SOUTERRAINBLUES - Sturmfrei
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ES WIRD ENG ABER NICHT KUSCHELIG<br />
ÜBERLEGUNGEN ZUR INSZENIERUNG<br />
Eine Welt voll von alten Menschen, die nicht mehr wissen wie man stirbt. Das könnte das letzte Bild unserer Zivilisation sein. Der letzte Funkspruch.<br />
Economy rules. Unser Leben ist getaktet im Rhythmus der Maschine Wirtschaft. Dieser Takt durchzieht unser Leben bis hinein in die privatesten Winkel. Unseren täglichen<br />
Wirtschaftsaufschwung gib uns heute. Geht es der Wirtschaft gut, geht es allen gut. Das ist die Legende unserer Zeit. In diesem Takt gilt es keine Zeit zu verlieren. Im Gegenteil,<br />
man muß Vorwärtstun. Zweifel sind Sand im Getriebe. Zweifel halten auf. Man muß sie ausmerzen. Die Produktion muß weiterlaufen, individueller Überfluß vs. kollektiver<br />
Mangel. Schon das Wort „Gemeinschaft“ klingt altbacken und verstaubt. Beim Wort „Solidarität“ könnte man Lacher vom Band einspielen. Kaum einer reißt noch die Klappe<br />
auf. Das Schweigen findet immer kultiviertere Ausdrucksformen. Handkes wilder Mann spricht genau das an und auch aus: Die Feigheit und die Heuchelei. Die Gewalt und<br />
die Angst, welche den Menschen bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Der bis zum Extremismus getriebene Individualismus, der nur noch Furcht vor dem anderen kennt und zu<br />
Vereinsamung und Leid führt. In UNTERTAGSBLUES steht einer auf und macht das Maul auf. Dieser „einer“ ist das Theater. Der wilde Mann. Er hat ein Charisma, dem man<br />
sich nicht entziehen kann. Seine brutalen und provokanten Worte berühren und durchbohren uns. Und während wir diesem wilden Mann zuhören, passiert etwas in uns. Passiert<br />
etwas mit uns. Vielleicht kommen Zweifel auf. Vielleicht Wut. Vielleicht Ekel. Vielleicht Trauer. Vielleicht Nachdenklichkeit. Vielleicht Freude. Plötzlich hören wir wieder eine<br />
Stimme, die wir vergessen glaubten. Eine Stimme, die täglich übertönt wird von den Apologeten des Wohlstands. Unsere Stimme. Sie klingt ein wenig heiser, ein wenig rostig<br />
- aber es ist unsere Stimme. Und wir hören endlich zu. Eine schonungslose Reise ins Innere beginnt.<br />
In UNTERTAGSBLUES wählt Handke einen geschlossenen Ort, den Untergrund, aus dem man nur schwer entkommen kann und wo man nicht auf Hilfe von draussen hoffen<br />
darf. Dieser Ort erlaubt, fast könnte man sagen zwingt, den Zuschauer zur Konfrontation mit sich selbst. Ein Selbstverhör nackt ohne Rüstung. UNTERTAGSBLUES ist eine<br />
Odyssee der Rache.<br />
Meine Intention ist es, die gewalttätig intime Situation zwischen den Schauspielern und dem Publikum über drei Proben-Phasen verteilt herauszuarbeiten. Es geht mir um die<br />
Radikalisierung des Verhältnisses Bühne/Raum und Intimität/Publikum.<br />
Eine meiner Ideen ist es, meine künstlerischen Überlegungen mit den Schriften des Philosophen Nietzsche (Also sprach Zarathustra) theoretisch und philosophisch kollidieren<br />
zu lassen. Die Dramaturgie besteht darin, meine szenischen Vorschläge im Hinblick auf das Schaffen eines differierenden Universums der Sprache aus Harmonie und<br />
Kontrapunkt zu präzisieren und zu komplettieren.<br />
Ein anderer wichtiger Punkt, den ich weiterentwickeln möchte, ist der Ton. Theaterlärm, Industrielärm, Schauspielerlärm – live oder aufgenommen. UNTERTAGSBLUES soll den<br />
Zuschauer in eine mitreissende akustische Welt einführen. Ihn auf eine Odyssee in den Untergrund schicken, wo er sich im Magma verliert – nicht mehr fähig zu unterscheiden,<br />
woher die Töne und woher die Bilder kommen. Der Zuschauer ist allein in der Zeit, allein gegenüber dem „werden in der Endlichkeit“ (Hölderlin).<br />
Die Inszenierung soll die Fremdheit des Ortes, das Gefühl untertage zu sein, verstärken. Das Verhältnis der Körper Schauspieler und Publikum soll zwischen Kälte und Wärme<br />
alternieren. Die Körper von Schauspieler und Publikum begegnen sich, berühren sich, bis zu „Und da steigen wir wieder herauf, um die Sterne wieder zusehen“ (Dante, Die<br />
Hölle).