Ja 74,2% Nein 25,9% - Mehr Demokratie eV
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DIE DIREKTE DEMOKRATIE –<br />
EINE 89ER HERBSTZEITLOSE<br />
Von der friedlichen Revolution im Herbst 1989 ist ein Impuls für<br />
die Entwicklung der direkten <strong>Demokratie</strong> in ganz Deutschland<br />
ausgegangen. Bis dahin gab es nur in einem der alten Bundesländer<br />
Bürgerbegehren auf kommunaler Ebene, nämlich in Baden-<br />
Württemberg. Nur in sieben Bundesländern gab es Volksbegehren<br />
auf Landesebene. Heute gibt es Bürger- und Volksbegehren<br />
in allen Bundesländern. Die ostdeutschen Länder- und Kommunalverfassungen<br />
Anfang der 90er <strong>Ja</strong>hre haben Modell gestanden<br />
für Reformen in den alten Bundesländern.<br />
Im Herbst ’89 ging es zu allererst um das tägliche Brot der <strong>Demokratie</strong>,<br />
um Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit,<br />
darum, frei und geheim wählen zu können – und schließlich<br />
auch um die direkte <strong>Demokratie</strong>. Ein ganzes Volk hatte begonnen,<br />
den aufrechten Gang zu üben. Das war kein Ruck, niemand<br />
hat den Hebel einfach auf Freiheit umgestellt. Jede und jeder für<br />
sich hat das mit sich ausmachen müssen. Bei einem der ersten<br />
Friedensgebete in einer thüringischen Stadt stand ein Mann auf<br />
und begann seine Rede, indem er sagte: Ich heiße so und so, ich<br />
wohne in der und der Straße, ich arbeite da und dort ... Alle haben<br />
verstanden, was er sagen wollte. Die Diktatur hatte keine<br />
Macht mehr über ihn, es war ihm egal, ob er notiert und „Ärger<br />
bekommen“ würde. Er hatte die Maschinerie der Angst in seinem<br />
Kopf angehalten. Wenn jemand in Versuchung war, einen<br />
kritischen Gedanken auszusprechen, wurde die Zunge schwer<br />
von der Frage: Was kann mir passieren, wenn ich ausspreche,<br />
was ich denke? So war die Wahrhaftigkeit zermalmt worden. Im<br />
Herbst ’89 sind aus Einwohnern Bürgerinnen und Bürger geworden,<br />
die sich die Bürgerrechte zurückgeholt und sie wie Sand in<br />
das Angst-Getriebe gestreut haben.<br />
Dann die Grenzöffnung im November. Freigang für alle. Aber<br />
wohin mit dem Land? Die Menschen erlebten mit dem beginnenden<br />
<strong>Ja</strong>hr 1990 die beste DDR, die es je gegeben hatte: Ein<br />
offener Staat ohne Geheimdienst. An den Runden Tischen wurden<br />
neue Regierungsformen probiert. Das Land war eine Zukunftswerkstatt.<br />
Mit der Reise- und Konsumfreiheit erschöpfte<br />
sich aber bald auch ein guter Teil der revolutionären Kraft. Aus<br />
dem ex oriente lux wurde ein ex occidente luxus. Es ging dann<br />
weniger um die „Wurscht“, mehr um die Bananen. Der Wille,<br />
selbst zu gestalten, ermüdete und viele, viel zu viele Bürgerinnen<br />
und Bürger verabschiedeten sich wieder aus dem Gestaltungsprozess.<br />
Es ging seit der Währungsunion vorrangig darum, die<br />
Lebensverhältnisse Ost an die im Westen anzupassen. Der Freiheitsbegriff<br />
wurde weich gespült.<br />
Wir meinen frei zu sein, wenn wir wählen können aus 150<br />
Shampoos oder drei Dutzend Automarken. Dabei erfährt das<br />
Freisein von etwas – die Befreiung von diktatorischen Verhältnissen<br />
– seine Erfüllung erst in dem Freisein für etwas. Freiheit<br />
mündet in Verantwortung. Diese Freiheit gilt es zu leben. Frei<br />
sind wir nur in dem Maße, in dem wir selbst die Möglichkeit<br />
haben, die Bedingungen, unter denen wir leben, zu beeinflussen.<br />
<strong>Mehr</strong> <strong>Demokratie</strong> kämpft für die Freiheit, dafür, dass Bürgerin<br />
und Bürger sein kann, wer sich in die eigenen Angelegenheiten<br />
einmischen will.<br />
ZIELE<br />
<strong>Mehr</strong> <strong>Demokratie</strong> e.V. wendet sich an alle Menschen im Vertrauen<br />
auf Freiheit und Selbstbestimmung. Wir sehen in der unmittelbaren<br />
Mitwirkung des Volkes an der Gesetzgebung den Kern<br />
einer funktionierenden und lebendigen <strong>Demokratie</strong>. Wir treten<br />
ein für die <strong>Demokratie</strong>entwicklung in vielfältigen Formen, insbesondere<br />
für die Einführung und Verbesserung direktdemokratischer<br />
Verfahren. <strong>Demokratie</strong> ist nie vollendet, sondern bedarf<br />
der ständigen Weiterentwicklung.<br />
Direkte <strong>Demokratie</strong><br />
Kommunale Ebene<br />
In allen Städten und Gemeinden Deutschlands sind Bürgerbegehren<br />
und Bürgerentscheide möglich, die Spielregeln müssen<br />
aber noch verbessert werden: Die Anzahl zu sammelnder Unterschriften<br />
soll angemessen sein, alle Themen müssen für Bürgerbegehren<br />
zugelassen werden, bei der Abstimmung soll die <strong>Mehr</strong>heit<br />
entscheiden, ohne dass eine Mindestzustimmung oder<br />
-beteiligung erreicht werden muss. Gute Regeln ermöglichen<br />
eine lebendige Direktdemokratie: In bayerischen Gemeinden gab<br />
es schon 1.800 Bürgerbegehren, im Saarland gerade einmal 14.<br />
Landesebene<br />
In zehn von 16 Bundesländern gab es wegen zu hoher Hürden<br />
noch nie einen Volksentscheid. Reformen sind deshalb notwendig:<br />
Volksbegehren sollen zu allen Themen möglich sein, die der<br />
Landtag entscheidet, auch wenn sie Auswirkungen auf den Haushalt<br />
haben. Die Anzahl zu sammelnder Unterschriften muss niedriger<br />
und die Sammelfrist länger sein. Es soll erlaubt sein, die<br />
Unterschriften frei zu sammeln, statt nur in Ämtern. Quoren müssen<br />
abgeschafft werden, es soll die <strong>Mehr</strong>heit der abgegebenen<br />
Stimmen entscheiden.<br />
Bundesebene<br />
Steuern, Rente, Arbeit, Energie, Umwelt, Krieg ... Alle Fragen,<br />
die der Bundestag entscheidet, sind für Volksabstimmungen<br />
Tabu. Wir fordern Volksbegehren und Volksentscheide auch zu<br />
bundespolitischen Themen. Alle im Bundestag vertretenen Parteien,<br />
außer der CDU/CSU, sprechen sich für die Einführung<br />
von bundesweiten Volksentscheiden aus. Nötig ist eine Zweidrittel-<strong>Mehr</strong>heit<br />
in Bundestag und Bundesrat. Diese wollen wir erreichen.<br />
Europa<br />
Das <strong>Demokratie</strong>-Defizit der EU ist mit dem Lissabon-Vertrag<br />
nicht behoben. Immerhin wurde aber eine Europäische Bürgerinitiative<br />
eingeführt. Mit einer Million Unterschriften kann die Bevölkerung<br />
der EU-Kommission nun eingeschränkt Vorschläge<br />
unterbreiten. Ob die Kommission sie umsetzt, bleibt aber ihr überlassen.<br />
Wir wollen, dass die Menschen in Europa selbst entscheiden<br />
können, mit Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid.<br />
Außerdem soll für Vertragsänderungen ein Konvent<br />
eingesetzt werden, der aus der Mitte der europäischen Völker gewählt<br />
wird. Europa darf nicht ohne seine Bürger stattfinden.<br />
International<br />
Parallel zum globalen Wachstum staatlicher und wirtschaftlicher<br />
Strukturen müssen auch demokratische Strukturen mitwachsen.<br />
Als Mitgründer von Democracy International setzen<br />
wir uns für die weltweite Vernetzung demokratischer Bewegungen<br />
und für gegenseitige Hilfestellung und Wissensaustausch<br />
ein, beispielsweise auf den Weltsozialforen oder den Weltkonferenzen<br />
der direkten <strong>Demokratie</strong>.<br />
Wahlrecht<br />
Wir wollen den Einfluss der Wählerinnen und Wähler stärken.<br />
Wahlsysteme müssen gewährleisten, dass die Bürger entscheiden,<br />
wer ins Parlament kommt und nicht die Parteien durch die<br />
Vergabe sicherer Listenplätze. Wenn Politiker bei ihrer Wiederwahl<br />
stärker von den Wählern abhängig sind, machen sie auch<br />
eher Politik für die Bürgerinnen und Bürger.<br />
Informationsfreiheit<br />
Ohne freien Zugang zu Informationen keine <strong>Demokratie</strong>. Um<br />
bei Wahlen und Abstimmungen fundierte Entscheidungen zu<br />
treffen, ist Informationsfreiheit unerlässlich. In allen Bundesländern<br />
muss es deshalb Informationsfreiheitsgesetze geben.<br />
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