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21__LB173.pdf - Lübeckische Blätter

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Dr. Herbert Plöger, ehemals Studienleiter<br />

am IQSH und souveräner Moderator<br />

des Abends, und vier Experten beleuchteten<br />

in mehreren Gesprächsrunden das<br />

Thema „Erziehen“, wobei den Ausgangspunkt<br />

jeweils Texte aus dem 18. und 19.<br />

Jahrhundert bildeten. Die Gretchen-Frage<br />

lautete:<br />

1. Für was – außer der<br />

Wissensvermittlung – ist die<br />

Schule alles zuständig?<br />

Zentral ging es dabei um den Freiraum<br />

bzw. die Grenzen pädagogischen Handelns.<br />

Was Katharineums-Schulleiter<br />

Mosche 1803 über<br />

den weit gefassten<br />

Begriff der „Schuldisziplin“<br />

an Eingriffsmöglichkeiten<br />

in die persönliche<br />

Sphäre von seinen<br />

Schülern einforderte,<br />

stieß bei den<br />

Experten auf ein<br />

sehr zwiespältiges<br />

Echo. Helmut Siegmon,<br />

Schulleiter<br />

der renommierten<br />

Kieler Hebbelschule<br />

und Vorsitzender<br />

des Philologenverbandes<br />

Schleswig-<br />

Holstein, plädierte<br />

für „Toleranz und<br />

Mündigkeit“ und<br />

vor allem für mehr<br />

Engagement der<br />

Eltern im Erziehungsprozess, möchte vor<br />

allem für den „respektvollen Umgang<br />

miteinander“ von schulischer Seite „mehr<br />

fordern“ dürfen als heute möglich. Auch<br />

Dr. Josef Althaus, Lübecker Kinderarzt<br />

und Psychotherapeut, stellte mehr die Verantwortung<br />

aller Erwachsenen, nicht nur<br />

der Lehrkräfte, in den Vordergrund: „Wo<br />

Erwachsene auf Kinder treffen, ist Pädagogik.“<br />

Kinder müssten Weichenstellungen<br />

und Grenzen seitens der Erwachsenen<br />

bei der Integration in die Gesellschaft erfahren.<br />

Altbischof Karl Ludwig Kohlwage<br />

nahm in Auseinandersetzung mit der<br />

historischen Quelle aktuell das Beispiel<br />

,Schulkleidung’ auf und sprach sich für<br />

die Einführung einer Schuluniform aus<br />

im Kampf gegen Diskriminierung nur<br />

aufgrund von Äußerlichkeit („Label“-<br />

Missbrauch). Christoph Andreas Leicht,<br />

Vizepräsis der IHK Lübeck und zuständig<br />

für den Ausbildungsbereich, forderte, dass<br />

die Auszubildenden über ein Wertesystem<br />

verfügen müssten, hier sei die Institution<br />

Schule maßgeblich gefordert. In einer pluralistischen<br />

Gesellschaft, die auf Freiheit<br />

und Selbstverantwortung basiere, komme<br />

es nicht nur auf solides Wissen, sondern<br />

auch auf eine entsprechende Persönlichkeitsbildung<br />

an, zu der Selbstbewusstsein<br />

sowie das Erkennen und der Umgang mit<br />

den eigenen Emotionen (wie mit denen<br />

anderer) gehörten.<br />

Die Experten waren sich darin einig,<br />

dass die lange Schulzeit natürlich erzieherisch<br />

sehr prägend sei, dass es aber<br />

hier keine ‚Allzuständigkeit’ der Schule<br />

gebe. Die Persönlichkeitsentwicklung des<br />

Menschen beginne vor/mit der Geburt,<br />

die „Herausbildung von Bindungen“ von<br />

Anfang an sei von entscheidender Bedeutung<br />

(Althaus). Schule könne das „Weltverständnis“<br />

junger Menschen nachhaltig<br />

prägen, aber „Vorbild“ für sie könne jeder<br />

sein (Siegmon). „PISA-Wissen“ sei das<br />

eine, „was daraus aber werde, sei eine<br />

ganz andere Sache“, so Leicht kritisch.<br />

Für die Unternehmen seien unverzichtbar<br />

die Bereitschaft von „Verantwortung, Initiative<br />

und Problemlösung“.<br />

2. Außeneinflüsse<br />

Dr. Plöger leitete die zweite Runde mit<br />

dem Hinweis ein, dass der Erziehungsauftrag<br />

der Schule schon immer in ständiger<br />

Konkurrenz mit anderen Einflüssen gestanden<br />

habe, heute z. B. mit Fernsehen,<br />

Internet oder Computerspielen. Als Anregung<br />

für die Gesprächsrunde gab es<br />

Textstellen von Rousseau über das „Ver-<br />

Bürger-Salon „Erziehen“<br />

brechen“ seiner Leseleidenschaft und von<br />

Direktor Mosche über die „Gefahren der<br />

Zerstreuung“. Über die positive Einstellung<br />

zum Lesen heute gab es zum Unterschied<br />

im 18. Jahrhundert natürlich keine<br />

Meinungsverschiedenheit. Altbischof<br />

Kohlwage wies eindrucksvoll auf seine<br />

Situation nach 1945 hin, wo er als Schüler<br />

drei Jahre ohne Schulbücher habe auskommen<br />

müssen, da die „braunen“ Schulbücher<br />

allesamt aus dem Verkehr gezogen<br />

gewesen wären und man aus der Bücherei<br />

maximal nur zwei Bücher pro Woche habe<br />

ausleihen dürfen.<br />

Siegmon sah<br />

durchaus Möglichkeiten,<br />

schädliche<br />

Außeneinflüsse auf<br />

Kinder und Jugendliche<br />

gering zu halten,<br />

wenn die Politik<br />

Schule zwischen<br />

08.00 und 17.00 Uhr<br />

als „tolles Konkurrenzunternehmen“<br />

ausstatten würde,<br />

das bedeute aber<br />

Investition in Personal<br />

und Sachmittel.<br />

Hier könnte z. B.<br />

auch die „Erfolgsmaschine<br />

PC“ sinnvoll<br />

genutzt werden.<br />

Siegmon wie<br />

auch Leicht setzten<br />

Hoffnung auf die<br />

Herausbildung der<br />

Schüler zu „starken<br />

Persönlichkeiten“,<br />

wozu die Schulen zukünftig besser als<br />

heute in der Lage sein müssten.<br />

3. Wann ist jemand reif?<br />

Die vom Moderator geforderten Statements<br />

zur Feststellung der persönlichen<br />

Reife fielen kurz und in der Sache übereinstimmend<br />

aus, in Stichworten: Selbstbewusstsein,<br />

Reflexion über Emotionen,<br />

verantwortungsvolle Handlungsfähigkeit<br />

für sich und andere, selbständige Problembewältigung.<br />

Kohlwage fügte hinzu,<br />

dass Reife – insbesondere in Deutschland<br />

– auch die Kenntnis umfassen müsse, zu<br />

welcher Barbarei Menschen, auch gebildete,<br />

in der Lage seien.<br />

4. Soll ein Schüler seine Schule<br />

als Philosoph oder<br />

Homo Oeconomicus verlassen?<br />

Die Abschlussrunde galt der Frage,<br />

auf welches Ziel hin Schule ihre Schüler<br />

<strong>Lübeckische</strong> <strong>Blätter</strong> 2008/<strong>21</strong> 387

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