>verband Sonnenschein für sein Fe‐<br />
rienlager ausgesucht hatte, befand sich ein Tischfußballgerät. Da es an einem Tag regnete, organi‐<br />
sierte der Betreuer Theo ein Tischfußballturnier. Alle Mitspieler einigten sich dahingehend, dass<br />
jedes Spiel solange dauern sollte, bis sieben Tore gefallen sind. Nachdem das Spiel etwa eine Stunde<br />
reibungslos verlaufen war, ging Theo in die Küche, um nach dem Mittagessen zu fragen. Zuvor wies<br />
er nochmals auf die Spielregeln hin. In der Zwischenzeit wollte der 12‐jährige Clemens ein Spiel<br />
unterbrechen, weil er der Meinung war, es seien bereits sieben Tore gefallen. Bevor die Angelegen‐<br />
heit abschließend geklärt werden konnte, erhielt er im allgemeinen Gerangel einen Stoß und fiel<br />
mit dem Kopf auf eine Tischkante. Ergebnis nach Arztbesuch: Gehirnerschütterung.<br />
Hat Theo seine Aufsichtspflicht verletzt?<br />
Betrachtet nach Alter, Reife, Erziehungsstand:<br />
Die Notwendigkeit der Spielregeln wurde von Clemens allgemein eingesehen. Das Spiel verlief län‐<br />
gere Zeit reibungslos. Das Gerangel kam lediglich infolge eines Irrtums zustande. Es bestanden für<br />
Theo keine Anhaltspunkte dafür, dass es in seiner Abwesenheit zum Streit kommen würde.<br />
Betrachtet nach Art der Beschäftigung:<br />
Ein Tischfußballturnier ist eine harmlose Beschäftigung, bei der an sich keine Verletzungsgefahr<br />
besteht.<br />
Betrachtet nach Zumutbarkeit:<br />
Ein Verzicht auf den Gang in die Küche war unzumutbar. Es handelte sich um eine harmlose Be‐<br />
schäftigung der Kinder, und es bestand kein Anlass zu einer erhöhten Aufsicht. Wann sollte ein Be‐<br />
treuer so Dinge wie Absprachen mit der Küche oder einen Toilettengang erledigen, wenn nicht un‐<br />
ter solchen Umständen?<br />
Ergo: Theo hat seine Aufsichtspflicht nicht verletzt.<br />
<strong>Fallbeispiel</strong> 3: Der Besuch eines Wirtshauses<br />
Der 16‐jährige Christoph, Teilnehmer des Ferienlagers vom <strong>Jugend</strong>verband Sonnenschein, verkehrt<br />
mit einigen anderen gleichaltrigen Teilnehmern abends häufig in der Dorfschenke nahe dem Lager‐<br />
platz. Dies ist dem Betreuer Hans, der für die älteren <strong>Jugend</strong>lichen zuständig ist, auch bekannt.<br />
Eines Abends gegen 23.20 Uhr beginnt Christoph infolge übermäßigen Alkoholgenusses in der<br />
Gaststätte eine Rauferei, in deren Folge die Brille des völlig unbeteiligten Dorfpfarrers zerbricht.<br />
Der Dorfpfarrer verklagt Hans auf Schadensersatz, weil Hans seiner Meinung nach die Aufsichts‐<br />
pflicht verletzt hat. Hans bringt nun vor, dass Christoph überhaupt nicht aufsichtsbedürftig gewe‐<br />
sen sei. Denn nach § 4 JUSchG sei es <strong>Jugend</strong>lichen ab dem 16. Lebensjahr ausdrücklich erlaubt, sich<br />
in Gaststätten ohne Begleitung Erziehungsberechtigter aufzuhalten. Der Gesetzgeber gehe also da‐<br />
von aus, dass der <strong>Jugend</strong>liche bei einem Gaststättenbesuch nicht beaufsichtigt werden müsse. Wenn<br />
Christopf also nicht aufsichtsbedürftig gewesen sei, so könne er, Hans, auch seine Aufsichtspflicht<br />
nicht verletzt haben.<br />
29
Was ist von dieser Argumentation zu halten?<br />
30<br />
Aufsicht führen<br />
Die Argumentation von Hans ist zwar auf den ersten Blick verblüffend, aber so nicht richtig. Nach §<br />
832 sind alle Minderjährigen aufsichtsbedürftig, also auch der 16‐jährige Christoph. Der Gesetzge‐<br />
ber geht uneingeschränkt davon aus, dass bis zur Volljährigkeit ein bestimmter Einfluss auf die<br />
Lebensführung des <strong>Jugend</strong>lichen erforderlich ist. Daran ändert auch das <strong>Jugend</strong>schutzgesetz nichts.<br />
Die Aufsichtsbedürftigkeit hängt nämlich nicht davon ab, ob im Einzelfall eine erlaubte oder verbo‐<br />
tene Tätigkeit des <strong>Jugend</strong>lichen vorliegt, denn auch eine erlaubte Tätigkeit kann jederzeit in ein<br />
gefährliches oder verbotenes Tun umschlagen. Genau dies soll durch die Aufsicht möglichst ver‐<br />
mieden werden.<br />
Rechtsfolgen wie Schadensersatz können auf den <strong>Jugend</strong>leiter zukommen.<br />
<strong>Fallbeispiel</strong> 4: Das Lagerfeuer<br />
Natürlich ist es auch während des Ferienlagers des <strong>Jugend</strong>verbandes Sonnenschein üblich, am<br />
Abend gemeinsam am Lagerfeuer zu sitzen, Lieder zu singen und so den Tag zu verabschieden. Die<br />
<strong>Jugend</strong>betreuer nutzen für das Lagerfeuer einen Platz im Garten ihrer Unterkunft, gleich neben dem<br />
Schuppen. Hier fanden sie auch einiges an Holz, welches ihnen erlaubt war, zu verbrennen. Die Ju‐<br />
gendbetreuer merkten recht schnell, dass so ein Lagerfeuer durchaus die richtige Sache grade für<br />
die jüngeren Teilnehmer ist, damit sie sich auf die Nachtruhe vorbereiten können. So dehnten sie<br />
die Zeit, an welcher das Lagerfeuer stattfand, von Tag zu Tag aus; brannte das Feuer zu Anfang nur<br />
eine Stunde so loderten in den nächsten Tagen die Flammen stets länger. Auch wurde das Feuer<br />
größer und größer, denn die Kinder fanden zunehmend Spaß daran im Feuer herumzustochern und<br />
auch immer wieder einen Scheit Holz nachzulegen. Durch Funkenflug entzündete sich der Schup‐<br />
pen, ein recht ansehnliches Feuer entstand. Die herbeigerufene Feuerwehr benötigte eine halbe<br />
Stunde, um alle Flammen zu löschen. Der Schuppen brannte bis auf die Grundmauern nieder.<br />
Wie ist dies zu beurteilen? Haben die <strong>Jugend</strong>leiter ihre Aufsichtspflicht verletzt? Können weitere,<br />
vielleicht strafrechtliche Konsequenzen, die <strong>Jugend</strong>leiter treffen?<br />
Die <strong>Jugend</strong>betreuer haben ihre Aufsichtspflicht verletzt, indem sie nicht eingegriffen haben. Durch<br />
ein Eingreifen oder ein schlichtes Verbot, weiter Holz aufzulegen, wäre der Schaden zu vermeiden<br />
gewesen.<br />
Strafrechtlich ist dies als fahrlässige Brandstiftung 29 zu werten, Schadensersatz werden sie auch<br />
leisten müssen.<br />
<strong>Fallbeispiel</strong> 5: Paddeln auf dem See<br />
Am sechsten Tag stand im Ferienlager des <strong>Jugend</strong>verbandes Sonnenschein ein Ausflug zum Kapell‐<br />
see auf dem Programm. Dort waren für alle Teilnehmer Ruderboote gemietet und es sollte ein<br />
schöner Tag auf dem See werden. Leider spielte das Wetter nicht so richtig mit. War es in den ver‐<br />
gangenen Tagen recht heiß und schwül, hatte es sich in der Nacht nach einem schweren Gewitter<br />
deutlich abgekühlt. Auch schien die Sonne nicht, es war bewölkt, ab und zu kam sogar ein Regen‐<br />
schauer. Aber was soll´s, der Ausflug war nun mal geplant und so schlecht war das Wetter nun auch<br />
29 § 306d StGB<br />
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Aufsicht führen<br />
nicht. Unsere drei <strong>Jugend</strong>leiter wiesen alle Kinder darauf hin, dass sie sich einen dicken Pullover<br />
anziehen sollten, weil es kalt werden könnte auf dem See, auch sollten alle ihre Regenjacke mit‐<br />
nehmen. Weiteres bräuchten sie nicht mitnehmen. Ein Picknick war von den <strong>Jugend</strong>leitern bei ei‐<br />
nem Biergarten bestellt. So zog die Gruppe los, wanderte die vier Kilometer zum Kapellsee und dort<br />
zum Bootsverleih. Jeweils vier Kinder bekamen ein Ruderboot und konnten dann damit starten. Die<br />
Kinder paddelten los, teils ging es ein wenig kreuz und quer, da die Handhabung doch etwas<br />
schwierig war, aber schließlich entschwanden alle Boote vom Ufer auf den See hinaus. Die Betreuer<br />
beschlossen, sich in den Biergarten zu setzen, wo es zu Mittag das Picknick geben sollte. Hier hatten<br />
sie eine guten Überblick über fast den ganzen See und außerdem konnten sie nun eine Radlermaß<br />
genießen.<br />
Nachdem die Kinder nun einige Zeit auf dem See gepaddelt waren, auch so langsam mehr Sicherheit<br />
im Manövrieren der Ruderboote bekamen, entschlossen sich drei Bootsbesatzungen, eine See‐<br />
schlacht zu unternehmen und zu versuchen, sich gegenseitig zu versenken. Gesagt, getan, man fuhr<br />
aufeinander los, rammte sich gegenseitig und versuchte auch mit dem Paddel, den andern aus dem<br />
Boot zu werfen. Ein Riesen‐Juchhe! Das Boot von Stefan, Ottokar, Klaus und Hans‐Jürgen kenterte<br />
als erstes, lief voll Wasser und versank fast. Die vier landeten im Wasser, ihre dicken Pullover saug‐<br />
ten sich voll und sie hatten Mühe, ihre Köpfe über Wasser zu halten. Gerade so kamen sie ans Ufer.<br />
Die drei <strong>Jugend</strong>leiter konnten über eine Entfernung von etwa 600m aus dem Biergarten heraus nur<br />
vage vernehmen, was vor sich ging. Als die vier am Ufer ankamen schimpften sie gehörig mit den<br />
Kindern und <strong>Jugend</strong>lichen und schickten sie zurück ins Haus, sich umziehen. Am Abend stellten die<br />
<strong>Jugend</strong>leiter fest, dass sich die vier Kinder eine Lungenentzündung zugezogen hatten.<br />
Wie ist dies zu beurteilen? Haben die <strong>Jugend</strong>leiter ihre Aufsicht verletzt? Wo sind eventuell noch<br />
weitere Fehler zu sehen?<br />
Sicher haben sie ihre Aufsicht verletzt, nicht nur, dass sie nicht am Ort des Geschehens waren auch<br />
andere Dinge haben sie nicht getan, wie etwa das Einweisen der Kinder in die Handhabung der Ru‐<br />
derboote. Grundsätzlich sei nach diesem <strong>Fallbeispiel</strong> noch angemerkt, dass man nicht unbedingt<br />
darauf drängen muss, Programme zu veranstalten, insbesondere dann nicht, wenn durch äußere<br />
Umstände eine Gefährdung für die Kinder vorliegt (Gefahr von Regen, Gewitter beim Bootfahren).<br />
31