Eine Verletzung folgte bei Frank Busemann der nächsten. Jetzt hat ...

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Fotos: Imago (3), Chai (2) „ Frank Busemann Aber davon bin ich momentan ziemlich weit entfernt. Natürlich mache ich den Sport, weil ich besser werden will. Ich mache das ja nicht, weil ich gegen den Verfall ankämpfen möchte. Ich möchte sehen, dass es noch was bringt, wenn ich mich auf den Sportplatz stelle. Sie haben also den Traum verdrängt, Atlanta vielleicht eines Tages wiederholen zu können? Mit Verdrängung hat das nichts zu tun. Ich habe mich lange und intensiv mit der Sache beschäftigt. Ich musste mit mir auch erst ins Reine darüber kommen, welche Perspektiven ich überhaupt noch habe, und was ich eigentlich will. Und was wollen Sie? Vor zwei Jahren hatte ich die Angst, dass ich irgendwann aufhören muss, ohne das erreicht zu haben, was ich mir mit 21 Jahren als Ziel gesteckt hatte. Damals wollte ich natürlich noch mal besser sein als in Atlanta, die 9000 Punkte spukten im Kopf herum. Dann hat mir Roman Sebrle geholfen. Bis zu den 9000 Punkten hatte ich keine Zeit. Sebrle hat 9000 Punkte gemacht, und mir dabei gezeigt, dass der Sport nicht aus 9000 Punkten besteht, sondern aus zehn Disziplinen, die unheimlich schön sein können. Da habe ich begonnen, mich wieder mehr auf den Sport an sich zu konzentrieren und nicht mehr nur darauf, möglichst viele Punkte zu machen. Ich hatte wieder Zeit. Hat Ihnen noch jemand geholfen, diese Erkenntnis zu finden? Ich habe ziemlich viel mit mir selbst geredet. Ich habe versucht mir Pakete zu packen, die ich auch greifen kann. Meine Freundin Katrin hat mir sehr dabei geholfen. Auch Freunde, die vielleicht nur einmal die Woche Sport machen. Sie alle haben versucht zu verstehen, was mir der Sport bedeutet. Sie haben mir viel geholfen. Sind Sie kein Zehnkampf-Junkie mehr, wie Sie der Fernseh-Journalist Friedrich Bohnenkamp in einer seiner Reportagen einmal bezeichnet hat? Oh, doch. Einmal Zehnkämpfer, immer Zehnkämpfer. Ich brauche die Tempoläufe, ich muss mich auspowern. Ich habe mir für dieses Jahr zum Beispiel 64 - Leichtathletik magazin „Ich habe begonnen, mich wieder mehr auf den Sport an sich zu konzentrieren“ eine neue Bestleistung über 400 Meter zum Ziel gesetzt. Sie müssen schließlich ihre Speerwurf- Leistung kompensieren. Nach der Ellenbogen-Verletzung 2001 in Ratingen können Sie nicht mehr mit Ihrem starken linken Arm werfen. Wieviel kostet die Umstellung auf den rechten Arm? Ich gehe davon aus, dass es 10 bis 15 Meter weniger werden. Da rechnet man natürlich schon ein bisschen hin und her. Es gibt aber zum Glück neun andere Disziplinen, in denen man etwas gut machen kann. Grundsätzlich habe ich mir aber das Punktezählen abgewöhnt. Ich habe früher vor jedem Wettkampf durchgerechnet, wie viele Punkte möglich sind. Es ist nie das eingetreten, was ich mir vorher zusammengerechnet hatte. Sie haben zwischenzeitlich auch als Weitspringer geglänzt. In Berlin 2001 haben Sie nur knapp gegen Ivan Pedroso verloren und sind 8,04 Meter weit gesprungen. Warum lehnen Sie eine neue Karriere als Weitspringer ab? Weil man da keine 400 Meter laufen darf. Da steigt man nach 45 Metern Anlauf aus der Grube als hätte man überhaupt keinen Sport gemacht – nur ein bisschen dreckiger. Das Gedankenspiel hat es schon gegeben. Aber meine Fußverletzung habe ich mir beim Weitsprung zugezogen, da macht es wenig Sinn, ganz auf die Karte Weitsprung zu setzen, da ich dann auch wie ein Weitspringer trainieren müsste – das wäre der sichere Untergang. Sie hätten nicht einmal den Trainer wechseln müssen. Bernd Knut ist ein hervorragender Weitsprung-Coach… Ja, das stimmt. Das ist aber kein Thema mehr. Bernd Knut war aber ausschlaggebend für meinen Wechsel nach Leverkusen. Er war für mich und meinen Vater der einzige Trainer, der so viel Sensibilität mitbringt, dass er es mit mir aufnehmen konnte. Mein Vater hat den Schritt ja eingeleitet, als er die Entscheidung getroffen hat, nicht mehr für mein Training verantwortlich sein zu wollen. Es ist ja nicht so leicht, einen wie mich ins Nest gesetzt zu bekommen. Wir mussten erst mal jemanden finden, der die Aufgabe übernehmen wollte. Macht Bernd Knut vieles anders als ihr Vater? Im Großen und Ganzen ähnelt sich das Training. Ich mache vielleicht minimal mehr Krafttraining und etwas weniger Ausdauer. Das sind aber nur Nuancen. Bernd Knut ist genauso einfühlsam wie mein Vater. Er gesteht mir – wie auch mein Vater das getan hat – sehr viel Eigenverantwortung zu. Beide akzeptie- Seine zahlreichen Verletzungen haben den Menschen und den Sportler Frank Busemann verändert ren meine Meinung. Mitte Mai habe ich mich entschieden, im Juni in Wien bei einem 100-Minuten-Zehnkampf zu starten. Eigentlich ist das total hirnverbrannt, aber ich möchte das gerne machen. Da hat Bernd gesagt: ,Okay, wenn du das unbedingt möchtest, dann machen wir das.’ Ihm ist es sehr wichtig, dass sich der Athlet wohl fühlt. Freundin Katrin ist Frank Busemanns großer Rückhalt in guten und schlechten Zeiten Hat die Auflösung des „Systems Busemann/Busemann“ die Beziehung zu Ihrem Vater verändert? Eher gestärkt. Ich habe ihm das hoch angerechnet, dass er diesen Schritt gemacht hat. Dass er den Mumm hatte, zu sagen, es ist das Beste, jetzt aufzuhören. Die Entscheidung zu treffen, dass er mir nicht mehr weiterhelfen Für das besondere Glücksgefühl im Wettkampf lohnt es sich für Frank Busemann weiter zu kämpfen kann, nicht zu klammern, hat bei mir Hochachtung ausgelöst. Und seitdem war Ihr Vater nicht mehr bei einem Wettkampf dabei. Das hatte aber nicht nur mit dem Ende meiner Betreuung zu tun. Es sind auch andere Dinge passiert, die ihm sauer aufgestoßen sind. Seit Februar hat er aber wieder einen jungen Athleten und steht schon wieder dreimal die Woche auf dem Platz. Sie sind Mitglied im Zehnkampf-Team, das in den 90er-Jahren mit ambitionierten Zielen gestartet ist. Man hört in letzter Zeit wenig vom Team. Ich habe mich da etwas distanziert, nachdem ich zu Beginn meiner Laufbahn als Zehnkämpfer sehr euphorisch war. Ich hatte da wirklich meine Heimat gefunden. Dann gab es einen Vorfall, der mich vor allem menschlich enttäuscht hat. Was ist passiert? Ein Zehnkampf-Kollege hat öffentlich erzählt, dass ich mich ständig in den Vordergrund drängen würde, und mein Vater würde mich auch noch pushen. Ich hatte vorher gedacht, wir würden uns gut verstehen, er bezeichnete unsere Beziehung dann als neutral. Danach habe ich vieles auf den Prüfstand gestellt. Aber das ist natürlich ein sehr subjektives Empfinden. Ist Ihnen aufgrund der neu gewonnenen Erkenntnisse die berufliche Perspektive, also Ihr Studium der Wirtschaftswissenschaft, wichtiger als noch vor einem Jahr? Ich bin jetzt im zehnten Semester – und noch im Grundstudium. Das ist ziemlich rekordverdächtig. Da habe ich zuletzt wieder etwas mehr gemacht. Auch meine Freundin hat mich bestärkt, mein Studium zu forcieren. Überhaupt hat sich unsere ganze Beziehung in eine so positive Richtung entwickelt, dass ich mehr denn je weiß, dass das Leben nicht nur aus Sport besteht. Insofern waren die vergangenen Monate auch eine sehr schöne Zeit. Haben sie dabei auch an Heirat oder „Ich weiß heute mehr denn je, dass das Leben nicht nur aus Sport besteht“ Kinder gedacht? Ja klar, das ist aber nicht ganz neu. Da haben wir auch vor drei Jahren schon mal drüber nachgedacht. Wann es soweit ist, wissen wir nicht. Wir können es uns aber gut vorstellen. Trotz der Verletzungen in den beiden vergangenen Jahren gab es einen Frank Busemann, der abseits der Öffentlichkeit einen Weltklasse-Mehrkampf bestritt. Das war Anfang Februar 2002 bei ihrem deutschen Siebenkampf-Hallenrekord in Tallinn. Wie wichtig war dieser Wettkampf in Ihrer Karriere? Wahnsinnig wichtig. Ich hatte damals erst ein halbes Jahr bei Bernd Knut trainiert. Ich kam dort sofort gut in den Wettkampf rein. Und das, obwohl acht Wochen zuvor noch ein Bänderriss dazu gekommen war und ein paar Tage vorher auch die Leiste Probleme gemacht hatte. Da hatte ich schon wieder alle Fälle davon schwimmen sehen. Aber ich habe den Wettkampf zu Ende gebracht. Ich war danach so unendlich glücklich, weil ich mir gezeigt hatte: Es geht noch, ich kann noch was erreichen. Da haben so viele Kleinigkeiten zusammengepasst. Gegen Klaus Isekenmeier habe ich eine Big Mac-Menü gewonnen, weil ich gesagt hatte, ich springe 2,10 Meter – und ich bin 2,10 Meter gesprungen. Als Gewinn gab es eine Statue, die wird bis an mein Lebensende bei uns im Wohnzimmer stehen, weil ich auf diesen Wettkampf so stolz war. Dabei bin ich wirklich nicht der Typ, der sich Pokale in die Bude stellt. Leichtathletik magazin - 65
Fotos: Chai (2) „ Frank Busemann Trafen auf einen sehr nachdenklichen Frank Busemann: Die Leichtathletik magazin-Redakteure Joël Kruse (l.) und Norbert Hensen Waren Sie auch glücklich, weil Sie allen zeigen konnten: den Busemann darf man nicht abschreiben? Eigentlich nicht. Der Erfolg zählte nur für mich selbst und meinen Trainer. Diese Leistung war auch ein Dank an ihn. Haben Sie dort das Atlanta-Gefühl wieder erlebt? Nein, Atlanta war wie ein Traum. In Tallinn gab es keine Leistung, die ich nicht erklären konnte. Atlanta lief auf einer anderen Ebene ab. Atlanta ist für mich Seuche und Segen zugleich. Ich habe Glücksmomente erlebt, wie sie im Sport vielleicht nicht viele Menschen erfahren dürfen. Diesem Glücksmoment bin ich jahrelang hinterher gelaufen, ich habe immer gedacht, nur diese Momente im Sport zählen. Ist dieser Trieb heute abgestellt? In gewisser Weise, ja. Ich möchte natürlich immer noch schöne Momente durch den Sport erleben. Aber das Atlanta-Gefühl wird es nicht mehr geben. Das war ein magischer Moment. Es werden in Zukunft andere Dinge sein, die mich glücklich machen. Vielleicht ein Wettkampf so wie in Tallinn. Formulieren Sie doch ein Ziel für das Jahr 2003. Dabei sein ist alles. Oder besser: Ich möchte mich selbst überraschen. Ich werde nicht mehr in 13,45 Sekunden über die Hürden laufen, aber wenn es 13,80 Sekunden werden, sage ich: Wow, das war ein super Gefühl. Für mich zählt im Moment nur die persönliche Leistung und kein Rekord. 66 - Leichtathletik magazin Wird 2003 ein Zwischenjahr, um 2004 in Athen – wie bei der WM 1997 – wieder eine Medaille zu gewinnen? Ein Zwischenjahr gibt es auf keinen Fall. Es ist eher der Knackpunkt der Karriere. Ich plane nicht mehr so langfristig. Wenn ich gesund bin und die Leistung stimmt, möchte ich auch zur WM. Zuerst kommt jetzt der Stundenzehnkampf, danach werde ich mich mit der WM-Quali in Ratingen beschäftigen. In Ratingen ging 2001 der Ellenbogen kaputt, 2002 mussten Sie nach Schmerzen im Sprunggelenk nach dem Weitsprung aufgeben. Was tun Sie, um am 12. und 13. Juli diesen Jahres nicht an Balsam für den geschundenen Körper nach einer anstrengenden Trainingseinheit: die Hände von Bayer-Physiotherapeut Klaus Zander diese Dinge denken zu müssen? Ich beschäftige mich ganz intensiv mit dem, was passiert ist. Klar habe ich mich 2001 schwer am Ellenbogen verletzt. Aber ich habe auch neun Disziplinen gegen den inneren Schweinehund angekämpft und habe viele Vorgaben von mir erreicht. Im vergangenen Jahr hätte ich überhaupt nicht antreten dürfen, nachher ist man natürlich immer klüger. Aber Angst habe ich nicht. Wenn was passiert, dann passiert es. Was passiert mit Frank Busemann, wenn Ihr Körper den Zehnkampf von Ratingen nicht durchsteht? Das ändert an meiner momentanen Haltung nichts. Wenn ich durchkomme, freue ich mich, wenn nicht durchkomme, dann ist das natürlich blöd. Aber die Brechstange ist eingepackt, ich höre nur noch auf mein Gefühl. Könnte es auch das Ende Ihrer Karriere sein? Natürlich sind die Olympischen Spiele 2004 in Athen ein Ziel für mich. Aber ich mache das nicht ausschließlich von meiner Verfassung abhängig. Wenn ich im Juli in Ratingen den Lauf meines Lebens habe, und ich haue eine Punktzahl raus, mit der ich überhaupt nicht mehr rechnen konnte, vielleicht sage ich dann auch: Danke, das war´s. t „ ZUR PERSON Frank Busemann Geboren: 26. Februar 1975 in Recklinghausen Größe/ Gewicht: 1,92 m / 87 kg Vereine FC Schalke 04 (1985-1991), LG Olympia Dortmund (1992-2000), seit 2001 TSV Bayer 04 Leverkusen Trainer: Bernd Knut Sportliche Erfolge 1993: 3. JEM (110 m Hü), 1994: 1. JMW (110 m Hü); 1996: 1. EC-Cup, 2. OS, 1997: 1. U23-EM (110 m Hü), 3. WM; 2000: 7. OS. Leistungsentwicklung Jahr Alter 60 Hü 110 Hü 10-Kampf 1993 18 7,94 14,06 - 1994 19 7,67 13,47 7938 1995 20 7,54 13,58 7879 1996 21 - 13,45 8706 1997 22 7,52 13,49 8652 1998 23 - 13,70 8231 1999 24 - 13,85 8414 2000 25 - 13,98 8531 2001 26 - 14,21 8192 2002 27 7,88 - - Autogrammadresse Frank Busemann, Pflugweg 97, 58454 Witten Homepage www.frank-busemann.de
Seite 1: „ INTERVIEW Frank Busemann „Hö

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