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Region Kokain zu produzieren.<br />

Erst vor vier Jahren konnte<br />

die geplante Erweiterung des<br />

Resguardo mit der Neuansiedlung<br />

Domingueka fortgesetzt<br />

wer<strong>den</strong>. Seitdem hat sich die<br />

Lage <strong>für</strong> die Indigenen im Bereich<br />

von Gesundheit und Bildung<br />

verbessert. Es ist nicht<br />

ungewöhnlich, dass die jungen<br />

Indigenen nach erfolgreichem<br />

Schulabschluss zur weiteren<br />

Ausbildung auf eine staatliche<br />

Hochschule wechseln, um anschließend<br />

in die Gemeinschaft<br />

zurückzukehren. Mit <strong>den</strong> gewachsenen<br />

Möglichkeiten sind<br />

auch die Anforderungen gestiegen,<br />

<strong>den</strong>en die Kogui in<br />

der modernen Welt ausgesetzt<br />

sind. Mamatakan bringt es auf<br />

<strong>den</strong> Punkt: „Ein Kogui muss<br />

heutzutage zugleich traditionell<br />

und im westlichen Sinne<br />

bestens ausgebildet sein.“<br />

Zu unserem Gespräch kommen<br />

Mama José Chimulata<br />

und zwei weitere Mamas hinzu,<br />

drei hagere Gestalten mit ausgeblichenen<br />

Gewändern und<br />

langen, verfilzten Haaren. Mit<br />

Mamatakan tauschen sie zur<br />

Begrüßung aus ihren Umhängebeuteln<br />

getrocknete Kokablätter<br />

und mischen sie mit<br />

dem feingeriebenen Muschelkalk<br />

aus <strong>den</strong> Poporos. Der<br />

Poporo, mit dem jeder Kogui<br />

im Alter von fünfzehn Jahren<br />

durch <strong>den</strong> Mama verheiratet<br />

wird, ist wie ein Modell der<br />

Sierra Nevada. Die Schneegipfel<br />

sind wie der Kalk an<br />

der Spitze des ausgehöhlten<br />

Kürbis, und der Leckstab, mit<br />

dem die Kogui in <strong>den</strong> Poporo<br />

stoßen, ist wie die Achse der<br />

Welt, der die Berge an ihrer<br />

höchsten Spitze durchbohrt.<br />

Die Kogui reiben während unserer<br />

Unterhaltung unentwegt<br />

an ihren Poporos, und die Mischung<br />

aus Muschelkalk und<br />

zerkauten Kokablättern legt<br />

sich beim Ablecken des Stöckchens<br />

wie gelber Blütenstaub<br />

auf ihre Lippen.<br />

Poporo in <strong>den</strong> Hän<strong>den</strong> des Mama. ©<br />

Anders als die in der politischen<br />

Auseinandersetzung gestählte<br />

Generation von Kogui-<br />

Akteuren, die ihre Kontakte<br />

routiniert mit dem Mobiltelefon<br />

pflegt, sprechen diese Mamas<br />

zunächst einmal überhaupt<br />

nicht, sondern blicken beiläufig<br />

an mir vorbei, ihre Augen<br />

wie in eine jenseitige Welt gerichtet.<br />

Aus dem Mund von<br />

José Chimulata, seit Kindertagen<br />

zum Mama ausgebildet,<br />

kommen vereinzelt Worte in<br />

der kehligen Sprache der Kogui,<br />

während er in rhythmischen<br />

Bewegungen mit dem Stab an<br />

der Spitze seines Poporo reibt.<br />

Die Mythen der Kogui beginnen<br />

bei <strong>den</strong> Anfängen, in <strong>den</strong>en alles<br />

dunkel und ungeordnet war.<br />

Mama Chimulata beschreibt es<br />

uns: „Die Große Mutter hat die<br />

Welt erschaffen und sie wie ein<br />

Ei geformt, das in neun Schichten<br />

unterteilt ist. Alle Dinge<br />

haben neun Väter und neun<br />

Mütter. Sintána war der erste<br />

Kogui und ein Sohn der Großen<br />

Mutter. Er nahm die Sonne und<br />

setzte sie hoch ans Firmament,<br />

und sie schien neun Tage lang<br />

und verbrannte die Erde, dann<br />

nahm er sich Seinake zur Frau,<br />

die über <strong>den</strong> Mond gebietet, und<br />

die Erde wurde fruchtbar.“<br />

Die Prophezeiung der Mamas<br />

Im Nachbartal liegt Tungueka<br />

am Fuße einer Anhöhe. Der<br />

Name bedeutet „Seht, ich übergebe<br />

<strong>den</strong> Berg“. Das Dorf besteht<br />

erst seit kurzer Zeit, der<br />

Platz wurde von <strong>den</strong> Kolonisten<br />

zurückgeholt und liegt unmittelbar<br />

an der Resguardogrenze, so<br />

dicht, dass keine fünfzig Meter<br />

Reise in die Welt der Kogui 21<br />

entfernt eine Kolonistenfamilie<br />

in ihrer windschiefen Holzhütte<br />

mit Blechdach verblieben ist.<br />

Noch sind die Zeichen, die die<br />

Kolonisation geschlagen hat,<br />

unübersehbar. Vor <strong>den</strong> Augen<br />

der Kogui breitet sich das Weideland<br />

in Richtung Küste aus,<br />

durchschnitten von Zäunen mit<br />

Stacheldraht, und die Hügel<br />

sind anders als in Domingueka<br />

entwaldet. Als ich im Dorf ankomme,<br />

trottet eine Karawane<br />

von Maultieren, bela<strong>den</strong> mit<br />

frisch gesägten Hölzern und<br />

angetrieben von einem Kolonisten,<br />

durch das Dorf. Die Mamas<br />

sitzen auf <strong>den</strong> hier überall<br />

verstreut liegen<strong>den</strong> gerundeten<br />

Granitfelsen unter einem dürren<br />

Baum in der Mittagssonne und<br />

halten ihre Poporos mit einem<br />

gewaltigen Schaft, an <strong>den</strong>en sie<br />

unentwegt mit dem Stab kratzen,<br />

in <strong>den</strong> Hän<strong>den</strong>.<br />

Die Mamas von Tungueka<br />

Sie nehmen mir ein spirituelles<br />

„Bekenntnis“ ab, das als<br />

Alúna bezeichnet wird. Um dem<br />

Denken der Kogui zu folgen,<br />

muss man der Schlechtigkeit<br />

der eigenen Welt entsagen. Ich<br />

vollführe mit ausgestreckten<br />

Armen und gespreizten Fingern<br />

über einer auf einem Felsen<br />

platzierten vertrockneten<br />

schwarzen Frucht, die von einer<br />

Espeletia vom Páramo stammt,<br />

halbkreisförmige Bewegungen,<br />

während der Mamaälteste eine<br />

Beschwörungsformel spricht.<br />

Die Mamas studieren die Dinge,<br />

damit sie in Übereinstimmung<br />

mit dem Konzept der Alúna<br />

wachsen und gedeihen. Wenn<br />

das Gesetz des Ursprungs ein<br />

abstraktes Ideal beschreibt,<br />

Kolumbien aktuell Nr. 88 – Oktober 2012<br />

Kultur und Literatur

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