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Kapitel 5 Spurdetektoren mit elektronischer Auslese - Hera-B - Desy

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<strong>Kapitel</strong> 5<br />

<strong>Spurdetektoren</strong> <strong>mit</strong> <strong>elektronischer</strong><br />

<strong>Auslese</strong><br />

Ionisaitionsdetektoren sind die ältesten elektrischen Geräte, die zum Nachweis von<br />

Strahlung gebaut wurden. Ihr Funktionsprinzip basiert auf der direkten Aufsammlung<br />

der Elektronen und Ionen des Ionisationsprozesses in einem Gas, der durch die<br />

durchdringende Strahlung verursacht wird. Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts,<br />

als sich das Gebiet der Kernphysik rasch entfaltete, wurden im wesentlichen drei verschiedene<br />

Typen von Ionisationsdetektoren entwickelt: die Ionisationskammer, der<br />

Proportionalzähler und das Geiger-Müller-Zählrohr. In der modernen Teilchenphysik<br />

sind diese ursprünglichen Detektoren nicht mehr im Einsatz, doch beruhen die modernen<br />

Detektoren, wie die Vieldrahtproportionalkammer, die Driftkammer und die<br />

Zeitproportionalkammer auf demselben grundlegenden Prinzip. Diese Geräte wurden<br />

in den späten 1960er Jahren entwickelt, und können die Flugbahnen von Teilchen<br />

<strong>mit</strong> einer Genauigkeit von ca.100 µm messen. Sie sind heute die wichtigsten Detektoren<br />

zur Spurmessung in den modernen Experimenten der Hochenergiephysik.<br />

5.1 Planare Ionisationskammern<br />

Die Planare Ionisationskammer ist im wesentlichen ein Plattenkondensator der Kapazität<br />

A<br />

C = ɛ0<br />

(5.1)<br />

d<br />

<strong>mit</strong> Abstand d der Platten und den Fläche A , der in einem Gehäuse eingeschlossen<br />

ist. Die Feldstärke beträgt dann<br />

E = U<br />

d<br />

= const. (5.2)<br />

Innerhalb des Kondensators ionisieren Teilchen ein Gasvolumen (Abb. 5.1). Die<br />

dabei produzierten Elektronen und Ionen werden durch das angelegte Feld separiert<br />

und als Strom zwischen den Elektroden gemessen. Dabei wird die Spannung U<br />

so gewählt, dass keine Gasverstärkung eintritt. Eine Ionisationskammer ist nicht<br />

sensitiv auf einzelne Teilchen, ein gemessener Strom von ca. 1 nA entspricht bereits


5.2 Einfache Zählrohre 81<br />

10 10 Ionisationen pro Sekunde. Sie werden zur Dosimetrie bei hohen Teilchenflüssen<br />

eingesetzt.<br />

+<br />

U<br />

-<br />

I<br />

Abbildung 5.1: Prinzip der Ionisationskammer und Ausführung zur Dosimetrie in<br />

der Medizin.<br />

5.2 Einfache Zählrohre<br />

Das Prinzip aller Drahtkammern beruht letztlich auf dem der Ionisationskammer,<br />

<strong>mit</strong> dem Unterschied, dass die Anode ein dünner Draht ist. In einem zylindrischen<br />

Metallrohr, das <strong>mit</strong> einem geeigneten Gas gefüllt ist, wird auf der Zylinderachse ein<br />

Draht gespannt (Abb. 5.2) und zwischen Draht (Anode) und Zylinderwand (Kathode)<br />

eine hohe Spannung angelegt. Da das Feld <strong>mit</strong> 1/r ansteigt, kommt es nur in<br />

un<strong>mit</strong>telbarer Nähe der Anode zur Gasverstärkung, wo<strong>mit</strong> man ein hohes Signal<br />

unabhängig vom Teilchendurchgangsort erhält.<br />

In dem Feld (1/r) des Zylinderkondensators werden die Elektronen, die bei der<br />

Ionisation des Gases durch das primäre Teilchen entstehen, in der Nähe des Drahtes<br />

so stark beschleunigt, dass sie wiederum ionisierend wirken (Sekundärionisation).<br />

Es kommt zu einer Lawinenbildung und zu einer Verstärkung der Primärionisation<br />

um Faktoren 10 4 − 10 6 . In diesem Bereich sind die Signale etwa proportional der<br />

primären Ionisation (Proportionalitätsbereich), bei höheren Verstärkungen kommt<br />

man in Sättigung (Geiger-Bereich).<br />

Wegen der großen Beweglichkeit der Elektronen und Ionen ist ein Gas ein sehr<br />

geignetes Medium, um Ionisationsladungen von Strahlung aufzusammeln. Die oben<br />

erwähnten ursprünglichen Detektoren wie die Ionisationskammer, der Proportionalzähler<br />

und das Geiger-Müller-Zählrohr sind von der Funktionsweise her ein und<br />

dasselbe Gerät, unterscheiden sich aber in ihren Betriebsparametern, um auf verschiedene<br />

Phänomene sensitiv zu sein. Der elementare Aufbau (Abb. 5.2) besteht aus<br />

einem zylindrischen Behälter <strong>mit</strong> leitenden Wänden und einen dünnen Eintrittsfenster.<br />

Der Zylinder ist <strong>mit</strong> einem geeigneten Gas gefüllt, typischerweise werden Edelgase<br />

wie Argon verwendet. Entlang der Zylinderachse ist ein dünner Draht gespannt,<br />

an dem eine positive Spannung gegenüber der Zylinderwand von +V0 anliegt. Dabei


82 <strong>Spurdetektoren</strong> <strong>mit</strong> <strong>elektronischer</strong> <strong>Auslese</strong><br />

entsteht ein radiales elektrisches Feld E der Art<br />

E = 1<br />

r<br />

V0<br />

ln( R<br />

ρ )<br />

(5.3)<br />

<strong>mit</strong> r als dem radialem Abstand von der Achse, R als den inneren Radius des Zylinders<br />

und und ρ als dem Radius des Drahtes. Wenn der Zylinder nun von Strahlung<br />

durchdrungen wird, wir eine bestimmte Anzahl an Elektron-Ionenpaaren erzeugt,<br />

deren <strong>mit</strong>tlere Zahl proportional zur im Zähler deponierten Energie ist. Unter der<br />

Einwirkung des elektrischen Feldes werden die Elektronen zur Anode (Draht) hin<br />

beschleunigt, die Ionen zur Kathode, wo diese aufgesammelt werden.<br />

Signal<br />

Anode<br />

E~1/r<br />

+<br />

U<br />

-<br />

Kathode<br />

Abbildung 5.2: Geiger-Müller-Proportionalzählrohr.<br />

5.2.1 Signalproduktion<br />

Das bei einem Teilchendurchgang erzeugte Signal hängt von der Intensität des angelegten<br />

Feldes ab (Abb. 5.3). Wenn die Spannung 0 ist, wird trivialerweise keine<br />

Ladung erzeugt. Bei ansteigender Spannung werden die Rekombinationskräfte der<br />

Primärionisation überwunden und ein Strom beginnt zu fließen. Ab einem gewissen<br />

Punkt werden alle gebildeten Elektron-Ionenpaare aufgesammelt und eine weitere<br />

Erhöung der Spannung zeigt keinen weiteren Einfluss. Dies entspricht dem Bereich<br />

(II) in Abb. 5.3. Der Signalstrom ist in diesem Bereich meist noch sehr klein. Wenn<br />

die Spannung weiter erhöht wird, sieht man im Bereich (III) einen Anstieg der<br />

Zahl der Ionen. Von diesem Punkt an ist das elektrische Feld stark genung, um<br />

die frei gewordenen Elektronen auf eine Energie zu beschleunigen, in der sie selbst<br />

ionisierend wirken und so<strong>mit</strong> eine Ladungslawine entstehen kann. Die Zahl der Paare<br />

von Elektronen und Ionen in der Lawine ist proportional zur Anfangszahl der<br />

Primärelektronen, wo<strong>mit</strong> eine proportionale Verstärkung des Signalstromes erreicht<br />

wird, deren Verstärkungsfaktor von der angelegten Spannung abhängig ist. Dies ist<br />

der Proportionalbereich, in dem auch die weiter unten diskutierten Proportionalkammern<br />

betrieben werden.<br />

Wenn nun die Spannung weiter erhöht wird, wird die durch Multiplikation erzeugte<br />

Ionisation so groß, dass die entstehende Raumladung das elektrische Feld


5.2 Einfache Zählrohre 83<br />

..<br />

Proportionalitat<br />

Abbildung 5.3: Anzahl der aufgesammelten Ionen als Funktion der angelegten Spannung<br />

in einem Zählrohr.<br />

an den Anoden stört, weshalb die Proportionalität langsam verloren geht. Verstärkt<br />

man die Spannung noch weiter, wird die Energie so hoch, dass Gasentladungen stattfinden.<br />

Anstelle einer einzelnen, lokalisierten Lawine an einer bestimmten Stelle des<br />

Drahtes, bildet sich eine Kettenreaktion vieler Lawinen verteilt über den ganzen<br />

Draht aus. Der Signalstrom erreicht dann wieder eine Saturation. Detektoren, die in<br />

diesem Bereich arbeiten, werden als Geiger-Müller-Zählrohre bezeichnet. Man kann<br />

die einzelnen Arbeitsbereiche und die entsprechenden Detektoren wie folgt zusammenfassen:<br />

• Ionisationskammer: erzeugte Ladungen weden eingesammelt<br />

• Proportionalzählrohr: Signal proportional zur primär erzeugten Ladung<br />

• Bereich li<strong>mit</strong>ierte Proportionalität: Signal nahezu proportional zur erzeugten<br />

Ladung<br />

• Geiger-Müller Zählrohr: Signal groß, Lawinen bilden sich über den gesamten<br />

Draht aus<br />

Der wichtigste Durchbruch der Zählrohre war, dass die auf dem Draht entstehenden<br />

Signale elektronisch ausgelesen und weiterverarbeitet werden konnte, man also auf<br />

keine visuellen Methoden mehr angewiesen war.


84 <strong>Spurdetektoren</strong> <strong>mit</strong> <strong>elektronischer</strong> <strong>Auslese</strong><br />

5.3 Vieldrahtproportionalkammern (MWPC)<br />

Eine der fundamentalsten Anforderungen an einen modernen Detektor der Teilchenphysik<br />

ist die Messung der Flugbahnen (oder Spur) von Teilchen. Wir haben einige<br />

Beispiele in Kap. 4.2 kennen gelernt. Mit den wachsenden Anforderungen an die<br />

neueren Experimente Ende der 50er und zu Begin der 60er Jahre wurde der Ruf<br />

an ein elektronisches Gerät lauter, das die Information elektronisch und schneller<br />

verarbeiten konnte. Anfangs testete man Anordnungen von vielen Zählerrohren, dies<br />

erwies sich aber aus mechanischen Gründen als nicht praktikabel. Der Durchbruch<br />

gelang G. Chapark 1968 <strong>mit</strong> der Vieldrahtproportionalkammer (Multi Wire Proportional<br />

chamber MWPC), wofür er 1992 den Nobelpreis erhielt. Chapark zeigte,<br />

dass eine räumlich enge Anordung von vielen Anodendrähten in derselben Kammer<br />

sich wie unabhängige Proportionalzähler verhielten. Mit der sich damals schnell entwickelnden<br />

Halbleiterelektronik (Transistoren) konnte jeder Draht über einen eigenen<br />

Signalverstärker direkt an der Kammer ausgelesen werden, was einen Detektor<br />

zur Ortsmessung erst ermöglichte. Die MWPC wurde schnell von der Hochenergiephysik<br />

angenommen und beinflusste erheblich die weitere Entwicklung einer neuen<br />

Generation von Experimenten an Teilchenbeschleunigern, ohne diese Technik wären<br />

heutige Experimente nicht denkbar.<br />

In Abb. 5.4 ist das typische Aufbauschema einer MWPC dargestellt. Etwa 20 µm<br />

dicke Anodendrähte sind im Abstand von ca. 2 mm zwischen zwei Kathodenflächen<br />

gespannt. Das Rastermaß der Drähte bestimmt die räumliche Auflösung:<br />

σ ≈ 2 mm/ √ 12 � 1 mm.<br />

~ 1 cm<br />

~ 2 mm<br />

Kathode<br />

Anoden<br />

(Ο / ∼ 20 μ)<br />

Abbildung 5.4: Prinzip der Vieldrahtproportionalkammer (MWPC, Multi Wire Porportional<br />

Chamber).<br />

Der Erfolg der MWPC basierte auf den folgenden, einfachen Ideen:<br />

• In der Nähe der Anodendrähte ist das Feld zylindersymmetrisch (Abb. 5.5),<br />

dort findet die Gasverstärkung statt.<br />

• In der Nähe der Kathode ist das Feld nahezu konstant, dort driften die primär<br />

erzeugten Elektronen <strong>mit</strong> nahezu konstanter Geschwindigkeit.


5.3 Vieldrahtproportionalkammern (MWPC) 85<br />

Abbildung 5.5: Verlauf der Feldlinien einer MWPC: Potentiallinien und Driftweg<br />

sowie Feldverlauf als Funktion des Abstandes von der Anode<br />

• Lange wurde vermutet, dass durch kapazitive Kopplung des Anodensignales<br />

auf den Nachbardrähten ein positives Signal erzeugt wird und das Signal dadurch<br />

extrem verbreitert werden würde. Chapark gelang es zu zeigen, dass<br />

dies nicht der Fall ist, sondern dass sich das positive Kopplungssignal und das<br />

echte negative Signal auf dem Nachbardraht näherungsweise kompensieren.<br />

Abgesehen von der Region sehr nahe am Anodendraht ist das Feld im Detektor im<br />

wesentlichen parallel und konstant (Abb. 5.5). Unter der Annahme einer unendlichen<br />

Anodenebene ohne Durchmesser erhält man für das Potential V (x, y):<br />

V (x, y) = − CV<br />

ln<br />

4πɛ0<br />

�<br />

4 �<br />

2 πx<br />

sin<br />

d<br />

πy �<br />

+ sinh2<br />

d<br />

�<br />

(5.4)<br />

wobei d der Abstand der Drähte und C die Kapazität zwischen Anode und Kathode<br />

sei. Mit dem Abstand von Kathode zu Anode L und dem Drahtdurchmesser a erhält<br />

man unter der Annahme L ≫ d ≫ a dafür:<br />

C =<br />

πL<br />

d<br />

2πɛ0<br />

− ln πa<br />

d<br />

(5.5)<br />

Da in der Realität Kammern nie unter idealen Annahmen gebaut werden können,<br />

sind Gln. 5.4 und 5.4 nur gute Näherungen für die meisten Fällen. Für den Bau von<br />

Kammern ist weiterhin wichtig, dass geladene Drähte Kräfte aufeinander ausüben.<br />

Die durch den Bau vorgegebene mechanische Spannung lässt nicht beliebig lange<br />

Drähte zu, weshalb mechanische Unterstützungen notwendig sind, die tote Zonen<br />

zur Konsequenz haben. Kleinste Lageänderungen eines Anodendrahtes kann bereits<br />

in dessen Nähe starke Feldverzerrungen verursachen.<br />

Bei der Wahl der Betriebsspannung V einer MWPC muss man darauf achten,<br />

dass die Verstärkung so groß ist, dass alle Pulse oberhalb der Schwelle des nachgeschalteten<br />

Verstärkers liegen, aber noch keine Geiger-Entladung eintritt. Ferner<br />

müssen die mechanischen Toleranzen eingehalten werden. Typische Eigenschaften<br />

eines solchen Kammersystemes sind:<br />

Auflösung: 10 ns, Pulsbreite: 16 ns, Ortsauflösung: 1 mm


86 <strong>Spurdetektoren</strong> <strong>mit</strong> <strong>elektronischer</strong> <strong>Auslese</strong><br />

5.4 Driftkammern<br />

Bessere Auflösungen von bis zu 100 µm erreicht man <strong>mit</strong> Driftkammern, einer weiterentwickelten<br />

Variante der MWPC’s. In diesem Kammertyp ist der Druck des<br />

Kammergases und die Konfiguration des anwesenden elektrischen Feldes derart ausgelegt,<br />

dass die entstehenden Elektronen <strong>mit</strong> konstanter Geschwindigkeit driften<br />

und erst in un<strong>mit</strong>telbarer Nähe des Drahtes in den Proportionalbereich übergehen<br />

und ein messbares Signal produzieren. Dabei hängt die Driftgeschwindigkeit nicht<br />

von der Richtung der driftenden Elektronen ab, es ist also ein konstantes � E-Feld<br />

erforderlich, das hingegen im Falle der MWPC nicht gegeben ist. Mit zusätzlichen<br />

Potentialdrähten, die auf negativer Spannung sind, lässt sich ein bis auf einen kleinen<br />

Bereich um die Anode nahezu homogenes Feld aufbauen. Beinahe perfekt wird<br />

das Feld in Driftzellen (Abb. 5.6) <strong>mit</strong> vielen zusätzlichen feldformenden Drähten.<br />

Die Auswirkungen verbleibender Inhomogenitäten können durch die Wahl einer geeigneten<br />

Gasmischung, bei der die Driftgeschwindigkeit nur wenig <strong>mit</strong> | � E| variiert.<br />

Abbildung 5.6: Prinzip der Driftkammer.<br />

Aus der Messung der Driftzeit der Elektronen kann nun die räumliche Information<br />

gewonnen werden. Wenn ein äußeres Signal t0 den Zeitpunkt des Eintritts eines<br />

Teilchens in die Driftkammer markiert, und die Driftgeschwindigkeit vD bekannt<br />

ist, dann ist der Abstand vom Signaldraht zum Ursprung des Elektrons wie folgt<br />

gegeben:<br />

x =<br />

� t1<br />

t0<br />

vD dt (5.6)<br />

wobei t1 der Zeitpunkt der Ankunft des Signales an der Anode sei. Typische Driftstrecken<br />

in den heute gebräuchlichen Driftkammern liegen bei 5 − 10 cm, was bei<br />

einer durchschnittlichen Driftgeschwindigkeit von ≈ 5 cm/µs zu Driftzeiten von ca.<br />

1 − 2 µs führt.<br />

Die technische Ausführung an Experimenten ist in Abb. 5.6 gezeigt. Der Driftraum<br />

befindet sich zwischen den Potentialen −HV1 und −HV2. In Experimenten an<br />

Speicherringen werden häufig zylindrische Driftkammern eingesetzt, die die Wechselwirkungszone<br />

umgeben (Abb. 5.7).


5.4 Driftkammern 87<br />

Abbildung 5.7: Struktur eines Sektors der Driftkammer des Experimentes JADE<br />

(DESY), die Sektoren werden zur zylindrischen Kammer zusammengesetzt, <strong>mit</strong> der<br />

man dann die Spuren der e + e − Reaktionen nachweisen konnte (rechts).<br />

Moderne Driftkammern haben Größen von mehreren Metern. Dabei gelten dieselben<br />

mechanischen Anforderungen, wie sie bereits im Falle der MWPC besprochen<br />

wurden. Die Ortsauflösung ∆x in großen Kammern wird durch die folgenden Parameter<br />

bestimmt:<br />

• Geometrie (Alignment): Genauigkeit, <strong>mit</strong> der die Drahtposition bekannt<br />

ist, typische Werte: 30 − 100 µm.<br />

• Kalibrationsunsicherheit: Die Driftgeschwindigkeit ist abhängig von Temperatur,<br />

Druck und Feldstärke sowie von der genauen Kenntnis der Driftzeit-<br />

Orts-Beziehung.<br />

(Bsp: Druckunsicherheit von 5% bei einer Driftlänge von 3 cm führt zu einer<br />

Ortsunsicherheit von 150 µm)<br />

• Zeitauflösung: Die Elektronik hat nur eine beschränkte Zeitauflösung: 1 ns<br />

bedeutet bei vD = 5 cm/µs eine Unsicherheit von 50 µm.<br />

• Diffusion: Der Beitrag der Diffusion der Ladungswolke wächst <strong>mit</strong> √ x<br />

(Kap. 3.2.1), der effektive Einfluss hängt allerdings stark von der elektronischen<br />

<strong>Auslese</strong> ab (Messung der Anstiegsflanke oder der gesamten Pulsform).<br />

• Fluktuation der Primärionenstatistik: Ionisation entsteht nicht genau<br />

auf der Verbindungslinie Anode-Spur, was sich besonders bei kleinen Driftabständen<br />

auswirkt.


88 <strong>Spurdetektoren</strong> <strong>mit</strong> <strong>elektronischer</strong> <strong>Auslese</strong><br />

Typischerweise werden Ortsauflösungen in guten Driftkammern von bis zu 100 µm<br />

erreicht. Die größten Beiträge sind in Abb. 5.8 dargestellt.<br />

Abbildung 5.8: Ortsauflösung einer Drifkammer.<br />

Der heute verbreitetste Kammertyp ist der der zylindrischen Driftkammer, bei<br />

der die Anodendrähte parallel zur Symmetrieachse gespannt sind. Entsprechend der<br />

Konfigurationen der elementaren Driftzellen, die von den feldformenden Kathodendrähten<br />

begrenzt wird, unterscheidet man zwischen zwei Kammertypen. In Driftkammern<br />

<strong>mit</strong> kleinen Driftzellen (Abb. 5.9) ist typischerweise ein Anodendrakt symmetrisch<br />

von feldformenden Drähten umgeben. Dabei entsteht ein zylindersymmetrisches<br />

Feld, das keiner θ-Korrektur bedarf und sich durch eine einfache Elektronik<br />

auszeichnet (“single hit”), was zu einer einfachen Orts-Driftzeitrelation führt. Hingegen<br />

hat man nur eine mäßige 2 Spur-Auflösung und wegen der vielen Drähte ist<br />

die Vielfachstreuung nicht unerheblich. Die Spurrekonstruktion ist hingegen schnell<br />

und effizient.<br />

Der andere Kammertyp hat große Driftzellen und wird als Jetkammer bezeichnet,<br />

da sie sich besonders für den Nachweis von Teilchenjets, die aus vielen Spuren bestehen,<br />

eignen. Sie bestehen aus Segmenten, die planaren Kammern ähneln (Abb. 5.10).<br />

In der Mitte befinden sich Anodendrähte und außen die feldformenden Kathodendrähte.<br />

Mit dieser Kammer kann man viele Punkte pro Teilchenspur messen, kommt<br />

<strong>mit</strong> kleinen Drahtzahlen aus, das � E-Feld ist homogen und man erreicht eine gute<br />

Doppelspurauflösung. Dagegen muss man große Driftzeiten in Kauf nehmen, wegen<br />

der Doppel-Hitauflösung komplizierte Elektronik und einen großen toten Raum. Die<br />

Eichung in Anwesenheit eines Magnetfeldes wird kompliziert (Lorentz-Winkel) und<br />

man erhält Links-Rechts Ambiguitäten.<br />

Eine Jetkammer liefert nur die Information in welchem Abstand vom Draht<br />

ein Teilchen vorbeigeflogen ist, sie kann allerdings nicht unterscheiden, ob sich die<br />

Spur des Primärteilchen links oder rechts des Drahtes befindet. Die Daten, die eine<br />

Driftkammer als Rohinformation liefert, bestehen so<strong>mit</strong> nur aus der Information,<br />

welcher Draht welche Driftzeit gemessen hat und wie groß die aufgesammelte Ladung<br />

war. Da die Driftrichtung immer bekannt ist, kann die Software, welche die Rohdaten<br />

rekonstruiert, durch die einzelnen Raumpunkte in Form einer Anpassungsrechnung


5.4 Driftkammern 89<br />

Abbildung 5.9: Elektrodenanordnung der ARGUS-Driftkammer: Eingezeichnet sind<br />

die Driftwege (-) und die Linien konstanter Driftzeit (- -).<br />

Abbildung 5.10: Schematischer Aufbau einer Jet-Kammer.


90 <strong>Spurdetektoren</strong> <strong>mit</strong> <strong>elektronischer</strong> <strong>Auslese</strong><br />

Abbildung 5.11: Montage der großen Jetkammer und Blick auf die Verkabelung der<br />

eingebauten Kammern.<br />

(Fit) eine Spur legen, die dann der usprünglichen Flugbahn des Primären Teilchens<br />

entspricht. Dieser Fit wird in der zur Flugbahn paralellen Projektionsebene gemacht.<br />

Für Jetkammern ist dies typischerweise die r/φ-Projektion, in der die Spur aufgrund<br />

des anwesenden Magnetfeldes eine Kreisbahn bildet. Da bestimmte Kombinationen<br />

von Raumpunkten keine Fortsetzung finden, können so die links-rechts Ambiguitäten<br />

einfach behoben werden.<br />

Die Messung der deponierten Ladung dient einerseits der Bestimmung von dE/dx<br />

und anderseits einer Abschätzung wo auf dem Draht die Ladung angekommen ist.<br />

Letzteres geschieht durch Ladungsteilung, also durch <strong>Auslese</strong>n des Drahtes an beiden<br />

Enden und dem anschliessenden Vergleich der Signallaufzeiten.<br />

5.4.1 Beispiel: Das Spurkammersystem von H1<br />

Als Beispiel eines System von Spurkammern soll kurz das Driftkammersystem des<br />

Experimentes H1 am HERA-Ring bei DESY beschrieben werden. In den Elektron-<br />

Proton Reaktionen entstehne sowohl hadronische Jets als auch isolierte Leptonen.<br />

Die Anwesenheit eines hadronischen Jets <strong>mit</strong> großer Multiplizität macht die Verwendung<br />

einer Jetkammer notwendig. Um die Auflösung in z erheblich zu verbessern,<br />

sind am Anfgang und zwichen den beiden Jetkammern zwei z-Driftkammern aufgebaut,<br />

bei denen die Drähte perpendikular um die Strahlachse gespannt sind. Da<strong>mit</strong><br />

kann in der Rekonstruktion die Spurauflösung unter Hinzunahme der z-Possition<br />

der z-Kammern erheblich verbessert werden.<br />

In Abb. 5.11 ist der Aufbau der großen Jetkammer im Reinraum am DESY und<br />

deren anschliessende Verkabelung im Experiment gezeigt.<br />

Eine schematische Übersicht ist in Abb. 5.12 gegeben, die Projektion senktrecht<br />

zur Strahlachse ist in Abb. 5.13. Dort sind auch die durch die Kathodendräthe<br />

gebildeten Driftzellen sehr gut zu erkennen.


5.4 Driftkammern 91<br />

Abbildung 5.12: Schematische Sicht des H1-Spurkammersystems in r/z (parallel zur<br />

Strahlachse).<br />

Abbildung 5.13: Schematische Sicht des H1-Spurkammersystems in r/φ (senkrecht<br />

zur Strahlachse).


92 <strong>Spurdetektoren</strong> <strong>mit</strong> <strong>elektronischer</strong> <strong>Auslese</strong><br />

5.5 Time Projection Chambers (TPC)<br />

In den 1970er Jahren wurde von Nygren eine neuer Kammertyp entwickelt, die TPC.<br />

Sie besteht im wesentlichen nur aus einem <strong>mit</strong> Gas gefülltem Volumen, in dem das<br />

�E-Feld parallel zum äußeren � B-Feld ist (Abb. 5.14). Nach einem Teilchendurchgang<br />

driften die durch Ionisation entstandenen Elektronen im � E-Feld über Strecken bis zu<br />

mehreren Metern zu den Endstücken, wo sie dann <strong>mit</strong> MWPC’s registriert werden.<br />

Zusätzlich zu den Anodendrähten gibt es auch Kathodenstreifen (oder Kathodenpads,<br />

Abb. 5.16), so dass sich gemeinsam <strong>mit</strong> der Driftzeit eine dreidimensionale<br />

Rekostruktion der Bahn ergibt, wodurch man sehr gute Ortsauflösungen erreicht.<br />

Da allerdings die Elektronen über weite Strecken driften müssen, ergeben sich<br />

lange Driftzeiten von mehreren Mikrosekunden, weshalb groß Teilchenraten nicht<br />

verarbeitet werden können. Dies beschränkt den Einsatz von TPCs auf Experimente<br />

der e + e − -Streuung, wie beispielsweise am LEP am CERN. Dort hatten die<br />

Experimente OPAL und ALEPH TPC’s sehr erfolgreich im Einsatz. Auch in neuesten<br />

Entwicklungen der e + e − -Physik werden TPC’s eingesetzt: für das Spurkammersystem<br />

des zukünftigen großen e + e − -Linearbeschleunigers TESLA (bzw. ILC) <strong>mit</strong><br />

einer Schwerpunktsenergie von √ s ∈ [500, 1000] GeV ist eine TPC geplant.<br />

1 m<br />

Sektoren<br />

2 m<br />

e+ e− .. ..<br />

V = 55 kV<br />

E E<br />

B = 1.325 T<br />

P = 8.5 atm<br />

80 % Ar<br />

20 % CH 4<br />

y<br />

Abbildung 5.14: Schematischer Aufbau einer TPC.<br />

Die Driftzeit der Ionen ist, wie wir gesehen haben, sehr viel langsamer<br />

(Kap. 3.2.3), und deshalb kann die durch sie hervorgerufene Raumladung das Driftfeld<br />

erheblich verzerren. Dies wird durch eine zusätzliche Gittereben zwischen der<br />

Driftregion und dem Bereich der MWPC reduziert (Abb. 5.15). Wenn ein Trigger<br />

für die Kammer ausgelösst wird, wird das Gate geöffnet, so dass die Elektronen zur<br />

MWPC gelangen können. Um die positiven Ionen von der Gasverstärkung in der<br />

Nähe der MWPCs zu absorbieren wird es anschliessen geschlossen.<br />

z<br />

x


5.5 Time Projection Chambers (TPC) 93<br />

Drift<br />

Region<br />

Gate<br />

Gitter<br />

Abschirm−<br />

Gitter<br />

Nachweis−<br />

ebene<br />

A A A A<br />

Kathode<br />

offenes Gate geschlossenes<br />

Gate<br />

Abbildung 5.15: Verlauf des � E-Feldes in der Nähe des Abschirmgitters.<br />

Mit einer TPC erreicht man eine zuverläsige Spurerkennung und Koordinatenzuordung,<br />

eine sehr präzise Impulsmessung bei sehr hohen Impulsen (beispielsweise<br />

bei den LEP-Experimenten, Experiment ALEPH) und eine gute Teilchenidentifiziertung<br />

(Trennung von e/π und e/K) durch Messung von dE/dx. Die Signalauslese<br />

ist hingegen langsam, im Falle von ALEPH ist t ≤ 40 µs. Die Ortskoordinaten in r<br />

und φ werden durch die <strong>Auslese</strong> der Pads (Abb. 5.16) bestimmt, die z-Koordinate<br />

wird aus der Messung der Driftzeit abgeleitet. Dabei werden in r, φ typische Ortsaufösungen<br />

von σrφ = 175 µm erreicht und von ≈ 1 mm in z. Für die Genauigkeit<br />

der Impulsmessung erhielt man <strong>mit</strong> der TPC von Aleph ∆p<br />

p = 0.8 · 10−3 GeV −1 · p<br />

induziertes<br />

Signal<br />

T 1<br />

Abbildung 5.16: Schema des Nachweises der Signale einer Spur in einer TPC an<br />

deren Ende in einer MWPC durch Influenzladungen.<br />

B<br />

E


94 <strong>Spurdetektoren</strong> <strong>mit</strong> <strong>elektronischer</strong> <strong>Auslese</strong><br />

5.6 Micro-Strip Gas-Chambers (MSGC)<br />

Die Proportionalkammern haben den Nachteil, dass die Ortsauflössung durch den<br />

Anodenabstand begrenzt ist, der aber aus mechanischen Gründen nicht unter 1 −<br />

2 mm liegen darf. Ferner wandern die Ionen nur langsam ab (ca. 1 ms), was bei<br />

hohen Raten zur einer Absenkung der Verstärkung führt. Anderseits braucht man<br />

eine hinreichend dicke Gasschicht, um genügend Ionenpaare zu erzeugen und so die<br />

notwendige Nachweiswahrscheinlichkeit zu erreichen.<br />

Eine der neuesten Entwicklungen im Spurkammerbau, die Micro Strip Gas<br />

Chamber (MSGC) kann dieses Problem lösen. MSGSs sind gewißermasen miniaturisierte<br />

MWPC’s, der schematische Aufbau ist in Abb. 5.17 dargestellt. Das Gasvolumen<br />

ist sehr klein, ein Teilchen durchfliegt nur ca. 3 mm. Die Anodendrähte<br />

werden durch dünne schmale Streifen ersetzt, die auf einem Substrat 1 aufgebracht<br />

werden. Die Anodenstreifen wechseln sich <strong>mit</strong> breiteren feldformenden Kathodenstreifen<br />

ab. Außerhalb der Anodenstreifen ist das Feld sehr homogen, nur in dessen<br />

un<strong>mit</strong>telbarer Nähe kommt es zur Gasverstärkung. Die dabei entstehenden Ionen<br />

werden <strong>mit</strong> den Kathodenstreifen sehr schnell abgesaugt.<br />

Gegenüber einer konventionellen Drahtkammer hat man auf Grund der kleinen<br />

Strukturen den Vorteil einer hohen Ortsauflösung (∆x ≈ 50 µm). Ferner ist die<br />

Mechanik recht robust, man hat nicht <strong>mit</strong> gerissenen Drähten zu kämpfen. Da die<br />

Ionen nur wenige Mikrosekunden driften, hat man kleine Totzeiten. Wegen der hohen<br />

Granularität können MSGS noch bei Teilchenfüssen von 10 8 /cm 2 /s eingesetzt<br />

werden.<br />

Die ersten MSGCs sollten als hochauflösende Detektoren in Hochraten-<br />

Experimenten eingesetzt werden 2 . Dabei wurde allerdings beobachtet, dass bei hohen<br />

hadronischen Raten die Anodenstreifen mechanisch beschädigt werden. Dies<br />

wurde da<strong>mit</strong> erklärt, dass schwere, stark ionisierende Ionen das Anodenmaterial<br />

zerstören. Dies hatte zur Folge, dass die Effizienz dieser Kammern sich erheblich<br />

verschlechterte und die Kammern nicht mehr weiter betrieben werden konnten. Ein<br />

Lösungsansatz war, ein Zwischengitter (GEM, Abb. 5.18) in die MSGC einzubauen,<br />

das eine erste Verstärkungsstufe (M1 = 100) bewirkt. Die Anode dient dann als zweite<br />

Verstärkungsstufe (M2 = 100). Unter diesen Bedingunen sind die lokalen Ströme<br />

an der Anode kleiner, die Zerstörung blieb aus. Die Erfahrungen von HERA-B lieferten<br />

einen enorm wichtigen Beitrag zur Entwicklung des Spurkammersystemes von<br />

LHC-b (LHC), das <strong>mit</strong> ähndlichen Problemen wie HERA-B zu kämpfen haben wird.<br />

1 z.B. eine dünnen Glasplatte<br />

2 wie bei HERA-B am HERA Ring bei DESY Hamburg (Proton-Fixed-Targetexperiment bei<br />

√ s = 42 GeV


5.6 Micro-Strip Gas-Chambers (MSGC) 95<br />

Abbildung 5.17: Schematischer Aufbau einer MSGS.<br />

3.5mm<br />

3.5mm<br />

..<br />

Verstarkung<br />

GEM<br />

Cu<br />

Kapton<br />

U(1)<br />

U(2)<br />

..<br />

Verstarkung<br />

~ 50<br />

~ 80<br />

Abbildung 5.18: Elektronden-Kofiguration einer MSGC <strong>mit</strong> Zwischengitter.

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