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Sinnlichkeit und Sprache

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1 Das Denkmodell<br />

1.1 Ein unzureichendes Menschenbild<br />

Die derzeitige Bildungsdiskussion einschließlich großer Teile der Entwicklungspsychologie<br />

<strong>und</strong> der Kindheitsforschung spiegeln ein Menschenbild,<br />

das von einer Trennung des Geistes vom Körper ausgeht. Darüber hinaus<br />

wird der Geist auch noch auf das Bewusstsein <strong>und</strong> den rationalen Verstand<br />

eingeschränkt. Dieses unhinterfragte, erkenntnisleitende Bild vom Menschen<br />

geht in das Verständnis pädagogischer „Vermittlungsprozesse“ genauso<br />

ein, wie in die „soziale Konstruktion von Individuen“ oder die „Herstellung“<br />

wie „Kontrolle“ von Bildungsinstitutionen <strong>und</strong> Bildungssystemen:<br />

Kleine <strong>und</strong> große Menschen werden als Wesen angesehen, die durchweg<br />

von Verstand <strong>und</strong> Rationalität geleitet <strong>und</strong> darüber explizit beeinflussbar<br />

erscheinen. Ihnen stehen die eher stummen <strong>und</strong> impliziten Wirkungen gesellschaftlicher<br />

<strong>und</strong> kultureller Kräfte gegenüber.<br />

Wenn wir uns mit den Bildungsprozessen kleine Kinder beschäftigen, ist<br />

diese erkenntnistheoretische Voraussetzung völlig unzureichend, denn unter<br />

dem Aspekt eines auf den denkenden Verstand beschränkten Bewusstseins<br />

muss das kleine Kind gänzlich defizitär erscheinen. Die Leistungen,<br />

die es in seinen Bildungsprozessen von Anfang an vollbringt, können damit<br />

nicht erfasst werden, weil sie am Anfang gar nicht <strong>und</strong> später auch nur sehr<br />

partiell unter dem Aspekt bewusster Erfahrung <strong>und</strong> bewussten Lernens<br />

verständlich gemacht werden können. Aus dieser Perspektive ergibt sich<br />

bestenfalls kindertümelnde Herablassung gegenüber den vielfältigen Formen<br />

des Noch-Nicht. Dies beginnt damit, dass man schon keinen Begriff<br />

für dieses Alter findet. Sie sind noch nicht drei Jahre alt, die Unter-Drei-<br />

Jährigen. Sie sind damit auch noch keine Verstandeswesen, allenfalls beginnende<br />

Sprachwesen. Ansonsten sind sie Betreuungswesen, deren Unzulänglichkeiten<br />

man nachsichtig toleriert. Ihre geistigen Leistungen sind<br />

„präreflexiv“.<br />

So fällt es schwer, sich mit den Möglichkeiten dieser Kleinen, die in die<br />

Leistungen ihres Körpers, seiner Regulationen, seiner Kommunikationen,<br />

seiner Emotionen, Empfindungen <strong>und</strong> Sinne, seiner Handlungsmöglichkeiten<br />

eingebaut sind, als einem wichtigen Können zu befassen, das sie in die<br />

Lage versetzt, in eine intensive Wechselwirkung mit ihrer gegebenen Umwelt<br />

einzutreten, eine Wechselwirkung, die wir auf Seiten der Kinder Neugier,<br />

Exploration <strong>und</strong> Lernen nennen.<br />

Es ist eine „embodied cognitive science“ 1<br />

, die sich mit diesen gr<strong>und</strong>legenden<br />

Leistungen beschäftigt, die auch dem Eintritt des Kindes in die<br />

<strong>Sprache</strong> vorangehen.<br />

1 Varela 1990, 1995; Damasio 1995, 1999; Pfeifer/Scheier 1999; zusammenfassend: Schäfer<br />

2010<br />

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