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SOUTERRAINBLUES - Sturmfrei

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GRAUSAMKEIT ALS LIEBESWEIS<br />

ZUR TEXTAUSWAHL<br />

Wenn ich heute UNTERTAGSBLUES vorschlage, ein Text, der hauptsächlich aus Monologen besteht, dann, um auf der Bühne einen veritablen Dialog mit dem Publikum zu<br />

provozieren. Einen lebendigen, einen schonungslosen Dialog. Dieser Text hat immer einen Adressaten.<br />

Peter Handke ist bekannt dafür, die Instrumente des Theater zu erneuern. In einer gewissen Weise, stellen die Stücke von Peter Handke immer wieder die Geschichte des Theaters<br />

in Frage. Sie drücken die Suche nach einem utopischen, engagierten und revolutionären Theater aus, die sich in meiner Suche nach einem Theater der widersprüchlichen und<br />

schmerzhaften Beziehungen des Individuums mit der Welt widerspiegeln. Nach Stücken von Sarah Kane, Elfriede Jelinek, Heiner Müller und nach Richard III von Shakespeare<br />

finden die Themen Schmerz, Einsamkeit, Mangel, das Verhältnis zur Macht, die Unmöglichkeit zu kommunizieren und der Wahnsinn hier eine Fortsetzung.<br />

Dieser Text erlaubt mir gleichzeitig, meine Besessenheit nach der Arbeit mit und vor allem über Sprache weiter auszuloten. Zu untersuchen : „Der Akt des Sprechens“ unter dem<br />

Aspekt der Performance. Zu entwickeln : Eine Dramaturgie, die zugleich klanglich, textlich und räumlich einen Parcours in den Untergrund gräbt.<br />

Der UNTERTAGSBLUES von Peter Handke ist eine leidenschaftliche linguistische Anomalie. Die Beleidigung an sich, ist im „normalen“ Sprachgebrauch eher ein Exzess<br />

und die Ausnahme. Die Beleidigung ersetzt den wirklichen Namen des Gegenübers mit Worten, welche die Ehre verletzen sollen. Was also im allgemeinen nur ein Moment<br />

des Ausbruchs ist, im Leben oder in der Fiktion, wird hier zur Norm. Die Beleidigung als Poesie, die Metapher als Kunst der Erniedrigung gepaart mit Verfluchungen und<br />

Verwünschungen. Handke läuft zu Hochform auf und eröffnet uns noch unbekannte imaginäre Wege in dieser Welt, denen zu Folgen ein einziger Genuss ist. Handkes wilder<br />

Mann, berechtigterweise auch Volksfeind genannt, erinnert an einen öffentlichen Beleidiger, der in einem iranischen Werk des 21. Jahrhunderts vorkommt und 24-Stunden lang<br />

nonstop schimpfen konnte. Der Akt der Beleidigung an sich, ist ein Verstoß. Gegen die guten Manieren, gegen den Respekt, gegen die Umgangsformen in unserer Sprache.<br />

Sie verleiht dem Beleidiger Macht, wenn nicht sogar Allmacht. Ohne die ständige Lust nach sprachlicher Schaffenskraft und Brillianz, wäre auch der wilde Mann von Handke nur<br />

ein Pöbler neben anderen Pöblern. Aber, er ist ein Poet der Verletzungen, so wie Richard III ein Poet des bösen ist. Eine weitere Besonderheit in diesem Text: In der Regel gibt<br />

es eine Reaktion der Beleidigten – doch hier passiert nichts. Totales Schweigen ausser der Bühnenanweisung, die besagt, dass ein Passagier sich ein Messer in den Bauch<br />

stösst. Man könnte fast glauben, dass es genau so viel kollektive Ignoranz gibt, wie auch kollektive Lust sich abzureagieren. Selbst das erschaffen einer letztendlich anderen<br />

Kommunikationsform, einer Beleidigung aus Solidarität, ja fast Liebe, wird hier plötzlich vorstellbar. Denn der Volksfeind mag oberflächlich dem „Idioten“ gleichen, dem wir<br />

manchmal auf der Strasse begegnen, doch hier blickt noch etwas anderes hervor: Zerstörung als ein Akt der Befreiung. Oder, nach Cioran : Die reinigende Kraft des Bösen.<br />

Man findet in diesem Text eine sehr präsente Variante der „performativen Äusserungen“ nach dem englischen Philosophen und Sprachtheoretiker John Austin, mit dessen<br />

Gedanken ich mich seit langen Jahren in meiner szenischen Arbeit auseinandersetze. So ist das beleidigen zum einen beschreibbar als ein Verb, aber eben auch als Akt. Sagen<br />

ist tun. Das aussprechen von „du bist ein Idiot“ macht aus dem anderen einen Idioten.<br />

Es besteht eine unübersehbare Nähe zwischen Peter Handke und seiner Landsfrau und Zeitgenossin Elfriede Jelinek. Nicht umsonst wollte Elfriede Jelinek ihren Nobelpreis<br />

an Peter Handke weiterreichen und nicht umsonst hat sie Handke in der Affäre mit der Comédie Française verteidigt. Was beide auszeichnet ist eine Arbeit des Widerstands in<br />

ständiger Opposition und unnachlässiger Provokation gegenüber den Schaltstellen der Macht. Elfriede Jelinek „beschäftigt“ die Compagnie schon mehrere Jahre (Er nicht als<br />

er / Ich möchte seicht sein & Sinn:egal.Körper:zwecklos / Ein Sportstück / Prinzessinnendramen). Beide, Handke und Jelinek, flirten mit der Sprache und somit auch mit den<br />

Machtsystemen. Sprache als poetische und politische Waffe. Aus ihrer selbstgewählten Isolation heraus, beschwören sie immer wieder „Skandale“ und polemische Reaktionen,<br />

wie z.B. nach dem Auftritt von Handke beim Begräbnis von Milosevic im Jahre 2006. Aber ihre Texte öffnen auch den Blick. Die Geschichte des Abendlandes spiegelt sich in<br />

ihrem Werk wieder, bis hin zu den antiken Griechen und den Anfängen von Philosophie und Humanismus.

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