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Aufgabe der systematischen Theologie

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TH 9100 <strong>Aufgabe</strong>n einer <strong>systematischen</strong> <strong>Theologie</strong> 1<br />

INHALTSVERZEICHNIS<br />

1. EINLEITUNG ......................................................................................................................2<br />

2. DER BEGRIFF UND DIE ENTSTEHUNG DER „SYSTEMATISCHEN<br />

THEOLOGIE“ .....................................................................................................................3<br />

3. DIE AUFGABEN DER SYSTEMATISCHEN THEOLOGIE........................................6<br />

3.1 Systematische <strong>Theologie</strong> bezieht sich auf die Offenbarung Gottes und weist über<br />

sich hinaus.......................................................................................................................6<br />

3.1.1 Offenbarung Gottes durch sein Wort ..................................................................6<br />

3.1.2 Jesus Christus als Höhepunkt <strong>der</strong> Offenbarung Gottes .......................................7<br />

3.1.3 Offenbarung im Lebensvollzug ...........................................................................8<br />

3.2 Systematische <strong>Theologie</strong> betrachtet die Themen biblischer <strong>Theologie</strong> im Blick auf<br />

das Kommen des Reiches Gottes....................................................................................9<br />

3.2.1 Das Reden von Gott in <strong>der</strong> <strong>Theologie</strong> muss die Entstehung des Reiches Gottes<br />

geschichtsbezogen darstellen. ............................................................................9<br />

3.2.2 Das Reden von Gott in <strong>der</strong> <strong>Theologie</strong> hat einen direkten und dynamischen<br />

Anspruch auf den Menschen und seine Wirklichkeit..........................................10<br />

3.3 Systematische <strong>Theologie</strong> ist normativ und prüft den Inhalt christlicher Lehre<br />

aufgrund <strong>der</strong> Christusoffenbarung ................................................................................10<br />

3.4 Systematische <strong>Theologie</strong> ist ein Dienst an und in <strong>der</strong> Kirche.......................................11<br />

3.5 Systematische <strong>Theologie</strong> bildet die Grundlage zur Hermeneutik.................................13<br />

3.6 Systematische <strong>Theologie</strong> ist die denkerische Auseinan<strong>der</strong>setzung mit den<br />

Ideologien <strong>der</strong> Gegenwart.............................................................................................15<br />

3.6.1 Systematische <strong>Theologie</strong> setzt sich positiv apologetisch mit gesellschaftlichen<br />

Fragen auseinan<strong>der</strong>, und setzt neue Akzente in <strong>Theologie</strong> und Wissenschaft.....15<br />

3.6.2 Systematische <strong>Theologie</strong> ist apologetischer Kampf gegen die Irrlehre. .............17<br />

4 IST DIE SYSTEMATISCHE THEOLOGIE EINE WISSENSCHAFT? ....................18<br />

5 SCHLUSSBEMERKUNGEN: GUTE THEOLOGIE FÖRDERT GLAUBE, DER<br />

NACHDENKT, UND MUTIGES HANDELN ................................................................21<br />

6 LITERATURVERZEICHNIS..........................................................................................23<br />

6.1 Bücher ...........................................................................................................................23<br />

6.2 Internet ..........................................................................................................................24<br />

6.3 Sonstiges .......................................................................................................................24<br />

© IGW International Stefan Fuchser 28.1.2008


TH 9100 <strong>Aufgabe</strong>n einer <strong>systematischen</strong> <strong>Theologie</strong> 2<br />

1. EINLEITUNG<br />

Die von vielen Christen ausgesprochene Abneigung gegenüber theologischem Denken und<br />

systematischer <strong>Theologie</strong> macht mich hellhörig. Auch während meines bisherigen theologischen<br />

Studiums wurde das Nachdenken über den Glauben im Dogmatikunterricht durch die Studenten<br />

gelegentlich kritisiert. Dies geschah manchmal zu Recht wegen <strong>der</strong> mangelnden Dynamik des<br />

Dozenten, aber oft wurde auch <strong>der</strong> Inhalt als trockene Materie bezeichnet. Praktische Fächer und<br />

geistliche Erfahrungen galten als beson<strong>der</strong>e Highlights des Unterrichts. In meiner Arbeit als Pastor<br />

entdecke ich aber je länger je mehr, wie kurzatmig Christen im Glauben sind, wenn sie keine<br />

Grundlagen und kein theologisches Denken gemäss biblischen Prinzipien entwickeln.<br />

Wenn heute die Sehnsucht nach geistlichen Erfahrungen im Glauben gross ist, dann ist dies positiv<br />

zu werten, aber diese Erfahrungen müssen ihre Vertiefung in einer soliden Kenntnis des Wortes<br />

Gottes finden, und durch eine richtungsweisende biblische <strong>Theologie</strong> begleitet werden, ansonsten<br />

geschieht eine Verkümmerung des Glaubens, wie Adolf Schlatter sagt:<br />

Wenn aber das Gedankenleben verkümmert bleibt, und wir nur noch<br />

durch das Leitband unfasslicher Empfindungen von Gott gehalten sind,<br />

erhält unsere Führung notwendig ein stossweises, abruptes Gepräge, und<br />

das ist nicht das, was <strong>der</strong> Stellung des Sohnes entspricht, <strong>der</strong> allezeit im<br />

Hause des Vaters bleibt. (2002: 66)<br />

Die folgende Arbeit hat zum Ziel, positiv darzustellen, was eine systematische <strong>Theologie</strong><br />

unterrichten soll. Ihre <strong>Aufgabe</strong>n und ihre Funktion soll erklärt werden. Die einzelnen Inhalte<br />

könnten für die Einführung in den Unterricht <strong>der</strong> <strong>systematischen</strong> <strong>Theologie</strong> dienen. Es geht mir<br />

darum, zu motivieren, damit eine neue theologische Entdeckerfreude entsteht. Wer Gott erfahren<br />

hat, <strong>der</strong> will ihn in seinem Wort auch besser und näher verstehen. Es geht darum, Freude an <strong>der</strong><br />

Erkenntnis Gottes zu finden, Vorurteile abzubauen, und das biblische Denken zu för<strong>der</strong>n.<br />

Adolf Schlatter gibt uns den Marschbefehl und die Begründung <strong>der</strong> <strong>systematischen</strong> <strong>Theologie</strong><br />

wenn er aus dem NT zitiert: „Verborgen sind in Christo alle Schätze <strong>der</strong> Weisheit und <strong>der</strong><br />

Erkenntnis (Kol 2,3) nicht dazu, dass wir sie nicht finden; verborgen sind sie, bis wir sie finden“<br />

(:59).<br />

Wir sind also Teilhaber <strong>der</strong> Schätze und <strong>der</strong> Erkenntnis Gottes. Es geht darum, sie zu entdecken.<br />

Die Vielfalt und Grösse Gottes, sowie ihre Wirkungen in unser Leben, sollen durch biblische<br />

Forschung und systematisches Arbeiten erforscht werden.<br />

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TH 9100 <strong>Aufgabe</strong>n einer <strong>systematischen</strong> <strong>Theologie</strong> 3<br />

2. DER BEGRIFF UND DIE ENTSTEHUNG DER<br />

„SYSTEMATISCHEN THEOLOGIE“<br />

Das wissenschaftliche Erforschen von theologischen Grundsätzen und biblischen<br />

Zusammenhängen kann dann als systematisch bezeichnet werden, wenn dies nach einer<br />

bestimmten Methode und mit einem definierten Ziel geschieht (McGrath 1994:156). Aus <strong>der</strong><br />

<strong>Theologie</strong>geschichte wird ersichtlich, dass systematische Darstellungen des christlichen Glaubens<br />

schon sehr früh von den Kirchenvätern erarbeitet wurden (Pöhlmann 2002:20). Sie dienten<br />

pädagogischen Zwecken, also <strong>der</strong> Glaubensbildung. Es war die <strong>Aufgabe</strong> <strong>der</strong> <strong>Theologie</strong>, die Basis<br />

des Glaubens für die Kirche und ihre Mitglie<strong>der</strong> grundlegend aufzuzeigen. Die Entwicklung einer<br />

christlichen Lehre war sehr wichtig, beson<strong>der</strong>s auch deshalb, um sich von falschen Lehren zu<br />

schützen. So hatten die dogmatischen Schriften damals nicht nur einen glaubensbildenden, son<strong>der</strong>n<br />

auch einen apologetischen Charakter, um sich von Irrlehren abzugrenzen.<br />

Einer <strong>der</strong> ersten, <strong>der</strong> diese Arbeit ausführlich tat, war <strong>der</strong> Kirchenvater Origenes 1 , dessen Werk<br />

„Peri Archon“, lat. „De principes“ (von den Grundlagen) als eine <strong>der</strong> ersten <strong>systematischen</strong><br />

Arbeiten gilt (:21). In 15 Abschnitten behandelte er folgende Themen (Zimmermann 1985:47):<br />

a) von Gott und <strong>der</strong> unsichtbaren Welt.<br />

b) von <strong>der</strong> sichtbaren Welt, Fall und Erlösung, Allversöhnung.<br />

c) vom Teufel und den letzten Dingen.<br />

d) von <strong>der</strong> Schrift und den letzten Dingen.<br />

Da seine <strong>Theologie</strong> sehr stark von hellenistischen Elementen <strong>der</strong> griechischen Philosophie geprägt<br />

war, wurden seine Werke später von <strong>der</strong> Kirche als Irrlehren verurteilt (:49).<br />

Ein bedeutsames systematisches Werk, dessen Methoden für die nachfolgende <strong>Theologie</strong> als<br />

Grundlage galt, war das Werk des Petrus Lombardus 2 . In vier Büchern behandelt er die<br />

theologischen Themen in folgen<strong>der</strong> Reihenfolge: Trinität, Schöpfung, Sünde, Inkarnation,<br />

christliches Leben, Sakramente und die letzten Dinge (McGrath 1997:157).<br />

Die „Summa theologicae“ (=Zusammenfassung <strong>der</strong> <strong>Theologie</strong>) von Thomas von Aquin 3 ist das<br />

bekannteste Werk systematischer <strong>Theologie</strong> des frühen Mittelalters. Es besticht durch eine<br />

methodische Sauberkeit, die aus <strong>der</strong> Metaphysik des Aristoteles 4 stammt (Pöhlmann 2002:20).<br />

1 Origenes 185-254 n.Chr., grösster Theologe <strong>der</strong> frühen Ostkirche (Zimmermann 1985:46).<br />

2 Petrus Lombardus 1100-1160 n.Chr., Bischof von Paris, einflussreicher Theologe (wikipedia.org)<br />

3 Thomas v. Aquin 1225-1274, kath. Theologe, Systematiker, <strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Theologie</strong> zur Wissenschaft verhalf.<br />

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TH 9100 <strong>Aufgabe</strong>n einer <strong>systematischen</strong> <strong>Theologie</strong> 4<br />

Mit <strong>der</strong> „Loci communes“, hat Melanchthon, <strong>der</strong> Schüler Luthers, ein dogmatisches Werk<br />

geschaffen, das die ganze lutherische Orthodoxie nachwirkend geprägte hat. Die endgültige<br />

Fassung (1559) enthielt folgende Aufteilung <strong>der</strong> <strong>Theologie</strong>: Gott, Schöpfung, Kräfte des<br />

Menschen, Sünde, Gesetz, Evangelium, Gnade, Rechtfertigung und Glaube, Unterschied zwischen<br />

AT und NT, Sakramente, Obrigkeit, Ärgernis (:39).<br />

Bemerkenswert ist die systematische Darstellung des Glaubens von Johannes Calvin, die “Institutio<br />

Christianae Religionis“, die sich in vier Bereiche aufteilt: Gotteslehre, Jesus Christus, Erlösung,<br />

und das Leben <strong>der</strong> Kirche. Diese systematische Arbeit hat die protestantische <strong>Theologie</strong><br />

massgebend geprägt (McGrath 1994:157).<br />

Die Orthodoxie, die spätere Aufklärungstheologie und die mo<strong>der</strong>ne <strong>Theologie</strong> haben ihre<br />

systematische theologische Arbeit unterschiedlich entwickelt. Erwähnenswert ist vor allem das<br />

grosse Werk von Karl Barth, die kirchliche Dogmatik, die als existentielle und dialektische<br />

Dogmatik zu bezeichnen ist (Pöhlmann 2002:26) . Theologisches Denken soll gemäss Barths<br />

Auffassung die Kirche und den Menschen immer direkt betreffen, und im Zwiegespräch mit Gott<br />

geschehen, so wie Karl Barth in <strong>der</strong> Einleitung zu seiner Dogmatik schreibt (1932:12).: „Die<br />

Dogmatik als Forschung setzt voraus, dass <strong>der</strong> rechte Inhalt christlicher Lehre von Gott menschlich<br />

erkannt werden muss.“<br />

Eine methodisch neue systematische Richtung hat F.D.E. Schleiermacher in seiner christlichen<br />

Glaubenslehre entwickelt. Er hat die Trinitätslehre über Gott an den Schluss gesetzt, und den<br />

Menschen und sein „frommes Selbstbewusstsein“ zum Hauptthema gemacht. Sein subjektiver<br />

Ansatz steht im Gegensatz zur traditionell trinitarischen <strong>Theologie</strong> <strong>der</strong> Reformation. Dadurch hat er<br />

die liberale <strong>Theologie</strong> <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne massgebend geprägt (:25).<br />

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Systematische <strong>Theologie</strong> alle dogmatischen<br />

Fragen des christlichen Glaubens beinhaltet, dabei ist auch die Ethik, <strong>der</strong> Vollzug des Glaubens,<br />

ein Teil dieser Disziplin. Es ist allerdings zu erwähnen, dass beson<strong>der</strong>s Karl Barth keine Trennung<br />

zwischen Ethik und Dogmatik kennt (zitiert in Bockmühl 1999:109).<br />

In <strong>der</strong> katholischen <strong>Theologie</strong> wird die Apologetik geson<strong>der</strong>t in <strong>der</strong> sogenannten<br />

Fundamentaltheologie behandelt, die aber auch zur <strong>systematischen</strong> <strong>Theologie</strong> gehört (Pöhlmann<br />

2002:29). Bemerkenswert ist die Auffassung des Reformators Martin Luther. Luther hat keine<br />

bewusst systematische <strong>Theologie</strong> dargestellt, son<strong>der</strong>n seine <strong>Theologie</strong> umfasst Fragen und<br />

Antworten. Seine Werke sind in die Schwierigkeiten und Anfechtungen des Lebens eingebettet.<br />

„Meditatio“ (Betrachtung), „tentatio“ (Anfechtung), und „oratio“ (Gebet) sind seine theologischen<br />

Mittel (:21).<br />

4 Aristoteles, griechischer Philosoph 384-322 v.Chr.<br />

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TH 9100 <strong>Aufgabe</strong>n einer <strong>systematischen</strong> <strong>Theologie</strong> 5<br />

Es ist die Frage, ob die christliche Lehre überhaupt in ein System zusammenzubinden ist, o<strong>der</strong> ob<br />

die verschiedenen systematisch-theologischen Ansätze nicht eher als philosophisch-christliche<br />

Meinungen zu werten sind. Wenn man von systematischer <strong>Theologie</strong> redet, dann muss man sich<br />

bewusst sein, dass sie sich immer auf die Bibel als ihr Arbeitsmaterial bezieht. Die systematische<br />

<strong>Theologie</strong> lebt von <strong>der</strong> Bibelforschung. Und wenn sie dies tut, dann bezieht sie sich auf die<br />

Geschichte Gottes mit den Menschen, und hat deshalb ein Paradigma, das ihre Arbeit festlegt. Sie<br />

kann sie sich also nicht verselbständigen und von <strong>der</strong> Geschichte Gottes mit seinem Volk und mit<br />

seiner Gemeinde abheben. Sie ist gebunden an Gott, seine Schöpfung, den Fall des Menschen, die<br />

Erlösung, und Vollendung. Weil aber die Geschichte Gottes mit den Menschen noch nicht zu Ende<br />

ist, kann sie deshalb auch nicht als geschlossenes System gelten, son<strong>der</strong>n als vorläufige<br />

Zusammenfassung und Wertung. Auch die Tatsache, dass systematische <strong>Theologie</strong> sich mit<br />

menschlichen Mitteln mit Gott beschäftigt, sollte zu einer gewissen Offenheit und Demut führen,<br />

weil jedes System, das <strong>der</strong> Mensch in <strong>der</strong> Gotteslehre erforscht, und sei es noch so biblisch<br />

begründet, ein fehlerhaftes System sein wird. Klaus Bockmühl hat dies treffend formuliert, wenn er<br />

sagt:<br />

„Daher sollte man korrekterweise we<strong>der</strong> von einem geschlossenen<br />

System <strong>der</strong> <strong>Theologie</strong>, noch von einem „Ganzen“ <strong>der</strong> Lehre reden,<br />

son<strong>der</strong>n nur von einer Vollständigkeit <strong>der</strong> Teile <strong>der</strong> bisher gegebenen<br />

Offenbarung“ (Bockmühl 1999:111).<br />

<strong>Theologie</strong> ist nie nur eine Meinung o<strong>der</strong> ein System, son<strong>der</strong>n existentiell betroffene Wissenschaft,<br />

die die Beziehung zwischen Gott und den Menschen erforscht (Pöhlmann 2002:27). Nur wer<br />

wirklich von Gott ergriffen ist, und sein Wort kennt, kann auch qualifizierte Aussagen über ihn<br />

machen. Darum unterscheidet sich <strong>Theologie</strong> von <strong>der</strong> Philosophie, weil sie von Gott spricht, <strong>der</strong> in<br />

Christus Fleisch geworden ist (Brunner 1946:73). Dieser Christus offenbart sich durch sein Wort,<br />

das es zu verstehen gilt. Der denkende und glaubende Theologe macht also eine systematische<br />

<strong>Theologie</strong>, die sich auf diese Offenbarung bezieht.<br />

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TH 9100 <strong>Aufgabe</strong>n einer <strong>systematischen</strong> <strong>Theologie</strong> 6<br />

3. DIE AUFGABEN DER SYSTEMATISCHEN<br />

THEOLOGIE<br />

3.1 Systematische <strong>Theologie</strong> bezieht sich auf die Offenbarung<br />

Gottes und weist über sich hinaus.<br />

<strong>Theologie</strong> ist nicht selbstbezogene Beschäftigung mit <strong>der</strong> Bibel und <strong>der</strong>en Lehraussagen, um<br />

daraus gewisse Lebensweisheiten zu formulieren, die sich dann als Glaubengrundlagen eignen.<br />

Wenn Gott sich mitteilt, dann übersteigt dies den Horizont menschlichen Denkens und Verstehens.<br />

Emil Brunner formuliert es deutlich, wenn er sagt: „Gott ist dasjenige ‚Etwas’, über das <strong>der</strong><br />

Mensch nichts zu lehren hat, ja das menschliches Lehren ausschliesst, weil es eben kein ‚Etwas’,<br />

kein Sachverhalt, son<strong>der</strong>n absolutes Subjekt ist (Brunner 1946:16). Darum ist <strong>Theologie</strong> nicht<br />

neutrales Studieren und Erkennen, son<strong>der</strong>n durch die Selbstoffenbarung dieses Gottes geprägt, <strong>der</strong><br />

alles Denken und Handeln beeinflusst. Ohne Offenbarung Gottes gibt es keine christliche<br />

<strong>Theologie</strong>. Die systematische <strong>Theologie</strong> muss sich deshalb bewusst sein, dass sie mehr ist als ein<br />

menschliches Lehrgebäude. Sie erforscht die göttliche Mitteilung, was ein ganzheitliches und<br />

aufwändiges Unterfangen ist. <strong>Theologie</strong> ist eindeutig mehr als systematisches Erfassen von<br />

Wahrheiten, son<strong>der</strong>n spannende Gotteserforschung, was faszinierende und lebensverän<strong>der</strong>nde<br />

Erkenntnisse zu Tage för<strong>der</strong>t. Gott teilt sich auf verschiedene Weise mit, und dies beeinflusst unser<br />

Denken über ihn.<br />

3.1.1 Offenbarung Gottes durch sein Wort<br />

Dass sich Gott offenbart, weist darauf hin, dass ein Bruch zwischen Gott und Mensch entstanden<br />

ist, den es zu überwinden gilt. Schuld, und die dadurch verursachte Trennung von Gott durch den<br />

Sündenfall <strong>der</strong> ersten Menschen, hat die Beziehung zerstört (1.Mose 3). Die unterbrochene<br />

Beziehung will Gott wie<strong>der</strong> herstellen, indem er mit dem Mensch in Kontakt kommt, und anfängt<br />

mit ihm zu reden. Systematische <strong>Theologie</strong> soll dieses Reden Gottes zu den Menschen erforschen.<br />

Gott offenbart sich also durch sein Wort. Dabei ist es prophetisches Wort, das in die geschichtliche<br />

Situation des Menschen hineinspricht. Wenn Gott spricht, wird <strong>der</strong> von Gott entfernte Mensch in<br />

die Wirklichkeit Gottes hineingenommen. Dabei ist dies noch keine Versöhnung zwischen Gott<br />

und Mensch, son<strong>der</strong>n Hilfe, Führung und normative Begegnung, um dem Menschen das Leben zu<br />

ermöglichen. Dieses Wort Gottes ist allerdings mehr als nur geschriebenes Wort. Der Prophet<br />

Jeremia spricht von <strong>der</strong> aufdeckenden und verän<strong>der</strong>nden Wirkung des Wortes Gottes, wenn er sagt:<br />

„Ist mein Wort nicht brennend wie Feuer, spricht <strong>der</strong> Herr, und wie ein Hammer <strong>der</strong> Felsen<br />

zerschmettert (Jer 23,29). Dabei erinnert er an seine mächtige Führung in <strong>der</strong> Wüste. Gott offenbart<br />

sich also durch sein mächtiges Reden gegenüber den Menschen. Wie Emil Brunner sagt, ist es<br />

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TH 9100 <strong>Aufgabe</strong>n einer <strong>systematischen</strong> <strong>Theologie</strong> 7<br />

nicht nur alttestamentliches Reden Gottes, son<strong>der</strong>n auch Handeln und Tun Gottes am Menschen<br />

(1946:46).<br />

Dies macht die Forschung in <strong>der</strong> <strong>Theologie</strong> auch so interessant, weil sie sich nicht nur auf das<br />

biblische Buch bezieht, son<strong>der</strong>n alle Formen und Auswirkungen des Redens und Handelns Gottes<br />

erforscht. Deshalb kann <strong>Theologie</strong> auch praktische <strong>Theologie</strong> sein. Sie untersucht Gottes Reden in<br />

<strong>der</strong> Kirche, in <strong>der</strong> Gesellschaft und in <strong>der</strong> Literatur. Provokativ hat Brunner ausgedrückt:<br />

Die Gemeinde <strong>der</strong> Gläubigen selbst aber lebt nicht in erster Linie von<br />

<strong>der</strong> Bibel – die christliche Religion ist nicht in erster Linie eine<br />

Buchreligion – son<strong>der</strong>n vom lebendigen Wort <strong>der</strong> mit uns Lebenden, die<br />

uns selbst den Christus als lebendig Gegenwärtigen bezeugen können.<br />

(:22)<br />

Damit will Brunner nicht die biblische Schrift abwerten, son<strong>der</strong>n erklären, dass das biblische Wort<br />

ins Leben hineinspricht. Es muss im Leben und in <strong>der</strong> Kirche verankert werden, was uns<br />

herausfor<strong>der</strong>t, unsere theologische Forschung zu erweitern.<br />

Bestimmt nimmt das biblische Zeugnis einen hauptsächlichen Stellenwert ein, und wir müssen<br />

darauf achten, dass wir diesem Zeugnis auch den gebührenden Raum geben.<br />

Gerade <strong>der</strong> Reformator Calvin hat dieser Klärung einen wichtigen Platz eingeräumt, indem er die<br />

Schriftenlehre an den Anfang seiner Dogmatik gesetzt hat. Evangelikale <strong>Theologie</strong> weist zusätzlich<br />

darauf hin, dass das offenbarte, geschriebene und verkündigte Wort Gottes in <strong>der</strong> Bibel<br />

zusammengehört, und dass die Heilige Schrift von Gott autorisiert wurde. Sie muss als<br />

normengebende Heilige Schrift als Ganzes ernstgenommen werden muss (Liedholz 1984:32).<br />

3.1.2 Jesus Christus als Höhepunkt <strong>der</strong> Offenbarung Gottes<br />

Systematische <strong>Theologie</strong> soll <strong>der</strong> Offenbarung Gottes in Christus den wichtigsten Stellenwert<br />

einräumen, weil sich hier Gott in Gestalt eines Menschen offenbart. In Christus hat sich Gott nicht<br />

nur durch sein Reden, son<strong>der</strong>n durch sein direktes Erscheinen geoffenbart. Sein Kommen auf diese<br />

Erde ist ein Höhepunkt <strong>der</strong> Offenbarung Gottes, und somit <strong>der</strong> Mittelpunkt <strong>der</strong> Heilsgeschichte.<br />

Der Evangelist Johannes beschreibt diesen Angelpunkt <strong>der</strong> Offenbarung Gottes, indem er sagt (Joh<br />

1,14): „ Das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir haben seine Herrlichkeit<br />

angeschaut.“ Das haben die meisten Theologen <strong>der</strong> Reformation beson<strong>der</strong>s erkannt, indem sie die<br />

Christologie zum Zentralpunkt ihrer Dogmatik gemacht haben.<br />

Nicht mehr nur prophetisches göttliches Wort durch menschliche Träger, son<strong>der</strong>n Christus selbst<br />

wird <strong>der</strong> Träger <strong>der</strong> Offenbarung. Worauf die Propheten hingewiesen haben, wird Realität: Gott<br />

wird Mensch und setzt sich auf die gleiche Ebene. Diese Selbstoffenbarung Gottes ist <strong>der</strong><br />

Hauptpunkt guter <strong>Theologie</strong>. Johannes sagt (1.Joh 1,1): „Was von Anfang an war, was wir gehört,<br />

was wir mit unseren Augen gesehen, was wir angeschaut und unsere Hände betastet haben...“ Darin<br />

steckt eine gewisse Steigerung und Erfüllung. Ein Heilsplan, <strong>der</strong> in Erfüllung geht.<br />

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Emil Brunner sagt:<br />

Was im Alten Testament Wort hiess, was in <strong>der</strong> alttestamentlichen<br />

Schöpfungsgeschichte hiess ‚und Gott sprach’, das ist jetzt in Person da,<br />

selbst da, nicht mehr bloss in <strong>der</strong> Rede-von-ihm. Darum kann man ihn,<br />

den man Logos nennen kann, auch an<strong>der</strong>s nennen, Licht, Leben, vor<br />

allem: Sohn Gottes. (Brunner 1946:31)<br />

Es hat sich das erfüllt, was <strong>der</strong> Prophet Jesaja als Immanuel bezeichnet hat: Gott mit uns (Jes 7,14).<br />

Die Offenbarung Gottes in Christus löst auch die Schuldfrage und beseitigt die Trennung zwischen<br />

Gott und Mensch, indem Christus am Kreuz stirbt, und die Schuld beseitigt. Der Mensch hat<br />

wie<strong>der</strong> Zugang zu Gott. Dieses Geschehen beschäftigt christliche <strong>Theologie</strong>, und muss in <strong>der</strong><br />

<strong>systematischen</strong> Arbeit dargestellt, gewürdigt und erklärt werden. Dabei sind die Briefe des<br />

Apostels Paulus Vorbild und Objekt des Studiums.<br />

3.1.3 Offenbarung im Lebensvollzug<br />

Gerade weil Christus die Beziehung des Menschen zu Gott wie<strong>der</strong> hergestellt hat, ist <strong>Theologie</strong><br />

nicht nur Wissen und Erkennen über einen Gott, son<strong>der</strong>n Vollzug neuer Bedingungen in <strong>der</strong><br />

Beziehung zum versöhnenden Gott. <strong>Theologie</strong> führt ins Leben hinein.<br />

3.1.3.1 Die Bedeutung des Geistes Gottes, <strong>der</strong> uns Christus offenbart<br />

Die Christusoffenbarung ist mit dem Leben, Sterben und Auferstehen Christi nicht erschöpft. Die<br />

Sendung des Geistes Gottes auf die versöhnte Menschheit ist ein neues Kapitel <strong>der</strong> Offenbarung<br />

Gottes. Gott kommt zu den Menschen durch seinen Geist und bezeugt Christus (Joh 16,14). Erst<br />

durch den Geist Gottes wird das Jesuswort auch ein Gotteswort (Brunner 1946: 36). Die<br />

Pneumatologie bekommt dadurch einen sehr hohen Stellenwert in <strong>der</strong> <strong>systematischen</strong> <strong>Theologie</strong>,<br />

und sie ist <strong>der</strong> Christologie und Soteriologie angeglie<strong>der</strong>t. Beson<strong>der</strong>s Karl Barth und Emil Brunner<br />

setzen die Pneumatologie und die Christologie eng zueinan<strong>der</strong>.<br />

3.1.3.2 Die Offenbarung Gottes führt ins Leben hinein<br />

Die Tatsache, dass Gott will, dass allen Menschen geholfen werde, und sie zur Erkenntnis <strong>der</strong><br />

Wahrheit finden (1.Tim 2,4), ist ein Hinweis über den praktischen Wert aller theologischen<br />

Erkenntnis über Gott. <strong>Theologie</strong> ist erfrischend und gibt Hoffnung. Sie weist auf die ewigen<br />

Wahrheiten hin, sie gibt Anleitung zum Leben, und hat deshalb auch einen ethischen Wert. Wie<br />

Hempelmann sagt (2004:23): „Es ist ein faszinierendes Unternehmen, dazu anzuleiten, nicht<br />

irgendwelche religiösen Erfahrungen, son<strong>der</strong>n Gottes Fussspuren dieses lebendigen, dreieinigen<br />

Gottes im eigenen Leben zu identifizieren.“ Gottes Offenbarung hinterlässt also Fussspuren im<br />

Leben des Glaubenden. Wer erkennt, dass er von Gott erkannt wurde, <strong>der</strong> erfährt eine Verän<strong>der</strong>ung<br />

seiner Lebensanschauung. Seine ethischen Werte gehen in eine an<strong>der</strong>e Richtung. Systematische<br />

<strong>Theologie</strong> muss also die Ethik mit einschliessen. Wenn Karl Barth die Ethik nicht in geson<strong>der</strong>ter<br />

Form behandelt, ist sie doch Bestandteil seines Denkens, weil <strong>Theologie</strong> ins Leben hineinführt.<br />

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TH 9100 <strong>Aufgabe</strong>n einer <strong>systematischen</strong> <strong>Theologie</strong> 9<br />

Hempelmann geht noch weiter, wenn er sagt, dass wir <strong>der</strong> theologischen Erkenntnis nicht objektiv<br />

gegenüberstehen können, son<strong>der</strong>n an sie gebunden sind: „Wir leben von dem, was wir zugleich<br />

erforschen sollen“ (:34).<br />

3.2 Systematische <strong>Theologie</strong> betrachtet die Themen biblischer<br />

<strong>Theologie</strong> im Blick auf das Kommen des Reiches Gottes.<br />

Der Theologe Hans-Joachim Kraus warnt vor <strong>der</strong> Gefahr, dass die <strong>Theologie</strong> zu einer<br />

ontologischen Wesenslehre Gottes degradiert, wo man sich begnügt, die Eigenschaften Gottes zu<br />

studieren, wie dies vielleicht im Mittelalter bei Melanchton und seinen „Loci communes“<br />

geschehen ist (Kraus 1983:4). Kraus wirbt für ein dynamisches Studium <strong>der</strong> <strong>Theologie</strong> wo Gott<br />

und sein kommendes Reich durch die Geschichte seiner Taten dargestellt wird:<br />

Gott in <strong>der</strong> Bezeugung seines Kommens, Jesus Christus in <strong>der</strong><br />

Proklamation seiner Sendung, <strong>der</strong> Heilige Geist in seinem Wirken in<br />

Kirche und Welt. Systematische <strong>Theologie</strong> wird sich darum mit<br />

Bewegungsbegriffen und höchst flexiblen Kategorien auf dieses mobile,<br />

prozessuale, kommende Objekt einzustellen haben. (:4)<br />

3.2.1 Das Reden von Gott in <strong>der</strong> <strong>Theologie</strong> muss die Entstehung des Reiches<br />

Gottes geschichtsbezogen darstellen.<br />

<strong>Theologie</strong> sollte die Frage behandeln, wie Gott seine Welt und seine Menschen zurückzugewinnen<br />

versucht, nachdem sich die Kreatur verselbständig hat. <strong>Theologie</strong> untersucht, wie Gott dies in<br />

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft getan hat und noch tut. Sie beschreibt Gottes Sehnsucht<br />

<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>herstellung seiner Schöpfung und dem Bau seines Reiches. Das muss Gegenstand <strong>der</strong><br />

Forschung sein. Diese Forschung beginnt dort, wo sich Gott ein Volk sucht, das nach seinem<br />

Willen lebt (1.Mose 12). Der jüdisch-alttestamentliche Kontext zeigt Gottes Suche und den Beginn<br />

des Reiches Gottes. Den vorläufigen Höhepunkt seiner Gegenwart findet sich im Kommen seines<br />

Sohnes (Mt 4,17), <strong>der</strong> dem Reich Gottes eine neue Dimension gibt, indem er die ganze Menschheit<br />

mit Gott versöhnt und dadurch Juden und Heiden vereint zu einem Reich <strong>der</strong> Nachfolger Christi.<br />

Dies ist <strong>der</strong> Beginn <strong>der</strong> christlichen Kirche. Die prophetischen Aussagen über die Zukunft des<br />

Reiches Gottes zeigen, dass sein Reich erst am Ende <strong>der</strong> Zeiten zur Vollendung findet, wenn durch<br />

Christus die viele Heiden und dann auch die Juden zum Glauben an Jesus kommen, und wenn <strong>der</strong><br />

auferstandene Christus als König sein Reich mit seinen Nachfolgern ganz aufgebaut hat (Jes 55,5;<br />

Mk 4,30-34, Offb 11,15-17). Gott zeigt sich als Baumeister eines neuen Reiches, das alle<br />

menschlichen Vorstellungen übersteigt. Er bezeugt sich in <strong>der</strong> jüdischen und christlichen<br />

Geschichte in Gegenwart und Zukunft. Gott ist <strong>der</strong> Kommende, <strong>der</strong> nicht von Philosophen und<br />

Denkern in ein festes neutrales System eingeordnet werden kann. Biblische <strong>Theologie</strong> soll diesen<br />

liebenden Gott, <strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Suche nach seinem Volk und seinem Reich ist, als rettenden Gott<br />

darstellen. Einerseits als gnädigen Gott für alle, die seine Rettung annehmen, und als richtenden<br />

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TH 9100 <strong>Aufgabe</strong>n einer <strong>systematischen</strong> <strong>Theologie</strong> 10<br />

Gott, für alle die seine Rettung ablehnen. <strong>Theologie</strong> beschreibt diese Geschichte des Heils, <strong>der</strong><br />

Aufbau und die Vollendung des Reiches Gottes.<br />

3.2.2 Das Reden von Gott in <strong>der</strong> <strong>Theologie</strong> hat einen direkten und<br />

dynamischen Anspruch auf den Menschen und seine Wirklichkeit.<br />

Weil Gott nicht ein fernes Wesen ist, son<strong>der</strong>n ein persönlicher Gott, <strong>der</strong> seinen Anspruch im Leben<br />

<strong>der</strong> Menschen geltend machen will, darf christliche <strong>Theologie</strong> nicht einfach nur eine<br />

Erkenntnistheologie sein, son<strong>der</strong>n sie muss immer wie<strong>der</strong> darum ringen, dass Gott sein kommendes<br />

Reich im Leben <strong>der</strong> Menschen entwickeln kann (:13). Der Dualismus von Gotteswelt und<br />

Menschenwelt ist durchbrochen, will Christus in unser Leben gekommen ist, und die Mauer <strong>der</strong><br />

Schuld abgebrochen hat, und sich und sein Reich in uns und durch uns aufbauen will. Darum ist<br />

theologisches Arbeiten eine Suche nach Gott und seinem Einfluss in Kirche und persönlichem<br />

Leben. Weil Gott <strong>der</strong> Kommende ist, müssen wir auf in warten, ihn suchen, ihn anrufen und bitten,<br />

dass er sich in uns offenbart (Ps 105,4). Kraus schreibt dazu (:13): „Glaube heisst: auf Gott warten.<br />

Dieses Lebens Stand wird nicht darin verbracht, dass man Gott hat, son<strong>der</strong>n darin, dass man ihn<br />

sucht[...] so führt <strong>der</strong> Weg empor von Kraft zu Kraft, von Klarheit zu Klarheit hinein in dasselbe<br />

Bild.“<br />

<strong>Theologie</strong> kann also keinesfalls nur eine statistische Suche nach den Eigenschaften Gottes sein,<br />

son<strong>der</strong>n sie ist auch eine dynamische Suche nach dem Einfluss Gottes, nach <strong>der</strong> Wirklichkeit<br />

Gottes im Leben <strong>der</strong> Kirche und <strong>der</strong>en Glie<strong>der</strong>. Dies legitimiert die <strong>Theologie</strong> auch, empirische und<br />

soziologische Studien zu betreiben, um zu entdecken, was und wo Gott wirkt, um sein Reich zu<br />

bauen.<br />

Auffallend stark weist <strong>der</strong> Theologe Hanspeter Hempelmann darauf hin, dass Gott sich im<br />

Lebensvollzug zu erkennen gibt, und dass <strong>Theologie</strong> biographisch zu geschehen ist, wenn er sagt:<br />

Du bist von Gott erkannt! Gott ist in dir in deinen Lebensumständen<br />

mannigfach, Gott ist dir schliesslich und vor allem persönlich durch die<br />

geschichtliche Vermittlung des Wortes Gottes von <strong>der</strong> Versöhnung<br />

begegnet. Dein Leben ist selbst ein Stück <strong>Theologie</strong>. (2004:23)<br />

3.3 Systematische <strong>Theologie</strong> ist normativ und prüft den Inhalt<br />

christlicher Lehre aufgrund <strong>der</strong> Christusoffenbarung<br />

Wenn wir bis jetzt über die Begründung und die <strong>Aufgabe</strong>n <strong>der</strong> <strong>systematischen</strong> <strong>Theologie</strong><br />

gesprochen haben, dann geht es nun auch darum zu zeigen, warum sie eine normative <strong>Aufgabe</strong> hat,<br />

wobei normativ nicht absolute Norm bedeutet, da wir vorher gesagt haben, dass theologisches<br />

Arbeiten immer demütig geschehen soll, weil Gott als das Subjekt unseres Arbeitens nie ganz<br />

erfasst o<strong>der</strong> verstanden werden kann.<br />

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TH 9100 <strong>Aufgabe</strong>n einer <strong>systematischen</strong> <strong>Theologie</strong> 11<br />

Systematische <strong>Theologie</strong> prüft aber die theologischen Aussagen auf Grund ihres Inhalts. Sie<br />

beurteilt theologische Prinzipien gemäss dem biblischen Zeugnis und korrigiert allenfalls die<br />

theologischen Aussagen. Als Kriterium gilt die göttliche Offenbarung in Christus und sein Reden,<br />

weil dies das primäre Zeugnis über Gott ist, worüber wir verfügen. Die prophetischen Aussagen<br />

über Christus, sein Kommen, sein Werk, seine direkten Zeugen sind <strong>der</strong> normengebende Grund.<br />

Dass Gott sich ein Volk sucht, das ihm gehört, dass er dabei Abraham auswählt, sein Volk Israel<br />

bildet, seinen Tempel unter seinem Volk baut, selber als Sohn Gottes auf diese Welt kommt, um<br />

sein Volk, seine Kirche zu bilden, das ist Offenbarungsgeschehen. Alles misst sich an diesem<br />

Geschehen. Christliche, und beson<strong>der</strong>s reformierte <strong>Theologie</strong>, prüft alle christliche Lehre nach<br />

diesem Offenbarungsgeschehen. Dadurch unterschiedet sich reformierte <strong>Theologie</strong> von<br />

katholischer <strong>Theologie</strong>, weil in <strong>der</strong> katholischen <strong>Theologie</strong> die Tradition einen ebenso grossen<br />

Stellenwert bildet wie die Offenbarung in Jesus Christus und seinem Wort. Die Autorität <strong>der</strong><br />

katholisch-kirchlichen Tradition ist gleich o<strong>der</strong> sogar über <strong>der</strong> Autorität <strong>der</strong> Schrift (Brunner<br />

1946:52). Der Theologe Emil Brunner weist allerdings zu Recht darauf hin, dass dem biblischen<br />

Zeugnis eine Priorität zugeteilt werden muss, wenn er sagt:<br />

[...<strong>der</strong> Vorrang <strong>der</strong> apostolischen gegenüber allen späteren Formen<br />

<strong>der</strong> Lehre. Dieser Vorrang ist darin begründet, dass dem ursprünglichen<br />

Zeugnis beson<strong>der</strong>e Dignität zukommt, darum, weil es noch selbst zum<br />

Geschehnis <strong>der</strong> Christusoffenbarung gehört. Das ist die Würde, die dem<br />

Apostel gegenüber allen späteren Lehrern <strong>der</strong> Kirche zukommt, dass er<br />

als <strong>der</strong> erste Empfänger, ja als Mitbeteiligter an <strong>der</strong> geschichtlichen<br />

Christusoffenbarung ein beson<strong>der</strong>es Mass <strong>der</strong> Christuserkenntnis hat.<br />

(1946: 53).<br />

Das Kommen des Reiches Gottes durch Jesus Christus, dieses Offenbarungsgeschehen, so wie es in<br />

den biblischen Schriften bezeugt, soll das Mass <strong>der</strong> Beurteilung <strong>der</strong> <strong>systematischen</strong> <strong>Theologie</strong> sein.<br />

Beson<strong>der</strong>s deutlich erscheint dies wie bereits erwähnt bei den Reformatoren, die in ihrer Dogmatik<br />

die grossen Themen <strong>der</strong> Offenbarung Gottes in Christus aufnehmen und sein Erlösungsgeschehen<br />

darstellen.<br />

Diese normengebende Funktion <strong>der</strong> <strong>systematischen</strong> <strong>Theologie</strong> soll die <strong>Theologie</strong> in die richtige<br />

Richtung weisen, indem sie alle ihre Aussagen an <strong>der</strong> Offenbarung in Christus prüft, damit die<br />

<strong>Theologie</strong> nicht abirrt o<strong>der</strong> zu einer christlich religiös geprägten Philosophie o<strong>der</strong> Soziologie o<strong>der</strong><br />

Psychologie degradiert.<br />

3.4 Systematische <strong>Theologie</strong> ist ein Dienst an und in <strong>der</strong> Kirche.<br />

Karl Barth wie auch Emil Brunner bezeichnen die Systematische <strong>Theologie</strong> als eine Funktion <strong>der</strong><br />

Kirche (Barth 1932:10; Brunner 1946:3). Beson<strong>der</strong>s Barth weist auf die wichtige Bedeutung <strong>der</strong><br />

<strong>Theologie</strong> hin, weil sie <strong>der</strong> Kirche die Möglichkeit gibt, selbstkritisch und systematisch ihre Lehre<br />

darzustellen (Barth 1932:10): „Dogmatik ist die Selbstprüfung <strong>der</strong> christlichen Kirche hinsichtlich<br />

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TH 9100 <strong>Aufgabe</strong>n einer <strong>systematischen</strong> <strong>Theologie</strong> 12<br />

des Inhalts <strong>der</strong> ihr eigentümlichen Rede von Gott.“ Damit weist er <strong>der</strong> <strong>systematischen</strong> <strong>Theologie</strong><br />

einen hohen Stellenwert, und übergibt den Theologen eine grosse Verantwortung. Sie sind das<br />

Bindeglied zwischen <strong>Theologie</strong> und Kirche. Sie sollen sozusagen Wegweiser, Lehrer und Kritiker<br />

gleichzeitig sein. Sie prüfen kirchliche Lehre anhand <strong>der</strong> biblischen Offenbarung und achten<br />

darauf, dass die Lehraussagen richtig verstanden wurden, so Barth (:12): „Die Dogmatik als<br />

Forschung setzt voraus, dass <strong>der</strong> rechte Inhalt christlicher Rede von Gott menschlich erkannt<br />

werden soll.“<br />

Noch deutlicher formuliert es Kraus in seiner Einleitung, wenn er sagt :<br />

„Systematische <strong>Theologie</strong> hat darin eine das prophetische Wort<br />

abschattende Funktion, dass sie ausreisst, und nie<strong>der</strong>reisst, pflanzt und<br />

aufbaut [...] in harter und kompromissloser Auseinan<strong>der</strong>setzung mit<br />

Kirchenleitungen und Amtsträgern. (1983:118)<br />

Damit gibt Kraus dem theologischen Lehramt das Recht, sich in die theologische Diskussion <strong>der</strong><br />

Kirche einzumischen, und ekklesiologische Strukturen mitzuprägen. Aber Kraus will dieses Lehr -<br />

und Richteramt <strong>der</strong> <strong>Theologie</strong> nicht absolut setzen. Auch die Kirche hat das Recht Missstände zu<br />

korrigieren:<br />

Doch wird das Verhältnis von <strong>Theologie</strong> und Kirche auch umzukehren<br />

sein. Es wäre denkbar, ja es ist geschehen und es wird immer wie<strong>der</strong><br />

geschehen, dass die Kirche sich kritisch gegen eine entartete, ihren<br />

Ursprung und Gegenstand verfehlende <strong>Theologie</strong> erhebt und ausspricht.<br />

(:118)<br />

Diese Wechselbeziehung zwischen Kirche und Lehramt ist meines Erachtens unbedingt nötig. Es<br />

kann nur positiv sein, wenn die Kirche fachliche Hilfe und theologische Kompetenz von Seiten <strong>der</strong><br />

<strong>Theologie</strong> bekommt, und an<strong>der</strong>erseits die <strong>Theologie</strong> von <strong>der</strong> Kirche kritisch beobachtet wird, damit<br />

sie ihren Auftrag, <strong>der</strong> Kirche zu dienen, nicht verliert, denn auch die Theologen können sich leicht<br />

in fachspezifischen Fragen verirren und sich verselbstständigen. Kirche ohne <strong>Theologie</strong> ist<br />

orientierungslos, und <strong>Theologie</strong> ohne Kirche ist blosse Theorie. Beide sind aufeinan<strong>der</strong><br />

angewiesen.<br />

Je<strong>der</strong> Theologe hat hier allerdings eine sehr starke Bindung an das Bekenntnis seiner Kirche. Das<br />

Glaubensbekenntnis einer Kirche hat immer eine gewisse verbindliche Lehre, die durch den<br />

Dogmatiker nicht einfach verworfen werden kann, weil er in den meisten Fällen daran gebunden<br />

ist.<br />

Exkurs „<strong>Theologie</strong> und Bekenntnis“:<br />

Bekenntnisse sind Glaubensaussagen, die durch lange theologische<br />

Zusammenarbeit zwischen <strong>Theologie</strong> und Kirche entstanden sind.<br />

Sie zeigen, wie theologische Wahrheiten verstanden worden sind,<br />

und wie sie in <strong>der</strong> Kirche angewendet werden. Sie zeigen<br />

zusammenfassend, was <strong>der</strong> Mensch glauben soll. Theologen sind<br />

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TH 9100 <strong>Aufgabe</strong>n einer <strong>systematischen</strong> <strong>Theologie</strong> 13<br />

meistens im Dienst eines bestimmten Glaubensbekenntnisses einer<br />

bestimmten Kirche, was sie auch daran bindet. Somit sind sie nur<br />

bedingt frei in ihrem Urteil. Die Kirche sollte ihren Theologen so<br />

viel Bewegungsspielraum geben wie dies nur möglich ist.<br />

Der Lutheraner beruft sich auf das Augustiner Bekenntnis 5 , <strong>der</strong> Reformierte Theologe auf das<br />

Apostolische Bekenntnis 6 o<strong>der</strong> das Helvetische Bekenntnis 7 . Der Katholische Theologe ist an das<br />

Dogma <strong>der</strong> katholischen Kirche fest gebunden.<br />

Obwohl systematische <strong>Theologie</strong> normenbildenden Charakter gemäss dem Offenbarungsgeschehen<br />

in Christus hat, und obwohl sie die christliche Lehre beurteilt und prägt, ist sie eben an das Dogma<br />

o<strong>der</strong> das Bekenntnis <strong>der</strong> Kirche gebunden, wofür sie arbeitet. Brunner sagt dazu:<br />

Die Kirche muss also das Bestreben haben, die Lehrer <strong>der</strong> Kirche<br />

durch das Dogma zu weisen, zu dirigieren und, insofern zu binden. Sie<br />

versteht also primär die Arbeit des Dogmatikers als Explikation des<br />

gegebenen Dogmas. An<strong>der</strong>erseits muss sie, in Interesse <strong>der</strong><br />

rechtverstandenen Autorität <strong>der</strong> Offenbarung selbst, den Willen haben,<br />

<strong>der</strong> Freiheit zur kritischen Nachprüfung des gegebenen Bekenntnisses<br />

keine Fesseln anzulegen, son<strong>der</strong>n ihr weiten Spielraum zu geben.<br />

(1946:67)<br />

3.5 Systematische <strong>Theologie</strong> bildet die Grundlage zur<br />

Hermeneutik.<br />

Die Vielseitigkeit, die Sprachunterschiede und <strong>der</strong> grosse Zeitraum, <strong>der</strong> zur Entstehung <strong>der</strong><br />

biblischen Schriften geführt hat, bergen gewisse Gefahren <strong>der</strong> Interpretation. Die Auslegung<br />

erfor<strong>der</strong>t geschichtliche, kulturelle und theologische Kenntnisse. Die Bibel enthält nur wenig<br />

Lehrtexte. Sie ist ein geschichtliches Buch, das auch poetische und prophetische Texte beinhaltet.<br />

Diese müssen voneinan<strong>der</strong> unterschieden, richtig verstanden und für die heutige Zeit ausgelegt<br />

werden. Unzählige Auslegungsverständnisse <strong>der</strong> Bibel haben sich durch die Jahrhun<strong>der</strong>te gebildet,<br />

die einen mehr o<strong>der</strong> weniger grossen Platz in <strong>der</strong> <strong>Theologie</strong> eingenommen haben.<br />

Sogar die Bibel selber berichtet von <strong>der</strong> Problematik <strong>der</strong> Auslegung biblische Schriften, wenn wir<br />

z.B. die Frage des Evangelisten Philippus lesen, wie er den Eunuchen aus Aegypten fragt, <strong>der</strong> im<br />

Propheten Jesaja liest (Apg9,30) : „Verstehst du auch was du liest?“, und dieser antwortet (Apg<br />

8,31): „Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet?“<br />

5 Augustana, 1530 n.Chr.<br />

6 Apostolicum, 390. n.Chr.<br />

7 Confessio Helvetica Posterior, 1566 n.Chr.<br />

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TH 9100 <strong>Aufgabe</strong>n einer <strong>systematischen</strong> <strong>Theologie</strong> 14<br />

Es braucht ein theologisches Fundament, um die Bibel möglichst wahrheitsgetreu auslegen zu<br />

können. Das Schriftverständnis jedes Bibellesers ist geprägt von gewissen Grundannahmen und<br />

theologischen Wahrheiten. Der Evangelist Philippus hatte ein klares Verständnis <strong>der</strong> prophetischen<br />

Schriften. Er kannte die christologischen Aussagen <strong>der</strong> Propheten, und wusste sie auf Christus hin<br />

geistlich zu deuten. Er kannte nicht nur einen historischen Jesus, son<strong>der</strong>n einen Jesus, als Sohn<br />

Gottes, <strong>der</strong> erlöst und rettet. Man könnte sagen, dass Philippus eine solide theologische Basis, d.h.<br />

Kenntnis <strong>der</strong> Zusammenhänge <strong>der</strong> biblischen Schriften hatte. Er hatte ein heilsgeschichtliches<br />

Verständnis <strong>der</strong> Bibel, und konnte so das Heil Gottes, wie es in den Propheten vorgezeichnet ist, in<br />

den Kontext des Alltags hineinbringen. Dieses Beispiel zeigt deutlich, warum systematische<br />

<strong>Theologie</strong> die Basis hermeneutischer Aussagen sein muss. Je<strong>der</strong> Ausleger, je<strong>der</strong> Pastor, je<strong>der</strong><br />

Evangelist, je<strong>der</strong> Zeuge seines Glaubens muss die Zusammenhänge biblischer Schriften kennen,<br />

und sie in den Kontext des heutigen Lebens stellen können. Dabei ist er dauernd in Gefahr, die<br />

Texte falsch zu interpretieren. Diese Gefahr verlangt von jedem Ausleger, sich gute systematisch-<br />

theologische Kenntnisse zu erwerben.<br />

Karl Barth weist darauf hin, dass die systematische <strong>Theologie</strong> das Musterbeispiel <strong>der</strong><br />

Verkündigung sein soll (zitiert in Bockmühl 1999: 108) und Brunner weist <strong>der</strong> <strong>Theologie</strong><br />

katechetische <strong>Aufgabe</strong>n in <strong>der</strong> Taufvorbereitung zu (1946: 12). Calvins veröffentlichte seine<br />

Dogmatik „Institutio“ als katechetische Grundlage.<br />

Mit Emil Brunner könnte man sagen, dass <strong>der</strong> Dogmatiker die Arbeit des Exegeten fortsetzt, um:<br />

„[...] hinter den Worten <strong>der</strong> Apostel das Wort Gottes zu vernehmen. Er muss es wagen, das Wort<br />

von damals als Wort von heute zu verstehen [...] somit dient <strong>der</strong> Dogmatiker dem Bibelausleger<br />

(:97).“<br />

Der systematische Theologe hilft dem Ausleger, die richtigen Massstäbe zu setzen, um die Bibel<br />

richtig zu interpretieren.<br />

Ein Theologe, <strong>der</strong> für eine bibeltreue Hermeneutik gekämpft hat, war <strong>der</strong> Reformator Martin<br />

Luther. Gerade in <strong>der</strong> Abwehr gegen eine oft sehr allegorische Auslegung in <strong>der</strong> katholischen<br />

Kirche musste er neue Massstäbe setzen. Alle biblische Auslegung sollte gemäss Luthers<br />

Verständnis nach folgenden Richtlinien geschehen (zitiert in Bockmühl 1999:258):<br />

- Nach dem wörtlichen o<strong>der</strong> literarischen Verständnis des Textes.<br />

- Nach seiner Beziehung zur Kirche und dem Leben <strong>der</strong> Gemeinde.<br />

- Nach seiner moralischen Bedeutung.<br />

- Nach seiner eschatologischen Bedeutung.<br />

Als Norm <strong>der</strong> Auslegung sollte gemäss Luther die ganze Heilige Schrift gelten, sowohl Altes und<br />

Neues Testament. Alle Aussagen sollen dem Zeugnis <strong>der</strong> ganzen Bibel Stand halten. Dabei betonte<br />

er ganz erneut, dass Christus <strong>der</strong> Angelpunkt und Kernpunkt <strong>der</strong> Hermeneutik sein soll. Mit diesen<br />

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TH 9100 <strong>Aufgabe</strong>n einer <strong>systematischen</strong> <strong>Theologie</strong> 15<br />

Aussagen hatte Luther theologische Massstäbe für die Hermeneutik festgelegt, die im Wirrwarr <strong>der</strong><br />

damaligen Auslegungsmöglichkeiten wegweisend waren.<br />

Auch heute brauchen wir systematische <strong>Theologie</strong>, die uns den Schlüssel zur Hermeneutik weist,<br />

weil die Fragen <strong>der</strong> heutigen Zeit an<strong>der</strong>s gestellt werden als früher. Heute geht es beson<strong>der</strong>s um<br />

ethische Fragen wie Homosexualität, Euthanasie, Würde des Menschen. Jede Zeitepoche hat ihre<br />

Fragen, die aus dem Wort Gottes beantwortet werden sollen. Dazu braucht es solide systematisch-<br />

theologische Vorarbeit.<br />

3.6 Systematische <strong>Theologie</strong> ist die denkerische<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung mit den Ideologien <strong>der</strong> Gegenwart.<br />

Evangelische Theologen dürfen sich keinesfalls nur darauf beschränken, eigene theologischen<br />

Ansichten zu erklären, und sich gegen jegliche philosophische o<strong>der</strong> theologische Meinung zu<br />

verbarrikadieren, indem sie nur abweisend apologetisch argumentieren. <strong>Theologie</strong> ist fragende und<br />

kritische Auseinan<strong>der</strong>setzung mit allen Disziplinen, indem sie aktiv und offensiv nach Wahrheit<br />

sucht und dabei biblische und philosophische Massstäbe setzt, die die Grundfragen des Lebens<br />

betreffen. Sie ist also gefor<strong>der</strong>t, nicht nur den Falschglauben zu korrigieren, son<strong>der</strong>n auch den<br />

Unglauben ernst zu nehmen, und ihn zu bekämpfen. Wenn Gott für uns Menschen Gott ist, dann<br />

hat dies grosse Auswirkungen auf alles Bereiche des Lebens und Studierens. <strong>Theologie</strong> muss also<br />

in das Leben hineinreden, auf positiv Art, argumentativ, und in <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung mit ganz<br />

unterschiedlichen Weltanschauungen. An<strong>der</strong>erseits muss systematische <strong>Theologie</strong> natürlich auch<br />

den biblischen Wahrheitsanspruch verteidigen, und dafür sorgen, dass biblisch-theologische<br />

Wahrheiten nicht verwässert und verfälscht werden, nur soll diese apologetisch-klärende Arbeit<br />

nicht allen Platz einnehmen.<br />

3.6.1 Systematische <strong>Theologie</strong> setzt sich positiv apologetisch mit<br />

gesellschaftlichen Fragen auseinan<strong>der</strong>, und setzt neue Akzente in <strong>Theologie</strong><br />

und Wissenschaft.<br />

Emil Brunner nennt diese Form ‚eristische’ <strong>Theologie</strong>, weil sie sich positiv auf Lebensfragen und<br />

gesellschaftliche Fragen einlässt:<br />

Apologetik o<strong>der</strong>, wie ich wegen des fatalen Beigeschmacks dieses<br />

Namens vorgeschlagen habe, eristische <strong>Theologie</strong> ist die denkerische<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung des christlichen Glaubens mit den <strong>der</strong> kirchlichen<br />

Botschaft entgegengesetzten Lehren und Ideologien <strong>der</strong> jeweiligen<br />

Gegenwart. (1946: 107)<br />

Es geht Brunner also darum, die Apologetik von ihrer defensiven Haltung <strong>der</strong> Verteidigung zu<br />

lösen, um sie in die Offensive und Auseinan<strong>der</strong>setzung mit den gegenwärtigen Lehren und<br />

Philosophien zu führen. Wenn man bedenkt, wie viele Vorurteile gegenüber dem christlichen<br />

Glauben und <strong>der</strong> <strong>Theologie</strong> vorherrschen, indem Glaube als vernunftwidrig, wissenschaftlich<br />

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TH 9100 <strong>Aufgabe</strong>n einer <strong>systematischen</strong> <strong>Theologie</strong> 16<br />

unhaltbar und kulturfeindlich bezeichnet wird, dann hat die <strong>Theologie</strong> hier eine beson<strong>der</strong>e<br />

Herausfor<strong>der</strong>ung zur Klärung und Diskussion bekommen, die sie annehmen muss. Dies verlangt<br />

von <strong>der</strong> <strong>Theologie</strong> eine intensive Auseinan<strong>der</strong>setzung mit abwertenden Aussagen, indem<br />

vernünftig und deutlich <strong>der</strong> Standpunkt christlicher <strong>Theologie</strong> erklärt wird. Klaus Bockmühl weist<br />

mit Nachdruck darauf hin, dass die <strong>Theologie</strong> auch intellektuell und argumentativ darum ringen<br />

muss, dass christlicher Glaube verstanden wird:<br />

Wenn sie systematische <strong>Theologie</strong>, wie wir sagten, unter an<strong>der</strong>em die<br />

<strong>Aufgabe</strong> hat, sich mit den Ideologien <strong>der</strong> jeweiligen Gegenwart<br />

auseinan<strong>der</strong> zu setzen, wenn sie also am ehesten einen Eindruck von dem<br />

intellektuellen Klima ausserhalb <strong>der</strong> Kirche hat, dann ist es auch<br />

naheliegend, von ihr den Aufruf zu einem Gegenangriff gegen den<br />

Säkularismus zu erwarten, den Ruf nach Zurücknahme <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />

Entscheidung für den Atheismus als intellektuellen und existentiellen<br />

Standpunkt.“ (1999:119)<br />

Die <strong>Theologie</strong> soll wie<strong>der</strong> neu die Herrschaftsfrage klären. Durch die Säkularisierung wurde <strong>der</strong><br />

Mensch zum Mass aller Dinge, und Gott wurde die Herrschaft entzogen. Bockmühl verlangt hier<br />

von <strong>der</strong> <strong>Theologie</strong> eine sachliche Auseinan<strong>der</strong>setzung mit den Fragen <strong>der</strong> Säkularisierung des<br />

Glaubens an Gott. Da <strong>der</strong> Atheismus die Gottesfurcht abgelöst hat, ist ein geistliches Vakuum<br />

entstanden, das ethische Entgleisungen zur Folge hat. Systematische <strong>Theologie</strong> soll zeigen, wie<br />

wichtig christliche <strong>Theologie</strong> ist, und welches die sozialen, ethischen und theologischen Folgen des<br />

Atheismus sein können. Bockmühl verlangt eine radikale Rückkehr zum Willen Gottes, indem<br />

nicht nur von Anthropologie gesprochen wird, son<strong>der</strong>n man „lasse Gott Gott und <strong>Theologie</strong> wie<strong>der</strong><br />

<strong>Theologie</strong> sein“ (:120).<br />

Nicht nur Theologen haben sich theologisch apologetisch mit dem christlichen Glauben<br />

auseinan<strong>der</strong>gesetzt. Auch philosophische Vertreter <strong>der</strong> <strong>Theologie</strong> haben wesentlich positiv zur<br />

Verteidigung des Glaubens beigetragen. Und wir können durchaus von ihnen lernen. So hat im 19.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t <strong>der</strong> Schriftsteller Sören Kirkegaard 8 den christlichen Glauben untersucht, und versucht<br />

den Unterschied zwischen dem immanenten Denken <strong>der</strong> Philosophie und <strong>der</strong> göttlichen<br />

Offenbarung in Christus aufzuzeigen (Brunner 1946:108). Auch <strong>der</strong> Physiker Blaise Pascal 9 hat<br />

sich in seinen „Pensées“ hervorragend mit den Argumenten des Unglaubens auseinan<strong>der</strong>gesetzt<br />

(:108). Im 20. Jahrhun<strong>der</strong>t hat <strong>der</strong> Philosoph C.S. Lewis 10 den Skeptikern des Glaubens<br />

wi<strong>der</strong>standen 11 .<br />

8 Sören Kierkegaard, 1813-1855, Schriftsteller, Philosoph und Theologe.<br />

9 Blaise Pascal, 1623-1662, Mathematiker, Physiker, Philosoph.<br />

10 C.S. Lewis, 1998-1963, Schriftsteller und Literaturwissenschaftler.<br />

11 So z.B in seinem Buch „Pardon ich bin Christ“ das im Brunnenverlag 1990 in <strong>der</strong> 8.Auflage erschien.<br />

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TH 9100 <strong>Aufgabe</strong>n einer <strong>systematischen</strong> <strong>Theologie</strong> 17<br />

3.6.2 Systematische <strong>Theologie</strong> ist apologetischer Kampf gegen die Irrlehre.<br />

Das grosse Bestreben <strong>der</strong> Reformation war die Befreiung aus einer starren Glaubenslehre, die sich<br />

vom biblischen Verständnis <strong>der</strong> Gnade entfernt hatte. Diese Umkehr und Rückkehr zur biblischen<br />

Wahrheit war und ist immer wie<strong>der</strong> nötig, weil <strong>der</strong> Mensch dazu neigt, Glaube und <strong>Theologie</strong> nach<br />

seinem eigenen Geschmack zu gestalten. Es ist die Folge <strong>der</strong> Sünde, dass <strong>der</strong> Mensch sich Gott<br />

nicht unterordnen will, dass er neue <strong>Theologie</strong>n und Auslegungen entwirft, und dass er sich selber<br />

zum Mass <strong>der</strong> Dinge macht. Es würde zu weit führen alle Irrlehren aufzuzählen, die die biblische<br />

<strong>Theologie</strong> bedroht haben, aber bereits Paulus weist darauf hin, wie gefährlich philosophische<br />

Lehren sind, wenn sie sich von Gott und seinem Heilsplan für die Menschheit wegbewegen. Paulus<br />

sagt dazu: „Sehet zu, dass euch niemand einfange durch Philosophie und leeren Trug, gegründet<br />

auf die Lehre von Menschen und auf die Mächte <strong>der</strong> Welt und nicht auf Christus“ (Kol 2,8).<br />

Später setzt <strong>der</strong> Apostel Johannes klare Massstäbe, die gegenüber allen Lehren angewendet werden<br />

sollen:<br />

Ihr Lieben, glaubt nicht einem jeden Geist, son<strong>der</strong>n prüft die Geister,<br />

ob sie von Gott sind; denn es sind viele falsche Propheten ausgegangen in<br />

die Welt. Daran sollt ihr den Geist Gottes erkennen: Ein je<strong>der</strong> Geist, <strong>der</strong><br />

bekennt, dass Jesus Christus in das Fleisch gekommen ist, <strong>der</strong> ist von<br />

Gott; und ein je<strong>der</strong> Geist, <strong>der</strong> Jesus nicht bekennt, <strong>der</strong> ist nicht von Gott.<br />

(1.Joh 4,1)<br />

Die Lehrverfälschung war eine <strong>der</strong> grössten Herausfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> christlichen Kirche seit ihrem<br />

Anfang. Dies hat zu grossen Auseinan<strong>der</strong>setzungen geführt. Die verschiedenen kirchlichen<br />

Streitgespräche haben dazu beigetragen, intensiv über theologische Ansichten nachzudenken, damit<br />

die Wahrheit <strong>der</strong> Offenbarung in Christus nicht verfälscht würde. Aus diesem Kampf gegen die<br />

Verfälschung und Irrlehre wurde ursprünglich die Dogmatik und das systematisch-theologische<br />

Denken entwickelt. Emil Brunner betont die Wichtigkeit dieser apologetischen Denkarbeit, wenn<br />

er schreibt:<br />

Die christliche Gemeinde ist in Gefahr, ihren göttlichen<br />

Wahrheitscharakter gegen menschliche Erfindungen zu vertauschen.<br />

Sollten also die, die um die ursprüngliche Wahrheit wissen, sich nicht<br />

aufgerufen fühlen, zwischen Schein und Wahrheit, zwischen „Gold“ und<br />

„Katzengold“ zu unterscheiden?[...] Vergleichung, Reflexion, wird<br />

notwendig, und ihr Anteil wird um so grösser, je raffinierter die<br />

Fälschungen sind.“ (1946:11)<br />

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TH 9100 <strong>Aufgabe</strong>n einer <strong>systematischen</strong> <strong>Theologie</strong> 18<br />

4 IST DIE SYSTEMATISCHE THEOLOGIE EINE<br />

WISSENSCHAFT?<br />

Was die <strong>Aufgabe</strong> <strong>der</strong> <strong>systematischen</strong> <strong>Theologie</strong> ist, das haben wir geklärt, aber was ihre Beziehung<br />

zur Wissenschaft ist, das muss noch gesagt werden. Die Enzyklopädie Wikipedia sagt von <strong>der</strong><br />

Wissenschaft:<br />

Wissenschaft ist <strong>der</strong> Erwerb von neuem Wissen durch Forschung,<br />

seine Weitergabe durch Lehre, <strong>der</strong> gesellschaftliche, historische und<br />

institutionelle Rahmen, in dem dies organisiert betrieben wird, sowie die<br />

Gesamtheit des so erworbenen menschlichen Wissens. Forschung ist die<br />

methodische Suche nach neuen Erkenntnissen, ihre systematische<br />

Dokumentation und Veröffentlichung in Form von wissenschaftlichen<br />

Arbeiten. Prinzipiell soll je<strong>der</strong>mann die Forschungsergebnisse<br />

nachvollziehen, überprüfen und für sich nutzen können. (Internet 2008:1)<br />

Gemäss dieser Definition kann das Nachdenken und Forschen zu theologisch-biblischen Themen,<br />

aber auch allgemein zu religiösen Themen, auf wissenschaftlicher Ebene betrieben werden.<br />

Karl Barth spricht von einem wichtigen Grund, warum <strong>Theologie</strong> auch wissenschaftlich betrieben<br />

werden soll. Er weist vorerst einmal darauf hin, dass alles Denken und Reden des Menschen<br />

allgemein, aber auch alles spezifisch christliche Denken und Handeln in Kirche und <strong>Theologie</strong> <strong>der</strong><br />

Menschlichkeit unterworfen ist, und dass schon nur deshalb ein prüfen<strong>der</strong> wissenschaftlicher Blick<br />

notwendig ist (1932:2). Er sagt in seiner Einleitung zu seiner Dogmatik: „<strong>Theologie</strong> als<br />

Wissenschaft ist eine Massnahme <strong>der</strong> Kirche, ergriffen im Blick auf jene Anfechtbarkeit und<br />

Verantwortlichkeit ihres Redens.“ (:2)<br />

Allerdings möchte Barth ganz bestimmte Kriterien festlegen, weil die <strong>Theologie</strong> eine Wissenschaft<br />

ist, die von Gott spricht, vom Unmittelbaren, und deshalb sehr vorsichtig in ihren Aussagen und<br />

Methoden sein muss. Die <strong>Theologie</strong> ist eigenen inneren biblischen Gesetzmässigkeiten<br />

unterworfen, und nicht immer mit den an<strong>der</strong>en Wissenschaften vergleichbar. Barth spricht von<br />

einer dreifachen Prüfung gemäss dem biblischen Zeugnis von Jesus:<br />

Das Kriterium <strong>der</strong> christlichen Rede von <strong>der</strong> Vergangenheit und von <strong>der</strong><br />

Zukunft her und mitten in <strong>der</strong> Gegenwart ist also das Sein <strong>der</strong> Kirche, d.h.<br />

aber Jesus Christus: Gott in seiner gnädigen offenbarenden und<br />

versöhnenden Zuwendung zum Menschen. Kommt die christliche Rede<br />

von ihm her? Führt sie zu ihm hin? Ist sie ihm gemäss? Keine dieser<br />

Fragen ist ohne die an<strong>der</strong>e, aber jede ist mit ganzem Gewicht<br />

selbstständig zu stellen. So ist <strong>Theologie</strong> als biblische <strong>Theologie</strong> die<br />

Frage nach <strong>der</strong> Begründung, als praktische <strong>Theologie</strong> die Frage nach dem<br />

Ziel, als dogmatische <strong>Theologie</strong> die Frage nach dem Inhalt <strong>der</strong> <strong>der</strong> Kirche<br />

eigentümlichen Rede.[...] Indem sich die Kirche die Wahrheitsfrage in<br />

diesem dreifachen Sinn nicht willkürlich, son<strong>der</strong>n sachgemäss stellt,<br />

bekommt diese ihre Selbstprüfung den Charakter eines<br />

wissenschaftlichen Unternehmens, das als solches selbstständig neben<br />

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TH 9100 <strong>Aufgabe</strong>n einer <strong>systematischen</strong> <strong>Theologie</strong> 19<br />

an<strong>der</strong>en menschlichen Unternehmungen gleicher o<strong>der</strong> ähnlicher Art tritt.<br />

(:4)<br />

Barth stellt zwar die wissenschaftliche Arbeit <strong>der</strong> <strong>Theologie</strong> auf die gleiche Ebene wie alle an<strong>der</strong>en<br />

Wissenschaften und betont ihre Menschlichkeit und ihre Bemühung um einen bestimmten<br />

Erkenntnisstand, ihre Suche nach einem methodisch richtigen Weg, und ihr Vorhaben je<strong>der</strong>mann<br />

Rechenschaft abzulegen, was sie erforscht hat, aber Barth möchte die <strong>Theologie</strong> nicht abhängig<br />

machen von an<strong>der</strong>en Disziplinen, da sie eben ihre eigenen Axiome und Grundüberzeugung hat. Die<br />

<strong>Theologie</strong> soll ihren Platz inmitten <strong>der</strong> wissenschaftlichen Forschung innehaben, nicht als bessere,<br />

son<strong>der</strong>n als ergänzende Funktion (:3). Gerade weil die vielen wissenschaftlichen Disziplinen die<br />

beson<strong>der</strong>e Rede von Gott oft nicht annehmen o<strong>der</strong> verstehen, und oft an ihrem Inhalt und Ziel<br />

vorbeireden, soll die <strong>Theologie</strong> diesen Platz einnehmen (:4). Barth räumt also <strong>der</strong> <strong>Theologie</strong> einen<br />

wissenschaftlichen Platz ein, aber er grenzt sie von an<strong>der</strong>en Wissenschaften ab, und er sagt von <strong>der</strong><br />

<strong>Theologie</strong>: „Sie glaubt an die Vergebung <strong>der</strong> Sünden und nicht an die letzte Wirklichkeit eines<br />

heidnischen Pantheons.“ (:10)<br />

An<strong>der</strong>s argumentiert Emil Brunner, indem er zuerst einmal hervorhebt, dass <strong>der</strong> Glaube und die<br />

Gotteserkenntnis nicht ein wissenschaftliches Unternehmen sind, son<strong>der</strong>n Offenbarungsgeschehen,<br />

und Glaubenswahrheit. Was Gott sucht ist eine persönliche Beziehung zu den Menschen, und dazu<br />

braucht es keine wissenschaftlichen Untersuchungen. Darum ist Brunner zuerst einmal kritisch,<br />

weil die Dogmatik die personale Form des Glaubens versachlicht:<br />

Wir haben festgestellt, dass alles zur Lehre werdende Bekenntnis einen<br />

Uebergang aus <strong>der</strong> Dimension <strong>der</strong> Person in die Dimension <strong>der</strong> Sache zur<br />

Folge hat, ja in diesem Wechsel besteht. Gott wird aus dem Anredenden<br />

<strong>der</strong> Besprochene, <strong>der</strong> Gegenstand <strong>der</strong> Lehre. Je weiter diese Brechung <strong>der</strong><br />

Unmittelbarkeit fortschreitet, desto mehr versachlicht sich die Erkenntnis,<br />

desto mehr nähert sich die Glaubenserkenntnis <strong>der</strong> sonstigen,<br />

„weltlichen“ Erkenntnis an, desto unpersönlich-objektiver und sachlich<br />

kühler wird sie. (1946:72)<br />

Emil Brunner bringt die <strong>Theologie</strong> in die Nähe <strong>der</strong> Philosophie, weil sich beide Disziplinen mit<br />

dem Letzten, dem Göttlichen, dem Ewigen befassen und deshalb nur bedingt als Wissenschaft zu<br />

bezeichnen sind. Aber trotzdem räumt Brunner <strong>der</strong> <strong>Theologie</strong> auch einen wissenschaftlichen Wert<br />

zu. Er weist dabei auf seine bereits erwähnten Grundaufgaben <strong>der</strong> <strong>systematischen</strong> <strong>Theologie</strong> hin<br />

(:75):<br />

a) Das Gültige und Echte <strong>der</strong> christlichen Lehre vom Ungültigen und Unechten (Irrlehre) zu<br />

unterscheiden.<br />

b) Die Fremdheit des biblischen Offenbarungszeugnisses verständlich machen (erklären).<br />

c) Die Kluft zwischen Glaubenserkenntnis und weltlichem Erkennen überbrücken (erweiterter<br />

Katechismus).<br />

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TH 9100 <strong>Aufgabe</strong>n einer <strong>systematischen</strong> <strong>Theologie</strong> 20<br />

Dabei wendet er ähnlich wie Karl Barth das Prinzip <strong>der</strong> Christusoffenbarung als Kriterium an. An<br />

Christus misst sich gute christliche <strong>Theologie</strong>. Emil Brunner ist sehr kritisch gegenüber <strong>der</strong><br />

theologischen Wissenschaft, aber die <strong>Aufgabe</strong>n, die er <strong>der</strong> <strong>Theologie</strong> stellt, verlangen sehr viel<br />

wissenschaftliches Nachdenken, so dass man sagen kann, dass Brunner die Wissenschaft wie ein<br />

Hilfsmittel für die <strong>Theologie</strong> und die Glaubenspraxis betrachtet. Er sagt dazu in seiner Dogmatik:<br />

„In diesem Sinn ist die Dogmatik die Mittlerin zwischen weltlicher Wissenschaft und<br />

überweltlichem Glaubenszeugnis.“ (:77)<br />

Heute ist <strong>Theologie</strong> immer mehr den an<strong>der</strong>en wissenschaftlichen Disziplinen angebunden.<br />

Religionswissenschaften, Literaturwissenschaften und Sozialwissenschaften werden mit <strong>Theologie</strong><br />

verbunden. Neuerdings werden Themen <strong>der</strong> <strong>Theologie</strong> auch aus soziologischer, rechtlicher o<strong>der</strong><br />

pädagogischer Sicht betrachtet. Empirische <strong>Theologie</strong> z.B. erforscht die Wirkungen<br />

missionarischen Handelns im gesellschaftlichen Kontext mit Hilfe soziologischer Methoden. Diese<br />

Entdeckungen sind sehr spannend und können die <strong>Theologie</strong> neu befruchten. Daraus folgt<br />

allerdings, dass die von Barth gefor<strong>der</strong>te Christuszentriertheit schnell verloren geht, und wir<br />

müssen sehr darauf achten, dass die Begeisterung <strong>der</strong> Theologen für an<strong>der</strong>e Wissenschaften <strong>der</strong><br />

<strong>Theologie</strong> keinen Schaden bringt. Es wäre schön, wenn die systematische <strong>Theologie</strong> auch heute<br />

noch namhafte evangelische Theologen hervorbringen könnte, die dem christlichen Glauben<br />

Stärkung und gute Impulse geben könnten.<br />

Im Blick auf die grossen Fragen <strong>der</strong> heutigen Völker- und Religionsvermischung und <strong>der</strong> daraus<br />

folgenden religiösen Herausfor<strong>der</strong>ungen, ist es meines Erachtens nötig, dass die christliche<br />

<strong>Theologie</strong> ihre Christologie erneut in die Mitte stellt, damit unser christliches Selbstverständnis<br />

gestärkt wird, und damit die <strong>Theologie</strong> nicht in tausend Teilstücke zerfällt.<br />

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TH 9100 <strong>Aufgabe</strong>n einer <strong>systematischen</strong> <strong>Theologie</strong> 21<br />

5 SCHLUSSBEMERKUNGEN: GUTE THEOLOGIE<br />

FÖRDERT GLAUBE, DER NACHDENKT, UND<br />

MUTIGES HANDELN<br />

Wenn wir mit den christlichen Theologen sagen, dass unser Glaubensgrund auf <strong>der</strong> Offenbarung<br />

Gottes beruht, dann gehen wir davon aus, dass Gott redet und wir ihm antworten. Wir lesen von<br />

den Offenbarungen im Alten Testament, wir verstehen das Wort <strong>der</strong> Propheten, die vom<br />

kommenden Christus sprechen, und wir nehmen staunend zur Kenntnis, dass dieser Christus auch<br />

tatsächlich gekommen, gestorben und wie<strong>der</strong> auferstanden ist.<br />

Wir entdecken durch dieses Hören, Lesen, Suchen und Verstehen, dass Gott uns meint, und dass er<br />

zu uns kommt, dass er uns sucht, und uns für sich gewinnen will. Wir verstehen, dass wir<br />

umkehren und seine Versöhnung annehmen sollen, und ihm helfen müssen, sein Reich aufzubauen.<br />

Glaube ist also zuerst von aussen an uns herangetreten (extra nos) erfor<strong>der</strong>t dann aber unser<br />

Suchen, Verstehen und Denken und Handeln. Wo Rede Gottes ist, wo Antwort, Glaube und<br />

Handeln ist, da ist auch Denken mit verbunden. Man muss denkend verstehen, was man gehört und<br />

gelesen hat, und dann kommt <strong>der</strong> Glaube. Glaube ist kein frommes Gefühl, das nicht weiss, warum<br />

es fühlt und glaubt. Auch <strong>der</strong> einfachste Mensch kann nicht glauben ohne zu verstehen, was Gott<br />

zu ihm sagt, und dazu braucht es einerseits die Hilfe des Heiligen Geistes, aber es braucht auch<br />

Denken und Verstehen. Auch Beten, Danken, Loben sind Akte des Denkens. Der Theologe<br />

Pannenberg hat gesagt (zitiert in Pöhlmann 2002:95): „Der Glaube ist begründetes Wagnis. Nicht<br />

<strong>der</strong> „Vollblindgläubige“ glaubt „am besten“, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong>, <strong>der</strong> sich über seinen Glauben vor seiner<br />

von Gott geschaffenen Vernunft Rechenschaft ablegt.“ Es genügt dem Menschen nicht zu hören,<br />

dass es Gott gibt, und dass er deshalb an ihn glauben soll. Der Mensch will sehen, wie Gott sich<br />

zeigt, und was Gott tut, und dann muss diese Erfahrung mit Gott verarbeitet werden. Das erfor<strong>der</strong>t<br />

denken<strong>der</strong> Glaube.<br />

Gute <strong>Theologie</strong> för<strong>der</strong>t dieses Nachdenken. Sie sucht die Zusammenhänge aufzuzeigen, die Gottes<br />

Offenbarung uns bringt. Sie hilft zu Verstehen und begeistert den studierenden gläubigen<br />

Menschen, weil er die Zusammenhänge des Wirkens Gottes immer mehr versteht. Biblische und<br />

systematische <strong>Theologie</strong> kann grosse Begeisterung über und für Gott auslösen. Bestimmt gibt es<br />

viele ungelöste Fragen in <strong>der</strong> <strong>Theologie</strong>, aber das Nachdenken über Gottes Wirken und seine<br />

Gnade ist glaubensstärkend.<br />

Gute <strong>Theologie</strong> hat keine Angst vor schwierigen Fragen. Sie versteckt sich nicht hinter einem<br />

festen Konzept, das einfach geglaubt werden muss. Heinzpeter Hempelmann for<strong>der</strong>t sogar dazu<br />

auf, die schweren Fragen bewusst zu stellen:<br />

O<strong>der</strong> zeichnet sich die Wahrheit des biblischen Gottes nicht gerade<br />

dadurch aus, dass sie verlässlich, dass sie ämät ist: dass Gott treu ist, man<br />

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sich also auf ihn, auf seine Wirklichkeit und auf seine Zusagen verlassen<br />

kann? Was wäre das für ein Gott, wäre es noch <strong>der</strong> biblische, bei dem wir<br />

ängstlich fragen müssten, ob er sich angesichts <strong>der</strong> kritischen Fragen von<br />

Menschen bewährt? (2004:43)<br />

In diesem Sinn kann man Glaube und Denken nicht voneinan<strong>der</strong> lösen. Beide sind miteinan<strong>der</strong><br />

verbunden. Das theologische Forschen und Denken kommt aus dem Glauben an die Offenbarung<br />

Gottes. Das Denken und Forschen befruchtet nachträglich wie<strong>der</strong> den persönlichen Glauben.<br />

<strong>Theologie</strong> sollte nie losgelöst von persönlicher Glaubensüberzeugung geschehen. Es ist schade,<br />

wenn das Studierzimmer und die Gebetskammer voneinan<strong>der</strong>getrennt sind. Wer im Gebet und<br />

beim Lesen des Wortes Gottes Entdeckungen macht o<strong>der</strong> Fragen hat, <strong>der</strong> darf seine stille Zeit auch<br />

erweitern, und mit Konkordanz und Wörterbuch weitersuchen, damit <strong>der</strong> Glaube auf ein breiteres<br />

Fundament gelegt wird.<br />

Konkretes christliches Handeln geschieht überzeugter und bewusster, wenn das theologische<br />

Fundament stimmt. Christen, die wissen, was sie glauben, und sich damit auseinan<strong>der</strong>gesetzt<br />

haben, werden nicht so schnell ihren geistlichen Dienst in <strong>der</strong> Kirche quittieren. Sie sind motiviert<br />

und begeistert von ihrem Herrn und von <strong>der</strong> Botschaft des Evangeliums. Ihre Sendung in die Welt<br />

ist auf festem Boden.<br />

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6 LITERATURVERZEICHNIS<br />

6.1 Bücher<br />

Barth, Karl 1932. Die Lehre vom Wort Gottes: Prolegomena zur kirchlichen Dogmatik: Die<br />

kirchliche Dogmatik, Bd. 1. Bonn: Kaiser.<br />

Brunner, Emil 1972. Prolegomena: Grund und <strong>Aufgabe</strong> <strong>der</strong> Dogmatik: Dogmatik, Bd. 1. Zürich:<br />

Theologischer Verlag.<br />

Bockmühl, Klaus 1999. <strong>Aufgabe</strong>n <strong>der</strong> <strong>systematischen</strong> <strong>Theologie</strong> heute, in: Frische, Reinhard &<br />

Mayer, Rainer (Hg): Denken im Horizont <strong>der</strong> Wirklichkeit Gottes: Schriften zur Dogmatik<br />

und <strong>Theologie</strong>geschichte. II. Abt. Bd.1. Im Auftrag <strong>der</strong> Klaus-Bockmühl- Forschungsstelle<br />

des TSC Chrischona und des Seminars für Evangelische <strong>Theologie</strong> <strong>der</strong> Uni Mannheim.<br />

Giessen: Brunnen 1999, 105-121.<br />

Deuser, Hermann & Korsch, Dietrich 2004. Systematische <strong>Theologie</strong> heute: zur<br />

Selbstverständigung einer Disziplin. Veröffentlichungen <strong>der</strong> Wissenschaftlichen Gesellschaft<br />

für <strong>Theologie</strong>. Bd. 23. Gütersloh.<br />

Ebeling, Gerhard 1979. Dogmatik des christlichen Glaubens. Bd 1. Tübingen: Mohr.<br />

Hempelmann, Heinzpeter 2004. <strong>Theologie</strong> aus Leidenschaft: Wie Frömmigkeit und Wissenschaft<br />

zur Einheit finden. Giessen: Brunnen.<br />

Kraus, Hans-Joachim 1983. Prolegomena: Systematische <strong>Theologie</strong>. Neukirchen-Vluyn:<br />

Neukirchener.<br />

Liedholz, Martin 1984. Dogmatik 1: Arbeitsmaterial für den Unterrricht auf St.Chrischona,<br />

Pilgermission St.Chrischona<br />

McGrath, Alister E. 1994. Zweiter Teil: Quellen und Methoden: Der Weg <strong>der</strong> christlichen<br />

<strong>Theologie</strong>. München: C.H.Beck.<br />

Pöhlmann, Horst Georg 2002. De Theologia (Von <strong>der</strong> <strong>Theologie</strong>). Gütersloh: Kaiser.<br />

Schlatter, Adolf 1977. Das christliche Dogma. Stuttgart: Calwer Verlag.<br />

Schlatter, Adolf 2002. Glaube und Wirklichkeit. Beiträge zur Wahrnehmung Gottes. Hg von<br />

Johannes Lüpke, Adolph Schlatter Stiftung, Stuttgart: Calwer.<br />

Sauer, Christof (Hg.) 2004b. Form bewahren: Handbuch zur Harvard-Methode. 1.Auflage. GBFE<br />

Studienbrief 5. Lage: GBFE.<br />

Sauer Christof (Hg.) 2004a. Wie schreiben? Anfor<strong>der</strong>ungen an akademische Arbeiten. 1.Auflage.<br />

GBFE Studienbrief 4. Lage: GBFE.<br />

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Theisen, Manuel René 2005. Wissenschaftliches Arbeiten: Technik, Methodik, Form. 12. neu<br />

bearbeitete Auflage. München: Franz Vahlen.<br />

Zehner, Joachim 1998. Arbeitsbuch systematische <strong>Theologie</strong>: eine Methodenhilfe für Studium und<br />

Praxis. Gütersloh: Kaiser.<br />

Zimmermann, Jakob 1985. Kirchengeschichte Band I: Kirchengeschichte <strong>der</strong> Alten Kirche und des<br />

Mittelalters: Arbeitsmanuskript für den Unterricht auf St.Chrischona. Ueberarbeitet und hg.<br />

von Martin Liedholz. Pilgermission St.Chrischona<br />

6.2 Internet<br />

Wissenschaft. Online im Internet: URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Wissenschaft, [Stand 2008-<br />

01-17]<br />

6.3 Sonstiges<br />

Alles Bibelzitate sind aus <strong>der</strong> revidierten Lutherbibel 1984.<br />

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