Foto: © Jürgen Acker - Fotolia.com PhilosoPhie / eThiK Warum es im <strong>Coaching</strong> nicht nur um erfolg, sondern auch um moral und ein glückliches leben geht Von Prof. Dr. Ferdinand Buer Warum reicht es im <strong>Coaching</strong> nicht, die Klienten fit zu machen, so dass sie ihre Auf- gaben leistungsgerecht managen können? Warum sollten sie auch je nach Position und Branche ihre konkrete Verantwortung angemessen reflektieren? 50 2/2009
Fach- und Führungskräfte nehmen <strong>Coaching</strong> in Anspruch, weil sie vor Anforderungen stehen, denen sie sich nicht mehr oder noch nicht gewachsen fühlen. Diese Anforderungen • erschließen sie aus den Erfordernissen ihrer alltäglichen Arbeit, • entnehmen sie aus den direkten Aufträgen der Menschen, mit denen sie es zu tun haben, • ergeben sich aber auch aus den Ansprüchen, die sie selbst an gute Arbeit haben. Was sie an Anforderungen wahrnehmen, wie sie diese bewerten, welche sie zurückweisen, welche sie ignorieren, welche sie akzeptieren, und welche Konsequenzen sie für ihre zukünftigen Handlungen daraus ziehen: All das ist das Ergebnis gelegentlich wohl überlegter, meist jedoch unbewusster Interpretationsleistungen, in denen es nicht nur um eine fachliche Sicht der Dinge geht, sondern auch darum, was moralisch angemessen ist. Auch wenn fachlich sauber gearbeitet wurde, auch wenn die Operation Erfolg hatte, folgende Fragen sind damit noch nicht beantwortet: Sind die Ergebnisse sowie die Wege dort hin auch verantwortbar? Wurde oder wird mit diesen Entscheidungen und Tätigkeiten eventuell jemandem geschadet? Aber geht es in diesem moralischen Reflexionsprozess nur um Schadensvermeidung oder -begrenzung? Geht es nicht in der Wirtschaft insgesamt darum, der Bevölkerung ausreichend Güter und Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen, die die Lebensqualität eines jeden auf angemessenem Niveau gewährleisten können? Geht es nicht im Letzten um ein gutes, ein gelingendes, ein geglücktes Leben für alle? Selbstverständlich ist dafür nicht allein die Wirtschaft zuständig. Aber sie trägt eine Teilverantwortung. Denn ohne wirtschaftliche Prosperität hat das Glück für möglichst viele wohl kaum eine reelle Chance. So sind gerade Fach- und Führungskräfte gefordert, ihren Teil dazu beizutragen, weil ihre Tätigkeiten die Biografien vieler Menschen oft entscheidend beeinflus- sen. Daher geht es im <strong>Coaching</strong> nicht nur darum, die Klienten fit zu machen, so dass sie ihre Aufgaben leistungsgerecht managen können. Es geht auch darum, ihnen dabei zu helfen, ihre konkrete Verantwortung je nach Position und Branche zu sehen und auch angemessen wahrzunehmen. Warum sollten sie das aber tun? Meine Antwort: Weil sie nur dann selbst glücklich sein können. So ist das Streben nach Glück für sich und für die anderen, für die man eine Mitverantwortung trägt, der entscheidende Motivator für die Bereitschaft, auch in der Arbeit moralisch zu handeln. Coachs, die das begriffen haben, können sich in ihrer Beratungsarbeit mit einer starken Kraft verbünden, die nicht nur ihren Klienten neue Potenziale erschließt, sondern auch sie selbst beflügelt. Und sie können mit ihrer Arbeit einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, die Moralität von Fach- und Führungskräften ganz konkret zu fördern. Ein Beitrag, der gerade in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Lage auf große Resonanz stoßen dürfte. Was also müssen Coachs wissen und können, um ihre Klienten auf diese Weise zu begleiten? Neben der üblichen Beratungskompetenz und einer ausreichenden Feldkenntnis müssen sie sich ausführlich mit Ethik und „Glücksforschung“ befasst haben. Und sie müssen die Erfahrung gemacht haben, dass sich die Berücksichtigung dieses Wissens auch in ihrem eigenen Leben bewährt hat. Es geht also zunächst um ein zusätzliches Studium, das autodidaktisch, aber auch in Studiengruppen mit oder ohne Unterstützung von Fachleuten erfolgen kann. Denn dieses Wissen geht weit über das hinaus, was üblicherweise im Hochschulstudium (es sei denn, man hat sich mit Philosophie, Moraltheologie oder Wirtschaftsethik befasst) oder in einer Beratungsausbildung vermittelt wird. Und ob die selbst gestrickte Lebensphilosophie ausreicht, kann nur beurteilt werden, wenn sie sich an anderen, elaborierten Entwürfen abgearbeitet hat. Mit welchen Themen sollte ein Coach sich also befasst haben? Ich schlage vor: mit Glück, mit Verantwortung und mit Lebenskunst. Das Glück Wenn wir Klienten aus dem westlichen Kulturkreis beraten, sollten wir vor allem westliche Traditionen kennen. Seit den alten Griechen wird zwischen Zufallsglück (altgr.: euychía; engl.: luck) und Glückseligkeit (altgr.: eudaimonía; engl.: happiness) unterschieden. Im <strong>Coaching</strong> kann es nicht darum gehen, auf den Zufall zu setzen. Auch kann Glückseligkeit nicht direkt produziert werden. Aber es können individuelle und gesellschaftliche Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Darauf müssen wir uns konzentrieren. Die Glückseligkeit umfasst auch das, was wir Lust, Vergnügen, Freude nennen (altgr.: hedoné; engl.: pleasure). Glück umfasst also nicht nur geistige Genüsse, sondern auch das leibliche Wohl. Schon Aristoteles (384–322 v.u.Z.) hat in seiner Nikomachischen Ethik überzeugend dargelegt, dass das höchste Gut, das alle Menschen letztlich anstreben, das Glück (eudaimonía) ist. Und Voraussetzung für diese Glückserfahrung ist ein tugendhaftes Leben. Der Tugendbegriff hat aber im üblichen Sprachgebrauch einen schlechten Klang. Er meint jedoch ursprünglich Tauglichkeit oder Tüchtigkeit (die Wortverwandtschaft ist augenscheinlich). Wenn wir darunter das Vermögen verstehen, ein Leben zum Gelingen zu bringen, dann scheint mir dieser Begriff auch heute noch brauchbar zu sein. Neben Aristoteles hat für mich Epikur (um 341–270 v.u.Z.) eine große Bedeutung. Für ihn ist die Basis des Glücks, Leiden vermeiden und Lust steigern zu können. Lust soll aber so gelebt werden, dass sie Freude bereitet, nicht nur für mich, sondern auch für die, mit denen ich in Freundschaft verbunden bin. Sie muss also kultiviert werden. Es sollte ferner eine Minimalübereinkunft geben, sich nicht gegenseitig zu schädigen. Epikur ist also keineswegs ein Hedonist im üblichen, abwertenden Sprachgebrauch, dem es ganz egoistisch nur um die Steigerung der eigenen Lust geht. Leider ist dieses Missverständnis seit der Spätantike gerade vom Christentum verbreitet worden. 2/2009 51