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Düsseldorf ist ARTig – ein innovatives Bildungsprojekt - Musenkuss ...

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<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>–</strong> <strong>ein</strong> <strong>innovatives</strong> <strong>Bildungsprojekt</strong><br />

Ein Programm der Vodafone Stiftung Deutschland<br />

und der Landeshauptstadt <strong>Düsseldorf</strong>


<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>–</strong> <strong>ein</strong> <strong>innovatives</strong> <strong>Bildungsprojekt</strong><br />

Ein Programm der Vodafone Stiftung Deutschland<br />

und der Landeshauptstadt <strong>Düsseldorf</strong>


Inhalt<br />

5<br />

16<br />

18<br />

32<br />

34<br />

48<br />

50<br />

64<br />

80<br />

82<br />

104<br />

Grußwort<br />

Kulturelle Bildung: Bedingungen und Möglichkeiten<br />

von Johannes Bilst<strong>ein</strong><br />

Interview mit Klaus Sievers<br />

<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>–</strong> Ein <strong>innovatives</strong> <strong>Bildungsprojekt</strong> ( 1 )<br />

Das <strong>Bildungsprojekt</strong> <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong><br />

von Petra Winkelmann<br />

Interview mit Petra Wickenkamp<br />

<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>–</strong> Ein <strong>innovatives</strong> <strong>Bildungsprojekt</strong> ( 2 )<br />

Partizipation oder der Prozess <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong><br />

Künstler als Mentoren: „Zen oder die Kunst, <strong>ein</strong> <strong>ARTig</strong>er zu s<strong>ein</strong>“<br />

von Petra Winkelmann<br />

Interview mit Muna Zubi<br />

<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>–</strong> Ein <strong>innovatives</strong> <strong>Bildungsprojekt</strong> ( 3 )<br />

Förderung, Netzwerk, Kommunikation und Nachhaltigkeit<br />

von Petra Winkelmann<br />

<strong>ARTig</strong> wirkt!<br />

von Kai Krösche<br />

Interview mit Martina Stec<br />

Anhang<br />

2 3


GRuSSwoRT


Grußwort<br />

<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> feierte im Jahre 2010 s<strong>ein</strong>en sechsten Geburtstag, Zeit für Reflektionen<br />

und <strong>ein</strong>e Bestandsaufnahme. Eine Plattform für künstlerische Ideen junger Menschen zu<br />

schaffen war das Ziel des Projektes, als es im Jahre 2004 initiiert wurde. Entwickelt hat sich<br />

daraus <strong>ein</strong> <strong>innovatives</strong> Konzept zur kulturellen Bildung, das sowohl <strong>ein</strong>en Schwerpunkt in<br />

der Arbeit der Kulturverwaltung als auch im Portfolio der Vodafone Stiftung bildet.<br />

Bildung <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>es der wichtigsten gesellschaftspolitischen Themen unserer Zeit und die<br />

kulturelle Bildung gewinnt in der modernen Wissensgesellschaft neben der schul- und<br />

berufsbezogenen Bildung <strong>ein</strong>e immer größere Bedeutung. Der moderne, ganzheitliche<br />

Bildungsbegriff erachtet die kulturelle Bildung im Hinblick auf die Persönlichkeitsent-<br />

wicklung junger Menschen als unverzichtbar und misst ihr <strong>ein</strong>e zentrale Rolle bei.<br />

Kulturelle Bildung und künstlerische Aktivitäten sind eng mit<strong>ein</strong>ander verknüpft; an diese<br />

Erkenntnis knüpft <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> an. Kulturamt und Vodafone Stiftung haben den<br />

Grundst<strong>ein</strong> für <strong>ein</strong> <strong>innovatives</strong> Projekt außerhalb schulischer Verpflichtungen gelegt, <strong>ein</strong>en<br />

Raum für Phantasie, Selbsterfahrung und Kreativität haben die Jugendlichen daraus ge-<br />

schaffen.<br />

Das vorliegende Buch ermöglicht Einblicke in <strong>ein</strong> sich dynamisch entwickelndes Projekt<br />

und will dazu anregen, die Idee von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> allen näher zu bringen, denen die<br />

kulturelle Bildung junger Menschen <strong>ein</strong> Anliegen <strong>ist</strong>.<br />

Petra Wickenkamp<br />

Leiterin Programmbereich KuLtureLLe biLdung,<br />

StiPendien, SociaL entrePreneurShiP<br />

bei der Vodafone Stiftung deutSchLand<br />

4 5


… Ein GRoSSES STücK fREunDSchAfT? TaTiana Feldman, SaFeT miSTele, nicola BauTz, mirko miTrovic, arTig vii


6 7<br />

You GAvE IT All,<br />

INTo ThE cAll,<br />

You TooK A chANcE<br />

AND You TooK A FAll<br />

FoR uS


nARz.RiSS corneliuS HeimSTädT, arTig vii<br />

Fratzen versperren mir die Sicht.<br />

Die Stadt macht mir Angst.<br />

unsichtbare uniformen.<br />

Der Ge<strong>ist</strong> verformt und verfahren.


8 9


KLAnGKöRPER marc cHmiel, Holger HöningS, alin ivan, karolyn JoHn, anJa kunz, alBerT orecHov, arTig v


Gute Menschen kommen in den himmel, böse in die hölle! Doch was passiert<br />

wenn <strong>ein</strong> Mensch genau so viele gute wie schlechte Taten vollbracht hat<br />

und noch nicht mal der herr der Finsternis ruhigen Gewissens entscheiden<br />

kann, was mit dieser armen Seele passieren soll?<br />

10 11


SouLmuSic SouLmATES marie-zoe BucHHolz, neTali kidane, arTig vii


12 13<br />

WhEN ShE GoT olDER,<br />

SoMEBoDY TolD hER,<br />

NoThING IS coNSTANT<br />

IN lIFE BuT chANGE,<br />

So ShE TuRNED;<br />

ShE TuRNED<br />

INTo ANoThER GIRl,<br />

AN oPEN ShEll,<br />

A ShINING PEARl.


ARTiG fESTiVAL 2007 arTig iv<br />

<strong>ARTig</strong> Iv<br />

Festival 2007


14 15<br />

Muna Zubi, wenn <strong>ARTig</strong> <strong>ein</strong>e Person<br />

wäre, wie wäre sie?<br />

Pubertär, zickig,<br />

bege<strong>ist</strong>erungs fähig,<br />

treu, ideenreich,<br />

wandelbar, stur


Kulturelle Bildung: Bedingungen und MöglichKeiten Fachbeitrag von Johannes bilst<strong>ein</strong>


Kulturelle Bildung —.<br />

Bedingungen<br />

und MöglichKeiten<br />

16.1<br />

von Johannes Bilst<strong>ein</strong><br />

16 17


Kulturelle Bildung: Bedingungen und MöglichKeiten Fachbeitrag von Johannes bilst<strong>ein</strong><br />

Kulturelle Bildung:<br />

Bedingungen und Möglichkeiten<br />

von Johannes Bilst<strong>ein</strong><br />

1. Kultur<br />

Wenn wir von Kultur sprechen, dann <strong>ist</strong> damit immer zwei-<br />

erlei gem<strong>ein</strong>t: Pflege und Auswahl.<br />

Einerseits geht es darum, dem eigenen Leben <strong>ein</strong>e eigene<br />

Gestalt zu geben, die eigenen Ausdrucksformen zu pflegen <strong>–</strong> von<br />

der Kleidung bis zur Wohnungsausstattung, vom Konzertbesuch<br />

bis zu eigenem künstlerischem Handeln. Es <strong>ist</strong> die Pflege an uns<br />

selbst, an der eigenen Seele und den eigenen Lebensformen, die<br />

wir seit Ciceros Zeiten mit „Kultur“ bezeichnen.<br />

Dazu, zur Sorge um die Gestalt des eigenen Weltzuganges,<br />

gibt es jedoch nahezu unbegrenzte Möglichkeiten, aus denen<br />

man wählen kann und muss: Als <strong>ein</strong>zelner Mensch entscheidet<br />

man sich, welcher Musik man sich zuwenden, welche Bilder<br />

man sich vor Augen halten will; und als Kultur müssen wir <strong>ein</strong>grenzen,<br />

welche Anblicke wir pflegen und fördern, vermeiden<br />

oder gar verbieten, welchen Klängen wir lauschen oder was wir<br />

16.2


ganz und gar nicht hören wollen. Wir müssen auswählen und<br />

entscheiden, Prioritäten festlegen und bestimmen, welche Lebensformen<br />

wir möchten. Kultur m<strong>ein</strong>t beides zugleich: Pflege<br />

und Auswahl, Förderung und Bewertung.<br />

Nun müssen wir <strong>–</strong> insbesondere in der deutschen Tradition<br />

<strong>–</strong> mit dem Begriff der Kultur vorsichtig s<strong>ein</strong>, denn gerade weil er<br />

immer mit Wertung und Auswahl, also auch mit Ausschließung<br />

verbunden <strong>ist</strong>, hat er sich in unserer deutschen Geschichte auf<br />

fatale Weise mit der Ausgrenzung, Abwertung und Bekämpfung<br />

verm<strong>ein</strong>tlich kultur-fremder Lebensweisen verbunden. „Kultur“<br />

gegen „Zivilisation“ <strong>–</strong> diese Begriffe markierten immerhin <strong>ein</strong>mal<br />

<strong>ein</strong>e zentrale ideologische Scheidelinie zwischen den „Erbf<strong>ein</strong>den“<br />

Deutschland und Frankreich. „Kultur“ wird schnell zu<br />

<strong>ein</strong>er Art Etikett, das die bessere, höhere und überhaupt überlegene<br />

Lebensweise auszeichnen soll und schließlich nur noch der<br />

abwertenden Ausgrenzung des Fremden dient.<br />

Dennoch sprechen wir weiter von „Kultur“ und „kultureller<br />

Bildung“, weil wir immer weiter genau diese doppelte Le<strong>ist</strong>ung<br />

benennen wollen, die Individuen wie Gesellschaften bei<br />

der Etablierung ihrer Lebensweisen zu erbringen haben: Pflege<br />

und Auswahl. Und weil wir inzwischen gut Bescheid wissen über<br />

die Risiken der Ausgrenzung und der kultural<strong>ist</strong>ischen Überheblichkeit,<br />

die mit dem Begriff der Kultur auch immer schon<br />

verbunden sind, führt er uns genau diese Gefahren auch immer<br />

wieder vor Augen.<br />

Kultur als Pflege <strong>–</strong> das bringt zweierlei mit sich: Balance<br />

und D<strong>ist</strong>anz. Bei Cicero war als Ausgangsvergleich für kultivierendes<br />

Handeln der Gärtner gedacht: So wie der sich den Pflanzen<br />

gegenüber verhält, so soll sich der kultiviert Handelnde auch<br />

s<strong>ein</strong>er Seele gegenüber benehmen. Daraus ergibt sich, dass dieser<br />

16.3<br />

16 17


Kulturelle Bildung: Bedingungen und MöglichKeiten Fachbeitrag von Johannes bilst<strong>ein</strong><br />

gärtnerisch Pflegende nicht machen kann, was er will. Er <strong>ist</strong><br />

immer auf das Wachstum s<strong>ein</strong>er Pflanzen angewiesen, er muss<br />

sie immer auch in Ruhe lassen, abwarten und erst und nur im<br />

rechten Augenblick <strong>ein</strong>greifen. Wer hektisch und übereifrig<br />

ständig an s<strong>ein</strong>en Pflanzen herumwerkelt, sie unablässig gießt<br />

und düngt <strong>–</strong> der wird sie zugrunde richten. „Cultura“ im Sinne<br />

Ciceros verwirklicht sich insofern als Balance zwischen steuerndem<br />

Eingriff und gelassenem Abwarten, zwischen Lenkung und<br />

Geschehenlassen.<br />

Diese Balancierungsle<strong>ist</strong>ung <strong>ist</strong> im Bereich kultureller Bildung<br />

bis heute von großer Wichtigkeit. Auch hier kommt es<br />

immer wieder darauf an, die rechte Balance <strong>ein</strong>zuhalten zwischen<br />

Aktivität und Geschehenlassen, zwischen zugreifendem<br />

Handeln und geduldigem Abwarten. Wer sich bei künstlerischen,<br />

musikalischen oder theatralischen Aktivitäten nicht zurücknehmen<br />

kann, wer nicht dem Geschehen s<strong>ein</strong>en Lauf lassen kann,<br />

dem wird nichts gelingen. Gerade in den Bereichen kulturellen<br />

Handelns kann man das erfahren und üben.<br />

Dazu braucht man D<strong>ist</strong>anz gegenüber dem eigenen Tun,<br />

und zwar wohlwollende D<strong>ist</strong>anz. Wenn man etwas pflegt <strong>–</strong> sei<br />

es <strong>ein</strong>e Pflanze, seien es eigene Charaktereigenschaften, sei es<br />

<strong>ein</strong>e künstlerische Handlungsform <strong>–</strong> dann überlegt man vorher,<br />

was gut und was schlecht wäre, dann reflektiert man das eigene<br />

Handeln. Insofern <strong>ist</strong> mit „Kultur“ immer <strong>ein</strong> reflektierter,<br />

wohlwollend d<strong>ist</strong>anzierter Umgang der Menschen mit sich selbst<br />

und ihren Lebensweisen gem<strong>ein</strong>t. Wenn wir <strong>ein</strong> Museum oder<br />

<strong>ein</strong> Konzert besuchen, wenn wir uns malerisch oder musikalisch<br />

betätigen, so wird daraus nur dann „Kultur“, wenn wir uns dabei<br />

nicht automatisch verhalten, nicht aus <strong>–</strong> vielleicht dem sozialen<br />

Status entsprungener <strong>–</strong> Gewohnheit handeln, sondern uns ge-<br />

16.4


wollt und reflektiert benehmen. Deshalb <strong>ist</strong> alles, was mit Kultur<br />

zu tun hat, k<strong>ein</strong>eswegs beliebig; diese „Kultur“ unterstützt<br />

nicht alles, was sich so ergibt, sie lenkt ihre Aufmerksamkeit<br />

vielmehr immer auch auf Ungewolltes und Unerwünschtes, das<br />

es zu vermeiden gilt.<br />

Gepflegt wird so im Rahmen kultureller Bildung die sinnlich<br />

vermittelte, reflektierte Aus<strong>ein</strong>andersetzung mit der Welt,<br />

gewollt <strong>ist</strong> das gelungene Bild, der rechte Klang. Aber auch der<br />

falsche Ton, der falsche Takt, das missratene Bild, die zusammenbrechende<br />

Ton-Skulptur gehören zum Bereich der kulturellen<br />

Bildung.<br />

Wenn also Kinder oder Jugendliche in der Aus<strong>ein</strong>andersetzung<br />

mit der Kunst und den Künstlern die Erfahrung machen,<br />

dass nicht sofort und nicht überall alles „gut“ wird, dass man<br />

zunächst durchaus viele Fehler macht, dass man dann jedoch<br />

üben, arbeiten und sich verbessern muss, um schließlich, nach<br />

langen Mühen, <strong>ein</strong> gutes Werk zustande zu bringen, dann macht<br />

auch dies <strong>ein</strong>en zentralen Bereich kultureller Bildung aus.<br />

2. Kunst<br />

Die Kunst und die Künste machen von Anfang an <strong>ein</strong>en<br />

wichtigen Teil dessen aus, was wir mit Kultur bezeichnen. Dabei<br />

hat sich unser heutiges Verständnis von dem, was wir „Kunst“<br />

nennen, über die Jahrhunderte in vielen <strong>ein</strong>zelnen Schritten<br />

entwickelt. Erinnert sei daran, dass es <strong>ein</strong>mal <strong>ein</strong>e ganze Reihe<br />

von verschiedenen Künsten gab, die gar nicht alle schön waren.<br />

Ihr Verständnis geht auf die griechischen „technai“ zurück, auf<br />

Formen von Handeln also, das sich der Umwelt technisch-gestal-<br />

16.5<br />

16 17


Kulturelle Bildung: Bedingungen und MöglichKeiten Fachbeitrag von Johannes bilst<strong>ein</strong><br />

terisch zuwendet. Aus diesen griechischen technai werden dann<br />

die lat<strong>ein</strong>ischen „artes“, und von denen gibt es durchaus viele: Es<br />

gibt nützliche und schöne, mathematische und sprachliche, freie<br />

und dienende Künste, die in der Regel weiblich dargestellt werden.<br />

Zu sehen sind da auf Abbildungen oder als Statuen schöne<br />

Frauen, oft in lange Gewänder gehüllt, die fast immer die Instrumente<br />

und Gerätschaften ihrer jeweiligen Künste in den Händen<br />

halten. Diese Künste sind <strong>ein</strong>erseits die schlichten Fertigkeiten<br />

der schlicht-alltäglichen Handwerker. Andererseits aber zeichnen<br />

die schönen, gar nicht nützlichen Künste denjenigen, der sie<br />

beherrscht, ganz besonders aus; sie machen <strong>ein</strong>en zentralen Teil<br />

des gelingenden, wirklich wichtigen und richtigen Lebens des<br />

freien Menschen aus. Wer in der Antike s<strong>ein</strong>en Lebensunterhalt<br />

nicht oder nicht mehr zu sichern braucht, der lebt in der Muße,<br />

und die <strong>ist</strong> häufig von Praktiken der schönen Künste geprägt.<br />

Lange Zeit ex<strong>ist</strong>ieren die schönen und die nützlichen Künste<br />

auf diese Weise neben<strong>ein</strong>ander, aber schließlich tritt dann doch<br />

Unfrieden zwischen sie. Immer häufiger finden wir Gedichte,<br />

Theaterstücke oder Bilder, die den Wettstreit der Künste behandeln,<br />

und schließlich, im 18. Jahrhundert, treten die beiden<br />

Haupt-Gruppen: die schönen und die nützlichen Künste, immer<br />

mehr aus<strong>ein</strong>ander. Immer öfter bestreiten die schönen Künste<br />

ihren nützlichen Schwestern schlicht die Ex<strong>ist</strong>enzberechtigung<br />

<strong>–</strong> was <strong>ist</strong> schon „Kunst“ an der Arbeit <strong>ein</strong>es Schr<strong>ein</strong>ers. Und so<br />

wird aus den vielen Künsten die <strong>ein</strong>e, große, erhabene und ideell<br />

aufgeladene Kunst, und von der nützlichen Hälfte der <strong>ein</strong>st<br />

so zahlreichen Künste <strong>ist</strong> <strong>–</strong> außer der Kochkunst <strong>–</strong> nicht viel<br />

übriggeblieben.<br />

Der ästhetisierte, mit Schönheit <strong>–</strong> und das heißt: Idealität <strong>–</strong><br />

verbundene Kunstbegriff dagegen drängt immer stärker in den<br />

16.6


Vordergrund, löst sich von s<strong>ein</strong>en technischen Grundlagen mehr<br />

und mehr ab und gerät im Laufe des 18. Jahrhunderts in den<br />

Sog der Genie-Debatte. Es sind nun die genialischen Einzelnen,<br />

die Kunst und Kunstwerke aus dem Inneren ihres Seelenlebens<br />

hervorbringen. Und was herauskommt <strong>ist</strong>: Schönheit.<br />

3. lernen von Künstlern, lernen durch Künstler<br />

Wenn Menschen, besonders junge Menschen, denen die<br />

Welt noch ganz unbekannt <strong>ist</strong>, in Bildungsprozesse <strong>ein</strong>treten<br />

sollen, dann müssen sie diese Welt gezeigt bekommen. Die Erwachsenen-Kultur<br />

muss ihnen vorführen, wie das Leben aussehen<br />

sollte und könnte, welche möglichen Gestalten so <strong>ein</strong> Menschenleben<br />

in der Menschenwelt annehmen kann. Alles Lehren,<br />

man könnte noch allgem<strong>ein</strong>er sagen: Alles Erziehen beginnt mit<br />

dem Zeigen. Dieses Zeigen <strong>ist</strong> die fundamentale pädagogische<br />

und didaktische Geste schlechthin, <strong>ein</strong> entscheidender Kern des<br />

ganzen Unternehmens Erziehung. Und die Art dieses Zeigens<br />

kann dann direkt oder indirekt s<strong>ein</strong>: Wir können den Kl<strong>ein</strong>en<br />

die Welt ungefiltert vorführen, sie mit allen nur möglichen Orten<br />

und allen nur möglichen Situationen direkt konfrontieren,<br />

wir können Welt präsentieren. Wir können ihnen diese Welt<br />

aber auch indirekt, symbolisch vermittelt zeigen: über Bilder<br />

und Geschichten, über Vorführungen und Rituale, wir können<br />

Welt repräsentieren.<br />

Wie auch immer: Zeigen müssen wir die Welt unseren<br />

Nachkommen, und wir, die Älteren, schon Welt-Bekannten, tun<br />

das k<strong>ein</strong>eswegs nur in der Schule, k<strong>ein</strong>esfalls nur in explizit didaktischen<br />

Arrangements, sondern mit allem und durch alles,<br />

16.7<br />

16 17


Kulturelle Bildung: Bedingungen und MöglichKeiten Fachbeitrag von Johannes bilst<strong>ein</strong><br />

was wir haben und sind <strong>–</strong> nicht zuletzt durch die Art und Weise,<br />

wie wir unser Zusammenleben mit den anderen organisieren<br />

und verwirklichen.<br />

Aber viel mehr können wir auch nicht: Im Begriff der Bil-<br />

dung <strong>ist</strong> immer auch und vor allem die Vorstellung enthalten,<br />

dass Menschen letztlich sich selber die eigene Gestalt geben.<br />

Schon bei Wilhelm von Humboldt <strong>ist</strong> das ganz deutlich formuliert:<br />

Bildung braucht das Zeigen, die Außenwelt muss der nachwachsenden<br />

Generation vorgeführt werden <strong>–</strong> dann aber müssen<br />

die an sich selbst gestaltend wirken: Letztlich macht sich jeder<br />

selbst.<br />

Das <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>igermaßen paradox, denn jeder weiß: Menschen<br />

können sich nicht selber machen. Sie brauchen Erziehung, Begleitung,<br />

sie müssen Vieles gezeigt bekommen. Zugleich gehört<br />

es aber sowohl zu unserem Alltagswissen als auch zum theoretisch<br />

versicherten Bestand unserer Diskussionsgeschichte, dass<br />

Menschen letztlich nur selber sich machen können: Schon das<br />

kl<strong>ein</strong>e neugeborene Kind entwickelt eigene Formen der Weltbewältigung,<br />

mit denen es sich von allen anderen unterscheidet.<br />

Bildung findet insofern immer in <strong>ein</strong>em Spannungsverhältnis<br />

von Zeigen und Selbsttätigkeit statt: Eigeninitiative <strong>ist</strong> ihre<br />

Grundbedingung.<br />

Das gilt auch und in besonderem Maße für kulturelle Bildung.<br />

Die kann nicht verordnet oder verabreicht werden, die<br />

kann sich immer nur als Konsequenz aus den eigenen, höchst<br />

selbstständigen Aktivitäten entwickeln. Das wissen wir seit Langem,<br />

darauf müssen auch Konzepte zur kulturellen Bildung reagieren:<br />

Sie können sich nur über Anregungen verwirklichen,<br />

sie müssen vor allem diese Bildung aus eigener Initiative ermöglichen.<br />

Und die Künstler machen das vor. Sie präsentieren sich<br />

16.8


den Jugendlichen als Prototypen der Eigeninitiative, weil all ihr<br />

Handeln immer zunächst und vor allem anderem auf ihren eigenen<br />

Einfällen, ihren eigenen Imaginationen beruht. Wer immer<br />

bei <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> mitmacht, lernt von den Künstlern und<br />

durch die Künstler, dass es die eigenen Ideen sind, die k<strong>ein</strong>er<br />

Beschränkung unterliegenden eigenen Vorstellungen, mit denen<br />

alles gelingende kulturelle Handeln beginnt.<br />

Immer mitgedacht <strong>ist</strong> im Begriff von Bildung aber auch,<br />

dass sie sich nur im sozialen Kontext verwirklicht: Der Mensch<br />

<strong>ist</strong> nicht all<strong>ein</strong>, auch der sich bildende Mensch <strong>ist</strong> nicht all<strong>ein</strong>.<br />

Er befindet sich vielmehr im Austausch, in der stetigen Aus<strong>ein</strong>andersetzung,<br />

vielleicht gar im Konflikt mit all den anderen, die<br />

um ihn herum sind. Und auch all das, was wir unter Kunst und<br />

Kultur verstehen, verwirklicht sich in der Aus<strong>ein</strong>andersetzung<br />

mit den anderen, benachbarten Formen: im Wettbewerb.<br />

Auch dies: Sich mit anderen zu messen, sich der Relativität<br />

des eigenen Handelns bewusst zu s<strong>ein</strong> und dennoch das<br />

Beste zu versuchen <strong>–</strong> auch dies muss gelernt werden. Und kulturelle<br />

Bildung kann auch da helfen und ermöglichen: durch<br />

organisierten Wettbewerb, durch institutionalisierten Vergleich,<br />

der es den <strong>ein</strong>zelnen ermöglicht, die je eigenen Arbeiten und<br />

Werke besser <strong>ein</strong>zuordnen. Dabei folgen die <strong>ein</strong>zelnen Kultur-<br />

Sparten durchaus verschiedenen Traditionen und Konventionen<br />

des Wettbewerbs: Die Musiker kennen das von den vielen Preisverfahren<br />

und Wettbewerben, an denen sie oft von Kindheit<br />

an teilgenommen haben; die bildenden Künstler machen ihre<br />

Erfahrungen mit Gem<strong>ein</strong>schafts-Ausstellungen und mit der oft<br />

rabiat ausgetragenen Konkurrenz um Ausstellungs-Raum und<br />

Hänge-Flächen; auch den Tänzerinnen und Tänzern sind die mit<br />

so großen Gefühlen verbundenen Ausscheidungsverfahren mehr<br />

16.9<br />

16 17


Kulturelle Bildung: Bedingungen und MöglichKeiten Fachbeitrag von Johannes bilst<strong>ein</strong><br />

oder weniger vertraut. Projekte wie <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> schaffen<br />

für solcherart Sozialerfahrungen Möglichkeiten und Gelegenhei-<br />

ten, lassen die Jugendlichen von Künstlern und durch Künstler<br />

lernen, wie man Kooperation und Wettbewerb leben kann.<br />

4. Kulturelle Bildung<br />

Bei kultureller Bildung kommt also Vieles zusammen:<br />

Pflege und Auswahl, wie sie mit dem Kulturbegriff verbunden<br />

sind; die Orientierung an den durchaus differierenden Konzepten<br />

von Schönheit, wie sie mit unseren Vorstellungen von Kunst<br />

gekoppelt sind; die Notwendigkeit des Zeigens, die sich direkt<br />

oder indirekt verwirklichen kann; Empfindsamkeit gegenüber<br />

Mensch und Natur; die Entwicklung der Einbildungskraft, des<br />

Geschmacks und des Genusses; die Befähigung zu Spiel und Geselligkeit,<br />

zur ästhetischen Urteilskraft und Kritik; die Erschließung<br />

von (neuen) Ausdrucksformen und Handlungsperspektiven; die<br />

Vermittlung von Verstand und Gemüt, Expressivität und Regelgeleitetheit<br />

oder auch die Idee <strong>ein</strong>er (utopischen) Zivilisierung<br />

des Lebens <strong>–</strong> all dies sind zugleich Merkmale und Möglichkeiten<br />

kultureller Bildung.<br />

Entscheidend <strong>ist</strong> wohl, dass bei den beteiligten Menschen<br />

immer und grundsätzlich Wahrnehmung und Gestaltung, Rezeptivität<br />

und Produktivität mit<strong>ein</strong>ander wirken. Wer sich in<br />

s<strong>ein</strong>er Welt nur oder überwiegend als Wahrnehmender bewegt,<br />

nur aufnimmt und auf das Vorgefundene reagiert, der hat den<br />

zugleich pflegerischen und auswählenden Anspruch von Kultur<br />

nicht erfüllt. Die eigene Aktivität, das eigene Handeln müssen<br />

zu der notwendigen Rezeptivität hinzu treten. Und andererseits:<br />

16.10


Wer sich nur wild gestaltend verhält, an allem und jedem herumbastelt<br />

ohne zunächst Aufmerksamkeit für das Vorgefundene<br />

zu entwickeln, der verfehlt ebenfalls all die Ansprüche und Hoffnungen,<br />

die mit dem Begriff der Kultur verbunden sind.<br />

Gelernt werden muss das In<strong>ein</strong>andergreifen sehr vielschichtiger<br />

Operationen. Wenn jemand „Kunst“ erfahren oder gar machen<br />

will, dann <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> hochkomplexes Wechselspiel nötig von<br />

Entwurf und Reflexion, von Hypothese und Korrektur, und das<br />

Gleiche gilt für alle kulturelle Bildung. Die eigene Wahrnehmung<br />

muss fortwährend wahrgenommen und korrigiert, die eigene<br />

Gestaltungsarbeit ständig kontrolliert und ihrerseits gestaltet<br />

werden. Kulturelle Bildung, das heißt zunächst <strong>ein</strong>mal, dass man<br />

wohlwollende D<strong>ist</strong>anz zu den eigenen Lebensformen entwickelt,<br />

dass man sich sozusagen selbst beim Leben zuschaut, dass man<br />

bemerkt und reflektiert, was man da alles gezeigt bekommt.<br />

Dabei bewegt man sich in Handlungs-Zusammenhängen,<br />

die man nicht vollständig unter Kontrolle hat: Die ästhetische<br />

Erfahrung <strong>ist</strong> immer auch mit Passivität und Entmächtigung<br />

verbunden: Man kriegt das alles nicht so hin, wie man sich das<br />

wünscht; die Töne des Instruments folgen nicht den eigenen<br />

Absichten; die Farben tun nicht das, was man will.<br />

Ästhetische Erfahrung <strong>ist</strong> immer auch <strong>ein</strong>e Erfahrung von<br />

Grenzen und Handlungs-Beschränkungen. Im Grunde muss das<br />

handelnde Subjekt, das ja gerade im Bereich kulturellen Handelns<br />

so überaus mächtig ersch<strong>ein</strong>t, das sich ganze Welten aus<br />

Farben, Tönen und Materialien erschafft, auch gleich wieder<br />

zurücktreten: hinter die Eigenlogik der Materialien, hinter den<br />

Eigenwillen der Medien. Die Bilder, die Töne, die Geräte und Stoffe,<br />

mit denen man arbeitet <strong>–</strong> sie machen irgendwie auch immer,<br />

was sie wollen, und das muss man aushalten.<br />

16.11<br />

16 17


Kulturelle Bildung: Bedingungen und MöglichKeiten Fachbeitrag von Johannes bilst<strong>ein</strong><br />

Denn darauf sei noch <strong>ein</strong>mal hingewiesen: All die Pflege<br />

und all die Auswahl, all die Arbeit an der Schönheit und am<br />

Gelingen, all die Aus<strong>ein</strong>andersetzung mit den Qualen und Chan-<br />

cen des Scheiterns <strong>–</strong> sie müssen von den lebendigen Subjekten<br />

selbst gele<strong>ist</strong>et und übernommen werden, und diese Subjekte<br />

sind nicht steuerbar. Kulturelle Bildung, das kann nicht <strong>ein</strong><br />

Unternehmen mit <strong>ein</strong>deutigen Kausalitäten s<strong>ein</strong>, bei dem klar<br />

kalkulierbare Einsätze an Zeit, an Geld, an Engagement klar kalkulierbare<br />

Ergebnisse mit Sicherheit erbringen. Gerade wegen<br />

der Bindung an die unauslotbaren Subjekte, gerade wegen der<br />

Orientierung an die schillernden und oszillierenden Imaginationen<br />

von Schönheit und Gelingen bleibt alle kulturelle Bildung<br />

<strong>ein</strong> Wagnis, das man von außen: von der Seite der Erzieher her,<br />

von der Schule her, von der Politik oder Admin<strong>ist</strong>ration her immer<br />

nur ermöglichen kann.<br />

Und gerade weil sie sich an Subjekte richtet, wird recht<br />

verstandene kulturelle Bildung denn auch bald selbst zu <strong>ein</strong>er<br />

Art von Subjekt: Sie reagiert auf Vorgefundenes, verhält sich unkalkulierbar,<br />

verändert sich unablässig. In genau diesem Sinne<br />

<strong>ist</strong> auch „<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong>“ in stetigem Wandel, verändert<br />

sich dieses Projekt kultureller Bildung unablässig. Nur mit <strong>ein</strong>er<br />

solchen Wandlungsfähigkeit und mit der Bereitschaft, auf<br />

neue Impulse von Seiten der beteiligten Menschen <strong>ein</strong>zugehen<br />

und selbst neue Impulse zu schaffen, nur mit <strong>ein</strong>em solcherart<br />

fließenden Selbstverständnis kann der höchst individuelle und<br />

höchst intime Prozess kultureller Bildung von außen gefördert<br />

und möglich gemacht werden.<br />

16.12


16.13<br />

16 17


Kulturelle Bildung: Bedingungen und MöglichKeiten Fachbeitrag von Johannes bilst<strong>ein</strong><br />

16.14


Prof. dr. phil. Johannes Bilst<strong>ein</strong><br />

Studium an der Universität Köln in den Fächern Pädagogik, Ger-<br />

man<strong>ist</strong>ik, Angl<strong>ist</strong>ik, Psychologie und Philosophie. 1975 Staatsex-<br />

amen, 1979 Promotion an der Universität Köln; 2000 Habilitation<br />

an der FU Berlin. Bis 2004 Professor für Pädagogik an der Kunstakademie<br />

<strong>Düsseldorf</strong>.<br />

2004 bis 2008 Professor für Erziehungswissenschaft an der Folkwang<br />

Hochschule Essen, seit 2008 Professor für Pädagogik an<br />

der Kunstakademie <strong>Düsseldorf</strong>. Lehraufträge bzw. Gastprofessuren<br />

an den Universitäten Innsbruck, Erlangen und der Deutschen<br />

Sporthochschule Köln. Arbeitsgebiete: Allgem<strong>ein</strong>e Pädagogik,<br />

insbesondere Bildungstheorie; Ästhetische Erziehung;<br />

H<strong>ist</strong>orische Anthropologie; Bildlichkeit und Metaphorik in der<br />

Pädagogik.<br />

16.15<br />

16 17


Kulturelle Bildung: Bedingungen und MöglichKeiten Fachbeitrag von Johannes bilst<strong>ein</strong><br />

16.16


16 17


inTERViEw klauS SieverS


„ Ich wäre selber <strong>ein</strong> ganz schlechter<br />

<strong>ARTig</strong>-Kandidat gewesen.“<br />

18 19<br />

Klaus Sievers, <strong>Düsseldorf</strong>er Künstler und Dozent an der universität Siegen, war<br />

seit 2005 <strong>ARTig</strong>-Mentor für die Sparte Bildende Kunst. „Reitet ohne mich weiter“ <strong>ist</strong><br />

nicht nur Motto <strong>ein</strong>es s<strong>ein</strong>er gefragten Ansteckbuttons, sondern war auch 2010 s<strong>ein</strong><br />

Wunsch, als er s<strong>ein</strong>e Mentorenschaft nach fünf <strong>ARTig</strong>-Jahren an s<strong>ein</strong>en Nachfolger<br />

Martin huidobro übergab. Warum <strong>ARTig</strong> nie langweilig wird und warum er selber aber<br />

„<strong>ein</strong> schlechter <strong>ARTig</strong>-Teilnehmer gewesen wäre“ erzählte er im Interview mit Mentor<br />

Thomas Weltner.<br />

Thomas Weltner: Klaus, wie hat <strong>ARTig</strong> Dich gefunden? <strong>ARTig</strong> findet doch die S<strong>ein</strong>en,<br />

oder?<br />

Klaus Sievers: Ja, das stimmt. Gefunden und angerufen hat mich damals Frau Winkelmann.<br />

Martina Stec, die damals die Projektkoordinatorin war, kannte ich bereits von AKKI (Aktion<br />

und Kultur mit Kindern). Dort hatten wir uns bereits kennengelernt und schon gesagt: Wir<br />

müssen mal was zusammen machen.<br />

Die Zusammensetzung des Teams war von Anfang an <strong>ein</strong> zentraler Punkt des Konzeptes.<br />

Man muss dafür Künstler suchen, die dazu in der Lage sind, kreative Gestaltungsprozesse zu<br />

moderieren. Und die müssen so selbstbewusst s<strong>ein</strong>, auch ihr Ego zurückstellen zu können.<br />

Ich glaube, Leute, die zu sehr für Reibung sorgen, werden von <strong>ARTig</strong> wieder ausgestoßen.<br />

Das hält sich nicht, weil es auf zu viele ankommt. <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> nichts für Leute, die über ihr<br />

eigenes Ego fallen.<br />

Du hast nach der Saison 2010 für Dich entschieden, <strong>ARTig</strong> zu verlassen. D<strong>ein</strong>e Mentorenschaft<br />

für Bildende Kunst war ja <strong>–</strong> nach m<strong>ein</strong>er Beobachtung <strong>–</strong> nachhaltig positiv<br />

prägend für das gesamte Projekt. Du hast mit uns Mentoren zum Beispiel noch das<br />

Mentorenleitbild entwickelt. Ist D<strong>ein</strong> Ausscheiden gewissermaßen auch <strong>ein</strong> Geschenk<br />

an <strong>ARTig</strong> im Sinne der Selbsterneuerung?


inTERViEw klauS SieverS<br />

„ <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> nichts für leute,<br />

die über ihr eigenes Ego fallen.“<br />

Ich denke, man kann das nicht ewig machen. Zum <strong>ein</strong>en die ganzen Anforderungen, die<br />

ganze Aufregung, aber auch das Gefühl, da muss mal jemand anderes kommen, mit neuen<br />

Ideen. Manchmal gibt es Projekte von Teilnehmern, die liegen <strong>ein</strong>em nicht so. Ein Anderer<br />

würde vielleicht sagen: Das versuchen wir mal, mal sehen, was dabei raus kommt. <strong>ARTig</strong><br />

braucht auch immer etwas Naives und Unverbrauchtes.<br />

und wahrsch<strong>ein</strong>lich <strong>ist</strong> nichts ewig bei <strong>ARTig</strong>.<br />

Das <strong>ist</strong> der Kern. Seit der Anfangszeit hat ja letzten Endes die ganze Mentorenmannschaft<br />

gewechselt. Vielleicht werden auch irgendwann mal ehemalige <strong>ARTig</strong>-Teilnehmer oder<br />

-Teammitglieder Mentoren, das fände ich <strong>ein</strong> interessantes Experiment, vielleicht auch in<br />

Form <strong>ein</strong>es Teams. Für die Mentorenarbeit muss man ja in erster Linie aus eigenen künstlerischen<br />

Erfahrungen schöpfen. Aber es gibt viele Wege und verschiedene M<strong>ein</strong>ungen, zu<br />

hören. Das <strong>ist</strong> auch für die Teilnehmer <strong>ein</strong>e wichtige Erfahrung <strong>–</strong> Differenzerfahrung nennt<br />

man das, wie ich neulich auf <strong>ein</strong>er Tagung von Kunstlehrern lernen durfte.<br />

Was hast Du als D<strong>ein</strong>e persönliche herausforderung bei <strong>ARTig</strong> empfunden?<br />

M<strong>ein</strong>e Aufgabe bei <strong>ARTig</strong> war es, <strong>ein</strong>e Ausstellung auf die B<strong>ein</strong>e zu stellen. Das <strong>ist</strong> die Auf-<br />

gabe, die ich die ganze Zeit nonstop im Kopf habe. Ich lerne m<strong>ein</strong>e Teilnehmer und ihre<br />

Arbeiten und Konzepte kennen und muss sofort <strong>ein</strong>e Fantasie entwickeln, was man daraus<br />

machen kann. Das kann mir niemand abnehmen. Deswegen musste ich auch zu den Teilnehmern<br />

hingehen und erfühlen, in welchem Umfeld leben die eigentlich. Ich muss in deren<br />

Zimmer sitzen und mir die Poster angucken, da <strong>ein</strong>en Zettel herauszerren und sagen: Was<br />

<strong>ist</strong> denn das hier? Ich muss <strong>ein</strong>e Spur aufnehmen.


20 21<br />

Ich finde interessant, dass Du schon die Präsentation, die Gesamtwirkung des Ganzen<br />

im Kopf hast. Müsste man nicht eigentlich Abstand davon nehmen und sagen, wenn<br />

es nicht präsentabel <strong>ist</strong>, dann <strong>ist</strong> es eben <strong>ein</strong>e kl<strong>ein</strong>ere Ausstellung?<br />

Ich möchte schon das Maximale rausholen. Und ich bin k<strong>ein</strong> d<strong>ist</strong>anzierter Zuschauer, sondern<br />

ich wühle gerne mit. Ich mach den Leuten gern pausenlos Vorschläge. Manche steigen<br />

darauf <strong>ein</strong>, andere weniger. Oft überrascht mich die Aufgeschlossenheit, denn, ehrlich<br />

gesagt, ich in dem Alter hätte wahrsch<strong>ein</strong>lich total abgeblockt und gedacht: Was will dieser<br />

Idiot von mir? Ich wäre selber <strong>ein</strong> ganz schlechter <strong>ARTig</strong>-Kandidat gewesen.<br />

Das berührt auch die Frage nach den Grenzen von <strong>ARTig</strong>. Wo also sind die Grenzen?<br />

und sollen die Teilnehmer sie überschreiten dürfen? Wie würde das im Bereich Bildende<br />

Kunst aussehen?<br />

Man könnte sich fragen: Was soll so <strong>ein</strong>e Ausstellung überhaupt bringen <strong>–</strong> außer Eitelkeiten<br />

zu befriedigen? Ich denke, sie <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> Angebot. Ich stelle ich mir den Besucher vor, der sagt:<br />

Mich interessiert das irgendwie. Der kommt zu uns und stellt fest, das kann man machen,<br />

jenes kann man machen … Verschiedenste Talente treffen da auf<strong>ein</strong>ander, verschiedenste<br />

Ausdrucksweisen. Wir versuchen zu zeigen, wohin <strong>ein</strong> bestimmter Ansatz führen kann, welche<br />

Möglichkeiten es gibt. Da finde ich die <strong>ARTig</strong>-Aussstellungen genau richtig. Da stehen<br />

die Leute bis zwölf Uhr nachts und reden zu diesem Zeitpunkt immer noch über die Bilder.<br />

Sag mir <strong>ein</strong>e Vernissage, bei der das so <strong>ist</strong>! Wo nicht fünf Minuten, nachdem die Rede vorbei<br />

<strong>ist</strong>, sich alle <strong>ein</strong> W<strong>ein</strong>chen r<strong>ein</strong>kippen und niemand sich mehr dafür interessiert. Das <strong>ist</strong><br />

doch Kommunikation! Verursacht durch die Angebote, die junge Künstler machen. Und<br />

das Unfertige, das Versprechen <strong>ist</strong> das Schöne daran. Da kann man sich herrlich streiten: Ist<br />

das Bild jetzt völlig daneben oder vielleicht doch gut oder irgendwas dazwischen. Das <strong>ist</strong><br />

für alle <strong>ein</strong> großes Erlebnis.<br />

Durch <strong>ein</strong>e Ausstellung bekommt man ja <strong>ein</strong>en anderen Blick auf die eigenen Dinge,<br />

sieht, was die anderen machen. und die, die von außen gucken <strong>–</strong> Freunde, Kollegen,<br />

Eltern oder die anderen Teilnehmer <strong>–</strong> bekommen auch noch mal <strong>ein</strong>en anderen Eindruck.<br />

Ach da hat der die ganze Zeit dran gearbeitet! Da gibt es noch jemand, der so<br />

etwas macht! Kommunikation <strong>ist</strong> also das eigentliche bei den Ausstellungen.<br />

Ja, das <strong>ist</strong> das Eigentliche. Bei den anderen Kunstsparten kann ich das natürlich viel besser<br />

genießen. Die Vielfalt, zum Beispiel in der Musiksparte … Man muss die Leute da echt fordern.<br />

Drei Hip-Hop Bands hinter<strong>ein</strong>ander <strong>ist</strong> Quatsch. Da muss eben auch der Schock <strong>ein</strong>es Free-<br />

Jazz-Saxophon-Solos kommen.


inTERViEw klauS SieverS<br />

„ Bei den <strong>ARTig</strong>-Aussstellungen stehen die leute<br />

bis zwölf uhr nachts und reden immer noch über<br />

die Bilder. Sag mir <strong>ein</strong>e vernissage, bei der das<br />

<strong>ist</strong>! Wo nicht fünf Minuten, nachdem die Rede<br />

vorbei <strong>ist</strong>, sich alle <strong>ein</strong> W<strong>ein</strong>chen r<strong>ein</strong>kippen und<br />

niemand sich mehr dafür interessiert.“<br />

Also auch das Publikum fordern.<br />

Ja total.<br />

Das <strong>ist</strong> auch <strong>ARTig</strong>?<br />

Ja, und ich bin ja selbst auch mittendrin. Dass ich, wenn ich mir die Theaterstücke anschaue,<br />

wirklich gerührt und ergriffen bin, weil man dieses Ringen um etwas spürt und die Mög-<br />

lichkeiten, die da drin sind. Normalerweise bin ich eigentlich k<strong>ein</strong> Theatergänger, auch aus<br />

Angst vor Langeweile. Ich sitze dann da und langweile mich sofort. Das hatte ich bei <strong>ARTig</strong><br />

noch nie.<br />

Wir hatten mal <strong>ein</strong> Stück <strong>–</strong> das <strong>ist</strong> schon <strong>ein</strong> paar Jahre her <strong>–</strong> da ging es um Rechtsradikalismus.<br />

Zwei Jungs haben sich die Frage gestellt, wie patriotisch kann man s<strong>ein</strong>, ohne rechtsradikal<br />

zu werden? Die beiden haben das wahnsinnig gut gespielt, ich fand die so irre und<br />

mutig. Es war <strong>ein</strong>e Gradwanderung. Da wurden Sprüche auf der Bühne gekloppt, da blieb dir<br />

echt die Spucke weg. Hinterher wurde wild diskutiert. Passiert das auch bei der „richtigen“<br />

Kunst? Da hab ich so m<strong>ein</strong>e Zweifel.<br />

Wenn <strong>ARTig</strong> <strong>ein</strong>e Person wäre, welche Person hättest Du vor Augen?<br />

Sie wäre jung, gut drauf, etwas überspannt, manchmal gelassen, manchmal hysterisch,<br />

sexy, glamourös, bestimmt Jahrgangsstufensprecherin und beliebt. Hibbelig, intelligent<br />

und kreativ … eher Macher als Denker.


Was, würdest Du sagen, sollte <strong>ARTig</strong> werden? oder: Was sollte es bleiben?<br />

Da sich <strong>ARTig</strong> immer neu erfindet, mach ich mir k<strong>ein</strong>e Sorgen. Eine Idee, die sich überlebt<br />

hat, wird auch schnell ad acta gelegt. Wir diskutieren sehr offen, ohne Hierarchie, und neue<br />

Ideen haben <strong>ein</strong>e echte Chance.<br />

Als Beispiel fällt mir der Katalog für die Sparten Bildende Kunst und Fotografie <strong>ein</strong>. Wir saßen<br />

zusammen und dachten über den nächsten Katalog nach und stellten nach zehn Minuten<br />

fest, dass wir alle schlechte Laune hatten. Da stand die Frage im Raum: Ja, warum machen<br />

wir das überhaupt noch so? Diese Form hat sich doch überholt. Das war mal <strong>ein</strong>e gute Idee,<br />

aber jetzt <strong>ist</strong> es k<strong>ein</strong>e mehr. Und damit war sie gestorben. Da mussten wir erstmal tief durchatmen.<br />

Und dann wurde diskutiert: Was setzen wir jetzt an diese Stelle? Der ganze Vorgang<br />

hat mich bege<strong>ist</strong>ert. So offen <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong>.<br />

Interessant, ja.<br />

Ganz wichtig <strong>ist</strong> dabei, sich auf Augenhöhe begegnen zu können.<br />

Klaus, Du b<strong>ist</strong> ja so etwas wie <strong>ein</strong> Ehrenmentor. Empfindest Du noch <strong>ein</strong>e bleibende<br />

Aufgabe für <strong>ARTig</strong>? oder b<strong>ist</strong> Du raus?<br />

N<strong>ein</strong>, jetzt bin ich halt <strong>ein</strong>er von denen, die zum Festival kommen und sich aufregen und<br />

bege<strong>ist</strong>ert oder auch mal genervt sind. Darauf freue ich mich schon. Die Sache geht ja<br />

weiter.<br />

22 23


DARSTELLunG EinER KRiSTALLinEn uRBAniTäT marie cHriSTine keppler, arTig vi


24 25


wicKED <strong>–</strong> DER zAuBERER Von oz anne-marie lux, vaneSSa HarBrecHT, alin ivan, Birk HoFFmann, liSa STapelFeldT, arTig iv


hier <strong>ist</strong> das Märchen noch nicht zu Ende …<br />

26 27


mEnTAL moVEmEnT onur kepenek, ugur kepenek, ToBiaS Bogdon, Timo ziegerT, david FüSgen, arTig v + vi<br />

Was mir am herzen liegt <strong>ist</strong> heute die Musik und solange das so <strong>ist</strong>, sage ich öffne dich für sie, öffne d<strong>ein</strong>en


Ge<strong>ist</strong> und öffne d<strong>ein</strong>en Augen denn offen s<strong>ein</strong> <strong>ist</strong> mindestens so wichtig wie der Glauben.<br />

28 29


AfRiKAniSchE BRiSE JuSTina adwoa-adu, günTHer (günni) HeSSelBarTH, arTig vi


Told me you love me, that I'd never die alone<br />

hand over your heart, let's go home<br />

Everyone noticed, everyone has seen the signs<br />

I've always been known to cross lines<br />

30 31


düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 1 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann


düsseldorf <strong>ist</strong> artig —.<br />

<strong>ein</strong> <strong>innovatives</strong><br />

BildungsProJeKt<br />

( 1 )<br />

von Petra Winkelmann<br />

32 33


düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 1 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann<br />

düsseldorf <strong>ist</strong> artig:<br />

<strong>ein</strong> <strong>innovatives</strong> <strong>Bildungsprojekt</strong><br />

von Petra Winkelmann<br />

<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> kulturelles <strong>Bildungsprojekt</strong>, das<br />

die Stadt <strong>Düsseldorf</strong> und die Vodafone Stiftung Deutschland<br />

gGmbH seit 2004 gem<strong>ein</strong>sam durchführen.<br />

Eingebunden in den konzeptionellen Rahmen der ge-<br />

samtstädtischen Maßnahmen zur kulturellen Bildung spielt<br />

<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>ein</strong>e besondere Rolle und beschreitet <strong>ein</strong>en<br />

anspruchsvollen Weg: Es fordert Jugendliche auf, sich mit ihrer<br />

eigenen kreativen Idee auf freiwilliger Basis an <strong>ein</strong>em künstlerischen<br />

Ideenwettbewerb zu beteiligen und erwartet von ihnen,<br />

dass sie ihre Ideen bis zur Präsentationsreife führen. Das alles findet<br />

mit Begleitung künstlerischer Mentorinnen und Mentoren1 und mit Unterstützung des jugendlichen <strong>ARTig</strong>-Teams statt.<br />

<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> partizipatives Projekt im besten<br />

und im weitesten Sinne mit <strong>ein</strong>em engen Bezug zur Lebenswelt<br />

von Jugendlichen: Bereits bei der konzeptionellen Entwicklung<br />

der Projektidee saßen Jugendliche gleichberechtigt neben den<br />

Vertretern von Kulturinstituten und Kulturverwaltung am Tisch<br />

und brachten ihre Sicht <strong>ein</strong>:<br />

„Gebt uns Raum für künstlerische Ideen, betrachtet junge Leute als<br />

Ressource und nicht als Bedrohung und hört auf die Experten <strong>–</strong><br />

auf junge Leute.“<br />

32.2


Mit dieser Forderung traten Jugendliche 2003 an die Stadt<br />

<strong>Düsseldorf</strong> heran. <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> war die gem<strong>ein</strong>same<br />

Antwort.<br />

Aus der erfolgreichen Zusammenarbeit bei der Konzeptentwicklung<br />

ergab sich <strong>ein</strong>e enge praktische Zusammenarbeit mit<br />

Jugendlichen während des ersten Projektdurchgangs 2004/05.<br />

Und es zeigte sich, dass die gleichberechtigte Beteiligung von<br />

Jugendlichen auch bei der Projektdurchführung <strong>ein</strong>en wesentlichen<br />

Erfolgsfaktor darstellt.<br />

In sechs Jahren hat <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>ein</strong> Eigenleben entwickelt<br />

und <strong>ist</strong> von <strong>ein</strong>em Projekt zu <strong>ein</strong>em Subjekt geworden:<br />

Eine kollektive Identität und <strong>ein</strong> großes Wir <strong>–</strong> das <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong>,<br />

wie <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> im täglichen Sprachgebrauch genannt<br />

wird. <strong>ARTig</strong> hat <strong>ein</strong>en eigenen Charakter und <strong>ist</strong> zu <strong>ein</strong>er Marke<br />

geworden. <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> aber auch <strong>ein</strong> Adjektiv, das beschreibt, was<br />

zum Projekt und s<strong>ein</strong>er Philosophie passt.<br />

Wie aus <strong>ein</strong>er Idee <strong>ARTig</strong> wurde und wie sich aus <strong>ein</strong>em<br />

Projekt mit experimentellem Charakter <strong>ein</strong> dynamischer Prozess<br />

entwickelte, der von allen <strong>ARTig</strong>en mitgestaltet wird <strong>–</strong> das <strong>ist</strong> das<br />

Spezifische an <strong>ARTig</strong>. Die nachfolgende Darstellung greift die<br />

zentralen Aspekte von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> auf und versucht, sie<br />

in ihrer Wechselwirkung und in ihrer gem<strong>ein</strong>samen Bedeutung<br />

für die Entwicklung des Projektes zu beschreiben. Gleichzeitig<br />

wird das kulturelle <strong>Bildungsprojekt</strong> <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> im ganzheitlichen<br />

Bildungskontext betrachtet.<br />

1 In der weiteren Darstellung wird wegen der Lesbarkeit die männliche Schreibweise<br />

gewählt.<br />

32.3<br />

32 33


düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 1 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann<br />

das <strong>Bildungsprojekt</strong> düsseldorf <strong>ist</strong> artig<br />

Spätestens seit dem Ersch<strong>ein</strong>en des Abschlussberichts der<br />

Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ 2007 zum ak-<br />

tuellen und zukünftigen Kulturleben Deutschlands steht fest:<br />

Kulturelle Bildung <strong>ist</strong> für die Zukunft unserer Gesellschaft unverzichtbar<br />

und steht gleichwertig neben schulischer Bildung<br />

und beruflicher Ausbildung. So heißt es im Bericht der Enquête-<br />

Kommission:<br />

„Die Einbettung kultureller Bildung in die allgem<strong>ein</strong>e Bildung und<br />

die Stärkung kultureller Bildung im Allgem<strong>ein</strong>en sind von grund-<br />

legender Bedeutung für die Entwicklungsfähigkeit unserer Gesell-<br />

schaft. Kultur <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> Schlüssel zur Gesellschaftsentwicklung.“ 2<br />

In <strong>ein</strong>er sich immer schneller und unüberschaubar entwi-<br />

ckelnden Welt bietet kulturelle Bildung Orientierung, vermittelt<br />

Werte und <strong>ein</strong> ganzheitliches Menschenbild:<br />

„Bei der kulturellen Bildung geht es um den ganzen Menschen, um<br />

die Bildung s<strong>ein</strong>er Persönlichkeit, um Emotionen und Kreativität.<br />

Ohne kulturelle Bildung fehlt <strong>ein</strong> Schlüssel zu wahrer Teilhabe.<br />

32.4


Deshalb <strong>ist</strong> auf k<strong>ein</strong>em Feld die Verantwortung des Staates, aber<br />

auch der Zivilgesellschaft und der Kultur<strong>ein</strong>richtungen größer.<br />

Kulturelle Bildung macht nicht nur stark, sondern auch klug.<br />

Denn sie hat gleichermaßen Auswirkungen auf Persönlichkeitsentwicklung<br />

und Lernfähigkeit.“ 3<br />

Ästhetische Bildung und kreative Prozesse versprechen<br />

<strong>ein</strong>e Steigerung der kognitiven und sozialen Fähigkeiten, <strong>ein</strong>e<br />

Schulung und <strong>ein</strong>e Steigerung von Lern- und Erlebnisfähigkeit,<br />

Wahrnehmungs-, Ausdrucks- und Gem<strong>ein</strong>schaftsfähigkeit sowie<br />

die Fähigkeit zur persönlichen Teilhabe und Gestaltung.<br />

Orientierung, Persönlichkeitsbildung und Teilhabe sind daher<br />

die zentralen Begriffe, die in der Diskussion um die spezifischen<br />

Le<strong>ist</strong>ungen kultureller Bildung regelmäßig fallen. 4 Längst gehört<br />

kulturelle Bildung (wieder) zu <strong>ein</strong>em umfassenden und ganzheitlichen<br />

Bildungskanon.<br />

Der Bedeutung kultureller Bildung für die Zukunft unserer<br />

Gesellschaft entspricht die Verantwortung derjenigen, die heute<br />

darüber entscheiden und die Angebote formulieren. Wer die Bedeutung<br />

kultureller Bildung auf die Gestaltung <strong>ein</strong>es zukünftigen<br />

künstlerischen Lebens reduziert oder zur Selbst-Legitimation<br />

nutzt, greift zu kurz: Als integrativer Bestandteil von Bildung<br />

2 Deutscher Bundestag, Schlussbericht der Enquête-Kommission „Kultur in Deutschland“.<br />

Drucksache 16/7000, 16. Wahlperiode, 11.12. 2007, S. 45<br />

3 ebd., S. 8<br />

4 Von <strong>ein</strong>er primär instrumentell-funktionalen Betrachtung von kultureller Bildung wird<br />

an dieser Stelle jedoch Abstand genommen. Kulturelle Bildung versteht sich <strong>–</strong> wie die<br />

Künste selbst <strong>–</strong> als <strong>ein</strong> Wert an sich.<br />

32.5<br />

32 33


düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 1 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann<br />

<strong>ist</strong> kulturelle Bildung die gem<strong>ein</strong>same Verantwortung aller an<br />

Bildung beteiligter Institutionen und Akteure. Angefangen im<br />

Elementarbereich über die schulische Bildung bis hin zur berufli-<br />

chen und hochschulischen Ausbildung. Einzelne Bildungsaspek-<br />

te und -inhalte dürfen nicht gegen<strong>ein</strong>ander ausgespielt werden:<br />

Nur gem<strong>ein</strong>sam können sie erfolgreich und nachhaltig wirken<br />

und ihr Ziel erreichen.<br />

Die Stadt <strong>Düsseldorf</strong> behandelt das Thema kulturelle Bildung<br />

im Sinne dieses ganzheitlichen Bildungsverständnisses als<br />

integrativen Bestandteil von Bildung bereits seit zehn Jahren als<br />

<strong>ein</strong>es ihrer Schwerpunktthemen. 5 Diese Schwerpunktsetzung<br />

findet in den <strong>Düsseldorf</strong>er Schulen und hier insbesondere in den<br />

Ganztagsgrundschulen und in Zusammenarbeit mit Künstlern<br />

ihren Niederschlag.<br />

Je früher kindliche Neugier und kindliches Interesse an<br />

kultureller Bildung geweckt werden, desto besser <strong>ist</strong> es für das<br />

Kind, was bereits das Jugend-KulturBarometer 2004 empirisch<br />

nachwies. 6 In <strong>Düsseldorf</strong> wird dieser Ansatz bereits seit Jahren<br />

in zahlreichen Kooperationsprojekten zwischen Kindertagesstätten,<br />

Schulen, Jugendfreizeit<strong>ein</strong>richtungen, Kulturinstituten und<br />

Künstlern praktisch umgesetzt.<br />

Die Stadt <strong>Düsseldorf</strong> wurde 2007 und 2009 vom Land Nordrh<strong>ein</strong>-Westfalen<br />

für ihr gesamtstädtisches Konzept zur kulturellen<br />

Bildung ausgezeichnet. <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> wichtiger<br />

Bestandteil dieses Gesamtkonzepts und gleichzeitig Impulsgeber<br />

für weitere Projekte in Zusammenarbeit mit Jugendlichen: So<br />

gab die Stadt <strong>Düsseldorf</strong> 2008 <strong>ein</strong>e Untersuchung zum kulturellen<br />

Nutzungsverhalten von Jugendlichen und zu ihren Wünschen<br />

an die Kultur in Auftrag. Diese vom Zentrum für Kulturforschung,<br />

Bonn, unter aktiver und maßgeblicher Beteiligung von<br />

32.6


Jugendlichen durchgeführte Studie, das <strong>Düsseldorf</strong>er Jugendkultur-<br />

Konzept, lieferte erstmals belastbare Daten und wäre ohne die<br />

Erfahrungen von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> und ohne das Engagement<br />

von <strong>ARTig</strong>en Jugendlichen nicht möglich gewesen. 7<br />

5 Das Thema Bildung wird ressortübergreifend von den Fachverwaltungen Jugend, Kultur<br />

und Schule bearbeitet.<br />

6 Vgl.: Susanne Keuchel/Andreas Wiesand/Zentrum für Kulturforschung (Hg.), Das 1.<br />

Jugend-KulturBarometer „Zwischen Eminem und Picasso…“, Bonn 2006<br />

7 Susanne Keuchel/Markus Weber-Witzel/Zentrum für Kulturforschung, Culture to be.<br />

Das <strong>Düsseldorf</strong>er Jugend-Kulturkonzept. Anregungen <strong>ein</strong>er Generation für sich selbst,<br />

Bonn, 2009. Die aufgrund ihres spezifischen methodischen Ansatzes in Form von<br />

Kooperationen zwischen Kulturinstituten und Jugendlichen mit deutlich praxisorientierten<br />

Ergebnissen erstellte Studie wurde auf der zweiten Unesco-Weltkonferenz zur<br />

kulturellen Bildung (Arts Education) in Seoul im Mai 2010 unter dem Titel „An empirical<br />

experiment: Culture to be <strong>–</strong> Ideas of a generation for itself“ vorgestellt.<br />

32.7<br />

32 33


düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 1 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann


32 33


inTERViEw peTra wickenkamp


„ Ziel war es, etwas zu fördern,<br />

das neu war “<br />

Petra Wickenkamp <strong>ist</strong> leiterin Programmbereich Kulturelle Bildung, Stipendien,<br />

Social Entrepreneurship der vodafone Stiftung Deutschland, die <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong><br />

2004 gem<strong>ein</strong>sam mit dem Kulturamt der Stadt <strong>Düsseldorf</strong> ins leben rief. Thomas<br />

Weltner <strong>–</strong> <strong>ARTig</strong>-Mentor für Kommunikation <strong>–</strong> sprach mit ihr über <strong>ein</strong> kulturelles<br />

<strong>Bildungsprojekt</strong>, „das es so noch nie gab“ und ihre Liebe zur Fotografie.<br />

Thomas Weltner: liebe Frau Wickenkamp. Ich möchte Sie nach Ihrem ersten prägen-<br />

den <strong>ARTig</strong>-Moment fragen und wie <strong>ARTig</strong> Sie gefunden hat.<br />

34 35<br />

Petra Wickenkamp: Wir haben damals mit Gründung der Stiftung bei Null angefangen. Ich<br />

habe mich ans Kulturamt gewendet, um aus erster Hand zu erfahren, was es in <strong>Düsseldorf</strong><br />

überhaupt gibt, was man machen könnte. Ziel war es, etwas zu fördern, das neu war und nicht<br />

schon seit Jahren von anderen Unternehmen unterstützt wurde. Vor diesem Hintergrund<br />

haben wir uns im ersten Jahr zunächst bereits bestehende Projekte angeschaut. Unter anderem<br />

war damals <strong>ein</strong> Roundtable mit jungen Leuten geplant. Im Rahmen dieses Roundtables<br />

kam heraus, dass Vieles von dem, das in <strong>Düsseldorf</strong> als kulturelle Bildung für junge Leute<br />

angeboten wurde, nicht dem entsprach, was sie sich vorstellten. Verbilligte Museumskarten,<br />

<strong>ein</strong> reduzierter Eintritt in Oper und Schauspiel <strong>ist</strong> nicht ausschließlich, was die jungen Leute<br />

wollen, sondern vor allem auch selbst gestalten, selbst etwas machen. Die Jugendlichen<br />

suchten <strong>ein</strong>e Plattform, um sich künstlerisch entfalten und Ideen realisieren zu können.<br />

Das war der Moment, ab dem wir gesagt haben: Das <strong>ist</strong> unser Ansatzpunkt, das <strong>ist</strong> das, was<br />

wir uns vorgestellt haben.<br />

Das war in <strong>Düsseldorf</strong> (und nicht nur hier in <strong>Düsseldorf</strong>, wie wir jetzt inzwischen wissen) die<br />

Nische im Bereich kultureller Bildung, die absolut unbesetzt war und gut zu uns passte. Dass<br />

sich daraus <strong>ein</strong>mal das entwickeln würde, was wir heute haben, hat natürlich damals k<strong>ein</strong>er<br />

gedacht. Aber es war eben von der Idee her etwas ganz Neues, Innovatives, etwas, das die<br />

herkömmliche Vorstellung von kultureller Bildung über den Haufen warf. Bislang bestimm-


inTERViEw peTra wickenkamp<br />

ten im Kulturbetrieb tätige Erwachsene, was junge Leute wollten. Wir überließen nun den<br />

jungen Leuten selbst, was sie tun wollen <strong>–</strong> was ja eigentlich schon sehr viel „Wagemut“<br />

voraussetzt, weil man nie weiss, wo es hinläuft. Aber wir hatten zum Glück <strong>–</strong> besonders mit<br />

Muna und der ursprünglichen <strong>ARTig</strong>-Gruppe <strong>–</strong> junge Leute gefunden, denen es genauso<br />

ernst war wie uns, etwas Dauerhaftes und Nachhaltiges zu konzipieren und zu etablieren.<br />

Ist das auch gleichzeitig die herausforderung für Sie, dass das k<strong>ein</strong> Projekt <strong>ist</strong> wie jedes<br />

andere? Ein Projekt, in dem Jugendliche zum größten Teil alles selbst bewegen?<br />

Es war <strong>ein</strong>e Herausforderung für uns als Stiftung, es war aber vor allen Dingen <strong>ein</strong>e unglaub-<br />

liche Herausforderung für die jungen Leute, denen wir neue Möglichkeiten eröffnet haben.<br />

Es war <strong>ein</strong> Geben und Nehmen. Sie wussten zu schätzen, dass wir ihnen alle Freiheiten<br />

gegeben haben, und sie haben uns nicht enttäuscht, sondern von sich aus alles gegeben,<br />

damit das Projekt <strong>ein</strong> Erfolg wurde.<br />

So richtig gepackt hat es mich im Rahmen des ersten Festivals <strong>–</strong> als man zum ersten Mal <strong>ein</strong><br />

Ergebnis sehen konnte. In der Entstehungsphase war es super interessant und aufregend<br />

zu beobachten, aber man wusste noch nicht, was am Ende des Tages dabei herum kommt.<br />

Dabei war das erste Festival natürlich im Vergleich zu heute noch sehr rudimentär. Heute<br />

<strong>ist</strong> ja alles schon fast perfekt. Aber man sah eben das Potential, die Bege<strong>ist</strong>erung von Seiten<br />

der Jugendlichen, es passte auf <strong>ein</strong>mal alles zusammen.<br />

„ <strong>ARTig</strong> hat <strong>ein</strong>en neuen Aspekt kultureller Bildung<br />

aufgezeigt. “<br />

Gibt es <strong>ein</strong>e persönliche Geschichte, die Sie mit <strong>ARTig</strong> verbindet? Eine Geschichte,<br />

die Ihre persönliche verbindung zu <strong>ARTig</strong> gut beschreibt?<br />

Projekte, die mich immer besonders interessieren, sind die im Bereich Fotografie. Mich hat<br />

gleich im ersten Jahr fasziniert, welch unglaubliche Ideen, Fähigkeiten und Fertigkeiten in<br />

jungen Menschen ruhen. Im ersten Jahr war es <strong>ein</strong>e fantastische Schwarz-Weiß-Fotoreihe<br />

<strong>ein</strong>es jungen Mädchens, die mich wirklich umgehauen hat, weil ich nie damit gerechnet<br />

hätte, dass so etwas zustande kommt. Und ich glaube, das hat dazu geführt, dass ich nach<br />

wie vor besonders auf Fotoprojekte „anspringe“.


Was war das für <strong>ein</strong>e Fotoreihe?<br />

36 37<br />

Ich habe neulich noch Fotos aus der Reihe in der Hand gehabt. Lioba Keuck <strong>ist</strong> durch die<br />

Stadt gelaufen und hat ganz verschiedene Menschen in <strong>ein</strong>er für sie typischen Umgebung<br />

fotografiert. Ich bin heute noch fasziniert, wenn ich diese Fotos sehe, damals waren sie<br />

der Auslöser dafür, dass ich diese unglaublich enge Bindung zu <strong>ARTig</strong> entwickelt habe.<br />

Ich verantworte bei der Stiftung zahlreiche Projekte, doch man <strong>ist</strong> nicht unbedingt immer<br />

auch mit dem Herzen dabei. Diese Fotoserie hat mich für alle Zeiten zu <strong>ein</strong>em großen<br />

<strong>ARTig</strong>-Fan gemacht. Lioba Keuck hat später Fotografie studiert, was mich natürlich besonders<br />

freut.<br />

Wenn <strong>ARTig</strong> <strong>ein</strong>e Person wäre, wie wäre sie? Könnten Sie diese Person beschreiben?<br />

<strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> super-kreativ, super-innovativ, ganz offen für alles. Auf der <strong>ein</strong>en Seite alte Werte<br />

respektierend, aber auch Neues ausprobieren wollend, jung, aber auch weise. Man könnte<br />

wohl sagen, <strong>ARTig</strong> wäre <strong>ein</strong>e alterslose Person.<br />

Das bringt mich direkt auf die Frage nach den Grenzen von <strong>ARTig</strong>. Sie sagten, Sie<br />

seien auch sehr überrascht gewesen beim ersten Festival. Das erste Festival, das ich<br />

miterlebt habe (2009), hat mich ebenfalls sehr be<strong>ein</strong>druckt. Beim Festival 2010 jedoch<br />

hat man erlebt, dass auch Grenzen überschritten werden, dass die Jugendlichen sie<br />

auch bewusst suchen. Wie <strong>ist</strong> das mit den Grenzen? Wo sind die aus Ihrer Sicht und<br />

sollten die <strong>ARTig</strong>en sie überschreiten dürfen?<br />

Innerlich gibt es für mich k<strong>ein</strong>erlei Grenzen. Grenzen überschritten sehe ich eigentlich nur,<br />

wenn zum Beispiel gewisse Regeln des Anstands <strong>–</strong> auch diese sollte es im Freiraum <strong>ARTig</strong><br />

geben <strong>–</strong> vom Publikum nicht <strong>ein</strong>gehalten werden. Ich denke da an <strong>ein</strong>e Lesung, bei der <strong>ein</strong>ige<br />

Anwesende die erforderliche Ruhe nicht respektierten. M<strong>ein</strong>e spontane Reaktion war: Das<br />

darf im nächsten Jahr nicht mehr passieren. Aber <strong>ist</strong> das vielleicht schon zu erwachsen, zu<br />

‚un<strong>ARTig</strong>’, haben die Jugendlichen das gar nicht als so störend empfunden? Ich wüsste jetzt<br />

auch nicht, welches die richtige Antwort <strong>ist</strong>.<br />

M<strong>ein</strong>es Erachtens liegen die Grenzen innerhalb des Projektes im organisatorischen Bereich,<br />

weil die Jugendlichen natürlich alles sehr locker sehen, da würde ich als Erwachsener schon<br />

etwas anders rangehen. Aber hier stellt sich dann die Frage, soll man sich selbst dort <strong>ein</strong>bringen<br />

und damit Regeln setzen, Freiheiten Riegel vorschieben oder soll man es weiter so<br />

laufen lassen? Auf der <strong>ein</strong>en Seite <strong>ist</strong> natürlich <strong>ein</strong>e perfekte Veranstaltung ganz wunderbar.


inTERViEw peTra wickenkamp<br />

„ verbilligte Museumskarten, <strong>ein</strong> reduzierter Eintritt<br />

in oper und Schauspiel <strong>ist</strong> nicht ausschließlich,<br />

was die jungen leute wollen, sondern vor allem auch<br />

selbst gestalten, selbst etwas machen.“<br />

Aber passt das wirklich zu <strong>ARTig</strong>? Oder <strong>ist</strong> das Nichtperfekts<strong>ein</strong> vielmehr etwas, das den<br />

Charme dieses Projektes ausmacht.<br />

Es wird ja immer wieder diskutiert, ob <strong>ARTig</strong> zu perfekt wird. Das <strong>ist</strong> tatsächlich <strong>ein</strong>e<br />

interessante Frage. Was m<strong>ein</strong>en Sie? Ist es möglich, dass <strong>ARTig</strong> sich quasi selbst an<br />

<strong>ein</strong>e Grenze bringt, indem es »fertig« wird, indem es »zu professionell« wird und<br />

dann nicht mehr das hat, was es <strong>ein</strong>mal hatte <strong>–</strong> dieses unfertige, dieses Suchende,<br />

Jugendliche?<br />

Das glaube ich nicht. Es kommen immer wieder neue, ganz junge Menschen dazu, die auch<br />

immer wieder diesen jungen, diesen unfertigen Spirit mit <strong>ein</strong>bringen. Der <strong>ist</strong> unheimlich<br />

wichtig für dieses Projekt und darf auf k<strong>ein</strong>en Fall verloren gehen. Fertig <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> als Konzept,<br />

und als solches hat es sicherlich <strong>ein</strong>e positive Ausstrahlung auf die gesamte Jugendkultur-<br />

szene in <strong>Düsseldorf</strong>. Denn jeder, der sich in dem Umfeld bewegt, misst sich auch an dem,<br />

was bei <strong>ARTig</strong> passiert und präsentiert wird.<br />

Sie haben diesen Selbsterneuerungsfaktor bei <strong>ARTig</strong> angesprochen. Ist das Selbsterneuernde<br />

das, was <strong>ARTig</strong> am leben hält?<br />

Das ständig sich Erneuernde <strong>ist</strong> wichtig für <strong>ARTig</strong>. Ganz entscheidend <strong>ist</strong> aber auch <strong>ein</strong>e<br />

Konstante: das Projektteam. Wir haben <strong>ein</strong> immer gleichbleibendes Herzstück, zwar mit<br />

wechselnden Teilnehmern, aber <strong>ein</strong>er gem<strong>ein</strong>samen Idee, der <strong>ARTig</strong>en. Um dieses Herzstück<br />

formt sich <strong>ein</strong>e größere Gruppe, nach innen fest und nach außen lockerer, wie bei<br />

<strong>ein</strong>em Magneten, der nur <strong>ein</strong> bisschen anzieht, was weit weg <strong>ist</strong>, und immer stärker wird, je<br />

näher man ihm kommt. Mal löst sich <strong>ein</strong> Stück des Kerns, dafür kommt <strong>ein</strong> neues dazu. Das,<br />

glaube ich, macht eigentlich den Erfolg von <strong>ARTig</strong> aus, die Kombination von „Urgest<strong>ein</strong>“,<br />

und „Freshman“.


Was würden Sie aus Ihrer Sicht sagen, was <strong>ARTig</strong> werden sollte oder bleiben sollte?<br />

Ich glaube, es wäre <strong>ein</strong>e Gefahr, <strong>ein</strong>e Wunschvorstellung von <strong>ein</strong>em zukünftigen <strong>ARTig</strong> zu<br />

haben, auch die Entwicklung von <strong>ARTig</strong> sollte offen bleiben. Im Moment <strong>ist</strong> aus m<strong>ein</strong>er Sicht<br />

<strong>ARTig</strong> genau das, was es s<strong>ein</strong> sollte, <strong>ein</strong>e Art Labor, in dem sich Jugendliche ausprobieren<br />

können, <strong>ein</strong>e Plattform für künstlerisches Schaffen, die offensichtlich in der derzeitigen<br />

Form den Bedürfnissen der jungen Menschen voll entspricht. Diese Plattform <strong>ist</strong> nach allen<br />

Seiten offen, so dass immer spontan entschieden werden kann, in welche Richtung es weiter<br />

gehen soll.<br />

Was bedeutet <strong>ARTig</strong> für die Bildungslandschaft <strong>Düsseldorf</strong><br />

und die Arbeit der Stiftung?<br />

<strong>ARTig</strong> hat <strong>ein</strong>en neuen Aspekt kultureller Bildung aufgezeigt. In der <strong>Düsseldorf</strong>er Kulturlandschaft<br />

<strong>ist</strong> das Projekt <strong>ein</strong>zigartig und hat damit auch ganz klar s<strong>ein</strong>en festen Platz im<br />

Portfolio der Vodafone Stiftung. Für die Stiftung wünsche ich mir, dass wir es zukünftig mehr<br />

mit unseren anderen Projekten verzahnen. Unser Bildungsschwerpunkt bietet diesbezüglich<br />

sicherlich Ansatzmöglichkeiten.<br />

„ Mich hat gleich im ersten Jahr fasziniert,<br />

welch unglaubliche Ideen, Fähigkeiten<br />

und Fertigkeiten in jungen Menschen ruhen.“<br />

Die Wahrnehmung von <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> über die Grenzen von <strong>Düsseldorf</strong> hinaus <strong>ein</strong>e sehr<br />

positive. Das Projekt wurde mehrfach ausgezeichnet <strong>–</strong> zuletzt gerade im Wettbewerb<br />

»Land der Ideen«. Halten Sie es für denkbar, dass es auch Ableger findet ?<br />

Es war immer m<strong>ein</strong> Wunsch, <strong>ARTig</strong> auch in andere Städte zu bringen. Wo immer das Projekt<br />

präsentiert wird, findet es großen Anklang. Aber man sollte nicht vergessen, dass es drei<br />

Parteien braucht, um das Projekt zu implementieren: <strong>ein</strong>en Förderer, <strong>ein</strong>en Projektpartner<br />

und vor allen Dingen <strong>ein</strong> Projektteam. In <strong>Düsseldorf</strong> hat von Anfang an alles zusammen<br />

gepasst, das war das Besondere. Diese optimalen Bedingungen wieder zu finden, dürfte<br />

schwer s<strong>ein</strong>.<br />

38 39


inTERViEw peTra wickenkamp<br />

Abschließend die Frage: Sie sammeln <strong>ARTig</strong>-Kunst für die Stiftung, aber auch für sich<br />

persönlich. Welche Bedeutung haben die Kunstwerke für Sie?<br />

Ich finde es wichtig, den jungen Künstlern durch den Kauf der Kunstobjekte Anerkennung<br />

zu zollen und Beifall zu spenden. Und es gefällt mir, den Schaffensprozess zu verfolgen, an<br />

dessen Ende das fertige Produkt zu sehen und mich langfr<strong>ist</strong>ig daran zu erfreuen.<br />

verfolgen sie die jungen Künstlerinnen und Künstler, von denen sie Werke haben?<br />

Wir sind natürlich daran interessiert zu verfolgen, was aus den von uns geförderten jungen<br />

Menschen wird. Und wir sind ganz besonders stolz, wenn wir hören, dass <strong>ein</strong> Teilnehmer sich<br />

beruflich im Bereich Kunst/Kultur orientiert.<br />

Wie <strong>ist</strong> denn der Bestand an Kunstwerken inzwischen bei der Stiftung? Könnte sich<br />

vielleicht irgendwann <strong>ein</strong>e Ausstellung lohnen mit ehemaligen Werken?<br />

Inzwischen verfügen wir schon über <strong>ein</strong>e kl<strong>ein</strong>e <strong>ARTig</strong>e Kunstsammlung. Wir bemühen uns,<br />

immer alles auszustellen. Dass die Objekte wie in <strong>ein</strong>em Museum in <strong>ein</strong>em Archiv verschwinden,<br />

versuchen wir zu vermeiden. Wenn sie bei uns in der Stiftung k<strong>ein</strong>en Platz finden, kommen<br />

sie irgendwo anders im Hause Vodafone zur Ausstellung . Ich würde auch gerne <strong>ein</strong>mal<br />

<strong>ein</strong>e öffentlich zugängliche Ausstellung machen, nur gibt es hier leider derzeit dafür k<strong>ein</strong>e<br />

geeigneten Räumlichkeiten.<br />

vielleicht demnächst im neuen vodafone campus …<br />

Das würde ich mir wünschen.<br />

vielen Dank für das Interview.


„ Diese Plattform <strong>ist</strong> nach allen Seiten offen, so dass<br />

immer spontan entschieden werden kann, in welche<br />

Richtung es weiter gehen soll.“<br />

40 41


VERTRAuEn inS innERE günTHer (günni) HeSSelBarTH, arTig vi


Wer kennt es nicht <strong>–</strong> das endlos flaue Gefühl im Bauch, den grenzenlosen Zorn,<br />

das Kribbeln der Euphorie. Gefühle sind Zündstoff der Kunst. Sie sind sowohl<br />

schön als auch grausam. unterdrücke sie nicht, denn sie gehören zu dir und<br />

zu mir; sie treiben uns an. lass sie zu, spüre sie. W<strong>ein</strong>e, wenn dir danach <strong>ist</strong>,<br />

sei zornig, wenn dir danach <strong>ist</strong>. Lächle, wenn du glücklich b<strong>ist</strong>. Wer empfindet,<br />

der lebt. Tanz <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> Abbild der Emotionen.<br />

42 43


PAPiER vero endemann, arTig vii


Durch Einfarbigkeit wird das Augenmerk auf Silhouette, volumen, Raum,<br />

Licht und Schatten, beziehungsweise Oberfläche gelenkt, was bewirkt,<br />

dass sich die Konzentration auf das Skulpturelle bezieht.<br />

44 45


noBEL GEhT DiE wELT zuGRunDE naTHalie zieTek, monika malczewSki, marie-THereS gröne, arTig vii


Ich will jede Sekunde in m<strong>ein</strong>en Adern spüren, als wäre es der letzte Atemzug.<br />

Ich mache<br />

After-Work-Party,<br />

Block<br />

lAN-Party,<br />

Party,<br />

Kuschelparty,<br />

Pyjama-Party,<br />

Stag<br />

Ü30,<br />

Party,<br />

Speeddating,<br />

Flatrate<br />

happy hour<br />

Saufen,<br />

und 3Tage wach.<br />

Ich bin nicht naiv. Ich will nur wissen, ob die Grenzen d<strong>ein</strong>er Welt m<strong>ein</strong>er standhalten.<br />

Ich will nicht viel, ich will nur alles.<br />

46 47


düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 2 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann


Vodafone Stiftung<br />

Deutschland gGmbH<br />

<strong>ARTig</strong> plus<br />

düsseldorf <strong>ist</strong> artig —.<br />

<strong>ein</strong> <strong>innovatives</strong><br />

BildungsProJeKt<br />

<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong><br />

Projektkoordination<br />

<strong>ARTig</strong> Ideenwettbewerb<br />

Kulturamt<br />

Stadt <strong>Düsseldorf</strong><br />

Team Team<br />

PR Grafik Mentoren<br />

Team<br />

Freie<br />

Teammitglieder<br />

48.1<br />

Netzwerk/Alumni<br />

( 2 )<br />

Spartenpaten<br />

von Petra Winkelmann<br />

<strong>ARTig</strong> sagt<br />

48 49


düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 2 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann<br />

Partizipation oder<br />

der Prozess düsseldorf <strong>ist</strong> artig<br />

Das Konzept von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>fach: Jugendliche<br />

zwischen 15 und 23 Jahren können sich <strong>ein</strong>mal jährlich im Früh-<br />

jahr beim Kulturamt mit ihren eigenen kreativen Ideen sowohl<br />

<strong>ein</strong>zeln als auch in Gruppen in den Sparten bildende Kunst, Litera-<br />

tur, Photographie, Tanz, Theater, Film und Musik bewerben. Eine<br />

Jury, an der die künstlerischen Mentoren, jugendliche Teammit-<br />

glieder und Vertreter von Stadt und Stiftung teilnehmen, wählt<br />

unter den Kriterien Konzept, Handwerk, Originalität und Experiment<br />

sowie Umsetzbarkeit die zu realisierenden Projektideen<br />

aus. Im Anschluss daran findet die Umsetzungsphase statt, in der<br />

die <strong>ARTig</strong>-Teilnehmer mit Unterstützung ihrer Mentoren an der<br />

Realisierung ihrer Ideen arbeiten, die im November im Rahmen<br />

des jährlich stattfindenden <strong>ARTig</strong>-Festivals in <strong>ein</strong>em professionellen<br />

Rahmen öffentlich präsentiert werden. Dieses Konzept wird<br />

seit 2004 umgesetzt, wobei jeder neue Projektdurchgang neue<br />

Erfahrungen und konkrete Verbesserungsideen mit sich bringt:<br />

<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> stets in Bewegung.<br />

In der Zusammenarbeit mit den Mentoren und dem <strong>ARTig</strong>-<br />

Team hat <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> s<strong>ein</strong>en Charakter und s<strong>ein</strong>e eigene<br />

Projektphilosophie entwickelt. 8 Dabei standen und stehen selbstverständlich<br />

die für alle Beteiligten wichtigen Festivalpräsentationen<br />

im Fokus. Das <strong>ist</strong> der Moment, auf den alle hinarbeiten:<br />

Jetzt verlassen die <strong>ARTig</strong>-Teilnehmer den geschützten Raum und<br />

48.2


Vodafone Stiftung<br />

Deutschland gGmbH<br />

zeigen öffentlich ihre künstlerischen Le<strong>ist</strong>ungen. Jeder Projektdurchgang<br />

endet mit diesem mehrtägigen Höhepunkt. Das Pub-<br />

Kulturamt<br />

Stadt <strong>Düsseldorf</strong><br />

likumsinteresse wächst kontinuierlich: Das <strong>ARTig</strong>-Festival 2010<br />

<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong><br />

hatte an vier Veranstaltungstagen circa 3.500 Besucher.<br />

Das Festival <strong>ist</strong> das Ergebnis monatelanger Arbeit. Als das<br />

wesentliche, nach außen weithin sichtbare Element von <strong>Düsseldorf</strong><br />

<strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> es <strong>ein</strong> Schaufenster jugendlicher Projektkoordination Kreativität.<br />

Die Festival-Organisation übernimmt das <strong>ARTig</strong>-Team unter Beteiligung<br />

von <strong>ARTig</strong>-Teilnehmern unter der Federführung der<br />

verantwortlichen, hauptamtlichen Projektleitung. Das betrifft<br />

die Organisation der künstlerischen Auftritte, die Festivaldurchführung<br />

<strong>ARTig</strong> und plusalles,<br />

was dazugehört <strong>ARTig</strong> wie zum Ideenwettbewerb<br />

Beispiel Proben,<br />

Einlass, Catering oder Soundchecks. Ohne gelebte Partizipation<br />

wäre <strong>ein</strong>e solche Beteiligung von Jugendlichen auf freiwilliger<br />

Basis nicht denkbar: <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> ihr Projekt.<br />

<strong>ARTig</strong> sagt<br />

Team Team<br />

PR Grafik Mentoren<br />

Team<br />

Freie<br />

Spartenpaten<br />

Teammitglieder<br />

9<br />

Weniger beachtet, aber für die Entwicklung des Projekts<br />

ebenfalls von Bedeutung <strong>ist</strong> das, was kontinuierlich und zwischen<br />

den Ideenwettbewerben geschieht: die gem<strong>ein</strong>samen<br />

Diskussionen, die Suche nach Lösungen ebenso wie die gem<strong>ein</strong>same<br />

Freude über den Erfolg von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> und die<br />

Überlegungen, wie man auf diesem Weg fortschreiten soll. Der<br />

kreative Ideenwettbewerb hat <strong>ein</strong>en Anfang und <strong>ein</strong> Ende <strong>–</strong> das<br />

<strong>ARTig</strong>-Netzwerk arbeitet immer.<br />

8 Zur Veranschaulichung der komplexen Organisationsstruktur befindet sich auf Seite<br />

49 des Buches <strong>ein</strong> Organigramm.<br />

9 Allerdings erwartet <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> diese Le<strong>ist</strong>ungen nicht ausschließlich eh-<br />

Netzwerk/Alumni<br />

renamtlich. Jugendliche, die sich für das Projekt engagieren, zum Beispiel Promotion<br />

machen oder Teile der Festivalorganisation übernehmen, erhalten <strong>ein</strong>e finanzielle<br />

Anerkennung oder Aufwandsentschädigung.<br />

48.3<br />

48 49


düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 2 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann<br />

Die gleichberechtigte Beteiligung von Jugendlichen bei der<br />

Projektentwicklung war s<strong>ein</strong>erzeit <strong>ein</strong> Novum. 10 Ausgehend von<br />

der Frage, was Jugendliche an dem umfangreichen und vielfältigen<br />

Kulturangebot <strong>Düsseldorf</strong>s vermissen, ergaben die Diskussionen<br />

mit ihnen unter anderem folgende Antworten:<br />

> Die Angebote der Kulturinstitute werden zwar als inhaltlich<br />

attraktiv empfunden, korrespondieren aber in Sprache<br />

und Form nicht mit dem Lebensgefühl und der Lebenswelt<br />

junger Menschen.<br />

> Die unmittelbare Ansprache durch andere Jugendliche<br />

als Multiplikatoren erhöht die Glaubwürdigkeit und baut<br />

Schwellenängste ab.<br />

> Es fehlen Möglichkeiten zur Entfaltung eigener kreativer<br />

Projekte.<br />

Grundsätzlich hat <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> den Anspruch und<br />

das Ziel, Jugendliche unabhängig von ihrer Herkunft und schulischen<br />

Bildung zu erreichen. <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> beteiligt Jugendliche<br />

mit unterschiedlichen sozio-kulturellen Hintergründen,<br />

die allerdings <strong>ein</strong>es gem<strong>ein</strong>sam haben: Sie sind selbst kreativ<br />

und wollen künstlerisch aktiv werden. Über die Begegnung auf<br />

freiwilliger Basis und in ihrem eigenen kreativen Handeln bietet<br />

<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>ein</strong>e neuartige Austauschplattform. 11 Losgelöst<br />

vom Kontext des Alltags werden die kreativen Ideen aller<br />

Teilnehmer diskutiert. Jede Idee wird mit Respekt behandelt.<br />

Dieser über die inhaltliche Aus<strong>ein</strong>andersetzung ermöglichte Austausch<br />

bietet <strong>ein</strong> gleichberechtigtes Mit<strong>ein</strong>ander unterschiedli-<br />

48.4


Vodafone Stiftung<br />

Deutschland gGmbH<br />

cher Hintergründe, Anschauungen und gestalterischer Entwürfe<br />

und <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> sozial-integratives Moment. Sobald die Teilnehmer<br />

in die Arbeitsphase <strong>ein</strong>steigen, steht das gem<strong>ein</strong>same Ziel, das<br />

<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong><br />

jeder für sich individuell erreichen will, im Focus. Alles andere<br />

lassen sie hinter sich.<br />

Projektkoordination<br />

12<br />

Neben der zentralen Bedeutung von Partizipation kennzeichnen<br />

folgende Aspekte die Philosophie und den Charakter<br />

von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong>: Künstler als Mentoren, Förderung, Netzwerk,<br />

Kommunikation und Nachhaltigkeit.<br />

<strong>ARTig</strong> plus<br />

<strong>ARTig</strong> Ideenwettbewerb<br />

Kulturamt<br />

Stadt <strong>Düsseldorf</strong><br />

Team Team<br />

PR Grafik Mentoren<br />

Team<br />

10 2004 beschreibt das Jugend-KulturBarometer dieses Vorgehen als innovativen Ansatz.<br />

Vgl.: ebd., S. 11, S. 237 ff. Freie<br />

Spartenpaten<br />

11 Obwohl die me<strong>ist</strong>en 15<strong>–</strong>23jährigen Teammitglieder<br />

<strong>ARTig</strong>-Teilnehmer Schüler weiterführender Schulen<br />

beziehungsweise Studenten sind, <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> k<strong>ein</strong> <strong>Bildungsprojekt</strong>, dessen Teilnehmer<br />

in erster Linie aus den traditionell kulturaffinen Herkunftsmilieus kommen.<br />

Insbesondere die seit 2004 wachsende Teilnahme von Jugendlichen mit Migrationshintergrund<br />

lässt den Schluss zu, dass <strong>ARTig</strong> auch diese gesamtgesellschaftliche Entwicklung<br />

reflektiert. Beim letzten Durchgang 2010 hatten circa 50 Prozent der Teilnehmer<br />

<strong>ein</strong>en Migrationshintergrund. Die me<strong>ist</strong>en von ihnen kamen aus Osteuropa<br />

oder Afrika.<br />

12 Ohne es programmatisch zu intendieren, hat <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> diesen Effekt und<br />

verwe<strong>ist</strong> damit auf <strong>ein</strong>e besondere Rolle, die Kunst in diesem Kontext spielt. Eben weil<br />

Netzwerk/Alumni<br />

sich hier künstlerischer Inhalt, Ausdruck und Gestaltung zweckfrei entwickeln können,<br />

kann sich auch die den Künsten genuin zugrunde liegende, künstlerische Aus<strong>ein</strong>andersetzung<br />

des Eigenen mit dem Fremden kreativ und konstruktiv entfalten.<br />

48.5<br />

<strong>ARTig</strong> sagt<br />

48 49


düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 2 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann<br />

Künstler als Mentoren 13 :<br />

„Zen oder die Kunst, <strong>ein</strong> artiger zu s<strong>ein</strong>“<br />

Bereits während der Erarbeitung des Konzepts für Düssel-<br />

dorf <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> wurde deutlich, wie wichtig die inhaltliche, künst-<br />

lerisch-fachliche Begleitung bei der Realisierung der im Zuge des<br />

Wettbewerbs ausgewählten Projektideen s<strong>ein</strong> würde. Die dabei<br />

entwickelte Idee <strong>ein</strong>er künstlerischen Mentorenschaft, die den<br />

Jugendlichen die Möglichkeit gibt, ihre Ideen mit Unterstützung<br />

professioneller und in der Vermittlungspraxis erfahrener Künstler<br />

umzusetzen, sollte sich nicht nur als die richtige Antwort<br />

auf die Frage nach <strong>ein</strong>er fachlichen Begleitung erweisen, sondern<br />

auch zu <strong>ein</strong>em Spezifikum von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> werden.<br />

Die künstlerische Betreuung durch die Mentoren vollzieht<br />

sich weitab von Unterricht oder ästhetischer Einflussnahme. Die<br />

Mentoren begegnen den <strong>ARTig</strong>-Teilnehmern auf Augenhöhe und<br />

arbeiten individuell mit ihnen zusammen. 14<br />

Die Mentoren können und sollen <strong>ein</strong>er künstlerischen<br />

professionellen Ausbildung nicht vorgreifen, sondern die Viel-<br />

falt künstlerischer Arbeitsformen vorstellen beziehungsweise<br />

vorleben, und haben folgende Aufgaben:<br />

48.6


Vodafone Stiftung<br />

Deutschland gGmbH<br />

> Begleiter im künstlerischen Prozess<br />

> Ansprechpartner in organisatorischen Fragen<br />

> Vermittler zwischen der Projektleitung und den Projektteil-<br />

<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong><br />

nehmern<br />

> Schnittstelle zu <strong>ein</strong>er aktiven künstlerischen Szene.<br />

Bei der Auswahl der Mentoren spielen Projektkoordination<br />

folgende Aspekte <strong>ein</strong>e<br />

entscheidende Rolle:<br />

> dass sie <strong>ein</strong>e professionelle künstlerische Ausbildung haben<br />

und selbst künstlerisch aktiv sind, sich also kontinuierlich<br />

<strong>ARTig</strong> mit eigenen plus kreativen Schaffensprozessen <strong>ARTig</strong> Ideenwettbewerb aus<strong>ein</strong>ander-<br />

setzen,<br />

> dass sie über pädagogische Praxis verfügen und gerne mit<br />

Jugendlichen zusammenarbeiten,<br />

Kulturamt<br />

Stadt <strong>Düsseldorf</strong><br />

<strong>ARTig</strong> sagt<br />

> dass<br />

Team<br />

sie in <strong>Düsseldorf</strong><br />

Team<br />

ansässig, ansprechbar<br />

PR<br />

und aktiv Grafiksind<br />

und sich in der lokalen Kunstszene auskennen,<br />

Mentoren<br />

Team<br />

> dass sie Lust haben, sowohl die Vernetzung innerhalb der eigenen<br />

Sparte voranzutreiben als auch mit den übrigen Mentoren<br />

und dem <strong>ARTig</strong>-Team im regelmäßigen Austausch zu<br />

Freie<br />

stehen (<strong>ARTig</strong>-Netzwerk).<br />

Spartenpaten<br />

Teammitglieder<br />

13 Diese Beschreibung geht in Teilen auf die Masterarbeit von Muna Zubi unter dem Titel<br />

„Herausforderungen an die partizipationsorientierte Kulturelle Bildung am Beispiel<br />

des Jugendkunstprojektes <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong>“ zurück, die sie im August 2009 an der<br />

Hochschule für Musik und Theater Hamburg, Institut für Kultur- und Medienmanagement,<br />

vorlegte.<br />

14 Die Rolle und Haltung von Künstlern in den vom Kulturamt initiierten und durchgeführten<br />

<strong>Bildungsprojekt</strong>en <strong>ist</strong> zentraler Aspekt in der Arbeit von Künstlern in schulischen<br />

Netzwerk/Alumni<br />

und außerschulischen Vermittlungsprozessen und Gegenstand von Fortbildungen und<br />

Reflektionen. Künstler werden nicht pädagogisiert und sollen nicht als Betreuer und<br />

Lehrer, sondern aus ihrem genuinen Selbstverständnis als Künstler agieren.<br />

48.7<br />

48 49


düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 2 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann<br />

Die Mentoren geben auf Wunsch Hilfestellung. Ihr Einfluss<br />

auf den kreativen Prozess und s<strong>ein</strong>e Ergebnisse <strong>ist</strong> konzeptionell<br />

bewusst begrenzt. Dennoch übernehmen sie <strong>ein</strong>e große Verantwortung<br />

für die Jugendlichen, denn <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> versteht<br />

sich als <strong>ein</strong> Experimentierfeld, auf dem Jugendliche sich künstlerisch-kreativ<br />

ausprobieren können und sollen. Die Themen<br />

Einflussnahme auf künstlerischen Inhalt und Ausdruck und die<br />

Möglichkeit des Scheiterns künstlerischer Projekte von Jugendlichen<br />

beschäftigen die Mentoren kontinuierlich. Die Balance<br />

zwischen Einfluss- und Zurücknahme muss jeweils individuell<br />

gefunden werden.<br />

Um den Kontakt zu den jugendlichen Teilnehmern zu ver<strong>ein</strong>fachen,<br />

Verständnisschwierigkeiten auszuschließen und um<br />

die Mentoren zu unterstützen, gibt es die sogenannten Spartenpaten,<br />

me<strong>ist</strong> ehemalige <strong>ARTig</strong>-Teilnehmer, die die Zusammenarbeit<br />

zwischen den Mentoren und den Projektteilnehmern<br />

spartenbezogen begleiten und unterstützen.<br />

Wie die <strong>ARTig</strong>-Mentoren selbst ihre Rolle verstehen, verdeutlicht<br />

das Leitbild, das sie gem<strong>ein</strong>sam erarbeitet haben, und<br />

das nicht nur die konkrete Situation beschreibt, sondern auch<br />

Rolle und Haltung von Künstlern in Vermittlungskontexten reflektiert:<br />

„Mentor <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>e Figur aus Homers Epos Odyssee. Im übertrage-<br />

nen Sinne <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> Mentor <strong>ein</strong> älterer <strong>–</strong> kluger und wohlwollender <strong>–</strong><br />

Berater und Begleiter <strong>ein</strong>es jungen Menschen. Bei Homer <strong>ist</strong> er<br />

<strong>ein</strong> Freund des Helden Odysseus und Beschützer von Telemachos,<br />

Odysseus’ Sohn. Während der zehnjährigen Irrfahrten des Odysseus<br />

nahm auch die Göttin Athene gelegentlich Mentors Gestalt<br />

an, um Telemachos zu beraten und zu unterstützen.<br />

48.8


Vodafone Stiftung<br />

Deutschland gGmbH<br />

> Wir Mentorinnen und Mentoren verstehen die Mentorenschaft<br />

als die ideale Form der Vermittlung ästhetischer Bildungsinhalte.<br />

<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong><br />

> Wir betrachten die <strong>ARTig</strong>-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer<br />

als eigenverantwortliche Akteure und begleiten sie<br />

konstruktiv.<br />

Projektkoordination<br />

> Wir ermöglichen die Entwicklung <strong>ein</strong>er individuellen Ästhetik<br />

und <strong>ein</strong>es künstlerischen Ausdrucks.<br />

> <strong>ARTig</strong> Wir ermutigen plus sie, ihrer Intuition, <strong>ARTig</strong> ihren Ideenwettbewerb<br />

eigenen Ideen und<br />

Fähigkeiten zu vertrauen.<br />

> Wir fördern Selbstwahrnehmung und Selbstbestimmung.<br />

Kulturamt<br />

Stadt <strong>Düsseldorf</strong><br />

Team Team<br />

PR Grafik Mentoren<br />

Team<br />

> Wir ermöglichen <strong>ein</strong>en Einblick in künstlerische Schaffensprozesse<br />

und künstlerische Berufe.<br />

> Wir sind Fürsprecher, nicht Erzieher, Fragesteller, nicht<br />

Freie<br />

Antwortgeber. Wir schauen Spartenpaten<br />

Teammitglieder über die Schultern und stehen<br />

nicht im Weg.“ 15<br />

15 Das Mentorenleitbild wurde von den Mentoren von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> VII (2010)<br />

Netzwerk/Alumni<br />

entwickelt. Beteiligt waren: Klaus Sievers (bildende Kunst), Bianca Künzel (Theater),<br />

Nils Kemmerling (Film), Taki Kiometzis (Fotografie), Andrea Canta (Musik), Pamela<br />

Granderath (Literatur), Amelie Jalowy (Tanz) und Thomas Weltner (Kommunikation).<br />

48.9<br />

<strong>ARTig</strong> sagt<br />

48 49


düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 2 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann<br />

Grundsätzlich verständigten sich Mentoren, Spartenpaten und<br />

Projektleitung darauf:<br />

> den Status quo aller Projekte transparent zu machen und in<br />

regelmäßigen Treffen innerhalb der jeweiligen Teams über<br />

die Probleme zu sprechen und Lösungen zu finden,<br />

> bei kritischen Entwicklungen offen mit den Teilnehmern<br />

umzugehen und sie individuell anzusprechen. Sind Selbstbewussts<strong>ein</strong>,<br />

emotionale Reife und Selbstreflektion so weit<br />

entwickelt, dass <strong>ein</strong>e öffentliche Präsentation Möglichkeiten<br />

zur Weiterentwicklung bietet oder würde die Verunsicherung<br />

dominieren?<br />

> in Klärungsprozesse immer die Spartenpaten und/oder<br />

<strong>ARTig</strong>-Team-Mitglieder <strong>ein</strong>zubeziehen,<br />

> im Notfall den Präsentationsrahmen des Projektes zu verändern,<br />

zum Beispiel auf <strong>ein</strong>e kl<strong>ein</strong>ere Bühne zu verlegen,<br />

um die Teilnehmer und ihr Projekt nicht zu überfordern.<br />

Der Anspruch, den <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> an s<strong>ein</strong>e Mentoren stellt,<br />

<strong>ist</strong> hoch. Die Zusammenarbeit mit Jugendlichen <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>e große<br />

Verantwortung und manchmal auch <strong>ein</strong>e Herausforderung:<br />

„So lernt man als Mentor notgedrungen, gelassen zu bleiben.<br />

Wenn mir unwohl <strong>ist</strong>, muss ich Argumente finden, um<br />

andere zu überzeugen. Gelingt das nicht <strong>–</strong> was nicht selten passiert<br />

<strong>–</strong> muss ich andere Lösungen ertragen. Zen oder die Kunst,<br />

<strong>ein</strong> <strong>ARTig</strong>er zu s<strong>ein</strong>“, beschreibt Klaus Sievers, Künstler und von<br />

48.10


Vodafone Stiftung<br />

Deutschland gGmbH<br />

2005 bis 2010 <strong>ARTig</strong>-Mentor für bildende Kunst, s<strong>ein</strong>e Rolle. Hier<br />

wird die Haltung der Mentoren deutlich: Sie müssen die Eigen-<br />

Kulturamt<br />

Stadt <strong>Düsseldorf</strong><br />

verantwortung der Teilnehmer zulassen und gegebenenfalls das<br />

<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong><br />

Zurückbleiben hinter eigenen Ansprüchen ertragen <strong>–</strong> <strong>Düsseldorf</strong><br />

<strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> versteht sich auch als <strong>ein</strong> Schutzraum für kreative<br />

(Selbst-)Experimente.<br />

Die <strong>ARTig</strong>-Teilnehmer selbst bewerten Projektkoordination<br />

die Zusammenarbeit<br />

mit den Mentoren grundsätzlich positiv: Die fachliche Begleitung<br />

und Unterstützung, neue Impulse, Lernen von den Professionellen<br />

werden besonders hervorgehoben. Künstler, die professionell<br />

arbeiten und über <strong>ein</strong> künstlerisches Umfeld und künstlerische<br />

Produktionsbedingungen <strong>ARTig</strong> plus verfügen, zum <strong>ARTig</strong> Beispiel Ideenwettbewerb<br />

über Ateliers,<br />

Tanzstudios, Photolabore, erweitern den Horizont und zeigen<br />

interessante Berufsfelder auf. Die Mentoren gewähren Einblicke<br />

in ihr Leben und ihre Erfahrungen als Künstler.<br />

<strong>ARTig</strong> sagt<br />

Die<br />

Team<br />

fachliche und technische<br />

Team<br />

Hilfestellung<br />

PR<br />

durch Grafik die Mentoren<br />

spielt <strong>ein</strong>e große Rolle, zum Beispiel bei der Entwicklung<br />

<strong>ein</strong>es konzeptionellen Ansatzes in der Dramaturgie <strong>ein</strong>es Tanzoder<br />

Theaterstückes oder bei der Arbeit im Aufnahmestudio.<br />

Mentoren<br />

Team<br />

Aber man lernt auch den Umgang mit Kritik und das Erkennen<br />

Freie<br />

und Akzeptieren von Realisierungsgrenzen Spartenpaten<br />

Teammitglieder <strong>–</strong> <strong>ein</strong> nicht selten<br />

auftauchendes Thema <strong>–</strong> und den konstruktiven Umgang mit den<br />

Bedingungen.<br />

Das Mentorenprinzip hat sich in unterschiedlicher personeller<br />

Besetzung bewährt.<br />

48.11<br />

Netzwerk/Alumni<br />

48 49


düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 2 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann


Vodafone Stiftung<br />

Deutschland gGmbH<br />

<strong>ARTig</strong> plus<br />

<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong><br />

Projektkoordination<br />

<strong>ARTig</strong> Ideenwettbewerb<br />

Kulturamt<br />

Stadt <strong>Düsseldorf</strong><br />

Team Team<br />

PR Grafik Mentoren<br />

Team<br />

Freie<br />

Teammitglieder<br />

Netzwerk/Alumni<br />

Spartenpaten<br />

<strong>ARTig</strong> sagt<br />

48 49


inTERViEw muna zuBi


„ Ich war immer Team,<br />

ich war nie Teilnehmerin.“<br />

Muna Zubi „musste das <strong>ein</strong>fach machen“, so ihre vorgängerin Martina Stec-Meiert. Sie<br />

sei die Richtige zur rechten Zeit gewesen. Muna Zubi <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong>-Projektkoordinatorin<br />

seit 2009 und kennt <strong>ARTig</strong> wie wenige sonst. Sie gehörte bereits zum Kreis der jungen<br />

Experten, die 2004 das Projekt aus der Taufe hoben. „Wir haben <strong>ein</strong>ander gefunden“,<br />

erzählt Muna Zubi. <strong>ARTig</strong>-Mentor Thomas Weltner verriet sie, wie <strong>ARTig</strong> und sie sich<br />

verliebten, aus den Augen verloren und schließlich wiederfanden.<br />

Thomas Weltner: Muna, findet <strong>ARTig</strong> die s<strong>ein</strong>en? Wie hat <strong>ARTig</strong> Dich gefunden?<br />

Muna Zubi: Man findet sich, indem man angefixt wird. Die me<strong>ist</strong>en, seien es Teilnehmer,<br />

Mentoren oder andere Mitgestalter, werden über Funkenflug infiziert. Tröpfcheninfektion <strong>–</strong><br />

aber es klingt nicht so schön. Du kriegst irgendwo etwas <strong>ARTig</strong>es mit; am Anfang waren es<br />

<strong>ein</strong>fach nur diese drei, vier Leute, die so bege<strong>ist</strong>ert über <strong>ein</strong>e Möglichkeit gesprochen haben.<br />

Hinterher waren es dann die Festivals oder Leute, die davon erzählt haben. Ich denke, das<br />

<strong>ist</strong> der Weg <strong>–</strong> etwas Lebendiges mitzukriegen, das <strong>ein</strong>en bege<strong>ist</strong>ert. Unsere Medien und die<br />

Werbung sind sicher wichtig, aber im Kern läuft alles über Beziehung und Bege<strong>ist</strong>erung.<br />

Bei mir <strong>ist</strong> das <strong>ein</strong> wenig anders. Vielleicht hat <strong>ARTig</strong> mich gefunden, aber ich habe auch<br />

<strong>ARTig</strong> gefunden. Wir haben <strong>ein</strong>ander gefunden.<br />

Was wäre denn D<strong>ein</strong>e persönliche Geschichte mit <strong>ARTig</strong>?<br />

50 51<br />

Eine Liebesgeschichte, aber <strong>ein</strong>e sehr reale Liebesgeschichte, nicht so hollywoodmäßig.<br />

Man geht abends los auf <strong>ein</strong>e Party, man rechnet eigentlich mit gar nichts und auf <strong>ein</strong>mal<br />

dreht man sich um denkt: „Wow, hallo, wer b<strong>ist</strong> Du denn, kennen wir uns nicht“? „Nee, wir<br />

kennen uns nicht, aber da <strong>ist</strong> etwas zwischen uns.“ Also nicht die gleich Liebe auf den ersten<br />

Blick, aber <strong>ein</strong> großes Interesse an diesem attraktiven Typ. Man will sich auf jeden Fall näher<br />

kennen lernen! Das erste Festival würde ich dann als <strong>ein</strong>en Punkt bezeichnen, wo es Boom<br />

gemacht hat. Wo wir ganz berauscht waren und völlig von<strong>ein</strong>ander bege<strong>ist</strong>ert.


inTERViEw muna zuBi<br />

Das erste Festival?<br />

Genau, vielleicht auch die erste <strong>ARTig</strong>-Pressekonferenz … Der Moment, in dem man merkt,<br />

das funktioniert, und das erste Festival, waren die Momente, als man wirklich realisierte, was<br />

da grad passierte! Eine beginnende Liebe, die sich dann zwei, drei Jahre stetig entwickelt<br />

hat und an der ich mit ganzem Herzen hing und von der ich immer wieder berauscht war,<br />

jedes Jahr aufs Neue.<br />

Aber nach drei Jahren, so zum Ende m<strong>ein</strong>es BA-Studiums, wusste ich, dass ich zum Master<br />

nach Hamburg wechseln werde und habe auch gemerkt, dass ich nochmal etwas anderes<br />

will. Es <strong>ist</strong> schön, es macht Spaß, aber es <strong>ist</strong> gemütlich geworden. Ich glaub’, das <strong>ist</strong> so <strong>ein</strong><br />

bisschen das Beziehungsding, man merkt, es <strong>ist</strong> immer noch schön mit<strong>ein</strong>ander und man<br />

würde auch nicht gehen, wenn es nicht <strong>ein</strong>e Möglichkeit dazu gäbe. Wir hatten uns also in<br />

Freundschaft getrennt und sind auch immer so verblieben.<br />

Hamburg war aber auch der Ort, an dem ich Abstand gesucht habe, ich bin wenig nach<br />

<strong>Düsseldorf</strong> gefahren, auch nicht zu den Festivals und das sehr bewusst. Ich dachte immer,<br />

vielleicht hat <strong>ARTig</strong> <strong>ein</strong>e Neue und das möchte man ja auch nicht sehen, wenn der Ex da<br />

irgendwie rumknutscht, da sucht man sich dann lieber Ablenkung. Und die hatte ich dann<br />

in Hamburg auch, ich hab’ in <strong>ein</strong>er Stiftung gearbeitet, im Kindermuseum und bin noch mal<br />

ans Theater gegangen. Das war auch toll und berauschend.<br />

Zurück zu <strong>ARTig</strong> zu gehen hatte ich da gar nicht geplant. Aber irgendwann traf ich dann Martina<br />

in <strong>Düsseldorf</strong> zum Kaffee und sie sagte mir, dass sie jemanden braucht, der übernimmt,<br />

und was denn so m<strong>ein</strong>e Pläne wären für die Zukunft. Genau. Und das war dann, glaub’ ich,<br />

dieses Ding „man trifft sich wieder auf <strong>ein</strong>en Kaffee“ und auf <strong>ein</strong>mal sind da wieder Gefühle.<br />

Man hat sich zwei Jahre nicht gesehen, s<strong>ein</strong> eigenes Ding gemacht, hat irgendwelche anderen<br />

Affären gehabt, hat sich auch weiterentwickelt und trifft sich dann doch wieder.<br />

Ich glaube, ich hätte <strong>ARTig</strong> nicht so übernehmen können, wenn ich nicht zwischendurch<br />

weggewesen wäre. Ich musste erst noch was anderes sehen und kennen lernen. So konnte<br />

ich zurückgehen und auch ganz neue Sachen <strong>ein</strong>bringen.<br />

„ Wir schaffen das weniger durch Geld, sondern<br />

mehr durch Funkenschlag.“


und der Moment des sich wieder verliebens …?<br />

Das war super! Das war total super. Also, ich weiß nicht, wie lange ich überlegt habe, ich glaub’<br />

k<strong>ein</strong>e halbe Stunde. Als das hier losging, das war ja im August 2009, das war auch skurril, ich<br />

hatte noch fünf Tage vorher m<strong>ein</strong>e Master-Arbeit in Hamburg abgegeben, hatte dann <strong>ein</strong><br />

paar Tage zum Packen und Verabschieden, bin dann hier hingekommen und es ging gleich<br />

direkt richtig los. Das war heftig, aber auch toll, weil ich da gemerkt habe, wie viel Liebe und<br />

Bege<strong>ist</strong>erung immer noch dahinter stehen.<br />

Also <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> für alle <strong>ein</strong> „lebensabschnittgefährte.“<br />

Es <strong>ist</strong> ja nichts für die Ewigkeit, oder?<br />

Ja, es <strong>ist</strong> nichts für die Ewigkeit. Aber im besten Falle werden ja aus tollen Beziehungen die<br />

besten Freunde <strong>–</strong> mit Abstand und im positivsten Sinne.<br />

vielleicht macht es das aber auch aus, nicht so horizontlos in diesem Projekt zu sitzen.<br />

Jeder muss sich nach jedem Festival wieder abfragen, <strong>ist</strong> das nächste Festival<br />

für mich auch noch das Richtige? Das machen die Teilnehmer, das macht das Team,<br />

das machen die Mentoren.<br />

Und im besten Fall, wenn jemand Neues kommt, hat es genau diesen positiven Effekt. Das<br />

wäre ja utopisch, wenn Du erwartest, dass man nach soundsoviel Jahren trotzdem noch<br />

jeden Abend über<strong>ein</strong>ander herfällt, um mal beim Beziehungsthema zu bleiben. Das hat<br />

dann andere Qualitäten. Aber dieses Wilde <strong>ist</strong> dann vielleicht nicht mehr immer da. Und<br />

bei <strong>ARTig</strong> irgendwie die Taktung zu finden zwischen Kontinuität und Bege<strong>ist</strong>erung <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>e<br />

Herausforderung. Mentorenwechsel zum Beispiel können <strong>ein</strong>fach nicht sieben im Jahr s<strong>ein</strong>,<br />

sonst würden wir niemals <strong>ein</strong>e Beständigkeit in das Projekt hin<strong>ein</strong>kriegen.<br />

<strong>ARTig</strong> erneuert und findet sich immer wieder selbst …<br />

52 53<br />

Ja, es findet sich selbst und passt sich immer wieder selbst an. <strong>ARTig</strong> muss sich immer wieder<br />

selbst erfinden und auch immer wieder neue Leute r<strong>ein</strong>lassen. Es gibt natürlich <strong>ein</strong> paar<br />

Konstanten. Und das <strong>ist</strong> auch wichtig. Aber <strong>ARTig</strong> muss offen s<strong>ein</strong> und nicht nur an etwas<br />

festhalten. Also genau das Gegenteil von „Das machen wir schon seit sieben Jahren so und<br />

deshalb machen wir das auch weiter.“


inTERViEw muna zuBi<br />

„ Ich finde es auch total o.k. wenn es irgendwie <strong>ein</strong>,<br />

zwei leute gibt, die uns jedes Jahr am Ende mit<br />

ihrer Präsentation dann doch überraschen und wir<br />

sagen: ‚Äh, dass war aber so nicht abgesprochen …‘ <strong>–</strong><br />

das gehört auch dazu. Das sollen die auch.“<br />

Eine gewisse ungemütlichkeit sorgt dafür.<br />

Ja. Die Teilnehmer und Teammitglieder sind ja auch in <strong>ein</strong>em Alter, wo man, m<strong>ein</strong>er M<strong>ein</strong>ung<br />

nach, <strong>ein</strong>fach <strong>ein</strong> bisschen ungemütlich <strong>ist</strong>. Da kommen immer wieder Leute, die sagen:<br />

„Müssen wir wirklich dies und das produzieren oder müssen wir wirklich dieses oder jenes<br />

auf die Bühne bringen oder kann es nicht etwas ganz anderes s<strong>ein</strong>?“<br />

Du sagst, <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> unbequem, bequeme Projekte sind klar strukturiert, <strong>ein</strong>er hat<br />

das Sagen und so weiter. Aber wo sind <strong>ARTig</strong>s Grenzen und sollen die <strong>ARTig</strong>en sie<br />

überschreiten dürfen?<br />

Ich denke mir beispielsweise <strong>ein</strong>en Rahmen, <strong>ein</strong>en ganz schlichten grünen Holzrahmen.<br />

Dieser Rahmen wird <strong>ein</strong>fach durch die Strukturen des Projekts gegeben, er gibt Halt, <strong>ist</strong><br />

Präsentationsrahmen. M<strong>ein</strong>er M<strong>ein</strong>ung nach darf da inhaltlich alles r<strong>ein</strong>gepackt werden.<br />

Dass es immer mal auch Leute gibt, die über diesen Rahmen schwappen und die <strong>ein</strong> bisschen,<br />

wie in <strong>ein</strong>em Malbuch, über die vorgefertigte Linie krickeln, das darf und muss auch<br />

s<strong>ein</strong>, um das Ganze spannend zu halten. Andererseits glaube ich auch, dass es falsch <strong>ist</strong><br />

davon zu sprechen: Das <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>e Plattform, hier <strong>ist</strong> alles möglich, hier darf jeder alles. Wir<br />

haben ja jedes Jahr auch Diskussionen mit Teilnehmern, in denen es darum geht, dass wir<br />

doch nicht alles zulassen. Und deshalb finde ich diesen Rahmen wichtig, um Konstanz zu<br />

halten und um die gleichbleibende Sicherheit zu geben, dass dieses Projekt so funktioniert.<br />

Dass es <strong>ein</strong>, zwei Leute gibt, die uns jedes Jahr am Ende mit ihrer Präsentation dann doch<br />

überraschen, und wir sagen: „Äh, das war aber so nicht abgesprochen …“ <strong>–</strong> das gehört auch<br />

dazu. Das sollen die auch.


Also es geht wahrsch<strong>ein</strong>lich mehr ums „Grenzen austesten“.<br />

Wobei: „Grenzen austesten“ <strong>ist</strong> immer so <strong>ein</strong> „Pädagogik-Begriff“. Ich finde, das klingt so nach<br />

„Die Kinder probieren mal, wie weit sie gehen können“ und irgendwann kommt dann <strong>ein</strong>er<br />

und sagt, „Mmmh, so möchte ich das nicht!“ Ich glaube schon, dass die wirklich wollen, und<br />

ich finde es auch wichtig, zu diskutieren, warum bestimmte Grenzen <strong>ein</strong>gerissen werden<br />

sollen, und dann zu hinterfragen, was bedeutet denn diese Grenze für Dich, wofür steht die<br />

für Dich, was <strong>ist</strong> die Aussage? Und welche Form lässt sich dafür finden … Ich find’ halt den Vorteil<br />

bei <strong>ARTig</strong>, dass die Jugendlichen Feedback von Leuten bekommen, die selber Grenzen<br />

überschritten und ausgetestet haben, vielleicht damit auf die Nase gefallen sind oder sagen<br />

„Mach du das mal so.“ Und wichtig <strong>ist</strong> auch, dass sie das in der Gem<strong>ein</strong>schaft machen. Mir <strong>ist</strong><br />

unheimlich wichtig, dass wir uns in <strong>ein</strong>em gem<strong>ein</strong>schaftlichen Projekt bewegen.<br />

Siehst Du da auch D<strong>ein</strong>e wesentliche persönliche herausforderung bei <strong>ARTig</strong>,<br />

zu lenken?<br />

54 55<br />

Ich glaub’ schon, dass es <strong>ein</strong>e Herausforderung für mich <strong>ist</strong>, eben auch weil ich noch relativ<br />

nah an den Teilnehmern dran bin. Letztes Jahr (2010) habe ich das erste Mal <strong>ein</strong>en komplet-<br />

ten Durchlauf betreut, das war etwas völlig anderes als im Jahr davor, als ich die Teilnehmer<br />

erst im Sommer kennengelernt habe. So hatte ich zu vielen schon persönlichen Kontakt,<br />

das war mir auch wichtig, auch persönlich zu kommentieren oder Glück zu wünschen. Ich<br />

glaube, dadurch konnte ich auch viele Themen besser besprechen, weil die Teilnehmer das<br />

auch ganz anders wahrgenommen haben. M<strong>ein</strong> Job <strong>ist</strong> also auch, mal persönlich hinzugehen<br />

und zu erklären, dass leider k<strong>ein</strong>e 2000 Euro für d<strong>ein</strong>e glitzernden LED-Kostüme da<br />

sind. <strong>–</strong> Gibt’s alles! (lacht)<br />

Wenn <strong>ARTig</strong> <strong>ein</strong>e Person wäre, welchen charakter hätte diese sich stetig entwickelnde<br />

Persönlichkeit D<strong>ein</strong>er M<strong>ein</strong>ung nach?<br />

Ein wenig wankelmütig, chamäleonhaft, sehr anpassungsfähig, aber irgendwie dabei auch<br />

störrisch. <strong>ARTig</strong> kann sich schon an neue Sachen gewöhnen und <strong>ist</strong> auch bereit, neue Sachen<br />

aufzunehmen, wehrt sich aber auch gegen Manches und wehrt sich auch wie <strong>ein</strong> Organismus<br />

gegen etwas, das nicht gut für ihn <strong>ist</strong>: Er wird spucken, kranken, kotzen, Fieber kriegen. Das<br />

tut <strong>ARTig</strong> auch. Es wird von uns geformt, hat aber trotzdem s<strong>ein</strong>en eigenen Charakter. <strong>ARTig</strong><br />

setzt viel Emotion frei. Es schafft es, Leute auch an sich zu binden und <strong>ist</strong> sich selber treu,


inTERViEw muna zuBi<br />

geradezu liebevoll. Ich finde, es <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> sehr authentisch herzliches Projekt. Leute, die neu zu<br />

uns kommen sagen immer, sie finden es witzig, dass sich bei uns immer alle sofort umarmen.<br />

Die Mentoren umarmen sich alle unter<strong>ein</strong>ander und Teilnehmer auch.<br />

Könnte man sagen, dass <strong>ARTig</strong> damit <strong>ein</strong>en Nerv trifft? Gibt es nicht geradezu <strong>ein</strong><br />

globales gesellschaftliches Bedürfnis nach so etwas wie Authentizität, herzlichkeit,<br />

Wahrhaftigkeit?<br />

Total. Und ich glaube auch gerade bei jungen Menschen. Ich habe letzte Woche lange mit je-<br />

mandem über „Facebook“ geredet. M<strong>ein</strong>e M<strong>ein</strong>ung dazu <strong>ist</strong>, dass dieses ganze Socialmedia-<br />

Ding nicht funktioniert, wenn man nicht Beziehungen zu Menschen, Sachen, Projekten,<br />

Events, Instituten aufbaut. Das war etwas, was bei <strong>ARTig</strong> von der ersten Minute klar war. Man<br />

muss Beziehungen schaffen.<br />

Bliebe noch die Frage, was Du denkst, was <strong>ARTig</strong> werden sollte oder was es bleiben<br />

sollte?<br />

Es sollte nicht zu clean werden, nicht zu professionell. Wir sollten unsere Ausstrahlung <strong>–</strong> wir<br />

nennen das immer den „Rock ‘n‘ Roll“ <strong>–</strong> behalten. Weiter unkonventionelle Wege gehen, uns<br />

Herzlichkeit und Unbequemlichkeit erhalten. Dann wünsche ich mir auch, dass wir breiter<br />

werden, dass wir es schaffen, diese Energie, die jedes Jahr wieder neu entsteht beim Festival,<br />

auch zu halten und zu <strong>ein</strong>em Begriff zu machen, der nicht ausschließlich „Festival“ <strong>ist</strong>,<br />

sondern <strong>ein</strong> Ort <strong>–</strong> <strong>ein</strong> virtueller Ort oder räumlicher Ort, zu dem ich gehe, wenn ich mich für<br />

Kunst und Kultur interessiere. Das möchte ich unbedingt auch noch mehr schaffen, natürlich<br />

auch <strong>ein</strong>e finanzielle Frage … Doch ich glaube, wir schaffen das weniger durch Geld, sondern<br />

mehr durch Funkenschlag.<br />

Frau Winkelmann erzählte mir, sie würde oft gefragt: Wie haben Sie das gemacht<br />

mit <strong>ARTig</strong>? Wie realisiert man so etwas? Frage an Dich: hältst Du <strong>ARTig</strong> in anderen<br />

Städten für denkbar?<br />

Ich glaube, das kann funktionieren, wenn <strong>ein</strong>e Handvoll Mechanismen und Techniken, die<br />

wir benutzen, übertragen werden. Aber <strong>–</strong> ich denke auch, dass jeder s<strong>ein</strong> „eigenes <strong>ARTig</strong>“<br />

stricken muss. Wir können Leuten raten: Arbeitet direkt mit den Leuten, hört denen zu,<br />

vertraut denen, schafft Ressourcen, schafft Begegnungspunkte … Das sind alles Sachen,


„ <strong>ARTig</strong> setzt viel Emotion frei. Es schafft es,<br />

leute auch an sich zu binden und <strong>ist</strong> sich<br />

selber treu, geradezu liebevoll. Ich finde,<br />

es <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> sehr authentisch herzliches Projekt.“<br />

die <strong>ARTig</strong> immer gemacht hat, die funktioniert haben und die man, glaube ich, übertragen<br />

kann. Aber was daraus wird, ob das auch <strong>ein</strong> Festival wird, ob das <strong>ein</strong>e Workshop-Reihe wird<br />

oder ob das <strong>ein</strong> Sommercamp wird oder ob <strong>ein</strong> Straße <strong>ein</strong>e Woche lange gesperrt wird und<br />

man dort „Halligalli“ macht … das muss jede Stadt von ihren Ressourcen her betrachten, weil<br />

nicht jede Stadt auch das Glück hat, <strong>ein</strong>e Petra Winkelmann zu haben, und nicht jede Stadt<br />

auch das Glück hat, die finanziellen Ressourcen über die Vodafone Stiftung zu kriegen, und<br />

auch nicht den stadtspezifischen Kontext hat wie wir den haben.<br />

Ja eben, wo setze ich an? Welche Entwicklung will ich, welche interessiert mich? Was<br />

<strong>ist</strong> das Besondere und wie haben die das hinbekommen? Wie hat <strong>ARTig</strong> das geschafft,<br />

so zu s<strong>ein</strong>?<br />

Das war <strong>ein</strong> Stück weit auch Glück, zum Beispiel in der Besetzung der Leute. Ich weiß nicht,<br />

ob das in anderer Konstellation mit <strong>ein</strong>em anderen Team so funktioniert hätte. Es gibt <strong>ein</strong>ige<br />

gute Projekte, die sich mit der Zeit zerschießen, weil irgendwie persönliche Geschichten<br />

schief laufen … Es gibt ja 100 Gründe, warum so etwas in die Binsen gehen kann. Ein Stück<br />

weit <strong>ist</strong> es, glaube ich, auch <strong>ein</strong>e glückliche Konstellation gewesen, die sich da ergeben hat.<br />

Schönes Schlusswort.<br />

56 57


ARTiG fESTiVAL 2008 arTig v<br />

Klaus Sievers, was sollte <strong>ARTig</strong> werden …<br />

was sollte <strong>ARTig</strong> bleiben?<br />

<strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> und bleibt <strong>ein</strong>e Idee,<br />

<strong>ein</strong> versprechen, <strong>ein</strong> Traum.


<strong>ARTig</strong> v<br />

Festival 2008<br />

58 59


iPiAno Bio uTako waSHio, arTig vii


Wenn wir konsumieren, verschmutzen und belasten wir<br />

auf irgend<strong>ein</strong>e Weise die umwelt. Das <strong>ist</strong> traurig, aber wahr.<br />

Doch gibt es auch Wege, die wir als kreative Menschen<br />

gehen können, um die Auswirkungen auf die umwelt gering<br />

zu halten. Zum Beispiel <strong>ein</strong>fach weniger konsumieren<br />

und selber produzieren. Stromfresser aus und Köpfchen an!<br />

60 61


VERSchmELzunG Frederick kieFer, dragan milicevic, arTig vii


62 63<br />

Dort schläft er <strong>ein</strong>, aufwachen wird er nicht mehr.<br />

Wird ihn jemand vermissen?<br />

Wird ihn jemand überhaupt je finden?…


düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 3 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann


düsseldorf <strong>ist</strong> artig —.<br />

<strong>ein</strong> <strong>innovatives</strong><br />

BildungsProJeKt<br />

64.1<br />

( 3 )<br />

von Petra Winkelmann<br />

64 65


düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 3 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann<br />

förderung, netzwerk,<br />

Kommunikation und nachhaltigkeit<br />

Die Förderaspekte von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> sind vielfältig,<br />

weil das Projekt Jugendliche auf vielfältige Weisen beteiligt. Das<br />

<strong>ARTig</strong>-Netzwerk zeigt zudem neue Förderperspektiven und -inhalte<br />

auf und gem<strong>ein</strong>sam mit den kommunikativen Le<strong>ist</strong>ungen<br />

generiert es nachhaltiges Interesse. Neben <strong>ein</strong>er unmittelbaren<br />

künstlerisch-kreativen Förderung16 <strong>ist</strong> <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> zwischenzeitlich<br />

zu <strong>ein</strong>er Orientierungsplattform für Jugendliche<br />

und junge Erwachsene geworden, die sich im Übergang zwischen<br />

schulischer und beruflicher Ausbildung beziehungsweise Hochschulausbildung<br />

befinden.<br />

Die Aspekte Förderung, Netzwerk, Kommunikation und<br />

Nachhaltigkeit werden gem<strong>ein</strong>sam betrachtet, da sie <strong>ein</strong>e gem<strong>ein</strong>same<br />

Basis haben: die Gestaltung durch und die Beteiligung<br />

von Jugendlichen als ihre eigenen Experten.<br />

förderung<br />

Als Projekt zur Förderung jugendlicher Kreativität praktiziert<br />

<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>ein</strong>e breite Zielgruppenansprache. Das<br />

<strong>ist</strong> in erster Linie durch die persönliche Ansprache von Jugendlichen<br />

durch Jugendliche gewährle<strong>ist</strong>et. Bereits bei der Überle-<br />

64.2


gung zur Bewerbung des ersten Ideenwettbewerbs 2004 machten<br />

die Jugendlichen deutlich, dass <strong>ein</strong>e erfolgreiche Ansprache<br />

potentiell interessierter Jugendlicher nur dann gelingen könnte,<br />

wenn die Lebenswelt von Jugendlichen auch hier Eingang fände.<br />

Nicht aufwendig oder witzig gestaltete Werbemedien wurden als<br />

zielführend betrachtet, sondern der Weg der direkten Ansprache<br />

von Jugendlichen durch Jugendliche an ihren alltäglichen Orten<br />

wie Schule oder Jugendfreizeit<strong>ein</strong>richtung, aber auch im öffentlichen<br />

Raum, zum Beispiel die Einkaufsstraßen in der Altstadt. 17<br />

Zudem bietet <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> Sprechstunden für diejenigen<br />

an, die gerne mitmachen wollen und (noch) k<strong>ein</strong>e eigene<br />

Idee haben. Grundsätzlich unterstützt das <strong>ARTig</strong>-Team proaktiv<br />

alle am Projekt interessierten Jugendlichen. Und falls die eigenen<br />

kreativen Ideen noch nicht so weit s<strong>ein</strong> sollten, bieten sich<br />

die sogenannten Mitmachmöglichkeiten an, was bedeutet, dass<br />

man sich an <strong>ein</strong>em fremden Projekt beteiligt, zum Beispiel als<br />

Schauspieler, oder die Mitarbeit im <strong>ARTig</strong>-Team. Hier kann man<br />

die Erfahrungen und Ideen sammeln, um sich in <strong>ein</strong>em Jahr<br />

mit <strong>ein</strong>er eigenen Idee zu bewerben. Gerade jüngere Teilnehmer<br />

machen von dieser Einstiegsmöglichkeit Gebrauch.<br />

Wie eng die Förderung mit der Lebenswelt von Jugendlichen<br />

verbunden <strong>ist</strong> und wie umfassend sie von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong><br />

<strong>ARTig</strong> profitieren, zeigt die Entwicklung <strong>ein</strong>es Nebenaspektes,<br />

der für viele <strong>ARTig</strong>e <strong>ein</strong>e große Rolle spielt und vom <strong>ARTig</strong>-Team<br />

regelmäßig aufgegriffen wird: Berufsorientierung.<br />

16 Zur Wirkung der künstlerisch-kreativen Förderung siehe auch: Kai Krösche, <strong>ARTig</strong> wirkt<br />

17 Die Bedeutung von persönlicher Ansprache oder persönlicher Empfehlung wird in allen<br />

Untersuchungen zum Besucherverhalten als <strong>ein</strong>e der effektivsten Formen der Ansprache<br />

oder Empfehlung bestätigt.<br />

64.3<br />

64 65


düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 3 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann<br />

<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> versteht sich zwar nicht als Projekt der<br />

Berufsorientierung, bietet aber insbesondere an Kunst- und Kulturberufen<br />

interessierten Jugendlichen <strong>ein</strong>en praxisbezogenen<br />

Einstieg. Diese umfassenden Orientierungsmöglichkeiten sind<br />

unter anderem auch deshalb wichtig, weil die Berufsberatung<br />

der Arbeitsämter diese Berufe nur selten oder unvollständig<br />

aufgreifen. <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> bietet aktuellen und zukünftigen<br />

Studenten von Kulturmanagement, Kulturpädagogik und<br />

verwandten Ausbildungsgängen an, mitzuarbeiten und dabei<br />

praktische Erfahrungen zu sammeln, Gleichgesinnte zu treffen<br />

und Kontakte zu knüpfen. Mit diesem spezifischen, über die Jahre<br />

herauskr<strong>ist</strong>allisierten (vor-)beruflichen Orientierungsangebot<br />

erhält <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>ein</strong>e zusätzliche Bildungs- und Förderperspektive,<br />

die <strong>–</strong> ebenso wie das anfängliche Konzept <strong>–</strong> die<br />

Bedürfnisse und Wünsche von Jugendlichen integriert.<br />

Sowohl von der künstlerisch-kreativen als auch der organisatorischen<br />

Einstiegsmöglichkeit profitiert das Projekt wiederum<br />

selbst: Nahezu alle <strong>ARTig</strong>-Team-Mitglieder oder Spartenpaten<br />

rekrutieren sich aus ehemaligen <strong>ARTig</strong>-Teilnehmern.<br />

Dieser Weg funktioniert auch in die andere Richtung und diejenigen,<br />

die sich zunächst für das <strong>ARTig</strong>-Projektmanagement<br />

interessiert haben, bewerben sich mit <strong>ein</strong>er eigenen Idee. Das<br />

macht <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> zu <strong>ein</strong>em „von selbst nachwachsenden<br />

Rohstoff.“ 18<br />

So finden unter der Regie des <strong>ARTig</strong>-Teams in loser Reihenfolge<br />

Veranstaltungen statt, die wesentliche Aspekte von<br />

<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> verknüpfen, den Netzwerkansatz vertiefen,<br />

die Lebenswelt von Jugendlichen und konkrete Fragestellungen<br />

integrieren, die sich in diesem Alter im Hinblick auf die Berufswahl<br />

ergeben.<br />

64.4


Unter dem Titel <strong>ARTig</strong> plus bietet das <strong>ARTig</strong>-Team außer<br />

gem<strong>ein</strong>samen Kulturerlebnissen auch Informationsveranstaltungen<br />

und Workshops zur Berufsorientierung an und wendet sich<br />

damit an alle Jugendlichen. Zentrales Kommunikationsmedium<br />

<strong>ist</strong> die Website www.duesseldorf-<strong>ist</strong>-artig.de<br />

Gerade in der Kultur haben sich den letzten Jahren neue<br />

und vielen Jugendlichen noch relativ unbekannte Berufsfelder<br />

etabliert, über die man sich hier informieren kann. Die praktischen<br />

Informationen kommen in erster Linie von Studenten,<br />

Auszubildenden und dem Projekt verbundenen Referenten/<br />

Fachleuten, häufig ehemalige <strong>ARTig</strong>e. Die Informationsveranstaltungen<br />

finden in <strong>Düsseldorf</strong>er Kulturinstituten statt und sind<br />

kostenlos. 19<br />

eigenartig<br />

Eine vertiefende Form der künstlerischen Förderung <strong>ist</strong><br />

Eigen<strong>ARTig</strong>. Seit 2007 wird diese Förderung vergeben. Dabei han-<br />

delt es sich um <strong>ein</strong>en Förderpreis, mit dem Stadt und Stiftung<br />

Jugendlichen <strong>–</strong> sowohl <strong>ein</strong>zeln als auch in Gruppen <strong>–</strong> <strong>ein</strong>e weitere<br />

sechsmonatige, individuelle Förderung durch ihren Mentor<br />

ermöglichen. Im Zentrum steht der konkrete Nutzen für die ausgezeichneten<br />

Jugendlichen. Hierzu gehören <strong>ein</strong>e weitere künstlerische<br />

Betreuung durch den Mentor und die Teilnahme am nächs-<br />

18 Zit.: Muna Zubi, die als jugendliche Expertin die Entwicklung von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong><br />

begleitet hat und seit 2009 nach <strong>ein</strong>em erfolgreichen Kultur- und Medienmanagement-Studium<br />

das Projekt leitet.<br />

19 So fanden u.a. im März und September 2010 Informationsveranstaltungen zum Thema<br />

Kunst- und Kulturberufe statt, im April 2010 <strong>ein</strong>e Veranstaltung zum Thema Tanz, im<br />

Mai 2010 <strong>ein</strong> Workshop zum Thema Journalismus und PR und im Juni 2010 <strong>ein</strong> Gespräch<br />

mit dem Intendanten der Tonhalle <strong>Düsseldorf</strong> mit anschließendem Konzert.<br />

64.5<br />

64 65


düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 3 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann<br />

ten Wettbewerbsdurchgang inklusive der Vorstellung <strong>ein</strong>er neuen<br />

künstlerisch-kreativen Arbeit auf dem nächsten Festival.<br />

Aufgrund der Erfahrungen der letzten drei Jahre wurden<br />

die Anforderungen an die Vergabe der Eigen<strong>ARTig</strong>-Förderung<br />

2010 konkretisiert: Die <strong>ARTig</strong>-Teilnehmer bewerben sich für<br />

diese Förderung nach dem <strong>ARTig</strong>-Festival und müssen in ihrer<br />

Bewerbung darlegen, warum <strong>ein</strong>e weitere Zusammenarbeit mit<br />

ihrem Mentor für sie wichtig <strong>ist</strong> und ihre Erwartungen und Ziel-<br />

setzungen für die nächsten Monate formulieren. 20<br />

Die Entscheidung fällt in <strong>ein</strong>er gem<strong>ein</strong>samen Jurysitzung<br />

mit den <strong>ARTig</strong>-Mentoren und dem <strong>ARTig</strong>-Team. Ihr liegen fol-<br />

gende Kriterien zugrunde: kreatives Talent und Persönlichkeitsmerkmale<br />

wie Eigeninitiative, Ernsthaftigkeit, Lern- und Kritikfähigkeit,<br />

Willen, Teamfähigkeit und die Bereitschaft, sich für<br />

<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> zu engagieren. Selbstverständlich wird das<br />

Ergebnis der Projektarbeit als kreative Le<strong>ist</strong>ung entsprechend<br />

berücksichtigt. Gegen Ende des Förderzeitraumes findet <strong>ein</strong>e Präsentation<br />

im Rahmen der Beteiligung von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> an<br />

der Nacht der Museen statt.<br />

artig-netzwerk und Kommunikation<br />

Neben dem Ideenwettbewerb <strong>ist</strong> das <strong>ARTig</strong>-Netzwerk die<br />

zweite inhaltliche Säule von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong>. Das <strong>ARTig</strong>-Netzwerk<br />

verbindet kunst- und kulturbege<strong>ist</strong>erte Jugendliche und<br />

kümmert sich um ihre Interessen. <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> konnte das<br />

Netzwerk ausdehnen und auch Jugendliche ansprechen, die weder<br />

am Ideenwettbewerb noch an der Mitarbeit im <strong>ARTig</strong>-Team<br />

interessiert sind, sondern sich <strong>ein</strong>fach nur für Kunst und Kultur<br />

und gegebenenfalls für weitere Informationen oder Hinweise zu<br />

Veranstaltungen interessieren.<br />

64.6


Das <strong>ARTig</strong>-Netzwerk <strong>ist</strong> mittlerweile das ganze Jahr über<br />

aktiv und tritt gelegentlich an die Öffentlichkeit, zum Beispiel<br />

bei den Informationsveranstaltungen von <strong>ARTig</strong> plus. Diese<br />

Aktivitäten werden zentral über die Plattform kommuniziert.<br />

Circa 750 Jugendliche haben <strong>ein</strong>en eigenen Account auf www.<br />

duesseldorf-<strong>ist</strong>-artig.de.<br />

Auch das Netzwerk und die Kommunikation beschreiben<br />

den Charakter bzw. die Persönlichkeit von <strong>ARTig</strong>: <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> offen<br />

für alle, die teilhaben und teilnehmen möchten. Es <strong>ist</strong> jung, dynamisch<br />

und selbstbewusst und weiß, wofür es steht: für Kreativität<br />

und Übernahme von Verantwortung <strong>–</strong> sowohl für sich selbst<br />

als auch für das Projekt. Es <strong>ist</strong> ambitioniert und ernsthaft <strong>–</strong> dieser<br />

Anspruch an sich selbst kommt auch von den Teilnehmern.<br />

Respekt sowohl für die eigenen Ideen als auch für die Ideen der<br />

anderen wird nicht nur in der Zusammenarbeit mit den Mentoren<br />

gelebt, sondern auch unter<strong>ein</strong>ander. Diese Identität <strong>ist</strong> das<br />

Ergebnis <strong>ein</strong>es Prozesses und zwischenzeitlich so gefestigt, dass<br />

personelle Wechsel unproblematisch stattfinden.<br />

Anders als die Wettbewerbsidee, die sehr schnell nach der<br />

Konzeptentwicklung realisiert werden konnte und auf deren<br />

Umsetzung sich zunächst alle Energie konzentrierte, brauchte<br />

das Netzwerk Zeit, um sich selbst und <strong>ein</strong> geeignetes und den<br />

Bedürfnissen entsprechendes Forum des Austausches im Internet<br />

zu entwickeln.<br />

20 Nach Abschluss von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> VII haben sich zwölf Teilnehmer um die<br />

Eigen<strong>ARTig</strong>-Förderung beworben.<br />

64.7<br />

64 65


düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 3 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann<br />

Gerade was die Funktion und Gestaltung von www.duessel-<br />

dorf-<strong>ist</strong>-artig.de betrifft, wurden die Vorstellungen des <strong>ARTig</strong>-<br />

Teams von den Ergebnissen des <strong>Düsseldorf</strong>er Jugend-Kulturkonzept<br />

unterstützt. Das <strong>Düsseldorf</strong>er Jugend-Kulturkonzept formulierte die<br />

von Jugendlichen vorgetragenen Wünsche an <strong>ein</strong> umfassendes,<br />

an ihrer Lebenswelt orientiertes interaktives Internetangebot:<br />

Ihre Vorstellungen zielten auf <strong>ein</strong>e eigene, weitgehend selbst<br />

initiierte und verantwortete, interaktive Internetplattform. Da<br />

dieser Wunsch der Projektphilosophie von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong><br />

entspricht, war es folgerichtig, diese Ansätze zu verknüpfen.<br />

Auch die <strong>ARTig</strong>-Website wird in regelmäßigen Abständen<br />

überarbeitet und um neue Funktionen ergänzt. Dabei spielte<br />

insbesondere der Wunsch, das <strong>ARTig</strong>-Netzwerk mit <strong>ein</strong>er<br />

gut gestalteten und gut funktionierenden Internetplattform<br />

zu unterstützen, <strong>ein</strong>e entscheidende Rolle. Das führte zu <strong>ein</strong>er<br />

grundsätzlichen Überarbeitung der Website, die sich an<br />

Portalen wie StudiVZ, Xing oder Myspace orientierte. Auch auf<br />

www. duesseldorf-<strong>ist</strong>-artig.de können sich die Mitglieder <strong>ein</strong>en<br />

persönlichen Account anlegen und diesen zur Kommunikation<br />

unter<strong>ein</strong>ander und zur Veröffentlichung ihrer Arbeiten nutzen.<br />

Wie bei den oben genannten Portalen können auch hier Photos<br />

hochgeladen und Videos verlinkt werden. Selbstverständlich<br />

kann man sich auch online für den Ideenwettbewerb bewerben,<br />

<strong>ein</strong> Angebot, das inzwischen 95 Prozent der Wettbewerbsteilnehmer<br />

wahrnehmen.<br />

Zudem entstand unter dem Dach von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong><br />

<strong>ein</strong> neues interaktives Beratungs- und Austauschmedium: <strong>ARTig</strong><br />

sagt. <strong>ARTig</strong> sagt <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> zusätzliches und vom Ideenwettbewerb<br />

unabhängiges Kommunikations- und Informationsangebot und<br />

gleichzeitig die Grundlage für <strong>ein</strong> interaktives Netzwerk. Beide<br />

64.8


Angebote gehören inhaltlich zusammen und werden von denselben<br />

Personen koordiniert und von <strong>ein</strong>em jugendlichen Redaktionsteam<br />

verantwortlich betreut, dessen Mitglieder als freie<br />

Mitarbeiter über Kulturveranstaltungen berichten.<br />

<strong>ARTig</strong> sagt bietet <strong>ein</strong>e Möglichkeit des Austausches zwischen<br />

Jugendlichen, die alle <strong>ein</strong>es gem<strong>ein</strong>sam haben: <strong>ein</strong> großes<br />

Interesse an Kunst und Kultur und an ihren eigenen kreativen<br />

Ideen. Sie können nach vorheriger Reg<strong>ist</strong>rierung eigene Profile<br />

(inklusive Fotos) anlegen, ihre Interessen und Projekte (auch<br />

außerhalb von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong>) vorstellen und mit anderen<br />

in Kontakt treten.<br />

<strong>ARTig</strong> sagt <strong>ist</strong> die interaktive Kommunikationsplattform,<br />

auf der Jugendliche für Jugendliche über kulturelle Angebote in<br />

<strong>Düsseldorf</strong> berichten. Artig sagt bietet zudem <strong>ein</strong>e Auswahl an<br />

Veranstaltungstipps, präsentiert <strong>Düsseldorf</strong>er Kulturinstitute,<br />

stellt die Mitglieder s<strong>ein</strong>er Redaktion vor und akquiriert neue<br />

freie Mitarbeiter.<br />

Mit s<strong>ein</strong>er Persönlichkeit erfüllt <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>ein</strong>e<br />

wesentliche Voraussetzung für <strong>ein</strong>e gelungene Markenbildung:<br />

Es hat <strong>ein</strong>en Inhalt, <strong>ein</strong>en emotionalen Charakter und <strong>ein</strong> Profil.<br />

21 Bereits bei der Entwicklung der Medien zum ersten Wettbewerb<br />

wurde deutlich, dass <strong>ein</strong> professionell gestalteter Auftritt<br />

nicht unbedingt mit <strong>ein</strong>er erfolgreichen Wahrnehmung durch<br />

die Zielgruppe korrespondieren muss. Das führte in der Konsequenz<br />

dazu, Jugendliche als ihre eigenen Experten auch in<br />

diesem Punkt noch stärker verantwortlich zu beteiligen. Die<br />

21 <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> seit 2005 als Marke im Reg<strong>ist</strong>er des Deutschen Patent- und<br />

Markenamtes <strong>ein</strong>getragen.<br />

64.9<br />

64 65


düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 3 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann<br />

seit <strong>ein</strong>igen Jahren ex<strong>ist</strong>ierende <strong>ARTig</strong>-Kommunikationsgruppe<br />

gestaltet <strong>–</strong> auch hier dem Motto „Was Jugendliche anspricht,<br />

wissen Jugendliche selbst am besten“ folgend <strong>–</strong> das äußere Ersch<strong>ein</strong>ungsbild<br />

von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> mit.<br />

Was <strong>ist</strong> das Ersch<strong>ein</strong>ungsbild von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong>? Wie<br />

kommunizieren wir <strong>ARTig</strong>? Wie wird deutlich, was <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> und<br />

was es m<strong>ein</strong>t? Fragen, denen sich die <strong>ARTig</strong>en mit Leidenschaft<br />

widmeten. Sie nutzten die ihnen <strong>ein</strong>geräumten Gestaltungsfreiräume<br />

konstruktiv und gestalteten so <strong>ein</strong>en wichtigen Aspekt<br />

im <strong>ARTig</strong>-Prozess. Regelmäßig wurde das Ersch<strong>ein</strong>ungsbild der<br />

Kommunikationsmedien dem sich wandelnden und kontinuierlich<br />

verdichtenden Charakter des Projektes angepasst. Die<br />

immer komplexer werdenden Anforderungen gestalteten die<br />

Aufgabe für das Kommunikationsteam zunehmend schwierig,<br />

insbesondere weil der (Marken-)Charakter nicht nur nach innen<br />

gefühlt, sondern auch nach außen professionell kommuniziert<br />

werden soll. Das und die systematische Entwicklung der Marke<br />

<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> machte 2008 die Zusammenarbeit mit <strong>ein</strong>em<br />

Kommunikationsfachmann erforderlich, der als <strong>ARTig</strong>-Mentor<br />

für Kommunikation gem<strong>ein</strong>sam mit Jugendlichen den <strong>ARTig</strong>-<br />

Markenauftritt erarbeitet.<br />

nachhaltigkeit<br />

Nachhaltigkeit <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>e heute vielfach formulierte, aber<br />

nicht immer <strong>ein</strong>gelöste und schwierig zu überprüfende Forderung<br />

an <strong>Bildungsprojekt</strong>e, vor allem wenn es um die Ermittlung<br />

von qualitativen Ergebnissen geht. Das gilt auch für das <strong>Bildungsprojekt</strong><br />

<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong>.<br />

Relativ leicht zu erfassen <strong>ist</strong> dagegen das Quantitative, zum<br />

Beispiel die Reichweite: In der Zeit von 2005 bis 2010 ermöglichte<br />

64.10


<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> insgesamt 857 Jugendlichen, ihre eigenen<br />

kreativen Ideen sowohl in Gruppen als auch <strong>ein</strong>zeln in 319 Projekten<br />

zu präsentieren. 22 Damit wird allerdings k<strong>ein</strong>e Aussage<br />

zur Nachhaltigkeit getroffen.<br />

Wie definieren und erfassen wir Nachhaltigkeit? Die Beobachtungen<br />

der letzten Jahre erheben k<strong>ein</strong>en Anspruch auf Vollständigkeit,<br />

liefern aber <strong>ein</strong>en empirischen Eindruck von der<br />

Wirkung künstlerisch-kreativer <strong>Bildungsprojekt</strong>e. 23<br />

Die Erfahrung eigener Kreativität, der unmittelbare Kontakt<br />

zu Künstlern und das Erfolgserlebnis sind als positive Werte<br />

für die weitere persönliche Entwicklung zu betrachten. Dieser<br />

persönlichkeitsbildende, sozial relevante Aspekt kultureller <strong>Bildungsprojekt</strong>e<br />

<strong>ist</strong> Gegenstand fast aller Fachdiskussionen. Auch<br />

<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> hat diese Wirkung, zum Beispiel wenn die<br />

ehemaligen Teilnehmer sich in anderen Funktionen im <strong>ARTig</strong>-<br />

Netzwerk engagieren. Dass <strong>ein</strong>e Teilnahme an <strong>ARTig</strong> Einfluss<br />

nimmt, zeigt sich unter anderem auch darin, dass der größte<br />

Teil der neuen Wettbewerbsteilnehmer sich auf Empfehlung von<br />

(ehemaligen) <strong>ARTig</strong>-Teilnehmern bewirbt.<br />

Einige <strong>ARTig</strong>-Teilnehmer empfanden ihre (Selbst-)Erfahrung<br />

und die Aus<strong>ein</strong>andersetzung mit kreativem Arbeiten als<br />

so prägend und nachhaltig, dass sie unmittelbar Einfluss auf die<br />

berufliche Entscheidung nahm. Nicht wenige ehemalige <strong>ARTig</strong>-<br />

Teilnehmer sind der künstlerischen oder kulturellen Arbeit treu<br />

22 In dieser Zeit hatten sich circa 1.500 Jugendliche am kreativen Ideenwettbewerb<br />

beteiligt.<br />

23 Dieser komplexen Fragestellung, insbesondere auch der Transferwirkung künstlerischer<br />

Tätigkeiten widmen sich international mehrere Wissenschaften, wie zum Beispiel<br />

Hirnforschung, Pädagogische Psychologie oder Erziehungswissenschaften.<br />

64.11<br />

64 65


düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 3 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann<br />

geblieben, studieren Kunst, Fotographie, Schauspiel, Regie oder<br />

Kunstgeschichte, Theater- oder Filmwissenschaften, Kulturmanagement<br />

und vieles mehr. Manche sind in ihren neuen Funktionen<br />

wieder zu <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> zurückgekehrt.<br />

Diejenigen, die bereits vor ihrer Teilnahme am Projekt eigene<br />

künstlerische Ambitionen hatten, wurden vielfach in ihren<br />

Vorstellungen bestätigt. Es gab aber auch Fälle, in denen der<br />

ursprüngliche künstlerische Berufswunsch korrigiert wurde,<br />

weil man feststellte, dass der Berufswunsch nicht den eigenen<br />

Vorstellungen entsprach. Viele der <strong>ARTig</strong>-Teilnehmer erfahren<br />

im Verlauf des Projektes, dass sie durch den ergebnisoffenen<br />

Umgang mit ihren Ideen und den Möglichkeiten, frei zu agieren,<br />

selbstbewusster geworden sind und auch erstmals darüber<br />

nachdachten, <strong>ein</strong>en künstlerischen Beruf zu ergreifen. Das bei<br />

<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> übliche selbstbestimmte und eigenverantwortliche<br />

Arbeiten unterstützt diese Erfahrung. 24<br />

Wie sehen ehemalige <strong>ARTig</strong>e das Projekt und welchen Einfluss<br />

hatte ihre Teilnahme auf ihre weitere berufliche Entwicklung?<br />

Die Beantwortung dieser Frage erfordert <strong>ein</strong>e intensivere<br />

Betrachtung. Eine ideale Aufgabe für <strong>ein</strong>en Ehemaligen. Kai Krösche,<br />

<strong>ein</strong>er der <strong>ARTig</strong>en der ersten Stunde, ging ihr nach.<br />

Kai Krösche, geboren 1985, nahm am ersten und damals<br />

noch weitgehend experimentellen Ideenwettbewerb mit <strong>ein</strong>em<br />

ambitionierten Inszenierungskonzept zu Büchners Woyzeck in<br />

der Sparte Theater teil. Mittlerweile hat er s<strong>ein</strong> Studium der Filmund<br />

Theaterwissenschaften in Wien fast abgeschlossen. Für ihn<br />

steht fest, dass er nur in <strong>ein</strong>em künstlerischen Beruf, am liebsten<br />

als Regisseur, arbeiten möchte. <strong>ARTig</strong> war aber nicht nur für<br />

ihn <strong>ein</strong>e erste und entscheidende Chance, s<strong>ein</strong>e künstlerischen<br />

Vorstellungen unter fast professionellen Bedingungen auszupro-<br />

64.12


ieren. In dem nachfolgenden Betrag beschreibt er unter dem<br />

Aspekt der Förderung die Erfahrungen von <strong>ARTig</strong>-Teilnehmern<br />

aus der Perspektive von heute und welchen Einfluss das Projekt<br />

auf ihre Entwicklung und Berufsentscheidungen gehabt hat.<br />

S<strong>ein</strong> auf der Basis fragebogengestützter Interviews entstandener,<br />

qualitativer Bericht bietet <strong>ein</strong>en vertiefenden Blick auf die<br />

Wirkungsweisen von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> und auf diejenigen, für<br />

die das Projekt mehr als <strong>ein</strong>en Baust<strong>ein</strong> in ihrer Bildungsbiographie<br />

darstellt.<br />

Der Bericht macht deutlich, wie kulturelle Bildung wirkt<br />

und was sie bewirkt. Die anschließend beschriebenen Geschichten<br />

von ehemaligen <strong>ARTig</strong>en zeigen dies exemplarisch. Aber auch<br />

diejenigen, die hier nicht zu Wort kommen und die sich nicht<br />

dafür entschieden haben, ihre berufliche Zukunft in Kunst oder<br />

Kultur zu suchen und zu finden, haben <strong>ein</strong>s mitgenommen: Eine<br />

positive Selbsterfahrung und den persönlichen Erfolg, den Mut<br />

gezeigt zu haben, mit allen positiven und negativen Implikationen<br />

vor Publikum zu sich und ihrer Idee zu stehen.<br />

24 Der Erfassung der Projekte der vergangenen sechs Jahre und der beruflichen Entwicklung<br />

der ehemaligen Teilnehmer dient seit zwei Jahren die Rubrik Archiv/Alumni auf<br />

der Website von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> auf freiwilliger Basis.<br />

64.13<br />

64 65


düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 3 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann<br />

64.14


dr. phil. Petra Winkelmann<br />

Studium an der H<strong>ein</strong>rich-H<strong>ein</strong>e-Universität <strong>Düsseldorf</strong> in den<br />

Fächern Geschichte, German<strong>ist</strong>ik und Soziologie. 1985 Mag<strong>ist</strong>er<br />

Artium, 1993 Promotion. Seit 1994 im Kulturamt <strong>Düsseldorf</strong>,<br />

seit 2003 stellvertretende Leitung. Arbeitsgebiet: Kulturelle Bildung.<br />

64.15<br />

64 65


düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 3 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann


64 65


STRiP YouR SouL <strong>–</strong> SEhnSuchT BiS zuR SELBSTAufGABE conSTanTin HocHkeppel, arTig vii<br />

All<strong>ein</strong> s<strong>ein</strong>, ohne andere s<strong>ein</strong>, ohne sich s<strong>ein</strong>,<br />

ganz all<strong>ein</strong> mit diesem Gefühl, mehr noch,<br />

mit dieser Sicherheit, dass man all<strong>ein</strong> bleibt!<br />

Sich nur flüchtig trifft und wieder verliert.<br />

Immer und immer und immer wieder.


66 67


iK VERTREK STella volkenand, arTig v<br />

hi Anne.<br />

Wie geht es Dir? M<strong>ein</strong> Name <strong>ist</strong> Maya. Ich hab D<strong>ein</strong>e Anzeige gelesen. Ich habe <strong>ein</strong>e Frage: D<strong>ein</strong>e Hobbies sind Lesen<br />

und Tiere? Herr im Himmel, wie können denn verfickte Tiere <strong>ein</strong> Hobby s<strong>ein</strong>? Jetzt sollte eigentlich kommen: Mir<br />

geht es gut. Mir geht es aber nicht gut und das liegt nur an m<strong>ein</strong>en beschissenen Eltern. Okay, vielleicht auch an<br />

m<strong>ein</strong>em beschissenen Freund, aber vor allem an m<strong>ein</strong>en Eltern. Sie streiten sich nämlich gerade über irgend<strong>ein</strong>e<br />

Scheiße, die m<strong>ein</strong> Vater vor über 15 Jahren verbockt hat. Du denkst bestimmt, und? Denk Dir lieber, dass Du mit<br />

d<strong>ein</strong>em Mathebuch genau zwischen den beiden sitzt und dass sie schreien, wobei D<strong>ein</strong> Vater lauter <strong>ist</strong>, aber er hat<br />

weniger Sätze drauf als D<strong>ein</strong>e Mutter, und wenn er nicht schreien würde, könnte man echt denken, er wolle beschwichtigen,<br />

er also: „Hör auf, Ina, sei still.“ Und sie: „Ich erinnere mich noch genau, schon damals...“ Und er wieder:<br />

„Hör auf Ina, lass das. Was <strong>ist</strong> mit Maya?“. Und sie: „Jetzt schämst Du Dich doch, Du Bastard-Wichser-Scheiß-asozialer-Proll!“<br />

Und so weiter. Und mit jeder Runde wird D<strong>ein</strong> Vater lauter und D<strong>ein</strong>e Mutter gräbt noch fiesere Sachen<br />

aus. Als würden die Ping Pong spielen, immer heftiger. Und Du? Du verziehst Dich in D<strong>ein</strong> Zimmer, sitzt am Kopfende<br />

D<strong>ein</strong>es Bettes, oder, wenn Du es dramatischer haben willst und wärmer, dann hockst Du an der Heizung und Du<br />

heulst, weil Du ihm niemals verzeihen kannst oder weil Du ihr niemals verzeihen kannst und ganz selten heulst Du,<br />

weil Du Angst hast, dass sie Dir irgendwas niemals verzeihen und so weiter und so weiter. Dann klopf irgendwer an<br />

die Tür, die Du ja abgeschlossen hast, weil Du all<strong>ein</strong> s<strong>ein</strong> musst mit D<strong>ein</strong>em beschissenen Selbstmitleid, und fragt,<br />

wie es Dir geht, Scheißfrage, und Du genießt es, der Person hinter der Tür so richtig den Tag zu versauen, indem Du<br />

sie anbrüllst, noch lauter schluchzt, oder, am besten, gar nichts sagst. Zieh D<strong>ein</strong>en Vater oder D<strong>ein</strong>e Mutter oder<br />

wer auch immer da hinter der Tür steht, mit in D<strong>ein</strong>e Scheiße r<strong>ein</strong>, was ja eigentlich gar nicht so schlimm <strong>ist</strong>, weil<br />

sie Dich ja schon in ihre r<strong>ein</strong> gezogen haben. Am Ende vergisst Du ja eh wieder alles. Kotzt mich an, diese selbstmitleidigen<br />

Minidepressionen, aber so was braucht man, für die Entwicklung und so, wenn man 12, 13 <strong>ist</strong>, denke<br />

ich. M<strong>ein</strong> Problem <strong>ist</strong>, dass ich es immer noch brauche, und ich bin 17! Also hab ich gedacht, okay, lenk Dich ab,<br />

nimm <strong>ein</strong>e von Mamas Omazeitschriften in D<strong>ein</strong> Zimmer und da war D<strong>ein</strong>e Anzeige. D<strong>ein</strong>e Anzeige…Die war<br />

langweilig. Daran musst Du echt feilen. Aber die Sache mit den Kassetten find ich cool. Ich hab’s nicht so<br />

mit Schreiben. Ich überspreche Papas Bruce-Springsteen-Kassette, wunder Dich also nicht, wenn am Ende noch<br />

was davon drauf <strong>ist</strong>. Ende. 04.Mai 2008 Bleicherhof 12a dritter Stock, Küche Liebe Maya, Hoffentlich haben D<strong>ein</strong>e<br />

Eltern sich wieder vertragen, aber das haben sie bestimmt, sonst hätten sie ja drei Tage gestritten(oder auch vier,<br />

das kommt ganz auf die Post an, wie schnell Du die Kassette bekommst). 72-oder 96-Stunden! Das würde ich nicht<br />

durchhalten! Zu D<strong>ein</strong>er Aussage, dass „verfickte“ Tiere k<strong>ein</strong> richtiges Hobby seien, möchte ich etwas sagen. Ich<br />

dachte bei „Hobby“ nicht an <strong>ein</strong>e regelmäßige Beschäftigung, der man im Ver<strong>ein</strong> nachgeht, wie Ringen oder Rudern<br />

oder Ballett. Ich dachte, man darf das etwas weiter fassen, denn ich hatte nur 160 Buchstaben zur Verfügung, sonst<br />

wäre die Annonce teurer geworden, und „Dinge, die ich mag“, dass sind schon 14 Buchstaben, ohne Leerzeichen,<br />

und die werden auch berechnet. Da <strong>ist</strong> „Hobbies:“ besser, das hat nur sieben Zeichen. Dann Tiere…naja, ich mag<br />

Tiere eigentlich nicht. Sie stinken, also die Großen, also Schw<strong>ein</strong>e und Schafe und Pferde und Gorillas. Und die<br />

kl<strong>ein</strong>e Tiere, also Mäuse, Katzen, Hasen und Frettchen, tun nichts als essen, schlafen, und, naja, sich vermehren. Ich<br />

habe das nur geschrieben, weil alle Leute Tiere mögen, warum auch immer. Im Fernsehen haben die Guten immer<br />

<strong>ein</strong>en Hund oder <strong>ein</strong> Pferd und die Bösen haben nie Tiere, wenn überhaupt, dann Katzen. Was ich noch sagen wollte:<br />

ich heiße eigentlich nicht Anne, sondern Anne (Änn), aber es <strong>ist</strong> in Ordnung, wenn Du mich Anne nennst und es<br />

<strong>ist</strong> auch in Ordnung, dass Du mich bisher Anne genannt hast, das konntest Du ja nicht wissen. „Bitte Englisch aussprechen“,<br />

das sind 23 Zeichen, ohne Leerzeichen. Ich bin nämlich Amerikanerin, oder Halbamerikanerin, oder wie


68 69<br />

nennt man das, m<strong>ein</strong> Vater <strong>ist</strong> Amerikaner. Aber ich habe von ihm nichts als den Namen Anne Kowalski, wobei das<br />

Kowalski auch nicht sehr amerikanisch klingt, jedenfalls nicht so amerikanisch wie Stevens, Miller, Jones, Simpson<br />

oder Bush. Ich mach Schluss, aber ich habe vorher noch <strong>ein</strong>e Frage: Warum hast Du mir geantwortet? Es klang, um<br />

ehrlich zu s<strong>ein</strong>, nicht gerade so, als wärst Du auf der Suche nach Brieffreunden gewesen. Auf Wiedersehen. Anne.<br />

Hi Anne! Die Frage <strong>ist</strong> doch, wieso hast Du mir geantwortet? Du hast doch bestimmt noch andere Kassetten bekommen,<br />

Kassetten, auf denen Dich k<strong>ein</strong>er beschimpft und stundenlang s<strong>ein</strong> Leid geklagt hat. Wie siehst Du aus? Was<br />

machst Du den ganzen Tag? Willst Du wissen, wie ich aussehe? Ich seh aus wie <strong>ein</strong> Ge<strong>ist</strong>. Wenn Du auf D<strong>ein</strong>en Arm<br />

guckst, dann siehst Du braun, rosa oder schwarz. Ich seh weiß. Weiß mit blauen Adern, wie Würmer, voll ekelhaft.<br />

Seit <strong>ein</strong>em Monat seh ich rechts leider nochwas. Ein F und <strong>ein</strong> E. Ich war mit m<strong>ein</strong>em beschissenen Freund in der<br />

Stadt. Da <strong>ist</strong> so <strong>ein</strong> Tatooshop. Und m<strong>ein</strong> beschissener Freund: „Ey, Maya, liebsu misch?“ und ich:“Kann s<strong>ein</strong>.“ Und<br />

er: „Lass mal unsere Namen aufn Arm tätowieren.“ Naja, Tatoos sind cool. Die haben sowas von Unverwundbars<strong>ein</strong>,<br />

von M<strong>ein</strong>e-Harley-und-ich,-wir-reiten-in-den-Sonnenuntergang. Oder nicht? Leider hab ich erst beim zweiten Buchstaben<br />

gemerkt, wie weh das tut, weil ich so benebelt war von dem ganzen Harley-in-den-Sonnenuntergang-Ding.<br />

Und wie beschissen ich m<strong>ein</strong>en Freund finde. Es hätte Felix werden sollen. Also, ich bin raus und Felix hinterher.<br />

Vorm Laden habe ich ihm dann ganz ruhig erklärt. Warum ich das Tatoo nicht will. Dass ich, wenn ich es am Oberarm<br />

habe, m<strong>ein</strong> Leben lang nur noch mit Typen was haben kann, die Felix heißen, weil sich jeder Andere ja vor den Kopf<br />

gestoßen fühlen würde, wenn er m<strong>ein</strong> Shirt auszöge und dann <strong>ein</strong>en fremden Männernamen auf m<strong>ein</strong>em Arm<br />

vorfände. Wär ich ja auch, umgekehrt. Felix fand das irgendwie nicht gut und hat rumgeschrien und gefragt, ob er<br />

nicht m<strong>ein</strong> Mann fürs Leben wäre. Obwohl m<strong>ein</strong> Arm so wehgetan hat, von wegen unverwundbar, blieb ich nett. Ich<br />

hab ihn nicht beleidigt oder angespuckt. Ich war sehr erwachsen und habe ihm gesagt, dass ich, wenn alles gut<br />

geht, noch so 65 Jahre lebe. Was macht der Scheißkerl? Haut <strong>ein</strong>fach ab. Vollidiot. Jetzt steht Fe auf m<strong>ein</strong>em Arm.<br />

Ich hab überlegt, ob ich <strong>ein</strong> E dranhängen lasse. Aber das tut dann wieder so weh und dann wäre es FEE, und ich<br />

<strong>ein</strong>e Art fleischgewordenes „Zicke“- T-Shirt. Und <strong>ein</strong> bisschen Anstand hab ich dann doch noch. Also, ich bin weißblau<br />

mit Buchstaben drauf und hab rote Haare. Frankreichflagge, ätzend. Ich wäre lieber <strong>ein</strong>e Latina, braun, dicke,<br />

schwarze Haare und so, aber n<strong>ein</strong>, Frankreichflagge. Beschissen. Ende. Neunter Mai 2008/Bleicherhof 12a/m<strong>ein</strong><br />

Zimmer/Bett Liebe Maya. Bevor ich Dir D<strong>ein</strong>e Fragen beantworte, übrigens, Du musst mir k<strong>ein</strong>e Fragen stellen, um<br />

unsere Konversation am Leben zu halten, oder um höflich zu s<strong>ein</strong>, muss ich Dir etwas erzählen. M<strong>ein</strong>e Schwester<br />

<strong>ist</strong> wieder da. Sie war nämlich lange weg, wie Du Dir vielleicht denken kannst, sonst wäre es ja k<strong>ein</strong>e Neuigkeit, dass<br />

sie da <strong>ist</strong>, also, sie war über <strong>ein</strong> Jahr weg und jetzt <strong>ist</strong> sie wieder da. Sie hat nämlich studiert, bildende Kunst in<br />

Maastricht, das <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>e Universität in den Niederlanden, Jetzt <strong>ist</strong> sie fertig und wieder zu Hause. Sie kam ganz früh<br />

mit dem Zug an und war, als ich um halb sechs in die Küche gekommen bin, schon da und hatte m<strong>ein</strong>e Mutter,<br />

Cornflakes, Tee und <strong>ein</strong> paar von ihren Bildern dabei. Ihre Bilder- die sind so schön. Sie sind furchtbar groß, ich<br />

wusste nicht, dass Gemälde so groß s<strong>ein</strong> müssen. Auf den me<strong>ist</strong>en sind nackte Frauen, aber Mila, so heißt m<strong>ein</strong>e<br />

Schwester nämlich, das <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> schöner Name, oder? Mila sagt, das <strong>ist</strong> Kunst und deshalb nicht anzüglich oder so.<br />

Mila saß in der Küche zwischen all den wunderschönen Bildern und war selber so wunderschön. Als sie nach Maastricht<br />

gezogen war, war sie anders gewesen, nicht so strahlend. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, was sich an<br />

ihr geändert hat. Es war da und es war unübersehbar, aber ich konnte es nicht exakt benennen. Sie sieht genauso<br />

aus wie vor <strong>ein</strong>em Jahr. Natürlich trägt sie andere Kleidung, aber sie <strong>ist</strong> immer noch riesig und hat diesen Pferdeschwanz,<br />

den die Künstlerinnen in Filmen immer tragen, wenn gezeigt wird, wie wenig sie sich um ihr Äußeres…


ViSAGE D’AuTRui anSkar Beau, arTig vii


Das Gesicht <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>s der vielfältigsten und ausdrucksstärksten Motive.<br />

Es erlaubt mir zu experimentieren und bietet mir viel Spielraum,<br />

bei m<strong>ein</strong>en freien Studien dienen mir Fotos von Freunden als Ausgangspunkt.<br />

70 71


Vom ALLEinSEin zenzi FaSSBender, miro miTrovic, arTig v<br />

K<strong>ein</strong> anderer kann<br />

sich voll und<br />

ganz in die eigene<br />

lebens lage versetzen,<br />

wodurch<br />

man sich manchmal<br />

unverstanden<br />

und ungeliebt<br />

fühlt, vielleicht<br />

auch ohne Grund.<br />

uns geht es darum,<br />

diese Traurigkeit<br />

auszudrücken.<br />

Sie <strong>ist</strong> sowohl in<br />

der liebe, als auch<br />

in der Freundschaft<br />

und in fast allen<br />

anderen lebenslagenwiederzufinden<br />

und wird<br />

da durch von<br />

vielen Menschen<br />

unterschiedlich<br />

ver arbeitet, wie<br />

durch Traurigkeit,<br />

Schmerz, hass,<br />

Wut , Wahn,<br />

Verzweiflung,<br />

verdrängung<br />

und geht bis zur<br />

Selbstständigkeit,<br />

Anerkennung<br />

des eigenen Ichs,<br />

aber kann auch in<br />

Selbstmitleid und<br />

eigener Körperverletzung<br />

enden.


72 73


YELLow TREES AnD PuRPLE SKY alexander SHkolnikov, arTig v<br />

uND GoTT SAh, DASS DAS lIchT GuT WAR


74 75


ES wAR EinmAL… nadine Horn, arTig vii<br />

… Doch er blieb nicht lange liegen,<br />

dann rappelte er sich wieder auf, als gäbe es k<strong>ein</strong> Morgen<br />

und vielleicht gab es für ihn auch k<strong>ein</strong> Morgen mehr.


76 77


EinE KuRzGESchichTEnSAmmLunG maria lipina, arTig iv<br />

Ich will, dass ihr das Rot schmeckt,<br />

das Grün seht und das Gelb riecht.<br />

und in <strong>ein</strong>em Meer von Grau zu ertrinken.<br />

während ihr m<strong>ein</strong>e Geschichten lest,<br />

Dass ihr das Gefühl habt, am Blau zu ersticken


78 79


Artig wirKt! Fachbeitrag von kai krösche


80.1<br />

artig WirKt!<br />

—.<br />

von Kai Krösche<br />

80 81


Artig wirKt! Fachbeitrag von kai krösche<br />

artig wirkt! 1<br />

von Kai Krösche<br />

i.<br />

Es versteht sich von selbst, dass <strong>ein</strong> Bildungs- und Förder-<br />

projekt für junge Kunstschaffende wie <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> auf<br />

Dauer nur dann funktionieren und s<strong>ein</strong>en Zweck erfüllen kann,<br />

wenn es s<strong>ein</strong>e Ziele erreicht. Eines der wichtigsten Ziele <strong>–</strong> wenn<br />

nicht sogar das wichtigste, sieht man <strong>ein</strong>mal von kurzfr<strong>ist</strong>igen<br />

Erfolgen ab <strong>–</strong> besteht in der Nachhaltigkeit der Förderungen im<br />

Allgem<strong>ein</strong>en sowie der jeweiligen Förderung des Einzelnen. Mit<br />

anderen Worten und als Frage: Hält die Förderung junger Kunstschaffender<br />

im Rahmen von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> auch nach der<br />

eigentlichen Erarbeitung und Präsentation des geförderten kreativen<br />

Projekts an, be<strong>ein</strong>flusst und bereichert die Teilnahme an<br />

<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> auch die weitere künstlerische und/oder berufliche<br />

Laufbahn der jungen Kreativen auf produktive Weise?<br />

So essenziell die positive Beantwortung dieser Fragen für<br />

den Erfolg <strong>ein</strong>es Projekts wie <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong>, so falsch<br />

wäre es, hier <strong>ein</strong>e 100-prozentige Erfolgsquote zum Maßstab<br />

zu machen. Viel wichtiger <strong>ist</strong> es da, die Talente der <strong>ein</strong>zelnen<br />

Teilnehmer maximal zu fördern und zu unterstützen, herausragende<br />

Stärken und Fähigkeiten zu erkennen und durch entsprechende<br />

Förderung und Motivation anzuerkennen, aber ebenso<br />

Schwächen, mangelnde Erfahrung etcetera mit professionellem<br />

80.2


Verständnis zu verbessern helfen, also kurz: jeden <strong>ein</strong>zelnen Teilnehmer<br />

mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln und so gut<br />

wie möglich zu s<strong>ein</strong>er persönlichen Bestle<strong>ist</strong>ung zu motivieren <strong>–</strong><br />

und das in <strong>ein</strong>em zeitgleich professionellen wie geschützten<br />

Rahmen.<br />

Entsprechend fiel die Entscheidung bei der Planung des<br />

vorliegenden Beitrags auf <strong>ein</strong>e fragebogengestützte qualitative,<br />

<strong>ein</strong>gehende und persönliche Befragung <strong>ein</strong>iger ehemaliger<br />

<strong>ARTig</strong>-Teilnehmer (sogenannte <strong>ARTig</strong>-Alumni). Gem<strong>ein</strong>sam mit<br />

der <strong>ARTig</strong>-Projektleitung wurde <strong>ein</strong> neun <strong>ein</strong>schlägige Fragen<br />

umfassender Fragebogen entwickelt, mit dem Alumni aus verschiedenen<br />

künstlerischen Sparten sowie ehemalige und derzeitige<br />

Mitglieder des <strong>ARTig</strong>-Teams befragt wurden. Die Fragen<br />

drehten sich dabei um die persönlichen Erfahrungen der Alumni<br />

bei der Betreuung ihrer realisierten Projekte und mit dem <strong>ARTig</strong>-<br />

Netzwerk; um ihre Einschätzung, inwieweit <strong>ARTig</strong> ihren Blick<br />

auf das künstlerische Berufsfeld der jeweiligen Sparte prägte und<br />

ob die Teilnahme bei <strong>ARTig</strong> ihre spätere Berufs- und/oder Studienwahl<br />

be<strong>ein</strong>flusste; schließlich, inwieweit man aus der Sicht der<br />

Teilnehmer das Projekt noch verbessern könnte <strong>–</strong> nicht zuletzt<br />

im Vergleich zu anderen künstlerisch-kulturellen Projekten für<br />

Jugendliche und junge Erwachsene.<br />

Die Auswahl der befragten Teilnehmer erfolgte nach dem<br />

Prinzip, <strong>ein</strong>e möglichst heterogene und weitgefächerte Mischung<br />

verschiedenster Individuen mit unterschiedlichen kreativen<br />

Herangehensweisen (während der Teilnahme bei <strong>ARTig</strong>) und an-<br />

schließenden beruflichen Werdegängen zu befragen. Von Schau-<br />

1 Der Bericht konnte hier nur in verkürzter Form wiedergegeben werden und <strong>ist</strong> vollständig<br />

auf www.duesseldorf-<strong>ist</strong>-artig.de zu finden.<br />

80.3<br />

80 81


Artig wirKt! Fachbeitrag von kai krösche<br />

spielern über bildende Künstler, Schriftstellern und Theaterre-<br />

gisseuren hin zu ehemaligen und gegenwärtigen Mitgliedern des<br />

<strong>ARTig</strong>-Teams wurden insgesamt elf Einzelpersonen 2 nach ihren<br />

persönlichen Erfahrungen mit <strong>ARTig</strong> befragt.<br />

Und trotz aller Unvoraussagbarkeit der Ergebnisse dieser<br />

Umfrage: Der Eindruck, der sich aus der Auswertung der beantworteten<br />

Fragebögen ergibt, könnte kaum positiver und motivierender<br />

s<strong>ein</strong>. Nicht nur lobende, gar enthusiastische Worte finden<br />

die me<strong>ist</strong>en der Teilnehmer im Zusammenhang mit <strong>ARTig</strong>,<br />

führen das Projekt nicht selten als <strong>ein</strong>en bedeutsamen (Wende-)<br />

Punkt in ihrer künstlerischen beziehungsweise universitären<br />

Laufbahn an, betonen die Einzigartigkeit des Projekts (nicht<br />

nur) im Vergleich zu anderen Förderprojekten für junge Kunstschaffende<br />

und haben oftmals nur wenige bis gar k<strong>ein</strong>e Verbesserungsvorschläge<br />

<strong>–</strong> schlichtweg deswegen, weil sie der Ansicht<br />

sind, dass das Wesentliche (und selbst das Unwesentliche) bereits<br />

absolut richtig läuft. Um trotzdem die f<strong>ein</strong>en Unterschiede<br />

zwischen den verschiedenen Aussagen herauszuarbeiten und<br />

zu erkennen, bedarf es daher <strong>ein</strong>er intensiveren Betrachtung <strong>–</strong><br />

bewusst wird dabei auf <strong>ein</strong>zelne Aussagen der jeweiligen <strong>ARTig</strong>-<br />

Alumni <strong>ein</strong>gegangen, die im Folgenden immer wieder auch mit<br />

Namen genannt werden.<br />

ii.<br />

Sprungbrett, Inspiration, große Chance: Es sind bege<strong>ist</strong>erte<br />

Worte, die die <strong>ARTig</strong>-Alumni finden, wenn sie an ihre Teilnahme<br />

bei <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> zurückdenken. Tatsächlich sucht man in<br />

den Aussagen der ehemaligen Teilnehmer darüber, was sie in<br />

<strong>ARTig</strong> sehen und was ihre Teilnahme für sie bedeutete, negative<br />

80.4


Äußerungen nahezu vergebens. Stattdessen zeichnet sich das<br />

Bild <strong>ein</strong>es lebendigen Förderprojekts ab, das junge Menschen<br />

nicht nur ernst nimmt und ihnen auf Augenhöhe begegnet,<br />

das zeitgleich, anstatt sie lediglich an die Hand zu nehmen und<br />

schlussendlich doch nur wieder hinter sich herzuziehen, ihre<br />

Eigenverantwortung fördert, sie auf <strong>ein</strong>en Weg der selbstbestimmten<br />

künstlerischen Arbeit <strong>–</strong> fernab von den oft strengen<br />

und selten Raum für die Entwicklung <strong>ein</strong>er künstlerischen Identität<br />

bietenden Vorgaben <strong>ein</strong>es schulischen Kunstunterrichts <strong>–</strong><br />

führt; und das ihnen dabei aber nie das dämpfende Gefühl vermittelt,<br />

unter dem Druck zu stehen, etwas Fertiges, etwas Perfektes<br />

präsentieren zu müssen, sondern stattdessen „den Luxus<br />

bietet, scheitern zu dürfen“ <strong>–</strong> wie es der ehemalige Teilnehmer<br />

Claudius von Stolzmann3 formuliert.<br />

Für den heute 28-jährigen Schauspieler war das Besondere<br />

an <strong>ARTig</strong>, dass sich dort junge Leute ausprobieren konnten <strong>–</strong> und<br />

zwar in <strong>ein</strong>em geschützten Raum: Als Hauptdarsteller in <strong>ein</strong>er<br />

Inszenierung von Georg Büchners Woyzeck im Rahmen des ersten<br />

<strong>ARTig</strong>-Festivals im März 2005 konnte von Stolzmann, damals<br />

noch Medizinstudent, auf <strong>ein</strong>er großen Bühne vor <strong>ein</strong>em ebenso<br />

großen Publikum auftreten, das ihn als Schauspieler ernst nahm<br />

<strong>–</strong> und doch stets mit der Sicherheit, hier mit doppeltem Boden<br />

zu spielen. Einem doppelten Boden, den von Stolzmann mittlerweile<br />

nicht mehr braucht: Nach Ausbildungen in Frankfurt und<br />

an der renommierten Berliner Hochschule für Schauspielkunst<br />

Ernst Busch spielte er bereits an verschiedenen kl<strong>ein</strong>en und gro-<br />

2 Insgesamt wurden 25 Ehemalige angesprochen, von denen elf den Fragebogen ausfüllten<br />

und darüber hinaus zu Gesprächen zur Verfügung standen.<br />

3 Kurze biographische Angaben zu den befragten Alumni befinden sich im Anhang.<br />

80.5<br />

80 81


Artig wirKt! Fachbeitrag von kai krösche<br />

ßen Bühnen in Deutschland und Österreich und wurde gleich<br />

zweimal in Folge für den österreichischen Nestroy-Theaterpreis als<br />

bester Nachwuchsdarsteller nominiert. Für s<strong>ein</strong>e spätere Arbeit<br />

am Theater war die <strong>ARTig</strong>-Woyzeck-Inszenierung <strong>ein</strong>e wertvolle<br />

Erfahrung: Hier konnte er <strong>ein</strong>en real<strong>ist</strong>ischen Einblick in den<br />

Ablauf <strong>ein</strong>er abendfüllenden Theaterinszenierung samt ihrer<br />

Probenprozesse, der Erarbeitung des Stücks und aller Schwierigkeiten,<br />

die sich dabei auftun, gewinnen <strong>–</strong> <strong>ein</strong> Eindruck, der s<strong>ein</strong>e<br />

zukünftigen Proben- und Arbeitsweisen nachhaltig be<strong>ein</strong>flusst<br />

hat, wie er selbst sagt.<br />

Auch s<strong>ein</strong> damaliger Regisseur, der 26-jährige Kolja Burgschuld,<br />

erinnert sich mit positiven Gefühlen an s<strong>ein</strong>e <strong>ARTig</strong>-Teilnahme:<br />

„Damals war ich vollkommen bege<strong>ist</strong>ert, gleich nach<br />

der Schule, wo ich m<strong>ein</strong>e ersten Theatererfahrungen gesammelt<br />

hatte, bei <strong>ein</strong>em solchen Projekt dabei s<strong>ein</strong> zu können“. Auch für<br />

ihn war der Woyzeck die erste Theatererfahrung unter annähernd<br />

real<strong>ist</strong>ischen Bedingungen. Nicht nur habe die Erfahrung s<strong>ein</strong>en<br />

Blick auf das Theater und die Arbeit als Regisseur stark geprägt,<br />

in den besten Momenten habe ihn <strong>ARTig</strong> in den Proben- und<br />

Konzeptionsphasen des Projekts die „Magie des Theaters“ erleben<br />

lassen <strong>–</strong> zu <strong>ein</strong>em Grad, den er bis dahin in dieser Form gar nicht<br />

kannte. <strong>ARTig</strong>, so gibt er gerne zu, war für Burgschuld, der damals<br />

zwischen der Entscheidung zu <strong>ein</strong>em Schlagzeug-Studium<br />

und dem Weg in Richtung Theaterbühne schwankte, „<strong>ein</strong>er der<br />

wenigen entscheidenden Impulse, die mich in jene Richtung geführt<br />

haben, die ich bis zum heutigen Tag weiter gehe.“<br />

Agnes Jaraczewski fand nach ihren <strong>ARTig</strong>-Teilnahmen in<br />

den ersten beiden Jahrgängen ihren Weg ins Kulturmanagement:<br />

Sie studierte Kulturpädagogik auf Bachelor und Kulturmanagement,<br />

engagierte sich nach ihrer Teilnahme mit <strong>ein</strong>er<br />

80.6


Tanzperformance und <strong>ein</strong>er Ausstellung ihrer bildenden Kunst<br />

als jahrelanges Mitglied im <strong>ARTig</strong>-Team. <strong>ARTig</strong>, so sagt sie, habe<br />

ihr <strong>ein</strong>e Möglichkeit gegeben, sich auszuprobieren und <strong>ein</strong>er<br />

Herausforderung zu stellen und vor allem: ihre Arbeit in <strong>ein</strong>em<br />

Kontext präsentieren zu können. An die ersten Jahre der Arbeit<br />

im <strong>ARTig</strong>-Team, während der sie „viele interessante Personen“<br />

kennengelernt habe, denkt sie ebenso gern wie an die Gegenwart:<br />

„Damals war das Team noch recht geschlossen. Ein wilder<br />

Trupp von jungen Kreativen, die etwas richtig Cooles auf die<br />

B<strong>ein</strong>e stellten.“ Nach und nach habe sich die Struktur gewandelt,<br />

ab dem dritten Jahr wurde das Team geöffnet, durchmischte sich<br />

mit ersten Alumni und die Arbeit wurde auch nach außen hin<br />

offener kommuniziert. Seit letztem Jahr leitet Agnes Jaraczewski<br />

schließlich auch die <strong>ARTig</strong> sagt-Redaktion.<br />

Ein Beispiel dafür <strong>ist</strong> auch Raphael Sbrzesny, der nach<br />

s<strong>ein</strong>er <strong>ARTig</strong>-Teilnahme 2006 nicht nur Fuß, sondern gar Füße<br />

fasste: Für den bis dahin eigentlichen Musiker bedeutete <strong>ARTig</strong><br />

die Hinführung zur bildenden Kunst, an der er sich damals zum<br />

ersten Mal in <strong>ein</strong>em professionellen Rahmen probieren konnte.<br />

Es blieb nicht beim Versuch: Neben der universitären Vertiefung<br />

s<strong>ein</strong>er Schlagzeugstudien kam es ebenfalls zu <strong>ein</strong>em Studium<br />

an der Akademie der bildenden Künste in Stuttgart und infolgedessen<br />

zu mehreren Förderpreisen und Auszeichnungen für s<strong>ein</strong>e<br />

Kunstprojekte. An <strong>ARTig</strong> schätzt der 25-Jährige besonders die<br />

Möglichkeit, Verantwortung für erste eigene Projekte und deren<br />

Umsetzung zu übernehmen, dabei aber dennoch in kritischen<br />

Gesprächen gefordert zu werden: So bezeichnet er das Verhältnis<br />

zu s<strong>ein</strong>em Mentor als im Positiven spannungsgeladene Zusammenarbeit,<br />

bei der er immer wieder zum kritischen Hinterfragen<br />

s<strong>ein</strong>es Projekts aufgefordert wurde.<br />

80.7<br />

80 81


Artig wirKt! Fachbeitrag von kai krösche<br />

Diese enge Zusammenarbeit mit den Mentoren schätzte<br />

auch Annette Günter (20), die in den letzten beiden <strong>ARTig</strong>-Durch-<br />

gängen in der Sparte der bildenden Kunst teilnahm und zur Zeit<br />

an der H<strong>ein</strong>rich-H<strong>ein</strong>e-Universität studiert. Das Gefühl, „dass<br />

da jemand <strong>ist</strong>, der Dir weiterhelfen kann oder Dich <strong>ein</strong>fach nur<br />

in D<strong>ein</strong>er Entscheidung bestätigt“, war für sie <strong>ein</strong>e besondere<br />

Qualität der Unterstützung durch <strong>ARTig</strong>, die ihr nicht nur wäh-<br />

rend kreativer Höhenflüge, sondern ebenso während dem <strong>ein</strong><br />

oder anderen Tief anerkennend und motivierend zur Seite stand.<br />

Diese richtige Mischung aus Förderung und Forderung, die Notwendigkeit,<br />

„sich ranzuhalten mit der Umsetzung“, lernen zu<br />

müssen, mit Zeit umzugehen (schließlich rückt der Termin der<br />

öffentlichen Präsentation schneller nah als man denkt) <strong>–</strong> das<br />

alles gehörte für sie zu den Besonderheiten von <strong>ARTig</strong>.<br />

Auch für die 27-jährige Fotokünstlerin Lioba Keuck bedeutete<br />

die Möglichkeit der <strong>ARTig</strong>-Teilnahme, „das erste Mal ernst<br />

genommen zu werden.“ Während bei <strong>ARTig</strong> I das Verhältnis zu<br />

ihrem Mentor eher gespannt war, so wandelte sich beim zweiten<br />

Durchgang dieser erste getrübte Eindruck ins komplette Gegenteil:<br />

In der Zusammenarbeit mit der Mentorin Nina Schmitz<br />

nahm Lioba Keuck nicht nur bereits während der <strong>ARTig</strong>-Teilnahme<br />

viel mit <strong>–</strong> darüber hinaus organisierte die Mentorin in ihrer<br />

Wohnung eigens für die Teilnehmer der Fotosparte zusätzliche<br />

Vorträge und Werkschau-Abende mit namhaften Fotografen:<br />

<strong>ein</strong>e perfekte Gelegenheit, um Kontakte zur Szene zu knüpfen.<br />

Ähnlich wie Lioba Keuck empfand auch Artiom Miziouk<br />

(21), <strong>ein</strong> <strong>ARTig</strong>er der ersten Stunde und heute bereits vierfacher<br />

Teilnehmer, s<strong>ein</strong>e Teilnahme bei <strong>ARTig</strong>: Für ihn war, wie er es<br />

formuliert, <strong>ARTig</strong> „gewissermaßen m<strong>ein</strong> Start in die Mündigkeit.“<br />

Die „große Ermunterung für das eigene künstlerische und<br />

80.8


sonstige Schaffen“, die Unmittelbarkeit des Projekts, die motivierende<br />

Erkenntnis, dass hier jeder <strong>ein</strong>e Chance bekommt, wenn<br />

er sich anstrengt und r<strong>ein</strong>hängt <strong>–</strong> all das macht <strong>ARTig</strong> für ihn zu<br />

etwas Besonderem. Und so <strong>ist</strong> auch nach vier Teilnahmen noch<br />

nicht Schluss mit <strong>ARTig</strong>: Für die Plattform <strong>ARTig</strong> sagt arbeitet<br />

der Student der Philosophie und antiken Kultur als freier Schreiber<br />

<strong>–</strong> und hat dem Netzwerk schließlich nicht nur berufliches,<br />

sondern ebenso <strong>ein</strong> ganz privates Glück zu verdanken: „Ohne<br />

das Netzwerk hätte ich vielleicht m<strong>ein</strong>e Freundin nie kennengelernt“,<br />

verrät er <strong>–</strong> „Ich denke das sagt alles?“<br />

Ein Pool für Kontakte zu Gleichgesinnten bedeutete die Teilnahme<br />

an <strong>ARTig</strong> auch für Pia Weber (22). Immer wieder trifft sie<br />

Leute, die sie bei <strong>ARTig</strong> kennenlernte, in anderen Kulturprojekten<br />

wieder. Wie auch <strong>ein</strong>ige der anderen Alumni arbeitete sie im<br />

Rahmen von <strong>ARTig</strong> das erste Mal an eigenen Fotografieprojekten.<br />

Nicht nur sei sie in der Zeit von <strong>ARTig</strong> sicherer geworden in der<br />

Aus<strong>ein</strong>andersetzung mit den eigenen künstlerischen Arbeiten,<br />

auch habe sie durch die Teilnahme erst richtig das Berufsfeld des<br />

künstlerisch-kulturellen Bereichs als solchen für sich entdeckt.<br />

So habe <strong>ARTig</strong> schließlich ihren Berufswunsch und ihre Studienwahl<br />

„sehr be<strong>ein</strong>flusst und mir Möglichkeiten gezeigt, diesem<br />

näherzukommen“. Die geweckte Neugierde auf die Organisation<br />

von und Mitarbeit an Kunst- und Kulturprojekten führte sie<br />

schließlich zu Studien der „Philosophie und Kulturreflexion“<br />

in Herdecke sowie der „Kulturwissenschaften und ästhetischen<br />

Praxis“ in Hildesheim.<br />

Für Muna Zubi, die derzeitige Projektkoordinatorin von<br />

<strong>ARTig</strong>, bedeutete das Projekt ebenfalls <strong>ein</strong>e folgenreiche Erkennt-<br />

nis: „<strong>ARTig</strong> hat mich auf die Idee gebracht, an der Schnittstel-<br />

le zwischen Kunst/Kultur und Organisation zu arbeiten.“ Dass<br />

80.9<br />

80 81


Artig wirKt! Fachbeitrag von kai krösche<br />

man „im Dunstkreis von Kultur“ auch als nicht selbst aktiver<br />

Kunstschaffender arbeiten kann, sei ihr davor gar nicht so klar<br />

gewesen. So motiviert, ergänzte sie ihre praktischen Erfahrungen<br />

durch die Theorie <strong>ein</strong>es Bachelorstudiums der Kultur- und Medienwissenschaften,<br />

der sie <strong>ein</strong> Masterstudium des Kultur- und<br />

Medienmanagements in Hamburg anhängte, bevor sie 2009 zurück<br />

nach <strong>Düsseldorf</strong> kam, um dort hauptberuflich für <strong>ARTig</strong> zu<br />

arbeiten. Für die 27-Jährige <strong>ist</strong> das Projekt der Beweis, dass man<br />

„mit Bege<strong>ist</strong>erung und Tatendrang mehr erreichen kann, als man<br />

vorher zu denken wagt.“ Die Arbeit im <strong>ARTig</strong>-Team empfindet<br />

sie als <strong>ein</strong>e im „positivsten Sinn“ spannungsgeladene, nicht trotz,<br />

sondern gerade weil im Team Jugendliche mit verschiedensten<br />

Fähigkeiten und Hintergründen vertreten seien <strong>–</strong> Jugendliche<br />

als Mitgestalter seien immer fordernd und kritisch, dabei aber<br />

ebenso bereit, engagiert mitzuarbeiten.<br />

Als Erfolgsstory lassen sich die <strong>ARTig</strong>-Erfahrungen der<br />

19-jährigen Schriftstellerin und Studentin Stella Volkenand lesen:<br />

Hatte sie Fragen während ihrer künstlerischen Teilnahme<br />

an den <strong>ARTig</strong>-Durchgängen III (2006), V (2008) und VI (2009), so<br />

seien diese vom Team jederzeit schnell beantwortet worden; außerdem<br />

sei vom Team die <strong>ARTig</strong> sagt-Redaktion ins Leben gerufen<br />

worden <strong>–</strong> für die sie zur Zeit schreibt. Auch die im Rahmen von<br />

<strong>ARTig</strong> angebotenen Workshops habe sie schon mehrfach wahrgenommen.<br />

Schließlich erhielt sie im Jahr 2008 die Eigen<strong>ARTig</strong>-<br />

Auszeichnung im Bereich Literatur und bekam in diesem Zusammenhang<br />

die Gelegenheit, im Rahmen der <strong>Düsseldorf</strong>er Nacht<br />

der Museen ihre Texte <strong>ein</strong>er größeren Öffentlichkeit auch außerhalb<br />

des <strong>ARTig</strong>-Festivals zu präsentieren. Ihre Mentorin kümmert<br />

sich nach wie vor um sie <strong>–</strong> und durch ihre Teilnahme bei <strong>ARTig</strong><br />

80.10


sei sie schließlich auch in die Poetry-Slam-Szene gerutscht und<br />

habe neue Freunde mit denselben Interessen gefunden.<br />

Darauf, neue Leute, Gleichgesinnte kennenzulernen, freute<br />

sich s<strong>ein</strong>erzeit auch Julius Brauckmann. Die Arbeit mit der<br />

Gruppe, die Kommunikation mit s<strong>ein</strong>em Mentor, der Bescheid<br />

wusste, viele Fragen klären konnte, Tipps zur Produktion gab<br />

und ihn motivierte <strong>–</strong> das alles hatte <strong>ein</strong>en hohen Stellenwert für<br />

den 24-Jährigen, der ähnlich wie Raphael Sbrzesny im Rahmen<br />

von <strong>ARTig</strong> zum ersten Mal etwas Neues ausprobierte, in s<strong>ein</strong>em<br />

Fall Illustrationen, Grafiken und Texte, die mittels Siebdruck auf<br />

Textilien aufgetragen wurden. Auch ihn führte der weitere Lebenslauf<br />

in <strong>ein</strong> künstlerisches Studium an der Hamburger Hochschule<br />

für bildende Künste. Empfehlen kann er <strong>ARTig</strong> schließlich<br />

so ziemlich jedem jungen Kreativen: ob Jugendlichen mit Ideen,<br />

aber ohne die nötigen Mittel zur Umsetzung; oder jungen Menschen<br />

ohne Ideen, aber mit dem nötigen Elan, gestalterisch aktiv<br />

zu werden <strong>–</strong> oder selbst jenen, die auch ohne <strong>ARTig</strong> ihre Projekte<br />

umsetzen könnten, aber, so glaubt er, durch den Austausch in<br />

der Gruppe und mit den Mentoren zusätzliche Einblicke gewinnen<br />

können <strong>–</strong> auch hier also <strong>ein</strong>mal mehr der Eindruck: <strong>ARTig</strong><br />

<strong>ist</strong> für alle da.<br />

iii.<br />

Bei allem Enthusiasmus: Nichts <strong>ist</strong> perfekt, Optimierung<br />

<strong>ist</strong> immer möglich, Weiterentwicklung und -bewegung sind<br />

unentbehrlich. Umso erstaunlicher, dass die Alumni in Bezug<br />

auf die Frage nach möglichen Verbesserungen überraschend<br />

zurückhaltend und kaum bis gar nicht mit wirklich grundsätz-<br />

80.11<br />

80 81


Artig wirKt! Fachbeitrag von kai krösche<br />

licher Kritik reagieren: „An <strong>ARTig</strong> selbst gibt es nicht mehr viel<br />

zu verbessern“, m<strong>ein</strong>t zum Beispiel Annette Günther. Für Juli-<br />

us Brauckmann, Teilnehmer am ersten <strong>ARTig</strong>-Festival, waren<br />

wiederum die Räumlichkeiten im Jungen Schauspielhaus nicht<br />

wirklich geeignet für die Präsentation bildender Kunst <strong>–</strong> „aber<br />

das hat sich ja inzwischen geändert“, wie er bereits selbst hinzufügt.<br />

Für Agnes Jaraczewski gehören dann auch schließlich<br />

das Unperfekte und der anhaltende Mut zur Veränderung zum<br />

Kern des ganzen Projekts: „<strong>ARTig</strong> lebt <strong>ein</strong>en eigenen Spirit, der<br />

sich schwer in Worte fassen lässt, weil er auch <strong>ein</strong>em stetigen<br />

Wandel ausgesetzt <strong>ist</strong>. Die Menschen machen das Projekt. Die<br />

Jugend, die Künstler.“ Auch Kolja Burgschuld beobachtet diesen<br />

„stetigen Wandel“: Während er zwar glaubt, mit dem aufwendigen<br />

Bühnenkonzept im Rahmen s<strong>ein</strong>er Woyzeck-Inszenierung<br />

bei <strong>ARTig</strong> I das Projekt an s<strong>ein</strong>e Grenzen gestoßen zu haben, so<br />

gewann er in Gesprächen mit befreundeten <strong>ARTig</strong>-Teilnehmern<br />

späterer Jahrgänge den Eindruck, dass <strong>ARTig</strong> stets enorm aus den<br />

Erfahrungen der vorangegangen Jahre profitierte und sich infolge<br />

immer weiter verbesserte. Stella Volkenand hingegen wünscht<br />

sich vor allem mehr Transparenz in der Außenpräsentation: Sie<br />

hat den Eindruck, dass Nicht-<strong>ARTig</strong>e abgesehen vom Festival<br />

noch zu wenig von der sechsmonatigen Arbeitsphase, die der<br />

Abschlusspräsentation vorangeht, mitbekommen <strong>–</strong> doch auch<br />

an dem Punkt, so glaubt sie, werde bereits gearbeitet.<br />

„Es <strong>ist</strong> ja immer weitergegangen und geht immer weiter,<br />

zum Beispiel mit <strong>ARTig</strong> sagt und <strong>ARTig</strong> plus. Das <strong>ist</strong> gut!“ findet<br />

dann auch Pia Weber. Und <strong>ein</strong> Bild davon, wie es künftig weitergehen<br />

könnte, liefert Artiom Miziouk: Er schlägt vor, den Schritt<br />

zur „außerfestival<strong>ist</strong>ischen Unterstützung“ zu wagen <strong>–</strong> zum Bei-<br />

80.12


spiel in Form <strong>ein</strong>er „kl<strong>ein</strong>en Akademie“, für die in s<strong>ein</strong>en Augen<br />

<strong>ARTig</strong> plus <strong>ein</strong> guter Ausgangspunkt bedeuten könnte.<br />

Doch auch im Angesicht großer und kl<strong>ein</strong>er Verbesserungsvorschläge<br />

<strong>–</strong> „<strong>ARTig</strong> lebt vom Unperfekten“. Für Agnes<br />

Jaraczewski gehört zu <strong>ARTig</strong> auch bei aller Notwendigkeit organisatorischer<br />

Genauigkeit und Dichte „<strong>ein</strong>e gesunde Portion<br />

Rock’n’Roll“ <strong>–</strong> schließlich könne und dürfe <strong>ARTig</strong> nicht „bis ins<br />

letzte Detail durchgestylt“ werden <strong>–</strong> denn dann verliere es s<strong>ein</strong>e<br />

Authentizität.<br />

Genau das nämlich, diese Authentizität <strong>–</strong> das <strong>ist</strong> es, was die<br />

(ehemaligen) Teilnehmer an <strong>ARTig</strong> neben allem anderen augensch<strong>ein</strong>lich<br />

so schätzten und schätzen; Und das <strong>ist</strong> es schließlich<br />

auch, da sind sich alle <strong>ein</strong>ig, was sich <strong>ARTig</strong> bei aller Notwendigkeit<br />

des Wandels und der Weiterentwicklung stets erhalten<br />

sollte. Einen Grund, dies nicht zu tun, gäbe es aber zugegebenermaßen<br />

ohnehin nicht; denn bei aller Komplexität <strong>ein</strong>er Thematik<br />

wie „Nachhaltigkeit“ und den damit verbundenen Fragen <strong>–</strong> so<br />

viel (und noch viel mehr) lässt sich nun mit Sicherheit feststellen:<br />

<strong>ARTig</strong> wirkt. Und <strong>ARTig</strong> wirkt weiter.<br />

80.13<br />

80 81


Artig wirKt! Fachbeitrag von kai krösche<br />

80.14


Kai Krösche<br />

Nach <strong>ein</strong>er Hospitanz bei Chr<strong>ist</strong>oph Schlingensief in Berlin ging<br />

er Ende 2005 nach Wien, um dort Theater-, Film- und Medienwissenschaft<br />

zu studieren. Seit 1996 dreht er Kurzfilme, seit 2003<br />

inszeniert er Theaterabende gem<strong>ein</strong>sam im Kollektiv "Darum<br />

Theater" in <strong>Düsseldorf</strong> und Wien. Seit 2009 <strong>ist</strong> er Filmkritiker<br />

für das Magazin WIENER, infolge <strong>ein</strong>er Teilnahme am Theatertreffen-Blog,<br />

der offiziellen Online-Dokumentation des Berliner<br />

Theatertreffens als <strong>ein</strong>er von acht ausgewählten Journal<strong>ist</strong>en,<br />

folgten ab 2010 Arbeiten als Film- und Theaterkritiker für nachtkritik.de,<br />

kultiversum.de und die Wiener Zeitung. Teilnehmer<br />

<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> I, 2004/05<br />

80.15<br />

80 81


Artig wirKt! Fachbeitrag von kai krösche


80 81


inTERViEw marTina STec-meierT


„ Nicht nur künstlerisch, sondern auch<br />

gesellschafts-kreativ.“<br />

82 83<br />

Martina Stec-Meiert war erste Projektkoordinatorin bei <strong>ARTig</strong> von 2004 bis 2009<br />

und hat das Projekt mit herzblut und Engagement geprägt. Über das R<strong>ein</strong>geworfenwerden,<br />

<strong>ARTig</strong> als „offenen Raum“, ihr loslassen und <strong>ein</strong>en Neubeginn sprach sie mit<br />

<strong>ARTig</strong>-Mentor Thomas Weltner.<br />

Thomas Weltner: Martina, ich hab’ ja <strong>ein</strong>e These und darauf bezieht sich auch m<strong>ein</strong>e<br />

erste Frage: <strong>ARTig</strong> findet sozusagen die Leute, nicht die Leute <strong>ARTig</strong>. Aber wie <strong>ist</strong> es<br />

Dir gegangen? hat <strong>ARTig</strong> Dich gefunden oder hast Du <strong>ARTig</strong> gefunden?<br />

Martina Stec: Nachdem ich damals im Ausland war, in Barcelona, habe ich mich zunächst an<br />

m<strong>ein</strong>en Professor gewandt, da ich <strong>ein</strong>en Job im Kulturbereich suchte. Schließlich meldete<br />

sich <strong>ein</strong> guter Freund aus der Theatergem<strong>ein</strong>schaft, Stefan Fischer-Fels, der das <strong>Düsseldorf</strong>er<br />

Kinder- und Jugendtheater viele Jahre geleitet hat, und sagte: Du, ich hab’ leider k<strong>ein</strong>en<br />

Job im Theater. Nee, hab’ ich gesagt, ich will auch gar nicht im Theater arbeiten. Ich wollte<br />

<strong>ein</strong>en anderen Schwerpunkt setzen: Organisation und Jugend, kulturelle Jugendarbeiten,<br />

das <strong>ist</strong> m<strong>ein</strong> Thema. Und dann meldete er sich aber trotzdem wieder und sagte: „Wir treffen<br />

uns <strong>ein</strong>fach mal so zum Quatschen, vielleicht kommen wir ja auf irgendetwas. Ich hab’ da<br />

auch mit dem Kulturamt so <strong>ein</strong>en Termin gehabt …“ Dann habe ich prompt diesen Termin<br />

verpasst. Liege abends im Bett, heiß und kalt wurde mir und ich denke nur, „N<strong>ein</strong>! Heute<br />

war das Treffen.“ Ich habe tatsächlich vier Monate lang <strong>ein</strong>en Job gesucht, hab’ gearbeitet,<br />

um Geld zu verdienen, machte gerade <strong>ein</strong>en Messejob … Ich dachte, das gibt es nicht! Aber<br />

dann ruft der mich am nächsten Tag wieder an und sagt: „Hallo, wo b<strong>ist</strong> du denn? <strong>–</strong> Pass<br />

auf, Du fährst jetzt direkt ins Kulturamt.“ Ich also damals mit m<strong>ein</strong>em Messe-Outfit, was<br />

das schlimmste Outfit der Welt war, bei Frau Winkelmann r<strong>ein</strong>gestolpert und hab als erstes<br />

gesagt: „Schönen guten Tag, so sehe ich normalerweise nicht aus.“ Das erste Mal <strong>ARTig</strong>


inTERViEw marTina STec-meierT<br />

und ich sah aus wie <strong>ein</strong>e Busfahrerin, grau! <strong>–</strong> So. Dann saß ich da und dann haben wir sofort<br />

losgelegt: Es ging schon um die konkrete Konzeptidee und um den Namen. Später dann<br />

kamen noch Judith (Weißenborn), Konstantin (Faust-Olsowski), Fabian (Schulz) und Muna<br />

(Zubi) dazu. <strong>–</strong> Ich glaube, die haben zunächst gedacht, jetzt <strong>ist</strong> es vorbei. Da kommt so <strong>ein</strong>e<br />

in Weste und Anzug. Du glaubst nicht, wie schlimm dieses Treffen war!!! Frau Winkelmann<br />

hatte mit mir bereits geklärt, dass ich bei <strong>ARTig</strong> anfange, und das merkten die anderen<br />

natürlich auch <strong>–</strong> und haben eigentlich am Ende fast gar nichts mehr gesagt. Das war m<strong>ein</strong>e<br />

erste Verbindung mit <strong>ARTig</strong>.<br />

Dann frag’ ich doch gleich weiter. Welches D<strong>ein</strong>e Aufgabe bei <strong>ARTig</strong> war, <strong>ist</strong> ja bekannt.<br />

Aber was hast Du als D<strong>ein</strong>e persönliche herausforderung bei <strong>ARTig</strong> empfunden?<br />

Eigentlich, den Spagat zwischen den <strong>ein</strong>zelnen Zielgruppen hinzubekommen und gleich-<br />

zeitig die Beziehungen aufzubauen. Eigentlich <strong>ein</strong>e wunderschöne Herausforderung, die<br />

Interessen und die Art und Weise der jungen Menschen mit dem zu verbinden, was ich im<br />

Kulturamt mitgenommen habe, bei der Vodafone Stiftung und dann bei den Mentoren.<br />

Und auch zu sehen, wie sich dieses Projekt entwickelt hat <strong>–</strong> durch diese Arbeit, durch die-<br />

se verschiedenen Menschen, dieses Von<strong>ein</strong>anderlernen, An<strong>ein</strong>anderreiben, Auf<strong>ein</strong>ander-<br />

zugehen. Durch dieses Auf<strong>ein</strong>anderprallen unterschiedlichster Welten, durch das dieses<br />

Projekt plötzlich geboren werden konnte. Und das zu leiten und zu steuern, das war m<strong>ein</strong>e<br />

Herausforderung.<br />

Gibt es <strong>ein</strong>e persönliche Geschichte mit <strong>ARTig</strong>? Bestimmt, oder? Welche fällt Dir <strong>ein</strong>?<br />

Viele! Eine persönliche Geschichte … muss ich gleich noch mal drüber nachdenken.<br />

Gibt es <strong>ein</strong>en Moment, in dem Du gesagt hast, jetzt gibt es <strong>ARTig</strong>?<br />

Wenn Du so fragst <strong>–</strong> das war nicht sofort. Gute Frage! Also bestimmt erst nach dem zweiten<br />

Festival, als wir begonnen haben, vom <strong>ARTig</strong> Spirit zu sprechen. Und als wir davon sprachen,<br />

wussten wir auch, dass wir uns irgendwie ähnlich waren, alle beschwingt von der Idee <strong>ARTig</strong>.<br />

Bis das geboren war, da haben wir schon <strong>ein</strong> bisschen arbeiten müssen. Das war, glaube ich,<br />

das zweite Festival. Wir wollten, dass gleich beim Empfang die Menschen das Gefühl haben<br />

zu verstehen, worum es hier geht <strong>–</strong> und das fängt auch schon bei den Medien an. Ich glaube,<br />

da war das so <strong>–</strong> dann gab es irgendwie <strong>ARTig</strong>. Dann haben wir auch nicht mehr von <strong>Düsseldorf</strong><br />

<strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> gesprochen, sondern nur noch von <strong>ARTig</strong>.


Wie <strong>ist</strong> denn der Name <strong>ARTig</strong> entstanden?<br />

Art:Action. So hieß das noch, als ich an den Tisch mit m<strong>ein</strong>em Busfahrer-Outfit kam. Und so<br />

stand es auch noch in m<strong>ein</strong>em Vertrag. Art und Action… Der Name <strong>ARTig</strong> entstand in <strong>ein</strong>em<br />

Brainstorming. Und daraus <strong>ist</strong> später „<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong>“ entstanden. Es waren viele verschiedene<br />

Namen. Action hieß es am Anfang.<br />

Stimmt ja irgendwie. Trotzdem: Gut, dass es nicht dabei geblieben <strong>ist</strong> …<br />

Ja <strong>–</strong> (lacht.) Das hat es auch übrigens leichter gemacht, nachher noch die Leute zu finden,<br />

wenn wir wirklich speziell jemanden gebraucht haben, also für irgend<strong>ein</strong>e Frage. Dieses<br />

Gefühl zu diesem Projekt. Wir wussten, das <strong>ist</strong> es, was wir machen.<br />

84 85<br />

Du hast <strong>ARTig</strong> 2009 verlassen. und mit <strong>ARTig</strong> wächst ja auch <strong>ein</strong>e Persönlichkeit<br />

heran. Wenn <strong>ARTig</strong> <strong>ein</strong>e Person wäre, wie würdest Du diese Person beschreiben <strong>–</strong> wie<br />

Du sie kennst, wie Du sie erlebt hast?<br />

Weltaufgeschlossen, wandlungsfähig, den Herausforderungen oder auch den Ängsten <strong>ein</strong>er<br />

Gesellschaft gewachsen und auch handlungsfähig, in der Lage zu reagieren. Auch jemand,<br />

der zum Beispiel <strong>ein</strong>e Krise nicht als persönlichen Niedergang sehen würde, sondern daraus<br />

neue Wege findet, <strong>ein</strong>e Weggabelung. Jemand der sagt, „auch gut, da mache ich jetzt mal so<br />

weiter.“ Ja, das Leben <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>e Herausforderung mit dem, was kommt. Damit etwas Neues gestalten.<br />

Eigentlich schon sehr kreativ, nicht nur künstlerisch, auch „gesellschafts-kreativ“.<br />

Wie ging es Dir damit, die Person <strong>ARTig</strong> sozusagen ihres Weges gehen zu lassen, zu<br />

sagen, wir sehen uns ab und zu, aber ich bin jetzt mal weg?<br />

Total schwierig. Wenn ich in dem Moment nicht schon <strong>ein</strong> Kind im Körper gehabt hätte, wäre<br />

es noch schwieriger gewesen, weil ich irgendwie immer wusste, die Aufgabe geht vorbei, ich<br />

muss Platz machen. Ich weiß nicht, wie ich den Absprung sonst geschafft hätte. Ich wusste<br />

immer, dass das <strong>ein</strong>e Aufgabe <strong>ist</strong>, die ich da <strong>ein</strong>genommen habe, die irgendwann jemanden<br />

anderen braucht und ich saß ja genau hier mit Muna <strong>–</strong> zufällig, als ich gerade wusste, dass<br />

ich schwanger bin. Mir war aber dann sofort klar, die muss das jetzt machen. Und das war<br />

dann auch so, deshalb konnte ich auch gut gehen, weil ich wusste, das <strong>ist</strong> jetzt die Person.<br />

Die haben wir gefunden. Ich hätte da auf k<strong>ein</strong>en Fall irgendjemanden rangelassen, der diesem<br />

Projekt nicht richtig gewachsen wäre. Ich weiß nicht, wie wir das sonst gemacht hätten


inTERViEw marTina STec-meierT<br />

„ Das Gefühl sollte bleiben,<br />

dass es eigentlich <strong>ein</strong> offener Raum <strong>ist</strong>.“<br />

außer mit jemandem wie Muna, die das Projekt schon kannte. Deswegen <strong>ist</strong> es mir schon<br />

leichter gefallen. Ich merke, jetzt werde ich wieder zurückerinnert <strong>–</strong> ich habe bestimmt <strong>ein</strong><br />

Dreivierteljahr gebraucht, um Abschied zu nehmen. Ich habe mir viele Gedanken gemacht,<br />

ob da noch irgendetwas <strong>ist</strong>, was das Team wissen will. Wie willst Du das transportieren, was<br />

Du da r<strong>ein</strong> gebracht hast, dachte ich mir. Wie willst Du Hilfestellung geben? Letztlich aber<br />

hat sich alles gefunden. Das passt auch zu dieser Person <strong>ARTig</strong>, wenn man <strong>ein</strong>e vor sich<br />

hätte, dass sie das zu lösen weiß.<br />

Das finde ich auch erstaunlich, diese Fähigkeit zur Selbsterneuerung. Woher kommt<br />

dieses Phänomen? Ein nicht durchorganisiertes und strukturiertes Projekt, selbstständig<br />

in der lage, sich zu organisieren …<br />

Ja, das <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> besonderes Geheimrezept … Wenn ich jetzt so darüber nachdenke <strong>–</strong> hab’ ich<br />

noch nie <strong>–</strong>, besteht es aus diesen Beziehungen, aus diesen Spannungsverhältnissen oder<br />

Energiefeldern, die die Menschen mitbringen. Vielleicht dadurch, dass immer wieder Neue<br />

hinzukommen, jedes Jahr. Dadurch bleibt diese Reibungsfläche. Da sind ja auch immer <strong>ein</strong><br />

paar Alte dabei. Irgendwie <strong>ist</strong> es dadurch tatsächlich schwierig, <strong>ARTig</strong> nachmachen zu wol len.<br />

Du kannst es eigentlich nicht kopieren.<br />

Ja, das <strong>ist</strong> interessant.<br />

Das <strong>ist</strong> auch gut, das macht es ja auch so <strong>ein</strong>zigartig.<br />

Das <strong>ist</strong> erstaunlich, das stimmt.<br />

Wir haben auch immer gesagt, das <strong>ist</strong> so <strong>ein</strong> Selbstläufer. Es <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> abgedroschenes Wort,<br />

aber es stimmt.


Es haben ja ganz wesentliche leute mit Dir angefangen. Aber auch Mentoren wie<br />

Klaus Sievers und Andrea canta haben irgendwann aufgehört. <strong>ARTig</strong> gibt es aber nach<br />

wie vor. Es verändert sich, aber es kommt irgendwie immer wieder in gute hände.<br />

Es bleibt in guten händen, es gibt immer wieder neue Impulse. Ist die Fähigkeit der<br />

<strong>ARTig</strong>-Beteiligten, auch Abschied nehmen zu können etwas, das <strong>ARTig</strong> stärkt?<br />

Auf jeden Fall. Also, ich glaube, dass war mir auch super wichtig, gehen zu können. Ich glau-<br />

be, das macht <strong>ein</strong> System oder <strong>ein</strong>e Organisation oder <strong>ein</strong> Projekt krank, wenn da Menschen<br />

nicht loslassen können. Du lässt etwas Altes und me<strong>ist</strong>ens etwas, was nicht mehr so fit <strong>ist</strong> zu-<br />

rück und das bringt nichts. Entweder geht man und dann muss man sich auch verabschieden<br />

oder man bleibt. Das fand ich immer wichtig. Es hat natürlich die Anlaufstelle im Kulturamt,<br />

die sehr wichtig <strong>ist</strong>. Ich glaube schon, dass Frau Winkelmann da <strong>ein</strong>e sehr zentrale, <strong>ein</strong>e sehr<br />

wichtige Aufgabe innehat. Ich glaube, das <strong>ist</strong> sehr wichtig. Sie <strong>ist</strong> das Rückgrat.<br />

Wo siehst Du die Grenzen von <strong>ARTig</strong>?<br />

und sollten die <strong>ARTig</strong>en sie überschreiten dürfen?<br />

Es <strong>ist</strong> die Frage, was sind Grenzen? Das fängt mit der Altersgrenze an. Das <strong>ist</strong> das erste, was<br />

mir <strong>ein</strong>fällt. Ich fand das immer sehr schwierig. Bei jemandem, der dreiundzwanzig<strong>ein</strong>halb<br />

war und unbedingt mitmachen wollte, konnte ich die Grenze (23 Jahre) schwer aufrechterhalten.<br />

Inhaltlich gibt es da, glaube ich, eher Grenzthemen. Ich erinnere mich immer an <strong>ein</strong>e<br />

Skatergruppe. Die wollten <strong>ein</strong>en Skaterpark bekommen, hatten das aber anders formuliert.<br />

Da <strong>ist</strong> dann auch die Aufgabe von <strong>ARTig</strong> zu gucken, was <strong>ist</strong> die Idee wirklich? Und da zu<br />

sehen, dass es nicht unser Thema, sondern <strong>ein</strong> Grenzthema <strong>ist</strong>. Es könnte passen, aber es<br />

passt nicht. Und dann zu sagen, dafür gibt es <strong>ein</strong>fach andere Orte.<br />

Warum passte das nicht?<br />

86 87<br />

Die wollten wirklich <strong>ein</strong>en Skaterpark aufgebauen, also Geld für <strong>ein</strong>en Skaterpark bekommen.<br />

Die dachten nicht an <strong>ein</strong>e Skateboard-Performance oder Malerei auf ihren Boards.<br />

Ist ja interessant, dass die überhaupt darauf kamen, dass das für sie infrage kommen<br />

könnte.<br />

Ich glaube, das kam auch, weil wir Stadt-Promotion gemacht haben und damit natürlich<br />

auch Grenzzielgruppen erreicht haben.


inTERViEw marTina STec-meierT<br />

Du sagtest ja eben schon, dass es räumliche Grenzen gibt für <strong>ARTig</strong>, beziehungsweise<br />

Grenzen des Kopierens. Das finde ich ganz interessant.<br />

Kopierschutz!<br />

Es <strong>ist</strong> so schwer zu definieren und daher auch schwer zu kopieren. Das wäre ja <strong>ein</strong>e<br />

Grenze, die <strong>ARTig</strong> auch schützt. Auf der anderen Seite wiederum könnte man ja auch<br />

sagen: Was spricht dagegen, dass andere Städte auch so <strong>ein</strong> Projekt bekommen? Das<br />

muss ja <strong>ARTig</strong> nicht weh tun, das kann ja anders heißen.<br />

Es <strong>ist</strong> schwierig, und es würde auch immer anders werden. Das kannst Du nicht irgendwo<br />

hinsetzen und das entfaltet sich dann genauso. Deswegen habe ich immer gesagt, wenn<br />

es passieren würde in <strong>ein</strong>er anderen Stadt, dann wäre es <strong>ein</strong> ganz anderes Projekt und dann<br />

wäre es auch nicht schlimm. Aber so, wie wir das hier erlebt haben, und auch mit dieser<br />

Entwicklungsgeschichte passt das ja dann auch zu der Stadt und zu den Menschen.<br />

Was denkst Du, was <strong>ARTig</strong> werden soll oder bleiben sollten?<br />

Also, was es werden soll, möchte ich gar nicht beantworten, und kann das auch gar nicht<br />

beantworten. Da würde ich k<strong>ein</strong>e Prognosen entwickeln. Ich kann nur hoffen, dass es so<br />

gesund bleibt, wie es jetzt <strong>ist</strong>, und dass sich dieses Samenkorn immer weiter trägt und nicht<br />

abstirbt, dass es immer irgendwie wieder Wasser findet bei Leuten, wo es weiter wachsen<br />

kann, so könnte ich das beantworten. Das soll werden.<br />

Bleiben sollte es tatsächlich weiterhin <strong>ein</strong>e Plattform, die obwohl sie so speziell <strong>ist</strong>, offen<br />

<strong>ist</strong> für neue Leute, für Menschen, die Lust drauf haben. Das Gefühl sollte bleiben, dass es<br />

eigentlich <strong>ein</strong> offener Raum <strong>ist</strong>.<br />

Also ich hab’ die Erfahrung ja ganz konkret gemacht. Ich bin ja 2008 durch Dich neu<br />

dazugekommen, und wir haben da m<strong>ein</strong>e Aufgabe <strong>–</strong> die Mentorenschaft Kommunikation<br />

<strong>–</strong> neu definiert. Das hat mich be<strong>ein</strong>druckt, dass <strong>ein</strong> Projekt so aufmerksam <strong>ist</strong>,<br />

den Blick so offen hat, dass es so etwas überhaupt sieht. Das gibt es selten, nur selten<br />

sogar in sehr innovativen unternehmen.<br />

Ja, und das war ja auch tatsächlich <strong>ein</strong>e Begegnung zwischen uns, wo wir da saßen, wo ich<br />

wusste in dem Moment, das könnte so <strong>ein</strong> Raum s<strong>ein</strong>, in dem könntest Du dich wohlfühlen.<br />

Und da muss jetzt nur genug Sauerstoff s<strong>ein</strong>, damit es weitergeht für Dich oder überhaupt<br />

beginnen kann.


Ich hab’ es nicht <strong>ein</strong>en Moment als Hürde empfunden, in das Projekt hin<strong>ein</strong>zukommen.<br />

Natürlich brauchte es Zeit, bis ich alles mitbekommen hatte. Dann hatte ich ja<br />

anders als die Mentorenkollegen, die wechseln, die <strong>ein</strong>e bereits bestehende Aufgabe<br />

ja anders neu ausfüllen, diesen Raum auch erst <strong>ein</strong>mal zu entwickeln. Da war ich<br />

gefordert. Das findet sich immer noch.<br />

Es <strong>ist</strong> immer <strong>ein</strong> Nährboden, also genau so <strong>ein</strong> Nährboden, ja der soll bleiben. Das wäre<br />

auch <strong>ein</strong> Wunsch für die Zukunft, dass die Menschen, die in diesem Projekt arbeiten, dass<br />

sie es schaffen, das aufrechtzuerhalten. Das <strong>ist</strong> für die Zukunft vielleicht so <strong>ein</strong>e Vision.<br />

Das <strong>ist</strong> wichtig.<br />

Welches war D<strong>ein</strong> Abschiedserlebnis mit <strong>ARTig</strong>?<br />

Mit Rut auf der Bühne. Das war schon <strong>ein</strong> Abschiedserlebnis. Rut (Profe-Bracht), die ich ja<br />

auch schon ganz lange kenne, mit mir da auf der Bühne. Sie war hochschwanger, ich ebenfalls<br />

schon schwanger. Ich sagte dann: „Da kommt die Rut angerollt. Die sieht aus wie <strong>ein</strong><br />

Berliner.“ <strong>–</strong> Wir hatten gerade <strong>ein</strong> Projekt in dieser Runde, das hieß „Die Berliner.“ <strong>–</strong> Da hat die<br />

mich angeguckt. Sie wusste auch, dass ich schwanger war … Das war vielleicht so <strong>ein</strong>e sehr<br />

persönliche Abschiedsgeschichte. Das persönliche Erlebnis gab’s eigentlich immer wieder.<br />

Ich hatte immer Momente, an die ich mich erinnern kann.<br />

Momente, wenn ich Projekte vorgestellt bekam, bei denen ich realisierte: Oh Gott, was machen<br />

wir hier eigentlich Tolles! Was <strong>ist</strong> denn das? Das <strong>ist</strong> so anders. Wir machen wirklich<br />

etwas ganz Tolles!<br />

„ Das Gefühl sollte bleiben,<br />

dass es eigentlich <strong>ein</strong> offener Raum <strong>ist</strong>.“<br />

88 89


ARTiG fESTiVAL 2009 arTig vi<br />

Agnes Jaracewski, was sollte <strong>ARTig</strong> werden oder bleiben?<br />

<strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>e Baustelle,<br />

die sich ständig erneuert,<br />

sich selbst neue Ziele steckt.<br />

Es muss frei, jung und<br />

reaktionsfähig bleiben.


<strong>ARTig</strong> vI<br />

Festival 2009<br />

90 91


cRYPSiS FaBian ScHumacHer, daniel FrieS, ToBiaS raaB, luc Jouon, arTig iv


BEYoN D<br />

ThE<br />

lIMIT<br />

92 93


DE AnimALiBuS in uRBE <strong>–</strong> STADTfABEL anTonia BeeSkow, arTig vii<br />

Ein ort an dem Stahl in den himmel ragt.<br />

Allerhand Getier trifft auf Getier und lebt me<strong>ist</strong> in friedlicher Symbiose.<br />

Die Stadt <strong>ist</strong> tödlich …


94 95


ARTiG fESTiVAL 2010 arTig vii<br />

<strong>ARTig</strong> vII<br />

Festival 2010


Muna Zubi, wie beurteilst Du <strong>ARTig</strong>s Fähigkeit<br />

zur Partizipation und Selbsterneuerung?<br />

<strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> nachwachsender<br />

Rohstoff. Doch der kann<br />

nur unter guten Wachstumsbedingungen<br />

gedeihen,<br />

und die müssen geschaffen<br />

werden!<br />

96 97


VARiniA AKuA varinia akua, arTig iv


KoMM IN MEINE ARME<br />

Ich MuNTER DIch AuF<br />

IMMER IMMER WIEDER<br />

SolANG Du ES BRAuchST<br />

BABY Ich TRAG DIch<br />

Ich TRAG DIch EGAl WIE lANG<br />

Ich ERINNER DIch<br />

DASS Du FlIEGEN KANNST<br />

98 99


Von jEDEm woRT, DAS unnüTz unS EnTfALLEn monika malczewSki, arTig vii<br />

Warum in aller Welt hat man für das Wort Abkürzung k<strong>ein</strong> kürzeres gewählt<br />

Warum <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>silbig dreisilbig<br />

Was haben Schmetterlinge im Bauch wenn sie verliebt sind<br />

Wenn <strong>ein</strong>e Getreidemühle Getreide mahlt und <strong>ein</strong>e Pfeffermühle Pfeffer,<br />

was passiert in der Windmühle<br />

Warum können Nasen laufen und Füße auch riechen<br />

haben Teefabrikarbeiter auch Kaffeepausen


?<br />

?<br />

?<br />

?<br />

?<br />

?<br />

100 101


TEAM<br />

Team


„ Wir haben <strong>ein</strong> immer gleich<br />

bleibendes Herzstück, zwar mit<br />

wechselnden Teilnehmern,<br />

aber <strong>ein</strong>er gem<strong>ein</strong>samen Idee,<br />

der <strong>ARTig</strong>en.“<br />

102 103


AnhAnG<br />

ANhANG


Über die vodafone Stiftung<br />

Erkennen. Fördern. Bewegen.<br />

104 105<br />

Die Vodafone Stiftung <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>e der großen unternehmensverbundenen Stiftungen in<br />

Deutschland und Mitglied <strong>ein</strong>er weltweiten Stiftungsfamilie. Als eigenständige gem<strong>ein</strong>-<br />

nützige Institution fördert und initiiert sie Projekte insbesondere mit Bildungsbezug. Ziel <strong>ist</strong><br />

es, Impulse für den gesellschaftlichen Fortschritt zu geben, die Entwicklung <strong>ein</strong>er aktiven<br />

Bürgergesellschaft zu unterstützen und gesellschaftspolitische Verantwortung zu überneh-<br />

men. Dabei geht es der Stiftung vor allem darum, benachteiligten Kindern und Jugendlichen<br />

sozialen Aufstieg zu ermöglichen. Das Förderprofil der Stiftung steht unter dem Leitmotiv:<br />

„Erkennen. Fördern. Bewegen.“


AnhAnG<br />

<strong>ARTig</strong>-Alumni<br />

Die Kurzbiografien der von Kai Krösche für den Beitrag <strong>ARTig</strong> wirkt befragten Alumni<br />

Julius Brauckmann<br />

<strong>ARTig</strong> I Bildende Kunst (2005), Studium „Visuelle Kommunikation“ an der Hochschule für<br />

Bildende Künste Hamburg<br />

Kolja Burgschuld<br />

<strong>ARTig</strong> I (Theater), Studium der Theater- Film- und Medienwissenschaft an der Universität<br />

Wien, freier Theater- und Filmemacher, seit 2011 Geschäftsführer der ASSITEJ Austria,<br />

Wien<br />

Annette Günther<br />

<strong>ARTig</strong> VI (2009), <strong>ARTig</strong> VII (2010), Bildende Kunst, Studium an der H<strong>ein</strong>rich-H<strong>ein</strong>e-Universität<br />

<strong>Düsseldorf</strong> (WS 2010), Kunstgeschichte und Antike Kulturen<br />

Agnes Jaraczewski<br />

<strong>ARTig</strong> I Tanz (2005), <strong>ARTig</strong> II Bildende Kunst/Installation (2006), Ausbildung Mediengestalterin,<br />

BA Kulturpädagogik, MA Kulturmanagement, Arbeit im <strong>ARTig</strong>-Team, Redaktionsleitung<br />

<strong>ARTig</strong> sagt, seit 2010 Projektkoordinatorin „<strong>Musenkuss</strong> <strong>–</strong> Bildungsplan <strong>Düsseldorf</strong>“<br />

lioba Keuck<br />

<strong>ARTig</strong> I Fotographie (2005), <strong>ARTig</strong> II Ass<strong>ist</strong>entin der Mentorin Nina Schmitz, ab 2004 Studium<br />

Freie Kunst Schwerpunkt Fotografie Kunstakademie Münster, ab 2006 Zweitstudium<br />

Fotodesign FH Dortmund, 2009 Ernennung zur Me<strong>ist</strong>erschülerin Kunstakademie Münster,<br />

2010 Auslandsstudium Lissabon


Artiom Miziouk<br />

<strong>ARTig</strong> I Bildende Kunst (2005), <strong>ARTig</strong> II Theater (2006), <strong>ARTig</strong> IV Bildende Kunst (2007),<br />

<strong>ARTig</strong> V Bildende Kunst (2008), Studium der Philosophie und Antike Kultur an der H<strong>ein</strong>rich-<br />

H<strong>ein</strong>e-Universität <strong>Düsseldorf</strong> (WS 2010)<br />

Raphael Srbzeszny<br />

<strong>ARTig</strong> II Bildende Kunst (2006), Schlagzeugstudium in verschiedensten Städten, Bildhauerei<br />

und Freie Kunst, Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, Musiktheater und<br />

Komposition in Bern<br />

claudius von Stolzmann<br />

<strong>ARTig</strong> I (Schauspieler in Woyzeck), Schauspielstudium an der Schauspielschule Frankfurt<br />

(2005<strong>–</strong>2006) und an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin (2006<strong>–</strong><br />

2010), seitdem zahlreiche Engagements im ganzen deutschsprachigen Raum<br />

Stella volkenand<br />

<strong>ARTig</strong> III Fotografie (2007), <strong>ARTig</strong> V Literatur (2008), <strong>ARTig</strong> VI Literatur (2009), Studium<br />

„Medien- und Kulturwissenschaften“, HHU <strong>Düsseldorf</strong><br />

Pia Weber<br />

<strong>ARTig</strong> II Fotografie (2006), <strong>ARTig</strong> III Fotographie (2007), Mitarbeit im <strong>ARTig</strong>-Team, Studium<br />

„Philosophie und Kulturreflexion“ (Universität Witten/Herdecke), anschließend „Kulturwissenschaften<br />

und ästhetische Praxis“ (Hildesheim)<br />

Muna Zubi<br />

<strong>ARTig</strong> I <strong>–</strong> IV Team, ab 2009 Projektkoordination, Studium BA Kultur- und Medienwissen-<br />

schaften, MA Kultur- und Medienmanagement<br />

106 107


Impressum<br />

herausgeber<br />

Vodafone Stiftung Deutschland<br />

gem<strong>ein</strong>nützige GmbH<br />

Am Seestern 1<br />

40547 <strong>Düsseldorf</strong><br />

www.vodafone-stiftung.de<br />

Telefon +49 211 533-5392<br />

Telefax +49 211 533-1898<br />

verantwortlich<br />

Petra Wickenkamp<br />

Konzeption und Redaktion<br />

Petra Winkelmann<br />

Muna Zubi<br />

Thomas Weltner<br />

Grafische Konzeption und Gestaltung<br />

trafodesign GmbH, <strong>Düsseldorf</strong><br />

Fotonachweise<br />

Jürgen Wogirz


Erkennen. Fördern. Bewegen.<br />

Vodafone Stiftung Deutschland<br />

gem<strong>ein</strong>nützige GmbH<br />

Am Seestern 1<br />

40547 <strong>Düsseldorf</strong><br />

Telefon: +49 211 533-5392<br />

Telefax: +49 211 533-1898<br />

info@vodafone-stiftung.de<br />

www.vodafone-stiftung.de

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