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Das lyrische Stenogrammheft - Amerikanische Literatur

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Leseprobe aus:<br />

Mascha Kaléko<br />

<strong>Das</strong> <strong>lyrische</strong> <strong>Stenogrammheft</strong><br />

Mehr Informationen zum Buch finden Sie hier.<br />

Copyright © 2007 by Rowohlt Verlag GmbH


In ter view mit mir selbst<br />

Ich bin vor nicht zu lan ger Zeit ge bo ren<br />

In einer klei nen, klatschbeflissenen Stadt,<br />

Die eine Kir che, zwei bis drei Dok to ren<br />

Und eine große Ir ren an stalt hat.<br />

Mein meistgesprochenes Wort als Kind war ‹ nein ›.<br />

Ich war kein ein wand freies Mut ter glück.<br />

Und denke ich an jene Zeit zurück :<br />

Ich möchte nicht mein Kind ge we sen sein.<br />

Im letz ten Welt krieg kam ich in die achte<br />

Ge mein de schule zu Herrn Rek tor May.<br />

– Ich war schon zwölf, als ich noch im mer dachte,<br />

Daß, wenn die Kriege aus sind, Frie den sei.<br />

Zwei Ober leh rer fan den mich be gabt,<br />

Wes halb sie mich – zwecks Bil dung – bald ent fern ten ;<br />

Doch was wir auf der ho hen Schule lern ten,<br />

Ein Wort wie ‹ Ab bau › ha ben wir nicht ge habt.<br />

Beim Ab gang sprach der Leh rer von den Nö ten<br />

Der Ju gend und vom ethi schen Ni veau –<br />

Es hieß, wir soll ten jetzt ins Le ben tre ten.<br />

Ich aber lei der trat nur ins Büro.<br />

Acht Stun den bin ich dienst lich an ge stellt<br />

Und tue eine schlecht be zahlte Pflicht.<br />

Am Abend schreib ich manch mal ein Ge dicht.<br />

(Mein Va ter meint, das habe noch ge fehlt.)<br />

Bei schö nem Wet ter reise ich ein Stück<br />

Per Blei stift auf der bun ten Länderkarte.<br />

– An stil len Re gen ta gen aber warte<br />

Ich manch mal auf das so ge nannte Glück ...<br />

13


Chan son vom Mon tag<br />

Mon tag hat die Welt noch kein Ge sicht,<br />

Und kein Mensch kann ihr ins Auge se hen.<br />

Mon tag heißt : Schon wie der früh auf ste hen,<br />

Trai ning für das Wo chen-Schwer ge wicht.<br />

Und die Bah nen brau sen, das Auto kläfft,<br />

Die Ar beit mar schiert in den Städ ten.<br />

Alle Stra ßen hal len wi der von Be trieb und von Ge schäft,<br />

Und die Rie sen sum men wach sen in ein un sicht ba res Heft,<br />

– Doch nie in das Heft des Pro le ten.<br />

Schlagerlied vom Sonn tag noch im Ohr,<br />

Denkt man un gern an Bürogehälter.<br />

– Mon tag hat ein klei ner An ge stell ter<br />

Mit tags Krach und abends gar nichts vor.<br />

Nur der Mo tor ras selt, der Ham mer dröhnt.<br />

Der Werk tag kut schiert ohne Pause.<br />

Thea ter locken. Der Lu xus höhnt,<br />

Doch man ist ja längst an Ver zich ten ge wöhnt.<br />

– Wer kein Geld hat, bleibt brav zu Hause.<br />

Mon tags gähnt so gar das Porte mon naie,<br />

Und es reicht noch grad für die Kan tine.<br />

Spät nach La den schluß geht man mit Dul der miene<br />

Re si gniert vor bei am Stamm café.<br />

Und die Stun den lau fen, der Tag ver weht,<br />

Müde hockt man in sei nen vier Wän den.<br />

Und dann kommt man ins Den ken – wie das so geht ...<br />

Man fin det die Zei ten ein biß chen ver dreht,<br />

Und man fragt sich : wie wird das wohl en den ?<br />

14


Mon tag ist das Stief kind des Ka len ders,<br />

Dü ste rer Wo che grauer Kor ri dor,<br />

Höch ster Miß klang in der Tage Chor,<br />

Streng ster Ru he tag des Freudespenders.<br />

15


Man ne quins<br />

In se rat :<br />

‹ Man ne quin 42er Fi gur, leichte,<br />

an ge nehme Ar beit, ge sucht . .. ›<br />

Nur lä cheln und schmei cheln den end lo sen Tag ...<br />

<strong>Das</strong> macht schon müde.<br />

– Was man uns im mer ver spre chen mag :<br />

Wir blei ben so lide.<br />

Wir prun ken in Seide vom ‹ dernier cri ›<br />

Und wis sen : ge hö ren wird sie uns nie.<br />

<strong>Das</strong> bleibt uns ver schlos sen.<br />

Wir tra gen die Fähn chen der ‹In ven tur›<br />

Und sa gen zu Däm chen mit Speckfigur :<br />

‹ Gnäfrau, ... wie an ge gos sen ! ›<br />

Wir le ben am Tage von Stul len und Tee.<br />

Denn das ist bil lig.<br />

Manch einer spen diert uns ein fei nes Sou per,<br />

... Ist man nur wil lig.<br />

Was nützt schon der Fum mel aus Crêpe Sa tin –<br />

Du bleibst, was du bist : Nur ein Man ne quin.<br />

Da gibts nichts zu la chen.<br />

Wir rech nen, obs Geld noch bis Ul timo langt,<br />

Und müs sen trotz dem, weils die Kund schaft ver langt,<br />

<strong>Das</strong> sorg lose Püpp chen ma chen.<br />

Die Beine, die sind uns Be triebs ka pi tal<br />

Und Re fe ren zen.<br />

Ge halt : so hoch wie die Hüfte schmal.<br />

Lo gi sche Kon se quen zen ...<br />

Be din gung : stets voll schlank, dis kret und – lieb.<br />

(Denn das ist der Firma Geschäftsprinzip.)<br />

16


Und wird mal ein Wort nicht ge wo gen,<br />

Dann sei nicht gleich prüde und schrei nicht gleich ‹ Nee ! ›<br />

<strong>Das</strong> ge hört doch nun mal zum Geschäftsrenommée<br />

Und ist im Ge halt ein be zo gen.<br />

17


Ab schied<br />

Jetzt bist du fort. Dein Zug ging neun Uhr sie ben.<br />

Ich hielt dich nicht zurück. Nun tut’s mir leid.<br />

– Von dir ist weiter nichts zu rück ge blie ben<br />

Als ein paar Fo tos und die Ein sam keit.<br />

Noch hör ich leis von fern den D-Zug pfei fen.<br />

In ein paar Stun den hält er in Polzin.<br />

Mich ließest du al lein in Groß-Ber lin,<br />

Nun werde ich durch laute Stra ßen strei fen<br />

Und miß ver gnügt in mein Mö blier tes ge hen,<br />

<strong>Das</strong> mir für drei ßig Mark Zu hause ist,<br />

Und war ten, daß ein Brief von dir mich grüßt,<br />

Und abends manch mal nach der Türe se hen.<br />

... Ich kenn das schon. Und weiß, es wird mir feh len,<br />

Daß du um sechs nicht vor dem Bahn hof bist.<br />

– Wem soll ich, was am Tag ge sche hen ist,<br />

Und von dem Är ger im Büro er zäh len ?<br />

Jetzt, da du fort bist, scheint mir al les trübe.<br />

Hätt ichs ge ahnt, ich ließe dich nicht gehn.<br />

Was wir ver mis sen, scheint uns im mer schön.<br />

Woran das lie gen mag ... Ist das nun Liebe ?<br />

<strong>Das</strong> reg net heut ! Man glaubt bei nah zu spü ren,<br />

Wies Ther mo me ter mit der Stim mung fällt.<br />

Frau Meilich hat die Hei zung ab ge stellt,<br />

Und ir gendwo im Hause klap pern Tü ren.<br />

Jetzt sitz ich ohne dich in mei nem Zim mer<br />

Und trink den dün nen Kaf fee ganz al lein.<br />

– Ich weiß, das wird jetzt man ches Mal so sein.<br />

Sehr oft viel leicht ... Be zie hungs weise : im mer.<br />

18


Wenn man nachts nicht schla fen kann ...<br />

Wenn man nachts nicht schla fen kann,<br />

Hört man von den schie fer grauen<br />

Dä chern junge Kat zen mi auen,<br />

Und das hört sich schau rig an.<br />

Brave Men schen – heißt es – be ten,<br />

Dann schickt ih nen Gott den Schlaf.<br />

– Doch man selbst ist nie mals brav ...<br />

Schlaf los starrt man auf Ta pe ten,<br />

Zählt die Mu ster Stück für Stück.<br />

Plötz lich hört man drau ßen Schritte,<br />

Und vom Aus gang kehrt Bri gitte<br />

Wie der mal zu spät zurück.<br />

Von der Straße tönt Ge sang :<br />

Durch die mondbeglänzte Stille<br />

Wankt ein Mann aus der Destille,<br />

Glück lich, weil er sich be trank.<br />

Leise bellt ein Hund im Traum,<br />

Und im Haus flur blüht die Liebe. –<br />

Still zur Ar beit zie hen Diebe,<br />

Ihre Schlüs sel hört man kaum ...<br />

End los lang dehnt sich die Nacht.<br />

Eine Uhr schlägt Stund’ um Stunde.<br />

Wäch ter ma chen ihre Runde,<br />

Und man zählt bis tausendacht ...<br />

Gäh nend schleicht der Tag sich ein.<br />

Au tos ras seln schon und Wa gen. –<br />

Frö stelnd, nachtdurchwacht, zer schla gen,<br />

Däm mert man am Mor gen ein.<br />

19


Krank ge schrie ben<br />

Man liegt im Bett mit einer Halskompresse,<br />

Er schöpft und blaß ist man heraufgeschwankt.<br />

Man ist des gan zen Hau ses In ter esse,<br />

Und je mand sorgt, daß man das Fie ber messe.<br />

Man fehlt heut im Büro. – Man ist ‹ er krankt ›.<br />

Man fühlt sich wohl auf wei chen, wei ßen Kis sen.<br />

– Von Zeit zu Zeit tut ir gendwo was weh –.<br />

Und diese Schmer zen strei cheln das Ge wis sen,<br />

Heut ein mal seine Pflicht nicht tun zu müs sen.<br />

... Dies sühnt man au ßer dem mit Flie der tee.<br />

Man sieht die Mö bel an und die Gar di nen.<br />

– Man kennt sein Zim mer nur vom Abend her –.<br />

Am Tage, wenn es hell und lichtbeschienen,<br />

Da ist man ir gendwo, um zu ver die nen.<br />

Und abends gibt es keine Sonne mehr.<br />

Durchs Fen ster drin gen Stim men von Pas san ten<br />

Und der Vormittagslärm von Groß-Ber lin.<br />

Man wird be sucht von Freun den und Be kann ten.<br />

Zwei mal am Tage kom men die Ver wand ten<br />

Und drei mal täg lich kommt die Me di zin ...<br />

So ge gen elf hört man die Bolle-Glocken,<br />

Zu wei len läu tet’s an der Ein gangs tür.<br />

Ein Rei sen der emp fiehlt uns Mako-Socken.<br />

Vom Hof her klingt des Sche ren schlei fers Locken<br />

Und auch der Leiermann ist wie der hier.<br />

20


Man liegt im Bett. Und drau ßen ‹ pulst das Le ben ›<br />

– Wie es so herr lich in Ro ma nen heißt.<br />

Man hat sich die sem Zwange gern er ge ben<br />

Und wird ge sund mit lei sem Wi der stre ben,<br />

Als wär man in die Kind heit heimgereist .. .<br />

21


Heim wärts nach La den schluß<br />

Wenn es abends sie ben schlägt,<br />

Strö men aus den tau send To ren matte, blasse Groß stadt -<br />

men schen<br />

All tags sor gen in den Augen, Map pen in der mü den Hand,<br />

An geln aus zer drück ten Ta schen rasch die Stadt bahn-Mo natskar<br />

ten,<br />

Wer fen einen kur zen Blick in den Automatenspiegel<br />

(Manch mal auch noch einen Gro schen, der ge brann ten Man deln<br />

gilt –),<br />

Steh len an dem Zei tungs stän der fett ge druckte Über schrif ten<br />

Aus dem letz ten Abend blatt ...<br />

Fau chend – wie ein Wü sten wind aus den Süd see-Kitschromanen –<br />

Rollt die Stadtbahnschlange an.<br />

Naß kalt ist die Luft im Wa gen, und es riecht nach War te raum.<br />

– Selt sam nicken müde Män ner aus dem Fünf-Mi nu ten-Schlaf,<br />

Blicken schreck haft hin zum Fen ster, träu mend von der<br />

End sta tion.<br />

– Se lig eng in einer Ecke lehnt ein blon des Lie bes paar,<br />

Brocken man cher Fahrtgespräche schau keln ab und zu ins Ohr ...<br />

– Eine Kümmelstange kau end, übt ein magrer Gym na si ast<br />

Rasch noch ein paar neue Ver ben für den Abend un ter richt.<br />

... Ruck weis alle paar Mi nu ten hält der Zug ge dul dig an,<br />

Ein paar Men schen zu ent las sen.<br />

Neue müde Au gen paare fi schen schnell noch einen Platz.<br />

Weiter geht’s auf Silberschienen mit ten durch den Großstadtleib.<br />

Winterdunkel legt sich frie rend über kahle Mietkasernen,<br />

Schat ten haft und längst ent blät tert tanzt am Park ein Baum<br />

vor bei . . .<br />

Eine Schnur von Bo gen lam pen flackert über Stra ßen auf,<br />

Und es wach sen helle In seln bun ter, wil der Licht re klame<br />

Aus dem öden Häu ser meer – – –<br />

22


– Stra ßen händ ler schie ben lang sam schmieriggraue Kar ren<br />

heim wärts.<br />

Auf den schwar zen Brettertafeln ist die Kreide halb ver wischt.<br />

(Wenn man mit dem war men Atem an die blinde Scheibe<br />

haucht,<br />

Kann man al les deut lich se hen, wenn es abends sie ben<br />

schlägt ...)<br />

Wenn es abends sie ben schlägt,<br />

War ten in den Großstadthäusern viele Kin der auf die El tern,<br />

Viele El tern auf ihr Kind.<br />

Kin der hor chen hin zur Türe, Müt ter se hen auf die Uhr. –<br />

Aus den Küchenfensterspalten riecht’s nach auf ge wärm tem<br />

Es sen,<br />

Dringt das Klap pern von Ge schirr.<br />

– End lich kreischt im Flur die Klin gel,<br />

Klir ren Schlüs sel an der Tür ...<br />

23

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