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BGH, Urteil vom 17.09.2001 - II ZR 178 - Ja-Aktuell

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Rechtsprechung Zivilrecht z Gesellschaftsrecht<br />

iRd ordnungsgemäßen Durchführung und Abwicklung<br />

der Geschäftsverbindung zum Hauptschuldner<br />

geschieht, wird nur als ein möglicher Anwendungsfall<br />

unter anderen beschrieben. Damit fehlt es an<br />

einer hinreichend konkreten gegenständlichen Begrenzung<br />

auf Sachverhalte, bei denen eine Einschränkung<br />

der gesetzlichen Rechte des Bürgen<br />

auch unter Beachtung seiner berechtigten Interessen<br />

vertretbar erscheint.«<br />

Auf Grund des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion<br />

ist die Klausel insg unwirksam. 11 An die Stelle<br />

der Formularbestimmung tritt damit die Regelung des<br />

§ 776 BGB (vgl § 6 <strong>II</strong> AGBG, jetzt § 306 <strong>II</strong> BGB).<br />

3. Die Sache wurde an das Berufungsgericht zurückverwiesen<br />

(§ 565 I ZPO), da für einen von der Kl<br />

behaupteten individualvertraglichen Verzicht der Bekl<br />

auf die Rechte aus § 776 BGB keine Feststellungen getroffen<br />

worden sind. Sofern danach den Bekl die Rechte<br />

aus § 776 BGB zustehen und auch feststeht, dass sie<br />

iHv 50 000 DM auch Befriedigung aus den Wertpapieren<br />

hätten erlangen können – was bspw nicht der Fall<br />

ist, wenn andere Gläubiger in dieser Zeit erfolglose<br />

Vollstreckungsversuche unternommen haben – erfolgt<br />

eine Anrechnung des hypothetischen Erlöses auf die<br />

Klageforderung entsprechend dem Verhältnis der<br />

Höchstbetragsbürgschaften der Bekl. 12 Die Forderung<br />

gegenüber dem Bekl zu 1 wäre damit nur iHv 160 000<br />

Gesellschaftsrecht<br />

§§ 291 ff AktG, § 31 GmbHG, §§ 263, 266 StGB – Schutz<br />

einer abhängigen GmbH gegen Eingriffe ihres Alleingesellschafters<br />

(»Bremer Vulkan«)<br />

<strong>BGH</strong>, <strong>Urteil</strong> <strong>vom</strong> 17. 9. 2001 – <strong>II</strong> <strong>ZR</strong> <strong>178</strong>/99 (OLG Bremen),<br />

ZIP 2001, 1874 = DB 2001, 2338<br />

Der Schutz einer abhängigen GmbH gegen Eingriffe<br />

ihres Alleingesellschafters folgt nicht dem Haftungssystem<br />

des Konzernrechts des Aktienrechts (§§ 291 ff,<br />

311 ff. AktG), sondern ist auf die Erhaltung ihres<br />

Stammkapitals und die Gewährleistung ihres Bestandsschutzes<br />

beschränkt, der eine angemessene<br />

Rücksichtnahme auf die Eigenbelange der GmbH erfordert.<br />

An einer solchen Rücksichtnahme fehlt es,<br />

wenn die GmbH infolge der Eingriffe ihres Alleingesellschafters<br />

ihren Verbindlichkeiten nicht mehr<br />

nachkommen kann.<br />

Sachverhalt (vereinfacht): Kl ist die BvS – die ehemalige<br />

Treuhandanstalt (THA), die Bekl sind ehemalige<br />

Vorstandsmitglieder der Bremer Vulkan Verbund<br />

AG (BVV). Die BVV erwarb von der THA 1992 die Ge-<br />

DM, gegenüber dem Bekl zu 2 iHv 40 000 DM begründet.<br />

Lernteil<br />

1. Ein Bürgschaftsversprechen kann auch dann<br />

der Form des § 766 S 1 BGB genügen, wenn darin auf<br />

andere Urkunden Bezug genommen wird. Die Bürgschaftsurkunde<br />

muss in diesem Fall aber wenigstens<br />

den Verbürgungswillen, die zu sichernde Forderung<br />

sowie den Gläubiger und den Hauptschuldner andeuten.<br />

2. Ein formularmäßiger Ausschluss des § 776 BGB<br />

ist grds unzulässig. Handelt es sich beim Verwender<br />

um ein Kreditinstitut, ist ein Ausschluss wirksam,<br />

soweit Sicherheiten freigegeben werden dürfen, die<br />

dem Kreditinstitut schon nach dem Inhalt ihrer Allgemeinen<br />

Geschäftsbedingungen zustehen<br />

Stephan Dulitz, Wiss. Ass., Leipzig<br />

11 Zu den nunmehr in der Kreditwirtschaft verwendeten Klauseln vgl<br />

etwa Bankrechtshandbuch-Lwowski 3. Aufl, Anh zu § 91, Klausel 9<br />

12 <strong>BGH</strong>Z 137, 292<br />

schäftsanteile an der MTW Schiffswerft GmbH in<br />

Wismar (MTW) wobei sie sich verpflichtete, MTW zu<br />

Investitionen iHv 562 Mio DM zu veranlassen. Die<br />

THA verpflichtete sich, die MTW mit ca 686 Mio DM<br />

zu unterstützen. Ende 1994 trat MTW auf Veranlassung<br />

der BVV dem Vertrag über konzerninterne Finanzierungen<br />

bei, nach dem Verbundgesellschaften<br />

frei verfügbare liquide Mittel bei der Treasury von<br />

BVV anzulegen hatten (»CC-Vertrag«). Die Bekl waren<br />

auf der <strong>Ja</strong>hreshauptversammlung im Juli 1995 informiert,<br />

dass BVV praktisch zahlungsunfähig war,<br />

widersprachen aber nicht der optimistischen Darstellung<br />

des damaligen Vorstandsvorsitzenden. Im Oktober<br />

1995 zahlte die Kl 194 Mio DM an die MTW,<br />

die in den Konzernfinanzierungsverbund eingestellt<br />

wurden. Da BVV die daraus entstehenden Forderungen<br />

nicht bedienen konnte, musste MTW sie Ende<br />

1995 auf Null wertberichtigen. Im Mai 1996 wurde<br />

über das Vermögen der BVV der Konkurs eröffnet.<br />

Die Kl verlangt von den Bekl Schadensersatz iHv je<br />

9,7 Mio DM aus eigenem und abgetretenem Recht<br />

der MTW.<br />

JA 2002 Heft 5 n n 355 "<br />

Studenten


Studenten<br />

Gesetzestext<br />

§ 309 AktG<br />

(I) Besteht ein Beherrschungsvertrag, so haben die<br />

gesetzlichen Vertreter (beim Einzelkaufmann der Inhaber)<br />

des herrschenden Unternehmens gegenüber<br />

der Gesellschaft bei der Erteilung von Weisungen an<br />

diese die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften<br />

Geschäftsleiters anzuwenden.<br />

(<strong>II</strong>) Verletzen sie ihre Pflichten, so sind sie der Gesellschaft<br />

zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens<br />

als Gesamtschuldner verpflichtet. Ist streitig, ob sie<br />

die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften<br />

Geschäftsleiters angewandt haben, so trifft sie die Beweislast.<br />

(<strong>II</strong>I) . . .<br />

Problemaufriss<br />

Die Bremer-Vulka-Entscheidung hat zwei Schwerpunkte:<br />

Zum einen präzisiert der <strong>BGH</strong> seine Rspr zur<br />

sog Haftung im qualifiziert faktischen GmbH-Konzern.<br />

Seit »TBB« 1 hat sich dieses Haftungskonzept<br />

<strong>vom</strong> ursprünglich einmal gewählten Ansatz einer<br />

Analogie zum Konzernrecht der Aktiengesellschaft<br />

(§§ 291 ff AktG) 2 auch unter der methodischen Kritik<br />

der Lit 3 gelöst. Nicht die Konzernverbindung, sondern<br />

ein existenzgefährdender Eingriff durch den Gesellschafter<br />

ist seit »TBB« der eigentliche Haftungsgrund.<br />

4 Diese sog Bestandsschutz- oder Eingriffshaftung<br />

hat subsidiären Charakter und greift nur ein,<br />

wenn die zugefügten Nachteile nicht durch Einzelmaßnahmen<br />

insb nach den §§ 30, 31 GmbHG ausgeglichen<br />

werden können. 5 Das OLG Bremen hatte ua<br />

daran die Haftung der Bekl scheitern lassen (wobei<br />

es noch ausführlich die Voraussetzungen der §§ 302,<br />

303 AktG geprüft hatte). 6 Der <strong>BGH</strong> nutzt die ungewöhnliche<br />

Konstellation einer Inanspruchnahme<br />

von Vorstandsmitgliedern der Muttergesellschaft für<br />

wichtige Klarstellungen seiner bisherigen Rspr. Die<br />

Entscheidung wurde bereits kurz nach ihrer Veröffentlichung<br />

als »Aufgabe der Rechtsfigur des ›qualifiziert-faktischen<br />

Konzerns‹ eingeschätzt« 7 und verdient<br />

hohe Beachtung.<br />

Der zweite Schwerpunkt der Entscheidung sind Pflichten<br />

innerhalb konzerninterner Cash-Management Systeme<br />

(sog »Cash-Pooling«). 8 Der <strong>BGH</strong> verstärkt den Schutz der<br />

Verbundgesellschaften, indem (strafbewehrte) Pflichten<br />

an die Organisation von Cash-Management-Systemen<br />

herausgearbeitet werden.<br />

Lösung des <strong>BGH</strong><br />

Ansprüche auf Schadensersatz könnten der Kl gegen<br />

die Bekl sowohl aus abgetretenem Recht der MTW (I.)<br />

als auch aus eigenem Recht (<strong>II</strong>.) zustehen.<br />

Gesellschaftsrecht z Zivilrecht Rechtsprechung<br />

I. Ansprüche der Kl aus abgetretenem Recht der<br />

MTW<br />

1. Schadensersatzanspruch analog § 309 <strong>II</strong> bzw<br />

§ 317 <strong>II</strong>I AktG im Rahmen eines qualifiziert faktischen<br />

oder auch eines einfachen faktischen GmbH-<br />

Konzerns.<br />

Der <strong>BGH</strong> verneint mit grundsätzlichen Ausführungen<br />

bereits die Anwendbarkeit der §§ 291 ff AktG auf derartige<br />

Fälle und löst damit die Haftung der Muttergesellschaft<br />

bei einer Schädigung einer konzernierten<br />

GmbH endgültig aus den Modellen der Gläubigersicherung<br />

im Vertragskonzern (§§ 302 ff AktG) oder des<br />

Benachteiligungsausgleichs im faktischen Konzern<br />

(§§ 311 ff AktG):<br />

»Der Schutz einer abhängigen GmbH gegenüber<br />

Eingriffen ihres Alleingesellschafters folgt nicht<br />

dem Haftungssystem des Konzernrechtes des Aktiengesetzes<br />

(§§ 291 ff AktG). Er beschränkt sich<br />

auf die Erhaltung ihres Stammkapitals iS der<br />

§§ 30 f GmbHG, für die im Rahmen des § 43 <strong>II</strong>I<br />

GmbHG auch ihre Geschäftsführer haften, und die<br />

Gewährleistung ihres Bestandsschutzes in dem<br />

Sinne, dass ihr Alleingesellschafter bei Eingriffen<br />

in ihr Vermögen und ihre Geschäftschancen angemessene<br />

Rücksicht auf ihre seiner Disposition entzogenen<br />

eigenen Belange zu nehmen hat. An einer<br />

solchen angemessenen Rücksichtnahme auf die<br />

Eigenbelange der abhängigen GmbH fehlt es dann,<br />

wenn diese infolge der Eingriffe ihres Alleingesellschafters<br />

ihren Verbindlichkeiten nicht mehr<br />

nachkommen kann. 9 Zu einer Haftung des Alleingesellschafters<br />

für die Verbindlichkeiten der von<br />

ihm beherrschten GmbH führt aber auch ein solcher<br />

bestandsvernichtender Eingriff nur dann,<br />

wenn sich die Fähigkeit der GmbH zur Befriedigung<br />

ihrer Gläubiger nicht schon durch die Rückführung<br />

entzogenen Stammkapitals gemäss § 31<br />

GmbHG wiederherstellen lässt.<br />

1 <strong>BGH</strong>Z 122, 123 m Anm Karsten Schmidt ZIP 1993, 549<br />

2 Deutlich insoweit noch <strong>BGH</strong>Z 95, 330 (»Autokran«) m Anm Lutter ZIP<br />

1985, 1425; nachfolgend auch <strong>BGH</strong>Z 107, 7 (»Tiefbau«) und <strong>BGH</strong>Z 115,<br />

187 (»Video«)<br />

3 Vgl zur Methodenkritik am <strong>BGH</strong> die Nachweise bei K. Litschen Die juristische<br />

Person im Spannungsfeld von Norm und Interesse (1999) 116 f<br />

4 Vgl statt vieler Röhricht Festschrift 50 <strong>Ja</strong>hre <strong>BGH</strong>, 83 f, 114 f, 121<br />

5 Deutlich zu dieser Subsidiarität in jüngerer Zeit <strong>BGH</strong> DStR 2000, 1065<br />

und <strong>BGH</strong> ZIP 2000, 2163<br />

6 OLG Bremen ZIP 1999, 1671, 1673; vgl auch LG Bremen ZIP 1998, 561,<br />

562. Vgl zum Festhalten der Lit am »qualifiziert faktischen Konzern« Ulmer<br />

ZIP 2001, 2021, 2023.<br />

7 Altmeppen ZIP 2001, 1837,1840; ähnlich Römermann/Schröder GmbHR<br />

2001, 1015, 1016 (»grundlegende Richtungsänderung«); Goette DStR<br />

2001, 1857 (»Abschied <strong>vom</strong> bisherigen Verständnis der Haftung«); zurückhaltender<br />

Ulmer ZIP 2001, 2021, 2022 (»Evolution« statt »Revolution«).<br />

8 Dazu Theisen in Lutter (Hsrg) Holding-Handbuch, 2. Aufl, S 372 f<br />

9 Unter Hinweis auf <strong>BGH</strong>Z 122, 123, 130, vgl zu diesem Kriterium auch Ulmer<br />

ZIP 2001, 2021, 2022<br />

3 356 n n JA 2002 Heft 5


Rechtsprechung Zivilrecht z Gesellschaftsrecht<br />

Hier waren die Eigenbelange der MTW spätestens ab<br />

Dezember 1995 nicht mehr gewahrt, weil sie die in<br />

den Liquiditätsverbund eingebrachten Mittel nicht<br />

mehr abrufen konnte. Zugleich war spätestens in diesem<br />

Zeitpunkt der Tatbestand des § 30 GmbHG erfüllt.<br />

Eine persönliche Haftung der Bekl verneint <strong>BGH</strong><br />

aber, da sich der Erstattungsanspruch nach § 31<br />

GmbHG und der Anspruch der MTW wegen eines bestandsvernichtenden<br />

Eingriffs grds allein gegen ihren<br />

Gesellschafter, nicht aber auch gegen dessen Organe<br />

richten.<br />

2. Schadensersatzanspruch nach § 823 <strong>II</strong> BGB iVm<br />

§ 266 I 2. Alt StGB<br />

Anders als das OLG Bremen bejaht der <strong>BGH</strong> die Verletzung<br />

einer Vermögensbetreuungspflicht iSd Treubruchtatbestandes.<br />

»Die Vermögensbetreuungspflicht von BVV gegenüber<br />

der MTW . . . folgt aus ihrer Stellung als beherrschendes<br />

Unternehmen gegenüber MTW als<br />

beherrschter Gesellschaft. Auf Grund dieser Stellung<br />

war BVV in der Lage, auf MTW und ihre Geschäftsführung<br />

faktisch unbeschränkt Einfluss zu<br />

nehmen. Davon hat sie nach den <strong>vom</strong> Berufungsgericht<br />

getroffenen Feststellungen insoweit Gebrauch<br />

gemacht, als sie MTW veranlasst hat, zunächst dem<br />

Liquiditätsverbund . . . und . . . dem CC-Vertrag beizutreten<br />

. . . Da BVV . . . deren Alleingesellschaftern<br />

war, hatte sie jedoch die Pflicht, das Vermögen von<br />

MTW insoweit zu betreuen, als sie bei ihren Dispositionen<br />

über Vermögenswerte der MTW durch angemessene<br />

Rücksichtnahme auf deren Eigeninteresse<br />

an der Aufrechterhaltung ihrer Fähigkeit, ihren<br />

Verbindlichkeiten nachzukommen . . . darauf<br />

zu achten hatte, dass sie die Existenz der MTW<br />

nicht gefährdete.« 10<br />

Eine vorsätzliche Pflichtverletzung der Bekl setzt voraus,<br />

dass ihnen die Liquiditätsschwierigkeiten des des<br />

Cash-Pooling Systems bekannt waren. Da dies noch<br />

nicht geklärt war, wies der <strong>BGH</strong> die Sache an das Berufungsgericht<br />

zurück. 11<br />

3. Schadensersatzanspruch gem § 823 <strong>II</strong> BGB iVm<br />

mit § 263 I StGB<br />

a) Indem die Bekl die Geschäftsleitung der MTW<br />

nicht auf den drohenden Verlust der in den Liquiditätsverbund<br />

eingebrachten Mittel informierten, könnten<br />

sie durch Unterlassen getäuscht haben. Hier folgt<br />

eine Aufklärungspflicht aus dem besonderen Vertrauensverhältnis<br />

durch den CC-Vertrag zwischen MTW<br />

und BVV. 12<br />

»BVV traf . . . als herrschendes Unternehmen<br />

nicht nur die Verpflichtung, jederzeit die zur Deckung<br />

des Stammkapitals der MTW erforderlichen<br />

Mittel vorzuhalten, sondern darüber hinaus auch<br />

die Pflicht, die Liquidität von MTW sicherzustellen.<br />

Sobald sich abzeichnete, dass sie dazu nicht<br />

mehr in der Lage sein würde und es sich dabei<br />

nicht nur um einen vorübergehenden Liquiditätsmangel<br />

handelte, musste MTW darauf aufmerksam<br />

gemacht werden. Nur wenn die Bekl als die<br />

für BVV handelnden Organe dieser Verpflichtung<br />

nachkamen, war die MTW in der Lage, den Verlust<br />

ihrer in den Konzernverbund eingelegten<br />

Mittel durch deren rechtzeitigen Abzug zu verhindern«.<br />

b) Eine Vermögensverfügung scheitert nicht daran,<br />

dass die Geschäftsführung der MTW gegenüber der Alleingesellschafterin<br />

BVV weisungsgebunden war. Denn<br />

diese Weisungsgebundenheit bestand zwar für den Betritt,<br />

jedoch nicht im Hinblick auf die Belassung der<br />

Mittel bei sich anbahnender Illiquidität des Konzernverbundes.<br />

13<br />

»Vielmehr wäre die Befolgung einer etwaigen Weisung<br />

der für BVV handelnden Bekl zur Unterlassung<br />

des Abzuges in dieser Situation, wie § 43 <strong>II</strong>I<br />

GmbHG deutlich macht, sogar pflichtwidrig mit der<br />

Folge der Entstehung eigener Schadenersatzpflichten<br />

der Geschäftführer der MTW gewesen. Ein<br />

solch pflichtwidriges zur Selbstschädigung führendes<br />

Verhalten der Mitglieder der Geschäftsführung<br />

der MTW kann nicht zu deren Lasten unterstellt<br />

werden.«<br />

4. Schadensersatz wegen unrichtiger Darstellung<br />

der Gesellschaftsverhältnisse in der HV (§ 823 <strong>II</strong> BGB<br />

iVm § 400 I Nr 1 AktG)<br />

Der <strong>BGH</strong> stellt klar, dass § 400 I Nr 1 AktG durch Unterlassen<br />

verwirklicht werden kann, wenn Vorstandmitglieder<br />

unrichtigen Ausführungen nicht widersprechen.<br />

14 Im Ergebnis schied der Anspruch aus, weil<br />

nicht feststand, dass die Ausführungen des Vorstandsvorsitzenden<br />

ursächlich für die Auszahlung der 194<br />

Mio waren. 15<br />

10 Unter Hinweis auf <strong>BGH</strong> NJW 1989 112 = EWiR 1989 367 (Fleck)<br />

11 Dazu Wilken DB 2001, 2383, 2384.<br />

12 Wilken DB 2001, 2383, 2386 weist hier zu Recht auf das Erfordernis<br />

einer Neuabstimmung der Aufklärungspflichten innerhalb von Konzernen<br />

hin. Unzutreffend Römermann/Schröder GmbHR 2001, 1015,<br />

1020, die Aufklärungspflichten gegenüber der abhängigen Gesellschaft<br />

verneinen.<br />

13 Dazu Goette DStR 2001, 1857 der die Geschäftsführung hier gleichsam<br />

»in den Dienst der Allgemeinheit gestellt sieht«.<br />

14 Unter Hinweis auf Großkomm-Otto AktG, 4. Aufl, § 400 Rn 17<br />

15 Vgl bereits zu § 399 I Nr 4 AktG: <strong>BGH</strong>Z 96, 231, 243; 105, 121, 126<br />

JA 2002 Heft 5 n n 357 "<br />

Studenten


Studenten<br />

<strong>II</strong>. Ansprüche der Kl aus eigenem Recht<br />

1. Schadensersatzanspruch wegen unrichtiger Darstellung<br />

der Gesellschaftsverhältnisse in der HV (§ 823<br />

<strong>II</strong> BGB iVm § 400 I 1 Nr 1 AktG)<br />

Die Kl hatte nicht vorgetragen, dass sie Kenntnis von<br />

den Ausführungen in der Hauptversammlung hatte.<br />

Da insoweit keine Vermutung zu Gunsten der Kl eingriff,<br />

schied der Anspruch aus.<br />

2. Schadenersatzanspruch wegen Untreue (§ 823 <strong>II</strong><br />

BGB iVm § 266 I Alt 2 StGB)<br />

Der Senat verneint eine treuwidrige Verwendung der<br />

öffentlichen Fördermittel durch den BVV, da allein die<br />

Zuwendung der Subventionen nicht dazu führe, dass<br />

der Empfänger Vermögensinteressen der öffentlichen<br />

Hand wahrzunehmen hat. Die zweckgerichtete Verwendung<br />

der Subventionsmittel war im konkreten<br />

Fall auch nicht wesentliche Pflicht aus dem mit der<br />

THA geschlossenen Vertrag.<br />

3. Schadenersatz gem § 823 <strong>II</strong> BGB iVm § 263 StGB<br />

Wie bereits oben unter I.3 sieht der <strong>BGH</strong> eine Täuschung<br />

durch Unterlassen gegeben, weil dem BVV die<br />

Verpflichtung oblag, MTW auf eine Verschlechterung<br />

der Vermögens- und Liquiditätslage des Konzerns<br />

hinzuweisen. Die gleiche Aufklärungspflicht bestand<br />

gegenüber der Kl, weil diese über die Freigabe der<br />

Investitionsbeihilfemittel zu befinden hatte. Anders<br />

als das OLG Bremen bejaht der <strong>BGH</strong> eine Vermögensverfügung<br />

der Kl<br />

»Diese hatte veranlasst, dass die Beihilfebeträge<br />

auf einem Treuhandkonto verwaltet wurden. Die<br />

Auszahlung durch die Treuhänder durfte nur dann<br />

vorgenommen werden, wenn nach Eingang der Zustimmung<br />

der EG die Kl die Freigabe erklärt hatte,<br />

die in Kenntnis der wirklichen wirtschaftlichen<br />

Lage des BVV Konzerns nicht erfolgt wäre. In der<br />

Freigabe ist eine Verfügung über den Selbsthilfebetrag<br />

zu Gunsten von MTW zu sehen.«<br />

Der Schaden besteht darin, dass staatliche Gelder<br />

fehlgeleitet und dem mit ihnen verfolgten öffentlichen<br />

Zweck entzogen worden sind. Die öffentliche Hand<br />

musste erneut Mittel in dem getätigten Umfang aufwenden,<br />

um den verfehlten Zweck zu erreichen. Der<br />

<strong>BGH</strong> stellt allerdings klar, dass die Kl Schadensersatz<br />

nur einmal, also entweder aus abgetretenem Recht<br />

der MTW oder aus eigenem Recht, verlangen kann.<br />

Ergänzende Hinweise<br />

1. Die Bremer-Vulkan Entscheidung nimmt endgültig<br />

Abschied von der Verankerung der Haftung des Alleingesellschafters<br />

wegen der Schädigung einer abhängigen<br />

GmbH in §§ 291 ff AktG. 16 Auf das Vorliegen<br />

Gesellschaftsrecht z Zivilrecht Rechtsprechung<br />

einer Konzernlage iSd. §§ 15 ff AktG nicht an. Die dogmatische<br />

Basis für diese sog Bestandsschutz- oder<br />

Eingriffshaftung des Alleingesellschafters 17 lässt der<br />

<strong>BGH</strong> offen. Die Meinungslage in der Lit ist kontrovers.<br />

Der Ansatz, den GmbH-Gesellschafter, der zum Nachteil<br />

der GmbH eigene Interessen verfolgt, als »Quasi-<br />

Fremdgeschäftsführer« analog § 93 V 2 und 3 AktG<br />

haften zu lassen, 18 hat sich nicht durchsetzen können.<br />

Die überwiegende Ansicht geht eher dahin, entweder<br />

einen tatbestandlich besonders ausgestalteten Fall<br />

einer Durchgriffshaftung 19 anzunehmen oder die Haftung<br />

auf die Verletzung der Pflichten aus der Sonderverbindung<br />

zur GmbH zu stützen 20 (vgl künftig §§ 241<br />

<strong>II</strong>, 280 I BGB nF).<br />

2. Anspruchsinhaberin ist – dies stellt die Entscheidung<br />

klar – die abhängige GmbH. Anspruchsvoraussetzung<br />

ist in objektiver Hinsicht ein existenzgefährdender<br />

Eingriff ohne angemessene Rücksichtnahme<br />

auf ihre Eigenbelange<br />

mit der Folge der<br />

Insolvenz. Wie im<br />

vorliegenden Fall<br />

wird es dabei häufig<br />

um Situationen gehen,<br />

bei denen Mittel<br />

innerhalb eines<br />

Konzernverbundes<br />

umverteilt wurden.<br />

Die konzernrechtliche<br />

Verbindung<br />

führt zu Beweiserleichterungen,<br />

da<br />

der herrschende<br />

Das Wichtigste<br />

Der Alleingesellschafter haftet gegenüber<br />

der abhängigen GmbH, wenn diese<br />

durch einen unter Außerachtlassung<br />

ihrer Eigenbelange veranlassten Eingriff,<br />

der nicht durch Kapitalerhaltungsregeln<br />

kompensiert werden kann, insolvent<br />

wird. Auf das Vorliegen einer<br />

Konzernlage kommt es nicht an.<br />

Gesellschafter beweisen muss, das Leitungsmaßnahmen<br />

für die Nachteilszufügung nicht kausal waren. 21<br />

Wie bisher darf der zugefügte Nachteil nicht isolierbar<br />

und damit durch Einzelmaßnahmen (zB Schadensersatzansprüche<br />

nach § 826 BGB) ausgleichbar sein. Das<br />

Verschulden hat der Alleingesellschafter analog § 282<br />

BGB bzw § 280 I 2 BGB nF auszuräumen.<br />

16 In diesem Sinne war bereits die TBB-Entscheidung von einem Teil der<br />

Lit interpretiert worden vgl insb Karsten Schmidt AG 1994, 189, 195;<br />

ders Festschrift Lutter (2000) S 1167, 1182 f; anders dagegen die bisherige<br />

hM vgl Zöllner in: Baumbach/Hueck 17. Aufl, Schlussanhang I<br />

Rn 86<br />

17 Die BVV hielt 98 % an der MTW über die Vulkan Schiffbau Verbund<br />

GmbH und weitere 2 % direkt<br />

18 Grdl J. Wilhelm Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person<br />

(1981), 285 f; Karsten Schmidt Gesellschaftsrecht, 3. Aufl, 1174 f mwN;<br />

neuerdings wieder Altmeppen ZIP 2001, 1837, 1841<br />

19 Diesen Ansatz deutet Röhricht Festschrift 50 <strong>Ja</strong>hre <strong>BGH</strong>, 83 f, 114 f an;<br />

vgl auch Goette DStR 2001, 1857<br />

20 Ulmer ZIP 2001, 2021, 2026; vgl zu Treuepflichten statt vieler Flume<br />

ZIP 1996, 161. In <strong>BGH</strong>Z 119, 257, 262 hat sich der <strong>BGH</strong> gegen Treuepflichten<br />

des Alleingesellschafters gegenüber der GmbH ausgesprochen.<br />

21 Zusammenfassend Emmerich/Habersack Aktien- und GmbH-Konzernrecht,<br />

2. Aufl, § 318 Rn 26, 27 mwN<br />

3 358 n n JA 2002 Heft 5


Rechtsprechung Zivilrecht z Zivilprozess<br />

3. § 264 I Nr 2 StGB, der die Verwendung von Subventionen<br />

entgegen der Verwendungsbeschränkung<br />

unter Strafe stellt, wurde erst durch das EG-FinSchG<br />

<strong>vom</strong> 10. 9. 1998 (BGBl. <strong>II</strong> 2322) eingeführt und war<br />

daher nicht anwendbar (Art 103 <strong>II</strong> GG, § 1 StGB).<br />

Lernteil<br />

1. Der Alleingesellschafter einer GmbH muss auf<br />

deren Eigenbelange angemessene Rücksicht nehmen,<br />

insb darf er nicht durch Eingriffe ihren Bestand die<br />

Erhaltung ihres Stammkapitals gefährden. An einer<br />

hinreichenden Rücksichtnahme fehlt es, wenn die<br />

Zivilprozessrecht<br />

Widerruf der Erledigungserklärung<br />

<strong>BGH</strong>, <strong>Urteil</strong> <strong>vom</strong> 7. 6. 2001 – I <strong>ZR</strong> 157/98 (München),<br />

NJW 2002, 442<br />

Erklärt der Kl den Rechtsstreit in der Hauptsache für<br />

erledigt, so ist diese Erklärung grds frei widerruflich,<br />

solange sich der Bekl ihr nicht angeschlossen und das<br />

Gericht noch keine Entscheidung über die Erledigung<br />

der Hauptsache getroffen hat. Bis zu diesem Zeitpunkt<br />

kann der Kl regelmäßig – auch in der Revisionsinstanz<br />

– von der einseitig gebliebenen Erledigungserklärung<br />

Abstand nehmen und ohne das Vorliegen weiterer Voraussetzungen<br />

zu seinem ursprünglichen Klageantrag<br />

zurückkehren.<br />

Sachverhalt (vereinfacht): Die Parteien betreiben den<br />

Einzelhandel mit Geräten der Unterhaltungselektronik<br />

und der Telekommunikation.<br />

In einer mehrseitigen Werbebeilage zur Münchner<br />

Abendzeitung <strong>vom</strong> 31. 10. 1996 warb die Bekl für ein<br />

Mobiltelefon der Marke Siemens zum Preis von 10 DM<br />

bei gleichzeitigem Abschluss eines Netzkartenvertrages<br />

mit einer Laufzeit von 24 Monaten. Neben dem<br />

beworbenen Mobiltelefon war eine »debitel-D2«-Telefonkarte<br />

abgebildet. Darunter befand sich ein eingerahmter<br />

Text mit Erläuterungen zu den bei Abschluss<br />

des Netzkartenvertrages anfallenden Gebühren. Bei<br />

der herausgestellten Preisangabe von 10 DM wurde<br />

mit einem Sternchen auf diese Angaben verwiesen.<br />

Die Kl hat diese Werbung als wettbewerbswidrig beanstandet<br />

und beantragt, die Bekl unter Androhung<br />

der gesetzlichen Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu<br />

unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des<br />

Wettbewerbs gegenüber dem letzten Verbraucher für<br />

den Verkauf von Mobilfunktelefonen (Handys) zu werben,<br />

die zu dem beworbenen Preis nur bei Freischaltung<br />

eines mehrmonatigen Netzkartenvertrages ab-<br />

GmbH infolge der Eingriffe ihres Gesellschafters ihren<br />

Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen kann.<br />

Auf das Vorliegen einer Konzernlage kommt es nicht<br />

an.<br />

2. Veranlasst der Alleingesellschafter eine abhängige<br />

Gesellschaft zur Einbringung von Mitteln in ein<br />

Cash-Management System muss er sie rechtzeitig auf<br />

Zahlungsschwierigkeiten des Cash-Pools hinweisen.<br />

Andernfalls kann er sich des Treubruchs (§ 266 I<br />

StGB) oder Betruges (§ 263 StGB) zum Nachteil der<br />

abhängigen Gesellschaft schuldig machen.<br />

Rechtsanwalt Stephen Lampert, Hamburg<br />

gegeben werden, wenn für das Mobilfunktelefon ein<br />

Preis von bis zu 10 DM gefordert wird, und/oder derart<br />

beworbene Mobilfunktelefone der Ankündigung gem<br />

zu veräußern. Außerdem begehrt die Kl von der Bekl<br />

den Ersatz aller eingetretenen und zukünftigen Schäden<br />

aus dieser Wettbewerbshandlung.<br />

Der Senat hat den Parteien den Vorschlag unterbreitet,<br />

den Rechtsstreit durch Abgabe übereinstimmender<br />

Erledigungserklärungen und Verständigung auf<br />

eine Kostenaufhebung beizulegen. Daraufhin hat die<br />

Kl den Rechtsstreit für erledigt erklärt. Die Bekl hat<br />

der Erledigungserklärung nicht zugestimmt. Die Kl<br />

hat daraufhin erklärt, sie verfolge ihre ursprünglichen<br />

Klageanträge weiter. Die Erledigung der Hauptsache<br />

habe sie nur unter der Voraussetzung erklärt, dass der<br />

Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt werde.<br />

Gesetzestext<br />

§ 263 ZPO<br />

Nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit ist eine ¾nderung<br />

der Klage zulässig, wenn der Bekl einwilligt oder<br />

das Gericht sie für sachdienlich erachtet.<br />

§ 264 ZPO<br />

Als eine ¾nderung der Klage ist es nicht anzusehen,<br />

wenn ohne ¾nderung des Klagegrundes<br />

1. die tatsächlichen oder rechtlichen Anführungen ergänzt<br />

oder berichtigt werden<br />

2. der Klageantrag in der Hauptsache oder in Bezug<br />

auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird.<br />

3. statt des ursprünglich geforderten Gegenstandes<br />

wegen einer später eingetretenen Veränderung ein<br />

anderer Gegenstand oder das Interesse gefordert<br />

wird.<br />

JA 2002 Heft 5 n n 359 "<br />

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