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Reifezeit - Residenz am Schärme

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Interview mit Lutz Jäncke*<br />

Wer vergisst, wird langs<strong>am</strong> alt - sagt man. Sie sagen,<br />

geistiger Abbau im Alter ist weder vorprogr<strong>am</strong>miert,<br />

noch normal?<br />

Ja, genau. Neue und bahnbrechende Erkenntnisse der kognitiven<br />

Neurowissenschaften machen es sehr wahrscheinlich,<br />

dass unser Hirn bis ins hohe Alter lernfähig ist.<br />

Trotzdem wird Alter mit Stagnation, dem Verlust von<br />

Fähigkeiten und Möglichkeiten verbunden. Warum?<br />

Es ist tatsächlich so, dass die meisten Menschen in unseren<br />

Breitengraden Adjektive, wie krank, langs<strong>am</strong>, arm, nutzlos,<br />

behindert, impotent etc. mit alt gleichsetzen. Im besten Fall<br />

noch mit weise. Das ist die klassische Sichtweise des Alters.<br />

Sie ist ein Vorurteil, das sich in Folge einer bestimmten gesellschaftlichen<br />

Entwicklung eingestellt hat. Die Generation<br />

der Babyboomer hat in den 68-ern die Welt erobert und<br />

eine völlig neue Sicht entwickelt. Es ist ein Jugendkult entstanden,<br />

der sich teilweise zum Jugendwahn gesteigert hat.<br />

Eine andere wichtige Triebfeder unserer depressiven Denkweise<br />

über das Alter ist an Demenz gekoppelt. Diese neurologische<br />

Erkrankung hat ganz bestimmte Grundlagen,<br />

welche wir immer besser verstehen. Entdeckt wurde sie von<br />

Alois Alzheimer, der von 1864 bis 1916 lebte.<br />

Bauen denn nicht die meisten Menschen geistig ab im<br />

Alter?<br />

Schon, aber nicht so zwangsläufig und passiv wie bislang<br />

angenommen. Wir haben die Tendenz, immer auf die negativen<br />

Aspekte zu schauen. Die meisten älteren Menschen<br />

haben keine Demenz, auch nicht, wenn sie uralt werden.<br />

Die Prävalenz von Demenzerkrankungen, also die Häufigkeit<br />

in bestimmten Altersgruppen, liegt bei den 65- bis 69jährigen<br />

bei einem Prozent. Mit zunehmendem Alter nimmt<br />

sie wohl zu, aber auch bei den 80- bis 84-jährigen sind es 15<br />

Prozent die an Demenz erkranken, 85 Prozent nicht. Ich<br />

finde, das ist positiv zu werten.<br />

Und die weit verbreitete Angst, an Demenz zu erkranken?<br />

Da entsteht mittlerweile eine Hysterie. Wir brauchen keine<br />

dr<strong>am</strong>atische Angst davor zu haben. Wie gesagt, der grösste<br />

Teil der Menschen hat und bekommt im Alter keine Demenz.<br />

USE IT – OR LOOSE IT!<br />

BRAUCH ES – ODER VERLIER ES! WIR HABEN EIN HIRN UM ZU LERNEN, SAGT EINER,<br />

DER ES WISSEN MUSS: LERNEN ALS BESTIMMUNG, ALS AUFTRAG – EIN LEBEN LANG.<br />

VOR ALLEM, WENN DAS LEBEN LANG IST, HÄLT LEBENSLANGES LERNEN GESUND.<br />

„Die Mehrzahl der Alten bleibt geistig<br />

genau so fit oder wird sogar besser.“<br />

Wie sind denn die Statistiken der Alterwissenschaften<br />

zu verstehen, die scheinbar belegen, dass die<br />

Leistungen der Menschen mit zunehmendem Alter<br />

im Durchschnitt immer schlechter werden?<br />

Solche Statistiken aus der Gerontopsychologie oder –<br />

Psychiatrie, so korrekt sie auch sind, tragen viel zur negativen<br />

Sicht auf das Alter bei. Dabei ist zu beachten,<br />

dass die interindividuelle Variabilität, also die Unterschiedlichkeit<br />

zwischen den Individuen, im Alter sehr<br />

gross ist, je älter desto grösser.<br />

Es ist also nicht zwangsläufig so, dass mit dem älter<br />

werden die geistigen Leistungen nachlassen?<br />

Nicht unbedingt. Die Mehrzahl der Alten bleibt geistig<br />

genau so fit oder wird besser. Die Intelligenz zum Beispiel<br />

bleibt bei zwei Dritteln der älteren Menschen stabil,<br />

bei zehn Prozent nimmt sie sogar zu. Das Faktenwissen<br />

kann sogar noch deutlich besser werden.<br />

Woher kommt die Annahme, dass unser Gehirn<br />

nach dem 25. Lebensjahr zur Degeneration bestimmt<br />

ist?<br />

Sie beruht auf Hirnstudien, die heute überholt sind. Früher<br />

konnten Daten nur aus postmortem Untersuchungen<br />

gewonnen werden, also an Toten, die vor ihrem Ableben<br />

zumeist krank waren und sich demzufolge in einem degenerativen<br />

Prozess befunden haben. Dank moderner<br />

Studien, mit den heutigen technischen Möglichkeiten,<br />

konnte man sich die Sache genauer anschauen. In den<br />

letzten 15 Jahren haben wir gelernt, dass das Hirn viel<br />

plastischer als bislang angenommen ist.<br />

Unser Hirn ist plastisch. Was bedeutet das?<br />

Plastisch heisst formbar. Unser Hirn formt und verändert<br />

sich ständig, je nach dem, was wir tun und denken.<br />

Das hätte man vor 15 Jahren nicht zu sagen gewagt.<br />

Welche Rolle spielt die genetische Veranlagung?<br />

Sprechen wir über Leistungen, Krankheiten und dergleichen,<br />

kommen wir immer auf das Thema Gene. Wir<br />

sagen, dass wir keine Sprachen lernen können, weil wir<br />

keine Begabung dazu haben. Ich bin nicht begabt, also<br />

tue ich es nicht. Genen schreiben wir auch zu, wie wir<br />

altern. Als ob wir passiv getriebene Wesen wären. Dem<br />

ist aber nicht so, das ist eine Ausrede. Unsere Intelligenz<br />

hängt knapp zur Hälfte von den Genen ab. Der<br />

grosse Rest heisst Erfahrung. Lernen, biologische Einflüsse<br />

und die Lebensführung beeinflussen unsere Intelligenz<br />

und Leistungsfähigkeit massgebend.

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