15.01.2013 Aufrufe

Sporttherapie bei Hüft- und Kniegelenksarthrose - Fachklinik ...

Sporttherapie bei Hüft- und Kniegelenksarthrose - Fachklinik ...

Sporttherapie bei Hüft- und Kniegelenksarthrose - Fachklinik ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

THORSTEN BÖING<br />

<strong>Sporttherapie</strong> <strong>bei</strong> <strong>Hüft</strong>- <strong>und</strong> <strong>Kniegelenksarthrose</strong><br />

1 Einleitung<br />

Die <strong>Sporttherapie</strong> gilt – gemessen an anderen Therapieansätzen - als noch relativ<br />

junge Therapieform. Während jedoch viele dieser Ansätze primär eindimensional<br />

ausgelegt sind (z.B. der funktionelle Ansatz der Physiotherapie), findet sich in der<br />

<strong>Sporttherapie</strong> ein äußerst komplexer Ansatz mit drei Wirkungsebenen: die erste<br />

Ebene <strong>bei</strong>nhaltet einen medizinisch-funktionellen Aspekt mit Schulung der Koordination,<br />

Ausdauer, Kraft <strong>und</strong> Flexibilität. Die zweite Ebene verfolgt einen pädagogisch-edukativen<br />

Aspekt: die Schulung des praktischen Patientenverhaltens durch<br />

Informationsweitergabe mit dem Ziel der Eigenverantwortung <strong>und</strong> der Selbstwirksamkeit<br />

im Sinne einer Verhaltensmodifikation. Die dritte <strong>und</strong> letzte Ebene zielt auf<br />

einen psychosozialen Aspekt. Die Orientierung an den Bedürfnissen des Patienten,<br />

dem Hinführen zur Bewegung (Radfahren, Wandern, Kegeln, Garten etc.) <strong>und</strong> zum<br />

Sport (Lifetimesportarten, Golf o.ä.) findet hier ihren Ansatz.<br />

Die <strong>Sporttherapie</strong> verbindet somit alle wichtigen Faktoren, die in einem anspruchsvollen<br />

Behandlungskonzept orthopädischer Schadensbilder vorhanden sein sollten.<br />

Insbesondere Arthrose-Patienten bedürfen einer anfangs intensiven therapeutischen<br />

Bertreuung, damit sie das ausgewogene Verhältnis von dosierter Belastung<br />

<strong>und</strong> anschließender Erholung verinnerlichen <strong>und</strong> später in Eigenregie umsetzen<br />

können. Die <strong>Sporttherapie</strong> zeigt sich somit als geradezu prädestiniert für die praktische<br />

Umsetzung der ICF (International Classification of Functioning, Disability and<br />

Health), die im Mai 2001 von der WHO verabschiedet wurde (Schuntermann,<br />

2002). Die ICF verlangt einen bio-psycho-sozialen Ansatz <strong>bei</strong>m therapeutischen<br />

Setting, dem die <strong>Sporttherapie</strong> auf ihrer funktionellen, pädagogischen <strong>und</strong> psychosozialen<br />

Wirkungsebene Rechnung trägt. Die Durchführung als Gruppentherapie<br />

macht die <strong>Sporttherapie</strong> vor dem Hintergr<strong>und</strong> steigender Kosten im Ges<strong>und</strong>heitswesen<br />

außerdem betriebswirtschaftlich interessant.<br />

2 Theoretischer Hintergr<strong>und</strong><br />

Die Behandlungspläne orthopädischer Schadensbilder sehen früher oder später - je<br />

nach Indikation – ein aktives Therapieregime vor. Ziele sind u.a. die Verbesserung<br />

von motorischen Fähigkeiten <strong>und</strong> das Zurückführen zur „normalen Bewegung“. Die<br />

anfänglich verstärkt passiven Maßnahmen weichen den aktiven Inhalten, die Ei-<br />

1


genaktivität des Patienten wird gefordert <strong>und</strong> gefördert. Insbesondere der Arthrosepatient<br />

kann – orientiert am aktuellen Arthrosestadium – zur Selbsthilfe angeleitet<br />

werden. Um diese Eigenverantwortung zu schulen, bedarf es neben den medizinisch-funktionellen<br />

Therapiezielen auch einer pädagogischen Ar<strong>bei</strong>tsebene (Wydra<br />

2003). Hier ist der Ansatz von <strong>Sporttherapie</strong>, fernab einer Therapie vom guten, alten<br />

„Vorturnen – Nachturnen“, sondern in seinen Inhalten <strong>und</strong> Zielen weitaus komplexer<br />

<strong>und</strong> umfangreicher.<br />

2.1 Abgrenzung Bewegungstherapie – <strong>Sporttherapie</strong><br />

Die Definition der Bewegungstherapie lautet:<br />

2<br />

„Bewegungstherapie ist ärztlich indizierte <strong>und</strong> verordnete Bewegung, die vom Therapeuten geplant<br />

<strong>und</strong> dosiert, gemeinsam mit dem Arzt kontrolliert <strong>und</strong> mit dem Patienten alleine oder in der<br />

Gruppe durchgeführt wird“ (Schüle & Huber, 2004).<br />

Die Definition der <strong>Sporttherapie</strong> lautet:<br />

„<strong>Sporttherapie</strong> ist eine bewegungstherapeutische Maßnahme,die mit den geeigneten Mitteln<br />

des Sports gestörte körperliche, psychische <strong>und</strong> soziale Funktionen kompensiert, regeneriert,<br />

Sek<strong>und</strong>ärschäden vorbeugt <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitlich orientiertes Verhalten fördert. <strong>Sporttherapie</strong> beruht<br />

auf biologischen Gesetzmäßigkeiten, bezieht besonders trainingswissenschaftliche, medizinische,<br />

pädagogisch-psychologische sowie soziotherapeutische Elemente mit ein <strong>und</strong> versucht,<br />

eine überdauernde Ges<strong>und</strong>heitskompetenz herzustellen. <strong>Sporttherapie</strong> versteht sich in<br />

diesem Sinne als Heilmittel“ (Schüle & Huber, 2004).<br />

Die Definitionen verdeutlichen die unterschiedlichen Ansätze: zum einen die Bewegungstherapie,<br />

die ihren medizinisch-funktionellen Bereich nicht verläßt <strong>und</strong> somit<br />

ausschließlich eindimensional wirksam ist. Zum anderen die <strong>Sporttherapie</strong> mit ihrem<br />

mehrdimensionalen Ansatz. Letzteres veranschaulicht die folgende Grafik:<br />

Abb. 1. Die Wirkungsebenen der <strong>Sporttherapie</strong> (Schüle & Huber, 2004).


Insbesondere im frühen Arthrosestadium sollte der Patient in der Lage sein, ein<br />

passives Bewegungsverhalten gegen ein sportlich-aktives abwägen zu können <strong>und</strong><br />

die indikationsspezifischen Vor- <strong>und</strong> Nachteile einzelner Sportarten zu beurteilen.<br />

2.2 Betriebswirtschaftliche Aspekte der <strong>Sporttherapie</strong><br />

<strong>Sporttherapie</strong> wird meistens als Gruppentherapie durchgeführt <strong>und</strong> ist somit deutlich<br />

kostengünstiger als eine 1:1-Betreuung. Nicht zuletzt deshalb ist <strong>Sporttherapie</strong><br />

als ressourcenorientierter Behandlungspfad unter ökonomischen Aspekten von<br />

großem Interesse für Kostenträger <strong>und</strong> Klinikbetreiber. Kritiker von Gruppentherapie<br />

behaupten oftmals, dass diese Therapieform qualitativ weniger wertvoll sei als<br />

Einzeltherapien. Diese Kritik trifft in ihrer Pauschalisierung keineswegs zu:<br />

– Nur gruppenfähige Patienten nehmen an der Therapie teil, die Phase einer<br />

intensiven Einzelbetreuung sollte bereits abgeschlossen sein.<br />

– Qualität ist der zentrale Stützpfeiler der <strong>Sporttherapie</strong>. Die sporttherapeutische<br />

Intervention <strong>bei</strong>nhaltet drei Ar<strong>bei</strong>tsebenen, die aufeinander aufbauen.<br />

Das sind die Ebenen der Konzeption, der Realisation <strong>und</strong> der Evaluation.<br />

Systematische Therapieplanung, deren genaue Umsetzung <strong>und</strong> die anschließende<br />

Auswertung bedingen eine ständige Anpassung <strong>und</strong> Verbesserung<br />

der Therapieinhalte.<br />

Insofern versteht sich der qualitative Ansatz der <strong>Sporttherapie</strong> als ein dynamisches<br />

Kontinuum, das ständigen Verbesserungen unterliegt. Gemäß SGB IX §137 ff.<br />

müssen sich im Zuge einer praktizierten Qualitätssicherung Therapieinhalte an entsprechenden<br />

Leitlinien orientieren. Die <strong>Sporttherapie</strong> erfüllt diesen hohen Qualitätsanspruch<br />

<strong>und</strong> kann <strong>bei</strong> entsprechender Compliance des Patienten einen aktiven<br />

Beitrag zur Kostensenkung leisten.<br />

3 Beispiele sporttherapeutischer Behandlungsansätze<br />

Heitkamp (1997) untersuchte Gonarthrosepatienten <strong>und</strong> verglich drei Versuchsgruppen<br />

miteinander: eine Heimtrainingsgruppe, eine Gruppe, die mit „klassischer“<br />

Krankengymnastik behandelt wurde, <strong>und</strong> eine Gruppe, die ein sporttherapeutisches<br />

Programm durchlief. Letztgenannte Gruppe zeigte die besten Ergebnisse <strong>bei</strong> den<br />

Parametern Kraft, Compliance <strong>und</strong> Gehfähigkeit. Besonders erwähnenswert ist die<br />

nachhaltige Reduktion des Schmerzes, die noch zwei Jahre nach Ende der Maßnahme<br />

festzustellen war. Die optimale Rehabilitation <strong>bei</strong>nhaltet seiner Meinung<br />

nach eine Kombination aus krankengymnastischen <strong>und</strong> sporttherapeutischen Maßnahmen,<br />

die – je nach Erkrankungszustand zum Einsatz kommend – ein hohes<br />

3


Einsparungspotential medizinischer Folgekosten <strong>bei</strong>nhalten.<br />

Horstmann (2000) untersuchte Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen der <strong>Sporttherapie</strong> <strong>bei</strong><br />

Coxarthrose- <strong>und</strong> <strong>Hüft</strong>endoprothesen-Patienten (HTEP). Da<strong>bei</strong> wurden Defizite<br />

analysiert, die man <strong>bei</strong> dieser Patientengruppe vor <strong>und</strong> nach einer Rehabilitation<br />

feststellen kann. Das sind Auffälligkeiten im Gangverhalten, in der Kraft, der Kraftausdauer<br />

<strong>und</strong> der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit. Daraus ergab sich der Untersuchungsansatz,<br />

nach bzw. parallel zu krankengymnastischer Therapie ein Trainingsprogramm<br />

zu installieren, daß die Verbesserung dieser Defizite zum Ziel hatte.<br />

Das Ergebnis waren<br />

4<br />

– Verbesserung der Gang- <strong>und</strong> Bewegungssicherheit,<br />

– Verbesserung des allgemeinen Körpergefühls,<br />

– Verbesserung der Kraft <strong>und</strong> Kraftausdauer,<br />

– Verbesserung der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit,<br />

– Verminderung der Schmerzen <strong>und</strong> Beschwerden.<br />

Durch die sporttherapeutische Intervention ergab sich ein deutlicher therapeutischer<br />

Mehrwert der Reha-Maßnahme.<br />

Bei Patienten mit chronischem Kreuzschmerz verglich Steinau (1999) sporttherapeutische<br />

Interventionsmöglihkeiten mit einem klassisch physikalisch-rehabilitativen<br />

Therapieansatz. Die genauen Therapieinhalte zeigt die folgende Tabelle:<br />

Tab. 1 Gegenüberstellung der Terapieinhalte <strong>und</strong> ihres zeitlichen Umfangs (nach Steinau, 1999)<br />

Gruppe „<strong>Sporttherapie</strong>“ Gruppe „Physikalisch-rehabilitative Therapie“<br />

Anzahl Dauer (min) Anzahl Dauer (min)<br />

Rückenschule 7 45 Einzel-KG 19 20<br />

WS-Gymnastik 15 30 Massage (klassisch) 12 20<br />

Geh-/Lauftraining 12 30 Interferenz-Behandl. 12 20<br />

Entspannungstraining 8 30 Fango 12 20<br />

Wandergruppe 3 90 CO2-Bäder 19 20<br />

Schwimmunterricht 19 20 Schwimmunterricht 19 20<br />

Summe 64 2015 Summe 93 1860<br />

Beide Gruppen zeigten eine hoch signfikante Verbesserung für die Tests nach<br />

Schober, Ott <strong>und</strong> Matthiaß. Ebenso hatten sich <strong>bei</strong>de Gruppen hinsichtlich des Parameters<br />

„Schmerz“ deutlich verbessert. Allerdings zeigten die Patienten der Gruppe<br />

„<strong>Sporttherapie</strong>“ signifikant bessere Ergebnisse <strong>bei</strong> den Variablen „Depressivität“<br />

<strong>und</strong> „Ängstlichkeit“. Insgesamt betrachtet waren einzel- <strong>und</strong> gruppentherapeutische


Maßnahmen in ihrem Outcome ebenbürtig. Betrachtet man jedoch die Summe der<br />

Therapieminuten <strong>und</strong> berücksichtigt den Unterschied Einzel- vs. Gruppentherapie,<br />

zeigen insbesondere diese betriebswirtschaftlichen Differenzen <strong>bei</strong>der Therapieansätze<br />

ein deutliches Plus für die <strong>Sporttherapie</strong>.<br />

Pahmeier (2000) beobachtete die Bindung an sportliche Aktivität im Anschluß an<br />

eine Rehamaßnahme. Da<strong>bei</strong> zeigten Patienten, die ihr Sport- <strong>und</strong> Bewegungsprogramm<br />

daheim nahtlos anschlossen,<br />

− signifikant mehr Zufriedenheit mit der Ges<strong>und</strong>heit,<br />

− mehr soziale Bindungsintention,<br />

− mehr Unterstützung durch Familie <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>e,<br />

− mehr sportbezogene Selbstwirksamkeit.<br />

Somit kommt die Autorin zu dem Schluß, daß die Wirkmechanismen sporttherapeutischer<br />

Bewegungsmaßnahmen gerade <strong>bei</strong> Patienten mit wenig Bewegungserfahrung<br />

zum Tragen kommen, viele dieser Patienten jedoch an ihrem Wohnort eine<br />

stärkere Beratung <strong>und</strong> Unterstützung benötigten. Eine nachhaltige Modifikation im<br />

Sinne einer aktiveren <strong>und</strong> somit eigenverantwortlicheren Lebensweise ist unabdingbar<br />

mit einer weiterführenden wohnortnahen Betreuung verb<strong>und</strong>en.<br />

Vir diesem eindeutigen Hintergr<strong>und</strong> kommt Braumann (2001) zu einem erstaunlichen<br />

Ergebnis. Er befragte Mediziner, wie sie die Bedeutung von Sport <strong>und</strong> Bewegung<br />

als Mittel der Therapie einschätzten:<br />

− 90,6% der Befragten gaben an, daß Sport <strong>und</strong> Bewegung einen höheren Stellenwert<br />

in der täglichen Praxis haben sollten,<br />

− 84,9% stellten fest, während ihres Studiums zu wenig über die Zusammenhänge<br />

von Bewegung <strong>und</strong> Erkrankung gehört zu haben,<br />

− nur 49,9% schätzten ihr Wissen in diesem therapeutischen Ar<strong>bei</strong>tsfeld als gut<br />

oder sehr gut ein.<br />

4 Aspekte der sporttherapeutischen Intervention <strong>bei</strong> <strong>Hüft</strong>- <strong>und</strong> <strong>Kniegelenksarthrose</strong><br />

In den folgenden Beispielen sollen „klassische“ sporttherapeutische Ansätze kritisch<br />

betrachtet werden. Natürlich kann dieser Abriss nicht annähernd das gesamte<br />

Spektrum sporttherapeutischer Interventionsmöglichkeiten wiederspiegeln. Insofern<br />

erhebt diese Übersicht auch keinesfalls den Anspruch auf Vollständigkeit, sondern<br />

5


versteht sich vielmehr als distanzierter Denkanstoß.<br />

4.1 Nordic Walking<br />

Es hält sich nach wie vor hartnäckig das Gerücht, dass diese Sportart die untere<br />

Extremität entlastet. Fachleute jedoch wissen, dass diese Aussage nicht stimmen<br />

kann. Der Stockeinsatz wäre entlastend, wenn seine Kraftresultierende eine vertikale<br />

Wirkungsrichtung hätte, ähnlich den Trekkingstöcken <strong>bei</strong>m Alpin-Wandern. Da<br />

der Stock jedoch primär zum Vorschub eingesetzt wird, macht er den Trainierenden<br />

schneller als <strong>bei</strong>m Walking ohne Stöcke. Wie aus der Biomechanik bekannt ist,<br />

provoziert eine höhere Laufgeschwindigkeit höhere Kompressionskräfte in den Gelenken<br />

– eine „Entlastung“ der Gelenke findet also mitnichten statt. Allerdings muss<br />

die entstehende Kompression nicht zwangsläufig etwas Pathologisches <strong>bei</strong>nhalten.<br />

Insofern sollen diese Ausführungen wider das Nordic-Walking sein, sondern vielmehr<br />

den Focus auf seinen Einsatz als „entlastendes“ Therapiemittel lenken.<br />

Sportwissenschaftler <strong>und</strong> –therapeuten sollten die Dosis-Wirkung-Beziehung kennen<br />

<strong>und</strong> lieber die Freude an der Bewegung im Freien, das aktive Miteinander in<br />

den Vordergr<strong>und</strong> stellen. Technik <strong>und</strong> Ausrüstung sind m.E. deshalb deutlich weniger<br />

wichtig, als sie gemeinhin bewertet werden.<br />

Ebenso ist die Wirkung des Nordic-Walking auf die Wirbelsäule zu hinterfragen. Bei<br />

intensivem Stockeinsatz sind die Kräfte, die auf die Facettengelenke im thoracolumbalen<br />

Übergang wirken, nicht zu unterschätzen. Bei längeren Trainingseinheiten<br />

<strong>und</strong> nachlassender Stabilisation kann es hier zu massiven Überbeanspruchungen<br />

kommen. Wird ein Therapeut oder Kursleiter von einem Teilnehmer auf entsprechende<br />

Schmerzen im Rücken hingewiesen, sollte er diese keinesfalls unterschätzen<br />

mit dem Argument, dass Nordic-Walking rücken- oder gelenkentlastend<br />

sei (Streich, 2005). Auch hier ist die Dosis-Wirkung-Beziehung die entscheidende<br />

Größe.<br />

4.2 Radfahren / Ergometer<br />

Patienten mit der Diagnose „Kniearthrose“ werden oftmals zum Ergometer- oder<br />

Radtraining angehalten. Zuvor jedoch sollte der Therapeut die Arthrose genauer lokalisieren.<br />

Handelt es sich um eine Retropatellararthrose, ist das Radfahren alles<br />

andere als empfehlenswert. Biomechanisch betrachtet ist die Patella nichts anderes<br />

als die „Umlenkrolle“ für die Kraft des M. quadriceps. Entwickelt dieser Muskel<br />

jedoch seine Kraft, zieht er die Patella nach dorsal ins Gleitlager <strong>und</strong> löst mit diesem<br />

erhöhten retropatellarem Anpressdruck einen Schmerz aus. Dieser Schmerz<br />

ist während des Radelns nicht immer intensiv zu spühren, nach Ende der Belas-<br />

6


tung jedoch um so heftiger. Lässt sich ein Ergometertraining nicht vermeiden, so<br />

sollte der Patient eine möglichst hohe Sattelposition einnehmen <strong>und</strong> große Gänge<br />

mit viel Trittwiderstand vermeiden, kleine Gänge <strong>und</strong> eine hohe Trittfrequenz hingegen<br />

bevorzugen (Schönle, 2005).<br />

Patienten mit Schäden im Tibiofemoralgelenk sind auf dem Fahrradergometer hinsichtlich<br />

Gelenkmobilisation <strong>und</strong> Knorpelernährung meistens gut zu therapieren,<br />

während sie die Belastungen des Walkings, Nordic-Walkings <strong>und</strong> Joggings weniger<br />

gut tolerieren. Bei diesen Patienten lässt sich mit der Technik des Wiegetritts ein<br />

gezielter Muskelaufbau ansteuern, ohne das große Bodenreaktionskräfte oder die<br />

Nachteile der offenen kinetischen Kette zum Tragen kommen. Insgesamt ist das<br />

Fahrrad-/Ergometertraining ein probates Mittel der sporttherapeutischen Intervention.<br />

Allerdings sei an dieser Stelle auf die Gefahr für Patienten nach Implantation einer<br />

zementfreien <strong>Hüft</strong>-TEP hingewiesen: <strong>bei</strong> Wattbelastungen über 50 Watt in den ersten<br />

12 postoperativen Wochen besteht durch die entstehenden Torsionskräfte eine<br />

deutlich erhöhte Gefahr der Prothesenlockerung (Bergmann, 1989; Wirtz, 1998;<br />

Schönle 2005). Sieht der Nachbehandlungsplan eine frühzeitige Vollbelastung vor,<br />

wird diese leider oftmals mit einer hochintensiven Belastung auf dem Fahrradergometer<br />

gleichgesetzt. Die hier entstehenden Kräfte sind für das Implantat jedoch<br />

deutlich ungünstiger als eine axiale Vollbelastung.<br />

4.3 Wassertherapie<br />

Wasseranwendungen sind für Arthrosepatienten im allgemeinen sehr empfehlenswert.<br />

Die Reduktion des Körpereigengewichts durch Auftrieb <strong>und</strong> hydrostatischen<br />

Druck ermöglicht zielgenaue Übungsformen, die an Land oftmals problematisch<br />

sind. Trotz dieser <strong>und</strong> anderer Vorteile sollte man einige Aspekte berücksichtigen,<br />

z.B. die Bewegungsgeschwindigkeit. Wird diese verdoppelt, vervierfacht sich der<br />

Wasserwiderstand <strong>und</strong> stellt eine nicht unerhebliche Mehrbelastung dar. Aus dem<br />

breiten Spektrum der Therapiemöglichkeiten wie z.B. Aquajogging, Aquarobic,<br />

Aquacycling, Aquarunning <strong>und</strong> Aquawalking stellt die letztgenannte Variante auch<br />

früh postoperativ eine ideale Möglichkeit zur sporttherapeutischen Intervention dar.<br />

Das Gehen im Wasser hat einen im Sinne der Bodenreaktionskräfte einen hohen<br />

ADL-bezug, die Möglichkeit eines kontrollierten Abrollverhaltens unter Berücksichtigung<br />

einer kontrollierten Gewichtsentlastung (abhängig von der Wassertiefe) ist<br />

gegeben, das Laufen gegen Wasserwiderstand <strong>bei</strong>nhaltet dosierte Kraftkomponenten.<br />

7


4.4 Medizinische Trainingstherapie<br />

Die Medizinische Trainingstherapie (MTT) bietet vielfältige Therapieansätze. Indikationsspezifische<br />

Inhalte ermöglichen ein exakt dosiertes Muskelaufbautraining, das<br />

auf der Basis der rehabilitativen Trainingslehre (Radlinger 1998) unbedingt das<br />

subjektive Belastungsempfinden des Patienten berücksichtigen sollte (Buskies,<br />

1999). Ein Training mit einem hohen koordinativem Input scheint für Patienten mit<br />

Knie- <strong>und</strong> <strong>Hüft</strong>gelenksarthrose jedoch besonders empfehlenswert zu sein (Haupt &<br />

Horstmann, 2002).<br />

Lässt sich eine Operation nicht vermeiden, gilt es in den verbleibenden präoperativen<br />

Monaten einen möglichst effizienten Muskelaufbau zu betreiben: je höher das<br />

präoperative muskuläre Niveau, desto größer der postoperative Therapieerfolg.<br />

Auch insuffiziente Muskelgruppen können mit kleinen Hilfsmitteln therapiert werden,<br />

z.B. Patienten mit einem ausgeprägten Duchenne-Hinken aufgr<strong>und</strong> einer<br />

Coxarthrose. Diesen Patienten gibt man ein deutliche Zusatzgewicht auf die betroffene<br />

Seite. Damit „verschiebt“ sich der Körperschwerpunkt Richtung betroffenes<br />

Gelenk, der Lastarm wird kürzer, die Abduktoren müssen in der Stand<strong>bei</strong>nphase<br />

weniger Kraft aufbringen, das Hinken wird geringer bzw. entfällt. Mit zunehmendem<br />

Muskelstatus wird das Zusatzgewicht reduziert. Mit diesem Beispiel wird deutlich,<br />

das zielgenaues Training einen permanent dynamischen Prozess darstellt <strong>und</strong> somit<br />

ständig aktualisiert werden sollte.<br />

4 Fazit<br />

Die <strong>Sporttherapie</strong> mit ihrem mehrdimensionalen Ansatz ist eine hervorragende Behandlungsmöglichkeit<br />

<strong>bei</strong> <strong>Hüft</strong>- <strong>und</strong> <strong>Kniegelenksarthrose</strong>. Sie verbessert messbar<br />

medizinisch-funktionelle Defizite, <strong>bei</strong>nhaltet einen großen edukativ-pädagogischen<br />

Aspekt <strong>und</strong> komplettiert mit ihrer psychosozialen Bindungsintention (Hinführen zu<br />

Bewegung <strong>und</strong> Sport) die Forderungen der ICF nach einem bio-psycho-sozialen<br />

Modell.<br />

Die oftmals zu Unrecht als qualitativ minderwertig dargestellte Gruppentherapie<br />

steht <strong>und</strong> fällt mit dem Qualifikationsprofil des Therapeuten, weniger mit der Therapieform.<br />

Gruppendynamische Prozesse wie das gemeinsame Wiedererlernen <strong>und</strong><br />

Erleben von Bewegung, das gegenseitige Motivieren <strong>und</strong> der Erfahrungsaustausch<br />

der Gruppenmitglieder untereinander sind nicht zu unterschätzende Wirkfaktoren.<br />

Insofern orientiert sich die <strong>Sporttherapie</strong> an dem Modell der Salutogenese (Antonovsky,<br />

1974, 1993) <strong>und</strong> versucht zum Erhalt der Ges<strong>und</strong>heit <strong>bei</strong>zutragen, statt<br />

sich ausschließlich der Pathogenese zuzuwenden. Auch aus diesem Gr<strong>und</strong>e wer-<br />

8


den b<strong>und</strong>esweit immer mehr <strong>Hüft</strong>-, Knie- oder Rückensportgruppen installiert, denen<br />

das sporttherapeutische Modell zugr<strong>und</strong>e liegt.<br />

Da <strong>Sporttherapie</strong> zudem auch betriebswirtschaftlich interessant ist, ist diesem Therapieansatz<br />

angesichts der leeren Kassen im Ges<strong>und</strong>heitssytem ein sichere Zukunft<br />

garantiert. Abschließend ein Überblick zur <strong>Sporttherapie</strong> <strong>bei</strong> Arthrose in Anlehnung<br />

an die ICF.<br />

Abb. 2. Indikationskatalog <strong>Sporttherapie</strong> <strong>bei</strong> Arthrose (Schüle & Huber, 2004).<br />

9


Literatur<br />

Antonovsky, A. (1974). Health, Stress and Coping. San Francisco: Jossey Bass.<br />

Antonovsky, A. (1993). Complexity, conflict, chaos, coherence, coertion and civility. Social Science<br />

and Medicine, 37, 969–981.<br />

Bergmann, G., Rohlmann. A. & Graichen, F. (1989). In vivo Messung der <strong>Hüft</strong>gelenksbelastung. 1.<br />

Teil: Krankengymnastik. Z. Orthop., 127, 672 – 679.<br />

Böing, T. & Klimczyk, K. (2003). Zur Wirkungsweise der <strong>Sporttherapie</strong> <strong>bei</strong> orthopädischen Schadensbildern.<br />

Orthopädische Praxis, 39, 632 – 636.<br />

Braumann, K.M. (2001). Die Einschätzung der Bedeutung von Sport <strong>und</strong> Bewegung als Mittel der<br />

Therapie <strong>bei</strong> niedergelassenen Ärztinnen <strong>und</strong> Ärzten in Hamburg. Deutsche Zeitschrift für<br />

Sportmedizin, 52, 175 – 179.<br />

Buskies, W. (1999). Sanftes Krafttraining nach dem subjektiven Belastungsempfinden vs. Training<br />

bis zur muskulären Ausbelastung. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, 50, 316 – 320<br />

Freiwald, J. & Engelhardt, M. (1996). Knierehabilitation in der offenen oder der geschlossenen Bewegungskette.<br />

Aktueller Stand der Diskussion. Physikalische Therapie, 10, 787 – 792<br />

Haupt, G. & Horstmann, T. (2002). <strong>Hüft</strong>schule. Erfolgsprogramm für Jung <strong>und</strong> Alt. Schorndorf:<br />

Hoffmann.<br />

Heitkamp, H.-C., (1997). Pathophysiologie <strong>und</strong> <strong>Sporttherapie</strong> der Gonarthrose aus heutiger Sicht.<br />

Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, 48, 349 - 359<br />

Hoster, M. (1992). Biomechanische Aspekte der Geh- <strong>und</strong> Laufbelastung <strong>bei</strong> <strong>Hüft</strong>gelenkserkrankungen.<br />

In Binkowski, H. & Huber, G. (Hrsg.), Stehen – Gehen – Laufen. Sporttherapeutische<br />

Aspekte. Waldenburg: Sport Consult Verlag.<br />

Horstmann, T. (2000). Sportfähigkeit <strong>bei</strong> Arthrose <strong>und</strong> nach endoprothetischer Versorgung. Sport<br />

Orthop.Traumatol., 16, 26–29.<br />

Horstmann, T., Röcker, K. & Vornholt, S. (2002). Konditionelle Defizite <strong>bei</strong> Coxarthrose- <strong>und</strong> <strong>Hüft</strong>endoprothesen-Patienten.<br />

Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, 53, 17-21.<br />

Horstmann, T., Jörger, G. & Heitkamp, H.-C. (2001). Auswirkungen von <strong>Hüft</strong>sport auf das Gangbild,<br />

Kraftverhalten <strong>und</strong> Lebensqualität von Coxarthrotikern. Akt Rheumatol. 2001, 26, 162<br />

– 168.<br />

Kuster, M. (2002). Exercise recommendations after total joint replacement. Sports Med., 32, 433 -<br />

445<br />

Pahmeier, I. (2000). Bindung an sportliche Aktivität im Anschluß an eine Rehabilitationsmaßnahme.<br />

Ges<strong>und</strong>heitssport <strong>und</strong> <strong>Sporttherapie</strong>, 16, 186.<br />

Radlinger, L. (1998). Rehabilitative Trainingslehre. Stuttgart, New York:Thieme<br />

Radlinger, L. (1998). Rehabilitatives Krafttraining. Stuttgart, New York:Thieme; 1998b<br />

Schönle, C. (Hrsg.) (2005). Rehabilitation. Stuttgart, New York:Thieme<br />

10


Schuntermann, M.F. (2002): Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung <strong>und</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heit (ICF) der Weltges<strong>und</strong>heitsorganisation (WHO). Verband Deutscher Rentenversicherungsträger,<br />

Frankfurt.<br />

Schüle, K. & Huber, G. (2004). Gr<strong>und</strong>lagen der <strong>Sporttherapie</strong>. München, Jena: Urban & Fischer.<br />

Steinau, M. (1999). Der Effektivitätsnachweis der sporttherapeutischen Intervention <strong>bei</strong>m Kreuzschmerz.<br />

Dissertation, Deutsche Sporthochschule Köln.<br />

Streich, N., Zybock, R., Wolf, S. & Schmitt, H. (2005). Plantare Druckverteilung im Nordic-Walking.<br />

Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, 45, 291.<br />

Ungerer-Röhrich, U. & Hölter, G. (2000). Wirkfaktoren der <strong>Sporttherapie</strong>. Ges<strong>und</strong>heitssport <strong>und</strong><br />

<strong>Sporttherapie</strong>, 16, 185.<br />

Vanden-Abeele, J. & Schüle, K. (2000). Wissenschaftliche Begründung der <strong>Sporttherapie</strong>. In Schüle,<br />

K. & Huber, G. (Hrsg.). Gr<strong>und</strong>lagen der <strong>Sporttherapie</strong>. (S. 9 – 31). München, Jena: Urban<br />

& Fischer.<br />

Wirtz, D. (1998). Biomechanische Aspekte der Belastungsfähigkeit nach totalendoprothetischem<br />

Ersatz des <strong>Hüft</strong>gelenks. Z. Orthop., 136, 310 – 316.<br />

Woll, A., Brehm, W. & Pfeifer, K. (Hrsg). (2004). Intervention <strong>und</strong> Evaluation im Ges<strong>und</strong>heitssport<br />

<strong>und</strong> in der <strong>Sporttherapie</strong>. Hamburg: Cwalina.<br />

Wydra, G. (2003): <strong>Sporttherapie</strong> zwischen Therapie <strong>und</strong> Pädagogik. Ges<strong>und</strong>heitssport <strong>und</strong> <strong>Sporttherapie</strong>,<br />

19, 4.<br />

Thorsten Böing<br />

Sportwissenschaftler, Sporttherapeut DVGS<br />

<strong>Fachklinik</strong> Enzensberg<br />

Höhenstraße 59<br />

87629 Hopfen am See<br />

11

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!