Alert Memo - Cleary Gottlieb Steen & Hamilton LLP
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<strong>Alert</strong> <strong>Memo</strong><br />
14. DEZEMBER 2011<br />
Insolvenzrechtsreform zur Erleichterung<br />
von Sanierungen in Deutschland<br />
Am 13. Dezember 2011 wurde das „Gesetz zur weiteren Erleichterung der<br />
Sanierung von Unternehmen“ („ESUG“) verkündet 1 . Das ESUG sieht wesentliche<br />
Änderungen der Insolvenzordnung vor, um die Restrukturierung von Gesellschaften<br />
mittels eines Insolvenzverfahrens zu erleichtern, und gilt für alle Insolvenzverfahren, die<br />
nach dem 29. Februar 2012 beantragt werden.<br />
In der Vergangenheit wurden in Deutschland nur verhältnismäßig wenige<br />
Restrukturierungen mit Mitteln des geltenden Insolvenzrechts erfolgreich durchgeführt.<br />
Die Beteiligten sahen sich insbesondere bei Anwendung eines sog. Insolvenzplanverfahrens<br />
einer Reihe von Hindernissen gegenüber. Die Sanierung im Insolvenzverfahren<br />
war mit vielfältigen Unsicherheiten und Risiken befrachtet – zusätzlich zum<br />
Stigma der Insolvenz. Gläubiger hatten wenig Einfluss auf die Auswahl des Insolvenzverwalters<br />
durch das Gericht. Minderheitsgläubigern und Gesellschaftern war es relativ<br />
leicht möglich, Sanierungen in Insolvenzverfahren zu verhindern oder zu verzögern.<br />
Zugleich birgt die wichtigste praktische Alternative zur Restrukturierung mittels<br />
Insolvenzplan, die übertragende Sanierung, diverse rechtliche und praktische<br />
Schwierigkeiten. Aus diesen Gründen galt das deutsche Insolvenzrecht als weniger<br />
sanierungsfreundlich als andere Rechtsordnungen, wie z.B. englisches Recht.<br />
Dies führte dazu, dass die Beteiligten in einigen Restrukturierungsfällen den<br />
insolvenzrechtlichen Sitz des Schuldners ins Ausland verlegten, um auf diese Weise in<br />
den Genuss der dortigen, flexibleren Regelungen zu gelangen („COMI-Verlegung“). In<br />
anderen Fällen wurden bestimmte Schulden durch ein sog. „Scheme of Arrangement“<br />
nach englischem Recht restrukturiert. Eine solche Sitzverlegung oder die Nutzung eines<br />
„Scheme of Arrangement“ wirft jedoch ebenfalls komplexe Rechtsfragen auf.<br />
Das ESUG will diese Risiken und Unsicherheiten mildern beziehungsweise<br />
beseitigen, indem es das Insolvenzplanverfahren mehr als bisher dem sog. Chapter 11-<br />
Verfahren des U.S.-amerikanischen Konkursrechts angleicht. Die Änderungen<br />
beinhalten die formelle Einbeziehung von Gesellschaftern in das Insolvenzverfahren, die<br />
Stärkung des Einflusses der Gläubiger sowie Erleichterungen hinsichtlich des<br />
Zustandekommens eines Insolvenzplans.<br />
1 Diese Mandanteninformation aktualisiert unsere Mandanteninformation vom 28. Juli 2010, in der wir den damaligen<br />
internen Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums vorgestellt hatten.<br />
© <strong>Cleary</strong> <strong>Gottlieb</strong> <strong>Steen</strong> & <strong>Hamilton</strong> <strong>LLP</strong>, 2011. Alle Rechte vorbehalten.<br />
Dieses <strong>Memo</strong>randum zu neuen rechtlichen Entwicklungen wurde als allgemeine Information für Mandanten von <strong>Cleary</strong> <strong>Gottlieb</strong><br />
und sonstige Interessierte erstellt und stellt keine Rechtsberatung für spezifische Fälle dar.
Einbeziehung von Gesellschaftern<br />
Die weitreichendste Änderung der Insolvenzordnung durch das ESUG ist die<br />
formelle Einbeziehung von Gesellschaftern in das Insolvenzverfahren. Nach bislang<br />
geltendem Recht sind die Gesellschafter des Schuldners nicht formell Beteiligte des<br />
Insolvenzverfahrens, da die Anteile an einem insolventen Unternehmen nicht zur<br />
Insolvenzmasse gehören. Gesellschafter (sogar Minderheitsgesellschafter) waren daher<br />
praktisch in der Lage, einen Insolvenzplan zu vereiteln, indem sie die Verabschiedung<br />
von Beschlüssen zur Fortführung des Unternehmens oder zu notwendigen<br />
Kapitalmaßnahmen wie einen Debt-Equity Swap ablehnten. Anders als in anderen<br />
Rechtsordnungen konnte die Verweigerung der Anteilseigner in Deutschland bisher auch<br />
nicht durch Beschluss des Insolvenzgerichts überwunden werden.<br />
Nach dem ESUG soll ein Insolvenzplan nicht mehr wie bisher nur in Rechte der<br />
Gläubiger, sondern auch in Rechte der Gesellschafter eingreifen können. Ein<br />
Insolvenzplan kann nunmehr auch vorsehen, dass das Unternehmen fortgeführt wird,<br />
dass Anteile am Schuldner auf Gläubiger übertragen werden und dass<br />
Kapitalherabsetzungen vorgenommen werden, um bestehende Verluste auszugleichen,<br />
um sodann das Kapital durch Ausgabe neuer Anteile an Investoren unter Ausschluss<br />
gesetzlicher Bezugsrechte zu erhöhen. Damit wird es möglich, insbesondere einen Debt-<br />
Equity Swap gegen den Willen von Gesellschaftern durch Mehrheitsbeschluss der<br />
Gläubiger durchzusetzen.<br />
Zu beachten bleibt jedoch, dass Gläubiger auch durch Mehrheitsbeschluss<br />
grundsätzlich nicht gezwungen werden können, an einem Debt-Equity Swap<br />
teilzunehmen. Ausgenommen hiervon sind bestimmte Umstrukturierungen von<br />
Schuldverschreibungen nach dem Schuldverschreibungsgesetz. Dies ist bei der<br />
Erstellung des Insolvenzplans zu berücksichtigen.<br />
Soweit durch den Insolvenzplan in ihre Rechte eingegriffen würde, stimmen<br />
Gläubiger und Anteilseigner in Gruppen über den Insolvenzplan ab. Stimmt die<br />
Mehrheit der Gruppen dem Insolvenzplan zu, kann die Nichtzustimmung der übrigen<br />
Gruppen durch Gerichtsbeschluss ersetzt werden. Einzelne den Insolvenzplan<br />
ablehnende Gläubiger oder Gesellschafter haben nur noch eingeschränkte Möglichkeiten,<br />
das Inkrafttreten des Insolvenzplans zu verhindern – siehe unten „Erleichterungen bei<br />
Insolvenzplänen“.<br />
Bei börsennotierten Unternehmen wird ein Debt-Equity Swap in der Regel durch<br />
eine Kapitalherabsetzung mit anschließender Kapitalerhöhung durchgeführt. Die<br />
Kapitalerhöhung erfolgt durch Einbringung der Forderungen sich am Schuldner<br />
beteiligender Gläubiger. Bei einer Sachkapitalerhöhung außerhalb eines Insolvenzverfahrens<br />
muss der Wert der eingebrachten Forderungen mindestens den Nominalwert<br />
der ausgegebenen Aktien erreichen. Erreicht der Wert der Forderungen diesen Wert<br />
nicht, haften die die Aktien zeichnenden Gläubiger auf die Differenz, was ein<br />
erhebliches Risiko darstellen kann. Nach dem ESUG jedoch findet die Differenzhaftung<br />
keine Anwendung, wenn die Kapitalerhöhung im Rahmen eines Insolvenzplans<br />
2
vorgenommen wird, was einen wesentlichen Vorteil einer Restrukturierung in der<br />
Insolvenz darstellen wird.<br />
Das ESUG bestimmt außerdem, dass ein Gläubiger eine Geschäftsverbindung<br />
nicht kündigen darf, falls es durch Kapitalmaßnahmen oder Anteilsübertragungen zu<br />
einem Kontrollwechsel des Schuldners kommt. Anderslautende Vereinbarungen sind<br />
unwirksam.<br />
Gläubiger, die beabsichtigen, sich an einem Debt-Equity Swap lediglich mit<br />
einem Teil ihrer Forderungen zu beteiligen, sollten sich zu Fragen des gesetzlichen<br />
Nachrangs von Gesellschafterdarlehen beraten lassen. Nach den entsprechenden<br />
Bestimmungen sind Gesellschafterdarlehen in einer nachfolgenden Insolvenz<br />
grundsätzlich nachrangig, soweit nicht gesetzliche Ausnahmeregeln greifen.<br />
Auswahl des Insolvenzverwalters<br />
Nach derzeit geltendem Recht haben Gläubiger wenig Einfluss auf die Auswahl<br />
des Insolvenzverwalters durch das Gericht. In vielen Fällen sind Insolvenzgerichte von<br />
diesbezüglichen Vorschlägen von Gläubigern abgewichen, da sie die vorgeschlagenen<br />
Personen (ebenso wie Verwalter, die im Vorfeld des Verfahrens Gläubiger beraten<br />
haben) als befangen ansahen. Die daraus resultierende Unsicherheit hinsichtlich der<br />
Identität, Qualifikation und Kooperationsbereitschaft des künftigen Verwalters wurde oft<br />
als ein wesentlicher Hinderungsgrund für die Nutzung des Insolvenzverfahrens zur<br />
Restrukturierung von Unternehmen angesehen.<br />
Dieser Unsicherheit versucht das ESUG zu begegnen, indem die Rechte des<br />
vorläufigen Gläubigerausschusses gestärkt werden. Dieser besteht aus Vertretern der<br />
Gläubiger, welche zwischen Eröffnungsantrag und Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />
auf den Gang des Eröffnungsverfahrens Einfluss ausüben können.<br />
Nach dem ESUG muss das Insolvenzgericht einen vorläufigen<br />
Gläubigerausschuss einrichten, wenn der Geschäftsumfang des Schuldners bestimmte<br />
Schwellenwerte überschreitet.<br />
Das Insolvenzgericht hat grundsätzlich den vorläufigen Gläubigerausschuss zu<br />
hören, bevor es einen Insolvenzverwalter bestellt. Die Bestellung eines vom vorläufigen<br />
Gläubigerausschuss vorgeschlagenen Insolvenzverwalters darf das Insolvenzgericht nur<br />
ablehnen, wenn dieser für das Amt ungeeignet ist. Dabei gilt eine Person nicht allein<br />
deswegen als ungeeignet, weil sie vom Schuldner oder von einem Gläubiger als<br />
Verwalter vorgeschlagen wird, oder den Schuldner zum Ablauf eines<br />
Insolvenzverfahrens allgemein beraten hat. Problematisch bleibt aber die Erstellung<br />
eines Insolvenzplans durch die vorgeschlagene Person.<br />
Wegen der erweiterten Befugnisse des vorläufigen Gläubigerausschusses (siehe<br />
auch „Stärkung der Eigenverwaltung“ unten) sollten Gläubiger frühzeitig Vorkehrungen<br />
treffen, ihre Rechte kurzfristig ausüben zu können. Dies gilt insbesondere dann, wenn<br />
die Stellung eines Eröffnungsantrages jederzeit droht. Mögliche Maßnahmen umfassen<br />
3
die Einigung innerhalb von Gläubigergruppen (zum Beispiel Darlehensgebern von<br />
Konsortialdarlehen), wer eventuell in den vorläufigen Gläubigerausschuss entsandt<br />
werden soll, und die Kontaktaufnahme zu anderen Gläubigergruppen.<br />
Stärkung der Eigenverwaltung<br />
Schon nach geltendem deutschen Insolvenzrecht hat der Schuldner die<br />
Möglichkeit, ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung zu beantragen. Ordnet das<br />
Gericht Eigenverwaltung an, so bleibt die Geschäftsleitung des Schuldners im Amt und<br />
wird in ihrer Tätigkeit von einem Sachwalter lediglich überwacht. Das Instrument der<br />
Eigenverwaltung ist in einigen Verfahren erfolgreich zur Sanierung von Unternehmen<br />
genutzt worden, ist aber eine seltene Ausnahme geblieben. Auch ist es für einzelne<br />
Gläubiger relativ einfach, eine einmal angeordnete Eigenverwaltung zu Fall zu bringen.<br />
Das ESUG beseitigt einige der wesentlichen Hindernisse einer vermehrten<br />
Nutzung der Eigenverwaltung. Beantragt der Schuldner, das Insolvenzverfahren in<br />
Eigenverwaltung durchzuführen, so hat das Insolvenzgericht grundsätzlich den<br />
vorläufigen Gläubigerausschuss zu hören, bevor es über den Antrag entscheidet. Es darf<br />
den Antrag nur ablehnen, wenn ihm Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass<br />
die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen würde. Unterstützt der vorläufige<br />
Gläubigerausschuss den Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung durch einstimmigen<br />
Beschluss, gilt deren Anordnung als nicht nachteilig.<br />
Ist der Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung nicht offensichtlich<br />
aussichtslos, so darf das Gericht im Eröffnungsverfahren kein allgemeines<br />
Verfügungsverbot verhängen und Verfügungen des Schuldners auch nicht von der<br />
Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters abhängig machen.<br />
Hat der Schuldner den Eröffnungsantrag aufgrund drohender Zahlungsunfähigkeit<br />
oder Überschuldung gestellt und nicht einer bereits eingetretenen<br />
Zahlungsunfähigkeit, hat das Insolvenzgericht den Schuldner vorab zu informieren,<br />
wenn es beabsichtigt, den Antrag auf Eigenverwaltung abzulehnen. Dies ermöglicht es<br />
dem Schuldner, seinen Eröffnungsantrag zurückzunehmen und statt dessen<br />
außergerichtliche Sanierungsbemühungen einzuleiten bzw. fortzusetzen.<br />
In Fällen, in denen der Schuldner den Eröffnungsantrag aufgrund seiner<br />
drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung (und nicht einer bereits<br />
eingetretenen Zahlungsunfähigkeit) zu Zwecken der Sanierung gestellt und die<br />
Eigenverwaltung beantragt hat, hat das Insolvenzgericht dem Schuldner für einen<br />
Zeitraum von bis zu drei Monaten einen „Schutzschirm“ zu gewähren, sofern die<br />
Sanierung nicht aussichtslos ist. Unter diesem „Schutzschirm“ soll der Schuldner einen<br />
Insolvenzplan vorbereiten können, ohne Zwangsvollstreckungen ausgesetzt zu sein.<br />
Zudem hat das Gericht auf Antrag anzuordnen, dass von dem Schuldner unter dem<br />
„Schutzschirm“ im Eröffnungsverfahren begründete Verbindlichkeiten Masseverbindlichkeiten<br />
in einem späteren Insolvenzverfahren sind, d.h. gegenüber einfachen<br />
Insolvenzforderungen bevorzugt werden.<br />
4
Erleichterungen bei Insolvenzplänen<br />
Nach geltendem Recht sind einzelne Gläubiger häufig in der Lage, die<br />
Umsetzung von Insolvenzplänen durch Einlegung von Rechtsmitteln zu verhindern oder<br />
zu verzögern. Solche Verzögerungen können an sich erfolgversprechende Sanierungen<br />
gefährden. Nach dem ESUG wird es für einzelne Gläubiger schwieriger, sich<br />
erfolgversprechenden Sanierungen zu widersetzen. Zu diesem Zweck sieht der<br />
Gesetzentwurf prozessuale Erschwernisse vor und verlangt zudem, dass der<br />
Insolvenzplan den ablehnenden Gläubiger wesentlich schlechter stellen würde.<br />
Ferner kann ein Insolvenzplan Ausgleichszahlungen für den Fall vorsehen, dass<br />
er einen Gläubiger tatsächlich schlechter stellt als er ohne einen Insolvenzplan stünde. In<br />
solchen Fällen darf das Gericht die Bestätigung des Plans nicht mehr versagen, nur weil<br />
ein Gläubiger geltend macht, er würde durch den Plan (wesentlich) schlechter gestellt.<br />
Der Streit um den finanziellen Ausgleich wird außerhalb des Insolvenzverfahrens geführt<br />
und behindert nicht mehr die Planbestätigung bzw. Sanierung behindern.<br />
Zentrale Gegenparteien<br />
Die im 2010er Änderungsentwurf noch vorgesehenen Änderungen zur Stärkung<br />
der Rechte von zentralen Gegenparteien (Central Counterparties) in der Insolvenz von<br />
Clearing-Mitgliedern wurden aus dem ESUG herausgenommen und sollen zu einem<br />
späteren Zeitpunkt beraten werden.<br />
*<br />
* *<br />
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